SCHWEIZER GEMEINDE COMUNE SVIZZERO VISCHNANCA SVIZRA COMMUNE SUISSE
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6 l 2016 SCHWEIZER GEMEINDE COMUNE SVIZZERO VISCHNANCA SVIZRA COMMUNE SUISSE Zeitschrift für Gemeinden und Gemeindepersonal | Revue pour Communes et leur personnel Rivista per Comuni e i loro impiegati | Revista per Vischnancas e ses persunal Leuchtturmprojekte im Schattdorfer Ortskern Gute Regierungsführung in bulgarischen Gemeinden Vent nouveau au Comité de l’ACS Schweizerischer Gemeindeverband | Association des Communes Suisses | Associazione dei Comuni Svizzeri | Associaziun da las Vischnancas Svizras
INHALT I CONTENU I CONTENUTO 5 Editorial Tunnel der Solidarität 12 7 Schweizerischer Gemeindeverband Politik Kommunale Interessen in der Pflege- Der SGV durfte an einer Konferenz finanzierung berücksichtigen des Europarats in Generalversammlung in Lausanne: frischer Sofia zum Thema Wind im Vorstand gute Regierungs- Zum Tod von Ehrenpräsident Toni Cantieni führung auf lokaler Ebene 14 Finanzen die Schweizer Das Bestmögliche erreichen, ohne Lasten zu Positionen in die überwälzen Diskussionen einbringen. 24 Energie An der Schnittstelle von Energie- und Stadtplanung «Tage der Sonne» – Energie erlebbar gemacht 27 Gemeindeduell 16 «Es entsteht eine positive und Gemeindeporträt familiäre Atmosphäre» In den letzten fünf Jahren sind in 28 Sozialhilfe Schattdorf (UR) Leben in der WG: Wie wird der Grundbedarf einige Projekte mit berechnet? Erfolg umgesetzt worden. 29 Soziales Jugendgewaltprävention in ländlichen Gemeinden 34 Infrastruktur Der Strassenwischer ist noch nicht digital 36 Regionalentwicklung Kooperationen bedingen umsichtige Analysen 44 Association des Communes 39 Veloverkehr Suisses Erfolgreicher «Spurwechsel» in Luzern La partie statutaire de l’Assemblée 41 Diverses générale de l’ACS Flüchtlingsunterkünfte aus Holz à Lausanne a été entièrement 49 Trafic cycliste placée sous le «Culture du vélo» à Lucerne signe des élec- tions de renouvel- 50 Associazione dei Comuni Svizzeri lement global au Vento fresco in comitato sein du comité. In memoria del presidente onorario Toni Cantieni Titelbild 62 Mosaik Gemeinde Schattdorf (UR) Breit abgestützte Stellungnahmen Bild: Zvonimir Pisonic Schweizerischer Gemeindeverband @CH_Gemeinden SCHWEIZER GEMEINDE 6 l 2016 3
EDITORIAL Tunnel der Tunnel de la Il tunnel della Solidarität solidarité solidarietà Am 1. Juni wurde der Gotthard-Basis- Le 1er juin, le tunnel de base du Il 1° giugno, la galleria di base del Got- tunnel – mit 57 Kilometern der längste Saint-Gothard – le plus long tunnel fer- tardo – con i suoi 57 chilometri il più Eisenbahntunnel der Welt – mit einem roviaire du monde avec 57 kilomètres – lungo traforo ferroviario del mondo – Staatsakt eröffnet. Mit den Eröffnungs- a été ouvert officiellement. Les festivi- è stata inaugurata con una cerimonia feierlichkeiten geht nicht nur ein langer tés d’ouverture ne mettent pas seule- pubblica. Questa celebrazione mette la bautechnischer, sondern auch ein er- ment un terme à un long processus de parola fine non solo a una lunga im- folgreicher politischer Prozess zu Ende: construction, mais aussi à un proces- presa di carattere tecnico, ma anche a 24 Jahre nachdem das Volk mit 64 Pro- sus politique réussi: 24 ans après l’ac- un processo politico di successo – zent der Neuen Eisenbahn-Alpentrans- ceptation à 64% des Nouvelles lignes a 24 anni dal momento in cui il 64 per- versale (Neat) zugestimmt hat. ferroviaires à travers les Alpes (NLFA). cento della popolazione aveva detto ‹sì› Die neue Verbindung zwischen dem La nouvelle liaison entre le Tessin et la alla Nuova ferrovia transalpina (NFTA). Tessin und der deutschsprachigen Suisse alémanique est une étape im- Il nuovo collegamento tra il Ticino e la Schweiz ist ein Meilenstein in der portante de la politique des transports Svizzera germanofona rappresenta una Schweizer Verkehrspolitik. Das giganti- suisses. L’ouvrage gigantesque est une pietra miliare nella politica dei trasporti sche Bauwerk ist eine ingenieur- und prouesse d’ingénierie et de construc- elvetica. Il gigantesco cantiere è sì un bautechnische Meisterleistung, es ist tion, mais aussi un exemple type de la capolavoro di tecnica e ingegneria, ma aber auch ein Musterbeispiel für die politique suisse. Le tunnel est le résul- anche un perfetto esempio di politica schweizerische Politik. tat d’une politique (des svizzera. Il tunnel è il risultato di una Der Tunnel ist das Resul- transports) fédéraliste et politica federalista (dei trasporti) e al tat einer föderalistischen en même temps l’ex- tempo stesso espressione della solida- (Verkehrs-)Politik und pression de la solidarité rietà tra le varie parti e le regioni lin- gleichzeitig Ausdruck der entre les parties du pays guistiche del nostro paese. Solidarität zwischen den et les régions linguis- La NFTA è un progetto interno di inte- Landesteilen und den tiques de la Suisse. grazione che rafforza la coesione nazio- Sprachregionen der Les NLFA sont un projet nale. Per l’ACS, un migliore collega- Schweiz. Die Neat ist ein d’intégration intérieure mento del Ticino al resto della Svizzera innerschweizerisches In- de la Suisse qui conso- è di importanza centrale. La galleria è tegrationsprojekt, das lide la cohésion du pays. di grande interesse turistico per i co- den Zusammenhalt der Pour l’ACS, un meilleur muni ticinesi, ma avvicina contempo- Schweiz festigt. Für den raccordement du Tessin raneamente la popolazione ticinese al SGV ist die bessere An- au reste de la Suisse est mercato del lavoro della Svizzera tede- bindung des Tessins an décisif. Le tunnel est in- sca. Il Vallese ha conosciuto questi ef- die übrige Schweiz zentral. Der Tunnel téressant pour le tourisme des com- fetti dopo l’apertura della galleria di ist interessant für den Tourismus der munes tessinoises – et en même base del Lötschberg: da emigrante, la Tessiner Gemeinden – gleichzeitig rückt temps, la population tessinoise se rap- mano d’opera si è trasformata in pen- für die Tessiner Bevölkerung der proche du marché du travail suisse alé- dolare, e paga le imposte del luogo di Deutschschweizer Arbeitsmarkt näher. manique. Le Valais a vécu cela après domicilio. Per questo il 1° giugno è Das Wallis hat diesen Effekt nach der l’ouverture du tunnel de base du stato un giorno di festa anche per molti Eröffnung des Lötschberg-Basistunnels Lötschberg; la main-d’œuvre ne part comuni di entrambi i versanti del San erlebt; die Arbeitskräfte wandern nicht plus, elle fait la navette et paie ses im- Gottardo. Il nuovo tunnel mette però mehr ab, sie pendeln und bezahlen pôts au lieu de domicile. C’est pour- anche diversi comuni lungo l’asse ihre Steuern am Wohnort. Deshalb war quoi le 1er juin a été un grand jour pour nord-sud di fronte a nuove sfide, che der 1. Juni auch für viele Gemeinden de nombreuses communes des deux dopo i festeggiamenti andranno affron- auf beiden Seiten des Gotthards ein côtés du Gothard. Mais pour diffé- tate assieme. Anche questo fa parte Freudentag. Für verschiedene Gemein- rentes communes le long de l’axe della solidarietà federale. den entlang der Nord-Süd-Achse nord-sud, le nouveau tunnel entraînera bringt der neue Tunnel aber auch neue aussi de nouveaux défis auxquels il Herausforderungen. Diese müssen s’agira de faire face ensemble après nach den Feierlichkeiten gemeinsam les festivités. Cela aussi fait partie angegangen werden. Auch dies gehört de la solidarité fédérale. zur eidgenössischen Solidarität. Reto Lindegger Direktor/Directeur/Direttore SCHWEIZER GEMEINDE 6 l 2016 5
