SCHADEN SPIEGEL SCHADEN SPIEGEL SCHADEN SPIEGEL - BUND Lemgo

Die Seite wird erstellt Niels-Arne Hermann
 
WEITER LESEN
SCHADEN SPIEGEL SCHADEN SPIEGEL SCHADEN SPIEGEL - BUND Lemgo
Munich Re Schadenspiegel 2/2009
                                                                              SCHADEN
                                                                              SPIEGEL
                                                                              SCHADEN
                                                                              SPIEGEL
                                           deutsch

                                                                              SCHADEN
                                                                              Luftverkehr               Piraterie                Brandrisiko
                                                                              Falscher Alarm –          Piraten an Bord –        Vermeidbare Tragödie –
                                                                              Risiken in der            Schadenregulierung bei   Zuckerstaubexplosion
                                                                              kommerziellen Luftfahrt   Schiffsentführungen      in Raffinerie

© 2009
Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft
Königinstraße 107, 80802 München
                                                                              SPIEGEL
Bestellnummer 302-06233
SCHADEN SPIEGEL SCHADEN SPIEGEL SCHADEN SPIEGEL - BUND Lemgo
© 2009                                             Bildnachweis
Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft           Titelbild: Gilberg Jensen
Königinstraße 107                                  S. 2 links, 4: dpa/Picture Alliance/
80802 München                                      David Ebener
                                                   S. 2 rechts, 24: Allianz Deutschland AG
Tel.: +49 89 38 91-0                               S. 3, 42: ACE European Group Limited
Fax: +49 89 39 90 56                               S. 6 oben: dpa/Picture Alliance/
www.munichre.com                                   Marcus Brandt
                                                   S. 6 unten: dpa/Picture Alliance/
Verantwortlich für den Inhalt                      David Ebener
Claims Management & Consulting:                    S. 8: dpa/Picture Alliance/Boris Roessler
Nicholas Roenneberg                                S. 10 oben: Getty Images/AFP/Stringer
Geo Risks Research/Corporate Climate               S. 11 oben links: Reuters/Tim Wimborne
Centre: Prof. Dr. Peter Höppe                      S. 11 oben mitte: dpa/Picture Alliance/Tass
Marine: Thomas Artmann                             Marina Lystsewa
Risk, Liability & Insurance:                       S. 11 oben rechts: Getty Images/AFP/Stringer
Christian Lahnstein                                S. 11 unten: dpa/Picture Alliance/
Schaden: Dr. Paolo Bussolera,                      epa efe handout
Arno Studener, Dr. Eberhard Witthoff               S. 12 oben links: Reuters/John Gress
                                                   S. 12 oben mitte: dpa/Picture Alliance/
Redaktion                                          epa anp Ade Johnson
Daniela Pürzer,                                    S. 12 oben rechts: Getty Images/
Group Communications                               CARL DE SOUZA/AFP
(Anschrift wie oben)                               S. 12 unten: Reuters/Tim Wimborne
Tel.: +49 89 38 91-93 84                           S. 13 oben: Getty Images/
Fax: +49 89 38 91-7 93 84                          ORLANDO SIERRA/AFP
schadenspiegel@munichre.com                        S. 13 unten: dpa/Picture Alliance/
                                                   epa efe Fernandez
Anmerkung der Redaktion                            S. 14: Getty Images/PhotoLink
In Veröffentlichungen von Munich Re                S. 16: Plainpicture/Deepol/Rui Camilo
verwenden wir in der Regel aus Gründen des         S. 18: dpa/Picture Alliance/URS FLUEELER
Leseflusses die männliche Form von Personen-       S. 20 oben: dpa/Picture Alliance/
bezeichnungen. Damit sind grundsätzlich –          Matthias Hiekel
sofern inhaltlich zutreffend – Frauen und          S. 20 unten: dpa/Picture Alliance/Arno Burgi
Männer gemeint.                                    S. 25, 26, 27: Allianz Deutschland AG
                                                   S. 29 oben: Associated Press/NOOA
ISSN 0940-08878                                    S. 31 oben: Associated Press/Brennan Linsley
                                                   S. 31 unten: Reuters/Staff Photographer
                                                   S. 32 oben: Associated Press/Joanna Lewis
Weitere Hefte sind gegen eine Schutzgebühr         S. 35, 36 oben: Beluga Shipping GmbH
von 8 € erhältlich. Ihre Bestellung schicken Sie   S. 39: dpa/Picture Alliance/EPA/
bitte an schadenspiegel@munichre.com.              DAVID B. HUDSON
                                                   S. 40: dpa/Picture Alliance/Maxppp Tpg
Die Zeitschrift erscheint in zwangloser Folge.     S. 43, 44: ACE European Group Limited
Nachdruck ohne Genehmigung nicht gestattet.        S. 46 oben, unten: Munich Re Archiv
                                                   S. 48: Associated Press/Stephen Morton
Druck                                              S. 51: Munich Re Archiv
Druckerei Fritz Kriechbaumer                       S. 52 oben links: dpa/Picture Alliance/epa
Wettersteinstrasse 12                              Brooke Baskin/HO
82024 Taufkirchen/München                          S. 52 oben mitte: dpa/Picture Alliance/Tass
                                                   S. 52 oben rechts: dpa/Picture Alliance/epa
                                                   Andrew Gombert
                                                   S. 52, unten links: Getty Images/WOOD/AFP
                                                   S. 52, unten mitte: dpa/Picture Alliance/
                                                   epa ASA
                                                   S. 52 unten rechts: dpa/Picture Alliance/
                                                   Armando Arorizo
                                                   S. 53 oben links: dpa/Picture Alliance/
                                                   Esa-Cnes-Arianespace
                                                   S. 53 oben mitte: Getty Images/
                                                   DANIEL VELEZ/AFP
                                                   S. 53 oben rechts: Associated Press/
                                                   Rick Rycroft
                                                   S. 53 unten links: dpa/Picture Alliance
                                                   S. 53 unten mitte: dpa/Picture Alliance/
                                                   epa Bildfunk
SCHADEN SPIEGEL SCHADEN SPIEGEL SCHADEN SPIEGEL - BUND Lemgo
EDITORIAL

            Liebe Leserinnen, liebe Leser,

            in der letzten Ausgabe unseres Magazins haben wir Ihnen versprochen, uns auch
            nach 50 Jahren Schadenspiegel weiterhin zu verbessern und enger an Ihren
            Bedürfnissen auszurichten. Der erste Schritt dazu war die Leserbefragung, an der
            Sie so zahlreich teilgenommen haben. Dafür wollen wir uns an dieser Stelle
            herzlich bedanken! Nachdem wir Ihre Antworten ausgewertet haben, lassen wir
            Sie in der nächsten Ausgabe natürlich an den Ergebnissen und ersten Konse-
            quenzen teilhaben.

            Der zweite Schritt zur Optimierung des Schadenspiegels geht einher mit dem
            geschärften Leistungsversprechen von Munich Re und unserem neuen Corporate
            Design. Das Resultat halten Sie in Ihren Händen. Unser neues Layout ist über-
            sichtlicher, funktionaler und unterstreicht das, worauf es uns ankommt: unseren
            Auftrag, Wissen zu vermitteln und damit Schäden zu vermeiden. Unsere Redaktion
            verspricht Ihnen auch weiterhin verlässliche Berichte zum Schadenmanagement
            auf höchstem Niveau.

            Den Inhalt dieser Ausgabe haben wir wieder in drei klassische Schadenspiegel-
            Kategorien gegliedert. Wir freuen uns, Ihnen dort Artikel unserer Experten sowie
            einige Beiträge von Gastautoren aus unserem weltweiten Netzwerk vorstellen
            zu dürfen. Wir berichten in dieser Ausgabe von den spektakulärsten und für Sie
            interessantesten Schäden – die uns nicht nur heute, sondern auch in Zukunft
            beschäftigen werden: die Folgen der Finanzkrise, Arbeiterunfallversicherung,
            Piraterie, die Zukunft der kommerziellen Luftfahrt, Naturkatastrophen und vieles
            mehr. Am Ende des Schadenspiegels finden sie wieder eine Großschadenliste
            mit einigen der folgenreichsten Ereignisse der letzten beiden Jahre.

            Wir wünschen Ihnen viel Spaß beim Lesen!

