Amt und Gemeinde - Evangelische Kirche in Österreich

 
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Amt und Gemeinde - Evangelische Kirche in Österreich
Amt und Gemeinde
65. Jahrgang, Heft 3, 2015                                                € 6, –

                              PfarrerInnenbild &
                              Diaspora

                              Identität und Führungsposition im Pfarrberuf –
                              eine multikomplexe Herausforderung
                              Frank Weyen                                      134

                              Ein Pastor soll Vorbild sein
                              Bernd Jaeger                                     155

                              Geschichte, Identität und Diaspora
                              Alexander Hanisch-Wolfram                        164

                              Diasporabewusstsein nach 1945. Thesen
                              zu einer gegenwärtigen Diasporatheologie
                              Markus Hütter                                    170

                              Diaspora aus literarischer Sicht
                              Simon Konttas                                    178

                              Diaspora und Selbstwahrnehmung
                              protestantischer Minderheitskirchen
                              in Europa
                              Mónika Solymár                                   186

                              sowie andere Beiträge und Rezensionen

Evangelischer Presseverband   Herausgeber: Bischof Michael Bünker
INHALT

Editorial .................................................................................................. 125
Charlotte Matthias

Evangelisch in Vorarlberg – Geistlicher Impuls zur Eröffnung
der österreichischen PfarrerInnentagung 2015 ...................................... 127
Thomas Hennefeld

„Gott wolle geben, dass er in dem sauren Salat … doch auch
einige Süßigkeiten verspüren möge.“ Grußwort für
die PfarrerInnentagung 2015 aus der Ökumene..................................... 131
Edwin Matt

Identität und Führungsposition im Pfarrberuf –
eine multi­-komplexe Herausforderung ................................................... 134
Frank Weyen

Compassion fatigue ............................................................................... 148
Andacht von Esther Handschin

„Do vurne muaß a Hosata stehen.“
Andacht von Birgit Meindl-Dröthandl ......................................................... 151

Ein Pastor soll Vorbild sein...................................................................... 155
Bernd Jaeger

Von der Dankbarkeit ............................................................................... 159
Predigt von Hannelore Reiner
                                                     ***

Geschichte, Identität und Diaspora ........................................................ 164
Alexander Hanisch-Wolfram

Diasporabewusstsein nach 1945.
Thesen zu einer gegenwärtigen Diasporatheologie................................ 170
Markus Hütter
Diaspora aus literarischer Sicht ............................................................... 178
Simon Konttas

Diaspora und Selbstwahrnehmung protestantischer
Minderheitskirchen in Europa .................................................................. 186
Mónika Solymár

                                                    ***

Die Reflexion der neuen Paulusperspektive in der Slowakei ................. 193
Ondrej Prostredník

Die Reflexion der neuen Paulusperspektive in der Slowakei.................. 201
Ein Kommentar zu Ondrej Prostredník von Max Josef Suda

                                                    ***

Rezensionen

Ulrich Andreas Wien:
Resonanz und Widerspruch. Von der siebenbürgischen
Diaspora-Volkskirche zur Diaspora in Rumänien
Volker Petri (Hg.):
Not und Neuanfang. Die Evangelische Kirche Österreichs
und ihre Siebenbürger Sachsen. ............................................................ 205
Karl W. Schwarz

Susanne Heine / Ömer Özsoy / Christoph Schwöbel / Abdullah Takim (Hg.):
Christen und Muslime im Gespräch.
Eine Verständigung über Kernthemen der Theologie. ............................ 210
Alfred Garcia Sobreira-Majer

                                                    ***

Anhang

AutorInnen .............................................................................................. 214
Impressum .............................................................................................. 216
 P FA R R E R i N N E N B I L D

Editorial

E    ntweder leisten Pfarrerinnen und
     Pfarrer der ­„Deprofessionalisierung
des Pfarramtes im ständigen Blick auf
                                             Die jährlich abgehaltene Konferenz wurde
                                             mit zwei Grußworten von Landessuper-
                                             intendent Thomas Hennefeld und dem
sinkende Mitgliederzahlen, F ­ inanzmittel   Ökumentebeauftragen des katholischen
und öffentliche Darstellung in den ­Medien   Seelsorgeraums Bregenz Edwin Matt er-
durch Enttheologisierung des Berufsstan-     öffnet. Beide warfen einen Blick auf das
des Vorschub (als Entertainer und Gesel-     historische und das heutige Evangelisch-
ligkeit fördernde, deprofessionalisierte     sein in Vorarlberg.
Animateure) oder sie nehmen bewusst
das Proprium ihres Schlüsselberufes als      Über das Bild der Pfarrerin / des Pfarrers
akademisch gebildete Theologinnen und        machten sich in ihren Andachten auch die
Theologen im Pfarrberuf ernst“, for-         beiden Pfarrerinnen Esther Handschin
muliert Frank Weyen in seinem Vortrag        und Birgit Meindl-Dröthandl ihre Gedan-
„Identität und Führungsposition im Pfarr-    ken. Und Bernd Jaeger, Referent für Kir-
beruf – eine multikomplexe Herausfor-        chenbeziehungen der Gemeinschaft Evan-
derung“ einigermaßen streng. Der wis-        gelischer Kirchen in Europa GEKE und
senschaftliche Mitarbeiter im Zentrum        langjähriger Pastor der einstigen Nord­
für Kirchenentwicklung (ZKE) an der          elbischen Kirche nimmt in seiner Andacht
Universität Zürich und Gemeindepfarrer       „Ein Pastor soll Vorbild sein“ eine Dienst-
im Ruhrgebiet war Hauptreferent der dies-    anweisung der deutschen Nordkirche, in
jährigen PfarrerInnentagung, zu der die      der vom Vorbildcharakter des Pastoren-
drei Evangelischen Kirchen in Österreich     amtes ausdrücklich die Rede ist, zum An-
– lutherisch, reformiert und methodis-       lass, bei Paulus über dessen Verständnis
tisch  – vom 31.8.–3.9.2015 zum Thema        des Hirtenamtes nachzulesen. Die ehe-
„PfarrerInnenbild“ an den Bodensee nach      malige Oberkirchenrätin Hannelore Rei-
Bregenz eingeladen hatten. Diese Aus-        ner predigte im Abschlussgottesdienst der
gabe von Amt und Gemeinde fasst Gruß-        Tagung über die Dankbarkeit und bezog
worte, Vorträge, Andachten, und die Ab-      sich dabei auf den dritten Teil des Heidel-
schlusspredigt der gesamt­österreichischen   berger Katechismus, der da lautet: Von der
Tagung zusammen.                             Dankbarkeit. Sie kam zum Schluss, dass
                                             der Beruf eines Pfarrers / einer Pfarrerin

Amt und Gemeinde                                                                    125
trotz aller Herausforderungen auch heut-       In diesem Heft finden Sie die österreichi-
zutage aus einem dankbaren Grundgefühl         schen Ergebnisse in den Beiträgen des
gelebt und geliebt werden könnte.              Historikers Alexander Wolfram-Hanisch
                                               und der TheologInnen Markus Hütter, Si-
Der Diaspora widmet sich der zweite            mon Konttas und Mónika Solymár.
Schwerpunkt dieser Ausgabe von Amt
und Gemeinde. Seitdem die Vollversamm-         Der Beitrag von Ondrej Prostredník lässt
lung der Gemeinschaft Evangelischer Kir-       uns schließlich über die Grenze hin-
chen in Europa GEKE, die 2012 in Flo-          weg in die Slowakei blicken. Prostred-
renz stattfand, beschlossen hatte, dass ein    ník zeigt, dass die Thesen einer neuen
„Studienprozess Theologie der Diaspora“        Paulusperspektive in der Slowakei eine
initiiert werden solle, gab es zwei wichtige   fruchtbare theoretische und auch prakti-
Arbeitsschritte:                               sche Reflexion in Theologie und Gesell-
                                               schaft bewirkt haben und die Neigung der
Im März 2015 fand in Neudietendorf in          Gesellschaft zu Fremdenhass und Anti-
Deutschland eine interdisziplinäre wis-        semitismus als eine ernste Herausforde-
senschaftliche Tagung zum Thema Dias-          rung für die Theologie wahrgenommen
pora statt. Ziel der Tagung war es, einen      werden muss.
Anschluss der Theologie an die jüngere
religions-, kultur- und sozialwissenschaft-    Abschließend rezensiert Karl W. Schwarz
liche Diasporaforschung zu gewinnen.           neu erschienene Siebenbürgenlitera-
Auffällig war die große Aufgeschlossen-        tur unter anderem auch über die Dias-
heit unter den jungen außertheologischen       porasituation in Rumänien und Alfred
DiasporaforscherInnen gegenüber den            Garcia Sobreira-Majers Besprechung von
Darstellungen der Theologie zum Thema.         Susanne Heine / Ömer Özsoy / Christoph
                                               Schwöbel / Abdullah Takim (Hg.): „Chris-
Im September 2015 tagte dann in Rom            ten und Muslime im Gespräch. Eine Ver-
eine von der Geschäftsstelle der GEKE          ständigung über Kernthemen der Theolo-
in der Facoltà Valdese organisierte Stu-       gie“ ist eine Empfehlung für alle, „denen
dierendenkonferenz, die dem Thema der          der christlich-muslimische Dialog – ge-
Selbstwahrnehmung und der Selbstdeu-           rade auch auf der Ebene der Gemeinden,
tung von Minderheits- und Diasporakir-         der Schulen und Hochschulen – ein An-
chen gewidmet war. Studierende an neun         liegen ist.“
Hochschulen aus sieben europäischen
Ländern hatten an dem Thema geforscht                              Charlotte Matthias
und in Rom ihre Ergebnisse präsentiert.