SCHWEIZERISCHER GEMEINDEVERBAND Pflegefinanzierung: SGV wehrt sich gegen steigende Kosten Der SGV, die kantonalen Gemeindeorganisationen und der Schweizerische Städteverband haben den Bund mit einer Resolution aufgefordert, die kommunalen Interessen in der Pflegefinanzierung endlich zu berücksichtigen. Kantone, Städte und Gemeinden haben nach Abzug der Eigenbeteiligung der Versicherten und der Krankenkassenbei- träge die verbleibenden Kosten in der Pflege zu tragen. Weil die Beiträge der Krankenversicherer und der Versicherten plafoniert sind, gehen Kostensteigerun- gen voll zulasten der öffentlichen Hand. Je nach kantonalem Finanzierungsmo- dell sind die Städte und Gemeinden überdurchschnittlich belastet. In zehn Kantonen geht die Restfinanzierung der Pflegekosten sogar zu 100 Prozent an die Gemeinden. Doppelt so hohe Kosten bis 2030 Die Pflegekosten werden weiter stark steigen. Das Gesundheitsobservatorium Obsan rechnet bis 2030 mit einer Ver- doppelung auf 17,8 Milliarden Franken. Neben den direkten Beiträgen der Ge- meinden an die Pflegeleistungen kom- men die Aufwendungen für die Ergän- zungsleistungen AHV/IV dazu. Städte und Gemeinden müssen andere wich- tige öffentliche Aufgaben zunehmend zurückstellen, weil die kommunalen Fi- nanzhaushalte immer stärker durch die Kosten in der Pflege belastet werden. Angesichts dieser Entwicklungen be- steht dringender Handlungsbedarf. Die beiden Kommunalverbände haben beim Bundesamt für Gesundheit bereits vor einem Jahr den Einbezug der Städte und Gemeinden in die Aktivitäten im Bereich Die Kosten für Betreuung und Pflege steigen. Bild: Fotolia Pflege gefordert. Das bekommen auch die Gemeinden zu spüren. Kostenteiler anpassen und Mitsprache sprechenden Begleitgremien einbezo- Schliesslich ist dem Grundsatz «ambu- Mitte Mai haben sie mit einer Resolution gen werden. Der Bund muss die Auftei- lant vor stationär» in der Pflegegesetz- an die Adresse des Bundes nachge- lung der Pflegekosten endlich anpassen. gebung stärker Rechnung zu tragen. Es doppelt. Der SGV, die kantonalen Ge- Die Krankenversicherungsbeiträge sind gibt noch zu wenig spezialisierte Ange- meindeorganisationen und der Schwei- zwingend an die Kostenentwicklung zu bote, die den Leistungsbezügern den zerische Städteverband fordern in der binden. Die Krankenversicherer sind stär- ambulanten Weg ermöglichen. Die Städte Pflegefinanzierung und Langzeitpflege ker in die Verantwortung zu nehmen. und Gemeinden sind bei der Planung der die folgenden Anpassungen: Städte und Gemeinden sind von den ambulanten und stationären Pflegever- Im April 2016 wurde die Evaluation der steigenden Gesundheitskosten insge- sorgung besser zu unterstützen. neuen Pflegefinanzierung ohne Städte samt und insbesondere von den Pflege- und Gemeinden gestartet. Sie hat zum kosten und Ergänzungsleistungen stark Philippe Blatter Ziel, die Umsetzung der neuen Pflege- betroffen. Sie müssen folglich auch bei finanzierung seit dem Jahr 2011 zu un- den verschiedenen Aktivitäten, die aus tersuchen und deren Wirkungen zu be- dem Bericht des Bundesrats zur Strate- Informationen: werten. Die Kommunalverbände müssen gie Langzeitpflege hervorgehen, einbe- www.tinyurl.com/pflegefinanzierung systematisch und dauernd in die ent- zogen werden. www.tinyurl.com/beitrag-tagesschau SCHWEIZER GEMEINDE 6 l 2016 7
SCHWEIZERISCHER GEMEINDEVERBAND Frischer Wind im Vorstand Die Delegierten wählten an der Generalversammlung in Lausanne sechs neue Vorstandsmitglieder und bestätigten die Bisherigen in ihren Ämtern. Nach den statutarischen Geschäften standen Referate zum Thema Migration im Fokus. Der statutarische Teil der SGV-General- versammlung vom 19. Mai in Lausanne stand ganz im Zeichen der Gesamt- erneuerungswahlen. Mit dem Ende der Legislatur 2012 bis 2016 traten sechs Vorstandsmitglieder zurück (siehe Ar- tikel in der «Schweizer Gemeinde» 5/2016). Für die Amtsperiode 2016 bis 2020 wählten die Delegierten in Lau- sanne sechs neue Vorstandsmitglieder (siehe unten) und bestätigten die Bishe- rigen Christine Bulliard-Marbach, Ric- cardo Calastri, Renate Gautschy, Hannes Germann, Rudolf Grüninger, Gustave Muheim, Helene Spiess und Beat Tinner in ihren Ämtern. Ständerat Hannes Ger- mann wurde als Präsident wiederge- wählt. Die Fiduciaire Probitas SA, Biel, bleibt in den nächsten vier Jahren die Revisionsstelle des SGV. Die Delegierten hiessen die weiteren statutarischen Ge- schäfte – Jahresbericht 2015, Jahresrech- nung 2015, Entlastung des Vorstands sowie die Festsetzung des Mitgliederbei- trags 2017 (unverändert) – ebenfalls gut. Engagement der Zivilgesellschaft Nach den statutarischen Geschäften Ständerat Hannes Germann wurde an der Generalversammlung Bilder: Stefan Hofmann sprach Erich Dürst, Direktor des kanto- des SGV in Lausanne als Präsident wiedergewählt. Die sechs neuen Mitglieder im Vorstand Daniel Albertin, 45, Gemeindepräsident Damien Chappuis, 37, Stadtpräsident Delé- Jean-Michel Karr, 48, Gemeinderat Albula/Alvra (GR), Grossrat mont (JU) Chêne-Bougeries (GE) 8 SCHWEIZER GEMEINDE 6 l 2016
