Schwarze Löcher in der Unternehmensverantwortung - Deutschlands Steinkohleimporte aus Kolumbien und die Folgen für die Menschenrechte - FIAN ...
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Schwarze Löcher in der Unternehmensverantwortung Deutschlands Steinkohleimporte aus Kolumbien und die Folgen für die Menschenrechte Internationale Menschenrechtsorganisation für das Recht sich zu ernähren
Impressum Herausgeber: FIAN Deutschland e.V. Briedeler Straße 13 D-50969 Köln fian@fian.de www.fian.de Autor: Sebastian Rötters Gestaltung: Georg Temme Druck: Basis-Druck GmbH Duisburg Fotos: © FIAN/Sebastian Rötters oder siehe Bildunterschrift Titelfoto: Cerréjon-Tagebau Mit freundlicher Unterstützung durch die Köln, Oktober 2012 ISBN 978-3-943662-06-1
Inhaltsverzeichnis | Einleitung 4 | Steinkohle in Deutschland 5 | Der Steinkohle-Weltmarkt im Überblick 5 | Deutschlands Kohleimporte – 6 Kolumbien auf dem Vormarsch | Bergbau in Kolumbien 7 Der Krieg in Kolumbien 8 | Die Geschichte des Kohleabbaus in Kolumbien 9 | Die sozialen und ökologischen Folgen 11 des Kohleabbaus in Kolumbien Energiegewinnung auf Kosten der Natur 11 Steinkohlebergbau inmitten des bewaffneten Konflikts 12 Vertreibungen und Zwangsumsiedlungen 12 zugunsten des Kohlebergbaus Der Kohletransport: Albtraum für AnwohnerInnen 14 Recht vs Macht: Der rechtliche Rahmen zum 14 Schutz der Indigenen und afrokolumbianischen Bevölkerung | Die Situation der ArbeitnehmerInnen 16 im Kohlebergbau Häufige Unfälle mit tödlichen Folgen 16 Gesundheitsschäden der KohlearbeiterInnen 16 Die schwierige Lage der Gewerkschaften 16 Die Ermordung von Victor Orcasita, Valmore Locarno 17 und Gustavo Soler | Taugt der Bergbau als Entwicklungsmotor? 17 | Deutschlands Mitverantwortung 19 Schwarze Löcher in der Unternehmensverantwortung | 3
Einleitung Die kolumbianische Steinkohle ist dabei aus mehreren Gründen ein guter Untersuchungsgegenstand. Erstens ist Kolumbien Deutschland hat im Sommer 2011 den Ausstieg aus der Atom- 2011 zum wichtigsten Kohlelieferanten deutscher Kraftwerke kraft beschlossen. Seitdem wird intensiv über die Zukunft der aufgestiegen und aus diesem Grund ein wichtiger Pfeiler für die Energieversorgung diskutiert. Das letzte deutsche Atomkraftwerk deutsche Energieversorgung. Zweitens ist der kolumbianische wird voraussichtlich 2022 abgeschaltet. Eine vollständige Versor- Kohlebergbau recht übersichtlich gestaltet. Wenige große, gung durch erneuerbare Energien wird vielleicht 2050 erreicht. internationale Produzenten kontrollieren über 90 Prozent des An kontroversen Themen mangelt es nicht: Soll Kohle die Kohleabbaus vor Ort. Drittens ist die Informationslage über Atomkraft ersetzen? Lassen sich ohne Atomstrom die Klima- Menschenrechtsverletzungen und Umweltauswirkungen zwar schutzziele erreichen, wenn verstärkt Kohle zur Stromerzeugung noch sehr lückenhaft, aber aufgrund der jahrelangen Arbeit genutzt wird? Ist Braunkohle als heimischer Energieträger noch zivilgesellschaftlicher Gruppen generell deutlich besser als bei akzeptabel, obwohl deren Verbrennung massiv zum Klimawandel anderen Lieferantenländern. beiträgt? Und woher kommt eigentlich die benötigte Steinkohle, insbesondere wenn 2018 die letzten deutschen Zechen schlie- Unter dem Stichwort Transparenz wird aktuell vor allem dis- ßen? Der weltweite Kampf um die verbliebenen Rohstoffvorräte kutiert, wie Finanzströme besser offengelegt werden können. wird immer härter geführt. Die deutsche Bundesregierung hat Mindestens ebenso wichtig erscheint es jedoch, die Transparenz im Oktober 2010 auf massiven Druck des Bundesverbandes der der Warenströme herzustellen. Während das bei vielen metalli- deutschen Industrie (BDI) eine Rohstoffstrategie verabschiedet, schen Rohstoffen sehr kompliziert ist, weil diese oft mehrfach mit der die Rohstoffversorgung Deutschlands gesichert werden weiterverarbeitet werden, bevor sie nach Deutschland gelangen, soll. Auch auf europäischer Ebene macht die deutsche Industrie besteht dieses Problem beim Import von Steinkohle nicht. Druck und ist die treibende Kraft hinter der „Raw Materials Ini- Sie wird nahezu unbearbeitet importiert und verbrannt, so tiative“, mit der die EU auf den wachsenden Konkurrenzdruck dass eine kurze und recht übersichtliche Wertschöpfungskette beim Kampf um Rohstoffe reagiert hat. Doch welche Rolle spielen besteht, die leicht darstellbar wäre. bei all diesen Fragen Umwelt und Menschenrechte? Wie trans- parent ist der Handel mit Rohstoffen und welche Auswirkungen Diese Studie möchte zeigen, welche Transparenz- und Ver- hat unser Rohstoffhunger in den Abbauregionen? antwortungslücken bestehen und wie diese möglicherweise geschlossen werden könnten. Am Beispiel der Steinkohle- Diese Studie möchte am Beispiel der Steinkohleimporte aus importe soll aufgezeigt werden welche Schritte nötig sind, Kolumbien genau die Fragen untersuchen, die bei der gesamten um in Zukunft zu einer menschenrechtskonformen Energie- und Debatte um die Energieversorgung, aber auch bei der gleichzeitig Rohstoffpolitik zu gelangen. stattfindenden Debatte um Deutschlands Rohstoffversorgung bestenfalls eine Nebenrolle spielen: Aus Klimaschutzgründen kann nur der komplette Ausstieg aus der Kohleverstromung ein erstrebenswertes Ziel sein. Im Rahmen • Woher stammt die Steinkohle, die benötigt wird, damit in der aktuellen Debatte über Deutschlands Energiezukunft muss Deutschland „nicht die Lichter ausgehen“? Wie transparent ist die Politik klare Vorgaben machen, wie dieser Ausstieg möglichst der internationale Steinkohlehandel? schnell und effektiv erreicht werden kann. Für die Übergangszeit • Welche Folgen hat der Abbau der Kohle für Menschen und müssen jedoch überdies Wege gefunden werden, damit Abbau, Umwelt vor Ort? Wieviel wissen Energieversorger oder Bundes- Handel und Verstromung von Kohle transparenter gestaltet werden regierung über diese Folgen? Welche Informationen stellen sie und nicht zu Menschenrechtsverletzungen beitragen, für die am interessierten VerbraucherInnen zur Verfügung? Ende niemand verantwortlich sein will. Eine wichtige Rolle spielen • Tragen die Energieversorger als Käufer der Energierohstoffe dabei auch kritische Verbraucherinnen und Verbraucher, die mehr eine Mitverantwortung für etwaige Menschenrechtsverletzungen Transparenz einfordern und Druck auf Staaten und Unternehmen oder Umweltzerstörungen in den Abbaugebieten? Wenn ja, ausüben können, damit diese tatsächlich Verantwortung für die wie nehmen sie diese wahr? Folgen ihres Handelns übernehmen. RWE-Tagebau Hambach 4 | Schwarze Löcher in der Unternehmensverantwortung