            Ihr Schadenspiegel-Team
            schadenspiegel@munichre.com

                                                    MUNICH RE Schadenspiegel 2/2009            1
SCHADEN SPIEGEL SCHADEN SPIEGEL SCHADEN SPIEGEL - BUND Lemgo
INHALT

IM FOKUS                                   SCHADENMANAGEMENT

LUFTVERKEHR                                UMWELTSCHADEN
Falscher Alarm                             Großschaden durch Natronlauge
Mehrere Großunglücke lassen                Ein Tanklager wird unter 2,5 t
die Öffentlichkeit an den Sicherheits-     hochprozentige Natronlauge gesetzt.
standards der Fluglinien zweifeln.         Der Grund: ein geplatzter
Seite 4                                    Abfüllschlauch.
                                           Seite 24
HAFTPFLICHT
Finanzkrise – Lehren für die Zukunft       NATURGEFAHREN
Welche Lehren zieht die                    Versicherungen von Naturkatastrophen –
Versicherungswirtschaft aus den            Schadenbeispiel Hurrikan Paloma
Schäden der Finanzkrise?                   Mitte November 2008 richtet der
Seite 14                                   Wirbelsturm Paloma schwere Schäden
                                           auf den Cayman Islands an.
ARBEITERUNFALL                             Seite 28
Fit für die Zukunft?
Die Arbeiterunfallversicherung wird        PIRATERIE
vor große Herausforderungen gestellt.      Piraten an Bord –
Was gilt es zu beachten?                   die Entführung der BBC Trinidad
Seite 18                                   Rechtliche und versicherungstechnische
                                           Aspekte bei Lösegeldzahlungen
                                           am Beispiel der BBC Trinidad.
                                           Seite 34

                                                          SCHADENMANAGEMENT
                                                          In einem holzverarbeitenden Groß-
                                                          unternehmen kam es 2008 zu einem
                                                          folgenschweren Unfall: Beim Befüllen
IM FOKUS                                                  eines Hochtanks mit Natronlauge
Fliegen ist seit Beginn der                               platzt der Abfüllschlauch des Tank-
kommerziellen Luftfahrt immer                             lastzugs.
sicherer geworden. Doch gleich
mehrere Großunglücke im
ersten Halbjahr 2009 haben die
Medien und Öffentlichkeit
aufgeschreckt.

2        MUNICH RE Schadenspiegel 2/2009
SCHADEN SPIEGEL SCHADEN SPIEGEL SCHADEN SPIEGEL - BUND Lemgo
INHALT

         EINZELSCHÄDEN

         BRANDRISIKO                                                 GROSSSCHÄDEN
         Brandschaden an Solarmodulen                                Großschadenliste 2008 bis 2009
         in der Extremadura                                          Seite 52
         Noch während der Montagearbeiten
         werden ca. 2.080 Photovoltaik-
         module durch Brand zerstört.
         Seite 42                                                    AUTOREN
                                                                     Seite 54
         ENGINEERING
         Überschwemmung
         im Wasserkraftwerk
         Aufgrund eines blockierten Roll-
         schütz wird ein Wasserkraftwerk
         vollständig geflutet.
         Seite 45

         BRANDRISIKO
         Vermeidbare Tragödie:
         Zuckerstaubexplosion in Raffinerie
         Eine gesamte Raffinerie wird
         durch Staubexplosionen und darauf
         folgende Brände vernichtet.
         Seite 48

                                              EINZELSCHÄDEN
                                              Die Extremadura ist eine äußerst
                                              dünn besiedelte Region, die durch
                                              den hohen Anteil an Sonnentagen
                                              fast ohne Bewölkung perfekt
                                              geeignet ist als Standort für eine
                                              Photovoltaikanlage.

                                                                     MUNICH RE Schadenspiegel 2/2009   3
SCHADEN SPIEGEL SCHADEN SPIEGEL SCHADEN SPIEGEL - BUND Lemgo
LUFTVERKEHR

Falscher Alarm

           Fliegen ist seit Beginn der kommerziellen Luftfahrt
           immer sicherer geworden. Doch gleich mehrere
           Großunglücke im ersten Halbjahr 2009 haben Medien
           und Öffentlichkeit aufgeschreckt. Ist diese Häufung
           bloßer Zufall oder ein Zeichen für nachlassende
           Sicherheitsstandards der Airlines?

                                      Computer im Cockpit: Piloten sind heute dank intuitiver
                                      und übersichtlicher Technik weit weniger belastet als
                                      noch vor wenigen Jahren – fliegen aus Sicherheits-
                                      gründen aber nach wie vor zu zweit.

4   MUNICH RE Schadenspiegel 2/2009
SCHADEN SPIEGEL SCHADEN SPIEGEL SCHADEN SPIEGEL - BUND Lemgo
IM FOKUS

           Autoren                                                    Computer überwachen sich gegenseitig
           Thomas Endriß,
           Patrick Sonnenstrahl,
                                                                      Die heute übliche Cockpittechnik ist nicht nur intui-
           beide München
                                                                      tiver und um ein Vielfaches übersichtlicher als
                                                                      frühere, analoge Instrumente, sie überfrachtet den
           Auf den ersten Blick sind die jüngsten Zahlen              Piloten auch nicht mehr mit unnötigen Informationen.
           beunruhigend: Von Januar bis Juni 2009 kamen               Denn mit dem Fortschreiten der Computertechnik
           bei Flugzeugabstürzen 499 Menschen ums Leben.              wurden immer weniger Bedien- und Kontrollelemente
           Das sind fast 50 % mehr als im Durchschnitt der            nötig. Heute lassen sich weitaus mehr Informationen
           vergangenen 10 Jahre, in denen insgesamt                   abrufen, während längst nicht mehr alle gleichzeitig,
           344 Todesopfer gezählt wurden. Diese Angaben               sondern nur nach Bedarf angezeigt werden.
           dürfen jedoch nicht fehlinterpretiert werden. Zum
           einen blieb die Anzahl der tödlichen Flugzeug-             Man kann sagen: Cockpitbesatzungen sind im Jahr
           unglücke in den ersten 6 Monaten 2009 mit 13 Fällen        2009 mental weitaus weniger belastet als noch vor
           unter dem 10-Jahres-Durchschnitt von 14,8, zum             10 bis 15 Jahren. Dennoch werden sie genauso dafür
           anderen verzerren 2 Großunglücke – die Abstürze            trainiert, sich nicht ausschließlich auf die Technik zu
           einer Air-France-Maschine über dem Atlantik sowie          verlassen – und arbeiten aus Sicherheitsgründen
           einer Maschine der Yemen Airways bei den Komoren           auch nach wie vor zu zweit im Cockpit.
           – die Statistik. Allein bei diesen beiden Unglücken
           fanden 381 Flugzeuginsassen den Tod.                       Während früher in der Regel zwei aus unterschied-
                                                                      lichen Sensoren gespeiste Systeme die Flugdaten an
           Fliegen immer sicherer                                     die Instrumente der Piloten übermittelten, findet in
                                                                      modernen Cockpits eine noch stärkere Absicherung
           Kein Zweifel: Wo immer Menschen und Technik invol-         statt. Mehrere voneinander unabhängige Computer
           viert sind, passieren Unfälle. Und so bedauerlich jedes    überwachen sich hier gegenseitig und kontrollieren
           einzelne Unglück ist, eine unheilvolle Entwicklung         die Steuerbefehle. Da die Systeme untereinander
           lässt sich aus den jüngsten Ereignissen nicht ableiten,    kommunizieren, lassen sich Abweichungen oder
           auch wenn die Berichterstattung in den Medien              Unstimmigkeiten leicht feststellen. Um die Sicherheit
           bisweilen einen anderen Eindruck erweckt. Denn das         weiter zu erhöhen, arbeiten die Vorreiter unter den
           Fliegen mit kommerziellen Airlines ist in den ver-         Fluggesellschaften mit Instrumentenherstellern und
           gangenen Jahrzehnten sicherer geworden. Die Zahl           Avionikexperten zusammen. Denn je simpler die
           der tödlichen Unglücke pro eine Million Flüge mit          Darstellung der wichtigsten Flugdaten wird, desto
           Passagiermaschinen ist vielmehr auf einen Bruchteil        einfacher werden auch die Arbeitsabläufe im Cockpit.
           des Niveaus gesunken, das noch in den 1970er-Jahren
           üblich war.                                                Risikofaktor Mensch

           Dies entspricht jedoch nicht der Wahrnehmung in der        Nach wie vor bleibt der Mensch aber der größte
           Öffentlichkeit: Weil die letzten großen Unglücke in        Risikofaktor in der Luftfahrt. Immerhin: Menschliches
           der zivilen Luftfahrt Jahre zurückliegen, ist das breite   Versagen, also falsche bzw. unrealistische Situations-
           Publikum von der jüngsten Häufung der Ereignisse           einschätzungen des Piloten, gehört zu den häufigsten
           alarmiert. Ist bei den tödlichen Unglücken dann noch       Ursachen von Flugzeugabstürzen. Meist lösen
           eine bekannte Fluglinie oder ein moderner Flugzeug-        psychische oder physische Überlastung und Über-
           typ beteiligt, schlagen die Wellen in den Medien hoch.     müdung die Fehler aus.
           Fragen wie „Kommt die Flugsicherheit ins Rutschen?“
           treffen jedoch nicht den Kern der Problematik.             Wie die im militärischen Bereich eingesetzten
                                                                      unbemannten und ferngesteuerten Luftfahrzeuge
           Tatsächlich sind die Sicherheitsstandards inzwischen       (unmanned aerial vehicles) zeigen, wäre es technisch
           so hoch, dass es immer schwieriger werden wird,            durchaus möglich, den Menschen komplett aus
           weitere Verbesserungen in der technischen Flug-            dem Cockpit zu verdrängen. Ob aber Passagiere
           sicherheit zu erreichen. Dennoch unternimmt die            wirklich bereit sind, in ein Flugzeug zu steigen, das
           Luftfahrtindustrie täglich aufs Neue enorme Anstren-       ausschließlich „Captain Computer“ steuert, ist zu
           gungen, um die Unfallhäufigkeit zu drücken. In der          bezweifeln. Der künftige Einsatz solcher unbe-
           Vergangenheit gelang dies, indem die Flugzeug-             mannten Luftfahrzeuge in der kommerziellen Luft-
           hersteller mechanische durch elektronische Steue-          fahrt bleibt daher schon aus psychologischen
           rungen ersetzten, dem Computer die Regelung und            Gründen unwahrscheinlich.
           Überwachung aller Systeme überließen und ausge-
           klügelte elektronische Warnsysteme entwickelten.
           Hinter dieser Automatisierung steckte die Philoso-
           phie: „Der Mensch kann irren, der Computer nicht.“