SCHWEIZERISCHER GEMEINDEVERBAND nalen Etablissement vaudois d’accueil des migrants (Evam), über die aktuelle Lage und die Herausforderungen im Asylwesen des Kantons Waadt. Das Evam ist im Kanton für die Unterbrin- gung, Betreuung, Sozialhilfe für Asylbe- werber und vorläufig Aufgenommene sowie für die Nothilfe zuständig. Die grossen Herausforderungen, so Dürst, seien wie in andern Kantonen die Unter- bringung und die Integration. Aktuell sind im Kanton Waadt 16 Zivilschutzun- terkünfte mit rund 750 Personen in Be- trieb. Im Januar dieses Jahres, so Dürst, sei das Evam an die Grenze seiner Hand- lungsfähigkeit gelangt, und man habe bereits über Notrecht nachgedacht. Nun habe sich die Situation entspannt. «Im Hinblick auf die Integration ist jeder Monat, der verstreicht, verlorene Zeit», sagte Dürst angesichts der Tatsache, dass viele Asylbewerber in der Schweiz bleiben werden. Dürst stellte in den letz- ten zwei Jahren aber auch ein deutlich verstärktes Engagement der Zivilgesell- schaft fest; immer mehr Freiwillige un- Etienne Piguet, Professor für Geografie an der Universität Neuenburg, referierte zum terstützten heute Migranten im Alltag, Thema «Die Migrationsbewegungen in der Schweiz – damals und heute». beim Erlernen der Sprache, bei der Ar- beits- oder Wohnungssuche und bei der 29 Prozent der letztes Jahr in der Schweiz «Die Krisen sind näher gekommen, die Unterbringung. lebenden Bevölkerung sind im Ausland Welt ist kleiner geworden.» Die Prob- geboren. Das sind deutlich mehr als bei- leme im Asylwesen sieht Piguet vor al- «Die Welt ist kleiner geworden» spielsweise in Deutschland (15 Prozent) lem in der «Entkopplung» dieser Im- Einen interessanten Einblick in die Mi- oder in Italien (10 Prozent). Die Schweiz migration vom Arbeitsmarkt. grationsbewegungen der vergangenen habe diese grosse Immigration gut ge- 50 Jahre bot Etienne Piguet, Professor meistert – vor allem, weil diese eng mit Steff Schneider/Philippe Blatter an der Universität Neuenburg und Vize- der Wirtschaft gekoppelt gewesen sei. präsident der Eidgenössischen Migrati- Mit Bezug auf die Flüchtlinge, die nur onskommission. Piguet bezeichnete die einen kleinen Teil der gesamten Im- Dokumente/Präsentationen: Schweiz als typisches Immigrationsland; migration ausmachen, stellte Piguet fest: www.tinyurl.com/gv-lausanne des SGV Jörg Kündig, 56, Gemeindepräsident Goss- Jürg Marti, 37, Gemeindepräsident Stéphane Pont, 50, Gemeindepräsident au (ZH), Präsident Gemeindepräsidenten- Steffisburg (BE) Mollens (VS), Präsident Verband Walliser verband des Kantons Zürich, Kantonsrat Gemeinden SCHWEIZER GEMEINDE 6 l 2016 9
SCHWEIZERISCHER GEMEINDEVERBAND Zum Tod von Ehrenpräsident Toni Cantieni Am 23. April ist Toni Cantieni, der Ehrenpräsident des Schweizerischen Gemeindeverbands (SGV), im Alter von 88 Jahren gestorben. Er hat wesentlich dazu beigetragen, dass der SGV zu einer wichtigen politischen Kraft wurde. Toni Cantieni wurde im Juni 1987 an der Verdienste geehrt. «Toni Cantieni hat we- Generalversammlung in Bern als Nach- sentlich dazu beigetragen, dass der Ver- folger von Erwin Freiburghaus zum Prä- band zu einem Spitzenverband unseres sidenten des SGV gewählt. Er war ab Landes heranwachsen konnte. Er hat 1965 Mitglied des SGV-Vorstands, ab auch tatkräftig bei der Schaffung und 1980 Vizepräsident des SGV. Nach seiner Konsolidierung der einzelnen Dienstleis- Demission ernannte ihn die Generalver- tungsbetriebe des Verbands mitgewirkt», sammlung 1995 in Bern zum Ehrenprä- schrieb die «Schweizer Gemeinde» in sidenten. Der Bündner war auch viele ihrem Bericht. Unter Cantienis Führung Jahre nach seiner aktiven Zeit als regel- hat der SGV Anfang der 1990er-Jahre mässiger Gast der Generalversammlun- seine politischeTätigkeit intensiviert. Ein gen vielen bekannt. erster Schritt war die Gründung der Par- lamentarischen Gruppe «Kommunalpo- Gemeindepräsident von Vaz/Obervaz litik», die der SGV heute zusammen mit Cantieni wurde am 14. Mai 1928 auf der dem Schweizerischen Städteverband Lenzerheide in der Gemeinde Vaz/Ober- (SSV) betreut. In Cantienis Amtszeit fie- vaz als Sohn eines Landwirts und einer len aber auch die für die Gemeinden Bäuerin geboren. Er besuchte von 1945 sehr wichtigen Arbeiten um die Nachfüh- bis 1949 das Lehrerseminar in Chur und rung der Bundesverfassung. Zusammen erwarb 1953 an der Universität Frei- mit dem SSV gelang es, den «Gemein- burg das Sekundarlehrerpatent. Bis 1962 deartikel» (Art. 50) in der Bundesverfas- wirkte er als Lehrer in Vaz/Obervaz, Chur sung zu verankern und die Stellung der und Tiefencastel. Gemeinden im Bundesstaat aufzuwer- Bereits im Alter von 34 Jahren über- ten. nahm Cantieni das Amt des Gemein- depräsidenten von Vaz/Obervaz. Die «Grenzüberschreitende Ausstrahlung» Bündner Gemeinde stand Anfang der Toni Cantieni, Ehrenpräsident Bild: zvg Als Mitglied der Parlamentarischen Ver- 1960er-Jahre vor einer grossen touristi- des Schweizerischen Gemeindeverbands. sammlung des Europarats hatte Can- schen Entwicklung und war mit verschie- tieni oft eine europäische Sicht; so densten Herausforderungen konfron- setzte er sich beispielsweise für die Un- tiert. Mit Umsicht und Ausdauer, so das gewesen und habe sich sehr stark zu- terzeichnung der Charta der kommuna- «Bündner Tagblatt» 2013, habe Can- gunsten der Bergbevölkerung engagiert, len Selbstverwaltung des Europarates tieni, der von 1963 bis 1973 auch dem wurde alt Nationalrat Dumeni Colum- oder für Partnerschaften mit Gemeinden Grossen Rat angehörte, die erforderli- berg zitiert. in Osteuropa ein. In seinem Rückblick auf chen Massnahmen eingeleitet. So war Der SGV-Ehrenpräsident setzte sich stark das 40-jährige Bestehen des SGV schrieb er beispielsweise auch Mitbegründer für den Erhalt der romanischen Sprache Cantieni im Vorwort des Jahresberichts: der Bergbahnen Danis AG, die er von ein. Von 1984 bis 1992 präsidierte er un- «Die politische Ausstrahlungskraft der 1977 bis 1993 führte. ter anderem die romanische Sprach- Gemeinden und Städte muss aber Von 1963 bis 1973 war Cantieni für die organisation Lia Rumantscha. Als Mit- grenzüberschreitend sein. Kommunale, CVP im Grossen Rat und von 1971 bis initiant und Präsident der Pro Svizra kantonale und Staatsgrenzen sollen 1987 als Vertreter der Bündner CVP Mit- Rumantscha war er wesentlich an der keine Barrieren sichtbar werden lassen. glied des Nationalrats. In seiner Funk- Gründung der romanischen Tageszei- Angesichts der Notlage unzähliger Län- tion als Bundesparlamentarier war er tung «La Quotidiana» beteiligt. Nach der und der anhaltenden Missachtung ausserdem mehrere Jahre Mitglied der seiner Pensionierung gab Cantieni zwei der Menschenrechte ist es unsere Pflicht, Parlamentarischen Versammlung des Bücher mit Erzählungen und Gedichten unseren Beitrag zur Linderung von Not Europarates. Cantieni präsidierte auch in Obervazer Romanisch heraus. und Elend zu leisten. Die angestrebte die CVP Graubünden und habe es, wie Partnerschaft mit Gemeinden in Osteu- das «Bünder Tagblatt» anlässlich seines Gemeindeartikel in der Verfassung ropa soll ein erster Schritt sein.» 85. Geburtstags feststellte, verstanden, An seiner letzten Generalversamm- zwischen den bisweilen divergierenden lung, die im Rahmen der Suisse Public Meinungen zu vermitteln. Cantieni sei stattfand, die damals noch Kommunal- «eine grosse Stütze, ein wohlwollender fachmesse Gemeinde 95 hiess, wurde Ratgeber und ein beispielhafter Kollege» Cantieni vom SGV für seine grossen Steff Schneider SCHWEIZER GEMEINDE 6 l 2016 11
