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Munich Re Schadenspiegel 2/2009 SCHADEN SPIEGEL SCHADEN SPIEGEL deutsch SCHADEN Luftverkehr Piraterie Brandrisiko Falscher Alarm – Piraten an Bord – Vermeidbare Tragödie – Risiken in der Schadenregulierung bei Zuckerstaubexplosion kommerziellen Luftfahrt Schiffsentführungen in Raffinerie © 2009 Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft Königinstraße 107, 80802 München SPIEGEL Bestellnummer 302-06233
© 2009 Bildnachweis Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft Titelbild: Gilberg Jensen Königinstraße 107 S. 2 links, 4: dpa/Picture Alliance/ 80802 München David Ebener S. 2 rechts, 24: Allianz Deutschland AG Tel.: +49 89 38 91-0 S. 3, 42: ACE European Group Limited Fax: +49 89 39 90 56 S. 6 oben: dpa/Picture Alliance/ www.munichre.com Marcus Brandt S. 6 unten: dpa/Picture Alliance/ Verantwortlich für den Inhalt David Ebener Claims Management & Consulting: S. 8: dpa/Picture Alliance/Boris Roessler Nicholas Roenneberg S. 10 oben: Getty Images/AFP/Stringer Geo Risks Research/Corporate Climate S. 11 oben links: Reuters/Tim Wimborne Centre: Prof. Dr. Peter Höppe S. 11 oben mitte: dpa/Picture Alliance/Tass Marine: Thomas Artmann Marina Lystsewa Risk, Liability & Insurance: S. 11 oben rechts: Getty Images/AFP/Stringer Christian Lahnstein S. 11 unten: dpa/Picture Alliance/ Schaden: Dr. Paolo Bussolera, epa efe handout Arno Studener, Dr. Eberhard Witthoff S. 12 oben links: Reuters/John Gress S. 12 oben mitte: dpa/Picture Alliance/ Redaktion epa anp Ade Johnson Daniela Pürzer, S. 12 oben rechts: Getty Images/ Group Communications CARL DE SOUZA/AFP (Anschrift wie oben) S. 12 unten: Reuters/Tim Wimborne Tel.: +49 89 38 91-93 84 S. 13 oben: Getty Images/ Fax: +49 89 38 91-7 93 84 ORLANDO SIERRA/AFP schadenspiegel@munichre.com S. 13 unten: dpa/Picture Alliance/ epa efe Fernandez Anmerkung der Redaktion S. 14: Getty Images/PhotoLink In Veröffentlichungen von Munich Re S. 16: Plainpicture/Deepol/Rui Camilo verwenden wir in der Regel aus Gründen des S. 18: dpa/Picture Alliance/URS FLUEELER Leseflusses die männliche Form von Personen- S. 20 oben: dpa/Picture Alliance/ bezeichnungen. Damit sind grundsätzlich – Matthias Hiekel sofern inhaltlich zutreffend – Frauen und S. 20 unten: dpa/Picture Alliance/Arno Burgi Männer gemeint. S. 25, 26, 27: Allianz Deutschland AG S. 29 oben: Associated Press/NOOA ISSN 0940-08878 S. 31 oben: Associated Press/Brennan Linsley S. 31 unten: Reuters/Staff Photographer S. 32 oben: Associated Press/Joanna Lewis Weitere Hefte sind gegen eine Schutzgebühr S. 35, 36 oben: Beluga Shipping GmbH von 8 € erhältlich. Ihre Bestellung schicken Sie S. 39: dpa/Picture Alliance/EPA/ bitte an schadenspiegel@munichre.com. DAVID B. HUDSON S. 40: dpa/Picture Alliance/Maxppp Tpg Die Zeitschrift erscheint in zwangloser Folge. S. 43, 44: ACE European Group Limited Nachdruck ohne Genehmigung nicht gestattet. S. 46 oben, unten: Munich Re Archiv S. 48: Associated Press/Stephen Morton Druck S. 51: Munich Re Archiv Druckerei Fritz Kriechbaumer S. 52 oben links: dpa/Picture Alliance/epa Wettersteinstrasse 12 Brooke Baskin/HO 82024 Taufkirchen/München S. 52 oben mitte: dpa/Picture Alliance/Tass S. 52 oben rechts: dpa/Picture Alliance/epa Andrew Gombert S. 52, unten links: Getty Images/WOOD/AFP S. 52, unten mitte: dpa/Picture Alliance/ epa ASA S. 52 unten rechts: dpa/Picture Alliance/ Armando Arorizo S. 53 oben links: dpa/Picture Alliance/ Esa-Cnes-Arianespace S. 53 oben mitte: Getty Images/ DANIEL VELEZ/AFP S. 53 oben rechts: Associated Press/ Rick Rycroft S. 53 unten links: dpa/Picture Alliance S. 53 unten mitte: dpa/Picture Alliance/ epa Bildfunk
EDITORIAL Liebe Leserinnen, liebe Leser, in der letzten Ausgabe unseres Magazins haben wir Ihnen versprochen, uns auch nach 50 Jahren Schadenspiegel weiterhin zu verbessern und enger an Ihren Bedürfnissen auszurichten. Der erste Schritt dazu war die Leserbefragung, an der Sie so zahlreich teilgenommen haben. Dafür wollen wir uns an dieser Stelle herzlich bedanken! Nachdem wir Ihre Antworten ausgewertet haben, lassen wir Sie in der nächsten Ausgabe natürlich an den Ergebnissen und ersten Konse- quenzen teilhaben. Der zweite Schritt zur Optimierung des Schadenspiegels geht einher mit dem geschärften Leistungsversprechen von Munich Re und unserem neuen Corporate Design. Das Resultat halten Sie in Ihren Händen. Unser neues Layout ist über- sichtlicher, funktionaler und unterstreicht das, worauf es uns ankommt: unseren Auftrag, Wissen zu vermitteln und damit Schäden zu vermeiden. Unsere Redaktion verspricht Ihnen auch weiterhin verlässliche Berichte zum Schadenmanagement auf höchstem Niveau. Den Inhalt dieser Ausgabe haben wir wieder in drei klassische Schadenspiegel- Kategorien gegliedert. Wir freuen uns, Ihnen dort Artikel unserer Experten sowie einige Beiträge von Gastautoren aus unserem weltweiten Netzwerk vorstellen zu dürfen. Wir berichten in dieser Ausgabe von den spektakulärsten und für Sie interessantesten Schäden – die uns nicht nur heute, sondern auch in Zukunft beschäftigen werden: die Folgen der Finanzkrise, Arbeiterunfallversicherung, Piraterie, die Zukunft der kommerziellen Luftfahrt, Naturkatastrophen und vieles mehr. Am Ende des Schadenspiegels finden sie wieder eine Großschadenliste mit einigen der folgenreichsten Ereignisse der letzten beiden Jahre. Wir wünschen Ihnen viel Spaß beim Lesen! Ihr Schadenspiegel-Team schadenspiegel@munichre.com MUNICH RE Schadenspiegel 2/2009 1
INHALT IM FOKUS SCHADENMANAGEMENT LUFTVERKEHR UMWELTSCHADEN Falscher Alarm Großschaden durch Natronlauge Mehrere Großunglücke lassen Ein Tanklager wird unter 2,5 t die Öffentlichkeit an den Sicherheits- hochprozentige Natronlauge gesetzt. standards der Fluglinien zweifeln. Der Grund: ein geplatzter Seite 4 Abfüllschlauch. Seite 24 HAFTPFLICHT Finanzkrise – Lehren für die Zukunft NATURGEFAHREN Welche Lehren zieht die Versicherungen von Naturkatastrophen – Versicherungswirtschaft aus den Schadenbeispiel Hurrikan Paloma Schäden der Finanzkrise? Mitte November 2008 richtet der Seite 14 Wirbelsturm Paloma schwere Schäden auf den Cayman Islands an. ARBEITERUNFALL Seite 28 Fit für die Zukunft? Die Arbeiterunfallversicherung wird PIRATERIE vor große Herausforderungen gestellt. Piraten an Bord – Was gilt es zu beachten? die Entführung der BBC Trinidad Seite 18 Rechtliche und versicherungstechnische Aspekte bei Lösegeldzahlungen am Beispiel der BBC Trinidad. Seite 34 SCHADENMANAGEMENT In einem holzverarbeitenden Groß- unternehmen kam es 2008 zu einem folgenschweren Unfall: Beim Befüllen IM FOKUS eines Hochtanks mit Natronlauge Fliegen ist seit Beginn der platzt der Abfüllschlauch des Tank- kommerziellen Luftfahrt immer lastzugs. sicherer geworden. Doch gleich mehrere Großunglücke im ersten Halbjahr 2009 haben die Medien und Öffentlichkeit aufgeschreckt. 2 MUNICH RE Schadenspiegel 2/2009