der Importquote von 100 Prozent zum Trotz. Dies wirft die Frage auf, woher genau diese Steinkohle kommt und welchen sozialen und ökologischen Preis sie hat. Denn der Abbau von Steinkohle ist ebenso wie der Abbau anderer mineralischer oder energe- tischer Rohstoffe mit massiven Folgen für Mensch und Umwelt verbunden.2 Steinkohlekraftwerk Staudinger von E.ON | Steinkohle in Deutschland Der Abbau und die Verstromung von Steinkohle haben in Deutsch- land eine lange Tradition. Die ehemals reichen Kohlevorkommen haben beispielsweise im Ruhrgebiet und im Saarland stark zur industriellen Entwicklung beigetragen. Vor allem wegen der Kohle war das Ruhrgebiet lange Zeit das Herz der deutschen Industrie. Mitte der 50er Jahre wurden in Deutschland 150 Millionen Tonnen Steinkohle pro Jahr gefördert. Doch diese Zeiten sind lange vor- bei. Seit der Kohlekrise 1957/58 sank die Fördermenge bis heute RWE-Tagebau Hambach mit den Kraftwerken Neurath und Frimmersdorf in mehreren Stufen auf weniger als ein Zehntel dieser Menge. Nur dank hoher Subventionen kann der heimische Bergbau heute noch mit dem Weltmarkt konkurrieren. Die Kohle-Kumpel, noch in den 80er Jahren eine ernstzunehmende politische Größe | Der Steinkohle-Weltmarkt im Überblick im Ruhrgebiet, die von keiner Regierung ignorieren werden konnte, sind heute eine aussterbende Spezies in Deutschland. 2018 laufen Die Verfeuerung von Kohle trägt massiv zum Anstieg des die Kohlesubventionen aus. Gut 60 Jahre nach dem Förderhöhe- CO2-Gehaltes in der Atmosphäre und damit zum Klimawandel punkt werden dann aufgrund mangelnder Rentabilität die letzten bei. Trotz dieser seit langem bekannten Tatsache steigen die deutschen Zechen geschlossen. Das ehemalige Rückgrat der Förderung und der Verbrauch von Stein- und Braunkohle nach deutschen Wirtschaft bleibt dann mit den massiven Rückenleiden wie vor von Jahr zu Jahr an. Kein anderer Primärenergieträger zurück, welche durch die zahllosen Bergschäden ausgelöst werden. hat in den letzten Jahren mehr zugelegt als Kohle. Um satte Bildlich gesprochen teilen Saarland und Ruhrgebiet somit das 28 Prozent stieg der Verbrauch im Zeitraum 2000-2010.3 Die Zah- Schicksal tausender Kohlekumpel, die ebenfalls einen hohen Preis len sind besorgniserregend: 2011 wurden weltweit 6.960 Millio- für die Arbeit unter Tage gezahlt haben. Diese Spätfolgen werden nen Tonnen Stein- und 1.042 Millionen Tonnen Braunkohle ge- noch jahrzehntelang hohe Kosten verursachen. fördert.4 Doch Kohle ist generell keine klassische Ware für den Weltmarkt. Für die deutsche Energieversorgung bleibt diese Entwicklung zunächst einmal praktisch folgenlos. Die beständig sinkende heimi- Braunkohle eignet sich aufgrund ihres hohen Wasser- und sche Steinkohleproduktion wird schon seit Jahren durch steigende geringen Energiegehaltes nur dann zur Stromerzeugung, wenn Importe ausgeglichen. Der absolute Kohleverbrauch in Deutschland diese in unmittelbarer Nähe zu den Abbaustätten erfolgen kann. liegt seit Jahren zwischen 55 und 65 Millionen Tonnen pro Jahr. Aus diesem Grund werden Braunkohlekraftwerke praktisch Die Importquote lag 2011 bei ungefähr 80 Prozent.1 Ab 2018 muss immer in der Nähe der Vorkommen errichtet. Im rheinischen der gesamte Bedarf über Importe aus dem Ausland abgedeckt Braunkohlerevier beispielsweise stehen die Großkraftwerke werden. Die Zukunftsplanungen der Energieversorger werden vom Niederaußem, Neurath, Frimmersdorf und Weisweiler in Sicht- Ende des heimischen Steinkohlebergbaus jedoch kaum tangiert. weite der Braunkohletagebaue. Zahlreiche neue Kohlekraftwerke sind im Bau oder in Planung und sollen mit importierter Kohle befeuert werden. Neue Steinkohle- kraftwerke müssen aufgrund der langen Amortisationszeit von 25-30 Jahren sehr lang betrieben werden, um rentabel zu sein. Daraus folgt, dass die Stromversorger der Steinkohle auch für die nächsten Jahrzehnte eine tragende Rolle zugedacht haben, 2 Grubenunglücke, bei denen Bergleute verschüttet werden, unterirdische Kohlebrände, beispielsweise in China, das sogenannte Mountain-Top-Removal in den USA, der ständige Landkonflikt zwischen lokaler Bevölkerung und Bergbau-Konzernen uvm. 1 Verein der Kohlenimporteure, Jahresbericht 2012, S. 2 3 European Association for Coal and Lignite, http://www.euracoal.org/pages/layout1sp.php?idpage=427 http://www.verein-kohlenimporteure.de/download/2012/VDKI_Jahresbericht_2012.pdf (abgerufen am 27. 10. 2012). (abgerufen am 27. 10. 2012) 4 VDKi 2012, S. 2. Schwarze Löcher in der Unternehmensverantwortung | 5
| Deutschlands Kohleimporte – Kolumbien auf dem Vormarsch Bis einschließlich 2008 wurde der deutsche Importkohlebedarf vor allem von Südafrika, Russland und benachbarten EU-Ländern gedeckt. Doch Südafrika, lange Zeit gemeinsam mit Russland der wichtigste Lieferant für deutsche Kraftwerke, hat den Eigenver- brauch stark erhöht und seine Kohleexporte größtenteils vom atlantischen in den stark wachsenden pazifischen Markt (vor allem Indien) umgeleitet. Während Russland nach wie vor ein wichtiger Lieferant ist, hat vor allem Kolumbien seine Exporte nach Europa und insbesondere nach Deutschland stetig erhöht. Der Andenstaat hat im Sommer 2011 Russland als größten Liefe- ranten deutscher Kraftwerke abgelöst. Lag die Liefermenge 2004 noch bei 3,7 Millionen Tonnen, stieg sie 2011 auf über zehn Mil- lionen Tonnen – Tendenz steigend.5 Kolumbien konnte dank großer Produktionssteigerungen und günstiger Preise die Lücke schließen, die Südafrika hinterlassen hatte. Deutschland ist aktuell einer der größten, möglicherweise sogar der größte Verbraucher kolumbiani- scher Kohle. Praktisch alle deutschen Kohle verstromenden Unter- Kohlelastwagen von Cerrejón nehmen beziehen Kohle aus dem südamerikanischen Land. Kohleimporte Deutschland aus Kolumbien Der hohe Energiegehalt von Steinkohle ermöglicht den Trans- Einerseits spielt also Kolumbien port über größere Entfernungen. Dennoch wurde auch bei für die deutsche Energiever- 2004 3.718.125 t diesem Energieträger 2010 ca. 85 Prozent der Fördermenge im sorgung eine immer wichtigere 2005 3.068.367 t Erzeugerland verfeuert. 15 Prozent gelangten auf den inter- Rolle. Andererseits sind die 2006 4.183.711 t nationalen Kohlemarkt. Zwar erscheint dieser Anteil zunächst deutschen Stromversorger als 2007 5.922.966 t nicht besonders hoch, doch immerhin geht es bei der gehan- Großabnehmer der Kohle aber 2008 4.667.322 t delten Menge noch immer um fast 1.000 Millionen Tonnen auch wichtige Geschäftspartner 2009 6.486.920 t Steinkohle pro Jahr. der Bergbaukonzerne. Die zent- 2010 7.859.662 t rale Frage dieser Studie lautet: 2011 10.438.263 t Der Kohle-Weltmarkt lässt sich grob in zwei große regionale Profitiert Deutschland nur von 2012 Jan-Aug 5.317.363 t Märkte unterteilen: den Pazifik-Markt und den Atlantik-Markt. der günstigen Importkohle aus In ersterem beliefern die großen Förderländer Australien und Kolumbien und nimmt für die Indonesien vor allem Japan, China, Korea und Indien. Auf dem niedrigen Einkaufspreise Umwelt- und Menschenrechtsverletzungen Atlantik-Markt wiederum wird hauptsächlich Steinkohle aus billigend in Kauf oder nehmen E.ON, RWE und andere Stromver- Russland, den USA und Kolumbien gehandelt. Hauptimporteure sorger ihre Rolle als wichtige Geschäftspartner dergestalt wahr, sind hier Deutschland, die Türkei, Großbritannien und Italien. dass sie ihren Einfluss geltend machen, um die Einhaltung von Südafrika kann aufgrund seiner geographischen Lage gut beide nationalen und internationalen Sozial- und Umweltstandards Märkte bedienen. einzufordern? Insbesondere bei Kohleimporten aus einem Land, in dem seit mehr als 50 Jahren Bürgerkrieg herrscht, stehen die Un- Die kolumbianischen Steinkohlevorkommen bieten eine Reihe ternehmen in der Pflicht, genau hinzuschauen, was geschieht. von wirtschaftlichen Vorzügen. Die Kohleflöze liegen oberflä- chennah und sind daher problemlos im Tagebau zu erschließen. Sie liegen außerdem recht nah an der Karibikküste (150-250 km bis zum Verladehafen), sodass ein guter Zugang zum atlan- tischen Markt gewährleistet ist. Es handelt sich größtenteils um Kraftwerkskohle unterschiedlicher Qualität. Zwar wird in Kolumbien auch in geringeren Mengen Kokskohle gefördert, dies jedoch vor allem im Landesinneren. Für Deutschland ist Kolumbien in erster Linie als Lieferant von Kraftwerkskohle interessant. Cerrejón Tagebau Patilla 5 Online-Datenbank des Statistisches Bundesamt, Werte abrufbar unter https://www.destatis.de/DE/ ZahlenFakten/Wirtschaftsbereiche/Energie/Erzeugung/Tabellen/EinfuhrSteinkohleMonatlich.html 6 | Schwarze Löcher in der Unternehmensverantwortung
