Schweizer Folklore in Asien - Alpenrosen
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Folklore Schweizer Folklore in Asien Praktizieren üblicherweise ausgewanderte Schweizer ihr Kulturgut im selbst gewählten Auswande- rungsland, sind es in Japan und Südkorea die Einheimischen, die die Schweizer Volksmusik pflegen. Von Guschti Sidler Schweizer Folklore in Asien, Teil 1 von 6 G eschichtlicher Rückblick Frühere Beziehungen zwischen der Schweiz und Japan hat- ten einzig zum Ziel, neue Märkte für Schweizer Produkte zu erschliessen. Die erste offizielle Schweizer Handelsde- legation wurde 1863 vom Bundesrat nach Japan geschickt. Daraus entstand im Kanton Schwyz ein Volksbrauch, der bis heute überlebt hat und zum Schwyzer Kulturgut gehört. Als Reaktion auf eine missglückte Wirtschaftsmission der Eidgenossenschaft in Japan entstand im Kanton Schwyz die Japanesengesellschaft. Das Schwyzer Freiluft-Fas- nachtsspiel, welches alle paar Jahre und bis heute 49-mal aufgeführt wurde, wirft ab der ersten Aufführung vor 162 Jahren einen kabarettistischen Blick auf das aktuelle Ge- schehen. Die Darbietung handelt vom Kaiser von Japan (Hesonosode), der mit dem Schulmeister von Schwyz (Kar- lifranz) und dem Bergbauern vom Muotathal (Jöretönel) die Probleme der heutigen Zeit bespricht. Volksmusik spielt dabei aber höchstens eine untergeordnete Rolle. 1873 besuchte die erste offizielle japanische Delegation, die Iwakura Mission, die Schweiz. Die Iwakura Mission be- 1863 Japanesenspiel Schwyz. stand aus einer Gruppe von hochrangigen japanischen Poli- tikern, Gelehrten und Studenten, die unter der Leitung von Iwakura Tomone zwei Jahre lang durch Nordamerika und die Uhren und die Waffenindustrie. Begeistert studierten Europa reisten mit dem Ziel, sich im Ausland vorzustellen. die Japaner die erste Zahnradbahn an der Rigi und hörten Sie interessierten sich vor allem für das Schweizer Miliz- dort wahrscheinlich zum ersten Mal Jodel. Der amerikani- system in der Politik und dem Militär, das Rote Kreuz, die sche Schriftsteller Mark Twain erwanderte 1879 die Rigi Schulbildung sowie die Eisenbahn, die Textilmaschinen, und erzählte in seinem Tagebuch von jodelnden Buben ent- Zur Person Guschti Sidler (*1940) ist gelernter Maschineningenieur, stammt aus Cham ZG und wurde von seinem amerikanischen Arbeitgeber 1972 für Geschäftsabklärungen erstmals nach Japan geschickt. Bereits damals suchte er Kontakt zu Leuten, welche sich für Schwei- zer Volksmusik interessierten. 1976 entschied er sich für eine selbständige Tätigkeit und lernte Japanisch, um für Schweizer Firmen den Zugang zum japanischen Markt zu er- möglichen. Während einer 40 Jahre andauernden Pendeltätigkeit zwischen West und Ost lernte er Missverständnisse zu klären, Wünsche zu erfüllen und laufend Probleme zu lösen. Bis 1998 hat er als Hobby, gemeinsam mit dem Volksmusik-Moderator Wysel Gyr, zwölfmal für Gruppen von 35 bis 50 Interpreten Konzerte in Japan, Korea, Australien und Südamerika organisiert und den Teilnehmern gleichzeitig die Sehenswürdigkeiten und die Kultur der Gastländer nähergebracht. Während der letzten 20 Jahre animierte und unterstützte er vor allem kleinere Gruppen für direkte Kontakte und förderte in Japan wie in Korea das Schweizer Jodellied, die Ländlermusik und das Alphornbauen. Mit grosser Freude und viel Idealismus hat er immer wieder versucht, im Ausland unsere demokrati- schen Vereinseigenarten zu erklären, dank denen sich unser Volksgut erhalten und auch positiv weiterentwickelt hat. 50 Januar & Februar 2020