                                                                                  MUNICH RE Schadenspiegel 2/2009               5
SCHADEN SPIEGEL SCHADEN SPIEGEL SCHADEN SPIEGEL - BUND Lemgo
IM FOKUS

                                                               Risikofaktor Wetter: Gewitter muss
                                                               ein Pilot umfliegen – und dafür
                                                               Verspätungen in Kauf nehmen.
                                                               Das Flugzeug selbst wirkt wie ein
                                                               Faradayscher-Käfig und ist gegen
                                                               Blitzschlag immun – riskant sind
                                                               aber die extremen Luftbewegungen
                                                               innerhalb einer Gewitterzelle.

                                                               Nicht zuletzt aus Versicherungs-
                                                               gründen, sind Airlines immer mehr
                                                               dazu aufgefordert, in ihre Flugsicher-
                                                               heit zu investieren. Sparzwänge
                                                               aufgrund der wirtschaftlichen
                                                               Situation gehen daher niemals
                                                               zulasten der Wartung.

Abb. 1 Schwere Flugzeugunglücke weltweit 1999–2008

Zahl der Todesopfer                                                                                     Flugzeugunglücke

                                                                                                                     50
 1.600       48

 1.400
                                                                                                                     40
                                                40
 1.200                        37
                                                                          34                              34

1.000                 1.101           33                                                                             30
                                                        27    28      1.050
                                            1.022                                      27
    800
                                                                                   863          25
                                                                                                                     20
             730                      778             702                                     744
    600

                                                                                                          583
    400                                                       466
                                                                                                                      10

    200

             1999        2000      2001        2002    2003   2004       2005       2006        2007     2008

          Quelle: Flightglobal ACAS                                 Flugzeugunglücke (Zehnjahresdurchnitt) = 33,3
                                                                    Todesopfer (Zehnjahresdurchnitt) = 804

6         MUNICH RE Schadenspiegel 2/2009
SCHADEN SPIEGEL SCHADEN SPIEGEL SCHADEN SPIEGEL - BUND Lemgo
IM FOKUS

           „Die Low Cost
           Carrier sparen in                                         Entschädigungszahlungen bei Flugzeugunglücken
                                                                     kommerzieller Airlines

           erster Linie am                                           Nach Abstürzen von Passagiermaschinen stellt sich

           Service, am                                               unweigerlich die Frage nach angemessenen Ent-
                                                                     schädigungszahlungen für Hinterbliebene. Die

           Catering und an                                           Schadenhöhe bestimmt sich dabei in der Regel durch
                                                                     den Verlust des lebenslangen Einkommens der Opfer

           den Kosten für                                            bzw. durch den wirtschaftlichen und immateriellen
                                                                     Schaden, welchen deren Familien erlitten haben.

           die Flughafen-                                            Ob bei gerichtlichen oder außergerichtlichen Eini-

           lounges.“                                                 gungen – die Höhe der Schadensersatzzahlungen
                                                                     kann je nach Land und individueller Rechtssprechung
                                                                     unterschiedlich ausfallen. Besonders bei US-amerika-
                                                                     nischen Fluglinien werden nach Flugzeugunglücken
                                                                     vergleichsweise hohe Passagierentschädigungen
                                                                     zugesprochen. Dies liegt unter anderem am amerika-
                                                                     nischen Rechtssystem, welches neben den ent-
                                                                     gangenen Einkünften der Opfer auch sogenannte
                                                                     Pain-and-Suffering-Zahlungen bewilligt. Diese
                                                                     kommen immer dann zum Tragen, wenn ein Opfer
           Zahl der Flugbewegungen steigt                            kurz vor seinem Tod grausame Schmerzen, Ängste
                                                                     oder andere Qualen erleiden musste. Sie fallen in der
           Analysiert man die Daten zur Flugsicherheit, darf         Regel wesentlich höher aus als herkömmliche
           man das enorm gestiegene Luftverkehrsaufkommen            Entschädigungssummen.
           nicht außer Acht lassen. Es führt zwangsläufig zu
           einer höheren Unfallzahl und läuft damit den Anstren-     Es ist daher nicht verwunderlich, dass nach Flugzeug-
           gungen zu mehr Sicherheit im Flugverkehr entgegen.        unglücken grundsätzlich eine „Amerikanisierung der
           Dennoch gilt es, voreilige Schlüsse zu vermeiden.         Haftpflichtschäden“ zu beobachten ist. Das bedeutet,
           Schadenquoten lassen sich stets anhand verschie-          dass die Anwälte der Opfer auch außerhalb der USA
           dener Exponierungsmerkmale berechnen: Beispiels-          aufgetretene Schäden gezielt vor US-amerikanische
           weise werden Passagiermaschinen immer größer. Mit         Gerichte ziehen, um so eine höhere Entschädigungs-
           der gleichen Anzahl an Flugbewegungen befördern           summe für ihre Mandanten zu erreichen. Und das
           sie daher eine größere Anzahl an Passagieren. Sogar       nicht ohne Rechtsgrundlage: Internationale
           wenn die Unfallquote pro Start und Landung                Abkommen im Luftfahrtbereich (s. Kasten Seite 9)
           konstant bliebe, wären im Unglücksfall mehr Tote zu       lassen es zu, bei einer Verbindung wie „Boeing“, als in
           beklagen. Ohne Berücksichtigung aller besonderen          den USA ansässiger Hersteller, die Klagen nicht in
           Umstände ließe sich daraus, statistisch gesehen,          den Herkunftsländern der Geschädigten zu
           leicht eine höhere Gefahrenquote im Flugverkehr           verhandeln, sondern US-Gerichte anzurufen.
           ableiten – die aber nicht der Realität entspräche.
                                                                     Stammen die Passagiere eines abgestürzten Flug-
           Befürchtungen, dass eine schwierige wirtschaftliche       zeugs aus unterschiedlichen Herkunftsländern, ist
           Situation bei Airlines zu Abstrichen in der Flugsicher-   eine homogene Entschädigung allein schon aufgrund
           heit führt, sind unbegründet. Natürlich sind gegen-       der unterschiedlichen persönlichen Verhältnisse der
           wärtig Fluggesellschaften bestimmten Sparzwängen          Opfer nicht möglich. „Treiber“ hoher Entschädigungs-
           ausgesetzt – aber nicht zulasten von Sicherheit und       summen sind weniger die Hinterbliebenen derjenigen,
           Wartung. Dies wäre bei modernem Equipment auch            die beim Absturz den Tod fanden, sondern die
           kaum möglich, da inzwischen elektronische                 verletzten Überlebenden – die aufgrund irreparabler
           „maintenance logbooks“ geführt werden, die auch           körperlicher Beeinträchtigung meist vergleichsweise
           dem jeweiligen Hersteller zugänglich sind. Blieben        hohe Zahlungen erhalten.
           bestimmte vorgeschriebene Checks aus, würde
           dieser sofort darauf aufmerksam werden – was sich
           keine Airline, die einen Ruf zu verlieren hat, leisten
           kann. Das „maintenance logbook“ ist Teil der Lebens-
           laufakte eines Flugzeugs. Ist diese unvollständig,
           verliert auch die Maschine an Wert und ist nur noch
           sehr schwer verkäuflich.

                                                                                 MUNICH RE Schadenspiegel 2/2009           7
SCHADEN SPIEGEL SCHADEN SPIEGEL SCHADEN SPIEGEL - BUND Lemgo
IM FOKUS

                                                 Low Cost heißt nicht Low Security

Abb. 2 Flugzeugabstürze mit Todesopfern          Unter Sicherheitsaspekten macht es keinen Unter-
nach Unfallarten/Hauptursachen                   schied, ob es sich um eine traditionelle Fluglinie oder
                                                 um einen sogenannten Low Cost Carrier handelt.
                                                 Diese simpel als „Billigfluglinien“ abzustempeln,
                                                 greift zu kurz. Low Cost Carrier fliegen oft sogar mit
                                                 dem neuesten Equipment, da es erheblich weniger
                                                 Wartungsprobleme bereitet und ein geringeres
                                                 Ausfallrisiko mit sich bringt.

