Rüstung ohne Recht: Der neue Raketenabwehrschirm der Nato

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   Dieter Deiseroth und Bernd Hahnfeld

   Rüstung ohne Recht:
   Der neue Raketenabwehrschirm der Nato
Immer wieder sorgt der von der Nato                      (auf der „taktischen Ebene“) wurde
geplante Raketenabwehrschirm in Ost-                     das Headquarter Allied Air Command
europa für Missstimmung zwischen                         (Hq AAC) Ramstein eingerichtet, an
Russland und den Nato-Staaten. So                        dessen Spitze ein US-General steht,
auch auf der diesjährigen Münchner                       der zugleich Befehlshaber der US
Sicherheitskonferenz im Februar. Seit                    Air Forces in Europe (USAFE) ist. Die
Jahren verlangt Russland rechtsver-                      USAFE sind zuständig für die Planung,
bindliche Erklärungen, dass die neu-                     Durchführung und Unterstützung von
en Systeme nicht gegen die russischen                    Luftwaffeneinsätzen in Europa, Nord-
Streitkräfte gerichtet werden. Die Nato                  afrika und im Nahen Osten. In der Be-
ist jedoch bislang nur zu politischen                    fehlskette ist dem Hq AAC Ramstein
Zusicherungen bereit und lehnt rechts-                   auf der „operativen Ebene“ das Joint
verbindliche Verpflichtungen strikt ab.                  Force Command (JFC) in Brunssum/
   Zugleich aber werden Fakten ge-                       Niederlande übergeordnet, das sei-
schaffen – und dies nicht nur an Russ-                   nerseits auf der „strategischen Ebe-
land, sondern auch am deutschen Ge-                      ne“ vom Allied Command Operations
setzgeber vorbei. Das betrifft vor allem                 (ACO) in Castau/Belgien mit dem Su-
das neue Raketenabwehrsystem mit                         preme Allied Commander Europe (SA-
seiner Kommandozentrale im pfälzi-                       CEUR) an der Spitze befehligt wird.
schen Ramstein. Obwohl dieser Kurs                       Letzterer ist nach Nato-internen Fest-
weitreichende Folgen für die deutsche                    legungen ebenfalls stets ein US-Ge-
Sicherheitslage und vor allem für die                    neral oder -Admiral, der zugleich auch
politischen Beziehungen zu Russland                      das Kommando der US-Truppen im Be-
haben kann, wurde die Entscheidung                       reich des United States European Com-
allein auf exekutiver Ebene getroffen.                   mand (USEUCOM) führt. Dessen Zu-
Dem Deutschen Bundestag wurde bis-                       ständigkeitsbereich umfasste bis 2008
her kein Stationierungsabkommen und                      alle militärischen Aktionen der USA in
kein darauf gerichtetes Zustimmungs-                     Europa, im größten Teil Afrikas sowie
gesetz vorgelegt.                                        im asiatischen Teil Russlands; einen
                                                         Teil dieser Aufgaben für Afrika mit
                                                         Ausnahme von Ägypten hat im Okto-
   Kommandozentrale Ramstein                             ber 2008 das US-Oberkommando AF-
                                                         RICOM übernommen, das sein Haupt-
Bereits auf ihrem Gipfeltreffen in Chi-                  quartier ebenfalls in Ramstein hat.
cago im Mai 2012 haben die Staats-                          Diese Verflechtungen der natio-
und Regierungschefs der 28 Nato-                         nalen US-Befehlsstränge mit denen
Staaten die erste Stufe des neuen „Ra-                   der Nato sind Ausdruck strukturel-
ketenabwehr-Schirms“ für einsatzbe-                      ler Macht- und Einflussrelationen in-
reit erklärt.1 Als Kommandozentrale                      nerhalb des Nato-Bündnisses und von
                                                         zentraler Bedeutung gerade in Krisen-
1 Vgl. Gipfelerklärung der Nato, Ziffer 58 ff.,          zeiten. Sie bergen damit aber auch ein
  www.nato.diplo.de.                                     spezifisches Risikopotential im Falle

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divergierender Interessenlagen, wenn             In einer vierten Phase sollen schließlich
etwa – wie während des völkerrechts-             ab 2020 modifizierte Abfangraketen
widrigen Irak-Krieges 2003 – die USA             stationiert und weitere mit Raketen aus-
zur Stärkung ihrer Interventionsfähig-           gerüstete Schiffe eingesetzt werden.
