Schriftliche Kleine Anfrage

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BÜRGERSCHAFT
DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG                                  Drucksache   22/1184
22. Wahlperiode                                                                           01.09.20

                       Schriftliche Kleine Anfrage
         der Abgeordneten Sandro Kappe und Dennis Thering (CDU) vom 25.08.20

                           und   Antwort des Senats

      Betr.:   Wiedergewährte Betriebserlaubnis für das private Tierversuchslabor
               von LPT in Hamburg-Neugraben – Wurden die systematischen Miss­
               stände wirklich behoben?

      Einleitung für die Fragen:
               Das Laboratorium für Pharmakologie und Toxikologie (LPT) in Hamburg-Neu­
               graben war und ist eines der größten Tierversuchslabore in Deutschland. Am
               14. Februar 2020 hatte die Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz
               (BGV) LPT mit sofortiger Wirkung die Erlaubnis entzogen, in Hamburg Tiere
               zu halten.
               Dem war im Oktober 2019 die Veröffentlichung von Undercover-Aufnahmen
               des SOKO Tierschutz e.V. und anderen Tierschutzorganisationen im Internet
               vorangegangen, die auf erschreckende Art und Weise die Misshandlung von
               Versuchstieren am LPT-Standort im niedersächsischen Mienenbüttel zeigten.
               Im November wurden Ausschnitte dieser Aufnahmen durch das MDR-Magazin
               „FAKT“ ausgestrahlt.
               Über die darauffolgende behördliche Zusammenarbeit zwischen Niedersach­
               sen und Hamburg wurde dann auch dem LPT-Standort in Neugraben im Feb­
               ruar 2020 die Erlaubnis zur Tierhaltung entzogen. Begründet wurde dies mit
               „schwerwiegenden Verstößen gegen das Tierschutzgesetz sowie weiterer
               Verstöße gegen Dokumentations- und Genehmigungspflichten“. Zudem stand
               und steht der Vorwurf der Manipulation von Testreihen im Raum.
               Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat:
      Einleitung für die Antworten:
      Nach erheblichen tierschutzrechtlichen Verstößen des Laboratory of Pharmacology and
      Toxicology GmbH & Co. KG (LPT) am Standort Mienenbüttel in Niedersachsen hat die
      für die Freie und Hansestadt Hamburg zuständige Behörde im Februar 2020 die tier­
      schutzrechtlichen Haltungs- und Versuchserlaubnisse für den Versuchsstandort Ham­
      burg-Neugraben wegen Unzuverlässigkeit der Verantwortlichen widerrufen, die Durch­
      führung angezeigter Versuche untersagt und zugleich die sofortige Vollziehbarkeit der
      Entscheidungen angeordnet. Grund für die Entscheidung waren nicht vergleichbare
      Verstöße am Standort Hamburg-Neugraben, sondern insbesondere die teilweise iden­
      tische persönliche und gesellschaftsrechtliche Verantwortlichkeit für beide Standorte
      innerhalb des Unternehmens. Nach entsprechenden Veränderungen innerhalb des
      Unternehmens hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom
      15. Juli 2020 unanfechtbar entschieden, dass LPT seinen Betrieb in Hamburg-Neugra­
      ben sofort und ohne Einschränkungen wieder aufnehmen darf. Daraufhin hat die
      zuständige Behörde im Rahmen des Widerspruchsverfahrens Auflagen für den weite­
      ren Betrieb erlassen und wird die Kontrolldichte nach Wiederaufnahme des Betriebs
      noch weiter intensivieren.
      Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt:
Drucksache 22/1184      Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 22. Wahlperiode

Frage 1:         Welchen Einrichtungen haben in den Jahren seit 2015 Tierversuche
                 in Hamburg durchgeführt und welche dieser Standorte sind aktuell
                 aktiv?
Antwort zu Frage 1:
Die aktuell aktiven Hamburger Tierversuchseinrichtungen sind:
- Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin,
- Evotec SE,
- Heinrich-Pette-Institut - Leibniz-Institut für Experimentelle Virologie,
- Laboratory of Pharmacology and Toxicology GmbH & Co. KG,
- Universität Hamburg, Biozentrum Grindel und Institut für marine Ökosystem- und
   Fischereiwissenschaften,
- Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.
Im Übrigen siehe Drs. 21/7594.