INHALT EINZELSCHÄDEN BRANDRISIKO GROSSSCHÄDEN Brandschaden an Solarmodulen Großschadenliste 2008 bis 2009 in der Extremadura Seite 52 Noch während der Montagearbeiten werden ca. 2.080 Photovoltaik- module durch Brand zerstört. Seite 42 AUTOREN Seite 54 ENGINEERING Überschwemmung im Wasserkraftwerk Aufgrund eines blockierten Roll- schütz wird ein Wasserkraftwerk vollständig geflutet. Seite 45 BRANDRISIKO Vermeidbare Tragödie: Zuckerstaubexplosion in Raffinerie Eine gesamte Raffinerie wird durch Staubexplosionen und darauf folgende Brände vernichtet. Seite 48 EINZELSCHÄDEN Die Extremadura ist eine äußerst dünn besiedelte Region, die durch den hohen Anteil an Sonnentagen fast ohne Bewölkung perfekt geeignet ist als Standort für eine Photovoltaikanlage. MUNICH RE Schadenspiegel 2/2009 3
LUFTVERKEHR Falscher Alarm Fliegen ist seit Beginn der kommerziellen Luftfahrt immer sicherer geworden. Doch gleich mehrere Großunglücke im ersten Halbjahr 2009 haben Medien und Öffentlichkeit aufgeschreckt. Ist diese Häufung bloßer Zufall oder ein Zeichen für nachlassende Sicherheitsstandards der Airlines? Computer im Cockpit: Piloten sind heute dank intuitiver und übersichtlicher Technik weit weniger belastet als noch vor wenigen Jahren – fliegen aus Sicherheits- gründen aber nach wie vor zu zweit. 4 MUNICH RE Schadenspiegel 2/2009
IM FOKUS Autoren Computer überwachen sich gegenseitig Thomas Endriß, Patrick Sonnenstrahl, Die heute übliche Cockpittechnik ist nicht nur intui- beide München tiver und um ein Vielfaches übersichtlicher als frühere, analoge Instrumente, sie überfrachtet den Auf den ersten Blick sind die jüngsten Zahlen Piloten auch nicht mehr mit unnötigen Informationen. beunruhigend: Von Januar bis Juni 2009 kamen Denn mit dem Fortschreiten der Computertechnik bei Flugzeugabstürzen 499 Menschen ums Leben. wurden immer weniger Bedien- und Kontrollelemente Das sind fast 50 % mehr als im Durchschnitt der nötig. Heute lassen sich weitaus mehr Informationen vergangenen 10 Jahre, in denen insgesamt abrufen, während längst nicht mehr alle gleichzeitig, 344 Todesopfer gezählt wurden. Diese Angaben sondern nur nach Bedarf angezeigt werden. dürfen jedoch nicht fehlinterpretiert werden. Zum einen blieb die Anzahl der tödlichen Flugzeug- Man kann sagen: Cockpitbesatzungen sind im Jahr unglücke in den ersten 6 Monaten 2009 mit 13 Fällen 2009 mental weitaus weniger belastet als noch vor unter dem 10-Jahres-Durchschnitt von 14,8, zum 10 bis 15 Jahren. Dennoch werden sie genauso dafür anderen verzerren 2 Großunglücke – die Abstürze trainiert, sich nicht ausschließlich auf die Technik zu einer Air-France-Maschine über dem Atlantik sowie verlassen – und arbeiten aus Sicherheitsgründen einer Maschine der Yemen Airways bei den Komoren auch nach wie vor zu zweit im Cockpit. – die Statistik. Allein bei diesen beiden Unglücken fanden 381 Flugzeuginsassen den Tod. Während früher in der Regel zwei aus unterschied- lichen Sensoren gespeiste Systeme die Flugdaten an Fliegen immer sicherer die Instrumente der Piloten übermittelten, findet in modernen Cockpits eine noch stärkere Absicherung Kein Zweifel: Wo immer Menschen und Technik invol- statt. Mehrere voneinander unabhängige Computer viert sind, passieren Unfälle. Und so bedauerlich jedes überwachen sich hier gegenseitig und kontrollieren einzelne Unglück ist, eine unheilvolle Entwicklung die Steuerbefehle. Da die Systeme untereinander lässt sich aus den jüngsten Ereignissen nicht ableiten, kommunizieren, lassen sich Abweichungen oder auch wenn die Berichterstattung in den Medien Unstimmigkeiten leicht feststellen. Um die Sicherheit bisweilen einen anderen Eindruck erweckt. Denn das weiter zu erhöhen, arbeiten die Vorreiter unter den Fliegen mit kommerziellen Airlines ist in den ver- Fluggesellschaften mit Instrumentenherstellern und gangenen Jahrzehnten sicherer geworden. Die Zahl Avionikexperten zusammen. Denn je simpler die der tödlichen Unglücke pro eine Million Flüge mit Darstellung der wichtigsten Flugdaten wird, desto Passagiermaschinen ist vielmehr auf einen Bruchteil einfacher werden auch die Arbeitsabläufe im Cockpit. des Niveaus gesunken, das noch in den 1970er-Jahren üblich war. Risikofaktor Mensch Dies entspricht jedoch nicht der Wahrnehmung in der Nach wie vor bleibt der Mensch aber der größte Öffentlichkeit: Weil die letzten großen Unglücke in Risikofaktor in der Luftfahrt. Immerhin: Menschliches der zivilen Luftfahrt Jahre zurückliegen, ist das breite Versagen, also falsche bzw. unrealistische Situations- Publikum von der jüngsten Häufung der Ereignisse einschätzungen des Piloten, gehört zu den häufigsten alarmiert. Ist bei den tödlichen Unglücken dann noch Ursachen von Flugzeugabstürzen. Meist lösen eine bekannte Fluglinie oder ein moderner Flugzeug- psychische oder physische Überlastung und Über- typ beteiligt, schlagen die Wellen in den Medien hoch. müdung die Fehler aus. Fragen wie „Kommt die Flugsicherheit ins Rutschen?“ treffen jedoch nicht den Kern der Problematik. Wie die im militärischen Bereich eingesetzten unbemannten und ferngesteuerten Luftfahrzeuge Tatsächlich sind die Sicherheitsstandards inzwischen (unmanned aerial vehicles) zeigen, wäre es technisch so hoch, dass es immer schwieriger werden wird, durchaus möglich, den Menschen komplett aus weitere Verbesserungen in der technischen Flug- dem Cockpit zu verdrängen. Ob aber Passagiere sicherheit zu erreichen. Dennoch unternimmt die wirklich bereit sind, in ein Flugzeug zu steigen, das Luftfahrtindustrie täglich aufs Neue enorme Anstren- ausschließlich „Captain Computer“ steuert, ist zu gungen, um die Unfallhäufigkeit zu drücken. In der bezweifeln. Der künftige Einsatz solcher unbe- Vergangenheit gelang dies, indem die Flugzeug- mannten Luftfahrzeuge in der kommerziellen Luft- hersteller mechanische durch elektronische Steue- fahrt bleibt daher schon aus psychologischen rungen ersetzten, dem Computer die Regelung und Gründen unwahrscheinlich. Überwachung aller Systeme überließen und ausge- klügelte elektronische Warnsysteme entwickelten. Hinter dieser Automatisierung steckte die Philoso- phie: „Der Mensch kann irren, der Computer nicht.“ MUNICH RE Schadenspiegel 2/2009 5