keit in Europa gelegene Militärbasen             Damit sollen dann auch die USA an-
und -einrichtungen in die Kriegsfüh-             fliegende Langstreckenraketen wirk-
rung einbeziehen wollen.                         samer bekämpft werden können. Dem
                                                 Entwurf des US-Pentagon-Haushalts
                                                 für 2012 lässt sich entnehmen, dass die
  Eskalation in vier Schritten                   Zahl der zur Raketenabwehr fähigen
                                                 Aegis-Schiffe von 23 im Jahre 2011 auf
Ursprünglich wollten die USA in Euro-            41 im Jahre 2016 und auf 43 im Jahre
pa ein eigenes Raketenabwehrsystem               2020 erhöht werden soll.3
aufbauen. Der Nato-Gipfel der Staats-               Finanziert wird das neue Raketen-
und Regierungschefs hatte jedoch in              abwehrsystem in Europa durch alle 28
Lissabon im November 2010, gerade                Mitgliedstaaten der Nato. Der deutsche
auch auf Drängen vieler um größeren              Anteil beträgt dabei 14,9 Prozent.
Einfluss bemühter europäischer Mit-
gliedstaaten, den Grundsatzbeschluss
gefasst, das Active Layered Theatre                Laue Rechtfertigungsversuche
Ballistic Missiles Defense-Programm
in ein Nato-Raketenabwehrsystem                  Eine nachvollziehbare Begründung
umzubauen, das in mehreren Stufen                dieser neuen Rüstungsmaßnahmen
realisiert werden soll.2                         wurde der Öffentlichkeit bislang vor-
   In einem ersten Schritt wurde 2011            enthalten. Insbesondere fehlt eine
auf bereits vorhandene Waffensysteme             durch Tatsachen belegte Bedrohungs-
wie Lenkflugkörper oder in Südspa-               analyse. Während US-Präsident Ba-
nien stationierte Kreuzer der US-Ma-             rack Obama im April 2009 in Prag
rine mit SM-3-Raketen des „Aegis“-               den Aufbau eines Raketenabwehrsys-
Systems zurückgegriffen. Diese Flug-             tems lediglich allgemein mit der an-
körper, die eine Reichweite von 800              dauernden Bedrohung durch den Iran
bis 1200 Kilometer haben, sollen an-             begründete, wurden die mitgeteilten
fliegende feindliche Raketen in großer           Argumente später noch allgemeiner:
Höhe treffen und durch Aufprall oder             Nato-Generalsekretär        Rasmussen
Explosion zerstören. Außerdem wurde              sprach von einer wachsenden Bedro-
mit Zustimmung der türkischen Regie-             hung, weil „über 30 Staaten Raketen
rung im Südosten der Türkei ein mobi-            besitzen oder dabei sind, sie zu er-
les Radar-Ortungssystem aufgestellt.             werben, die benutzt werden können,
   Die zweite Stufe ab 2015 sieht unter          um nicht nur konventionelle Spreng-
anderem den Aufbau des Radarsys-                 köpfe, sondern auch Massenvernich-
tems „Iges“ und die Stationierung von            tungswaffen ins Ziel zu tragen.“4 Die
24 Abfangraketen in Südrumänien vor.             Bundesregierung rechtfertigte das
   In der dritten Phase soll von 2018 bis        Raketenabwehrsystem mit dem Hin-
2020 insbesondere die Fluggeschwin-              weis auf 20 Staaten, die durch die Ver-
digkeit der „SM-3“-Raketen erhöht                breitung von Massenvernichtungswaf-
werden, so dass diese auch Interkon-             fen und weitreichenden Trägermitteln
tinentalraketen abfangen können. 24              eine Angriffsfähigkeit besäßen. Mit
dieser Raketen sollen dafür in Polen             diesen vagen Erklärungen vermei-
verteilt werden.
