Nicht-fixierende Medikation bei Demenz - Michael Guhra Klinik für Psychiatrie und
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Nicht-fixierende Medikation bei Demenz Michael Guhra Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Abt. für Gerontopsychiatrie
„Nicht-fixierende“ Medikation? Eine Medikation, die nicht chemisch fixiert. Eine Medikation, die eine mechanische Fixierung verhindert. Eine beruhigende und nicht-sedierende Medikation.
S3-Leitlinie-Demenz (DGPPN, DGN 2009) „Vor dem Einsatz von Psychopharmaka bei Verhaltenssymptomen soll ein psychopathologischer Befund erhoben werden. Die medizinischen, personen- und umgebungsbezogenen Bedingungsfaktoren müssen identifiziert und soweit möglich behandelt bzw. modifiziert werden. Darüber hinaus besteht eine Indikation für eine pharmakologische Intervention, wenn psychosoziale Interventionen nicht effektiv, nicht ausreichend oder nicht verfügbar sind. Bei Eigen- oder Fremdgefährdung, die nicht anders abwendbar ist, kann eine unmittelbare pharmakologische Intervention erforderlich sein.“
15%
Allgemeine Prinzipien bei der Behandlung von Demenzerkrankten mit psychotropen Substanzen: 1. Vermeidung anticholinerger Medikation (Delirrisiko, negative Effekte auf Kognition) 2. Vermeidung sedierender Medikation (negative Effekte auf Kognition, Sturzgefahr) 3. Allgemeine Verfahrensweisen zur Medikamentenauswahl und Dosierung, die bei der Anwendung psychotroper Medikation bei älteren Menschen zu beachten sind, gelten bei Patienten mit Demenz in besonderem Maße. Start low – go slow ( - and stop)!
Indikationen für psychotrope Medikation bei Demenz: 1. Kognitive Symptome: „Antidementiva“ 2. Veränderungen des Verhaltens und Erlebens (Behavioral and Psychological Symptoms of Dementia - BPSD) 3. Delir
„Antidementiva“ • Acetylcholinesterasehemmer - Donepezil (Aricept®) - Rivastigmin (Exelon®) - Galantamin (Reminyl®) • NMDA-Rezeptorantagonist - Memantin (Axura®, Ebixa®)
S3-Leitlinie-Demenz (DGPPN, DGN 2009) „Global werden Verhaltenssymptome durch die Gabe von Donepezil und Galantamin bei leichter bis mittelschwerer Alzheimer-Demenz und von Memantin bei moderater bis schwerer Alzheimer-Demenz leicht positiv beeinflusst. Zu Rivastigmin liegen keine ausreichenden Daten vor. Zur pharmakologischen Behandlung psychotischer Symptome bei Lewy-Körperchen-Demenz und Demenz bei M. Parkinson gibt es für Rivastigmin Hinweise für Wirksamkeit.“
Indikationen für psychotrope Medikation bei Demenz: BASIS 1. Kognitive Symptome: „Antidementiva“ 2. Veränderungen des Verhaltens und Erlebens (Behavioral and Psychological Symptoms of Dementia - BPSD) 3. Delir
Antipsychotika Antidepressiva Benzodiazepine Antikonvulsiva
Antipsychotika („Neuroleptika“) Typika Atypika • Haloperidol • Risperidon • Pipamperon • Quetiapin • Melperon • Clozapin • Aripiprazol Kein Olanzapin bei Demenz!
Antipsychotika • bei Demenz erhöhtes Mortalitätsrisiko (Haloperidol>Risperidon>Quetiapin) und erhöhtes Risiko zerebrovaskulärer Ereignisse • Extrapyramidalmotorische Symptome (EPMS) – Akathisie: Unruhe im Sitzen – Frühdykinesien: Zungenwälzen, Mund-/Schlundkrampf, Zwerchfell- Dystonien – Parkinsonoid: Rigor, Gangbild, Hypomimie – Spätdyskinesien: v.a. im Alter, bei Frauen, zerebraler Vorschädigung, bereits nach kurzfristiger Therapie • Kardiale NW (EKG!) • Orthostatische NW • Cave: Parkinson-Demenz/Lewy-Body-Demenz Verschlechterung der Motorik und Somnolenzattacken! Regelmäßige Überprüfung (wöchentlich) und Absetzversuche!
