Schengen/Dublin und das Schweizer Asylverfahren - Zürcher Asylkoordinatorinnen- und Koordinatoren-Konferenz, 6. Mai 2010

Die Seite wird erstellt Daniel Fuhrmann
 
WEITER LESEN
Schengen/Dublin und das Schweizer Asylverfahren - Zürcher Asylkoordinatorinnen- und Koordinatoren-Konferenz, 6. Mai 2010
Zürcher Asylkoordinatorinnen- und
  Koordinatoren-Konferenz, 6. Mai 2010

  Schengen/Dublin und das
  Schweizer Asylverfahren

  Susanne Bolz, Leiterin Protection Schweizerische Flüchtlingshilfe
© SFH Schweizerische Flüchtlingshilfe
Zum Schliessen des Fenster bitte in das Bild klicken.

                © SFH Schweizerische Flüchtlingshilfe
Rechtsgrundlagen
Schengener Abkommen
Ursprüngliches Ziel: Abschaffung der
Grenzkontrollen an Binnengrenzen der fünf
Schengenstaaten
Beginn 1985, Schengen I,1995 Schengen II
Inzwischen weitverzweigte Rechtsentwicklung.
Die Abkommen und das darauf aufbauende
Recht bildet den sogenannten Schengener
Besitzstand oder Schengen-Acquis
Dublin-System: Baustein im Bereich Asyl
© SFH Schweizerische Flüchtlingshilfe
Was bezweckt „Schengen“
• Schaffung eines „Raums der Sicherheit,
  der Freiheit und des Rechts“
• Personenfreizügigkeit im Schengen-
  Innenraum

    Die Schengen-Zusammenarbeit erleichtert
    den Reiseverkehr, indem die systematischen
    Personenkontrollen an den gemeinsamen
    Grenzen zwischen den Schengen-Staaten
    (Binnengrenzen) aufgehoben wurden.
© SFH Schweizerische Flüchtlingshilfe
Darf jeder in den
Schengen-Raum?
Freizügigkeit begleitet von „flankierenden
Massnahmen“
• verstärkte Kontrolle der EU-Aussengrenzen,
  FRONTEX
• Gemeinsames Schengen-Visum
• Verbesserte Justiz- und Polizeizusammenarbeit
  gegen Kriminalität, Datenbank SIS
• Verbesserung der Rechtshilfe
• Gemeinsame Visa-Politik
• Bekämpfung von Waffen- und Drogenmissbrauch
© SFH Schweizerische Flüchtlingshilfe
Die Schweiz als assoziierter
Partner zu Schengen / Dublin
• Unterzeichnung: 26. Oktober 2004
  (im Rahmen der Bilateralen II)
• Genehmigung durch das Volk:
  5. Juni 2005 (mit 54,6% Ja)
• Inkrafttreten: formell 1. März 2008,
  operationell seit 12. Dezember 2008,
  Flughäfen 1. März 2009

© SFH Schweizerische Flüchtlingshilfe
Rechtsfolgen der Assoziierung
 Teilnahme an der europäischen Sicherheits- und
 Asylzusammenarbeit.
 • Bei Weiterentwicklungen, Teilnahme im
   gemischten Ausschuss
   -    gestaltendes Mitspracherecht,
   -    kein formelles Mitentscheidungsrecht.
 • Schweiz entscheidet souverän, ob sie einen
   neuen Rechtsakt übernehmen will.
 • Im Falle einer Nichtübernahme müssen
   pragmatische Lösungen gefunden werden. In
   letzter Konsequenz könnte eine Nicht-Übernahme
   die Kündigung der Abkommen zur Folge haben.
© SFH Schweizerische Flüchtlingshilfe
Was hat sich für die
Schweiz geändert?
• Nur Wegfall der Personenkontrollen
• Warenkontrollen und Zollämter bleiben
  bestehen, da keine Zollunion mit der EU
• Personenkontrollen weiterhin möglich,
  „Rückraumkontrollen“
• Schengen-Visa gilt auch für Schweiz