                                                 3 Vgl. Jerry Sommer, Streitpunkt Raketenab-
                                                   wehr in Europa. Stand und Perspektiven vor
2 Vgl. Gipfelerklärung von Lissabon, Ziff. 30,     dem Nato-Gipfel 2012, Berlin 2012, S. 8.
  www.nato.diplo.de.                             4 Zit. nach Jerry Sommer, a.a.O., S. 15.

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den die Beteiligten offenzulegen,                        nen gegeben, dass sie – neben Ka-
dass eine konkrete Bedrohung der-                        sachstan, der Ukraine und Weißruss-
zeit nicht belegbar ist. Verschwiegen                    land – als einer der Nachfolgestaaten
wird bereits, dass von den angeführten                   der Sowjetunion die Kündigung ableh-
32 Staaten, die ballistische Raketen                     ne, sich aber außerstande sehe, diese
besitzen, 27 Nato-Bündnispartner oder                    zu verhindern. Der ABM-Vertrag steht
deren Freunde sind. Erklärt wird ins-                    mithin dem Nato-Raketenabwehr-
besondere nicht, welcher der übrigen                     schirm nicht entgegen.
Staaten Nato-Mitglieder mit ballisti-                       Anders verhält es sich jedoch mit
schen Raketen bedroht, die Massen-                       dem Atomwaffensperrvertrag. Art. VI
vernichtungswaffen tragen können.                        dieses Vertrages über die Nichtver-
Die Großmächte Russland und China                        breitung von Atomwaffen (NVV) ver-
werden in diesem Zusammenhang                            pflichtet mit völkerrechtlicher Ver-
nicht ausdrücklich genannt. So blei-                     bindlichkeit alle Vertragsstaaten, na-
ben offenbar allein die drei sogenann-                   mentlich gerade die Atomwaffen besit-
ten Schurkenstaaten Nordkorea, Iran                      zenden Staaten, „in redlicher Absicht“
und Syrien übrig. Belege für deren ob-                   Verhandlungen zu führen mit dem Ziel
jektive Fähigkeiten und subjektive Ab-                   der nuklearen Abrüstung und zur „all-
sichten, Massenvernichtungswaffen                        gemeinen und vollständigen Abrüs-
mit ballistischen Raketen zu verschie-                   tung“ unter strenger und wirksamer
ßen, haben die Befürworter des Rake-                     internationaler Kontrolle. Über die Art
tenabwehrschirmes bislang ebenfalls                      und Dauer dieser Verhandlung können
nicht vorgelegt.5                                        die Vertragsstaaten streiten. Dagegen
   Was aber sagt zu alledem das gelten-                  dürfen sie das in Art. VI normierte Ver-
de Völkerrecht?                                          handlungsgebot und das Verhand-
                                                         lungsziel als solches nicht in Frage
                                                         stellen und nicht ignorieren. Dies hat
   Der neue Sonderweg                                    der Internationale Gerichtshof in Den
   der Atommächte                                        Haag in seinem auf Anforderung der
                                                         UN-Generalversammlung erstellten
Nach dem ABM-Vertrag6 von 1972                           Rechtsgutachten vom 8. Juli 1996 aus-
wären den USA der Aufbau der neuen                       drücklich und einstimmig bekräftigt:
Nato-Raketenabwehrsysteme und jede                       Demnach ist die Ablehnung von Ver-
Beteiligung an diesen völkerrechtlich                    handlungen über einen vollständigen
verboten. Denn dieser Vertrag erfasste                   Verzicht auf Atomwaffen – ebenso wie
auch ABM-Systeme, die außerhalb des                      das prinzipielle Beharren auf dem wei-
US-Territoriums stationiert werden.                      teren Besitz sowie auf der prinzipiel-