Benzodiazepine • negative Effekte auf Kognition • Erhöhung der Sturzgefahr • Abhängigkeitsentwicklung (Entzugsdelir bei plötzlichem - oft versehentlichem - Absetzen) • paradoxe Wirkung bei Älteren • nur bei massiver Unruhe/Angst/Agitation • wenn nicht vermeidbar, dann kurzwirksame (Lorazepam, Oxazepam) und nur kurz
Antidepressiva • SSRI (Citalopram, Sertralin) • Moclobemid • Mirtazapin • Keine spezifischen NW bei Demenz • Cave anticholinerge und sedierende Wirkung mancher Präparate! Keine trizyklischen Antidepressiva (Doxepin, Imipramin, Trimipramin,…) bei Demenz!
Antikonvulsiva • Carbamazepin • Pregabalin • Keine spezifischen NW bei Demenz • Cave sedierende Wirkung!
BPSD
BPSD • Synonyme: psychische und Verhaltenssymptome, nicht- kognitive Symptome, psychiatrische Symptome, psychopathologische Symptome, herausforderndes Verhalten • sind der wesentliche Risikofaktor für Erkrankungen bei pflegenden Angehörigen und für die Aufnahme in eine Pflegeeinrichtung
BPSD - Entstehung Degeneration/Atrophie Veränderungen in Neurotransmitter-Systemen: Serotonin (…)
BPSD bei Alzheimerdemenz 100 Frequenz (% der Patienten) Agitation 80 Tages- rhythmus Verwirrung 60 Depression Ruhelos sozialer Aggression 40 Rückzug Stimmungs- Angst schwank. soziale Unvertr. Halluzinationen Paranoia 20 Suizid- Beschuldi- Wahnvorst. gedanken gungen Enthemmung 0 –40 –30 –20 –10 0 10 20 30 Monate vor / nach der Diagnose Jost und Grossberg, 1996
BPSD – 4 Symptomcluster Psychotische Symptome Hyperaktivität Wahn Agitation/Aggression Halluzinationen Enthemmung Nächtliche Unruhe Irritabilität Gesteigerte Psychomotorik Affektive Symptome Apathie Depression Apathie Angst Appetitminderung
BPSD – 4 Symptomcluster Psychotische Symptome Hyperaktivität Wahn Agitation/Aggression Halluzinationen Enthemmung Nächtliche Unruhe Irritabilität Gesteigerte Psychomotorik Affektive Symptome Apathie Depression Apathie Angst Appetitminderung
Therapie psychotischer Symptome • Risperidon 0,5 - 2 mg/d • Haloperidol 0,5 - 3 mg/d • Aripiprazol 10 mg/d Bei Lewy-Body-Demenz/Parkinson-Demenz: • Clozapin 6,25 – 25 mg/d • Quetiapin 25 – 150 mg/d
BPSD – 4 Symptomcluster Psychotische Symptome Hyperaktivität Wahn Agitation/Aggression Halluzinationen Enthemmung Nächtliche Unruhe Irritabilität Gesteigerte Psychomotorik Affektive Symptome Apathie Depression Apathie Angst Appetitminderung
Therapie der Depression • Citalopram 10 - 20 mg/d • Sertralin 50 - 150 mg/d • Mirtazapin 15 - 30 mg/d • Moclobemid 300 – 600 mg/d Therapie der Angst • nur im Notfall Benzodiazepine/Antipsychotika • Pregabalin (?)
BPSD – 4 Symptomcluster Psychotische Symptome Hyperaktivität Wahn Agitation/Aggression Halluzinationen Enthemmung Nächtliche Unruhe Irritabilität Gesteigerte Psychomotorik Affektive Symptome Apathie Depression Apathie Angst Appetitminderung
Therapie von Agitation/Aggression • Risperidon 0,5 - 2 mg/d • Aripiprazol 2,5 - 15 mg/d • (Haloperidol 1 - 3 mg/d bei Aggression) • Melperon bis 200 mg/d • Pipamperon bis 120 mg/d • Carbamazepin • (Citalopram 10 – 20 mg/d)
Therapie der Enthemmung • Keine medikamentöse Therapie bekannt. Therapie bei gesteigerter Psychomotorik • Risperidon 0,5 - 2 mg/d (bei schwerer psychomotorischer Unruhe, die zu deutlicher Beeinträchtigung des Betroffenen u./o. der Pflegenden führt)
BPSD – 4 Symptomcluster Psychotische Symptome Hyperaktivität Wahn Agitation/Aggression Halluzinationen Enthemmung Nächtliche Unruhe Irritabilität Gesteigerte Psychomotorik Affektive Symptome Apathie Depression Apathie Angst Appetitminderung
Therapie der Apathie Keine medikamentöse Therapie bekannt.