Frage 2:         Wie viele amtliche Kontrollen dieser Einrichtungen wurden seit 2015
                 wann jeweils durchgeführt? (Bitte für jede Einrichtung unter Angabe
                 der exakten Zeitpunkte aufschlüsseln.)
Antwort zu Frage 2:
Im Jahr 2020 (Stand 26.08.2020) wurden jeweils drei tierschutzfachliche Kontrollen in
den Einrichtungen des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin und der Evotec SE
durchgeführt. Je zwei tierschutzfachliche Kontrollen wurden 2020 in den Einrichtungen
des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf und bei LPT vorgenommen. Die exakten
Zeitpunkte werden statistisch nicht erfasst. Dafür müssten rund 50 Akten händisch aus­
gewertet werden, was in der für eine Schriftliche Kleine Anfrage zur Verfügung stehen­
den Zeit nicht möglich ist.
Im Übrigen siehe Drs. 21/7594, Drs. 21/7809, Drs. 21/18654 und Drs. 21/18676.
Zudem hatte bereits 2015 eine Routineinspektion der guten Herstellungspraxis (good
manufacturing practice, GMP) bei LPT stattgefunden.

Frage 3:         Bei wie vielen Kontrollen handelte es sich jeweils um Routinekontrol­
                 len oder um anlassbezogene Kontrollen?
Antwort zu Frage 3:
Es wurden drei anlassbezogene tierschutzrechtliche Kontrollen und eine anlassbezo­
gene Inspektion der guten Herstellungspraxis (good manufacturing practice, GMP) bei
LPT in Hamburg seit Bekanntwerden der Vorwürfe bezüglich des LPT-Standorts im nie­
dersächsischen Mienenbüttel durchgeführt. LPT ist derzeit die einzige Einrichtung in
Hamburg, die der GMP-Überwachung unterliegt.
Bei den übrigen Kontrollen handelt es sich um regelhafte Überwachungen, ohne dass
Hinweise auf Verstöße vorausgegangen sind.

Frage 4:         Wie viele dieser Kontrollen erfolgten mit und wie viele ohne Ankündi­
                 gung?
Antwort zu Frage 4:
Sieben Kontrollen erfolgten unangekündigt, 32 Kontrollen erfolgten angekündigt.

Frage 5:         Wie viele und welche Mängel wurden im Rahmen dieser Kontrollen
                 seit 2015 jeweils amtlich festgestellt? (Bitte jahresweise für jede Ein­
                 richtung aufschlüsseln.)

Frage 6:         Welche amtlichen Maßnahmen beziehungsweise Anordnungen wur­
                 den auf der Basis dieser festgestellten Mängel für diese Einrichtun­
                 gen abgeleitet? (Bitte jahresweise für jede Einrichtung aufschlüs­
                 seln.)

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Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 22. Wahlperiode     Drucksache 22/1184

Antwort zu Fragen 5 und 6:
Bei den GMP-Kontrollen bei LPT ergaben sich 2015 drei Mängel in Zusammenhang mit
der Festlegung von Wartungsintervallen von Geräten, der Kontrolle der Haltbarkeiten
analytischer Standards und dem Umgang mit Querverweisen in Standardarbeitsanwei­
sungen. In 2018 wurden fünf Mängel in Zusammenhang mit der Durchführung einer
Methode der europäischen Pharmakopöe, der Aktualisierung von Firmen-Grundriss­
zeichnungen nach Umbau, Änderungskontrollverfahren für Formblätter sowie Tempe­
raturkontrollen bei der Lagerung von Zelllinien beanstandet. 2019 wurde ein Mangel bei
der Übernahme einer Zahlenkolonne in ein Computerprogramm festgestellt. Die Art der
vorgefundenen Mängel erforderte keine Sofortmaßnahmen. Stattdessen wurden jeweils
Fristen zur Abstellung der Mängel gesetzt. Im Ergebnis wurden die festgestellten Män­
gel jeweils fristgerecht behoben.
Die tierschutzrechtlichen Anordnungen an die Firma LPT aus dem Februar 2020 erfolg­
ten aufgrund der Vorkommnisse am Standort Mienenbüttel in Niedersachsen.
Im Übrigen siehe Drs. 21/7594, Drs. 21/18939, Drs. 21/7809. Die Angaben sind auch
für die Jahre nach 2016 zutreffend.