© SFH Schweizerische Flüchtlingshilfe
Dynamischer Schengen-Prozess

• Seit Unterzeichnung der Abkommen am
  26. Oktober 2004 wurden der Schweiz 91 neue
  schengenrelevante Rechtsakte mitgeteilt (Stand
  Oktober 2009)
• Übernahme in Form von Bundesbeschluss,
  rechtlich: völkerrechtliche Verträge
• Je nach Inhalt des Rechtsaktes ist der Bundesrat
  oder das Parlament zuständig für ihre
  Übernahme.
© SFH Schweizerische Flüchtlingshilfe
Wichtige Weiterentwicklungen
• biometrische Ausländerausweise
• Übernahme des Schengener Grenzkodex
  (Regeln für die Grenzkontrollen an Aussengrenzen)
• Teilnahme an der Grenzagentur FRONTEX
  (operative Zusammenarbeit im Bereich des
  Aussengrenzschutzes), RABIT
• Aussengrenzenfonds, unterstützt Mitgliedstaaten
  denen wg. Aussengrenzen hohe Kosten anfallen
• Visa Informationssystem (VIS)
• EU-Rückführungsrichtlinie
  (Verfahren für die Rückführung illegal sich
  aufhaltender Drittstaatsangehöriger )
© SFH Schweizerische Flüchtlingshilfe
In der Praxis
Pressemitteilung des EJPD
Inhaberinnen und Inhaber von Visa D dürfen neu im
 gesamten Schengen-Raum reisen
    Bern, 31.03.2010 (EJPD) - Ab dem 5. April 2010 werden
    Ausländerinnen und Ausländer, die über ein nationales
    Visum für den längerfristigen Aufenthalt von mehr als
    drei Monaten (Visum D) in einem Schengen-
    Mitgliedstaat verfügen, im gesamten Schengen-Raum
    reisen können. Es handelt sich dabei um eine
    Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands. Deren
    Übernahme hat der Bundesrat heute gutgeheissen.

                Dynamischer Prozess stetiger Weiterentwicklung

© SFH Schweizerische Flüchtlingshilfe
Was bezweckt Dublin?

    Die Dublin-Bestimmungen regeln eine
    europaweite Koordination der
    Asylverfahren zur Vermeidung von
    Mehrfachgesuchen.

© SFH Schweizerische Flüchtlingshilfe
© SFH Schweizerische Flüchtlingshilfe
Rechtsquellen Dublin-System
• Dublin-Verordnung
• Durchführungsverordnung zur Dublin-VO
• Eurodac-Verordnung
           Verordnungen sind bindendes EU-Recht, sie gelten in der
           Schweiz unmittelbar und haben Vorrang vor nationalem
           Recht

Auslegung:
 Berichte und Empfehlungen der EU-
 Kommission (2007)
© SFH Schweizerische Flüchtlingshilfe
Auf dem Weg zu einem EU-Asylrecht
Ziel:
Harmonisierung des Asylwesens im EU/Schengen-Raum

1999 Gipfel von Tampere
Vereinbarung von bindenden Mindestrichtlinien
- Asylverfahren
- Flüchtlingsbegriff
- Aufnahmebedingungen
- Temporärer Schutz
- Dublin: Verteilung der Zuständigkeit