Therapie von Schlafstörungen S3-Leitlinie-Demenz (DGPPN, DGN 2009) „…Aufgrund von Sedierung, Sturzgefahr und Verschlechterung der Kognition sollten Hypnotika nur in Situationen angewendet werden, die durch Verhaltensempfehlungen und Interventionen nicht ausreichend verbessert werden können und die zu einer erheblichen Belastung des Betroffenen und der Pflegenden führen. Störungen von Arbeitsabläufen und Organisationsstrukturen in Heimen durch gestörten Schlaf von Betroffenen stellen keine Indikation für den Einsatz von Hypnotika dar.“
Therapie von Schlafstörungen • Pipamperon • Melperon • Zopiclon 3,75 – 7,5 mg/d • Zolpidem 5 – 10 mg/d • Melatonin (?)
Interessanter link (Dokument als pdf), leider nur auf Englisch: Optimising treatment and care for people with behavioural and psychological symptoms of dementia A best practice guide for health and social care professionals (Leitfaden der britischen Alzheimer-Gesellschaft) www.alzheimers.org.uk/site/scripts/download_info.php?downloadID=609
Lewy-Body-Demenz • Fluktuationen der kognitiven Fähigkeiten mit Schwankungen der Vigilanz und Aufmerksamkeit • wiederholte detaillierte optische Halluzinationen (Menschen, Tiere, Szenen) • spontane motorische Parkinson-Symptomatik (Beginn der Demenz nicht später als ein Jahr danach) • REM-Schlaf-Verhaltensstörung • wiederholte Stürze und Synkopen, vorübergehender unerklärter Bewusstseinsverlust • schwere autonome Dysfunktion (Orthostase, Urininkontinenz)
Besonderheiten bei Lewy-Body-Demenz • Antipsychotika-Empfindlichkeit! (Somnolenzattacken, Parkinson-Symptomatik ) ausschliesslich Clozapin (6,25 - 50mg/d) oder Quetiapin (25 - 150mg/d)! • Acetylcholinesterasehemmer (Rivastigmin) bei BPSD 1. Wahl vor Antipsychotika-Gabe
Fronto-temporale Demenz (mit führender Wesensänderung) • Störung im zwischenmenschlichen Kontakt • Verhaltensauffälligkeiten (Vernachlässigung der Hygiene, Hyperoralität, Utilisationsverhalten, …) • Emotionale Indifferenz / Gleichgültigkeit / Mangel an Krankheitseinsicht • Sprach- und Sprechstörungen (Logorrhoe, Sprachverarmung, Echolalie) • Antriebsstörung • Gedächtnis und Orientierung oft erhalten
Besonderheiten bei fronto-temporaler Demenz • Serotonerge Substanzen (SSRI, Trazodon) haben Effekt auf Verhaltensauffälligkeiten • Antipsychotika bei Enthemmung • Keine Acetylcholinesterasehemmer!
DELIR
Delir - Synonyme • Akuter Verwirrtheitszustand • Akutes HOPS • Durchgangssyndrom • Akute zerebrale Insuffizienz
Ein Delir ist charakterisiert durch einen akuten Beginn und ein Fluktuieren der Störungen der geistigen Fähigkeiten, der Aufmerksamkeit, der Psychomotorik, des Schlaf-Wach-Rhythmus und der Bewusstseinslage. Es ist gewöhnlich reversibel, wenn die Ursache beendet und behandelt ist.
Weitere typische Symptome des Delirs: • Wahn, Ängste • Halluzinationen, illusionäre Verkennungen • Emotionale Labilität • Sprachstörungen
Subtypen des Delirs • Hyperaktives D. (selten, 2%): Agitiertheit, paranoide Ideen, ununterbrochene Bewegungsaktivität, leicht irritierbar • Hypoaktives D. (45%): ruhig bis apathisch, paranoide Ideen (Depressiv? Demenz? Normale Rekonvaleszenz?) • Gemischt hyper-/hypoaktives D. (55%)
Ein Delir kann eine bislang nicht manifeste Demenz zur vollen Ausprägung bringen! Ein Delir kann zur anhaltenden Verschlechterung des dementiellen Syndroms führen! Delir im Alter nicht generell reversibel!