POLITIK Das Parlamentsgebäude in Sofia wurde zwischen 1884 und 1886 gebaut. Bild: Julian Nitzsche/CC-BY-SA 3.0 Gute Regierungsführung in bulgarischen Gemeinden Im April fand in Sofia eine Konferenz des Europarats zum Thema gute Regierungsführung auf lokaler Ebene statt. Der Schweizerische Gemeindeverband durfte die Schweizer Positionen in die Diskussionen einbringen. Der Europarat hat im Jahr 2008 eine spiele für gute Regierungsführung Er kommunale Regierungsführung und Strategie mit zwölf Prinzipien für Inno wähnung finden. Nach Jahrhunderten Verwaltung, dank dem kommunale Exe vation und gute Regierungsführung auf unter osmanischer Herrschaft (1396 bis kutiven bereits relativ früh direkt gewählt lokaler Ebene verabschiedet. Die bul 1878) und kommunistischer Unterdrü wurden. Die grösste Herausforderung garische Regierung beschloss daraufhin ckung (1944 bis 1989) hat sich das Land für bulgarische Gemeinden liegt immer einen nationalen Plan zur Umsetzung seit der Wende jedoch stark gewandelt. noch im kommunalen Finanzhaushalt, dieser Strategie. Seither sind mehrere Da es keine wichtigen regionalen Ver da sie fast ausschliesslich von staatli bulgarische Städte und Gemeinden mit waltungseinheiten gibt, wird in der bul chen Transferzahlungen abhängig sind. dem europäischen Label of Governance garischen Politik Städten und Gemein Wie vielerorts wurden zudem Aufgaben Excellence (Eloge) ausgezeichnet wor den traditionell ein grosses Gewicht von oben an die kommunale Ebene de den, nicht zuletzt dank norwegischer beigemessen. Insgesamt gibt es 264 legiert, ohne gleichzeitig die finanziellen Unterstützung. Anfang April fand in So Gemeinden, wobei rund ein Sechstel Ressourcen zu sprechen. Zusammen fia der erste Erfahrungsaustausch des der 7,2 Millionen Einwohner Bulgariens mit einer teils fehlenden kommunalen Europarats zu diesem Thema statt. in der Hauptstadt Sofia lebt. Ausgabendisziplin führte dies um die In der Regel dürften bulgarische Städte Die Dezentralisierung begann in Bulga Jahrtausendwende zu einzelnen kommu und Gemeinden nicht als Erstes als Bei rien im Jahr 1991 mit einem Gesetz für nalen Bankrotts. Diese Entwicklung be 12 SCHWEIZER GEMEINDE 6 l 2016
POLITIK flügelte den politischen Willen der ge tung für die lokale Bevölkerung zu. Das Zum andern werden beim Neuaufbau samten Elite, die lokale Regierungsfüh Vertrauen der Bevölkerung in die bul staatlicher Strukturen und Prozesse rung fortan effektiver umzusetzen. So garische Politik ist gering, was einen grundsätzliche Fragen gestellt, die auch entstand ab 2002 ein Konzept für die Teufelskreis in Gang setzt: Das Inter anderswo ihre Relevanz haben. So sollte fiskalische Dezentralisierung, mit dem ab esse an der Politik schwindet generell, es in der Schweiz ebenfalls eine Dauer 2003 erste Gebühren eingeführt und ab die Wahl und Stimmbeteiligung sinkt, aufgabe bleiben, bei der Beurteilung der 2007 lokale Steuern (zum Beispiel für und damit fühlt sich die Bevölkerung Politik weniger auf Outputs (was wurde Grundstücke) erhoben werden konnten. umso weniger ernst genommen. Das gemacht?) als vielmehr auf die Outco Label Eloge hilft in Bulgarien deshalb mes (ist das Gemachte sinnvoll und ziel Unterstützung aus Norwegen vor allem, Vertrauen zu schaffen, die führend?) zu setzen. Oder die Korrup Der bulgarische Plan zur Umsetzung der Bevölkerung in die lokale Politik einzu tionsbekämpfung eher als ein Mosaik zu Strategie des Europarats erfolgte in en beziehen, Transparenz zu fördern und verstehen, bei dem jeder Stein von Be ger Zusammenarbeit mit dem bulgari die Korruption zu bekämpfen. Zahlrei deutung sein kann. Aus Rumänien kom schen Gemeindeverband (NAMRB), der che interessante Projekte wurden in den men unerwartete Erkenntnisse, welche 2001 gegründet wurde. Die Stärkung letzten Jahren in bulgarischen Gemein die grössten Korruptionsprobleme we der kommunalen Interessenvertretung den verwirklicht, die genau in diese niger beim Vergabeprozess als vielmehr durch den NAMRB, der finanziell und Richtung gehen. in den Beziehungen der Privatwirtschaft organisatorisch vom norwegischen Ge zur Politik sehen. Schliesslich ist die meindeverband unterstützt wurde, war Auf Outcomes setzen Finanzierung von Parteien und politi ein entscheidender Faktor für die gleich Was konnte die Schweizer Vertretung schen Kampagnen ein Thema, bei dem berechtigte Zusammenarbeit mit der von diesem Austausch lernen? Glück der Weisheit letzter Schluss auch bei uns bulgarischen Regierung und den Erfolg licherweise befindet sich die Schweiz in noch nicht gefunden wurde. Dieses des Plans. So haben sich verschiedene einem anderen Entwicklungsstadium Thema ist im Ausland ebenfalls ein Dau bulgarische Städte und Gemeinden be als Bulgarien, wodurch die (kommuna erbrenner. reits mehrmals mit dem Label Eloge len) Herausforderungen in den beiden zertifizieren lassen. Auch einige norwe Ländern kaum vergleichbar sind. Zum Michael Bützer, gische Städte und Gemeinden erhielten einen kann die Schweiz über den Euro stv. Direktor SGV das Label, allerdings in einem verein parat ihre Erfahrungen in die bulgari fachten Verfahren. schen Diskussionen einbringen und Beeindruckend am Erfahrungsaustausch dieses Engagement in Zukunft vielleicht war der spürbare Wunsch aller bulgari noch verstärken. Das Stichwort Bürger Strategie für Innovation schen Politiker – sowohl auf kommuna beteiligung ist beispielsweise in aller ler als auch auf nationaler Ebene –, von Munde, auch wenn es sich dabei weni und gute Regierungs den guten Erfahrungen aus dem euro ger um Volksabstimmungen im schwei führung auf lokaler Ebene päischen Ausland zu profitieren und zerischen Sinn handelt als um den kon diese als Chance für die eigene Entwick sultativen Einbezug der relevanten Die zwölf Prinzipien der Strategie für lung zu sehen. Denn während mit dem lokalen Akteure in die Meinungsbil Innovation und gute Regierungsfüh Label in Norwegen die Optimierung der dung. Die Schweiz hat hier einen welt rung auf lokaler Ebene fassen die bereits ausgezeichneten Strukturen im weit unterreichten Erfahrungsschatz, Grundwerte der europäischen Demo Vordergrund steht, kommt dem Label in vom dem andere Staaten profitieren kratie zusammen und bilden das kom Bulgarien ebenso eine zentrale Bedeu könnten. plette Spektrum der Anforderungen für eine gute demokratische Regie rungsführung. Mittels der Prinzipien Schweizer Unterstützung Vertretung der Schweiz im können die Gemeinden der 47 Mit gliedsstaaten des Europarats ihre Re für Projekte in Bulgarien Europarat im Kongress der gierungsführung kontinuierlich ver bis 2019 Gemeinden und Regionen bessern. Parallel