Weiterentwicklung:
Haager Programm: 2005
Stockholm Programm: 2010 noch in Beratung
© SFH Schweizerische Flüchtlingshilfe
Grundsätze des Dublin-Systems
• Nur ein Mitgliedstaat (MS) zuständig für die
  Durchführung des Asylverfahrens (Verteilregel
  zur Verhinderung von „Asylum Shopping“)
• Der zuständige MS ist verpflichtet das
  Asylverfahren, bzw. ein Verfahren um die
  Anerkennung als Flüchtling durch zuführen
  (Schutzgedanke, Verhinderung von „Refugees in
  Orbit“)
• Zuständigkeitskriterien gemäss Art. 5 ff. Dublin-
  VO
• Verfahrensablauf, Fristenregelungen in VO
• Nachweis der Zuständigkeit: Eurodac-Datenbank
© SFH Schweizerische Flüchtlingshilfe
Rangfolge der Zuständigkeit gemäss
Dublin-VO
1. Bei unbegleiteten Minderjährigen , der
   Dublin-Staat, in dem die (Kern-)Familie
   lebt
2. Familienangehörige in anderem Staat mit
   Aufenthaltstitel oder im Asylverfahren
3. Erteilung von Aufenthaltstitel oder Visum
4. Illegale Einreise in Mitgliedstaat
5. Legale / visumsfreie Einreise
6. Einreise in Flughafentransitbereich
7. Ort der Asylantragstellung
© SFH Schweizerische Flüchtlingshilfe
Selbsteintritt und humanitäre Klausel
• Gemäss Art. 3 Abs. 2 Dublin-VO kann sich
  ein MS für ein Asylverfahren zuständig
  erklären, obwohl er es nicht ist, die
  Zustimmung des AS ist nicht erforderlich.
  (Selbsteintrittsklausel)
• Gemäss Art. 15 Abs. 2 Dublin-VO können
  bestimmte familiäre Konstellationen
  ausnahmsweise bei der
  Zuständigkeitsregelung berücksichtigt
  werden. (humanitäre Klausel)
© SFH Schweizerische Flüchtlingshilfe
Verfahrensgrundsätze
für das Dublin-Verfahren in
der Schweiz
• Keine formlose Übergabe der AS nach
  Anhaltung bei illegalem Grenzübertritt
  mehr gestattet
• Immer Zuweisung in EVZ, da die Dublin-
  Verfahren teilweise Monate dauern
• Ist die Schweiz zuständig, normales
  Asylverfahren
• Schweiz unzuständig: Selbsteintritt oder
  Wegweisung in Dublin-Staat mit NEE
© SFH Schweizerische Flüchtlingshilfe
Umsetzung im CH-Asylverfahren
• Dublin-Zuständigkeitsprüfung zu
  Verfahrensbeginn, Abfragen Eurodac, BZP
• Meist sofort Anfrage an den Mitgliedstaat der
  zuständig ist, dieser muss Überstellung
  zustimmen (Frist 2 Monate, 2 Wochen bei
  Eilantrag)
• Bei erwiesener Nicht-Zuständigkeit der Schweiz:
  Rechtliches Gehör zu geplantem Dublin-
  Entscheid im Rahmen der BZP oder später.
• Dublin-Entscheid ergeht als NEE,
  Art. 34 Abs. 2 Bst. d AsylG

© SFH Schweizerische Flüchtlingshilfe
Eurodac, Art. 102a bis ff.
Art. 102abis Eurodac
1 Im Rahmen der Anwendung der Dublin-Assoziierungsabkommen ist das
    Bundesamt für den Verkehr mit der Zentraleinheit des Systems Eurodac
    zuständig.
2 Es übermittelt folgende Daten an die Zentraleinheit:
    a. den Ort und das Datum der Gesuchstellung in der Schweiz;
    b. das Geschlecht der gesuchstellenden Person;
    c. die nach Artikel 99 Absatz 1 abgenommenen Fingerabdrücke die
    schweizerische Kennnummer der Fingerabdrücke;
    e. das Datum der Abnahme der Fingerabdrücke;
    f. das Datum der Übermittlung der Daten an die Zentraleinheit.
3 Die übermittelten Daten werden in der Datenbank Eurodac gespeichert und
    mit den in dieser Datenbank bereits gespeicherten Daten verglichen. Das
    Ergebnis des Vergleichs wird dem Bundesamt mitgeteilt.

© SFH Schweizerische Flüchtlingshilfe
Ablauf Rückübernahme
• Zustimmung des ersuchten Staates innert
  zwei Monaten, für dringende Anträge
  innert 14 Tagen
  Zuständigkeit durch
  Zustimmungsvermutung nach Fristablauf!
• Anschliessend i.d.R. sechs Monate Zeit für
  effektive Rücküberstellung
• Beschwerde gegen zustimmenden
  Entscheid möglich, diese hat jedoch in der
  Regel keine aufschiebende Wirkung,
  Art. 107 a AsylG
© SFH Schweizerische Flüchtlingshilfe
Umsetzung der Dublin-Wegweisung
durch das BFM vor dem 2.2.2010
•    Eröffnung des vorbereiteten BFM-Entscheides mündlich an
     AS am Tag der Ausreise, oder kurz davon durch Frepo im
     Kanton.
•    Info an allfällige Rechtsvertretung gleichzeitig mit Vollzug
•    Wegweisung aus Schweiz sofort vollstreckbar (Art.64a AuG
     neu), selbst wenn Antrag an BVGer um Prüfung der
     aufschiebenden Wirkung gestellt (Art. 107a AsylG).
•    Beschwerde hat grundsätzlich keine aufschiebende
     Wirkung (Art. 107a AsylG)
     Völkerrechtlich problematisch, v.a. wenn Verletzung von
     Art. 3 EMRK geltend gemacht wird. Durch die sofortige
     Vollstreckung ist der effektive Rechtsschutz der
     Beschwerde (Art. 13 EMRK) nicht gewährt.