IM FOKUS Risikofaktor Wetter: Gewitter muss ein Pilot umfliegen – und dafür Verspätungen in Kauf nehmen. Das Flugzeug selbst wirkt wie ein Faradayscher-Käfig und ist gegen Blitzschlag immun – riskant sind aber die extremen Luftbewegungen innerhalb einer Gewitterzelle. Nicht zuletzt aus Versicherungs- gründen, sind Airlines immer mehr dazu aufgefordert, in ihre Flugsicher- heit zu investieren. Sparzwänge aufgrund der wirtschaftlichen Situation gehen daher niemals zulasten der Wartung. Abb. 1 Schwere Flugzeugunglücke weltweit 1999–2008 Zahl der Todesopfer Flugzeugunglücke 50 1.600 48 1.400 40 40 1.200 37 34 34 1.000 1.101 33 30 27 28 1.050 1.022 27 800 863 25 20 730 778 702 744 600 583 400 466 10 200 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 Quelle: Flightglobal ACAS Flugzeugunglücke (Zehnjahresdurchnitt) = 33,3 Todesopfer (Zehnjahresdurchnitt) = 804 6 MUNICH RE Schadenspiegel 2/2009
IM FOKUS „Die Low Cost Carrier sparen in Entschädigungszahlungen bei Flugzeugunglücken kommerzieller Airlines erster Linie am Nach Abstürzen von Passagiermaschinen stellt sich Service, am unweigerlich die Frage nach angemessenen Ent- schädigungszahlungen für Hinterbliebene. Die Catering und an Schadenhöhe bestimmt sich dabei in der Regel durch den Verlust des lebenslangen Einkommens der Opfer den Kosten für bzw. durch den wirtschaftlichen und immateriellen Schaden, welchen deren Familien erlitten haben. die Flughafen- Ob bei gerichtlichen oder außergerichtlichen Eini- lounges.“ gungen – die Höhe der Schadensersatzzahlungen kann je nach Land und individueller Rechtssprechung unterschiedlich ausfallen. Besonders bei US-amerika- nischen Fluglinien werden nach Flugzeugunglücken vergleichsweise hohe Passagierentschädigungen zugesprochen. Dies liegt unter anderem am amerika- nischen Rechtssystem, welches neben den ent- gangenen Einkünften der Opfer auch sogenannte Pain-and-Suffering-Zahlungen bewilligt. Diese kommen immer dann zum Tragen, wenn ein Opfer Zahl der Flugbewegungen steigt kurz vor seinem Tod grausame Schmerzen, Ängste oder andere Qualen erleiden musste. Sie fallen in der Analysiert man die Daten zur Flugsicherheit, darf Regel wesentlich höher aus als herkömmliche man das enorm gestiegene Luftverkehrsaufkommen Entschädigungssummen. nicht außer Acht lassen. Es führt zwangsläufig zu einer höheren Unfallzahl und läuft damit den Anstren- Es ist daher nicht verwunderlich, dass nach Flugzeug- gungen zu mehr Sicherheit im Flugverkehr entgegen. unglücken grundsätzlich eine „Amerikanisierung der Dennoch gilt es, voreilige Schlüsse zu vermeiden. Haftpflichtschäden“ zu beobachten ist. Das bedeutet, Schadenquoten lassen sich stets anhand verschie- dass die Anwälte der Opfer auch außerhalb der USA dener Exponierungsmerkmale berechnen: Beispiels- aufgetretene Schäden gezielt vor US-amerikanische weise werden Passagiermaschinen immer größer. Mit Gerichte ziehen, um so eine höhere Entschädigungs- der gleichen Anzahl an Flugbewegungen befördern summe für ihre Mandanten zu erreichen. Und das sie daher eine größere Anzahl an Passagieren. Sogar nicht ohne Rechtsgrundlage: Internationale wenn die Unfallquote pro Start und Landung Abkommen im Luftfahrtbereich (s. Kasten Seite 9) konstant bliebe, wären im Unglücksfall mehr Tote zu lassen es zu, bei einer Verbindung wie „Boeing“, als in beklagen. Ohne Berücksichtigung aller besonderen den USA ansässiger Hersteller, die Klagen nicht in Umstände ließe sich daraus, statistisch gesehen, den Herkunftsländern der Geschädigten zu leicht eine höhere Gefahrenquote im Flugverkehr verhandeln, sondern US-Gerichte anzurufen. ableiten – die aber nicht der Realität entspräche. Stammen die Passagiere eines abgestürzten Flug- Befürchtungen, dass eine schwierige wirtschaftliche zeugs aus unterschiedlichen Herkunftsländern, ist Situation bei Airlines zu Abstrichen in der Flugsicher- eine homogene Entschädigung allein schon aufgrund heit führt, sind unbegründet. Natürlich sind gegen- der unterschiedlichen persönlichen Verhältnisse der wärtig Fluggesellschaften bestimmten Sparzwängen Opfer nicht möglich. „Treiber“ hoher Entschädigungs- ausgesetzt – aber nicht zulasten von Sicherheit und summen sind weniger die Hinterbliebenen derjenigen, Wartung. Dies wäre bei modernem Equipment auch die beim Absturz den Tod fanden, sondern die kaum möglich, da inzwischen elektronische verletzten Überlebenden – die aufgrund irreparabler „maintenance logbooks“ geführt werden, die auch körperlicher Beeinträchtigung meist vergleichsweise dem jeweiligen Hersteller zugänglich sind. Blieben hohe Zahlungen erhalten. bestimmte vorgeschriebene Checks aus, würde dieser sofort darauf aufmerksam werden – was sich keine Airline, die einen Ruf zu verlieren hat, leisten kann. Das „maintenance logbook“ ist Teil der Lebens- laufakte eines Flugzeugs. Ist diese unvollständig, verliert auch die Maschine an Wert und ist nur noch sehr schwer verkäuflich. MUNICH RE Schadenspiegel 2/2009 7
IM FOKUS Low Cost heißt nicht Low Security Abb. 2 Flugzeugabstürze mit Todesopfern Unter Sicherheitsaspekten macht es keinen Unter- nach Unfallarten/Hauptursachen schied, ob es sich um eine traditionelle Fluglinie oder um einen sogenannten Low Cost Carrier handelt. Diese simpel als „Billigfluglinien“ abzustempeln, greift zu kurz. Low Cost Carrier fliegen oft sogar mit dem neuesten Equipment, da es erheblich weniger Wartungsprobleme bereitet und ein geringeres Ausfallrisiko mit sich bringt. Darüber hinaus profitieren viele Airlines von „Power by the hour“-Verträgen, bei denen die Wartung nach Festpreis pro Flugstunde erfolgt. Dies führt zu einer verlässlicheren Kalkulation und damit zu niedrigeren Ticketpreisen. Außerdem sparen Low Cost Carrier in erster Linie am Service, am Catering und an den Kosten für die Flughafen-Lounges. Technik/Wartung 11 Sonstige/Unbekannt 10 Schwierige Marktbedingungen Kontrollierter Flug ins Gelände 7 Menschliche Faktoren 6 Für die Assekuranz besteht Luftfahrtdeckung ähnlich wie bei Kraftfahrtrisiken primär aus Haftpflicht und Kasko. Treibender Faktor sind hier Haftpflichtlimits, die eine Höhe bis zu 2 Milliarden US$ pro Schaden Auf den ersten Blick scheint der erreichen, wobei das Gros der Risiken ein Limit von Einfluss menschlicher Faktoren etwa 1–1,5 Milliarden US$ pro Unfall vorhält. Trotz gering. CFIT-Unfälle (Kontrollierter dieser hohen Haftpflichtlimits ist im äußerst Flug ins Gelände) sowie ein Großteil zyklischen Luftfahrtversicherungsmarkt weiterhin der unbekannten Ursachen sind jedoch ebenfalls auf menschliches mehr als ausreichend Kapazität vorhanden. Versagen zurückzuführen. Unsere mittel- bis langfristige Einschätzung des Luftfahrtmarkts ist unverändert positiv: Schon vor den jüngsten Großereignissen begann sich der Markt nach jahrelangem Ratenabrieb wieder zu erhärten. Viele Airlines profitieren von „Power by the hour“-Verträgen. Dabei erfolgt die Wartung nach Fest- preis pro Flugstunde, was zu einer verlässlicheren Kalkulation führt. 8 MUNICH RE Schadenspiegel 2/2009