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Evangelisch in Vorarlberg

Geistlicher Impuls zur Eröffnung der österreichischen PfarrerInnen­
tagung 2015 am 31. August 2015 in Bregenz.

                                                        Von Thomas Hennefeld

1.    Fluchtgeschichten als                  Abhängigkeit von lokalen HelferInnen in-
      interaktives Theater                   mitten kleinräumiger Dorfstrukturen und
                                             sozialer Kontrolle aber auch die Mensch-
An diesem Wochenende fand ein interak-       lichkeit der Grenzwächter thematisiert.
tives Theater im Montafon statt und zwar     Gespielt wurde in einem Hotel und im
in Form einer geführten Wanderung von        freien Gelände. Darsteller und Publikum
Gargellen über das Sarotla-Joch hinü-        wanderten gemeinsam auf den damaligen
ber in die Schweiz. Die Theatergruppe        Fluchtrouten.
zeichnete Fluchtgeschichten auf alten           Die Schicksale der Flüchtlinge hö-
Schmugglerpfaden von Vorarlberg in die       ren sich ähnlich an wie jene aus der Ge-
Schweiz während der NS-Zeit nach. Diese      genwart. Manche Flüchtlinge waren an
gespielten Szenen basieren auf Zeitzeu-      Erschöpfung gestorben, andere hatten
genberichten, historischen Dokumenten        Selbstmord begangen, wieder andere
und literarischen Texten von Franz Werfel,   wurden verraten und wenige hatten es
Jura Soyfer u. a.                            geschafft, in die rettende vermeintliche
   Dabei wurden die Entwurzelung der         Freiheit zu gelangen. Denn immer wie-
Menschen, ihre Strapazen in einer hoch-      der wurden Menschen von der Schweiz
alpinen Region, ihrer oftmals tödlichen      nach Nazi-Deutschland zurückgeschickt.

Amt und Gemeinde                                                                 127
2.    Echte Vorarlberger                      sche“ belebten und darum kämpften, eine
      und fremde Bettler                      Kirche bauen zu dürfen, eine Gemeinde
                                              zu gründen. Sie kamen nicht nur aus dem
Über die Vorarlberger gab es lange das        deutschsprachigen Raum, sondern aus der
Klischee, sie würden abgekapselt leben.       nicht deutschsprachigen Schweiz und aus
Aus der Sicht Wiens hinter dem Arlberg.       Schottland.
    Ein unverdächtiger Zeitgenosse, der          Und es ist den Gründervätern zu ver-
Politikwissenschaftler und ORF-Journa-        danken, dass hier die reformierte Tradition
list Markus Barnay, in Bregenz geboren,       Einzug hielt. Die Unternehmer brachten
schrieb eine Studie über die Ethnizität des   eine calvinistische Gesinnung mit, inves-
Vorarlbergers. Er demontierte den Mythos      tierten ihr Kapital, zogen damit auch die
von der Einheit. Die Vorarlberger seien       Arbeiterschaft an und hatten auch ein so-
Alemannen, das Land bilde eine Einheit        ziales Bewusstsein, fühlten sich verant-
seit Jahrhunderten. Barnay entdeckte, dass    wortlich für das Wohl der Arbeiterschaft.
der „Vorarlberger“ aus vielschichtigen po-       In Vorarlberg wurde die evangelische
litisch-kulturellen Entwicklungen der letz-   Gemeinde gegen den Widerstand zahl-
ten zwei Jahrhunderte entstand; er wurde      reicher katholischer Bürger gegründet.
nicht vorgefunden, sondern erfunden.             Die Reaktion auf den Erlass des Protes-
    In einem anderen Buch über die Ge-        tantenpatents im April 1861 war harsch.
schichte des 20. Jahrhunderts ging er den     Eine Plakataktion wurde initiiert mit Slo-
Fragen nach, die auch andere beschäfti-       gans, die uns aus der heutigen Politik nicht
gen: Ist das „Ländle“ wirklich anders als     ganz unbekannt sind:
die anderen? Sind die Vorarlberger ei-
gentlich verkappte Schweizer oder etwa           „Die Protestanten dürfen also Kirchen
Österreicher mit europäischen Wurzeln?           bauen … es dürfen so viel als wollen in
Warum leben hier mehr Zuwanderer als             unser Land hereinkommen, dürfen sich
in anderen Bundesländern?                        die höchsten Stellen in der Gemeinde
                                                 aneignen, um uns dann dafür zu knech-
                                                 ten und zu benachteiligten und unsere
3.    Evangelische als                           Religion zu verspotten, dass sie das
      fremde Elemente                            tun werden, lehrt die Erfahrung … …
                                                 300 Jahre haben wir die Glaubensein-
Wir wissen es eh schon. Denn auch wenn           heit bewahrt und nun soll sie zu Grabe
es Protestanten schon zur Zeit der Refor-        getragen werden. Wir geben Blut und
mation gab, die heutige Kirche ist ein Er-       Leben für die Einheit des Glaubens.“
gebnis der Entwicklung der beiden letzten
Jahrhunderte. Es waren MigrantInnen,          Die fanatischen Abgeordneten konnten
Ein-und Zuwanderer, Unternehmer und           die Gründung der ersten evangelischen
wohlhabende Familien, die das „Evangeli-      Gemeinde in Vorarlberg nicht verhindern.

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Ein Pfarrer wurde geholt, auch ein Mig-               Er wolle seine ganze Kraft dem
rant: Eduard Kohler, ein Schwabe.                     Dienste in der Gemeinde weihen und
                                                      ein liebevoll ernster Lehrer für die
                                                      Jugend und ein treuer Seelsorger und
4.     Ein Pfarrer auf                                Prediger für die Gemeinde sein.
       schwerem Posten
                                                 Pfarrersein unter ganz anderen Umstän-
Pfarrer Kohler übersiedelte zuerst von           den als heute. Abhängig von Honora-
Gmünd nach Biberach. Grund der Verset-           tioren. Gottesdienste in der Villa eines
zung war wahrscheinlich ein Zerwürfnis           Unternehmers – bei Carl Ferdinand von
mit seinem Lehrpfarrer.                          Schwerzenbach, angefeindet und abge-
   Er schien prädestiniert für die neu ge-       lehnt von der Römisch-katholischen Be-
gründete Gemeinde in Bregenz. Es wurde           völkerung. Ich stelle mir diese Rahmen-
ein Pfarrer für die Protestanten gesucht,        bedingungen irgendwie ungemütlich vor.
der gleichzeitig als Privatlehrer die Kin-          An jedem ersten Sonntag fuhr der Pfar-
der der evangelischen Honoratioren un-           rer um fünf Uhr morgens im Wagen ins
terrichten sollte. Kohler hob in seinem          Oberland. Dort hielt er im Haus der Fa-
Bewerbungsschreiben seine pädagogi-              milie Douglass in Thüringen (Villa Fal-
sche Fähigkeit und seine Abstammung              kenhorst) den Gottesdienst für die Ober-
aus einer Schulmeisterfamilie hervor. Er         länder. Er spielte selbst die Orgel zum
sei auch geübt im Gesang, spiele Violine,        Gemeindegesang.
Klavier und Orgel. Er ging auch auf seine           Vom Anfang an gab es ein gespanntes
ökumenische Einstellung ein:                     Verhältnis zwischen Kurator und Pfar-
                                                 rer. Der Kurator war 24 Jahr älter als der
     „Er habe durch jahrelangen Verkehr          Pfarrer. Er residierte in seinem Schloss
     mit Andersdenkenden die so nötige           Babenwohl, mit Blick auf die Bregenzer
     Vorsicht und Zurückhaltung gelernt,         Kirche. Der Kurator machte ihm das Le-
     und der stete Umgang mit Sekten und         ben schwer. Nach nur dreijähriger Tätig-
     Parteien brachte es ihm zur bleiben-        keit verließ er Bregenz. Die Zeit hinterließ
     den Überzeugung, dass Alles darauf          beim Pfarrer traumatische Spuren.
     ankommt, im Geiste christlicher Liebe
     und Verträglichkeit zu wirken und sich
     ängstlich allem falschen Eifer zu enthal-   5.     Herausforderungen und
     ten, welcher den Frieden und die Har-              Pfarrerbild heute
     monie zu zerstören im Stande wäre.“
                                                 Zuwanderung, Migration, die nicht enden
Dem designierten Pfarrer von Bregenz             wollenden Flüchtlingsströme. das sind
war von Anfang an klar, dass die Pfarr-          auch Herausforderungen für uns heute,
stelle ein schwerer Missionsposten sei.          für Pfarrerinnen und Pfarrer. Soll nicht