   Doch seitdem die USA 2001 den                         len Option eines Einsatzes von Atom-
ABM-Vertrag gegenüber ihren Ver-                         waffen – ein schwerwiegender völker-
tragspartnern einseitig gekündigt ha-                    rechtlicher Vertragsbruch.7
ben, sind sie nicht mehr an ihn und die                     Dies gilt nicht nur für die USA, das
zahlreichen ergänzenden Vereinba-                        Vereinigte Königreich und für Frank-
rungen und Erklärungen gebunden.                         reich, sondern auch für alle anderen
Die Russische Föderation als ABM-                        Atomwaffen-Staaten außerhalb der
Vertragspartner hatte zwar zu erken-                     Nato, die – wie beispielsweise Russ-
                                                         land in der Nach-Gorbatschow-Ära –
5 Die türkische Regierung wollte sogar verhin-
  dern, dass die Nato die türkischen Nachbar-
  staaten offiziell als potentielle Bedrohungs-          7 Vgl. dazu u.a. Mohammed Bedjaoui, Treu und
  herde einstuft, da sie andernfalls ihre guten            Glauben, Völkerrecht und die Abschaffung
  Beziehungen zum Iran gefährdet sah, vgl.                 der Atomwaffen, in: ders., Karima Bennoune,
  „Hamburger Abendblatt“, 7.7.2012.                        Dieter Deiseroth und Elizabeth J. Shafer, Völ-
6 Vertrag über die Begrenzung von Systemen                 kerrechtliche Pflicht zur nuklearen Abrüs-
  zur Abwehr von ballistischen Raketen.                    tung, 2009, S. 29-80, hier: S. 47 ff.

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auf dem weiteren Besitz und der Fort-               tärschlag gegen den Nato-Raketen-
entwicklung von Atomwaffen prinzi-                  abwehrschirm gedroht und sich da-
piell beharren, an der Option ihres Ein-            zu auf das Selbstverteidigungsrecht
satzes „im Fall des Falles“ festhalten              aus Art. 51 UN-Charta berufen. In den
und sich angesichts der militärischen               letzten Monaten wurden daher bereits
Überlegenheit der USA im konventio-                 ein Frühwarnsystem und offensive
nellen Bereich weigern, „in redlicher               Kurzstreckenraketen des Typs „Iskan-
Absicht“ die vom NVV geforderten                    der“ nach Kaliningrad an die polni-
Verhandlungen mit dem Ziel der voll-                sche Grenze verlegt. Weitere neue Ra-
ständigen nuklearen Abrüstung aufzu-                keten sollen an den Grenzen zu Polen
nehmen und zu führen. Dabei erstreckt               und Litauen sowie im Norden und im
sich die Verpflichtung nach dem NVV                 Südosten Russlands stationiert wer-
nicht nur darauf, Verhandlungen zu                  den. Die russische Regierung hat zu-
beginnen und zu führen, sondern ge-                 dem die Weiterentwicklung ihrer stra-
rade auch auf deren erfolgreichen Ab-               tegischen Atomwaffen angekündigt.
schluss, also die vollständige nukleare             Um zu demonstrieren, dass Russland
Entwaffnung („Nulllösung“).                         sich die Mittel verschaffen könne, um
   Aber auch Nicht-Atomwaffen-Staa-                 die Nato-Raketenabwehr zu umgehen,
ten, die diesen Vertragsbruch – etwa                hat es 2012 mit der weiterentwickelten
den der USA – billigen und unterstüt-               „Topol M“ zudem zwei atomwaffen-
zen, verhalten sich selbst völkerrechts-            fähige Interkontinentalraketen getes-
widrig. Der Internationale Gerichtshof              tet. Auch China wird seinen bisherigen
in Den Haag (IGH) hat die völkerrecht-              Verlautbarungen zufolge Gegenmaß-
liche Abrüstungsverpflichtung aus                   nahmen ergreifen, wenn es seine nu-
Art. VI NVV und deren Bindungswir-                  kleare Zweitschlagsfähigkeit in Frage
kung in seinem Rechtsgutachten vom                  gestellt sieht.