| Bergbau in Kolumbien Die wichtigsten kolumbianischen Kohleminen und Verladehäfen In Lateinamerika gelten Chile und Peru als traditionelle Bergbau- länder. Trotz des enormen Reichtums an Bodenschätzen spielte dagegen in Kolumbien der Bergbausektor lange Zeit eine unter- geordnete Rolle. Dies hat sich in den letzten Jahren massiv geän- dert. Insbesondere während der Präsidentschaft von Alvaro Uri- be Vélez (2002-2010) wurden in Kolumbien große Teile der Landesfläche für Rohstoffexplorationen (u.a. Gold, Öl, Gas, Steinkohle, Kupfer, Molybdän) konzessioniert. Während in der Zeit von 1990 bis 2002 nur ca. 630.000 Hektar vergeben wurden, waren es in den beiden Amtszeiten von Uribe ca. 4.800.000 Hektar. Nach Angaben des kolumbianischen Rechnungshofes (Contraloría) sind aktuell landesweit ca. 6.000.000 Hektar konzessioniert. Dies entspricht ungefähr der eineinhalbfachen Größe der Schweiz. Die wahre Dimension dieses Rohstoff-Ausverkaufs verdeutlicht eine andere Zahl. Der gleiche Bericht gibt an, dass zwischen 2000 und 2010 insgesamt 67.482.895 Hektar für neue Rohstoffkon- zessionen beantragt wurden. Dies entspricht 59 Prozent der ko- lumbianischen Landesfläche oder in etwa der Größe Frankreichs.6 Daher überrascht es nicht, dass die kolumbianischen Behörden bei der Vergabe und Kontrolle der Bergbaulizenzen nicht mehr Entwicklung gefährdet der Bergbau die Ernährungssicherheit Schritt halten können. tausender Menschen, die vom Zugang zu ihrem Land und dessen Nutzung abhängig sind. Der Export von Rohstoffen sichert nur Ungeachtet der damit verbundenen Gefahren haben sowohl Ex- begrenzte Zeit die Erwirtschaftung von Devisen, während der Präsident Uribe als auch die aktuelle Regierung von Präsident Bergbau die Existenzgrundlagen der ansässigen Bevölkerung auf Juan Manuel Santos den Bergbausektor zur Locomotora Minera unbegrenzte Zeit zerstört. („Entwicklungs-Lokomotive“) erklärt und für diesen Wirtschafts- zweig massiv um Investitionen aus dem Ausland geworben. Von besonderer Tragweite ist, dass zahlreiche Bergbauprojekte in Die „Entwicklungs-Lokomotive“ soll die kolumbianische Wirtschaft Gebieten durchgeführt werden oder vorgesehen sind, die zu den anschieben und zahlreiche Arbeitsplätze schaffen. Konfliktzonen des Landes gehörten oder nach wie vor gehören. Riesige Gebiete wurden konzessioniert und an internationale Dabei werden einseitig die angeblichen Vorteile dieser Entwicklung Konzerne vergeben, aus denen hunderttausende Menschen infolge propagiert und die Entwicklungshemmnisse und nachhaltigen der Schreckenstaten von bewaffneten Gruppen, insbesondere der Schäden, die der (exportorientierte) Rohstoffabbau mit sich bringt, rechtsextremen Paramilitärs, fliehen mussten. Die massiven und ignoriert. In vielen Teilen des Landes provozieren derzeit große systematischen Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen Bergbauprojekte massive Landnutzungskonflikte zwischen den wurden zum Mittel, um sich den Zugang zu rohstoffreichen Territo- Bergbaukonzernen einerseits und Indigener, afrokolumbianischer rien zu sichern. Staatliche Sicherheitskräfte haben diese Verbrechen und kleinbäuerlicher Bevölkerung andererseits. Im Namen der in vielen Fällen toleriert oder sogar aktiv unterstützt. Die durch Gewalt erzielten Landgewinne werden auf unterschiedliche Weise 6 Contraloria General de la República de Colombia, Estado de los Recursos Naturales y del Ambiente Minería legalisiert. Der Rohstoffreichtum, egal ob es sich dabei um Kohle, y Medio Ambiente – Evaluación de la implementación de la política nacional de humedales interiores Öl, Gold oder andere Bodenschätze handelt, wird so für die lokale en Colombia, Bogotá 2011, S. 131. Bevölkerung oft zum Ressourcenfluch. Cerrejón Tagebau Patilla Schwarze Löcher in der Unternehmensverantwortung | 7
paramilitärischen Terror haben sich bis heute kaum zivilgesell- Der Krieg in Kolumbien schaftliche Akteure herausbilden können. Tausende Kleinbauern und -bäuerinnen verloren ihr Land und mussten in die großen Kolumbien wird seit 50 Jahren von einem schweren Bürgerkrieg Städte oder in andere Regionen des Landes flüchten. Die Folgen erschüttert, der bis heute zehntausende Tote und Verschwun- dieser Gegen-Landreform sind insbesondere im Department Cesar dene und knapp vier Millionen im Land Vertriebene gefordert gut erkennbar. Viele tausend Hektar Ackerfläche werden heute hat. Hauptkonfliktparteien waren lange Zeit die linksgerichteten nicht mehr für den Anbau von Nahrungsmitteln, sondern für den Guerrilla-Gruppen FARC-EP (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Anbau von Ölpalmen genutzt. Aus diesen wird Palmöl gewonnen, Colombia – Ejercito del Pueblo/Revolutionäre Streitkräfte Kolum- welches u.a. auch als Agrosprit nach Deutschland exportiert wird. biens – Armee des Volkes), ELN (Ejercito de la Liberacion Nacional/ Die Subsistenzlandwirtschaft ist von der exportorientierten Land- Nationale Befreiungsarmee) und EPL (Ejercito Popular de Liberacion/ wirtschaft verdrängt worden, was die Nahrungsmittelversorgung Volksbefreiungsarmee) auf der einen sowie die staatlichen Sicher- gefährdet. Diese prekäre Situation wird durch den beständigen heitskräfte auf der anderen Seite. Ab Mitte der 80er Jahre traten Ausbau der Kohletagebaue massiv verschärft, da auch diese verstärkt paramilitärische Verbände auf den Plan, die in enger große Flächen landwirtschaftlichen Nutzlandes vernichten. Zusammenarbeit mit Armee und Polizei brutal gegen Gewerkschaf- Beispielsweise wurde in der Gemeinde La Jagua del Ibiríco vor ten und zivilgesellschaftliche Akteure vorgingen und unter dem dem Beginn des Kohlebergbaus auf über 80.000 Hektar Land Deckmantel der Guerrilla-Bekämpfung hunderttausende Bauern Reis angebaut. Heute ist die Gemeinde gezwungen, Reis aus und Bäuerinnen von ihrem Land vertrieben. Angeblich sollten der anderen Regionen zu importieren, weil praktisch die gesamte Guerrilla so die Rückzugsmöglichkeiten genommen werden („dem Fläche für den Bergbau konzessioniert wurde.7 Sowohl für die Fisch das Wasser abgraben“). Nachdem auf diese Weise die gewalt- Palmölanbaugebiete als