dazu arbeiten ihre Regierungen daran, die institutionel Der EUErweiterungsbeitrag der Kammer der kommunalen Behörden: len Bedingungen für Gemeinden zu Schweiz an Bulgarien beträgt insge • Beat Hirs, Gemeindepräsident von verbessern, womit sie auf bestehen samt 76 Millionen Franken. Bis zum Rorschacherberg den Verpflichtungen gemäss der Euro Ende der Verpflichtungsperiode im • Lelia Hunziker, Einwohnerrätin der päischen Charta der lokalen Selbstver Dezember 2014 hat die Schweiz sechs Stadt Aarau waltung und anderen Standards des thematische Fonds und neun Projekte • Laurent Wehrli, Gemeindepräsi Europarats aufbauen. Das europäi zur Verminderung der wirtschaftli dent von Montreux, Nationalrat sche Label für Innovation und gute chen und sozialen Ungleichheiten Stellvertreter: Regierungsführung wird Gemeinden genehmigt. Alle Projekte müssen bis • Christine Chevalley, Gemeinde durch ein unabhängiges Wahlkomitee im Dezember 2019 abgeschlossen präsidentin von Veytaux vergeben, das die allgemeine Qualität sein. mb • Dario Ghisletta, stellvertretender der Regierungsführung der beantra Gemeinderat von Bellinzona genden Gemeinde anhand der zwölf • Marianne Hollinger, Gemeindeprä Prinzipien prüft. mb sidentin von Aesch (BL) Informationen: www.tinyurl.com/erweiterungsbeitragbul Informationen: Informationen: www.tinyurl.com/unterstuetzteprojekte www.tinyurl.com/vertretungschweiz www.tinyurl.com/12prinzipien SCHWEIZER GEMEINDE 6 l 2016 13
FINANZEN Das Bestmögliche erreichen, ohne Lasten zu überwälzen Patrick Müller, Leiter Stab der Gemeinde Urdorf (ZH), hat mit drei Co-Autoren ein Instrument erarbeitet, das Gemeinden eine ganzheitliche finanzpolitische Steuerung ermöglicht. Im Interview erklärt er, wie es funktioniert. «Schweizer Gemeinde»: Sie haben Ihre Masterarbeit im Rahmen des Executive Master of Business Administration an der Hochschule Luzern zum Thema • Review der Jahresrechnung • Perspektiven definieren «Public Finance-Strategy» verfasst. Wie • Finanzplanung und Voranschlag • "100, 60, 10" rechnen erstellen • Notwendigkeit von Prozess sind Sie darauf gekommen? "Handlungsempfehlungen" festlegen Patrick Müller: Viele Schweizer Gemein- den und Städte stehen unter erhebli- chem finanziellem Druck. Behörden und Verwaltungen sind gefordert: Sie haben Auswertung Finanz-Check sich selbst und der Stimmbevölkerung Rechenschaft darüber abzulegen, wie die Finanzpolitik ausgerichtet wird. Zu- dem sind konkrete Massnahmen zur Gemeindeleitbild Zielerreichung zu erarbeiten. In diesem Zusammenhang stellen sich verschie- dene Fragen: Wie soll die Finanzpolitik Handlungs- Umsetzung ausgerichtet werden? Wie kann der ein- empfehlungen geschränkte finanzielle Handlungsspiel- raum von Gemeinden und Städten er- weitert werden? Und wie wird eine • Selektion • Analyse Finanzstrategie aufgebaut? Ziel der Mas- • Kommunikation • Workshop "Stärken, Schwächen" terarbeit war einerseits die Beantwor- • Umsetzung der • Workshop "Chancen, Risiken" Handlungsempfehlungen tung dieser Fragen. Andererseits war es • Workshop "Erweiterte SWOT" unser Anspruch, ein Instrument zu erar- beiten, mit welchem Schweizer Gemein- den und Städte praxisorientiert eine Finanzstrategie und Handlungsempfeh- Der «Public Finance-Strategy-Cycle» ist in vier Phasen unterteilt: Finanz-Check, Grafik: zvg lungen erarbeiten können. Handlungsempfehlungen, Umsetzung und Auswertung. Und wie können sie das? Kern ist das auf der Basis von Theorie «Fitnessstand» geprüft. Ist eine der Zudem werden betriebswirtschaftliche und Praxis erarbeitete Instrument «Pu- Sollvorgaben nicht eingehalten, kann und politische Beurteilungen konse- blic Finance-Stategy-Cycle» (PFSC). Es ein systematischer Prozess durchlaufen quent getrennt. handelt sich dabei um einen Kreislauf, werden. Aus diesem resultieren kon- der in vier Phasen unterteilt ist: Mit krete betriebswirtschaftliche Handlungs- Wie stehen Leitbild einer Gemeinde dem Finanz-Check in Phase 1 wird mit- empfehlungen. In Phase 3 sind diese und Finanzstrategie zueinander? tels drei einfacher und gleichzeitig um- politisch zu beurteilen und anschlies- Das Gemeindeleitbild steht im Zentrum fassender Kennzahlen der finanzielle send umzusetzen. In Phase 4 wird die des PFSC. Einerseits müssen Gemein- Wirksamkeit der umgesetzten Massnah- den und Städte öffentliche Aufgaben men ausgewertet. erfüllen, sofern keine übergeordnete Zuständigkeit gegeben ist. Typische öf- Patrick Müller Wie hebt sich dieser Kreislauf von fentliche Aufgaben zeichnen sich da- bereits bekannten Strategien ab? durch aus, dass niemand davon ausge- ist seit 2009 Leiter Mit dem PFSC haben wir bewährte schlossen werden kann und das Angebot Stab der Gemeinde Methoden – Kennzahlenmodelle, SWOT- trotz Nutzung keine Reduktion erfährt. Urdorf (ZH). Er ist Analyse etc. – aufgegriffen und diese in Kurz: Die öffentliche Hand hat dort ein- Referent des «CAS eine neue, kompakte Form gebracht. Das zugreifen, wo der Markt nicht spielt. in Public Manage- Instrument kann grundsätzlich in allen Andererseits haben diese Aufgaben fi- ment und Politik» Gemeinden und Städten der Schweiz nanziert zu sein. Mit den drei Kennzahlen an der Hochschule angewendet werden. Und das abge- «Selbstfinanzierungsgrad, 100 Prozent», Luzern. stimmt auf die zur Verfügung stehenden «Nettoverschuldungsanteil, 60 Prozent» zeitlichen und personellen Ressourcen. und «Selbstfinanzierungsanteil, 10 Pro- 14 SCHWEIZER GEMEINDE 6 l 2016
FINANZEN zent» messen wir, inwiefern mit dem gramme, aber auch raumplanerische, nanzhaushaltes. Die ökonomische Be- individuellen Aufgabenportefeuille der soziale oder organisatorische Massnah- trachtung der öffentlichen Aufgaben Gemeinde oder Stadt die finanzielle men. Die möglichen Massnahmen wur- erlaubt es, die Kernaufgaben einer Ge- Leistungsfähigkeit und eine nachhaltige den dem Gemeinderat präsentiert. Eine meinde fokussiert zu halten. Führen mit Verschuldungssituation gegeben sind. Steuerungsgruppe wird nun prüfen, Zahlen ist aber nicht primär eine struk- Die Finanzstrategie verstehen wir dabei welche Massnahmen politisch umsetz- turelle oder prozeduale Thematik, son- als dem Gemeindeleitbild untergeord- bar sind. dern viel mehr eine Frage der Kultur ei- neten Sektoralplan. ner Organisation und schliesslich der Haben noch andere Gemeinden mit nachhaltigen Haltung. Es geht um die Warum ist der Cashflow die geeignete dem PFSC gearbeitet? Beantwortung einer zentralen Frage: Wie Steuerungsgrösse für die kommunale Der Gemeinderat von Niederrohrdorf – ist das Bestmögliche für die heutige Ge- Finanzpolitik? einer im Vergleich zu Urdorf kleineren sellschaft zu erreichen, ohne ungerecht- Der Cashflow, also die Selbstfinanzie- Agglomerationsgemeinde