© SFH Schweizerische Flüchtlingshilfe
Art. 107a Asylgesetz
     Art. 107a Verfahren gemäss Dublin
     Beschwerden gegen Nichteintretensentscheide bei
     Gesuchen von Asylsuchenden, die in einen Staat
     ausreisen können, der staatsvertraglich für die
     Durchführung des Asyl- und Wegweisungsverfahrens
     zuständig ist, haben keine aufschiebende Wirkung.
     Liegen begründete Anhaltspunkte für eine Verletzung
     der durch die Konvention vom 4. November 1950
     zum Schutze der Menschenrechte und
     Grundfreiheiten garantierten Rechte durch diesen
     Staat vor, so kann die aufschiebende Wirkung
     gewährt werden.
© SFH Schweizerische Flüchtlingshilfe
Praxis nach Grundsatzurteil
Bundesverwaltungsgericht vom 2.2.2010
• Ist AS rechtlich vertreten, dann Eröffnung des
  Entscheids durch das BFM per Post an
  Rechtsvertretung, erst dann Zugang erfolgt.
• Ab Eröffnung 5 Arbeitstage Zeit zur Einreichung
  einer Beschwerde, in dieser Zeit keine
  Überstellung
• Bei Antrag auf Anordnung der aufschiebenden
  Wirkung gemäss Art. 107a AsylG hat BVGer 5
  Arbeitstage um über den Antrag zu entscheiden;
  in dieser Zeit keine Überstellung zulässig
• Rechtsschutzinteresse besteht trotz Überstellung
  weiter, wenn AS an Beschwerde aus Ausland
  festhält.
© SFH Schweizerische Flüchtlingshilfe
Welche Asylsuchenden sind
betroffen?
Quelle: Asylstatistik 2009 BFM, am Ende
-   Nigeria 1091
-   Eritrea: 758
-   Georgien 487
-   Irak 407
-   Russland 399
-   Somalia 396
-   Afghanistan 310

© SFH Schweizerische Flüchtlingshilfe
Haupt-Dublin „Partner“ der Schweiz
   Land                                 Out-Verfahren In-Verfahren
   Italien                              2283          17
   Deutschland                          391           168
   Frankreich                           420           112
   Griechenland                         524           5
   Ungarn                               335           1
   Österreich                           489           84
   Polen                                369
© SFH Schweizerische Flüchtlingshilfe
Erfolgte Überstellungen 2009

•   Italien 869
•   Österreich 131
•   Deutschland 125
•   Polen 108
•   Frankreich 104
•   Griechenland 99
•   Spanien 95
•   Ungarn 87

© SFH Schweizerische Flüchtlingshilfe
Ist Dublin eine gute Lösung?
• Bisher kein einheitliches u.
  chancengleiches Asylverfahren im Dublin-
  Raum, Harmonisierung fehlt weitgehend
• In manchen Ländern kein Zugang zum
  Asylverfahren, Gefahr der
  Kettenabschiebungen, Griechenland!
• Fehlender Rechtsschutz
• Schlechte Aufnahmebedingungen
• Keine einheitliche Praxis bei Anwendung
  von Ausnahmeklauseln, humanitäre
  Gründe werden zu wenig berücksichtigt
• Inhaftierung eher die Regel

© SFH Schweizerische Flüchtlingshilfe
Wie geht es weiter?
Dublin III (Vorschlag EU-Kom)
    EU-Kommission hat eine Reform des Dublin-
    Systems vorgeschlagen, dazu wurden im
    Dezember 2008 Vorschläge gemacht.
    Sie reflektieren die Rechtsprechung des Europ.
    Gerichtshofes für Menschenrechte.
    Derzeit Beratung im Rat der EU.

• Stärkung des Rechtsschutzes
• Fairere Fristen und aufschiebende Wirkung
• Aussetzungsmechanismus

© SFH Schweizerische Flüchtlingshilfe
Nächste Schritte EU
• Gemeinsames Europäisches Asylsystem
• Gemeinsamens EU-Asylbüro
• Europäischer Pakt für Asyl 2008
• Stockholm-Programm: derzeit in Beratung im
  Rat, Grundlagen für Migration
• Reform der Richtlinien zu mehr
  Verbindlichkeit

Ziel: noch stärkere Harmonisierung,
  einheitliches Verfahren, einheitliche Kriterien

© SFH Schweizerische Flüchtlingshilfe
Sie können auch lesen