Frage 7:          Haben sich der Senat beziehungsweise die zuständigen Behörden
                  seit 2015 mit der Frage befasst, auch für Versuche an Kleintieren eine
                  Genehmigungspflicht einzuführen?
                  Wenn ja, mit welchem Ergebnis?
Antwort zu Frage 7:
Eine grundsätzliche Genehmigungspflicht für Versuche an Kleintieren besteht bereits.
Gemäß § 8 Absatz 1 Tierschutzgesetz (TierSchG) gilt: Wer Versuche an Wirbeltieren
oder Kopffüßern durchführen will, bedarf der Genehmigung des Versuchsvorhabens
durch die zuständige Behörde. In § 8a TierSchG sind die Ausnahmen für anzeigepflich­
tige Tierversuche genannt, diese können auch Kleintiere betreffen.
Mit der vom Senat beschlossenen Bundesratsinitiative wird allerdings eine generelle
Genehmigungspflicht für sämtliche Tierversuche gefordert. Lediglich Tierversuche, die
infolge eines genehmigten Versuchsvorhabens als gleichartig im Sinne von § 37 Absatz
1 Tierschutz-Versuchstierverordnung (TierSchVersV) angesehen werden können, sol­
len anzeigepflichtig sein.

Frage 8:          Hat die Freie und Hansestadt Hamburg (FHH) die rechtliche Möglich­
                  keit, Veterinäre als Aufseher jedes Tierversuches in Hamburg anzu­
                  ordnen?
Antwort zu Frage 8:
Gemäß § 10 Absatz 1 TierSchG müssen Einrichtungen und Betriebe, in denen Tierver­
suche durchgeführt werden, über Tierschutzbeauftragte verfügen. Nach § 5 Absatz 3
Satz 1 Tierschutz-Versuchstierverordnung (TierSchVersV) können zum Tierschutzbe­
auftragten nur Personen mit abgeschlossenem Hochschulstudium der Veterinärmedizin
bestellt werden. Die zuständige Behörde kann gemäß § 5 Absatz 3 Satz 4 TierSch­
VersV Ausnahmen genehmigen, wenn die nach § 5 Absatz 4 TierSchVersV erforderli­
chen Kenntnisse und Fähigkeiten im Bereich der Versuchstierkunde nachgewiesen
worden sind und die Person die erforderliche Zuverlässigkeit hat.
Mit der vom Senat beschlossenen Bundesratsinitiative wird gefordert, dass die Ausnah­
meregelung für Tierschutzbeauftragte mit einem anderen als einem veterinärmedizini­
schen Hochschulabschluss zukünftig entfällt, wobei ein Bestandsschutz für derzeit
bereits tätige Tierschutzbeauftragte zu berücksichtigen ist.
Im Übrigen siehe Drs. 21/7594.

Frage 9:          Bestand beziehungsweise besteht ein Austausch zwischen den Tier­
                  schutzorganisationen SOKO Tierschutz e.V., Cruelty Free Internatio­
                  nal und/oder anderen Tierschutzorganisationen mit der Behörde für
                  Justiz und Verbraucherschutz beziehungsweise bis 30.06. mit der
                  Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz (BGV)?

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                 Wenn ja, mit welchen Organisationen fanden seit 2015 wie viele Ter­
                 mine zu welchen Themen statt?
Antwort zu Frage 9:
Im Rahmen der Schließung von LPT am Standort Neugraben hat ein Austausch mit
dem Deutschen Tierschutzbund zur Vermittlung der verbliebenen Tiere an verschie­
dene Tierschutzorganisationen stattgefunden. In der Vergangenheit wurden in der
Regel schriftliche Anfragen verschiedener Tierschutzorganisationen an die zuständige
Behörde gerichtet, die schriftlich beantwortet wurden. Ein Austausch in gemeinsamen
Terminen hat aber ebenfalls stattgefunden, beispielweise zur Übergabe einer Petition
mit verschiedenen Tierschützern im Jahr 2015 und zum Thema Alternativen zu Tierver­
suchen mit der Tierrechtsinitiative Hamburg im Jahr 2020.
Entsprechende Termine werden nicht statistisch erfasst. Zur detaillierten Beantwortung
der Fragestellung müssten daher umfangreiche Akten der betroffenen Fachbereiche
gesichtet werden, was in der zur Beantwortung einer Schriftlichen Kleinen Anfrage zur
Verfügung stehenden Zeit nicht möglich ist.

Frage 10:        Wurden seit 2015 seitens der Hamburger Behörden Genehmigungen
                 für Tierversuche ausgestellt, die für Kosmetikprodukte genutzt wur­
                 den und nicht für lebenswichtige Impfstoffe/Medikamente?
                 Wenn ja, bitte die Anzahl jahresweise aufschlüsseln.