                                                 Darüber hinaus profitieren viele Airlines von „Power
                                                 by the hour“-Verträgen, bei denen die Wartung nach
                                                 Festpreis pro Flugstunde erfolgt. Dies führt zu einer
                                                 verlässlicheren Kalkulation und damit zu niedrigeren
                                                 Ticketpreisen. Außerdem sparen Low Cost Carrier in
                                                 erster Linie am Service, am Catering und an den
                                                 Kosten für die Flughafen-Lounges.
    Technik/Wartung                         11
    Sonstige/Unbekannt                      10   Schwierige Marktbedingungen
    Kontrollierter Flug ins Gelände          7
    Menschliche Faktoren                     6   Für die Assekuranz besteht Luftfahrtdeckung ähnlich
                                                 wie bei Kraftfahrtrisiken primär aus Haftpflicht und
                                                 Kasko. Treibender Faktor sind hier Haftpflichtlimits,
                                                 die eine Höhe bis zu 2 Milliarden US$ pro Schaden
Auf den ersten Blick scheint der                 erreichen, wobei das Gros der Risiken ein Limit von
Einfluss menschlicher Faktoren                    etwa 1–1,5 Milliarden US$ pro Unfall vorhält. Trotz
gering. CFIT-Unfälle (Kontrollierter
                                                 dieser hohen Haftpflichtlimits ist im äußerst
Flug ins Gelände) sowie ein Großteil
                                                 zyklischen Luftfahrtversicherungsmarkt weiterhin
der unbekannten Ursachen sind
jedoch ebenfalls auf menschliches                mehr als ausreichend Kapazität vorhanden.
Versagen zurückzuführen.
                                                 Unsere mittel- bis langfristige Einschätzung des
                                                 Luftfahrtmarkts ist unverändert positiv: Schon vor
                                                 den jüngsten Großereignissen begann sich der Markt
                                                 nach jahrelangem Ratenabrieb wieder zu erhärten.

Viele Airlines profitieren von
„Power by the hour“-Verträgen.
Dabei erfolgt die Wartung nach Fest-
preis pro Flugstunde, was zu einer
verlässlicheren Kalkulation führt.

8         MUNICH RE Schadenspiegel 2/2009
IM FOKUS

           „Unsere mittel- bis
           langfristige Einschätzung
           des Luftfahrtmarkts
           ist unverändert positiv.“
                                                                     Das Montrealer Übereinkommen

                                                                     Das Montrealer Übereinkommen (MÜ) im Jahr 2004
                                                                     regelte die Haftung für Passagier- und Güterschäden
           Munich Re: Transparent und serviceorientiert              im internationalen und nationalen Luftverkehr neu.
                                                                     Es legt besonderen Wert auf eine Verbesserung des
           Interessant – besonders für größere fakultative           Verbraucherschutzes und gilt für jede internationale
           Kunden – ist unsere Cross-Selling-Initiative. Sie zielt   Beförderung von Personen durch ein Luftfahrzeug,
           darauf ab, die Sicherheit und Expertise von Munich        wenn Abgangs- und Bestimmungsort in den
           Re in der gesamten Breite ihrer Produktpalette            Hoheitsgebieten zweier Vertragsstaaten liegen.
           anzubieten. Auf Wunsch ermitteln wir dabei für jede       Zu den Vertragsstaaten zählen unter anderem die
           Fluglinie eine individuelle Risikolandschaft und          Europäische Union, USA, Japan und Australien.
           schnüren für den benötigten Versicherungsschutz
           ein Komplettpaket: von der Property- über die Casu-       Nach dem MÜ haften Airlines bei Körperverletzung
           alty- und D&O- bis zur Kreditdeckung. Das gilt auch       und Tod eines Passagiers aufgrund eines Unfalls
           für Special-Enterprise-Risiken, für die es bisher         unbegrenzt (vor dem MÜ lag die Höchstgrenze bei
           noch kein oder kein geeignetes Versicherungs-             26.000 €). Nur wenn Airlines nachweisen können,
           produkt gab. Die Vorteile liegen auf der Hand: Der        dass sie den Schaden nicht selbst verschuldet haben,
           Kunde hat zentrale Ansprechpartner und kann sich          haften sie nicht. Auch dürfen Opfer von Flugzeug-
           für sein gesamtes Portfolio auf die individuelle          unglücken jetzt Airlines unter bestimmten Voraus-
           Lösung eines soliden Providers verlassen, dem             setzungen an ihrem Wohnsitz verklagen. So könnte
           führende Ratingagenturen seit Jahren beständig            beispielsweise ein Amerikaner, der einen inner-
           gute Noten geben.                                         deutschen Flug mit der Lufthansa gebucht hat, die
                                                                     Airline in den USA belangen, wo die Gerichte den
           Individuell ist auch unser Pricing. Hier setzt Munich     Opfern in der Regel viel höhere Summen zubilligen.
           Re seit Jahren auf Transparenz. Kunden wie Makler
           haben jederzeit die Möglichkeit, mit uns in einen
           offenen Dialog zu treten, um Einblick in die Bestim-
           mungsfaktoren für das Pricing zu erhalten. Munich
           Re als Premiumanbieter ist dafür bekannt, das
           Risiko genau zu hinterfragen und sich in allen
           Einzelheiten mit den jeweiligen Risikofaktoren zu
           beschäftigen. Wir nehmen uns Zeit und besuchen
           die Airlines bei Bedarf auch vor Ort, um uns ein Bild
           zu machen. Denn erst unser Wissen vom Kunden
           ermöglicht es uns, den Markt genauestens zu
           analysieren und Risiken speziell nach Ländern und
           Regionen zu differenzieren. Mit diesem Wissens-
           vorsprung sehen wir uns bestens gerüstet, unsere
           selektive Zeichnungspolitik erfolgreich weiterzu-
           führen.

                                                                                MUNICH RE Schadenspiegel 2/2009         9
IM FOKUS

Internationale Flugzeugunglücke
der kommerziellen Luftfahrt

Das Fliegen mit kommerziellen Airlines                           1
                                                              30. Juni 2009
ist in den letzten Jahrzehnten sicherer                       Yemen Airways: Beim Landen abgestürzt
geworden. Tatsächlich sind die Standards                      Bei dem während des Landeanflugs auf
                                                              die Komoren abgestürzten Airbus A310
inzwischen so hoch, dass es immer                             der jemenitischen Fluggesellschaft
schwieriger werden wird, weitere Verbesse-                    Yemenia kamen 141 Passagiere und
                                                              11 Besatzungsmitglieder ums Leben. Nur
rungen in der technischen Flugsicherheit
                                                              ein 14-jähriges Mädchen überlebte. Laut
zu erreichen. Insbesondere verunglückte                       Angaben der regionalen Luftfahrtaufsicht
Passagiermaschinen brennen sich jedoch                        ASCENA ist die Maschine während des
                                                              Landeanflugs in einer Entfernung
in das Bewusstsein der Öffentlichkeit.                        zwischen 5–10 km vor der Hauptinsel der
                                                              Komoren von den Radarschirmen
                                                              verschwunden.

                                                                  3

                                                  8   7
                               5
                           9                     10

                                             4

                                                                                             2
                      11                 6

                                                          1

10     MUNICH RE Schadenspiegel 2/2009
IM FOKUS

         2                                           3                                             4
       11. Juni 2009                               11. Juni 2009                                 10. Juni 2009
       Jetstar Airlines: Feuer im Cockpit          Aeroflot: Notlandung in Sibirien               Iberworld: Brennendes Triebwerk
       Ein Airbus A330 mit 203 Menschen an         Auch in Russland ist es zu einem              Auf Gran Canaria musste ein Airbus A320
       Bord ist nach einem Feuer im Cockpit auf    Zwischenfall mit dem Airbus gekommen.         mit einem brennenden Triebwerk not-
       der Pazifikinsel Guam notgelandet. Die       Eine Maschine der Fluggesellschaft            landen. Das Flugzeug der spanischen
       Maschine war auf dem Weg von Japan zur      Aeroflot musste wegen eines Risses in          Chartergesellschaft Iberworld war mit
       Gold Coast im Osten des australischen       einer Cockpitscheibe in der sibirischen       insgesamt 180 norwegischen Touristen
       Kontinents. Die Piloten der Jetstar-        Metropole Nowosibirsk notlanden. Die          an Bord auf dem Weg nach Oslo.
       Maschine konnten die Flammen löschen        A320 mit 122 Menschen an Bord war auf         Mehrere Fluggäste schilderten später in
       und die Maschine sicher auf das Rollfeld    dem Weg von Jakutsk nach Moskau.              norwegischen Medien, dass eines der
       bringen. Offenbar hatte es Probleme mit     Bei dem Vorfall wurde niemand verletzt.       Triebwerke bereits kurz nach dem Start
       dem Heizelement in der rechten Cock-        In Russland kommt es fast jede Woche          Feuer gefangen hatte.
       pitscheibe gegeben. Es handelte sich um     zu Notlandungen, da vor allem bei
       das gleiche Airbus-Modell wie bei der       veralteten Flugzeugen Funktions-
       Air-France-Maschine, die am 1. Juni 2009    störungen auftreten.
       mit 228 Menschen an Bord vor Brasilien
       abgestürzt war.