auch für die Bergbaukonzessionen gilt, same Gegen-Landreform in vielen Teilen des Landes erfolgreich dass es bis zum heutigen Tag keine umfassende, unabhängige abgeschlossen worden war, schlossen die meisten paramilitärischen Untersuchung darüber gegeben hat, ob es sich bei dem fraglichen Verbände Mitte des letzten Jahrzehnts ein Abkommen mit der Land möglicherweise um Land von vertriebenen oder ermordeten kolumbianischen Regierung, welches ihnen weitgehende Straffrei- Kleinbauern gehandelt hat. heit bzw. vergleichsweise geringe Gefängnisstrafen garantierte. Im Gegenzug legten tausende Kämpfer die Waffen nieder. Offi- In der Folge des AUC-Demobilisierungsprozesses geriet vor allem ziell ist das Kapitel Paramilitarismus damit beendet, doch kon- das Unternehmen Drummond zunehmend unter Druck. Mehrere trollieren Reste der alten Verbände bzw. Nachfolgeorganisationen ehemalige Paramilitärs belasteten durch ihre Aussagen das Unter- nach wie vor weite Teile des Landes. nehmen und zahlreiche führende Mitarbeiter. Sie sagten aus, dass das Unternehmen durch Zahlungen in Millionenhöhe jahrelang zur Finanzierung des Nord-Blocks beigetragen habe. Sie führten aus, dass das Unternehmen den Aufbau der paramilitärischen Einheit Juan Alvarez finanziell unterstützt habe, die dann unter anderem für den Schutz der Drummond-Infrastruktur eingesetzt wurde. Außerdem sagten sie aus, dass führende Drummond-Mitarbeiter in die Morde an den Gewerkschaftern Victor Orcasita, Valmore Locarno und Gustavo Soler verwickelt gewesen sein sollen.8 Auch die Beteiligung des kolumbianischen Staates und der politischen Entscheidungsträger an den Verbrechen wurde bis heute nur wenig thematisiert, obwohl starke Verflechtungen Konfliktgebiet Kolumbien – Leben inmitten des Konflikts offensichtlich sind. Die Verbindungen zwischen Teilen des politischen Establishments, der staatlichen Sicherheitskräfte Der Konflikt in den Kohleabbauregionen und den paramilitärischen Einheiten waren so eng und weit verbreitet, dass insbesondere während der Regierungszeit von Der Kampf um territoriale Kontrolle hing ganz wesentlich mit Ex-Präsident Uribe von einer systematischen Zusammenarbeit dem Zugang zu Nutzland und Rohstoffvorkommen zusammen. ausgegangen werden muss. Jedoch wird die aktuelle Regierung Die Kohleabbaugebiete Kolumbiens waren und sind Schauplatz kaum die dringend notwendigen Untersuchungen mitsamt der des bewaffneten Konflikts. In der Guajíra und im Cesar fielen erforderlichen Entschädigungs- und Rückgabeverpflichtungen tausende Menschen den Eroberungsfeldzügen des paramilitäri- durchführen. Zahlreiche Mitglieder des aktuellen Kabinetts hatten schen Bloque Norte (Nord-Block) der AUC (Autodefensas Unidas schon unter Uribe wichtige Ämter bekleidet. In diesem Glashaus de Colombia/Vereinte Selbstverteidigungsgruppen Kolumbiens) wird besonders ungern mit Steinen geworfen. zum Opfer. Dieser Mitte der Neunziger Jahre begonnene Feldzug fand in den Jahren 2001 und 2002 seinen Höhepunkt. Im März 7 Acción Social, Análisis y evaluación del marco jurídico y los procedimientos que regulan la explora- 2006 legte der Bloque Norte offiziell die Waffen nieder. Für tau- ción y explotación minera en Colombia, para identificar su relación con las afectaciones a los derechos sende Kämpfer gab es nach der Eroberung der beanspruchten patrimoniales de las comunidades campesinas y los grupos étnicos con el fin de identificar alternativas Gebiete keine Verwendung mehr. Allerdings stehen weite Teile normativas, procedimentales y mecanismos comunitarios en función de salvaguardar los derechos sobre tierras y territorios, Julio Fierro Morales et al., Bogotá 29. 12. 2010, S. 138. der Karibikküste inklusive der Kohleabbauregionen nach wie 8 Los nexos de la Drummond y los paras según BamBam , http://www.verdadabierta.com/rearmados/3125- vor unter paramilitärischer Kontrolle. Diese wird jedoch seit los-nexos-de-la-drummond-y-los-paras-segun-bam-bam, 17. März 2011 (abgerufen am 27. 10. 2012) & der Demobilisierung sehr subtil ausgeübt und ist nicht mehr Blanco Maya confiesa que fue el puente entre Drummond y paras , http://verdadabierta.com/antioquia/ so offen sichtbar wie in früheren Jahren. Aus Angst vor dem index.php?option=com_content&id=3986 19. April 2012 (abgerufen am 27. 10. 2012). 8 | Schwarze Löcher in der Unternehmensverantwortung
Drummond-Verladehafen | Die Geschichte des Bergbaus in Kolumbien Später kam noch die Mine El Descanso hinzu. Das Unternehmen besitzt außerdem Konzessionen für weitere Kohlelagerstätten Der Startschuss für den exportorientierten Steinkohleabbau in (Similoa, Rincón Hondo), die zu einem späteren Zeitpunkt ausge- Kolumbien fiel 1975. Damals schloss das Staatsunternehmen beutet werden sollen. 2011 übernahm das japanische Unternehmen Carbones de Colombia (Carbocol) einen Vertrag mit Intercor, Itochu 20 Prozent der Anteile an Drummond. Im Jahr 2011 betrug einem Tochterunternehmen des Exxon-Konzerns, zur Ausbeutung die Produktionsmenge von Drummond 28 Millionen Tonnen. der Kohlevorkommen in der Umgebung des Berggipfels Cerrejón im nordöstlichen Department La Guajíra. Neben Cerrejón und Drummond ist vor allem der Schweizer Konzern Glencore für das Exportgeschäft relevant. Der Rohstoffkonzern Der ursprüngliche Vertrag sah drei Phasen vor: mit Sitz im Steuerparadies Zug ist seit Mitte der 1990er Jahre im kolumbianischen Kohlesektor aktiv. 1995 erwarb Glencore neben 1977-1980 Exploration der Kohlevorkommen den Anteilen an der Cerrejón-Konzession auch den kolumbiani- 1981-1986 Konstruktion der notwendigen Infrastruktur schen Kohleförderer CI Prodeco S.A., dessen Konzession für die zur Förderung Calenturitas-Mine und den Verladehafen Puerto Zúñiga. Glencore 1986-2009 Abbau der Steinkohle (die Konzession wurde stieß in den folgenden Jahren zwar seine Cerrejón-Anteile ab mittlerweile bis 2034 verlängert) (s.o.), kaufte gleichzeitig aber immer mehr Unternehmen und Tagebaue im Department Cesar. So wurden in den Jahren 2005 bis 2007 die Unternehmen Carbones de La Jagua, Consorcio Minero Bereits in der Konstruktionsphase wurden mehrere Gemeinden Unido und Carbones El Tesoro aufgekauft, die den sogenannten La der Wayúu-Indigenen vertrieben, um Platz zu schaffen für den Jagua-Minenkomplex bilden. Dieser liegt unmittelbar nordöstlich Bau des Verladehafens und der Zugstrecke, die den Hafen mit der Stadt La Jagua del Ibiríco, während die Calenturitas-Mine den Kohle-Tagebauen verbindet.9 Die Wayúu sind die größte etwas weiter westlich liegt. Die Aktivitäten von Drummond und Indigene Gruppe Kolumbiens und in der Region La Guajira und Glencore haben das Department Cesar zur wichtigsten Kohleregion den benachbarten Gebieten in Venezuela beheimatet. Im Jahr des Landes gemacht. Die Fusion von Glencore mit Xstrata trägt zu 2000 wurde das staatliche Kohleunternehmen Carbocol privati- einer weiteren Konzentration des Kohlegeschäftes in den Händen siert und an ein internationales Konsortium, bestehend aus BHP einiger weniger Konzerne in Kolumbien bei. Im Jahr 2011 betrug die Billiton, Anglo American und Glencore, verkauft. Dieses Konsortium Jahresproduktion von Glencore/Prodeco 14 Millionen Tonnen. erwarb zwei Jahre später auch die Anteile von Intercor (Exxon). 