IM FOKUS „Unsere mittel- bis langfristige Einschätzung des Luftfahrtmarkts ist unverändert positiv.“ Das Montrealer Übereinkommen Das Montrealer Übereinkommen (MÜ) im Jahr 2004 regelte die Haftung für Passagier- und Güterschäden Munich Re: Transparent und serviceorientiert im internationalen und nationalen Luftverkehr neu. Es legt besonderen Wert auf eine Verbesserung des Interessant – besonders für größere fakultative Verbraucherschutzes und gilt für jede internationale Kunden – ist unsere Cross-Selling-Initiative. Sie zielt Beförderung von Personen durch ein Luftfahrzeug, darauf ab, die Sicherheit und Expertise von Munich wenn Abgangs- und Bestimmungsort in den Re in der gesamten Breite ihrer Produktpalette Hoheitsgebieten zweier Vertragsstaaten liegen. anzubieten. Auf Wunsch ermitteln wir dabei für jede Zu den Vertragsstaaten zählen unter anderem die Fluglinie eine individuelle Risikolandschaft und Europäische Union, USA, Japan und Australien. schnüren für den benötigten Versicherungsschutz ein Komplettpaket: von der Property- über die Casu- Nach dem MÜ haften Airlines bei Körperverletzung alty- und D&O- bis zur Kreditdeckung. Das gilt auch und Tod eines Passagiers aufgrund eines Unfalls für Special-Enterprise-Risiken, für die es bisher unbegrenzt (vor dem MÜ lag die Höchstgrenze bei noch kein oder kein geeignetes Versicherungs- 26.000 €). Nur wenn Airlines nachweisen können, produkt gab. Die Vorteile liegen auf der Hand: Der dass sie den Schaden nicht selbst verschuldet haben, Kunde hat zentrale Ansprechpartner und kann sich haften sie nicht. Auch dürfen Opfer von Flugzeug- für sein gesamtes Portfolio auf die individuelle unglücken jetzt Airlines unter bestimmten Voraus- Lösung eines soliden Providers verlassen, dem setzungen an ihrem Wohnsitz verklagen. So könnte führende Ratingagenturen seit Jahren beständig beispielsweise ein Amerikaner, der einen inner- gute Noten geben. deutschen Flug mit der Lufthansa gebucht hat, die Airline in den USA belangen, wo die Gerichte den Individuell ist auch unser Pricing. Hier setzt Munich Opfern in der Regel viel höhere Summen zubilligen. Re seit Jahren auf Transparenz. Kunden wie Makler haben jederzeit die Möglichkeit, mit uns in einen offenen Dialog zu treten, um Einblick in die Bestim- mungsfaktoren für das Pricing zu erhalten. Munich Re als Premiumanbieter ist dafür bekannt, das Risiko genau zu hinterfragen und sich in allen Einzelheiten mit den jeweiligen Risikofaktoren zu beschäftigen. Wir nehmen uns Zeit und besuchen die Airlines bei Bedarf auch vor Ort, um uns ein Bild zu machen. Denn erst unser Wissen vom Kunden ermöglicht es uns, den Markt genauestens zu analysieren und Risiken speziell nach Ländern und Regionen zu differenzieren. Mit diesem Wissens- vorsprung sehen wir uns bestens gerüstet, unsere selektive Zeichnungspolitik erfolgreich weiterzu- führen. MUNICH RE Schadenspiegel 2/2009 9
IM FOKUS Internationale Flugzeugunglücke der kommerziellen Luftfahrt Das Fliegen mit kommerziellen Airlines 1 30. Juni 2009 ist in den letzten Jahrzehnten sicherer Yemen Airways: Beim Landen abgestürzt geworden. Tatsächlich sind die Standards Bei dem während des Landeanflugs auf die Komoren abgestürzten Airbus A310 inzwischen so hoch, dass es immer der jemenitischen Fluggesellschaft schwieriger werden wird, weitere Verbesse- Yemenia kamen 141 Passagiere und 11 Besatzungsmitglieder ums Leben. Nur rungen in der technischen Flugsicherheit ein 14-jähriges Mädchen überlebte. Laut zu erreichen. Insbesondere verunglückte Angaben der regionalen Luftfahrtaufsicht Passagiermaschinen brennen sich jedoch ASCENA ist die Maschine während des Landeanflugs in einer Entfernung in das Bewusstsein der Öffentlichkeit. zwischen 5–10 km vor der Hauptinsel der Komoren von den Radarschirmen verschwunden. 3 8 7 5 9 10 4 2 11 6 1 10 MUNICH RE Schadenspiegel 2/2009
IM FOKUS 2 3 4 11. Juni 2009 11. Juni 2009 10. Juni 2009 Jetstar Airlines: Feuer im Cockpit Aeroflot: Notlandung in Sibirien Iberworld: Brennendes Triebwerk Ein Airbus A330 mit 203 Menschen an Auch in Russland ist es zu einem Auf Gran Canaria musste ein Airbus A320 Bord ist nach einem Feuer im Cockpit auf Zwischenfall mit dem Airbus gekommen. mit einem brennenden Triebwerk not- der Pazifikinsel Guam notgelandet. Die Eine Maschine der Fluggesellschaft landen. Das Flugzeug der spanischen Maschine war auf dem Weg von Japan zur Aeroflot musste wegen eines Risses in Chartergesellschaft Iberworld war mit Gold Coast im Osten des australischen einer Cockpitscheibe in der sibirischen insgesamt 180 norwegischen Touristen Kontinents. Die Piloten der Jetstar- Metropole Nowosibirsk notlanden. Die an Bord auf dem Weg nach Oslo. Maschine konnten die Flammen löschen A320 mit 122 Menschen an Bord war auf Mehrere Fluggäste schilderten später in und die Maschine sicher auf das Rollfeld dem Weg von Jakutsk nach Moskau. norwegischen Medien, dass eines der bringen. Offenbar hatte es Probleme mit Bei dem Vorfall wurde niemand verletzt. Triebwerke bereits kurz nach dem Start dem Heizelement in der rechten Cock- In Russland kommt es fast jede Woche Feuer gefangen hatte. pitscheibe gegeben. Es handelte sich um zu Notlandungen, da vor allem bei das gleiche Airbus-Modell wie bei der veralteten Flugzeugen Funktions- Air-France-Maschine, die am 1. Juni 2009 störungen auftreten. mit 228 Menschen an Bord vor Brasilien abgestürzt war. 6 1. Juni 2009 Air France: Flugzeugunglück vor Brasilien Eine Airbus-Maschine vom Typ A330 geriet auf dem Flug von Brasilien nach Frankreich in ein Unwetter. Beim Absturz kamen 228 Menschen ums Leben. Die Unglücksursache blieb bisher im Dunkeln. Das Wetter war zwar schwierig, aber für die Gegend nicht ungewöhnlich. Seit dem Absturz fand man insgesamt 640 Teile der Maschine im Atlantik. Laut Unter- suchungsberichten ist der Airbus nicht in der Luft zerbrochen, sondern zerschlug in Gänze und mit hoher Geschwindigkeit auf dem Wasser. MUNICH RE Schadenspiegel 2/2009 11