Amt und Gemeinde                                                                         129
das Pfarrhaus eine Anlaufstelle für Not-      Dieses Wort des Auferstandenen an seine
leidende sein, für Flüchtlinge? Wie gehen     Jünger war die Initialzündung zur Entste-
wir mit ihnen um?                             hung der Kirche. Die Jünger erhielten den
   Kirche als Institution, die für andere     Auftrag, Jesu Werk fortzusetzen, in der
Menschen da ist. Der Pfarrer dabei als        Welt zu wirken, im Geist Jesu zu handeln.
Vorbild? Der Pfarrer zwischen Anspruch           Wir als Pfarrerinnen und Pfarrer sind
und Wirklichkeit, zwischen Berufung und       nicht nur Gebende, sondern auch Emp-
Beruf, zwischen Prophet und Bürokrat.         fangende, nicht nur Seelsorger, sondern
                                              selbst Menschen mit Seele, die selbst auf
      Da sagte Jesus noch einmal zu ihnen:    Seelsorge angewiesen sind, nicht nur Seg-
      Friede sei mit euch! Wie mich der Va-   nende, sondern auch Gesegnete, also ganz
      ter gesandt hat, so sende ich euch.     normale und sterbliche Menschen, Kinder
      Und nachdem er dies gesagt hatte,       Gottes mit einem besonderen, wunderba-
      hauchte er sie an, und er sagt zu ih-   ren Auftrag ausgestattet.              ■
      nen: Heiligen Geist sollt ihr empfan-
      gen! Joh. 20,21 f.                      Die Zitate stammen aus:
                                              Wolfgang Olschbaur und Karl Schwarz (Hg.),
                                              Evangelisch in Vorarlberg, Verlag der Evangeli-
                                              schen Pfarrgemeinde A. u. H. B. in Bregenz, 1987.

130                                                                      Amt und Gemeinde
 P FA R R E R i N N E N B I L D

„Gott wolle geben, dass er in dem
sauren Salat … doch auch einige
Süßigkeiten ver­spüren möge.“

Grußwort aus der Ökumene zur österreichischen
PfarrerInnentagung in Bregenz.

                                                                        Von Edwin Matt

Liebe Mitchristinnen und liebe Mitchristen!
Sehr geehrte Pfarrerinnen und Pfarrer!
Ohne Sie vereinnahmen zu wollen: sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!

Jene, die zum ersten Mal hier sind, ha-     Ich freue mich sehr, dass ich Ihnen einen
ben vielleicht schon die sprachlichen       Willkommensgruß überbringen darf.1
Unterschiede in der Bezeichnung un-            Einmal aus dem Seelsorgeraum der
seres Bundeslandes gehört, dass Sie in      Katholischen Kirche in Bregenz:
Vor-adel-berg, in VOR-adelberg oder in
Vor-ARL-berg angekommen sind. Keine         1   Grußwort von Mag. Edwin Matt, römisch-katholi-
                                                scher Pfarrer in Bregenz; Ökumenebeauftragter im
Sorge – Sie sind am richtigen Ort – Bre-        Seelsorgeraum Bregenz, gehalten am 31. August
                                                2015 auf der Terrasse des See-Resaurants in Bregenz
genz – Landeshauptstadt – aber nicht Sitz       am Eröffnungsabend der gesamtösterreichischen
unseres Bischofs.                               PfarrerInnentagung 2015.

Amt und Gemeinde                                                                              131
Von Seiten unserer Diözese darf ich Ih-       sondern auch die Gesellschaft kräftig er-
nen einen herzlichen Gruß von unserem         schütterte.
Herrn Bischof Dr. Benno Elbs ausrichten
und nicht zuletzt auch von mir.               Die Namen der 4 Vorarlberger:
  Es freut mich, dass ich Sie willkom-        • Johannes Döltsch aus Feldkirch –
men heißen kann.                                sein Name erscheint 1520 gemeinsam
                                                mit Martin Luther auf der Bannandro-
Denn, die Zeiten waren nicht immer so:          hungsbulle von Papst Leo X. (Exsurge
   Gerade in Vorarlberg wurden die              Domine – erhebe dich Herr).
A-katholiken, wie die Evangelischen in        • Bartholomäus Bernhardi aus Schlins
der Amtssprache der Monarchie bezeich-          – Luther und Bernhardi sind Schul-
net wurden, zunächst einmal wirklich            freunde. Sie kennen sich schon lange;
nicht gerne gesehen.                            beide gehören dem Augustinerorden
   Die Neugläubigen standen unter Kont-         an; Bernhardi verteidigt und unterstützt
rolle, die Lutherischen wurden beaufsich-       seinen Freund Luther im Zusammen-
tigt undviel lieber sahen es die Verant-        hang mit den Thesen und dann auch
wortlichen der altgläubigen Kirche und          im Ablassstreit als Rektor der Witten-
der Politik, wenn sie gingen, als wenn          berger Hochschule.
sie kamen – am liebsten, wenn sie frei-       • Johannes Bernhardi, Bruder des Bar-
willig gingen, sonst wurde auch etwas           tholomäus, war Professor für Physik
nachgeholfen.                                   und Metaphysik an der Universität
                                                Wittenberg und hat Luther ebenfalls
Aber die Zeiten ändern sich – Gott sei          unterstützt.
es gedankt.                                   • Jodok Mörlin, lateinisiert: Jodokus
   Sie wissen es wahrscheinlich viel ge-        Maurus – war Professor der Meta-
nauer und viel besser als ich: Vier Vorarl-     physik und der Philosophie ebenfalls
berger Theologen gehörten zum engsten           in Wittenberg, er unterstützte die An-
Kreis um Martin Luther dazu. Um die             liegen Luthers.
Zeit des Thesenanschlags waren allein
aus Feldkirch und Umgebung innerhalb          Bartholomäus Bernhardi ist noch in
weniger Jahre annähernd 50 Studenten          weiterer Hinsicht sehr interessant. Er ist
nach Wittenberg gekommen. Feldkirch           der erste Priester, der bereits 4 Jahre vor
bildete Anfang des 16. Jahrhunderts ein       Martin Luther, in den Ehestand eintrat
Zentrum des Humanismus.                       und die Kembergerin Gertraude Pannier
   Die neue Lehre, die Freiheit, die sich     heiratete. Aus dieser Ehe gehen sieben
darin zeigte, die Offenheit im Denken und     Kinder hervor.
im Glauben – vieles wird mitgespielt ha-         Luther gratuliert mit gewohnt kräftigen
ben, dass die Gedanken der Reformation        Worten – Gott wolle Bernardi leiten und
so stark wirkten und nicht nur die Kirche,    geben, dass er in dem sauren Salat, den