2006 verkaufte das Schweizer Unternehmen Glencore seine An- In der unmittelbaren Nachbarschaft von Drummond und Prodeco/ teile an den – gleichfalls Schweizer – Konzern Xstrata, mit dem Glencore fördert das Unternehmen Colombian Natural Ressources Glencore aller Voraussicht nach fusionieren wird. Aktuell ist das (CNR) Kohle in den Minen La Francia und El Hatillo. CNR befin- Unternehmen Carbones del Cerrejón Ltd zu gleichen Teilen in der det sich aktuell im Besitz der US-Investmentbank Goldman Sachs. Hand der Rohstoffkonzerne BHP Billiton, Anglo American und Im Department La Guajira steht außerdem mit dem brasilianischen Xstrata. Cerrejón ist aktuell der größte Steinkohleproduzent Kolum- Unternehmen CCX der nächste internationale Konzern in den Start- biens mit einer Jahresproduktion von über 30 Millionen Tonnen. löchern. CCX gehört zum Imperium des brasilianisch-deutschen Diese soll in den nächsten Jahren auf bis zu 60 Millionen Tonnen Milliardärs Eike Batista und möchte mit den kolumbianischen pro Jahr ausgebaut werden. Kohlevorkommen vor allem die brasilianischen und chilenischen Kraft- und Stahlwerke von MPX beliefern.10 Der deutsche Energie- Ende der 1980er Jahre begann auch im Department Cesar der versorger E.ON hat im Mai 2012 bekanntgegeben, sich umfassend Kohleabbau für den Export. Das US-amerikanische Familienun- ternehmen Drummond erwarb Abbaurechte in Kolumbien und 10 Ursprünglich wurden diese Konzessionen von dem brasilianischen Unternehmen MPX erworben, begann 1995 mit der Steinkohleextraktion im Tagebau Pribbenow. das zur EBX-Gruppe des deutschstämmigen Milliardärs Eike Batista gehört. Im Januar 2012 vereinbarten MPX und E.ON ein Joint Venture. Da sich das Joint Venture jedoch nur auf die Kohlekraftwerke von MPX, 9 „Bajo el Manto del carbón. Pueblos y multinacionales en las minas de El Cerrejón, Colombia“, nicht jedoch auf die kolumbianischen Kohlevorkommen bezieht, wurden diese Aktivitäten im Mai 2012 aus Aviva Chomsky, Gary Leech, Steve Striffler, Bogotá 2007, S. 11ff. dem MPX-Verbund herausgelöst. Das dafür verantwortliche Unternehmen heißt jetzt CCX. Schwarze Löcher in der Unternehmensverantwortung | 9
an den MPX-Kraftwerksplänen in Südamerika zu beteiligen. wettbewerbsfähig. Der geplante Ausbau der Kohleförderung in Eine direkte Beteiligung an den Kohleabbau-Plänen ist laut Kolumbien auf bis zu 150 Millionen Tonnen pro Jahr bis 2020 E.ON nicht vorgesehen, doch werden die gemeinsam geplanten weist jedoch darauf hin, dass sich Kolumbien mittel- bis langfristig Kraftwerke in erster Linie mit Kohle aus den kolumbianischen auch in Richtung Asien orientiert, denn solche Fördermengen Abbaustätten befeuert werden. übersteigen die prognostizierte Nachfrage auf dem atlantischen Markt deutlich.13 Bei steigenden Preisen wird Kolumbien in Zukunft Vor Beginn des Kohleabbaus in der Cerrejón-Mine Mitte der 80er daher auch verstärkt den pazifischen Markt beliefern. Doch noch Jahre betrug die Gesamtfördermenge in Kolumbien weniger als sind Europas Energiekonzerne die mit Abstand größten Abnehmer 5 Millionen Tonnen pro Jahr. Seitdem wurde sie fast jedes Jahr kolumbianischer Kohle. gesteigert. Der Eigenverbrauch des Landes ist bis heute sehr gering und wird zum größten Teil durch die Produktion kleinerer Minen Für die massive Steigerung der Kohleförderung ist eine Erweiterung im Landesinneren gedeckt. 2011 lag die Jahresfördermenge bei oder Anpassung der dafür notwendigen Infrastruktur erforderlich, ca. 85 Millionen Tonnen, von denen über 81 Millionen Tonnen woran derzeit vielerorts gearbeitet wird. Alle großen Kohleförderer exportiert wurden. Nachhaltige Impulse für die einheimische verfügen über eigene Verladehäfen. Cerrejón möchte die bestehende Wirtschaft sind infolge der Exportorientierung bislang nicht zu Hafenkapazität von Puerto Bolívar von ca. 32 auf 60 Millionen Ton- erkennen und auch für die Zukunft kaum zu erwarten. Ungefähr nen pro Jahr erweitern. CCX baut westlich der Regionalhauptstadt 95 Prozent der im Land geförderten Steinkohle stammt aus den Riohacha den neuen Tiefseehafen Puerto Brisas. Glencore/Prodeco Departments La Guajira und Cesar.11 baut mit Puerto Nuevo einen neuen Verladehafen in der Nähe der Karibik-Stadt Santa Marta, der bis spätestens Ende 2012 seinen Kolumbianischer Kohleexport Kolumbiens Kohle war in den letzten Jahr- Betrieb aufnehmen soll. Drummond wird in absehbarer Zeit mit nach Regionen (2011) zehnten vor allem für den US-amerika- dem Bau eines neuen Hafens in unmittelbarer Nähe beginnen. nischen und den europäischen Markt Für die neuen Häfen von Glencore/Prodeco und Drummond muss Mittler Osten bestimmt. 2011 nahmen die Kohleexporte ein mehrere Kilometer langer Zugangskanal ausgebaggert werden, Nordamerika 13 % 8% in die USA ab, während gleichzeitig vor damit große Kohleschiffe diese überhaupt anlaufen können. Asien 3 % Lateinamerika allem die europäische und von einem 15 % niedrigen Niveau ausgehend auch die Die dazugehörigen Bahnstrecken sollen ebenfalls neu bzw. lateinamerikanische Nachfrage (vor al- ausgebaut werden. Cerrejon wird die Kapazität der bestehenden lem Brasilien und Chile) gestiegen ist. 180 km langen Bahnlinie ausbauen. CCX baut eine komplett neue Europa 61 % Im Jahr 2011 betrug der europäische An- Bahnstrecke. Drummond, Prodeco/Glencore und CNR nutzen ge- Quelle: Coal Americas Nr. 244 teil 61 Prozent der kolumbianischen Koh- meinsam eine einspurige 240 km lange Bahnlinie bis an die leexporte.12 Hauptimporteure waren ne- Karibikküste bei Santa Marta, die aktuell zweigleisig ausgebaut ben Deutschland vor allem die Türkei, wird. Auf die Interessen der Gemeinden, die von den Kohlezügen Großbritannien und Italien. Von der starken Kohlenachfrage durchquert werden, nehmen die Unternehmen keine Rücksicht. in Asien profitieren Kolumbiens Exporteure vor allem dadurch, Die umfangreichen Expansionspläne des Kohleabbaus und -trans- dass sich Südafrika immer stärker auf den asiatischen Markt kon- ports werden die Lebenssituation vieler Kleinbäuerinnen und zentriert und kaum noch in den atlantischen Raum exportiert. Kleinbauern sowie der in direkter Umgebung der Kohleinfrastruk- So bot sich für Kolumbien die Möglichkeit, größere Marktanteile tur lebenden Menschen weiter verschlechtern, wie im folgenden in Europa zu erobern. Der direkte Export kolumbianischer Kohle Kapitel dargelegt wird. nach Asien ist aufgrund der hohen Transportkosten aktuell kaum Drummond-Verladehafen in der Nähe der Stadt Santa Marta 11 VDKI 2012, S. 86-87. 12 Business-Newsletter Coal Americas, Ausgabe 244, 30. 1. 2012. 13 VDKI 2012, S. 87. 10 | Schwarze Löcher in der Unternehmensverantwortung