IM FOKUS 5 7 8 10. Juni 2009 25. Februar 2009 13. Februar 2009 American Airlines: Brand in der Turkish Airlines: Flugzeug bei British Airways: Bruchlandung in London Bordtoilette Amsterdam abgestürzt Bei einem Flugzeug der British Airways Ein Brand in der Bordtoilette zwang ein Beim Anflug auf den Amsterdamer kam es an diesem Freitagabend am Passagierflugzeug der American Airlines Flughafen Schiphol stürzte ein türkisches Londoner City Airport zu einer Bruchlan- mit 206 Menschen an Bord im kana- Passagierflugzeug ab. Neun Menschen dung. Alle 71 Passagiere und Besatzungs- dischen Halifax zur Notlandung. Nach wurden getötet und 50 verletzt. Mehrere mitglieder der Maschine aus Amsterdam Angaben des Flughafens befand sich die Augenzeugen berichteten, wie die konnten in Sicherheit gebracht werden. Maschine vom Typ Boeing 767-300 auf Maschine vom Typ Boeing 737–800 ein Wie die Rettungskräfte mitteilten, waren dem Flug von New York nach Zürich, als paar hundert Meter von der Landebahn vier Menschen mit leichten Verletzungen plötzlich Rauch aus der Toilette in die entfernt auf ein Feld gestürzt war. Die zu behandeln. Nach Angaben von British Passagierkabine drang – vermutlich hatte Flügel mit den Treibstofftanks waren Airways hatte es bei der Landung Proble- ein defekter Lüftungsventilator das Feuer ganz geblieben – vielleicht ein Grund me mit dem Frontrad gegeben. Die verursacht. Den Angaben zufolge löschte dafür, dass kein Feuer an Bord ausbrach. Passagiere gelangten über Sicherheits- ein Flugbegleiter den Brand mithilfe Mehrere Dutzend Passagiere konnten rutschen ins Freie. eines Feuerlöschers. unverletzt oder mit ein paar kleinen Schrammen das Wrack aus eigener Kraft verlassen. 9 15. Januar 2009 US Airways: Notwasserung im Hudson River Ein vollbesetzter Airbus war kurz nach seinem Start vom New Yorker Flughafen La Guardia offenbar mit einem Vogel- schwarm kollidiert. Die beiden Triebwerke des Unglücksflugzeugs versagten gleich- zeitig, und der Pilot musste auf dem Hudson River notlanden. Eine wahre Meisterleistung, da eine Notwasserung normalerweise noch zerstörerischer ist als eine Notlandung an Land. Alle 155 Insassen des Airbus A320 haben das Unglück überlebt. 12 MUNICH RE Schadenspiegel 2/2009
IM FOKUS 11 30. Mai 2008 TACA International Airways: Airbus rammt Autos Beim Flug TA 390 von San Salvador nach Tegucigalpa kamen 5 Menschen bei der verunglückten Landung eines Airbus 10 A320 auf dem Flughafen in Honduras 20. August 2008 ums Leben, weitere 80 wurden verletzt. Spanair: Verunglückt nach dem Start Die Piloten hatten das Flugzeug auf der Eine MD-82 der spanischen Fluggesell- regennassen Landebahn nicht rechtzeitig schaft Spanair stürzte direkt nach dem stoppen können, die Maschine war über Start aus ca. 100 Metern noch auf dem die Landebahn hinausgerast und kreuzte Flughafen Barajas in Madrid ab, zerbrach eine befahrene Straße, ehe sie schließlich und brannte vollständig aus. Von den an gegen einen Erdwall prallte und stark Bord befindlichen 177 Personen kamen beschädigt wurde. Der Toncontín Interna- 153 ums Leben. Die Ursache ist noch nicht tional Airport gilt als sehr schwierig, da zu 100 % geklärt, es soll sich jedoch um über er eine Landebahn von nur 1.863 m einen Ausfall beider Triebwerke gehandelt Länge verfügt. haben, welche kurz nach dem Start aus ungeklärten Gründen Feuer gefangen hatten. Unter Umständen war hier der Auslöser ein reiner Produkteschaden – ein aus Schadensicht besonders interes- santer Fall. MUNICH RE Schadenspiegel 2/2009 13
HAFTPFLICHT Finanzkrise – Lehren für die Zukunft Die Subprime-Krise in den USA mündete ab 2007/08 weltweit in allen Industriestaaten in eine Finanzkrise. Diese hatte auch erhebliche Auswirkungen auf die Versicherungs- wirtschaft, wobei nur in wenigen Zweigen die positiven Einflüsse überwogen. Neben der Kredit- und Kautionsver- sicherung trafen die größten Verluste PI- und D&O-Verträge. Was lässt sich aus diesen Erfahrungen lernen? Milliardenverluste an den Kapitalmärkten durch ein- brechende Aktienkurse führen zu Schuldzuweisungen. 14 MUNICH RE Schadenspiegel 2/2009
IM FOKUS Autoren fordern. In einem aufsehenerregenden Verfahren hat Prof. Dr. Ina Ebert, München beispielsweise Merrill Lynch einen Vergleich über Dr. Stefan Schmitt, Princeton 475 Millionen US$ geschlossen. Banken haben sich außerdem gegenüber Aufsichts- (SEC) und Strafver- Das Ende der Krise? folgungsbehörden zu Zahlungen in Millionenhöhe verpflichtet. Auch sogenannte Gatekeeper – also Am 15. September 2009 erklärte der Chef der US- Makler, Berater, Anwälte und ähnliche Unternehmen, Notenbank, Ben Bernanke, die schwerste globale die solche Finanzprodukte vermittelt haben oder in Rezession seit der Weltwirtschaftskrise in den die Beratung eingebunden waren – müssen vor 1930er-Jahren des vorigen Jahrhunderts für beendet. Gericht ihr Verhalten rechtfertigen. In New York Bis es tatsächlich zu einer nachhaltigen Konjunk- wurde kürzlich sogar eine Klage gegen Ratingagen- turerholung kommt, wird freilich noch geraume Zeit turen zugelassen. Deren Bewertungen gelten in der vergehen. Nachfolgend sollen einige wesentliche Regel als „matters of public concern“, so dass daraus Auswirkungen der Krise in den USA, wo sie ihren grundsätzlich keine Individualansprüche hergeleitet Ausgang genommen hat, sowie – stellvertretend für werden können. Das New Yorker Gericht führte Europa – in Deutschland beleuchtet werden. jedoch aus, dass Ansprüche ausnahmsweise denkbar sind, wenn sich das Rating nicht allgemein an die USA Öffentlichkeit richtete, sondern nur an eine abgrenz- bare Gruppe von Investoren. Das Platzen der Immobilienblase 2006/07 aufgrund steigender Zinsen und sinkender Immobilienpreise Deckungsfragen: Der Internationale Währungsfonds markierte den Beginn einer tiefen Wirtschaftskrise. IWF hat den volkswirtschaftlichen Schaden der Zwangsräumungen waren die Folge, in manchen globalen Finanzkrise auf 3,4 Billionen US$ beziffert. Städten verwaisten ganze Straßenzüge. Die Kurse Die versicherten Schäden schätzte Advisen, ein von immobiliengestützten Wertpapieren an den führender Anbieter von Analytik- und Informations- Aktienmärkten brachen zusammen und lösten Milli- dienstleistungen für die Versicherungsbranche, ardenabschreibungen sowie Verluste bei den Invest- zuletzt auf 9,6 Mrd. US$. Abgesehen von der Vielzahl mentbanken aus. Im Zuge der einsetzenden Rezes- möglicher Beklagter und einschlägiger Policen wird sion haben in den ersten neun Monaten 2009 bereits eine verlässliche Schätzung der versicherten 95 US-Banken Insolvenz angemeldet (gegenüber Schäden auch durch Besonderheiten des US-Rechts 3 bzw. 25 Insolvenzen in den Jahren 2007 und 2008). erschwert, die im Haftungs prozess einen erheblichen Auch wenn es sich dabei überwiegend um kleinere Kostenaufwand bedeuten. Als Schlagworte wären und regionale Banken handelte und auch ihre Zahl im etwa zu nennen: Discovery-Verfahren und Deposition Verhältnis zu landesweit mehreren tausend Geld- (klägerfreundliches, kostenaufwendiges Beweisver- instituten gering erscheint, lässt diese exponentielle fahren), motion to dismiss, fehlende Erstattung der Entwicklung doch das Ausmaß der Anlegerverluste Prozesskosten für die obsiegende Partei (keine loser- und die tiefe Vertrauenskrise im Hinblick auf den pays-rule wie in Europa), Jury-Gerichte. Aufgrund Kapitalmarkt erahnen. möglicher Verteidigungskosten in Millionenhöhe stellt sich im laufenden Verfahren stets die Frage, wie Juristische Aufarbeitung der Finanzkrise: Wahr- lange selbst eine erfolgversprechende Verteidigung scheinlich ist die Bandbreite an Klagen in keinem aufrechterhalten werden kann oder ob nicht betriebs- Land so groß wie in den USA: So verklagte die Stadt wirtschaftliche Erwägungen einen Vergleich Cleveland 21 Banken wegen ihrer Verantwortung für erzwingen. die Subprime-Krise und der darauf beruhenden zahl- losen Zwangsvollstreckungen in der Stadt. Dies habe zu einem Wegbrechen von Steuereinnahmen sowie zu Mehraufwendungen für die Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung geführt. Der Federal District Court wies diese mit „public nuisance“ begründete Klage jedoch im Mai 2009 zurück. Weitere Klagen stützten sich unter anderem auf die Diskriminierung von Schwarzen und anderer Minderheiten, an die überproportional Subprime-Kredite vergeben wurden, weshalb diese Minderheiten besonders unter den Folgen der Krise leiden. Juristisch besonders aktiv zeigen sich in den USA Anleger, die Schadensersatz aufgrund unzurei- chender, falscher oder irreführender Informationen MUNICH RE Schadenspiegel 2/2009 15