132                                                                  Amt und Gemeinde
er sich damit angerichtet habe, doch auch    und die Herausforderungen, die Familie,
einige Süßigkeiten verspüren möge. Aus       die Beziehung, die Anforderungen der
einem Vortrag des Historikers Dr. Alois      Pfarrarbeit nicht nur irgendwie zu mana-
Niederstätter, dem Leiter des Vorarlberger   gen, sondern zu gestalten, durchaus groß
Landesarchivs, habe ich entnommen, dass      sind und es Zeit, gemeinsamen Austausch
die Familie Bernhardi-Pannier damit zu       und viel an gegenseitigem Verständnis
den Begründern des evangelischen Pfarr-      braucht.
hauses geworden ist.
                                             Noch einmal will ich Martin Luther mit
Sie werden sich jetzt in diesen Tagen –      seinem Wunsch an das Brautpaar zitieren:
unter anderem – auch mit dem Thema               Im manchmal sauren Salat des Pfarr­
Pfarrhaus und dem Miteinander von Pfar-      alltags mögen immer wieder Süßigkeiten
rarbeit, Familie und gewünschter Freizeit    zu verspüren sein – das wünsche ich I­ hnen
und wie damit hilfreich und zufrieden-       in Ihrer Arbeit und in Ihren Familien.
stellend umgegangen wird, beschäftigen.          Gleichzeitig ist es auch ein sehr öku-
   Von zwei Pfarrersfrauen: von Frau         menischer Wunsch, der uns in unserem
Sabine Neumann habe ich es in mei-           Miteinander und in den vielfältigen An-
ner Kaplanszeit in Dornbirn ein biss-        liegen, die uns gemeinsam betreffen, stär-
chen mitbekommen und von Frau                ken kann.
Sabine Gritzner-Stoffers bekomme ich es
jetzt ein bisschen mit, dass die Aufgaben    Herzlich willkommen in Bregenz.         ■

Amt und Gemeinde                                                                    133
 P FA R R E R i N N E N B I L D

Identität und Führungsposition
im Pfarrberuf – eine multikomplexe
Herausforderung

Pfarrerinnen und Pfarrer als Theologinnen und Theologen ver­

treten heute eine „Profession in der Identitätsfindungs-Krise“.

Die erlernten Professionalitäten werden scheinbar im Berufsalltag

nicht mehr eingefordert. Wie kommt es zur Deprofessionalisierung

des Pfarrberufes und welche Folgen ergeben sich daraus?

                                                               Von Frank Weyen

1.    Vorbemerkungen                        schen und administrativen Aufgaben als
                                            auch im Konzert aller übrigen hauptamt-
Ich werde mich in meinem Vortrag mit        lich und ehrenamtlich Mitarbeitenden,
den Identitätsmerkmalen des Pfarrberu-      seine Stellung zu bemessen. Dies jedoch
fes unter dem Gesichtspunkt des theo-       auch unter dem Gesichtspunkt der indi-
logischen Schlüsselberufes der Kirche       viduellen Ausgestaltung des Berufsfeldes
befassen. Ich sehe hierin die eigentliche   Pfarramt. Denn die Ausgestaltung des
Herausforderung für die Kirche, diesem      Pfarramtes ist von vielfältigen individuel-
Schlüsselberuf, im Konzert der theologi-    len Faktoren abhängig, die objektiv nicht

134                                                                Amt und Gemeinde
steuerbar sind oder auch in der Person des     der Kirchengemeinden wahr, sondern ha-
Amtsträgers bzw. der Amtsträgerin grün-        ben Siegel- und Beurkundungsrecht sowie
den können. Ich werde daher zunächst           Sitz und Stimme im Presbyterium bzw. im
Erhebungen zur Arbeitszufriedenheit von        Kirchenvorstand, auf der Synode und sind
Pfarrpersonen in Deutschland Ihnen heute       in allen Gremien der Kirchengemeinde
hier anbieten und dies in Relation zur Stel-   geborene Mitglieder qua Amt.
lung von Pfarrpersonen in der Schweiz             Stärker als in den deutschen Landeskir-
am Beispiel des Kantons Zürich setzen, in      chen entspricht beispielsweise die durch
dem ich selbst auch als Gemeindepfarrer        die Zürcher Kirchenordnung exempla-
gearbeitet habe.                               risch bestimmte Rolle des Pfarrberufes
                                               dem, was seit Anbeginn für diesen cha-
                                               rakteristisch gewesen ist: Pfarrpersonen
2.    Zum Verständnis                          sind hier mit der geistlichen Leitung der
      vom Pfarramt als                         Kirchgemeinde befasst, nicht aber primär
      theologischer Schlüssel-                 mit der organisatorisch-administrativen.
      beruf der Kirchen –                      Sie haben beispielsweise im Kanton Zü-
      theologisch reflektierte                 rich nur eine beratende Funktion für die
      Beobachtungen                            Kirchenpflege ohne Stimmrecht. Die Mit-
                                               glieder der behördlichen Kirchenpflege
Das Bild vom Pfarramt in den evange-           sind Angestellte der Kirchgemeinde und
lischen Landeskirchen in Deutschland           keine Ehrenamtler, wie beispielsweise
ist an manchen Stellen von dem in der          in Deutschland. Diese erhalten ein mo-
Schweiz unterschieden. Dazu gehört, dass       natliches Salär, das je nach Position im
Pfarrpersonen in Deutschland nicht zum         Kirchenvorstand zwischen 500,– und
angestellten Personal gehören, sondern         1.000,–  CHF / Monat liegt.
Beamte mit allen damit verbundenen                Einmal abgesehen von diesen organisa-
Rechten und Pflichten sind. Sie sind auf-      torischen Fakten betont Christian Grethlein
grund der Verbeamtung Teil der konsisto-       aus Münster aus pastoraltheologischer Per-
rialen Leitung der Kirche und meist auch       spektive die biblisch-historischen Dimensi-
Vorsitzende der Kirchenvorstände bzw.          onen des Pfarrberufs vor dem Hintergrund
der Presbyterien. Dies gilt unabhängig         der reformatorischen Tradition als Bezug
von der konfessionellen Ausprägung der         auf das christliche Leben und die Bewah-
jeweiligen Kirchengemeinden oder dem           rung der biblischen Lehren. So eignen dem
Bekenntnis der Landeskirche, in der eine       Pfarrberuf, ganz im Sinne Luthers, vor al-
Pfarrperson den Dienst versieht. Pfarr­        lem die „oratio“, die „meditatio“ und die
personen unterstehen direkt dem Konsis-        „tentatio“. Er bestimmt das Pfarramt also
torium im Rahmen eines Dienstherrenver-        von seinen theologischen Gehalten her und
hältnisses und nehmen beispielsweise für       damit als rein geistliches Amt, für welches
das Konsistorium nicht nur die Leitung         das Theologiestudium sowie die kirchliche