Folklore 1921 Samuel Brawand, Maki Yuko, Fritz Steuri, Fritz Amatter. lang der Strecke, die sich mit ihrem Gesang etwas Geld ver- Schweiz und 1869 in Deutschland gegründeten Alpenklubs. dienen wollten. Zu den Schweizer Handelshäusern in Yokohama und Kobe Die wenigen in Japan wohnenden Schweizer handelten siedelte sich 1913 die erste Nestlé-Kondensmilch-Fabrik auf mit Uhren, Spieldosen, Textilien, Seide und Waffen. Sie der Insel Awaji an. gründeten eine Schützengesellschaft in Yokohama, der nach Tokio zweitgrössten Stadt in Japan. Die Schweiz galt bei den Von Weltkriegen und Erstbesteigungen Japanern als Vorzeigeland, dank Freiheit, Gleichheit und Im Ersten Weltkrieg nahm Japan im Auftrag der Alliier- Frieden. Die in der Schweiz hergestellten Spieldosen wur- ten die deutsche Kolonie Tsingtai, heute Qingdao, ein und den aber nicht mit Schweizer Liedern ausgerüstet, sondern brachte 4500 Kriegsgefangene nach Japan. Unter diesen der Zeit und den Kunden angepasst, mit klassischer Musik waren sehr viele Musiker aus dem Internierungslager oder populären Melodien. Bando. Bando wurde im Sinn des Roten Kreuzes sehr hu- Ab 1880 erfolgte die japanische Schulreform. Diese war man geführt, und bis 1918 durften die Musiker über hun- nach deutschem Vorbild geprägt, aber auch beeinflusst vom dert Konzerte spielen. Sie haben die europäische Musik, ein- Schweizer Pädagogen Johann Heinrich Pestalozzi. Dadurch schliesslich der Volks- und Unterhaltungsmusik, populär fanden europäische Musikinstrumente und deutsche Lie- gemacht. Hingegen ist nicht belegt, ob darunter auch Melo- der den Weg nach Japan. Bereits 1888 stellten die Japaner dien aus der Schweiz waren. Geigen nach deutschem Muster her. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die neutrale und na- Ein anfänglich nur für die Oberschicht zugänglicher Al- turnahe Schweiz in Japan wieder populär. Das bekannte penklub entstand 1905. Als Vorbild dienten die 1863 in der Kinderbuch «Heidi» von Johanna Spyri wurde 1920 in die Januar & Februar 2020 51
Folklore japanische Sprache übersetzt. Der junge Bergsteiger Maki nischen Besatzer diktierten nicht nur eine neue Verfassung Yuko (1894–1989) trat 1914 dem japanischen Alpenklub ohne Armee, sondern auch eine an Amerika angelehnte bei. Fünf Jahre später reiste er nach Grindelwald BE. Mit Schulbildung. Sie brachten Jazz und Countrymusik nach dem Ziel, das Bergsteigen und Skifahren zu erlernen, nahm Japan. Der christliche Verein junger Männer YMCA wurde der Japaner beim ehemaligen Schweizer Politiker, Lehrer in den grösseren Städten aktiv, um die Studenten wieder in und Bergsteiger Samuel Brawand Deutschunterricht. eine friedlichere Zukunft zu führen. Mit deren Gesangsbü- Maki Yuko und die Bergführer Samuel Brawand, Fritz chern haben auch Schweizer Lieder ihren Weg nach Japan Amatter und Fritz Steuri machten sich einen Namen durch gefunden. «Säg Meiteli», ein Schweizer Soldatenlied von die vollständige Erstbesteigung des Eiger-Mittellegigrats 1915, wurde in ganz Japan schnell berühmt. Nach dem Koreakrieg (1950–1953) versuchten ver- schiedene Expeditionen, die höchsten Berge im Hima- laja zu erobern. 