          6
       1. Juni 2009
       Air France: Flugzeugunglück vor Brasilien
       Eine Airbus-Maschine vom Typ A330
       geriet auf dem Flug von Brasilien nach
       Frankreich in ein Unwetter. Beim Absturz
       kamen 228 Menschen ums Leben. Die
       Unglücksursache blieb bisher im Dunkeln.
       Das Wetter war zwar schwierig, aber für
       die Gegend nicht ungewöhnlich. Seit dem
       Absturz fand man insgesamt 640 Teile
       der Maschine im Atlantik. Laut Unter-
       suchungsberichten ist der Airbus nicht in
       der Luft zerbrochen, sondern zerschlug
       in Gänze und mit hoher Geschwindigkeit
       auf dem Wasser.

                                                                                             MUNICH RE Schadenspiegel 2/2009          11
IM FOKUS

  5                                           7                                           8
10. Juni 2009                               25. Februar 2009                            13. Februar 2009
American Airlines: Brand in der             Turkish Airlines: Flugzeug bei              British Airways: Bruchlandung in London
Bordtoilette                                Amsterdam abgestürzt                        Bei einem Flugzeug der British Airways
Ein Brand in der Bordtoilette zwang ein     Beim Anflug auf den Amsterdamer              kam es an diesem Freitagabend am
Passagierflugzeug der American Airlines      Flughafen Schiphol stürzte ein türkisches   Londoner City Airport zu einer Bruchlan-
mit 206 Menschen an Bord im kana-           Passagierflugzeug ab. Neun Menschen          dung. Alle 71 Passagiere und Besatzungs-
dischen Halifax zur Notlandung. Nach        wurden getötet und 50 verletzt. Mehrere     mitglieder der Maschine aus Amsterdam
Angaben des Flughafens befand sich die      Augenzeugen berichteten, wie die            konnten in Sicherheit gebracht werden.
Maschine vom Typ Boeing 767-300 auf         Maschine vom Typ Boeing 737–800 ein         Wie die Rettungskräfte mitteilten, waren
dem Flug von New York nach Zürich, als      paar hundert Meter von der Landebahn        vier Menschen mit leichten Verletzungen
plötzlich Rauch aus der Toilette in die     entfernt auf ein Feld gestürzt war. Die     zu behandeln. Nach Angaben von British
Passagierkabine drang – vermutlich hatte    Flügel mit den Treibstofftanks waren        Airways hatte es bei der Landung Proble-
ein defekter Lüftungsventilator das Feuer   ganz geblieben – vielleicht ein Grund       me mit dem Frontrad gegeben. Die
verursacht. Den Angaben zufolge löschte     dafür, dass kein Feuer an Bord ausbrach.    Passagiere gelangten über Sicherheits-
ein Flugbegleiter den Brand mithilfe        Mehrere Dutzend Passagiere konnten          rutschen ins Freie.
eines Feuerlöschers.                        unverletzt oder mit ein paar kleinen
                                            Schrammen das Wrack aus eigener
                                            Kraft verlassen.

  9
15. Januar 2009
US Airways: Notwasserung im
Hudson River
Ein vollbesetzter Airbus war kurz nach
seinem Start vom New Yorker Flughafen
La Guardia offenbar mit einem Vogel-
schwarm kollidiert. Die beiden Triebwerke
des Unglücksflugzeugs versagten gleich-
zeitig, und der Pilot musste auf dem
Hudson River notlanden. Eine wahre
Meisterleistung, da eine Notwasserung
normalerweise noch zerstörerischer ist
als eine Notlandung an Land. Alle
155 Insassen des Airbus A320 haben
das Unglück überlebt.

12       MUNICH RE Schadenspiegel 2/2009
IM FOKUS

                                                          11
                                                       30. Mai 2008
                                                       TACA International Airways:
                                                       Airbus rammt Autos
                                                       Beim Flug TA 390 von San Salvador nach
                                                       Tegucigalpa kamen 5 Menschen bei der
                                                       verunglückten Landung eines Airbus
         10                                            A320 auf dem Flughafen in Honduras
       20. August 2008                                 ums Leben, weitere 80 wurden verletzt.
       Spanair: Verunglückt nach dem Start             Die Piloten hatten das Flugzeug auf der
       Eine MD-82 der spanischen Fluggesell-           regennassen Landebahn nicht rechtzeitig
       schaft Spanair stürzte direkt nach dem          stoppen können, die Maschine war über
       Start aus ca. 100 Metern noch auf dem           die Landebahn hinausgerast und kreuzte
       Flughafen Barajas in Madrid ab, zerbrach        eine befahrene Straße, ehe sie schließlich
       und brannte vollständig aus. Von den an         gegen einen Erdwall prallte und stark
       Bord befindlichen 177 Personen kamen             beschädigt wurde. Der Toncontín Interna-
       153 ums Leben. Die Ursache ist noch nicht       tional Airport gilt als sehr schwierig, da
       zu 100 % geklärt, es soll sich jedoch um        über er eine Landebahn von nur 1.863 m
       einen Ausfall beider Triebwerke gehandelt       Länge verfügt.
       haben, welche kurz nach dem Start aus
       ungeklärten Gründen Feuer gefangen
       hatten. Unter Umständen war hier der
       Auslöser ein reiner Produkteschaden –
       ein aus Schadensicht besonders interes-
       santer Fall.

                                                   MUNICH RE Schadenspiegel 2/2009             13
HAFTPFLICHT

Finanzkrise –
Lehren für die Zukunft

     Die Subprime-Krise in den USA mündete ab 2007/08
     weltweit in allen Industriestaaten in eine Finanzkrise. Diese
     hatte auch erhebliche Auswirkungen auf die Versicherungs-
     wirtschaft, wobei nur in wenigen Zweigen die positiven
     Einflüsse überwogen. Neben der Kredit- und Kautionsver-
     sicherung trafen die größten Verluste PI- und D&O-Verträge.
     Was lässt sich aus diesen Erfahrungen lernen?

                               Milliardenverluste an den Kapitalmärkten durch ein-
                               brechende Aktienkurse führen zu Schuldzuweisungen.

14   MUNICH RE Schadenspiegel 2/2009
IM FOKUS

           Autoren                                                  fordern. In einem aufsehenerregenden Verfahren hat
           Prof. Dr. Ina Ebert, München                             beispielsweise Merrill Lynch einen Vergleich über
           Dr. Stefan Schmitt, Princeton
                                                                    475 Millionen US$ geschlossen. Banken haben sich
                                                                    außerdem gegenüber Aufsichts- (SEC) und Strafver-
           Das Ende der Krise?                                      folgungsbehörden zu Zahlungen in Millionenhöhe
                                                                    verpflichtet. Auch sogenannte Gatekeeper – also
           Am 15. September 2009 erklärte der Chef der US-          Makler, Berater, Anwälte und ähnliche Unternehmen,
           Notenbank, Ben Bernanke, die schwerste globale           die solche Finanzprodukte vermittelt haben oder in
           Rezession seit der Weltwirtschaftskrise in den           die Beratung eingebunden waren – müssen vor
           1930er-Jahren des vorigen Jahrhunderts für beendet.      Gericht ihr Verhalten rechtfertigen. In New York
           Bis es tatsächlich zu einer nachhaltigen Konjunk-        wurde kürzlich sogar eine Klage gegen Ratingagen-
           turerholung kommt, wird freilich noch geraume Zeit       turen zugelassen. Deren Bewertungen gelten in der
           vergehen. Nachfolgend sollen einige wesentliche          Regel als „matters of public concern“, so dass daraus
           Auswirkungen der Krise in den USA, wo sie ihren          grundsätzlich keine Individualansprüche hergeleitet
           Ausgang genommen hat, sowie – stellvertretend für        werden können. Das New Yorker Gericht führte
           Europa – in Deutschland beleuchtet werden.               jedoch aus, dass Ansprüche ausnahmsweise denkbar
                                                                    sind, wenn sich das Rating nicht allgemein an die
           USA                                                      Öffentlichkeit richtete, sondern nur an eine abgrenz-
                                                                    bare Gruppe von Investoren.
           Das Platzen der Immobilienblase 2006/07 aufgrund
           steigender Zinsen und sinkender Immobilienpreise         Deckungsfragen: Der Internationale Währungsfonds
           markierte den Beginn einer tiefen Wirtschaftskrise.      IWF hat den volkswirtschaftlichen Schaden der
           Zwangsräumungen waren die Folge, in manchen              globalen Finanzkrise auf 3,4 Billionen US$ beziffert.
           Städten verwaisten ganze Straßenzüge. Die Kurse          Die versicherten Schäden schätzte Advisen, ein
           von immobiliengestützten Wertpapieren an den             führender Anbieter von Analytik- und Informations-
           Aktienmärkten brachen zusammen und lösten Milli-         dienstleistungen für die Versicherungsbranche,
           ardenabschreibungen sowie Verluste bei den Invest-       zuletzt auf 9,6 Mrd. US$. Abgesehen von der Vielzahl
           mentbanken aus. Im Zuge der einsetzenden Rezes-          möglicher Beklagter und einschlägiger Policen wird
           sion haben in den ersten neun Monaten 2009 bereits       eine verlässliche Schätzung der versicherten
           95 US-Banken Insolvenz angemeldet (gegenüber             Schäden auch durch Besonderheiten des US-Rechts
           3 bzw. 25 Insolvenzen in den Jahren 2007 und 2008).      erschwert, die im Haftungs prozess einen erheblichen
           Auch wenn es sich dabei überwiegend um kleinere          Kostenaufwand bedeuten. Als Schlagworte wären
           und regionale Banken handelte und auch ihre Zahl im      etwa zu nennen: Discovery-Verfahren und Deposition
           Verhältnis zu landesweit mehreren tausend Geld-          (klägerfreundliches, kostenaufwendiges Beweisver-
           instituten gering erscheint, lässt diese exponentielle   fahren), motion to dismiss, fehlende Erstattung der
           Entwicklung doch das Ausmaß der Anlegerverluste          Prozesskosten für die obsiegende Partei (keine loser-
           und die tiefe Vertrauenskrise im Hinblick auf den        pays-rule wie in Europa), Jury-Gerichte. Aufgrund
           Kapitalmarkt erahnen.                                    möglicher Verteidigungskosten in Millionenhöhe
                                                                    stellt sich im laufenden Verfahren stets die Frage, wie
           Juristische Aufarbeitung der Finanzkrise: Wahr-          lange selbst eine erfolgversprechende Verteidigung
           scheinlich ist die Bandbreite an Klagen in keinem        aufrechterhalten werden kann oder ob nicht betriebs-
           Land so groß wie in den USA: So verklagte die Stadt      wirtschaftliche Erwägungen einen Vergleich
           Cleveland 21 Banken wegen ihrer Verantwortung für        erzwingen.
           die Subprime-Krise und der darauf beruhenden zahl-
           losen Zwangsvollstreckungen in der Stadt. Dies habe
           zu einem Wegbrechen von Steuereinnahmen sowie
           zu Mehraufwendungen für die Aufrechterhaltung von
           Sicherheit und Ordnung geführt. Der Federal District
           Court wies diese mit „public nuisance“ begründete
           Klage jedoch im Mai 2009 zurück. Weitere Klagen
           stützten sich unter anderem auf die Diskriminierung
           von Schwarzen und anderer Minderheiten, an die
           überproportional Subprime-Kredite vergeben
           wurden, weshalb diese Minderheiten besonders unter
           den Folgen der Krise leiden.