IM FOKUS Deckungsfragen erfordern immer eine Einzelfall- betrachtung. Zu klären wäre etwa: Versicherungsfall- definition, Aggregierung/Allokation, Spätmeldungen, Abgrenzung D&O/E&O, Ausschluss bekannter Umstände oder von Bußen und Geldstrafen. Bei einer Reihe von Schäden, in denen die Kläger im Kern die Rückabwicklung des Kaufvertrags (Aktienerwerb) oder die Anpassung von Vertragsbedingungen (Zins- anpassung) verlangen, dürfte auch der Deckungs- ausschluss für vertragliche Ansprüche Bedeutung gewinnen. Es geht dabei um die Frage, ob überhaupt ein gedeckter Schadensersatzanspruch zugrunde liegt oder nicht vielmehr rein vertraglsbezogene Bereicherungs- und/oder Restitutionsansprüche geltend gemacht werden. Entgegen landläufiger Erwartung wird dem Vorsatzausschluss hingegen oft Nach einem kurzen jähen Einbruch nur eine geringe Bedeutung zukommen, da er häufig sind verbriefte Wertpapiere wieder eine gerichtliche Vorsatzfeststellung voraussetzt und gefragt. vielfältige Nachweis- und Zurechnungsfragen aufwirft. Da Haftungsprozesse dieser Art in aller Regel mit Vergleichen enden, wird ein entspre- chender Nachweis nicht selten scheitern. Dennoch bereiten solche Ausschlüsse erst den Weg für mögliche Deckungsvergleiche. Skandale dringen ins öffentliche Bewusstsein Deutschland Auch die intensive Berichterstattung in den Medien über Skandale, z. B. den Verkauf von Zertifikaten Wie in den anderen europäischen Staaten auch, hat der US-Bank Lehman Brothers oder den Beinahe- die Finanzmarktkrise in Deutschland eine Reihe von Zusammenbruch der Hypo Real Estate, haben die Gesetzesänderungen bewirkt, die teils auf eine Klagebereitschaft erhöht. Denn erst dadurch drangen schärfere Aufsicht über den Finanzmarkt abzielen, die Pflichtverstöße von Managern und Anlagebe- teils die Pflichten seiner einzelnen Akteure konkre- ratern sowie das Ausmaß der daraus resultierenden tisieren. Zudem begünstigen die neuen Gesetze eine Schäden richtig ins öffentliche Bewusstsein. Hinzu konsequentere Durchsetzung bestehender Bestim- kamen die Ergebnisse strafrechtlicher Ermittlungs- mungen. Dies führte zu einem merklichen Anstieg verfahren gegen Vorstandsmitglieder großer Unter- von Entschädigungsforderungen wegen tatsächlicher nehmen und die Berichte über Entschädigungspro- oder vermeintlicher Pflichtverletzungen von zesse in den USA. Beides bestärkte die Aktionäre in Vorständen, Anlageberatern und anderen Finanz- ihren Versuchen, wenigstens Teile der erlittenen dienstleistern. Die krisenbedingt höhere Zahl von Kursverluste durch die Geltendmachung von Ent- Insolvenzen hat diesen Trend noch verstärkt: Insol- schädigungsansprüchen auszugleichen. venzverwalter sind gehalten, im Interesse des Unter- nehmens und seiner Gläubiger gegen Mitglieder der Aktuelle Rechtsprechung zur Finanzkrise Unternehmensleitung vorzugehen, die sich pflicht- widrig verhalten haben. Die Klagen, die bislang in Deutschland gegen Banken und Anlageberater im Zusammenhang mit der Finanzkrise erhoben wurden, stützen sich meist auf ähnliche Vorwürfe: Der Anleger, der sein Geld ausschließlich zur Alterssicherung und daher äußerst sicherheitsorientiert habe investieren wollen, sei zu spät, unzureichend oder fehlerhaft darüber informiert worden, – dass und in welchem Umfang die Bank an dem mit ihm abgeschlossenen Geschäft verdient (soge- nannte kick-backs), – welche Gewinnerwartung in der jeweiligen wirt- schaftlichen Situation realistisch war, – welche Risiken mit der gewählten Anlageform verbunden sind, insbesondere im Hinblick auf einen Totalverlust des Anlagekapitals. 16 MUNICH RE Schadenspiegel 2/2009
IM FOKUS Hierbei stellten die Gerichte insbesondere zweierlei klar: Erstens müssen Banken ihre mit der Anlagebe- ratung verbundenen Provisionsansprüche offenlegen. Zweitens reicht es gewöhnlich nicht aus, lediglich in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen auf Risiken bestimmter Anlageformen hinzuweisen. Zudem halfen die Gerichte klagenden Anlegern mit Beweis- erleichterungen, die bis hin zur Beweislastumkehr im Hinblick auf die Fehlberatung der Bank und auf die Fazit Kausalität dieser Fehlberatung für das Anlage- verhalten des Klägers reichten. Dies war nötig, da bis Bleibende Folgen der Finanzkrise im zu den jüngsten Gesetzesänderungen meist keine Haftpflichtbereich hinreichend konkreten Dokumentationspflichten der Banken über das Ausmaß ihrer Anlageberatung Nicht nur die Abwicklung der Schäden, die die existierten. Finanzkrise ausgelöst hat, wird die Versicherungs- wirtschaft auf Jahre hinaus beschäftigen. Im Bereich der Managerhaftung haben die Gerichte Vielmehr werden sich die Versicherer von Finanz- zum einen die im Normalfall bestehende Pflicht des instituten vor allem im D&O- und PI-Bereich wegen Aufsichtsrats betont, gegen pflichtwidrig handelnde der veränderten rechtlichen Rahmenbedingungen Vorstandsmitglieder vorzugehen. Zum anderen weit über die aktuelle Krise hinaus auf eine Reihe wurde im Rahmen der sogenannten Business Judge- von Änderungen einstellen müssen: ment Rule konkretisiert, welche Risiken Vorstände bei ihren Geschäftsentscheidungen unter welchen – Die Regulierung des Finanzbereichs wurde zum Teil Voraussetzungen eingehen dürfen, ohne pflichtwidrig erheblich verschärft. Dies betrifft die Aufsicht über zu handeln. Hierbei ging es insbesondere darum, den Finanzmarkt und das Ausmaß der Informa- welche Bedeutung es hat, wenn aufsichtsrechtliche tions- und Dokumentationspflichten der Finanz- Vorschriften oder unternehmensinterne Compliance- dienstleister, aber auch die Möglichkeiten, die Regelungen nicht beachtet werden, wie die fehlende Einhaltung dieser Vorschriften zu kontrollieren und Einrichtung eines Frühwarnsystems für Risiken ein- Pflichtverstöße zu verfolgen. zuschätzen ist und unter welchen Voraussetzungen das Eingehen sehr hoher oder für