zent der zerstörten Flächen. Für die anderen Kohleförderer liegen keine konkreten Zahlen vor, ob und in welchem Ausmaß die Landschaftszerstörung ausgeglichen oder renaturiert wird. Die Zerstörung von Primärwäldern hat in jedem Fall negative Folgen für die Artenvielfalt, die auch durch Wiederaufforstung nicht wieder auszugleichen sind. Des Weiteren müssen in den Abbauregionen zahlreiche Flüsse der Kohle weichen. Prodeco/Glencore hat in den letzten Jahren den Calenturitas-Fluss auf 15 Kilometern in ein neues Flussbett umgeleitet, um die gleichnamige Mine erweitern zu können. In der Folge klagten die BewohnerInnen der nahegelegenen Gemeinden darüber, dass der Fluss nun mehr Sedimente mit sich führen würde und dies schlechtere Erträge beim Fischfang zur Folge habe. Im Department Cesar sind außerdem die Flüs- se Sororia und Tucuy umgeleitet worden, ohne die Aus- wirkungen dieser Umleitungen zu überprüfen.14 Die Drummond- Mine Pribbenow hat dazu geführt, dass die umliegenden Sumpfgebiete völlig verschwunden sind.15 Cerrejón wiederum plant, den wichtigsten Fluss des Departments La Guajira, Bau des Kanals zur Umleitung des Calenturitas-Flusses den Rio Ranchería, auf einer Strecke von 26 Kilometern um- zuleiten, um die Tagebaue nach Süden ausweiten zu können. Dass das Department zu den trockensten des Landes zählt und | Die sozialen und ökologischen Folgen Wasser somit ein sehr knappes Gut ist, spielt bei dieser Ent- des Kohleabbaus in Kolumbien scheidung keine Rolle. Zahlreiche Wayúu-Gemeinden entlang des Flusslaufs wären von dieser Flussumleitung betroffen. Der Rohstoffreichtum einer Region kann – auch in Kolumbien – Doch für sie ist der Fluss nicht nur eine wichtige Wasserquelle schnell zum Fluch für Mensch und Umwelt werden. Insbesondere für den täglichen Bedarf, sondern ist die Lebensader der Region Rohstoffextraktion im Tagebau geht immer einher mit einem mit vielfältigen Nutzungen (Fischfang, Bewässerung, Erholung). immensen Flächenverbrauch. Auf vielen tausend Hektar müssen Für die Wayúu ist er außerdem von wichtiger religiöser Bedeu- Menschen, Flora und Fauna den Baggern weichen. Oft werden tung. Es steht zu befürchten, dass wieder einmal die Interessen die Rechte und Bedürfnisse der dort lebenden Menschen bei der und Rechte der Indigenen Bevölkerung übergangen werden, Planung und Umsetzung eines großen Bergbauprojektes nicht um die geschätzten 500 Millionen Tonnen Steinkohle unter dem ausreichend berücksichtigt. Auch der Kohlebergbau in Kolum- Flussbett abbauen zu können. bien ist dabei keine Ausnahme. Er hatte und hat dramatische Auswirkungen auf die lokale Bevölkerung. Außerdem fallen bei Tagebauen viele Millionen Tonnen Abraum an. Die Abraumhalden verändern das komplette Landschafts- bild und reichen wie im Fall der Gemeinde El Hatillo bis an den Energiegewinnung auf Kosten der Natur Ortsrand. Der Landverbrauch der kolumbianischen Kohletagebaue ist immens. Die Gesamtkonzessionsfläche des Unternehmens Cer- rejón beträgt beispielsweise 69.000 Hektar und ist damit nur unwesentlich kleiner als die Stadtfläche Hamburgs mit 75.500 Hektar. Zwar wird nicht auf der gesamten Fläche Kohle abgebaut, doch steht diese Fläche nicht mehr zur landwirtschaftlichen Nutzung zur Verfügung. Da die aktuelle Konzession bis zum Jahr 2034 befristet ist, wird sich an diesem Zustand in absehbarer Zeit nichts ändern. Zusätzlich sind im Department La Guajira zahlreiche weitere Konzessionen an das brasilianische Unterneh- men CCX und andere Kohle- und Erdölförderer vergeben worden. Im Department Cesar verfügen die Unternehmen Drummond, Prodeco/Glencore und CNR/Goldman Sachs ebenfalls über mehrere zehntausend Hektar Konzessionen. Die konkreten Abbauflächen werden vollständig zerstört. Land- wirtschaftliche Nutzflächen gehen ebenso verloren wie die Primärwälder, die auf diesen Flächen stehen. Zwar hat Cerrejón nach eigenen Angaben mittlerweile mehr als 3.000 Hektar Kinder der Gemeinde El Hatillo vor einer Abraumhalde renaturiert, doch dabei handelt es sich um weniger als 30 Pro- 14 Acción Social 2010, S. 65. 15 Ebd., S. 70ff. Schwarze Löcher in der Unternehmensverantwortung | 11
Ein weiteres großes Umweltproblem ist die massive Staub- und 9. August 2001: Die Vertreibung der Menschen von Tabaco Feinstaubbelastung durch den Kohlebergbau. Anders als im Rhei- nischen Braunkohlerevier ist der Boden in den kolumbianischen Ins Licht der Öffentlichkeit rückte Cerrejón vor allem nach der Abbaugebieten nicht weich und somit leicht abzutragen, son- gewaltsamen Vertreibung der Bevölkerung des Orts Tabaco am dern muss mit riesigen Mengen Sprengstoff aufgebrochen 9. August 2001. Die dort ansässige afrokolumbianische Gemeinde werden. Die täglichen Sprengungen und der Transport von Ab- musste dem Ausbau der Mine weichen. Da sich die Menschen raum und Kohle sorgen für eine massive Staubbelastung, da die aufgrund der ungeklärten Umsiedlungs- und Entschädigungsfrage Straßen in den Minen und in deren Umfeld nicht asphaltiert sind. weigerten, den Ort zu verlassen, rückten private Sicherheits- Zwar werden die meisten Wege mit Wasser besprüht, doch bleibt kräfte und die kolumbianische Polizei in den Ort ein, vertrieben die Gesamtbelastung in den umliegenden Gebieten sehr hoch. die Menschen und zerstörten deren Häuser. Heute – über elf Der massive Wassereinsatz verschärft außerdem die Wasserknapp- Jahre nach der Vertreibung – ist das ehemalige Gemeinde- heit in zahlreichen Abbauregionen. gebiet zur Abraumhalde für den nahegelegenen Tagebau Tabaco geworden. Während die Kohleförderung auf dem vormals zu Wohnzwecken genutzten Gebiet reibungslos anlaufen konnte, Steinkohlebergbau inmitten des bewaffneten Konflikts warten die Betroffenen noch immer auf ihre Neuansiedlung in der Region. Zwar wurde am 12. Dezember 2008 unter internatio- Neben den ökologischen sind auch die sozialen Folgen immens, nalem Druck ein Abkommen zwischen einigen Betroffenen und vor allem in einem Konfliktland wie Kolumbien. Der export- Cerrejón getroffen. Darin verpflichtet sich das Unternehmen orientierte Steinkohlebergbau in Kolumbien fand und findet unter anderem, die Menschen zu entschädigen und ein Grund- praktisch ausschließlich in Regionen (La Guajira, Cesar) statt, stück für die Neuansiedlung zu erwerben und zu erschließen. die zu den Konfliktzonen des Landes zählen (siehe Seite 8). Doch die Menschen haben noch immer keine neue Heimat gefun- Der Krieg zwischen den verschiedenen Guerrilla-Gruppierungen den. Zwar ist Cerrejón nicht allein Schuld an dieser unbefriedigen- und den staatlichen Sicherheitskräften begleitete den Kohle- den Situation. Auch die zuständige Gemeinde Hatonuevo trägt abbau zu jeder Zeit und ist nach wie vor latent. Für den Schutz eine Mitschuld. Doch in der Summe müssen die BewohnerInnen der Öl- und Bergbau-Infrastruktur hat der kolumbianische Staat Tabacos eindeutig zu den VerliererInnen des Kohleabbaus gezählt besondere Militärbataillone (sog. Batallones Plan Especial Energé- werden, da sie auch elf Jahre nach der Vertreibung noch keine tico y Vial) aufgestellt, die im Falle des Kohlebergbaus sowohl die neue Heimat gefunden haben. Schlimmer noch: Die Gemeinde Minen als auch die Bahnlinien und Verladehäfen schützen sollen ist aufgrund der langjährigen, zermürbenden Verhandlungen und in der Regel in unmittelbarer Nähe der Minen Militärbasen mit dem Unternehmen und Verzögerungen bei der Umsetzung unterhalten. Die Zahl dieser Bataillone soll 2013 von derzeit elf des