Amt und Gemeinde                                                                      135
Ausbildungsphase vorbereiten. Daher ist                     Pfarrberufes in den Vordergrund gerückt,
der Pfarrberuf bei Grethlein der primäre                    unter Zurückdrängung seiner genuin bib-
Ort für die Tradierung einer „Kommuni-                      lisch-theologischen Rollencharakteristika.
kation des Evangeliums“. Dies habe sich                     „Theologie ist dabei nicht als eine metho-
in der Kirchengeschichte in den geistlichen                 disch kontrollierte und kritisch distanzierte
Aufgaben des Parochus als Vorsteher der                     Reflexion verbindlicher Traditionen ge-
Parochie, in den Hausandachten im Pfarr-                    fragt. Vielmehr geht es um die kommuni-
haus sowie in den gottesdienstlichen und                    kative Vermittlung einer auf die konkrete
seelsorglichen Funktionen niedergeschla-                    Lebensgestaltung bezogenen christlichen
gen. Erst in der Moderne wandelte sich die                  Perspektive, die sich im Alltag unter den
Berufung zum Pfarrberuf hin zu einem                        Bedingungen des Pluralismus bewähren
mit vielfältigen weltlichen Aufgaben ver-                   lässt.“2, so Grethlein.
sehenen Beruf und einer daraus folgenden                        Historisch betrachtet ist der evangeli-
steigenden beruflichen Komplexität. Kir-                    sche Pfarrberuf, ausgehend von CA VII,
che musste seit dem Ende 19. Jahrhundert                    auf öffentliche Wortverkündigung und
unter dem Eindruck einer zunehmenden                        Sakramentsverwaltung bezogen. Darin
Urbanisierung verwaltet und auf die An-                     sind weitere Aufgaben nicht vorgesehen.
fordernisse der jeweiligen Gegenwart an-                    Dies definiert zugleich das Proprium eines
gepasst werden.                                             geistlichen und theologisch kompeten-
   Im späten 19. Jahrhundert also wurde zu                  ten Berufsstandes. Pfarrer erfüllen damit
den herkömmlichen Aufgaben des Predi-                       die Position eines „leitenden Geistlichen“
gers, Seelsorgers und Gemeindepädagogen                     (Kirche der Freiheit 2006), was seit 1939
nun, im Zuge der Ideen eines Vereinskir-                    in Bayern erstmals auch in ein Pfarrerge-
chenwesens durch Emil Sulze, auch die                       setz gefasst worden war. Der theologische
Funktion des verwaltenden Vereinsvorsit-                    Beruf des „leitenden Geistlichen“ wird
zenden an die Rolle des Pfarrers herange-                   beispielsweise von Grethlein als „Schlüs-
tragen. Grethlein nennt diesen „Rollenspa-                  selberuf“ für die Kirche bezeichnet, der
gat“ das Dilemma des Pfarrberufes.1 Vor                     aber primär nicht Verwaltungsaufgaben,
allem seit den kirchlichen Rückbaumaß-                      sondern geistliche Aufgaben umfasse. Erst
nahmen, die in den 1990er Jahren ihren                      die Grundsätze für die Ausbildung von
Anfang genommen haben, und unter dem                        Theologinnen und Theologinnen, die die
Eindruck sinkender Bevölkerungs- und                        EKD erstmals 1988, und 2014 in neuer
Finanzentwicklungen in Zentraleuropa ste-                   Form, aufgelegt hat, definieren Anforde-
hen, wurde immer stärker der verwaltende                    rungen an das Pfarramt, die sich nicht nur
Vereinsvorsitzende als neuer Aspekt des                     vom biblischen Befund, aus den Bekennt-
                                                            nissen der Alten Kirche und nicht nur aus

1   Vgl. Grethlein, Christian (2009): Pfarrer – ein theo-
    logischer Beruf! Frankfurt, M.: Hansisches Dr.- und     2   Grethlein, a. a. O., S. 71; vgl. zum Ganzen: Ders.,
    Verl.-Haus (Edition Chrismon), S. 65.                       a. a. O., S. 1–71.

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den Auffassungen der Reformation herlei-                  1. Die Klage über die Mehrbelastung
ten lassen, sondern zusätzlich zu diesen                     durch Verwaltungstätigkeiten kann
Grundlagen auch eine gabenorientierte                        als Symptom für eine tiefergehende
Motivations- und Qualifikationskompe-                        Problematik identifiziert werden.4
tenz sowie eine qualifizierte Führungs-                   2. Die Mehrbelastung durch Verwaltungs-
kompetenz von Pfarrpersonen benennen.                        aufgaben im Pfarramt wird von der
Dies war bis dahin neu und spitzt den bis-                   Mehrzahl der Pfarrpersonen zu Un-
her ausschließlich theologischen Beruf                       gunsten von seelsorglichen Aufgaben
ganz allgemein zu einem modernen Ver-                        problematisiert.
waltungsberuf zu, was zugleich die Gefahr                 3. Pfarrpersonen beklagen hinzutretende
in sich birgt, dass der bei Isolde Karle auf                 Anforderungen an ihren Beruf, da Ver-
der Prämisse des Vertrauens herausgear-                      waltungstätigkeiten i. d. R. nicht zum
beitete Professionenbegriff, ausgehöhlt                      Lehrportfolio der Ausbildung in der
wird und der Pfarrberuf zu einem ganz                        zweiten (kirchlichen) Ausbildungs-
normalen Verwaltungsberuf wie jeder an-                      phase gehören.5
dere in der öffentlichen Verwaltung gerät.3
                                                          Aufgrund dieses Befundes konzentriere
                                                          ich mich nun auf tiefergehende Problem-
3      Zum Pfarramt                                       anzeigen, die sich in der Beklagung ei-
       im Zeichen seiner                                  ner Mehrbelastung durch Verwaltungs-
       Multikomplexität                                   aufgaben Ausdruck verschaffen, aber
                                                          eigentlich nur einen Hinweis auf eine
Ich will im Folgenden unseren gemein-                     Symptomatik im Pfarrberuf geben, die
samen Blick detaillierter auf die Klagen                  mit dem Schlagwort der „Komplexitäts-
von Pfarrpersonen hinsichtlich ihrer Ar-                  fülle“ im pfarramtlichen Alltagshandeln
beitsmehrbelastung durch Verwaltungstä-                   und der Anforderung einer erhöhten Fle-
tigkeiten lenken. Diese Aufgaben gehören                  xibilität an die Persönlichkeit von Pfarr-
eigentlich nicht zum genuin theologischen                 personen gekennzeichnet werden kann.
Proprium des Rollenverständnisses von                     Pfarrpersonen müssen für ihren Beruf
Pfarrpersonen, wenn man unseren Beruf                     ausgesprochen flexibel und anpassungs-
von CA VII her verstehen möchte. Es er-                   fähig sein. Dies besonders auch unter
geben sich nun mehrere Herleitungen:                      dem Gesichtspunkt, dass der Pfarrbe-
                                                          ruf aufgrund seiner grundlegenden Ge-
3   Vgl. dazu Karle, Isolde (2001): Pfarrberuf als        staltungsfreiheit elementare Freiräume
    Profession. Eine Berufstheorie im Kontext der mo-
    dernen Gesellschaft. Gütersloh: Kaiser, Gütersloher   bietet, den Arbeitsalltag weitestgehend
    Verl.-Haus (Praktische Theologie und Kultur, 3);
    Beintker, Michael (2014): Theologische Ausbildung
    in der EKD. Dokumente und Texte aus der Arbeit der    4   Analog der Klagen über die Mühen und die Zukunft
    Gemischten Kommission/Fachkommission I zur Re-            des Pfarrhauses in den 1990er Jahren.
    form des Theologiestudiums (Pfarramt und Diplom)      5   Zum Vergleich in Deutschland ist das Vikariat auf bis
    2005–2013. Leipzig: Evang. Verl.-Anst.                    zu 30 Monate ausgelegt.

Amt und Gemeinde                                                                                              137
ohne Fremdsteuerung von außen gestal-                    sich in ihrem Arbeitsalltag vorwiegend
ten und routiniert bearbeiten zu können.                 mit theologisch-kirchlichen Kerntätig-
Dies erfordert ein hohes Maß an eigener                  keiten zu befassen. 42,7 % kennen zudem
Organisationskunst und Struktur für das                  den Unterschied von Kern- und Zusatz-
eigene Leben. Die Gemeindearbeit selbst                  tätigkeiten.
gibt dabei nur wenige Strukturvorgaben.                     Gottesdienst (75,5 %) und Seelsorge
Sie ist, wenn man so will, vorwiegend                    (50,9 %) führen die Liste der herausra-
spontan strukturiert.                                    genden Aufgaben im Pfarramt an. Doch
   Die Untersuchungen von Karl-Wil-                      auf dem dritten Platz folgt bereits die Ver-
helm Dahm und Dieter Becker aus dem                      waltungstätigkeit für 44,9 % der befrag-
Jahre 2009 sowie die Befragungen von                     ten Pfarrpersonen. Auf dem vierten Platz
Pfarrerinnen und Pfarrern in der Evange-                 folgt der Kirchliche Unterricht, die Kasu-
lischen Kirche von Kurhessen und Wal-                    alien liegen bei 40 %. Daraus ergeben sich
deck sowie im Kirchenkreis Barmen, die                   nach Becker / Dahm / Erichsen-Wendt als
Michael Klessmann und Jan Hermelink                      herausragendes Ranking für das Pfarramt:
für ihre Begründungen zur Arbeitszufrie-                 1. Pfarramtliche Tätigkeiten mit 56,6 %,
denheit im Pfarrberuf herangezogen ha-                   2. Leitungsaufgaben (Verwaltung) mit
ben, zeigen ein eindeutiges Bild, das auf                   14,9 %,
viele Pfarramtsinhaberinnen und Pfarr-                   3. theologisch geprägte Zielgruppenarbeit
amtsinhaber im deutschsprachigen Raum                       mit 8,6 % und
übertragen werden könnte. Dies will im                   4. das sozial-diakonische Engagement
Folgenden nun kurz darstellen.                              mit 6,8 %.