           Juristisch besonders aktiv zeigen sich in den USA
           Anleger, die Schadensersatz aufgrund unzurei-
           chender, falscher oder irreführender Informationen

                                                                                MUNICH RE Schadenspiegel 2/2009          15
IM FOKUS

Deckungsfragen erfordern immer eine Einzelfall-
betrachtung. Zu klären wäre etwa: Versicherungsfall-
definition, Aggregierung/Allokation, Spätmeldungen,
Abgrenzung D&O/E&O, Ausschluss bekannter
Umstände oder von Bußen und Geldstrafen. Bei
einer Reihe von Schäden, in denen die Kläger im Kern
die Rückabwicklung des Kaufvertrags (Aktienerwerb)
oder die Anpassung von Vertragsbedingungen (Zins-
anpassung) verlangen, dürfte auch der Deckungs-
ausschluss für vertragliche Ansprüche Bedeutung
gewinnen. Es geht dabei um die Frage, ob überhaupt
ein gedeckter Schadensersatzanspruch zugrunde
liegt oder nicht vielmehr rein vertraglsbezogene
Bereicherungs- und/oder Restitutionsansprüche
geltend gemacht werden. Entgegen landläufiger
Erwartung wird dem Vorsatzausschluss hingegen oft
                                                        Nach einem kurzen jähen Einbruch
nur eine geringe Bedeutung zukommen, da er häufig        sind verbriefte Wertpapiere wieder
eine gerichtliche Vorsatzfeststellung voraussetzt und   gefragt.
vielfältige Nachweis- und Zurechnungsfragen
aufwirft. Da Haftungsprozesse dieser Art in aller
Regel mit Vergleichen enden, wird ein entspre-
chender Nachweis nicht selten scheitern. Dennoch
bereiten solche Ausschlüsse erst den Weg für
mögliche Deckungsvergleiche.                            Skandale dringen ins öffentliche Bewusstsein

Deutschland                                             Auch die intensive Berichterstattung in den Medien
                                                        über Skandale, z. B. den Verkauf von Zertifikaten
Wie in den anderen europäischen Staaten auch, hat       der US-Bank Lehman Brothers oder den Beinahe-
die Finanzmarktkrise in Deutschland eine Reihe von      Zusammenbruch der Hypo Real Estate, haben die
Gesetzesänderungen bewirkt, die teils auf eine          Klagebereitschaft erhöht. Denn erst dadurch drangen
schärfere Aufsicht über den Finanzmarkt abzielen,       die Pflichtverstöße von Managern und Anlagebe-
teils die Pflichten seiner einzelnen Akteure konkre-     ratern sowie das Ausmaß der daraus resultierenden
tisieren. Zudem begünstigen die neuen Gesetze eine      Schäden richtig ins öffentliche Bewusstsein. Hinzu
konsequentere Durchsetzung bestehender Bestim-          kamen die Ergebnisse strafrechtlicher Ermittlungs-
mungen. Dies führte zu einem merklichen Anstieg         verfahren gegen Vorstandsmitglieder großer Unter-
von Entschädigungsforderungen wegen tatsächlicher       nehmen und die Berichte über Entschädigungspro-
oder vermeintlicher Pflichtverletzungen von              zesse in den USA. Beides bestärkte die Aktionäre in
Vorständen, Anlageberatern und anderen Finanz-          ihren Versuchen, wenigstens Teile der erlittenen
dienstleistern. Die krisenbedingt höhere Zahl von       Kursverluste durch die Geltendmachung von Ent-
Insolvenzen hat diesen Trend noch verstärkt: Insol-     schädigungsansprüchen auszugleichen.
venzverwalter sind gehalten, im Interesse des Unter-
nehmens und seiner Gläubiger gegen Mitglieder der       Aktuelle Rechtsprechung zur Finanzkrise
Unternehmensleitung vorzugehen, die sich pflicht-
widrig verhalten haben.                                 Die Klagen, die bislang in Deutschland gegen Banken
                                                        und Anlageberater im Zusammenhang mit der
                                                        Finanzkrise erhoben wurden, stützen sich meist auf
                                                        ähnliche Vorwürfe: Der Anleger, der sein Geld
                                                        ausschließlich zur Alterssicherung und daher äußerst
                                                        sicherheitsorientiert habe investieren wollen, sei zu
                                                        spät, unzureichend oder fehlerhaft darüber informiert
                                                        worden,
                                                        – dass und in welchem Umfang die Bank an dem mit
                                                          ihm abgeschlossenen Geschäft verdient (soge-
                                                          nannte kick-backs),
                                                        – welche Gewinnerwartung in der jeweiligen wirt-
                                                          schaftlichen Situation realistisch war,
                                                        – welche Risiken mit der gewählten Anlageform
                                                          verbunden sind, insbesondere im Hinblick auf einen
                                                          Totalverlust des Anlagekapitals.

16      MUNICH RE Schadenspiegel 2/2009
IM FOKUS

           Hierbei stellten die Gerichte insbesondere zweierlei
           klar: Erstens müssen Banken ihre mit der Anlagebe-
           ratung verbundenen Provisionsansprüche offenlegen.
           Zweitens reicht es gewöhnlich nicht aus, lediglich in
           den Allgemeinen Geschäftsbedingungen auf Risiken
           bestimmter Anlageformen hinzuweisen. Zudem
           halfen die Gerichte klagenden Anlegern mit Beweis-
           erleichterungen, die bis hin zur Beweislastumkehr im
           Hinblick auf die Fehlberatung der Bank und auf die       Fazit
           Kausalität dieser Fehlberatung für das Anlage-
           verhalten des Klägers reichten. Dies war nötig, da bis   Bleibende Folgen der Finanzkrise im
           zu den jüngsten Gesetzesänderungen meist keine           Haftpflichtbereich
           hinreichend konkreten Dokumentationspflichten der
           Banken über das Ausmaß ihrer Anlageberatung              Nicht nur die Abwicklung der Schäden, die die
           existierten.                                             Finanzkrise ausgelöst hat, wird die Versicherungs-
                                                                    wirtschaft auf Jahre hinaus beschäftigen.
           Im Bereich der Managerhaftung haben die Gerichte         Vielmehr werden sich die Versicherer von Finanz-
           zum einen die im Normalfall bestehende Pflicht des        instituten vor allem im D&O- und PI-Bereich wegen
           Aufsichtsrats betont, gegen pflichtwidrig handelnde       der veränderten rechtlichen Rahmenbedingungen
           Vorstandsmitglieder vorzugehen. Zum anderen              weit über die aktuelle Krise hinaus auf eine Reihe
           wurde im Rahmen der sogenannten Business Judge-          von Änderungen einstellen müssen:
           ment Rule konkretisiert, welche Risiken Vorstände bei
           ihren Geschäftsentscheidungen unter welchen              – Die Regulierung des Finanzbereichs wurde zum Teil
           Voraussetzungen eingehen dürfen, ohne pflichtwidrig         erheblich verschärft. Dies betrifft die Aufsicht über
           zu handeln. Hierbei ging es insbesondere darum,            den Finanzmarkt und das Ausmaß der Informa-
           welche Bedeutung es hat, wenn aufsichtsrechtliche          tions- und Dokumentationspflichten der Finanz-
           Vorschriften oder unternehmensinterne Compliance-          dienstleister, aber auch die Möglichkeiten, die
           Regelungen nicht beachtet werden, wie die fehlende         Einhaltung dieser Vorschriften zu kontrollieren und
           Einrichtung eines Frühwarnsystems für Risiken ein-         Pflichtverstöße zu verfolgen.
           zuschätzen ist und unter welchen Voraussetzungen
           das Eingehen sehr hoher oder für das Unternehmen         – Die Gerichte hatten wegen der Krise besonders oft
           existenzgefährdender Risiken zulässig ist. Diese           die Gelegenheit, die vom Gesetz geregelten
           Konkretisierungen waren vor allem erforderlich, damit      Pflichten der Finanzdienstleister zu konkretisieren.
           D&O-Versicherungen nicht dazu benutzt werden               Zwar geschah dies keineswegs immer mit dem Ziel
           können, auch solche Verluste auszugleichen, die nicht      einer Haftungsverschärfung. Jedoch erleichtert jede
           auf pflichtwidrigen Fehlentscheidungen der                  Konkretisierung künftige Klagen, weil Kläger ihre
           Geschäftsleitung beruhen.                                  Erfolgsaussichten besser einschätzen können. Dies
                                                                      ist vor allem für Klagen in Europa wichtig, da hier
                                                                      derjenige, der den Prozess verliert, der Gegenseite
                                                                      die Prozesskosten ersetzen muss.