8. Juli 1996 einstimmig für alle Staaten               Da potentielle Gegner – ungeachtet
konstatiert.8                                       des völkerrechtlichen Verbots aus Art.
                                                    VI NVV – damit erkennbar die neuen
                                                    Nato-Raketenabwehrprojekte mit der
  Droht eine neue Rüstungsspirale?                  Entwicklung von zusätzlichen eigenen
                                                    Nuklearwaffensystemen beantworten
In Russland stößt das bereits im Auf-               werden, welche die neuen Nato-Syste-
bau befindliche neue Nato-Raketen-                  me überwinden sollen, wird die Nato-
abwehrprogramm auf massive Vorbe-                   Raketenabwehr – objektiv – mitursäch-
halte. Die russische Regierung sieht                lich für eine neue Spirale nuklearer
besonders in den Phasen 3 und 4 eine                Aufrüstung sein. Damit trägt die Nato
objektive Bedrohung der Effektivität                zugleich dazu bei, die Rolle der Atom-
ihrer strategischen Interkontinental-               waffen in den internationalen Bezie-
Atomraketen. Sie befürchtet, dass die               hungen noch zu verstärken. Das wider-
Nato anstrebe, sich militärisch unver-              spricht fundamental dem aus Art. VI
wundbar zu machen und damit die                     NVV folgenden völkerrechtlichen Ge-
Interventionsfähigkeit gerade im nicht-             bot redlichen Verhaltens. Dazu gehört,
nuklearen Bereich noch zu erhöhen.                  alles zu unterlassen, was die Erfüllung
  Für den Fall eines militärischen                  der Verpflichtung zur unverzüglichen
Konfliktes hat Russland zwischen-                   Aufnahme von redlichen Verhandlun-
zeitlich unverhohlen mit einem Mili-                gen über eine vollständige nukleare
                                                    und nicht-nukleare Abrüstung konter-
8 Vgl. IALANA (Hg.), Atomwaffen vor dem Inter-      kariert.
  nationalen Gerichtshof, 1997, S. 65 f.; Michael      Die Nato-Mitgliedstaaten können
  Bothe, Friedenssicherung und Kriegsrecht, in:
  Wolfgang Graf Vitzthum (Hg.), Völkerrecht,        sich bei ihrem Verhalten auch nicht auf
  4. Aufl. 2007, S. 682.                            den Nato-Vertrag vom 4. April 1949 be-

                                                          Blätter für deutsche und internationale Politik 4/2013
38 Kommentare und Berichte

rufen. Denn nach diesem dürfen alle                         Darüber hinaus stellt sich die Frage,
Beschlüsse, Maßnahmen und Aktio-                         ob die Einbeziehung deutschen Ter-
nen der Nato und ihrer Mitgliedstaaten                   ritoriums und der Bundeswehr in das
nur innerhalb der Grenzen und Regeln                     neue Nato-Raketenabwehrsystem so-
des geltenden Völkerrechts erfolgen.                     wie die erfolgte Einrichtung der neu-
Der Nato-Vertrag ermächtigt unter                        en Kommandozentrale im pfälzischen
keinem denkbaren Gesichtspunkt zum                       Ramstein ohne Zustimmung des Par-
Völkerrechtsbruch.                                       laments erfolgen darf. Bisher ist all das
                                                         nicht nur am Parlament, sondern auch
                                                         an der Öffentlichkeit vorbei beschlos-
   Die Anforderungen                                     sen worden. Es ist höchst zweifelhaft,
   des Grundgesetzes                                     ob das Zustimmungsgesetz zum Nato-
                                                         Vertrag und der Stationierungsvertrag
Die deutsche Bundesregierung ist                         für ausländische Truppen in Deutsch-
laut Grundgesetz (Art. 20 Abs. 3 und                     land (beide stammen aus dem Jahre
Art. 25) an das geltende Völkerrecht                     1955) dafür ausreichen.