3.1 Zahlen und Fakten                                    „Pfarrerinnen und Pfarrer sind gemessen
                                                         an den zeitintensivsten Tätigkeiten ihrer
Dieter Becker / K-W. Dahm u. a. belegen                  beruflichen Tätigkeit in überwiegendem
in ihrer Studie, dass Pfarrpersonen durch-               Maße als Theologinnen und Theologen
schnittlich zwischen fünf und zehn Stun-                 gefordert. Das bedingt eine relativ hohe
den pro Arbeitswoche Mehrarbeit leis-                    Zufriedenheit mit dem eigenen Beruf.“7,
ten. Die Mehrzahl der Befragten (55,1 %)                 so die Autoren.
wünschen klare festgelegte Arbeitszeitre-                   In der Hannoverschen Landeskir-
gelungen sowie rund 25 % einen Mehrar-                   che werden die Arbeitszeiten von Pfarr-
beitsausgleich6. 31,1 % gaben dabei an,                  personen mit durchschnittlich 55,7
                                                         Wochen­­arbeitsstunden angegeben. Im
6   Hier gibt es aber im Pfarrdienstrecht der meis-
    ten Landeskirchen in Deutschland die Regelung        7   Becker, Dieter; Dahm, Karl-Wilhelm; Wendt, Frie-
    mehrmals jährlich sich für zusätzliche 48 Stunden        derike (2009): Arbeitszeiten im heutigen Pfarrberuf.
    vom Dienstort entfernen zu dürfen und über die im        Emiprische Ergebnisse und Analysen zur Gestaltung
    Durchschnitt 38–42 Tage Erholungsurlaub jährlich         pastoraler Arbeit. Frankfurt: AIM-Verl.-Haus
    weitere 14-Tage Sonderurlaub beantragen zu können,       (Empirie und kirchliche Praxis, Bd. 5), S. 109; zum
    der meist auch gewährt wird.                             Ganzen vgl.: Dies., a. a. O., S. 103–109.

138                                                                                     Amt und Gemeinde
Kirchenkreis Barmen (EKiR) arbeiten                  sonen, also dem Kirchgebäude und Got-
P­farrpersonen durchschnittlich 66,03                tesdienstraum. Häufig jedoch überlassen
Stunden ­pro ­Woche bei 3.000 Seelen. Die            sie die Ausstattung des Pfarrbüros mit
­Bayerische Landeskirche geht generell von           MS-Office-Standards der Selbstversor-
 54 Wochen­stunden aus, bei 42 Stunden               gung der Pfarrpersonen, so dass diese die
 Wochenarbeitszeit für Beamte in Deutsch-            heute elementaren Arbeitsmaterialien wie
 land. In der Schweiz werden regulär                 Schreibtisch, Büroschränke und PC der
 52 Stunden gearbeitet bei 1.000 Seelen pro          Organisationsvollmacht der Geistlichen
 Pfarrperson. Das Salär ist entsprechend             überlassen und diese Angelegenheiten im
 auf diese Mehrarbeit angepasst bei max.             Sinne von „Adiaphora“ als marginal an-
 sechs Wochen kirchlichen Jahresurlaub               sehen. Auch wird die mangelhafte Aus-
 (vier gesetzliche Wochen zzgl. zwei Wo-             stattung der Kirchengemeinde mit einem
 chen als kirchliche Zulage). „Erstaunli-            ausreichenden Sekretariatsdienst oftmals
 cherweise wird kaum diskutiert, ob es               als Beitrag zur Arbeitsunzufriedenheit von
 ethisch überhaupt zu verantworten und               Pfarrpersonen beschrieben. Mithilfe der
 mit der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers            Verbesserung der administrativen Arbeits-
 zu vereinbaren ist, dass Kirchenleitun-             situation erwartet die Mehrheit der befrag-
 gen von vorherein und selbstverständlich            ten Personen eine Entastung in Fragen der
 von einem Stundensoll von beispielweise             Verwaltungsarbeit.
 54 Stunden ausgehen“8, fragt Michael                   Als ein sich für das Pfarramt ergeben-
 Klessmann.                                          der Mangel werden bei 88,4 % der Befrag-
    Becker / Dahm / Erichsen-Wendt konn-             ten Reflexionszeiten genannt, gefolgt von
 ten herausarbeiten, dass sich die Problem-          der Verringerung von Arbeitszeiten für
 lage des Pfarrberufes noch an anderen be-           Verwaltungstätigkeiten (77,8 %), gleich-
 rufsbedingten Symptomen erkennen lässt.             auf mit dem Wunsch nach einem berufs-
 Die Unzufriedenheit mit der Mehrbelas-              bezogenen Coaching durch Dritte, was
 tung durch Multikomplexität im Pfarr-               sich zusammen mit der ersten Position
 beruf lässt sich empirisch auch an der              als deutlicher Wunsch nach Supervision,
 Forderung nach einer ausreichenden Aus-             Coaching und reflektierenden Studienzei-
 stattung der pfarramtlichen Arbeitsplätze           ten im Pfarramt belegen lässt.
 mit Arbeitsmitteln ablesen. Dies scheint               Als Haupttätigkeiten werden jedoch
 von den Presbyterien und Kirchenvorstän-            immer noch
 den nicht immer optimal gelöst zu werden.           1. mit 88,2 % der Gottesdienst,
 Zwar kümmern sich nicht-theologische                2. mit 57,9 % die Kasualien,
 Kirchenleitende um die gute Ausstattung             3. mit 55,2 % Verwaltungstätigkeiten,
 des primären Arbeitsplatzes von Pfarrper-           4. mit 51,2 % die Seelsorge und
                                                     5. mit 48,3 % der Kirchliche Unterricht
8   Klessmann, Pfarramt, S. 97; – Vgl. zum Ganzen:
                                                        bezeichnet.
    Ders., a. a. O., S. 95–97.

Amt und Gemeinde                                                                            139
Als Kerntätigkeiten werden von den                       Vorschrift kann vom Arbeitgeber Kirche
befragten Pfarrpersonen alle diejenigen                     dabei hinsichtlich der Arbeitsauffassung
Tätigkeiten bezeichnet, die Menschen                        ihres Schlüsselpersonals als Drohung und
zugewandt geschehen, und den Geistli-                       Warnsignal gedeutet werden. Zugleich
chen für den Pfarrberuf erfordern. „Was                     wirke sich der Faktor eines hohen Ver-
dagegen dazu dient, den institutionellen                    waltungsaufwandes als Hemmnis für die
und organisatorischen Rahmen der Tä-                        weitere Durchführung von Reformen in-
tigkeiten zu sichern, wird nicht zu den                     nerhalb der Kirche aus. Daher halten es
pfarramtlichen Aufgaben gerechnet. […]                      Dreiviertel der befragten Pfarrpersonen
Pfarrerinnen und Pfarrer verstehen sich                     für unabdingbar, die Verwaltungsarbeit
in erster Linie als theologische und pasto-                 im Pfarramt auf ein Minimum zu redu-
rale Profis und weniger als Fachleute für                   zieren. Geschieht dies nicht, so Becker /
Gemeinde-Management.“9 Daraus ergibt                        Dahm / Erichsen-Wendt, sinkt der Faktor
sich für Becker / Dahm / Erichsen-Wendt                     Zufriedenheit im Pfarramt auf 22 % ab.
die Folge, dass die Arbeitszufriedenheit                    „Maßnahmen zur Verminderung von Ver-
bei Pfarrpersonen, die sich vorwiegend                      waltung können also die Zufriedenheit mit
mit ausbildungsgemäßen Arbeitsanfor-                        dem Pfarrberuf steigern. […]
derungen konfrontiert sehen, höher ist,                        Daher sollte bei allen Reformen und
als bei denjenigen, die sich mit Verwal-                    Strukturveränderungen geprüft werden,
tungsaufgaben abgeben müssen. Daraus                        wie sie sich auf den Verwaltungsanteil
folge, dass Pfarrpersonen, die sich stärker                 in der pfarramtlichen Tätigkeit auswir-
als andere mit verwaltungstechnischen                       ken. Will man Verzögerungen und Wider-
Organisationsaufgaben befassen, sich ih-                    stände durch Pfarrinnen und Pfarrer ver-
rem Arbeitsgeber evangelische Kirche,                       meiden, wird man darauf achten müssen,
vertreten durch Landeskirche oder durch                     dass die Neuerungen nicht mit vermehr-
die kreiskirchliche Verwaltung, innerlich                   tem Verwaltungsaufwand einhergehen.“10
weniger verbunden fühlen als diejenigen,                    Nach Becker / Dahm / Erichsen-Wendt
die diese Aufgaben nicht erfüllen müssen.                   wird unter Pfarrpersonen die Verwal-
Das bedeutet, dass Pfarrpersonen weniger                    tungstätigkeit nicht als pastorales Kern-
stark aus ihrem Beruf innerlich wie äu-                     geschäft sondern als additiv zum her-
ßerlich aus- oder gar abwandern, je mehr                    kömmlichen Arbeitsaufwand und damit
diese das Gefühl haben, dass ihr Aus-                       als professionsfremd verstanden, woraus
bildungsziel erreicht worden ist und der                    sich auch die genannten z. T. überhöhten
Pfarrberuf vom inneren Gehalt der Pro-                      Arbeitszeitangaben erklären lassen wür-
fession her ausgefüllt werden kann sowie                    den, wenn zu den genuin theologisch-
umgekehrt. Die Folge eines Dienstes nach                    pfarramtlichen Aufgaben der Interaktion
                                                            die zusätzliche Verwaltungsarbeit zu einer
9   Becker / Dahm / Erichsen-Wendt, Arbeitszeiten,
    S. 119; zum Ganzen vgl.: Dies., a. a. O., S. 110–119.   10 Becker / Dahm / Erichsen-Wendt, a. a. O., S. 126–127.