Frage 11:        Wurden am Hamburger Standort des Unternehmens LPT am Red­
                 derweg 8 in Neugraben seit 2015 nicht genehmigungspflichtige Tier­
                 versuche für rein kosmetische Produkte durchgeführt?
                 Wenn ja, bitte die Anzahl jahresweise aufschlüsseln.
Antwort zu Fragen 10 und 11:
Nein. Im Übrigen siehe Drs. 21/7594.

Vorbemerkung: „Wir werden außerdem darauf drängen, dass das zuständige Bun­
              desministerium die in Deutschland geltenden Regeln zügig an schär­
              feres europäisches Recht anpasst und die EU-Tierschutzrichtlinie
              umsetzt.“ So ließ sich Cornelia Prüfer-Storcks in einer PM von der
              Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz am 14.02.20 zitie­
              ren.

Frage 12:        Welche Maßnahmen wurden von der Stadt Hamburg seither ergrif­
                 fen, um im Bund das europäische Recht in Sachen Tierversuche und
                 Tierschutz voranzubringen?

Frage 13:        Wann wird sich die FHH „im Bundesrat dafür einsetzen, dass Tierver­
                 suche, wo möglich, vermieden und Tierleid gemindert wird“ (PM vom
                 24.08.20 der Behörde für Justiz und Verbraucherschutz)?

Frage 14:        Inwiefern wurde bereits eine Bundesratsinitiative gestartet?
Antwort zu Fragen 12, 13 und 14:
Der Senat hat am 25. August 2020 eine entsprechende Bundesratsinitiative beschlos­
sen. Vor der für die Plenarsitzung am 18. September 2020 vorgesehenen Zuleitung
wirbt die Freie und Hansestadt Hamburg gegenwärtig unter den Ländern um Mitantrag­
stellung.

Vorbemerkung: In der PM wurde weiter ausgeführt, dass das „LPT zwischenzeitlich
              unter anderem einen neuen Geschäftsführer, einen neuen Tier­
              schutzbeauftragten und neue Tierversuchsleiter bestellt“ hätte.

Frage 15:        Welche anderen Mitarbeiter wurden neben den genannten ausge­
                 tauscht?

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Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 22. Wahlperiode    Drucksache 22/1184

Antwort zu Frage 15:
Außer dem Geschäftsführer, dem Tierschutzbeauftragten und Tierversuchsleitern wur­
den auch die stellvertretenden Versuchsleiter und die verantwortliche Person für die
Tierhaltung (Tierhausleitung) ausgetauscht.

Frage 16:         Welche Qualifikationen weist der neu einberufene Tierschutzbeauf­
                  tragte des LPT in Hamburg-Neugraben auf?
Antwort zu Frage 16:
Der neu einberufene Tierschutzbeauftragte ist Fachtierarzt für Versuchstierkunde und
verfügt über eine mehrjährige Erfahrung als Tierschutzbeauftragter in Einrichtungen mit
verschiedenen Themenschwerpunkten.

Frage 17:         Ist der zuständigen Behörde bekannt, welche Mitarbeiter/-innen für
                  die Misshandlungen von Versuchstieren verantwortlich waren?

Frage 18:         Wenn nicht, warum darf der Betrieb mit dem bisherigen, in die Miss­
                  handlungen verwickelten Personal, wieder aufgenommen werden?
Antwort zu Fragen 17 und 18:
Die vorgeworfenen Misshandlungen betreffen den Standort Mienenbüttel in Nieder­
sachsen. Soweit Mitarbeiter am Standort in Niedersachsen verantwortlich tätig waren,
waren diese nicht in Hamburg tätig oder wurden ausgetauscht. Im Übrigen siehe Vor­
bemerkung und Antwort zu 15.

Frage 19:         Sollen auch andere Labore in Hamburg, die Tierversuche durchfüh­
                  ren, verstärkt kontrolliert werden?
Antwort zu Frage 19:
Hamburger Einrichtungen werden in der Regel bereits häufiger kontrolliert als gesetz­
lich vorgesehen. Die Kontrollfrequenz wird in Hamburg anhand einer Risikoanalyse
festgelegt. Mit der vollständigen Umsetzung der EU-Richtlinie in nationales Recht wird
das in Hamburg bereits praktizierte Vorgehen rechtlich verbindlich festgelegt und noch
einmal für alle Einrichtungen intensiviert.

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