gebunden. Damit ist sie verpflich-                          Mit der Zustimmung zu einem Ver-
tet, alle Handlungen zu unterlassen,                     tragsgesetz bestimmen Bundestag und
die völkerrechtliche Verpflichtungen                     Bundesrat den Umfang der auf dem
Deutschlands verletzen oder diesen                       Vertrag beruhenden Bindungen und
zuwiderlaufen. Deutsche Hoheitsträ-                      tragen dafür die politische Verantwor-
ger dürfen deshalb unter anderem we-                     tung. Die rechtliche und politische Ver-
der im Inland noch im Ausland in inter-                  antwortung des Parlaments erschöpft
nationalen Gremien – etwa der EU oder                    sich aber nicht in einem einmaligen
der Nato – an Aktionen und Beschlüs-                     Zustimmungsakt, sondern erstreckt
sen mitwirken, die ihrerseits einen                      sich auch, wie das Bundesverfassungs-
Verstoß gegen geltendes Völkerrecht                      gericht entschieden hat, auf den wei-
beinhalten oder bewirken. Sie dür-                       teren Vertragsvollzug.11 Die auf die
fen ferner keine völkerrechtswidrigen                    Streitkräfte bezogenen Regelungen
Handlungen oder Zustände auf oder                        des Grundgesetzes sind insofern dezi-
über deutschem Hoheitsgebiet dulden.                     diert darauf angelegt, die Bundeswehr
Das ist höchstrichterlich in der Recht-                  nicht als Machtpotential allein der Ex-
sprechung des Bundesverfassungs-                         ekutive zu überlassen, sondern sie als
gerichts9 und des Bundesverwaltungs-                     „Parlamentsheer“ in die demokratisch
gerichts10 geklärt.                                      rechtsstaatliche Verfassungsordnung
   Die deutsche Bundesregierung ist                      einzufügen.12 Das muss auch dann gel-
deshalb von Verfassung wegen ver-                        ten, wenn die Bundeswehr im Rahmen
pflichtet, ihre in den Nato-Gremien                      der Nato tätig wird, zumal es innerhalb
erteilte Zustimmung zum Aufbau der                       der Nato keine eigenständige parla-
neuen Nato-Raketenabwehrsysteme                          mentarische Kontrolle gibt. Das poli-
im Hinblick auf Art. VI NVV zu über-                     tisch, militärstrategisch und völker-
prüfen und gegebenenfalls zu wider-                      rechtlich hoch prekäre neue Nato-Ra-
rufen – wenn die Einhaltung des gel-                     ketenabwehrsystem muss daher end-
tenden Völkerrechts nicht sicher-                        lich intensiv im Parlament diskutiert
gestellt werden kann, was gegenwär-                      werden – und nicht zuletzt seine Kom-
tig offensichtlich der Fall ist.                         mandozentrale in Ramstein.
9 Vgl. u.a. BVerfG, Beschluss vom 26.10.2004, 2
   BvR 955/00, BVerfGE 112, 1 (27).
10 Vgl. BVerwG, Beschluss vom 20.1.2009 – 4 B
   45.08 –, ZLW 2010, S. 309 ff. (Rn. 23); ebenso        11 Vgl. BVerfG, Urteil vom 7.5.2008 – 2 BvE 1/03 –,
   Urteile vom 24.7.2008 – 4 A 3001.07, BVerwGE             BVerfGE 121, 135 (S. 161 ff., Rn. 64.)
   131, S. 316 ff. (Rn. 86 f.) und vom 21.6.2005 – 2     12 Vgl. BVerfG, Urteil vom 12.7.1994 – 2 BvE 3/92
   WD 12.04 –, NJW 2006, S. 77 ff..                         u.a. –, BVerfGE 90, 286 (S. 381 f.)

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