Delir - Epidemiologie Im Krankenhaus - Intern. Patienten > 65 J.: bei Aufnahme 10-30% (Siddiqui 2006) - > 70 J.: Inzidenz während stat. Aufenthalts 30-50% (Siddiqui 2006) - Postoperativ: 25-70% (Levkoff 1991, Bickel 2004) Ambulant - > 85 J., nicht-dement: Inzidenz innerhalb 3 J. 10% (Rahkonen 2001) Im Pflegeheim - Prävalenz 58% (Sandberg 1998) - Nach Aufnahme ins Heim 6,5%, 40% subsyndromal (von Gunten 2010)
Prädisponierende Faktoren für ein Delir • Alter • Sensorische • Zerebrale Beeinträchtigung Vorschädigung • Reduz. Mobilität /ADL- • Depression Einschränkung • Demenz • Multimorbidität • Malnutrition • Medikamente (>5) der alte pflegebedürftige Mensch
Delir - Auslösefaktoren Internistisch: Perioperativ: Infektion RR-Abfall Hypoxämie Herzzeitvolumen Hypotonie / Anämie Blutverlust Niereninsuffizienz Frakturen Exsikkose große Operationen Elektrolytstörungen Schmerzen Hyper-/Hypoglykämie Insomnie kataboler Zustand Medikation Medikation (…)
Delir - iatrogene Auslösefaktoren Auslöser Relatives Risiko • Fixierung 3,5 • > 3 neue Medikamente 2,9 • Blasenkatheter 3,1 • 3 zusätzliche immobilisierende Massnahmen 1,8 • weniger als ein Mal täglich aus dem Bett 2,3 • Malnutrition 3,9 • Dehydratation 1,5 (Inouye 1996/1998)
STRESS Neurotransmitter- Ungleichgewicht noch ausgeprägter als bei Demenz allein
Potentiell delirogene Medikation (anticholinerg, dopaminerg, GABAerg) • Atropin, Scopolamin • Zentrale Antihypertensiva • Antihistaminika • Digitalis • Parkinson-Medikamente • Antibiotika • Spasmolytika • Kortikoide • Antidepressiva • Opioide, NSAR • Antipsychotika • Antikonvulsiva • Benzodiazepine • …
Häufig angewandte, aber bei Demenz obsolete (weil delirogene) Medikation: • Promethazin (Atosil®) • Trizyklische Antidepressiva • Gyrasehemmer (Ciprofloxacin, Moxifloxacin, …)
Medikamentöse Behandlung des Delirs • Haloperidol 0,5 – 1 mg 2 bis 4x/d • Risperidon 0,25 – 1 mg 2x/d • (Lorazepam 0,5 – 1 mg 3x/d (nur bei starker Agitation)) • Cholinesterasehemmer in üblicher Dosis bei prolongiertem Delir Bei Morbus Parkinson, Lewy-Body-Demenz • Quetiapin 25 – 150 mg 2x/d • Clozapin 6,25 – 50 mg 1 bis 2x/d Zuerst aber: Die Ursache beheben!
Hilfreiche Listen zur Beurteilung potentiell inadäquater Medikation (PIM) für ältere Menschen: • Beers-Liste (USA) • Priscus-Liste ( www.priscus.net ) • FORTA-Klassifikation („Fit fOR The Aged“)
FAZIT • Antidementiva als Basistherapie • Bei Verhaltens- und Erlebensstörungen zunächst psychosoziale Interventionen, Antipsychotika (Risperidon…) und Antidepressiva wirksam • Vermeidung anticholinerger und sedierender (Benzodiazepine!) Medikation, regelmäßige Überprüfung der Indikation der psychotropen Medikation (absetzen?) • Vorsicht mit Antipsychotika bei Lewy-Body-Demenz! • Ans Delir denken bei akuter Verschlechterung der kognitiven Fähigkeiten und Bewußtseinsstörung
michael.guhra@evkb.de
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