das Unternehmen – Die Gerichte hatten wegen der Krise besonders oft existenzgefährdender Risiken zulässig ist. Diese die Gelegenheit, die vom Gesetz geregelten Konkretisierungen waren vor allem erforderlich, damit Pflichten der Finanzdienstleister zu konkretisieren. D&O-Versicherungen nicht dazu benutzt werden Zwar geschah dies keineswegs immer mit dem Ziel können, auch solche Verluste auszugleichen, die nicht einer Haftungsverschärfung. Jedoch erleichtert jede auf pflichtwidrigen Fehlentscheidungen der Konkretisierung künftige Klagen, weil Kläger ihre Geschäftsleitung beruhen. Erfolgsaussichten besser einschätzen können. Dies ist vor allem für Klagen in Europa wichtig, da hier derjenige, der den Prozess verliert, der Gegenseite die Prozesskosten ersetzen muss. – Die im Zuge der Finanzkrise entstandenen Verluste vieler Anleger und die intensive Berichterstattung über gravierende Pflichtverstöße haben nicht nur das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Finanz- branche erschüttert, sondern dürften auch die Bereitschaft weiter erhöht haben, gegen die Verant- wortlichen juristisch vorzugehen. – Die krisenbedingt auch in Europa gestiegene Zahl von Aktionärsklagen wird die Einführung von Sammelklageformen sowie dafür geeigneter Finan- zierungsoptionen (z. B. Erfolgshonorare) weiter beschleunigen. MUNICH RE Schadenspiegel 2/2009 17
ARBEITERUNFALL Fit für die Zukunft? Es bleibt spannend: Eine höhere Lebenserwartung und komplex miteinander verwobene Krankheitsursachen stellen die Arbeiterunfallsysteme der Zukunft vor große Herausforderungen. Die finanziellen Folgen der Änderungs- risiken treten dabei nur allmählich zutage. Um weiterhin profitabel zu arbeiten, müssen Erst- und Rückversicherer die Zusammenhänge kennen und in ihrem Pricing sowie beim Schadenmanagement berücksichtigen. Bereits geringe klimatische Veränderungen haben drastische Auswirkungen auf die Mortalität des Menschen. 18 MUNICH RE Schadenspiegel 2/2009
IM FOKUS „Bei einem Anstieg der Monatsdurchschnittstemperatur um 1 °C kann die allgemeine Sterblichkeit um 1,4 %, die Mortalität bei Atemwegserkrankungen um 10,4 % und die Herz-Kreislauf-Mortalität um 1,6 % zunehmen, wenn der gesundheitlich optimale Temperaturbereich überschritten wird.“ W.J.M. Martens, Health Impacts of Climate Change and Ozone Depletion: An Ecoepidemiologic Modeling Approach Autoren Betroffen sind dabei nicht nur Verträge, die nach der Victor Schultheiss, Gesetzesänderung in Kraft traten, sondern oftmals Dr. Héctor Upegui Garcia, rückwirkend alle Verträge in der AUV, für die neue beide München Rentenberechnungen erstellt werden müssen. Die ursprünglichen Policenkalkulationen sind damit Versicherer, die sich vor unliebsamen Überraschun- Makulatur. Dies ist erst die Spitze eines Eisbergs, bei gen schützen wollen, müssen jetzt genau analysieren, dem mit Zusatzbelastungen für weitere Jahre – im welche wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und schlimmsten Fall Jahrzehnte – zu rechnen ist. rechtlichen Trends die Arbeiterunfallversicherung (AUV) beeinflussen. Dabei gilt: In einer Welt des Das Beispiel zeigt: Die AUV kann sich rasch zu einem Wandels werden die Dimensionen von Langfrist- schwierig kalkulierbaren finanziellen Risiko ent- trends, die sich teilweise über Jahrzehnte erstrecken, wickeln. Soll das System seine unbestritten wichtige leicht unterschätzt. gesellschaftliche Funktion auch künftig erfüllen, muss es sich fit für die Zukunft machen. Erschwert Beispiel Klimawandel: Er wird künftig nicht geringe wird dieses Vorhaben durch die Tatsache, dass die Auswirkungen auf bestimmte Berufsgruppen und AUV länderspezifischen Eigenheiten unterliegt. Weil damit auf die Versicherung von Arbeitsunfällen und die Regelungen entscheidend von den wirtschaft- Berufskrankheiten (AUV, gesetzliche Unfallversiche- lichen, sozialen und politischen Rahmenbedingungen rung oder Workers’ Compensation) haben, die heute abhängen, sind Pauschalaussagen selten möglich. noch kaum berücksichtigt werden. Erwähnt seien nur ein größeres Hautkrebsrisiko aufgrund aggressiverer Kompetenzzentrum für Arbeiterunfallversicherung UV-Strahlung, mehr Hitzetote oder das vermehrte Auftreten von Allergien, ausgelöst durch verstärkten Munich Re hat bereits vor 11 Jahren ein weltweit Pollenflug. agierendes Kompetenzzentrum eingerichtet, um ihr Wissen im Bereich AUV zu bündeln. Ziel des Erst die Spitze des Eisbergs Geschäftsfelds ist es, systematisch und lösungs- orientiert Erkenntnisse zu sammeln, um zu einem Die Besonderheit der AUV: Änderungsrisiken effizienten Betrieb des Systems, angemessener schlagen hier besonders deutlich zu Buche, weil es Rentabilität und finanzieller Sicherheit für alle Betei- unter Umständen sehr lange dauern kann, bis alle ligten – Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Versicherer/ Ansprüche aus einem Schadenereignis bekannt und Risikoträger und Staat – beizutragen. abgewickelt sind. So kann etwa die Entscheidung einer Regierung das Renteneintrittsalter von 65 auf 67 Jahre anzuheben, dem Arbeiterunfallsystem eines Landes große zusätzliche Belastungen aufbürden. Die Versicherer müssen auf einmal zwei Jahre länger für Schäden aus Arbeiterunfällen aufkommen, bevor die gesetzliche Rentenversicherung greift. MUNICH RE Schadenspiegel 2/2009 19
IM FOKUS Trend Demographie: Die allgemeine Lebenserwartung der globalen Bevölkerung steigt weiter an. Die Konsequenzen für AUV-Systeme sind vielschichtig und führen zu dringendem Anpassungsbedarf. Trend Fettleibigkeit: Adipositas wird als weltweite Epidemie eingestuft und wirkt sich damit auch global auf AUV-Systeme aus. Kosten für medizinische Versorgung von fettleibigen Personen nehmen in Abhängigkeit zum Ausmaß der Krankheit überproportional zu. Abb. 1 Alternde Bevölkerung 1999–2008 Mrd. 5,0 4,0 3,0 Schätzungen Hochrechnungen 2,0 1,0 0,0 1950 1960 1970 1980 1990 2000 2010 2020 2030 2040 2050 Das Durchschnittsalter steigt in den meisten Ländern 15–59 Quelle: UN Population Division (UNPD) 0–14 60+ 20 MUNICH RE Schadenspiegel 2/2009