140                                                                                        Amt und Gemeinde
Komplexitätssteigerung in einem ohne-               Managements (Manfred Perels), oder gar
hin schon multikomplexen Interaktions-              der Intendanz (Thies Gundlach / EKD)
geschehen führt.11                                  stellt, entziehe diesem als Profession sei-
                                                    nen traditionell theologischen Boden, so
                                                    dass damit auch die Bedeutung des Pfarr-
4.     Pfarrbilder als                              berufes für die Kirche selbst in Frage ge-
       Identitäten                                  stellt werden dürfte. Zugleich verliere der
                                                    Beruf so seine tentativ-hermeneutische
Die EKD hat in Ihrer EKD-Impulsschrift              Deutungskraft für die Gesellschaft, da mit
„Kirche der Freiheit“ (2006) den Pfarrbe-           einer De-Professionalisierung dieser in
ruf mit dem eines „leitenden Geistlichen“           die Reihe anderer Berufe gerate und somit
charakterisiert. Diese Bezeichnung biete            seine besondere Schlüsselstellung für die
nun nach Grethlein die Gefahr, die bishe-           gesellschaftliche Legitimation der Kirche
rige Stellung von Pfarrpersonen in Kirche           einbüße. Das bedeute in der Konsequenz,
und Gesellschaft zu schwächen und damit             dass vielmehr das theologische Proprium
nach Isolde Karle zu de-professionalisie-           des Pfarrberufes wieder stärker in der
ren bzw. wiederum nach Grethlein diesen             Vordergrund treten müsse, unter Zurück-
als einen rein erwachsenenbildnerischen             drängung aller am Zeitgeist der Postmo-
Beruf zu verstehen. Vor allem aber die              derne orientierten Rollenzuschreibungen
sich aus CA VII herleitende Öffentlichkeit          und Pfarrbilder. Letztere Zuschreibungen
der Wortverkündigung rechtfertige die               führten dazu, dass letztlich die Theologie
Öffentlichkeit des theologischen Pfarr-             und die mit CA VII benannten pfarramtli-
berufes und damit das besondere nicht               chen Hauptaufgabenbereiche nur noch in
durch Verwaltungsaufgaben zu prägende               homöopathischen Dosen durch die Kirche
Proprium des Berufes. Da, nach Greth-               in die Gesellschaft eingebracht wurden,
lein, der Pfarrberuf ein theologischer ist,         was so nicht bleiben könne. Dieses habe
bedürfe dieser auch der weiteren theolo-            bisher einer Aushöhlung des Pfarrberufes
gischen Bildung, um, ebenso wie Ärzte               Vorschub geleistet und setze die gesell-
und Juristen, auf dem neuesten Stand der            schaftliche Bedeutung der Kirche selbst
wissenschaftlichen Forschung zu sein und            aufs Spiel. Denn der Pfarrberuf ist und
eine fundierte Auskunft über die wesent-            bleibt nach Grethlein das Proprium der
lichen theologisch reflektierten Gegen-             Kirche und damit ihr wesentlicher Schlüs-
wartsfragen geben zu können. Ein Bild               selberuf.12 Auch wenn dieser damit als
vom Pfarrberuf, der das Pfarramt aus-               inhaltliche Kompetenz in Widerstreit zur
schließlich unter dem Gesichtspunkt des             formalen Kompetenz der ehrenamtliche
                                                    Kirchenvorstände als Leitungsgremium
                                                    der Kirchengemeinde gerate.
11 Vgl. Becker / Dahm / Erichsen-Wendt, a. a. O.,
   S. 120–148; zum Ganzen vgl. auch: Klessmann,
   Pfarramt, S. 92.                                 12 Zum Ganzen vgl.: Grethlein, Pfarrer.

Amt und Gemeinde                                                                              141
Ich will nun dem hier schon durch-        die Herausbildung eines Konzeptes indi-
scheinenden Begriff der „Identität“ nach-    vidueller Lebensführung darin elementar
gehen, um daraus Erhellendes für das         geworden. Erik H. Erikson geht in seiner
Selbstverständnis des theologischen Be-      Beschreibung des Ethischen in der Psy-
rufsstandes abzuleiten.                      choanalyse davon aus, dass Identität et-
                                             was mit der Fähigkeit des Einzelnen zu
4.1 Exkurs: Identität als                    tun hat, auf die Wechselfäll gesellschaft-
    Übereinstimmung mit dem                  lichen Umweltverhaltens zu reagieren und
    Selbstverständlichen                     seine Position darin zu definieren. Es han-
                                             delt sich also um die „Fähigkeit des Ichs,
Die Identität („tauton“, „identas“ = Sel-    angesichts des wechselndes Schicksals,
bigkeit bzw. Selbst) eines Individuums       Gleichheit und Kontinuität aufrechtzuer-
kann als Übereinstimmung mit sich selbst     halten.“ Dies führt zu dem, was Erikson
oder mit anderen gedeutet werden. In der     „Selbstidentität“ nennt.
Ausbildung oder Gewinnung einer Per-            Identität ist ferner nach Heinz Abels
son-Identität setzt sich das Individuum      sowohl als individuelle Identität ein le-
mit gesellschaftlichen (Identitäts- bzw.     benslang anzupassender Strukturbegriff
Seins-)Möglichkeiten auseinander und         als auch als ein Funktionsbegriff zu ver-
findet in der Abgrenzung zu alternati-       stehen, in dem sich die Identität als Ori-
ven Identitäten seine eigene Rolleniden-     entierungsmuster für das Leben darstellt.
tität. Diese wird nach G. H. Mead in in-     Für Abels ergibt sich für den Einzelnen
teraktiver Auseinandersetzung mit der        die Aufgabe einer kontinuierlichen Pas-
Sozialität durch Abgrenzung im Sinne         sungsarbeit im Identitätsfindungsprozess,
gesellschaftlicher Interaktionsmuster ge-    was er wiederum mit Heiner Keupp als
wonnen. Mead bestimmt das „self“ aus         „bewegliches Denken“ charakterisiert.
der Erwartungshaltung der Umwelt mit         Daraus ergeben sich Bilder, die Indivi-
dem „me“ als Ausdruck dessen, wie der        duen aus sich selbst heraussetzen können,
Einzelne darauf reagieren oder nicht re-     um diesen nachzustreben und so eine ei-
agieren will, um so seine eigene Identität   gene Identität benennen oder beschreiben
auszubilden (Individualität und Sponta-      zu können.
neität).                                        Daraus ergibt sich für den Pfarrberuf,
    Die Frage nach der Identität ist eine    dass die Suche nach der Berufsidentität
populäre Ausgangsfrage der Postmoderne       auch als eine Fluchtreaktion innerhalb
und streng an die Auflösung von traditi-     einer unklaren Existenz und Identität ge-
onellen Institutionen der Moderne ge-        deutet werden kann. Es ergeben sich dabei
koppelt (Parteien, Gewerkschaften, Volk,     adaptive Selbstbilder von auf Identitätssu-
Kirche, staatliche Behörden- und Amts-
hierarchie, Institutionen). Die Diskrepanz
von Umwelt- und Selbsterfahrung ist für