                                                                    – Die im Zuge der Finanzkrise entstandenen Verluste
                                                                      vieler Anleger und die intensive Berichterstattung
                                                                      über gravierende Pflichtverstöße haben nicht nur
                                                                      das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Finanz-
                                                                      branche erschüttert, sondern dürften auch die
                                                                      Bereitschaft weiter erhöht haben, gegen die Verant-
                                                                      wortlichen juristisch vorzugehen.

                                                                    – Die krisenbedingt auch in Europa gestiegene Zahl
                                                                      von Aktionärsklagen wird die Einführung von
                                                                      Sammelklageformen sowie dafür geeigneter Finan-
                                                                      zierungsoptionen (z. B. Erfolgshonorare) weiter
                                                                      beschleunigen.

                                                                                MUNICH RE Schadenspiegel 2/2009          17
ARBEITERUNFALL

Fit für die Zukunft?

     Es bleibt spannend: Eine höhere Lebenserwartung und
     komplex miteinander verwobene Krankheitsursachen
     stellen die Arbeiterunfallsysteme der Zukunft vor große
     Herausforderungen. Die finanziellen Folgen der Änderungs-
     risiken treten dabei nur allmählich zutage. Um weiterhin
     profitabel zu arbeiten, müssen Erst- und Rückversicherer
     die Zusammenhänge kennen und in ihrem Pricing sowie
     beim Schadenmanagement berücksichtigen.

                                   Bereits geringe klimatische Veränderungen haben
                                   drastische Auswirkungen auf die Mortalität des
                                   Menschen.

18   MUNICH RE Schadenspiegel 2/2009
IM FOKUS

„Bei einem Anstieg der Monatsdurchschnittstemperatur
um 1 °C kann die allgemeine Sterblichkeit um 1,4 %, die
Mortalität bei Atemwegserkrankungen um 10,4 %
und die Herz-Kreislauf-Mortalität um 1,6 % zunehmen,
wenn der gesundheitlich optimale Temperaturbereich
überschritten wird.“
W.J.M. Martens, Health Impacts of Climate Change and Ozone Depletion:
An Ecoepidemiologic Modeling Approach

             Autoren                                                    Betroffen sind dabei nicht nur Verträge, die nach der
             Victor Schultheiss,                                        Gesetzesänderung in Kraft traten, sondern oftmals
             Dr. Héctor Upegui Garcia,
                                                                        rückwirkend alle Verträge in der AUV, für die neue
             beide München
                                                                        Rentenberechnungen erstellt werden müssen. Die
                                                                        ursprünglichen Policenkalkulationen sind damit
             Versicherer, die sich vor unliebsamen Überraschun-         Makulatur. Dies ist erst die Spitze eines Eisbergs, bei
             gen schützen wollen, müssen jetzt genau analysieren,       dem mit Zusatzbelastungen für weitere Jahre – im
             welche wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und            schlimmsten Fall Jahrzehnte – zu rechnen ist.
             rechtlichen Trends die Arbeiterunfallversicherung
             (AUV) beeinflussen. Dabei gilt: In einer Welt des           Das Beispiel zeigt: Die AUV kann sich rasch zu einem
             Wandels werden die Dimensionen von Langfrist-              schwierig kalkulierbaren finanziellen Risiko ent-
             trends, die sich teilweise über Jahrzehnte erstrecken,     wickeln. Soll das System seine unbestritten wichtige
             leicht unterschätzt.                                       gesellschaftliche Funktion auch künftig erfüllen,
                                                                        muss es sich fit für die Zukunft machen. Erschwert
             Beispiel Klimawandel: Er wird künftig nicht geringe        wird dieses Vorhaben durch die Tatsache, dass die
             Auswirkungen auf bestimmte Berufsgruppen und               AUV länderspezifischen Eigenheiten unterliegt. Weil
             damit auf die Versicherung von Arbeitsunfällen und         die Regelungen entscheidend von den wirtschaft-
             Berufskrankheiten (AUV, gesetzliche Unfallversiche-        lichen, sozialen und politischen Rahmenbedingungen
             rung oder Workers’ Compensation) haben, die heute          abhängen, sind Pauschalaussagen selten möglich.
             noch kaum berücksichtigt werden. Erwähnt seien nur
             ein größeres Hautkrebsrisiko aufgrund aggressiverer        Kompetenzzentrum für Arbeiterunfallversicherung
             UV-Strahlung, mehr Hitzetote oder das vermehrte
             Auftreten von Allergien, ausgelöst durch verstärkten       Munich Re hat bereits vor 11 Jahren ein weltweit
             Pollenflug.                                                 agierendes Kompetenzzentrum eingerichtet, um ihr
                                                                        Wissen im Bereich AUV zu bündeln. Ziel des
             Erst die Spitze des Eisbergs                               Geschäftsfelds ist es, systematisch und lösungs-
                                                                        orientiert Erkenntnisse zu sammeln, um zu einem
             Die Besonderheit der AUV: Änderungsrisiken                 effizienten Betrieb des Systems, angemessener
             schlagen hier besonders deutlich zu Buche, weil es         Rentabilität und finanzieller Sicherheit für alle Betei-
             unter Umständen sehr lange dauern kann, bis alle           ligten – Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Versicherer/
             Ansprüche aus einem Schadenereignis bekannt und            Risikoträger und Staat – beizutragen.
             abgewickelt sind. So kann etwa die Entscheidung
             einer Regierung das Renteneintrittsalter von 65 auf
             67 Jahre anzuheben, dem Arbeiterunfallsystem eines
             Landes große zusätzliche Belastungen aufbürden.
             Die Versicherer müssen auf einmal zwei Jahre länger
             für Schäden aus Arbeiterunfällen aufkommen, bevor
             die gesetzliche Rentenversicherung greift.

                                                                                    MUNICH RE Schadenspiegel 2/2009           19
IM FOKUS

                                                               Trend Demographie: Die allgemeine
                                                               Lebenserwartung der globalen
                                                               Bevölkerung steigt weiter an. Die
                                                               Konsequenzen für AUV-Systeme sind
                                                               vielschichtig und führen zu dringendem
                                                               Anpassungsbedarf.

                                                               Trend Fettleibigkeit: Adipositas wird als
                                                               weltweite Epidemie eingestuft und wirkt
                                                               sich damit auch global auf AUV-Systeme
                                                               aus. Kosten für medizinische Versorgung
                                                               von fettleibigen Personen nehmen in
                                                               Abhängigkeit zum Ausmaß der Krankheit
                                                               überproportional zu.

Abb. 1 Alternde Bevölkerung 1999–2008

Mrd.