im Kanton fertigte Lasten auf nächste Generationen rung, ist von der Rechnungslegung nicht Aargau – hat sich ebenfalls entschieden, zu überwälzen? beeinträchtigt. Es handelt sich um eine den PFSC als finanzpolitischen Rahmen transparente und auch verhältnismäs- zu nutzen. Dabei ist es gelungen, bei Sie schreiben in Ihrem Management sig einfach zu kommunizierende Steue- Exekutive und Legislative anhand der Summary: «Bei einem übermässigen rungsgrösse: Ein Franken weniger Aus- konkreten Kennzahlen eine gemeinsame finanziellen Fokus besteht das Risiko, gaben steigert den Cashflow um einen finanzpolitische Zielvorstellung zu ent- dass mittel- und langfristige Erfolgs- Franken. Aufgrund der drei Kennzahlen wickeln. potenziale kannibalisiert werden» – kann der konkrete Cashflowbedarf in ei- was meinen Sie damit? ner Zeitperiode berechnet werden. Jede Können auch kleinere Gemeinden den In einer Organisation bestehen mehrere getroffene Massnahme kann einfach in PFSC anwenden? Steuerungsgrössen: Die kurzfristigste ist diesen Kontext gesetzt werden. Eine Er- Der PFSC kann in grossen Städten und die Liquidität, gefolgt vom eigentlichen folgskontrolle ist stets möglich. ebenso in kleinen Gemeinden ange- Erfolg. Mittel- und langfristig wird über wendet werden. Die drei Kennzahlen bestehende und neue Erfolgspotenziale Die Gemeinde Urdorf hat mit dem sind universal gültig. Deren jährliche gesteuert. Eine zu übermässige Fokus- PFSC gearbeitet. Welche Erfahrungen Berechnung kann innert ein paar weni- sierung von Politik und Verwaltung auf hat sie damit gemacht? gen Minuten vorgenommen werden. Liquidität und Erfolg kann die Erfolgs- Im Frühjahr 2015 hat der Urdorfer Ge- Falls Handlungsempfehlungen erarbei- potenziale vermindern. Beispielsweise meinderat beschlossen, dass eine Fi- tet werden müssen, kann dieser Prozess gilt es abzuwägen, wie sich der Verzicht nanzstrategie zu erstellen ist. Die An- in geraffter Form oder umfassend ange- auf die Jugendarbeit aus finanziellen wendung des PFSC hat ergeben, dass gangen werden. Also genau so, wie es Überlegungen auf die Attraktivität der nach Ablauf der Finanzplanungsperiode den Ressourcen der jeweiligen Ge- Gemeinde auswirkt. im Jahr 2019 die Verschuldung der Ge- meinde oder Stadt entspricht. meinde im Vergleich mit ihrer finanziel- Interview: Philippe Blatter len Leistungsfähigkeit um rund 3,5 Mil- Welches sind die Vorteile des PFSC? Informationen: lionen Franken zu hoch sein wird. In der Die finanzpolitische Führung mit den Patrick Müller hat die Masterarbeit zum Folge wurden im Rahmen der Phase 2 drei Kennzahlen des PFSC gewährleis- Thema «Public Finance-Strategy» zusammen des PFSC 94 unternehmerische Hand- tet gleichermassen eine Reduktion der mit Adrian Häfeli, Franz Peter und Roman lungsempfehlungen erarbeitet. Diese Komplexität sowie eine ganzheitliche Wigger verfasst. Kontakt: patrick.mueller@ enthalten typische Kostensenkungspro- Perspektive auf alle Elemente des Fi- urdorf.ch Anzeige SCHWEIZER GEMEINDE 6 l 2016 15
GEMEINDEPORTRÄT Schattdorf will den Ortskern zum Leuchten bringen In den vergangenen fünf Jahren sind in Schattdorf (UR) viele Projekte erfolgreich umgesetzt worden. Dennoch warten grosse Herausforderungen auf die Gemeinde. Zum Beispiel die Belebung des Zentrums. 16 SCHWEIZER GEMEINDE 6 l 2016
GEMEINDEPORTRÄT «Der Gemeindepräsident hat den Gemeinderäten die nötigen Freiheiten gewährt.» Nein, schattig ist es an diesem Mittwoch- sidenten, einem Vizepräsidenten, einem morgen Anfang Mai überhaupt nicht in Sozialvorsteher, einem Verwalter und Schattdorf. Der Name der Urner Ge- einem bis drei Mitgliedern. In den meis- meinde, die rund 5000 Einwohner zählt ten Gemeinden leitet der Verwalter das und neben dem Kantonshauptort Altdorf Ressort Finanzen und Liegenschaften.» liegt, hat auch gar nichts mit Schatten zu Doch zurück zum Naherholungsgebiet tun. Er stammt aus dem Mittelhochdeut- Haldi. Es bietet Raum für verschiedene schen «Scachdorf», was «Dorf am Wald- Freizeitaktivitäten: Wandern, Biken, Schlit- rand» bedeutet. Der Wald beginnt am teln und Skifahren. «Hier befindet sich Fusse des Haldi, dem Hausberg von ausserdem die einzige Downhillstrecke Schattdorf. Eine Luftseilbahn, deren Tal- des Kantons Uri», sagt Gemeindepräsi- station ganz in der Nähe des Gemeinde- dent Rolf Zgraggen, «Jugendliche haben hauses im Dorfkern steht, führt in weni- sie initiiert.» Die Gemeinde beteiligt sich gen Minuten ins Naherholungsgebiet an den Kosten für den Unterhalt der auf knapp 1100 Meter über Meer. Downhillstrecke und leistet ebenfalls ei- nen finanziellen Beitrag an den Betrieb Das Naherholungsgebiet stärken des Skilifts. In Schattdorf können auch «Schattdorf bietet eine hohe Lebensqua- Gleitschirmpiloten ihrem Hobby frönen. lität», sagt Fortunat von Planta. Er ist Dank dem Engagement von Zgraggen – Verwalter der Gemeinde. Auf die unge- er ist Gründer des Paradeltaclubs Uri und wöhnliche Bezeichnung für ein Mitglied war einst Inhaber der Gleitschirmflug- der politischen Behörde angesprochen, schule Uri – und der Absprache mit Bau- erklärt er: «Gemäss Kantonsverfassung ern gibts auf dem Haldi einen Start- und besteht ein Gemeinderat aus einem Prä- im Talboden einen Landeplatz. Dorfkern von Schattdorf. Der Gemeinderat will die Attrak- tivität des Zentrums mit Leuchtturmprojekten er- höhen. Bilder: Zvonimir Pisonic SCHWEIZER GEMEINDE 6 l 2016 17
GEMEINDEPORTRÄT Wanderer und Biker können zwischen vielen verschiedenen Routen wählen. Das Haldi ist der Gemeinde wichtig. Sie ren die Abschlüsse bis auf ein einziges will ihr Naherholungsgebiet stärken. Mal immer positiv», sagt Zgraggen. Die Vor einem Jahr wurde bei der Talstation Rechnung 2015 schloss mit einem Plus der Luftseilbahn eine Tiefgarage fertig von 1,2 Millionen Franken ab. Das Eigen- gebaut. Seit den 1970er-Jah- kapital beträgt rund zehn Mil- ren führt zwar eine Zufahrts- «Wir lionen Franken. Nun bringt die strasse auf den Schattdorfer haben nicht Gemeinde – basierend auf der Hausberg, aber die Ausflügler neuen Immobilienstrategie – und Freizeitsportler sollen in aufgegeben, ihre Infrastrukturen auf Vor- erster Linie die Luftseilbahn es brauchte dermann. Derzeit wird die benützen. Der umständliche einfach Gräwimatt-Schulanlage für 17 Weg über die Zufahrtsstrasse Millionen Franken erneuert. ist übrigens auch der Grund, einen neuen «Diese Investition ist doppelt weshalb der Weiler Haldi seit Ansatz.» so hoch wie der Kredit für die 50 Jahren über eine eigene Erweiterung des Berufs- und Feuerwehr verfügt. «Es ist eine von fünf Weiterbildungszentrums Uri in Altdorf», Dorffeuerwehren, und sie hat erst noch sagt Zgraggen stolz. «Die Gemeinde in- am meisten Löschfahrzeuge – umge- vestiert fast eine ganze Jahreseinnahme baute Güllenfässer», erzählt Zgraggen. in diese Sanierung.» Von der Nehmer- zur Gebergemeinde Fehler in der Raumplanung korrigieren Schattdorf ist finanziell sehr gut aufge- Eine der grossen Herausforderungen stellt. Die Gemeinde hat sich im inner- für Schattdorf ist die Raumplanung. kantonalen Finanzausgleich von einer «Schaut man vom Haldi ins Tal, ist gut Nehmer- zu einer starken Gebergemeinde zu erkennen, dass die Siedlungsent- gemausert. «In den letzten 19 Jahren wa- wicklung in der Vergangenheit nicht 18 SCHWEIZER GEMEINDE 6 l 2016