1956 gelang einer Schweizer Expedi- tion unter der Leitung von Albert Eggler die Zweit- besteigung des 8848 Meter hohen Mount Everest und die Erstbesteigung des 8516 Lhotse. Im selben Jahr lei- tete Maki Yuko die erfolg- reiche Expedition über die Nordostflanke auf den 8163 hohen Manaslu in Nepal. Die Bergführer treffen sich wieder 1957 flog die Swissair zum ersten Mal nach Japan. 1. August 1925 in Kobe. Unter den Passagieren sass Samuel Brawand, der nun am 10. September 1921. Sein erster Aufenthalt in der Schweiz Gemeinderat in Grindelwald, Regierungsrat, Nationalrat dauerte über zwei Jahre und führte ihn nicht nur auf viele und Verwaltungsrat der Swissair war. Auf dem Flughafen Gipfel, sondern auch in unzählige Berghütten. Dort erklan- Haneda in Tokio traf er seinen Freund Maki Yuko wieder. gen am Abend traditionelle Schweizer Lieder, und es ist an- Bei der anschliessenden Feier wurde gemeinsam das Grin- zunehmen, dass das von Gottfried Strasser wahrscheinlich delwald-Lied gesungen, und eine japanische Pianistin be- 1897/98 verfasste Grindelwald-Lied auf diese Weise nach gleitete noch mehrere andere bekannte Schweizer Lieder. Japan kam. Als Dank für die Besteigung des Mittellegi- Obwohl seit 1953 Schweizer Offiziere und Soldaten den grats, spendete Maki Yuko zehntausend Franken für den Waffenstillstand zwischen Nord- und Südkorea kontrollie- Bau der Mittellegihütte, die 1924 eingeweiht wurde. ren und die Schweiz in Japan wie in Korea dank ihrer Neut- Bereits 1926 kam Maki Yuko in die Berner und Walliser ralität, der Hilfsbereitschaft und den Naturschönheiten als Alpen zurück und begleitete den japanischen Kronprinzen Musterland gilt, interessierte die Schweizer Volksmusik im Chichibu auf vielen Bergtouren. Ihm folgten bis Anfang der Fernen Osten bis 1960 kaum jemanden. Dreissigerjahre viele japanische Bergsteiger, wodurch auch In Liederbüchern aus jener Zeit findet man jedoch japa- Worte wie Seil, Pickel, Kocher, Hütte oder Jodel phonetisch nische Übersetzungen von «Vo Lozärn gäge Weggis zue», in die japanische Sprache integriert wurden. Die in den «Es Buurebüäbli», «Emmentaler Lied» und anderen mehr. Hütten vorgetragenen Schweizer Lieder haben die Japaner Damit fanden vor allem junge Leute, die sich für Frieden, wahrscheinlich versucht mitzusingen. Anderseits wurde Unabhängigkeit und eine intakte Natur interessierten, Ge- 1925 von der immer grösser werdenden Schweizer Kolonie fallen an der Schweiz. Durch Reisen kamen sie mit Schwei- in Kobe der erste August samt den traditionellen Liedern zer Volksmusik in Kontakt, und das Jodeln im Alpenraum gebührend gefeiert. Die folgenden Jahre waren gezeichnet wirkte auf sie wie ein Freiheitsjutz. Wenigen Enthusiasten von einer politischen Anlehnung an Deutschland, sinnlo- ist es zu verdanken, dass das Schweizer Liedgut und die sen Expansionskriegen und der verheerenden Erfahrung Volksmusik ohne Schweizer Exporthilfe entdeckt wurde der Atombomben über Hiroshima und Nagasaki. Das Ende und nach wie vor gepflegt wird. des Zweiten Weltkrieges führte in Japan zu einem radikalen Die Fortsetzung der Geschichte «Schweizer Folklore in Umdenken. Das Land lag in Schutt und Asche. Die amerika- Asien» erscheint in der nächsten ALPENROSEN. ● 52 Januar & Februar 2020
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