IM FOKUS Das aufgebaute Knowhow zum Risikomanagement der AUV ist weltweit einzigartig. Heute ist das Kompetenzzentrum ein international geschätztes und anerkanntes Gremium. Munich Re steht ihren Kunden nicht nur mit Rat und Tat bei der Ausgestaltung von Policen zur Seite, unser Expertenwissen fließt auch in unsere Underwriting-Expertise ein. „In den letzten Das Kompetenzzentrum hat in den vergangenen zwei Jahren 9 Themenfelder als zukünftige Herausforde- 100 Jahren ist die rung für die AUV identifiziert. Bei einem Symposium im März 2009, dessen wichtigste Ergebnisse im durchschnittliche Diskussionspapier „Future challenges in workers‘ compensation“ zusammengefasst sind, wurden die Lebenserwartung in großen Herausforderungen der Zukunft mit Experten aus Assekuranz und Vertretern von internationalen Europa um 28 Jahre Organisationen diskutiert. Ohne Anspruch auf Voll- ständigkeit geht es in dem Papier darum, wichtige von 45 auf heute Denkanstöße zu liefern und den notwendigen Dialog zu initiieren, um künftigen Veränderungen den Boden 73 Jahre gestiegen.“ zu bereiten. Denn eines steht fest: Die Ansprüche an die Arbeiterunfallversicherung ändern sich signifi- Prof. Eino Heikkinen, kant. Wollen wir die AUV-Systeme fit für die Zukunft Universität Jyväskylä, Finnland halten, müssen wir den Austausch von Ideen zwischen allen Beteiligten ermöglichen. Beispiele für Future challenges Trend Demographie: Die globale Bevölkerung wird im Schnitt immer älter (siehe Abb. 1). Es liegt daher nahe, dass das Durchschnittsalter der Arbeitnehmer dieser Entwicklung angepasst werden wird, was für die AUV erhebliche Konsequenzen hat. Zum einen zeigen Untersuchungen, dass die Zahl der schweren Verletzungen bei Arbeitnehmern mit dem Alter steigt, zum anderen nehmen altersspezifische Krankheiten wie Sehschwäche, Muskel-Skelett-Erkrankungen oder psychische Beeinträchtigungen wie Depressi- onen zu. Außerdem treten Krankheiten mit langer Latenzzeit im Alter naturgemäß stärker zutage. Eine Entwicklung, auf die heutige AUV-Systeme noch nicht vorbereitet sind. Trend Fettleibigkeit: Adipositas ist nicht nur eine Krankheit, sondern eines der großen volksgesundheit- lichen Probleme unserer Zeit. Definiert als ein Body Mass Index (Gewicht/Körpergröße2) von mehr als 30, ist Fettleibigkeit in vielen Ländern verbreitet (siehe Abb. 2). Mit dem Phänomen verbunden sind nicht nur die typischen Beschwerden von zu hohem Körper- gewicht, wie etwa Herz-Kreislauf-Schwäche und Diabetes, sondern auch eine steigende Zahl von berufsbedingten schweren Unfällen und Beschwer- den. Zudem sind die Arbeitsschutzvorrichtungen gewöhnlich nicht auf stark dickleibige Personen zugeschnitten, und die Kosten für die medizinische Versorgung nehmen mit dem Ausmaß der Fettleibig- keit weit überproportional zu. MUNICH RE Schadenspiegel 2/2009 21
IM FOKUS „2004 galten in den Änderungsrisiken verstärken sich gegenseitig USA 31,1 % der Was die Quantifizierung der unterschiedlichen Einflussfaktoren auf die AUV so schwierig macht, Männer und sind die vielfältigen Interdependenzen. Die Asseku- ranzen müssen sich darauf einstellen, dass zusätz- 33,2 % der Frauen liche Risiken in den Büchern auftauchen, weil jahrelang gültige Zusammenhänge aufgrund gesell- über 20 als klinisch schaftlicher Veränderungen keinen Bestand mehr haben. übergewichtig.“ Auch wenn die zahlreichen Faktoren, die die AUV künftig belasten, aus analytischen Gründen separat WHO betrachtet werden, haben sie eine breite Schnitt- menge. Laut Weltgesundheitsorganisation nimmt beispielsweise die Fettleibigkeit unter den chroni- schen Krankheiten einen der vorderen Plätze ein. Sie ist wiederum Ursache für andere chronische Erkran- kungen wie Depression oder Diabetes – Krankheits- bilder, die im Alter verstärkt auftreten. Schon dieses Beispiel zeigt: Änderungsrisiken korrelieren stark und in komplexer Weise miteinander. Schadenmanagement als Schlüsselfaktor Besondere Bedeutung wird in der AUV künftig der Schadenbearbeitung und Schadenprüfung zukommen. Denn nur wenn Erstversicherer die Abb. 2 Fettleibigkeit – ein gewichtiges Problem Saudi-Arabien USA Großbritannien Mexiko Neuseeland Chile Südafrika Deutschland Australien Peru Marokko Kanada Finnland Columbien Spanien Belgien Brasilien Schweden Portugal Singapur Norwegen Malaysia China % 5 10 15 20 25 30 35 40 Adipositas wird als weltweite Epidemie eingestuft. Anteil der Bevölkerung mit einem BMI > 30 Quelle: Global Database on Body Mass Index World Health Organization 22 MUNICH RE Schadenspiegel 2/2009
IM FOKUS Entwicklung genau analysieren, können sie Änderungs- risiken aufspüren. Viele der heutigen Schäden – psychische Krankheiten, Medikamentenmissbrauch, Muskel-Skelett-Erkrankungen – sind bereits Teil der künftigen Herausforderungen. Tatsache ist aber auch: Bislang hinterfragt niemand die Zusammenhänge. Ein weiterer wichtiger Punkt im Rahmen des Schaden- managements sind Schadenprävention und Maßnahmen zur Rehabilitation. Für die meisten der bisher definierten Future challenges fehlt jedoch eine geeignete Schadenprävention. Es ist daher Aufgabe eines funktionierenden Schadenmanagements, Risiken zu analysieren, Szenarien zu entwerfen und präventiv Lösungen zu erarbeiten. Folgen für das Underwriting Die meisten Tarifierungssysteme der AUV beruhen darauf, betriebliche Tätigkeiten oder Berufsgruppen zu klassifizieren. Dahinter steckt die Erfahrung, dass bestimmte Formen der Erwerbstätigkeit mit größeren Gefahren verbunden sind und dort mit höherer Wahr- scheinlichkeit Berufsunfälle auftreten. Das Problem dabei: Viele der Future Challenges verlaufen horizontal, Aktuelle Veröffentlichung d. h., sie betreffen im Grunde genommen alle Berufs- „Future challenges in workers’ gruppen und nicht nur einen bestimmten Beruf. Es compensation“ muss daher unbedingt geprüft werden, ob ein Unglück Das Diskussionspapier „Future challenges in am Arbeitsplatz mit zugrunde liegenden Krankheiten workers‘ compensation“ (Englisch) ist unter der wie Fettleibigkeit, Depressionen oder Tablettenabhän- Bestellnummer 302-06153 erhältlich. Zum gigkeit zusammenhängt. Tritt hier ein signifikantes Download steht Ihnen die Publikation auf Änderungsrisiko zutage, kann es über ein risikoadä- unserer Homepage www.munichre.com unter quates Pricing aufgefangen werden. Langfristiges Ziel Publikationen (Rubrik Arbeiterunfall) zur muss sein, die je nach Land und Berufsgruppen beste- Verfügung. Mehr Information zum 4th Interna- tional Workers’ Compensation Symposium henden Klassifizierungen von Berufskrankheiten unter finden Sie unter folgendem Link: neuen Gesichtspunkten zu betrachten. www.munichre.com/wcs/en/homepage/ default.aspx Fazit Erst- und Rückversicherern haben ein gemeinsames Interesse, Änderungsrisiken in der AUV beherrschbar zu machen. Munich Re sieht ihre Rolle vor allem darin, die Herausforderungen zu benennen und über Vorträge, Symposien und Publikationen den Dialog anzuschieben. Mit unserem Centre of Competence geben wir unparteiische Denkanstöße für Verände- rungen, die in ein risikoadäquates Pricing münden können. Die Diskussion, die das Kompetenzzentrum zunächst nur auf die AUV beschränkte, kann auch ein Anstoß für andere Personenversicherungssparten sein, da die genannten zukünftigen Herausforderungen – u. a. durch Druck auf Pflege-, Heil- und Gerichtskosten – die Schadenlast insgesamt erhöhen werden. MUNICH RE Schadenspiegel 2/2009 23
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