GEMEINDEPORTRÄT nach den heute geforderten Kriterien – Der Gemeindepräsident entlang der Verkehrswege, nach innen, verdichtet – erfolgte. Selbst bei der letz- ten Zonenplanänderung im Jahr 2009 Rolf Zgraggen (62, CVP) ist seit fünf wurden in der Peripherie, im Breitacher- Jahren im Gemeinderat von Schatt- Quartier, noch grosse Gebiete einge- dorf, davon drei Jahre als Gemeinde- zont», sagt von Planta. Die Fehler von präsident. Der pensionierte Berufs- früher zu korrigieren, sei nicht immer schullehrer war Vorstandsmitglied in einfach. Doch der Schattdorfer Gemein- verschiedenen Vereinen – u.a. im Surf- derat hat sich an die Arbeit gemacht. club Uri, Männerchor Altdorf, Paradel- Noch vor den Sommerferien will er das taclub Uri, Segelclub Uri – und war kommunale Siedlungsleitbild verab- Inhaber und Leiter der Gleitschirmflug- schieden. schule Uri. Seine Hobbys sind die Fa- Das hohe Verkehrsaufkommen im Kan- milie, Volksmusik hören und spielen ton Uri wirkt sich unter anderem auch in (Handorgel, Klavier), Biken, Motorrad- Schattdorf aus. Auf der Hauptachse, der fahren und alternative Medizin. Zgrag- Gotthardstrasse, verkehren täglich rund gen ist verheiratet und hat drei erwach- 8000 Fahrzeuge – mitten durch die sene Söhne. pb Wohnquartiere. Viele Anwohner leiden unter einer zu hohen Luft- und Lärmbe- lastung. Abhilfe soll die sogenannte West-Ost-Verbindung (WOV) schaffen. Sie kostet knapp 20 Millionen Franken. Das Urner Stimmvolk nahm die Vorlage am 18. Oktober 2015 mit einem Ja-Stim- men-Anteil von 52,7 Prozent an. Gemäss Berechnungen des Kantons wird der Durchgangsverkehr auf der Gotthard- strasse in Schattdorf bis 2025 mehr als halbiert. Gleichzeitig wird das Industrie- gebiet der Gemeinde besser erschlos- sen. Der Bund realisiert nämlich südlich von Altdorf einen neuen Autobahn-Halb- anschluss mit einer Auffahrt Richtung Luzern/Zürich und einer Abfahrt Rich- tung Attinghausen/Schattdorf/Altdorf. Mit dem Bau der WOV werden in den Dörfern flankierende Massnahmen um- gesetzt. Damit wird in Schattdorf der Langsamverkehr gestärkt; dieser wird künftig über ein durchgängiges Netz verfügen. «In Zukunft soll der Langsam- verkehr in beiden Richtungen der Gott- hardstrasse separat sowie über die Quartiersammelstrassen und Quartier- strassen geführt werden», erklärt von Planta. Beim Kreisel bei der Coop-Tank- stelle wird zusammen mit der Gemeinde Bürglen eine Unterführung für die Velo- fahrer gebaut, und im Dorfkern sollen bald mehr Veloabstellplätze zur Verfü- gung stehen. Die Pfarrkirche steht leicht erhöht über dem Dorf, am Fuss des Schattdorfer Hausbergs Haldi. SCHWEIZER GEMEINDE 6 l 2016 19
GEMEINDEPORTRÄT Um Siedlung und Verkehr besser aufei- Leuchtturmprojekte im Dorfkern nander abzustimmen, hat die Urner Re- gierung mit den Gemeinden ein Agglo- Die zweitgrösste Urner Gemeinde ist für Zuzüger attraktiv. Momentan werden Der Verwalter merationsprogramm erarbeitet (siehe zirka 200 neue Wohnungen gebaut. An- Kasten). Dies brachte einen hohen Koor- dererseits sind in jüngster Vergangen- dinationsaufwand mit sich. «Der zeitli- heit ein paar Restaurants geschlossen che Ablauf war nicht optimal: Zuerst worden. «Das ist eine unschöne Situa- wurde die WOV geplant, und in jeder tion, es gibt keine Treffpunkte für die einzelnen Gemeinde wurden die flanki- Bevölkerung mehr», sagt Zgraggen. erenden Massnahmen ausgearbeitet. «Der Gemeinderat will der Entwicklung Dann haben wir im Gemeinderat das zum Schlafdorf entgegenwirken», betont kommunale Siedlungsleitbild erarbeitet Verwalter von Planta. Doch dafür braucht – danach hat der Kanton ein Agglomera- er einen langen Atem. 2013 lehnten die tionsprogramm darübergelegt. Eigent- Schattdorfer Stimmberechtigten einen lich müsste der Prozess gerade umge- Kredit von 1,25 Millionen Franken für kehrt sein», sagt von Planta, der in den eine Begegnungszone im Dorfkern mit Fortunat von Planta (FDP) ist seit 2011 verschiedenen Arbeitsgruppen tätig war. 1347 Nein-Stimmen gegen 837 Ja-Stim- im Gemeinderat von Schattdorf. Der «Wir mussten die verschiedenen Mass- men ab. «Wir haben aber nicht aufgege- 48-jährige Ökonom ist CEO des Kan- nahmen aufeinander abstimmen und ben, es brauchte einfach einen neuen tonsspitals Uri. Von 2005 bis 2008 war darauf achten, dass sich keine Wider- Ansatz», sagt von Planta. Der Gemein- er Präsident der Rechnungsprüfungs- sprüche ergaben.» Die flankierenden derat hat Rahmenbedingungen geschaf- kommission Schattdorf. Von Planta ist Massnahmen der WOV und der Inhalt fen, die für Investoren attraktiv sind: verheiratet und Vater von drei Kin- des kommunalen Siedlungsleitbilds Gebäude im Dorfkern, die stilles Ge- dern. Seine Hobbys sind Familie, seien nun auch im Agglomerationspro- werbe beherbergen, dürfen einen Stock Wandern, Biken und Lesen. pb gramm abgebildet. höher gebaut werden. 20 SCHWEIZER GEMEINDE 6 l 2016
GEMEINDEPORTRÄT Agglomerationsprogramm für Unteres Reusstal in der Vernehmlassung Die Urner Regierung hat mit den Gemeinden des Unteren Reusstals für eine bessere Abstimmung von Siedlung und Verkehr ein Agglomerationsprogramm erarbeitet. Mit dem Programm kann Uri für Verkehrsmassnahmen künftig Bun- desbeiträge beantragen. Das Agglomerationsprogramm Unteres Reusstal wurde Ende April zur Vernehmlassung freigegeben. Bis am 6. Juni konnten Bevölke- rung, Gemeinden, Verbände und Organisationen zu den Vorschlägen Stellung nehmen. Das erste Agglomerationsprogramm für Altdorf, Attinghausen, Bürglen, Erstfeld, Flüelen, Schattdorf, Seedorf und Silenen strebt eine koordinierte Planung von Siedlung, Landschaft und Verkehr an. Insbesondere sollen öffentlicher Verkehr, motorisierter Individualverkehr sowie der Fuss- und Veloverkehr besser aufein- ander abgestimmt werden. Seit Dezember 2014 zählt der Bund das Untere Reuss- tal zu den Schweizer Agglomerationen. Uri hat deshalb die Möglichkeit, ein Agglomerationsprogramm nach den Vorgaben des Bundes einzureichen. Damit kann der Kanton für das Untere Reusstal für Verkehrsmassnahmen Bundesbei- träge auslösen. Nach der öffentlichen Mitwirkung und der Überarbeitung des Programms wird dieses den beteiligten Gemeinden