Abkommens mittlerweile gespalten. Während ein Teil der auf dann 18 erhöht werden.16 Die Kohleproduzenten sind da- Gemeindemitglieder den Prozess fortführt, betrachtet ein anderer durch in jedem Fall als konfliktrelevante Akteure anzusehen, Teil diesen mittlerweile als Farce. Ein oft beobachtetes Phänomen weil ihre Präsenz zur Militarisierung des Landes beiträgt. in Bergbauregionen: Ziehen sich Umsiedlungs- oder Entschädi- Ihr Handeln hatte und hat Auswirkungen auf den bewaffneten gungsverhandlungen in die Länge, führt dies oft zur Spaltung der Konflikt. Daraus erwächst eine besondere Sorgfaltspflicht.17 Gemeinden. Dies wiederum schwächt die Position der Betroffenen. Es gibt zahlreiche Belege, dass die Unternehmen diese besondere Ein klassischer Fall von divide et impera, bei dem diese Absicht in Sorgfaltspflicht nicht eingehalten haben. Besonders skandalös der Regel sehr schwer nachzuweisen ist. ist in diesem Zusammenhang das Verhalten des US-Konzerns Drummond, der zum Schutz der eigenen Einrichtungen zwischen Mord und Vertreibung zugunsten der Kohle: 1997 und 2006 paramilitärische Einheiten finanziert haben Die Fälle El Prado und Mechoacán soll, obwohl zu jeder Zeit klar war, dass diese Einheiten für den Tod und die Vertreibung hunderttausender Kolumbianer Im Department Cesar ist die Situation noch ernster. Viele Tau- verantwortlich waren.18 send Kleinbauern und -bäuerinnen wurden in den letzten 20 Jah- ren durch paramilitärische Einheiten von ihrem Land vertrie- ben. Auf vielen Hektar geraubten Landes werden mittlerweile Vertreibungen und Zwangsumsiedlungen Ölpalmen angebaut. Doch auch die reichen Kohlevorkommen zugunsten des Kohlebergbaus in der Region weckten das Interesse der bewaffneten Grup- pen. So wurden nach Aussagen des inhaftieren Paramilitärs Schon Anfang der 1980er Jahre führte die Konstruktion der Cerre- Alcides Mattos Tabares, alias El Samario, ab 1999 18 Menschen jón-Mine, der Bahnstrecke und des Verladehafens Puerto Bolívar ermordet und zahlreiche Bauernfamilien von den Grundstücken für den Export der geförderten Kohle zur Vertreibung mehrerer El Prado und Mechoacán vertrieben. Später gaben sich die Gemeinden, die die für den Bau benötigten Gebiete bewohnten, Täter als rechtmäßige Besitzer des Landes aus und verkauften darunter Manantial, Caracolí, Espinal und Saharita.19 es an die Bergbaukonzerne, die dort Kohle abbauen wollen.20 Das Gebiet von El Prado ist vor allem für Prodeco/Glencore (Mine Calenturitas) und Drummond (Mine El Descanso) wichtig. 16 Colombia prepara nuevos siete batallones del Ejército , 10. August 2012, http://espanol.upi.com/ Mitte Oktober 2012 bestätigte der Oberste Gerichtshof Kolum- Politica/2012/08/10/Colombia-prepara-nuevos-siete-batallones-del-Ejército/UPI-19541344621049/ biens ein Urteil aus dem Jahr 2011, welches Prodeco/Glencore (abgerufen am 27. 10. 2012) und die zuständige staatliche Landbehörde INCODER dazu ver- 17 Der UN-Sonderbeauftragte für Wirtschaft und Menschenrechte, John Ruggie, sprach in diesem Zusammen- hang von der erhöhten Sorgfaltspflicht in Konfliktregionen (enhanced due dilligence in conflict regions ). 18 La economia de los paramilitares – Redes de corrupción, negocios y política, Mauricio Romero Vidal 20 La versión de ‚Samario‘ sobre la Drummond y los paras , http://www.verdadabierta.com/nunca- et al., Medellín 2011, S. 182ff. mas/177-entrevista/2918-la-version-de-samario-sobre-la-drummond-y-los-paras, 13. 12. 2010 (abgerufen 19 Chomsky, Leech, Striffler, S. 27 am 27. 10. 2012). 12 | Schwarze Löcher in der Unternehmensverantwortung
urteilt hatte, 1.232 Hektar Land an die Vertriebenen von El Prado zurückzugeben. Doch weder Unternehmen noch Landbehörde haben dem Urteil bislang Folge geleistet. Die Lage ist nach wie vor kritisch. Ludis Pedraza, die Anwältin der Vertriebenen, erhielt am 18. Oktober 2012 eine schriftliche Morddrohung von Unbekannten.21 Umstrittene Zwangsumsiedlungen bei Cerrejón Gewaltsame Vertreibungen durch illegale bewaffnete Gruppen scheinen aktuell auch aufgrund des starken nationalen und internationalen Interesses der Vergangenheit anzugehören. Doch auch die sogenannten „legalen“ Zwangsumsiedlungen bergen reichlich Konfliktpotenzial. Aktuell ist dies auch bei der Umsiedlung der Gemeinden Roche, Patilla, Chancleta und Tamaquitos zu beobachten. Bei den ersten drei handelt es sich um afrokolumbianische Gemeinden, die am südlichen Rand des Cerrejón-Tagebaus Patilla liegen. Die Menschen aus diesen Orten warteten seit Ende der 1990er Jahre auf ihre Umsiedlung, weil ihr Land für die geplante Erweiterung der Cerrejón-Mine benötigt wird. In den letzten Jahren verloren die BewohnerInnen weit- Diskussion mit BewohnerInnen der Gemeinde Plan Bonito während der FIAN-Recherchereise 2011 gehend den Zugang zu ihrem Acker- und Weideland, weil dies in den Besitz des Unternehmens übergegangen war. Die Menschen mussten bzw. müssen somit den Verkauf ihres Besitzes und ihre Umsiedlung mit dem Unternehmen aushandeln, obwohl sie ihre Lebensgrundlage bereits weitgehend verloren hatten. Viele Men- Leben umringt von Kohletagebauen: Die Umsiedlung der schen waren gezwungen, die Gemeinde vorzeitig zu verlassen, Gemeinden El Hatillo, Boquerón und Plan Bonito ohne angemessen entschädigt worden zu sein. In der Gemeinde Roche wurden am Ende lediglich 25 Familien anerkannt, die Doch nicht nur Cerrejón ist für Zwangsumsiedlungen verant- einen Anspruch auf Entschädigung und Umsiedlung haben. Wäh- wortlich. Die Auswirkungen des Kohleabbaus auf die Gemeinden rend die meisten dieser Familien mittlerweile in ihr neues, El Hatillo, Plan Bonito und Boquerón sind derart gravierend, semiurbanes Zuhause umge- dass sich das kolumbianische Umweltministerium im Jahr 2010 siedelt wurden, harren einige gezwungen sah, die Umsiedlung dieser Gemeinden anzuordnen.22 Familien nach wie vor im alten Adressaten der ministeriellen Verfügung waren in diesem Fall Ort aus, weil sie insbesondere die Unternehmen Drummond, Prodeco/Glencore und Colombian das ihnen zur Verfügung ge- Natural Ressources.23 Die staatlich angeordnete Umsiedlung war stellte Landstück in der neuen ein Novum in der kolumbianischen Geschichte. Erstmals griff Gemeinde für zu klein halten, ein Ministerium zu diesem drastischen Mittel. Die genannten um dort die traditionelle Rin- Gemeinden werden praktisch von den Tagebauen der drei Unter- derzucht weiter betreiben zu nehmen eingekreist. Nach Untersuchungen der lokalen Behörden können. Mittlerweile mehren führte die hohe Staub- und Feinstaubbelastung insbesondere sich die Gerüchte in der Region, in El Hatillo zu zahllosen Atemwegserkrankungen bei den dass diese Familien in abseh- BewohnerInnen. Viele Einheimische haben ihre Lebensgrund- barer Zeit zwangsgeräumt wer- lage verloren, weil die Minen ihr Ackerland geschluckt haben. den sollen. Viele ehemalige Be- Außerdem wurde ihnen der Zugang zum Fluss Calenturitas, der wohnerInnen von Roche haben sich zudem in der Organisation wichtigsten Wasserquelle der Gegend, erschwert. Der Kohleabbau Asorocheros zusammengetan, um für ihre Rechte zu kämpfen. beeinträchtigt somit in vielfältiger Weise die Lebensgrundlage Nach ihren Angaben lebten in Roche ursprünglich 400 Familien. der Menschen. Die Umsiedlung von nur 25 Familien empfinden viele als einen Schlag ins Gesicht. Die Indigene Bevölkerung der Gemeinde Tama- Doch die verantwortlichen Unternehmen ließen die Fristen ver- quitos befindet sich nach wie vor in Umsiedlungsverhandlungen mit streichen. Die Gemeinde Plan Bonito hätte laut Verfügung bis zum Cerrejón. Die Menschen müssen ihr Land verlassen, weil die 15. September 2011 umgesiedelt sein müssen, die anderen zwei Mine den Ort praktisch von der Außenwelt abgeschnitten hat. Gemeinden bis zum 15. September 2012. Zwar waren die gesetz- ten Fristen in der Tat sehr kurz, um eine Umsiedlung angemessen durchzuführen, doch taten sich die Unternehmen auch nicht durch 22 Resolution 0970 vom 20. Mai 2010, Ministerio de Ambiente, Vivienda y Desarrollo Territorial, http://www.minambiente.gov.co/documentos/res_0970_200510.pdf (abgerufen am 27. 