5,0

4,0

3,0                           Schätzungen                                   Hochrechnungen

2,0

1,0

0,0

        1950       1960      1970      1980      1990   2000    2010      2020       2030      2040        2050

Das Durchschnittsalter steigt in den meisten Ländern                                                15–59
Quelle: UN Population Division (UNPD)                                                               0–14
                                                                                                    60+

20       MUNICH RE Schadenspiegel 2/2009
IM FOKUS

           Das aufgebaute Knowhow zum Risikomanagement
           der AUV ist weltweit einzigartig. Heute ist das
           Kompetenzzentrum ein international geschätztes und
           anerkanntes Gremium. Munich Re steht ihren Kunden
           nicht nur mit Rat und Tat bei der Ausgestaltung von
           Policen zur Seite, unser Expertenwissen fließt auch in
           unsere Underwriting-Expertise ein.
                                                                    „In den letzten
           Das Kompetenzzentrum hat in den vergangenen zwei
           Jahren 9 Themenfelder als zukünftige Herausforde-        100 Jahren ist die
           rung für die AUV identifiziert. Bei einem Symposium
           im März 2009, dessen wichtigste Ergebnisse im            durchschnittliche
           Diskussionspapier „Future challenges in workers‘
           compensation“ zusammengefasst sind, wurden die           Lebenserwartung in
           großen Herausforderungen der Zukunft mit Experten
           aus Assekuranz und Vertretern von internationalen        Europa um 28 Jahre
           Organisationen diskutiert. Ohne Anspruch auf Voll-
           ständigkeit geht es in dem Papier darum, wichtige        von 45 auf heute
           Denkanstöße zu liefern und den notwendigen Dialog
           zu initiieren, um künftigen Veränderungen den Boden      73 Jahre gestiegen.“
           zu bereiten. Denn eines steht fest: Die Ansprüche an
           die Arbeiterunfallversicherung ändern sich signifi-       Prof. Eino Heikkinen,
           kant. Wollen wir die AUV-Systeme fit für die Zukunft      Universität Jyväskylä, Finnland
           halten, müssen wir den Austausch von Ideen
           zwischen allen Beteiligten ermöglichen.

           Beispiele für Future challenges

           Trend Demographie: Die globale Bevölkerung wird
           im Schnitt immer älter (siehe Abb. 1). Es liegt daher
           nahe, dass das Durchschnittsalter der Arbeitnehmer
           dieser Entwicklung angepasst werden wird, was für
           die AUV erhebliche Konsequenzen hat. Zum einen
           zeigen Untersuchungen, dass die Zahl der schweren
           Verletzungen bei Arbeitnehmern mit dem Alter steigt,
           zum anderen nehmen altersspezifische Krankheiten
           wie Sehschwäche, Muskel-Skelett-Erkrankungen
           oder psychische Beeinträchtigungen wie Depressi-
           onen zu. Außerdem treten Krankheiten mit langer
           Latenzzeit im Alter naturgemäß stärker zutage. Eine
           Entwicklung, auf die heutige AUV-Systeme noch
           nicht vorbereitet sind.

           Trend Fettleibigkeit: Adipositas ist nicht nur eine
           Krankheit, sondern eines der großen volksgesundheit-
           lichen Probleme unserer Zeit. Definiert als ein Body
           Mass Index (Gewicht/Körpergröße2) von mehr als 30,
           ist Fettleibigkeit in vielen Ländern verbreitet (siehe
           Abb. 2). Mit dem Phänomen verbunden sind nicht nur
           die typischen Beschwerden von zu hohem Körper-
           gewicht, wie etwa Herz-Kreislauf-Schwäche und
           Diabetes, sondern auch eine steigende Zahl von
           berufsbedingten schweren Unfällen und Beschwer-
           den. Zudem sind die Arbeitsschutzvorrichtungen
           gewöhnlich nicht auf stark dickleibige Personen
           zugeschnitten, und die Kosten für die medizinische
           Versorgung nehmen mit dem Ausmaß der Fettleibig-
           keit weit überproportional zu.

                                                                       MUNICH RE Schadenspiegel 2/2009   21
IM FOKUS

„2004 galten in den                                       Änderungsrisiken verstärken sich gegenseitig

USA 31,1 % der                                            Was die Quantifizierung der unterschiedlichen
                                                          Einflussfaktoren auf die AUV so schwierig macht,

Männer und                                                sind die vielfältigen Interdependenzen. Die Asseku-
                                                          ranzen müssen sich darauf einstellen, dass zusätz-

33,2 % der Frauen                                         liche Risiken in den Büchern auftauchen, weil
                                                          jahrelang gültige Zusammenhänge aufgrund gesell-

über 20 als klinisch                                      schaftlicher Veränderungen keinen Bestand mehr
                                                          haben.

übergewichtig.“                                           Auch wenn die zahlreichen Faktoren, die die AUV
                                                          künftig belasten, aus analytischen Gründen separat
WHO                                                       betrachtet werden, haben sie eine breite Schnitt-
                                                          menge. Laut Weltgesundheitsorganisation nimmt
                                                          beispielsweise die Fettleibigkeit unter den chroni-
                                                          schen Krankheiten einen der vorderen Plätze ein. Sie
                                                          ist wiederum Ursache für andere chronische Erkran-
                                                          kungen wie Depression oder Diabetes – Krankheits-
                                                          bilder, die im Alter verstärkt auftreten. Schon dieses
                                                          Beispiel zeigt: Änderungsrisiken korrelieren stark
                                                          und in komplexer Weise miteinander.

                                                          Schadenmanagement als Schlüsselfaktor

                                                          Besondere Bedeutung wird in der AUV künftig der
                                                          Schadenbearbeitung und Schadenprüfung
                                                          zukommen. Denn nur wenn Erstversicherer die

Abb. 2 Fettleibigkeit – ein gewichtiges Problem

Saudi-Arabien
USA
Großbritannien
Mexiko
Neuseeland
Chile
Südafrika
Deutschland
Australien
Peru
Marokko
Kanada
Finnland
Columbien
Spanien
Belgien
Brasilien
Schweden
Portugal
Singapur
Norwegen
Malaysia
China
                        %             5         10   15   20        25        30        35        40

Adipositas wird als weltweite Epidemie eingestuft.
Anteil der Bevölkerung mit einem BMI > 30
Quelle: Global Database on Body Mass Index
World Health Organization

22       MUNICH RE Schadenspiegel 2/2009
IM FOKUS

           Entwicklung genau analysieren, können sie Änderungs-
           risiken aufspüren. Viele der heutigen Schäden –
           psychische Krankheiten, Medikamentenmissbrauch,
           Muskel-Skelett-Erkrankungen – sind bereits Teil der
           künftigen Herausforderungen. Tatsache ist aber auch:
           Bislang hinterfragt niemand die Zusammenhänge.

           Ein weiterer wichtiger Punkt im Rahmen des Schaden-
           managements sind Schadenprävention und
           Maßnahmen zur Rehabilitation. Für die meisten der
           bisher definierten Future challenges fehlt jedoch eine
           geeignete Schadenprävention. Es ist daher Aufgabe
           eines funktionierenden Schadenmanagements, Risiken
           zu analysieren, Szenarien zu entwerfen und präventiv
           Lösungen zu erarbeiten.

           Folgen für das Underwriting

           Die meisten Tarifierungssysteme der AUV beruhen
           darauf, betriebliche Tätigkeiten oder Berufsgruppen zu
           klassifizieren. Dahinter steckt die Erfahrung, dass
           bestimmte Formen der Erwerbstätigkeit mit größeren
           Gefahren verbunden sind und dort mit höherer Wahr-
           scheinlichkeit Berufsunfälle auftreten. Das Problem
           dabei: Viele der Future Challenges verlaufen horizontal,   Aktuelle Veröffentlichung
           d. h., sie betreffen im Grunde genommen alle Berufs-       „Future challenges in workers’
           gruppen und nicht nur einen bestimmten Beruf. Es           compensation“
           muss daher unbedingt geprüft werden, ob ein Unglück
                                                                      Das Diskussionspapier „Future challenges in
           am Arbeitsplatz mit zugrunde liegenden Krankheiten         workers‘ compensation“ (Englisch) ist unter der
           wie Fettleibigkeit, Depressionen oder Tablettenabhän-      Bestellnummer 302-06153 erhältlich. Zum
           gigkeit zusammenhängt. Tritt hier ein signifikantes         Download steht Ihnen die Publikation auf
           Änderungsrisiko zutage, kann es über ein risikoadä-        unserer Homepage www.munichre.com unter
           quates Pricing aufgefangen werden. Langfristiges Ziel      Publikationen (Rubrik Arbeiterunfall) zur
           muss sein, die je nach Land und Berufsgruppen beste-       Verfügung. Mehr Information zum 4th Interna-
                                                                      tional Workers’ Compensation Symposium
           henden Klassifizierungen von Berufskrankheiten unter
                                                                      finden Sie unter folgendem Link:
           neuen Gesichtspunkten zu betrachten.                       www.munichre.com/wcs/en/homepage/
                                                                      default.aspx

           Fazit

           Erst- und Rückversicherern haben ein gemeinsames
           Interesse, Änderungsrisiken in der AUV beherrschbar
           zu machen. Munich Re sieht ihre Rolle vor allem darin,
           die Herausforderungen zu benennen und über
           Vorträge, Symposien und Publikationen den Dialog
           anzuschieben. Mit unserem Centre of Competence
           geben wir unparteiische Denkanstöße für Verände-
           rungen, die in ein risikoadäquates Pricing münden
           können.

           Die Diskussion, die das Kompetenzzentrum zunächst
           nur auf die AUV beschränkte, kann auch ein Anstoß
           für andere Personenversicherungssparten sein, da die
           genannten zukünftigen Herausforderungen – u. a.
           durch Druck auf Pflege-, Heil- und Gerichtskosten –
           die Schadenlast insgesamt erhöhen werden.

                                                                      MUNICH RE Schadenspiegel 2/2009             23
Sie können auch lesen