142                                                                 Amt und Gemeinde
che befindlichen Pfarrpersonen13, die sich                chen Behörden sowie die eigene land-
selbst heute weniger noch traditionell als                wirtschaftliche Selbstversorgung ihrer
Hirte, Lehrer, Diener oder Prophet sehen.                 Familie zu übernehmen hatten und seel-
Vielmehr werden an moderne Berufsbil-                     sorgliche Aufgaben eher an Kasualien
der orientierte Funktionszuschreibungen                   ausgetragen wurden, scheint der Pfarr-
implementiert: So der Gemeindereformer                    beruf heute, aufgrund seiner grundle-
und vereinsvorsitzende Hüter eines Pfarr-                 genden Gesellschaftsbezogenheit, durch
bezirkes (E. Sulze), die Persönlichkeit (M.               vielfältige komplexe Anforderungen ge-
Schian), der Zeuge (K. Barth), der Kom-                   kennzeichnet zu sein, vor allem unter dem
munikator (E. Lange), der Helfer (K-W.                    Gesichtspunkt einer öffentlichen Theolo-
Dahm), der Geistliche (M. Josuttis), der                  gie und öffentlichen Kirche. Diese Kom-
Religionshermeneut (W. Gräb), der Theo-                   plexitätssteigerung geht mit einer Irri-
loge (Grethlein / Grözinger), der Professi-               tation im Selbstverständnis der eigenen
onelle (I. Karle), der Schwellenkundige                   pastoralen Identität einher. „Die Pfarr-
(U. Wagner-Rau), der Kompetenzenträ-                      person agiert als Generalist mit struktu-
ger (EKiR, EKKW, EKBO), der Manager                       rell- und fachlich-leitender Funktion. Sie
(M. Perels), der Intendant (T. Gundlach),                 sind Manager/in und persönliches Vorbild
der Künstler, Spiritual oder Schamane etc.                in religiösen und moralischen Fragen. Es
da die eigentliche Professionskompetenz                   besteht die Gefahr, dass aus solchen Dis-
binnenkirchlich nicht mehr erwünscht zu                   krepanzen eine „gestörte Rolleniden­tität“
sein scheint.                                             erwächst.“14 und genau diese gestörte Rol-
                                                          lenidentität scheint das Grundproblem des
4.2 Multikomplexe Anforde-                                Pfarramtes in der Dauerspannung zwi-
    rungen an das Pfarramt                                schen inhaltlicher und formaler Kompe-
    in der Generalistenrolle                              tenz zu sein, im Miteinander mit ehren-
                                                          amtlich Leitenden zu sein.
Es muss hier jedoch auch bedacht werden,                     Michael Klessmann beschreibt die zu-
dass die immer noch geforderte Generalis-                 nehmende Arbeitsverdichtung, die 60 %
tenrolle im Pfarramt zu einer multikom-                   der Pfarrpersonen beklagen, als einen
plexen Steigerung der Aufgabenvielfalt                    weiteren Faktor, der sich zu den teils
führt. Während vor 200 Jahren Pfarrer                     unübersichtlich vielfältigen pastoralen
neben ihren pastoralen Kernaufgaben                       Aufgaben additiv hinzugesellt (50,8 %).
noch standesamtliche Verwaltungsauf-                      Dies sei verbunden mit dem finanziel-
gaben „semi-subsidiär“ für die staatli-                   len Schrumpfungsprozess, den 48,3 %
                                                          als problematisch empfinden sowie der
13 Als historische Metaphern für den Pfarrberuf galten:   mangelhaften Planbarkeit des Pfarrallta-
   Hirte (Pastor), Spiritual, Prophet, Hebamme, Diener,
   Helfer, Freund, Weiser, vgl. Klessmann, Michael        ges beispielsweise durch unplanmäßige
   (2012): Das Pfarramt. Einführung in Grundfragen
   der Pastoraltheologie. Neukirchen-Vluyn: Neukir-
   chener Theologie, S. 212–214.                          14 Becker bei Klessmann, Pfarramt, S. 95, 126–136.

Amt und Gemeinde                                                                                           143
Bestattungen (36,3 %). Ferner werden                     und dieses Amt auch gestärkt haben, nun
von den befragten Pfarrpersonen Verwal-                  im Diskurs des Lebens täglich neu aus-
tungstätigkeiten mit 34,4 % als störend                  handeln und stehen damit unter ständi-
empfunden sowie der Verlust an gesell-                   ger Beobachtung von außerhalb wie von
schaftlicher Bedeutung der Kirche und der                innerhalb der Kirche. Die Ordinations-
damit verbundenen Kränkung der Profes-                   vorhalte bestärken diese Tendenz heute
sion (26,8 %) innerhalb einer postmoder-                 noch zusätzlich, wenngleich diese in ei-
nen Optionsgesellschaft.15 Das Pfarramt                  ner anderen gesellschaftlichen Stellung
zeichne sich daher nach Klessmann durch                  von Pfarrpersonen seinerzeit festgeschrie-
Überkomplexität aus, so dass hohe Anfor-                 ben worden waren und so auch gemeint
derungen an die Amtsinhabenden sowohl                    sind.17 „Aber es bedeutet auch eine oft
aus der Gemeinde, von der Mittelebene                    zu schwere Last. Sie müssen sich ständig
her als auch aus den Landeskirchenämtern                 ausweisen und ständig beweisen, mehr
gestellt werden.16                                       noch: sie sollen ihre Botschaft ausweisen.
   Richard Reuter bedeutet ebenso wie                    Das Evangelium wird für so gut gehalten,
schon Martin Schian in den 1920er Jah-                   wie die Pfarrerinnen oder der Pfarrer ist,
ren in diesem Zusammenhang, dass dem                     die es predigen. Das aber ist zu viel für
Pfarrberuf zwar ein hohes Sozialprestige                 die Schulter eines Menschen.“18, so Ful-
zukomme, der Beruf jedoch in einem Di-                   bert Steffenski.
lemma der Postmoderne stecke, das auch                      Dabei werde, wie bei Grethlein bereits
andere Ämter treffe: In der Postmoderne                  gesehen, die theologische Schlüsselkom-
trage gegenwärtig nicht mehr das Amt                     petenz von Pfarrpersonen meist durch
die Person, so dass diese meist unum-                    die Mehrheit der Nichttheologinnen und
stritten dieses ausfüllen könne, sondern                 -theologen als theologisch unkundige Eh-
es müsse immer stärker die Person das                    renamtliche in den Kirchengemeinden
Amt tragen und sich dessen als würdig                    und Landeskirchenämtern ausgeblendet
erweisen, was zugleich den öffentlichen                  und Arbeitsanforderungen an das Pfarr-
Druck auf die Person des Amtsinhabers                    amt herangetragen, die dem inneren Kern
erhöhe. Die Pfarrpersonen müssen die                     der Profession nicht mehr entsprechen.
Symbolisierungsleistungen, die mit dem                   Die Überkomplexität nach Klessmann
Amt bis dato verbunden gewesen waren,                    entsteht dann, wenn eine Pfarrperson
                                                         dem theologischen Alleinstellungsmerk-
                                                         mal des Pfarrberufes entsprechen möchte,
15 Vgl. hierzu Krech/Höhmann 2005 bei Klessmann,
   a.a.O, S. 96.                                         dies aber als nicht opportune Gepflogen-
16 Zur Multikomplexität der pfarramtlichen Identität
   siehe die Grafik bei Neuberger, Oswald (2002):
   Führen und führen lassen. Ansätze, Ergebnisse und
   Kritik der Führungsforschung ; mit zahlreichen        17 Vgl. Reuter, 2014, S. 14, zitiert in: Klessmann,
   Tabellen und Übersichten. 6., völlig neu bearb. und      Pfarramt, S 116–117.
   erw. Aufl. Stuttgart: Lucius und Lucius (UTB für      18 Steffensky, 2004, S. 14 zitiert in: Klessmann, Pfarr-
   Wissenschaft, 2234), S. 320.                             amt, S. 117.

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