10. 2012). 23 Ursprünglich gehörte eine der Minen, der Tagebau Hatillo, dem brasilianischen Unternehmen Vale. 21 No hay restitución de tierras, http://www.elespectador.com/opinion/columna-382666-no-hay- In der Zwischenzeit hat Vale diese Mine jedoch an CNR verkauft, sodass in diesem Text nur die drei restitucion-de-tierras, 22. Oktober 2012 (abgerufen am 27. 10. 2012). verbliebenen Unternehmen erwähnt werden. Schwarze Löcher in der Unternehmensverantwortung | 13
besonderes Engagement hervor. Erst im Dezember 2011 begann die von den vier Unternehmen beauftragte Firma FONADE mit dem Recht vs Macht: Der rechtliche Rahmen Zensus, der die Grundlage für die Umsiedlung ist. 2012 wurde zum Schutz der Indigenen und FONADE dann durch das kanadische Unternehmen rePlan ersetzt. afrokolumbianischen Bevölkerung Zeitgleich fechten die Unternehmen die staatliche Verfügung vor Gericht an, um die kostspieligen Umsiedlungen doch noch zu verhindern bzw. zu minimieren. Das Kräftemessen zwischen Die Indigene und afrokolumbianische Bevölkerung gehört seit den Konzernen und dem kolumbianischen Staat wird dabei auf Jahrhunderten zu den Leidtragenden der wirtschaftlichen Ent- dem Rücken der Betroffenen ausgetragen. Zwar fördern die vier wicklung in Kolumbien.25 Ihre Lebensweise, die eng verknüpft Unternehmen mehr als 40 Millionen Tonnen Steinkohle pro Jahr, ist mit dem Zugang zu Land, wurde und wird vor allem bedroht doch bei der Umsiedlung von nur 1.100 Menschen kämpfen sie um durch die ständige Ausweitung von agroindustriellen Betrieben jeden Peso. Sieht so Corporate Social Responsibility, die soziale und Bergbau-Projekten. Viele Gemeinschaften kämpfen dabei Unternehmensverantwortung aus? ums nackte Überleben. Aus diesem Grund wurden auf natio- naler und internationaler Ebene verschiedene Sonderrechte, Verträge und Konventionen verabschiedet, die diesem Umstand Der Kohletransport: Albtraum für die AnwohnerInnen Rechnung tragen und helfen sollen, die Rechte der Betroffenen besser zu schützen. Nicht nur der Abbau, sondern auch der Transport der Kohle führt zu massiven Problemen. Die Bahnstrecken durchschneiden zahlreiche Auf nationaler Ebene wurden diese Rechte in der kolumbiani- Ortschaften, ohne dass die lokale Bevölkerung ausreichend vor den schen Verfassung von 1991 allgemein festgeschrieben.26 Im glei- 120-160 Waggons langen Zügen geschützt würde. Insbesondere chen Jahr hat Kolumbien die ILO-Konvention 16927 zum Schutz die von Drummond, Prodeco/Glencore und CNR genutzte Zugstrecke der Indigenen Völker ratifiziert. Durch die Verfassung und die entwickelt sich zunehmend zu einem Albtraum für die Anwohne- ILO-Konvention verfügen diese Gemeinschaften über kollektive rInnen. Aktuell wird die Strecke auf zwei Gleise ausgebaut, obwohl Landrechte und müssen zwingend konsultiert werden bei Pro- schon jetzt alle dreißig Minuten ein Zug durch die Ortschaften jekten, die Auswirkungen auf ihre Territorien haben. Doch zwi- donnert. Die unzureichende Sicherung der Strecke stellt bereits schen Anspruch und Wirklichkeit klafft nach wie vor eine große heute eine gewaltige Gefahrenquelle dar. Nach Angaben der Lücke. Einzig das kolumbianische Verfassungsgericht hat sich in Aufsichtsbehörde für Häfen und Transportwesen (Superintendencia den letzten Jahren positiv hervorgetan beim Schutz Indigener de Puertos y Transporte) gab es allein zwischen 2008 und 2011 und afrokolumbianischer Rechte. So erklärte es die im Jahr 2010 283 Unfälle mit 25 Toten.24 reformierte Bergbaugesetzgebung28 für nicht verfassungsgemäß, weil die Indigenen Gemeinschaften nicht konsultiert worden waren. Doch muss festgestellt werden, dass auch die Ratifizierung der ILO-Konvention 169 durch Kolumbien nicht dazu geführt hat, dass die Betroffenen ausreichend geschützt werden. Dies liegt zum einen daran, dass die praktische Umsetzung der Konsultationen nicht klar genug geregelt ist. Im Dekret 132029 aus dem Jahr 1998 wurde festgelegt, wie die Konsultationen im Vorfeld großer Berg- bauprojekte ausgeführt werden müssen. Die Bestimmungen sind Ortschaft Orihueca – durchschnitten von der Kohlebahn umstritten, weil sie ungenau vorgeben, zu welchem Zeitpunkt und unter welchen Umständen Konsultationen durchgeführt werden müssen. Dies erhöht die Missbrauchsgefahr durch die Konzerne. Gleichzeitig versäumen diese keine Gelegenheit, um öffentlich- keitswirksam zu verkünden, dass die Bestimmungen der ILO- Konvention und anderer internationaler Abkommen eingehalten werden. Skepsis ist durchaus angebracht. Laut einer Untersuchung von Oxfam hat keine der mehr als 300 zwischen 1994 und 2010 in Kolumbien durchgeführten Konsultationen Indigener oder 25 Vgl. hierzu „Pueblos indígenas: diálogo entre Culturas“, Programa de las Naciones Unidas para el Desarrollo – PNUD, http://pnud.org.co/img_upload/61626461626434343535373737353535/2012/ cuaderno_indigenas.pdf, April 2012 (abgerufen am 27. 10. 2012) 26 Paragraph 330 der kolumbianischen Verfassung legt fest, dass die Ausbeutung von Bodenschätzen auf indigenem Territorium deren kulturelle, soziale und wirtschaftliche Integrität nicht gefährden darf und dass die Regierung die Partizipation der Repräsentanten der betroffenen Gemeinschaften in Bezug auf die zu treffenden Entscheidungen sicherstellt. http://pdba.georgetown.edu/Constitutions/Colombia/ col91.html (abgerufen am 27. 10. 2012). 27 Kolumbien hat die ILO Konvention 169 am 7. August 1991 ratifiziert. 28 Die Reform des Código de Minas, der Bergbaugesetzgebung, erfolgte durch das Gesetz 1382 von 2010. Das Gericht kippte dieses Gesetz im Jahr 2011. Vgl. „Corte tumba reforma a Código de Minas“, http:// www.elespectador.com/noticias/judicial/articulo-269205-corte-tumba-reforma-codigo-de-minas, 11. Mai 2011 (abgerufen am 27. 10. 2012). 29 Dekret 1320 von 1998, http://www.setianworks.net/indepazHome/attachments/137_443_D-1320. 24 „En vías de Fenoco se han registrado 25 muertes en 4 años“ http://www.portafolio.co/negocios/ pdf (abgerufen am 27. 10. 2012). vias-fenoco-se-han-registrado-25-muertes-4-anos, 20. Juni 2012 (abgerufen am 27. 10. 2012). 14 | Schwarze Löcher in der Unternehmensverantwortung
Sie können auch lesen