zur Beschlussfassung durch die Gemeinderäte zugestellt. Der Regierungsrat will das Programm per Ende September beim Bund zur Prüfung einreichen. sda/pb Das neue Mehrzweckgebäude in der Grundmatte. Das Gebäude beher- bergt die Trainingshalle der Ringer- riege, eine Einstellhalle für den Un- terhaltsdienst der Gemeinde und im Obergeschoss zwei Vereinslokale. Bild: Gemeinde Schattdorf Im Pulverturm lagerte einst das Schiesspulver des Landes Uri. Die Gemeinde versucht nun, den Dorf- kern mit einem Leuchtturmprojekt zu beleben. Sie hat von der Urner Kan- tonalbank an der Dorfstrasse 6 eine Liegenschaft, das sogenannte Brunne- ler-Haus, gekauft. Hier soll ein Gesund- heitszentrum entstehen. Auf die entspre- chende wettbewerbliche Ausschreibung haben sich verschiedene Investoren ge- meldet. «Wenn die Gemeinschaftspraxis realisiert wird, können wir uns vorstel- len, mit demselben Vorgehen ein weite- res Leuchtturmprojekt in Angriff zu neh- men – eine Liegenschaft kaufen, den besten Nutzen definieren und wieder ausschreiben», sagt von Planta. Wichtig sei, Schritt für Schritt vorzugehen. Denn es sei aus politischer Sicht heikel, wenn die Gemeinde Liegenschaften «auf Vor- rat» kaufe. Rechtssammlung auf neuestem Stand Schattdorf hat – mit Unterstützung eines Verwaltungsrechtspezialisten – alle kom- munalen Gesetze, Verordnungen und SCHWEIZER GEMEINDE 6 l 2016 21
GEMEINDEPORTRÄT Reglemente total revidiert. «Es war eine dringend notwendige und umfangreiche Arbeit», sagt von Planta. Der Aufwand hat sich gelohnt. Die Kompetenzen und Pflichten der Behörden sind jetzt klarer geregelt, Widersprüche zum Bundes- recht und zu kantonalen Recht wurden beseitigt. Schliesslich wurden die Volks- rechte dank dem «Aufräumen» wieder gestärkt. Der Verwalter erklärt: «Noch vor kurzer Zeit entschied die offene Dorfge- meinde (so wird im Kanton Uri die Ge- meindeversammlung genannt; Anm. d. Red.), ob zu einem Geschäft eine Urnen- abstimmung durchgeführt werden darf. Doch in der Gemeindeordnung steht klar geschrieben, dass über Geschäfte, bei denen die Ausgaben 300 000 Franken übersteigen, an der Urne abgestimmt werden muss.» Auch das Gemeinderatsreglement wurde überarbeitet. «Wir haben uns überlegt, was notwendig und was sinnvoll ist», sagt von Planta. Das Resultat: zehn be- ratende Kommissionen weniger und Oben: Neue Wohnüberbauung «Weingarten». keine Doppelspurigkeiten respektive Mitte: Shoppingcenter Tellpark. Doppelbelastungen mehr. «Früher gab es Unten: Der Weiler Haldi auf 1079 m ü. M. eine Finanzkommission mit drei Gemein- 22 SCHWEIZER GEMEINDE 6 l 2016
GEMEINDEPORTRÄT Die Gemeinde im HLS Schattdorf Politische Gemeinde Uri, in der Reuss- ebene zwischen Schächenbach und Reuss gelegen. Vom Dorf im Tal er- streckt sie sich über viele Einzelhöfe bis zum Weiler Haldi auf 1079 m ü. M. Keramik- und Münzfunde aus dem 1. bis 2. Jh. n. Chr. verweisen auf eine mögliche Besiedlung in römischer Zeit. Die Grenzziehung zu Bürglen erfolgte 1576. Das vor 1575 erbaute Tanzhaus diente der Unterhaltung und als Lokal für Dorfversammlun- gen. Eine Schule mit Laienlehrer wird in der 1. Hälfte des 17. Jh. erwähnt. Zusammen mit Bürglen unter dem Gräblein und Erstfeld diesseits der Reuss gehörte Schattdorf zur vierten Genossame und konnte bis 1798 drei Mitglieder in den Landrat entsenden. Der 1525 erwähnte Dorfbach lieferte die Energie für Mühlen und Säge- reien. Ab Mitte des 19. Jh. erlebte Schattdorf durch die Ansiedlung von Gewerbe entlang des Dorfbachs und die Industrialisierung der Reussebene Blick vom Haldi auf die Reussebene einen anhaltenden Aufschwung. und den Urnersee. 1945–1950 produzierte Landis & Gyr, 1945–1995 Bally, ab 1972 die Gum- mifabrik der Dätwyler AG in Schatt- dorf. Weitere Arbeitsplätze schufen ab 1976 die Stiftung Behindertenbetriebe Uri, ab 1980 die Gotthard-Raststätte an der A2 oder ab 1982 ein Altkleider- deräten, obwohl der Gemeinderat ohne- schäften», sagt Verwalter von Planta, sortierwerk von Texaid. Durch seine hin über das Geschäft befindet», nennt «auf der anderen Seite ist es nicht immer fluss- und bachnahe Lage bestand in von Planta ein Beispiel. Auch die Kom- einfach, sicherzustellen, dass Verwal- Schattdorf stets eine Gefährdung petenzen sind jetzt besser geregelt. In tung und Gemeinderat auf dem gleichen durch Hochwasser, der durch die Ver- der Vergangenheit präsentierte der Ge- Informationsstand sind.» Wichtig sei, so bauung des Gang- (1890–97) und des meinderat jeweils Rechnung und Budget Zgraggen, die Balance. «Wir haben eine Schächenbaches (1910–14) sowie der des Alters- und Pflegeheims (APH) Rüt- starke Verwaltung und einen starken Ge- Reuss (1972–76) entgegengetreten tigarten – einer eigenständigen öffent- meinderat.» wurde. Die Melioration der rechtsuf- lich-rechtlichen Institution – und legte sie Siedlungsleitbild, Immobilienstrategie, rigen Reussebene nach dem 1. Welt- der Gemeindeversammlung zur Geneh- Totalrevision der Rechtssammlung, flä- krieg verbesserte das Agrarland im migung vor. Dabei ist dies die Aufgabe chendeckende Umstellung der Strassen- Ried und Rinächt. 1951 wurde eine des Verwaltungsrats des APH. Das ist beleuchtung auf LED als erste Gemeinde öffentliche Verkehrsverbindung nach jetzt, nach der Überarbeitung der Verord- im Kanton Uri, neues Führungsmodell: Altdorf und zur SBB-Station Flüelen nung über das APH, klar. Dem unabhängigen Beobachter stellt geschaffen. Auf dem Haldi, das 1922 sich die Frage, weshalb die Gemeinde erstmals durch eine Luftseilbahn und Gemeinderat kann strategisch arbeiten Schattdorf innerhalb von wenigen Jah- in den 1970er-Jahren durch eine Eine Entlastung hat der Gemeinderat ren so viele fortschrittliche Projekte um- Fahrstrasse erschlossen wurde, ent- auch dank dem vor vier Jahren einge- gesetzt hat. «Die Ideen haben zusam- faltete sich im 20. Jh. ein reger Som- führten Geschäftsleitungsmodell erfah- mengepasst, und der Gemeindepräsident mer- und Wintertourismus. Durch ren. Die Gemeindeschreiberin, Sybille hat den Gemeinderatsmitgliedern die die starke Zuwanderung (Zonenplan Jauch, führt die Gemeindeverwaltung, nötigen Freiheiten gewährt», erklärt von 1977) wurde Schattdorf 1980 bevölke- ist Ansprechperson für Fragen und Planta. rungsmässig zur zweitgrössten Ge- Anliegen der Bevölkerung und bereitet meinde im Kanton. die politischen Geschäfte vor. «Dadurch Philippe Blatter kann der Gemeinderat mehrheitlich stra- Hans Stadler, Historisches Lexikon tegisch arbeiten», sagt Gemeindeprä- der Schweiz, Version vom 11.7.2011, sident Zgraggen. «Wir arbeiten mit Informationen: www.hls-dhs-dss.ch höherem Tempo an den politischen Ge- www.schattdorf.ch SCHWEIZER GEMEINDE 6 l 2016 23
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