Selbstbelastende Aussagen im En- forcementverfahren der FINMA und deren Verwendung im Straf-prozess - Kunz Compliance

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Selbstbelastende Aussagen im En-
forcementverfahren der FINMA
und deren Verwendung im Straf-
prozess
Michael Kunz

Enforcement, d.h. die Durchsetzung des Finanz-                           Enforcementverfahren können schwerwiegen-
marktaufsichtsrechts, zählt heute laut Jahres-                           de Konsequenzen für natürliche Personen als
bericht 2018 der Eidg. Finanzmarktaufsicht                               Betroffenen haben. Die FINMA kann gegen sie
FINMA zu deren Kernaufgaben. Enforcement                                 gestützt auf Art. 33 FINMAG Berufsverbote bis
versteht sie als Mittel zur Erreichung der                               zu fünf Jahren erlassen. Faktisch führt bereits
Aufsichtsziele. Seit ein paar Jahren spüren das                          die Eröffnung des Enforcementverfahrens zu
auch Organe und Mitarbeitende von Banken                                 einem Ausscheiden aus der Bank oder einem
und anderen Finanzintermediären. Die Unge-                               «garden leave». Spätestens mit dem Erlass eines
wöhnlichkeit des Themas, welche sich bereits                             Berufsverbots ist die Karriere im Finanzsektor
im Titel des Beitrags andeutet, beginnt bereits                          meist beendet. Dies gilt selbst dann, wenn das
hier: Organe und Mitarbeitende von Banken                                Berufsverbot noch nicht rechtskräftig ist oder
sind nicht Beaufsichtigte gemäss Bundesgesetz                            in einem Beschwerdeverfahren vollständig
über die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht                              sogar vollständig aufgehoben wird.
(Finanzmarktaufsichtsgesetz, FINMAG) und
unterstehen damit keiner direkten Aufsicht der                           Angesichts der drohenden persönlichen Kon-
FINMA. Trotzdem kann die FINMA gegen sie                                 sequenzen stellen sich für die von Enforcement-
als Parteien Enforcementverfahren führen und                             verfahren betroffenen natürlichen Personen,
Enforcementverfügungen erlassen. Dies gilt                               auf deren Situation sich der vorliegende Text
selbst dann, wenn sie gar nicht mehr bei einem                           beschränkt, verschiedene Fragen:
Beaufsichtigten tätig sind.
                                                                         •     Handelt es sich beim Enforcement-
Enforcementverfahren werden von der FINMA                                      verfahren um ein Verwaltungs- oder
eröffnet, wenn ein Verdacht auf eine Verletzung                                um ein Strafverfahren?
von Aufsichtsrecht besteht, der abgeklärt
                                                                         •     Wie ist das Verhältnis zwischen En-
werden muss. Betroffen von Ermittlungen
                                                                               forcementverfahren und Strafver-
können sowohl Bewilligungsträger (als Beauf-
                                                                               fahren?
sichtigte) als auch potenziell illegal tätige natür-
liche oder juristische Personen sein. Wurde                              •     Welche Regelungen gelten für das
Aufsichtsrecht verletzt, muss die FINMA für                                    Enforcementverfahren und müssen
die Wiederherstellung des gesetzmässigen Zu-                                   Betroffene im Enforcementverfahren
standes sorgen und kann bei schweren Ver-                                      Aussagen machen, die sie belasten
letzungen Sanktionen erlassen.                                                 könnten?

                                                                         •     Können selbstbelastenden Aussagen
                                                                               im Enforcementverfahren in an-


ContraLegem | 2021 /2 | K
                         unz, Selbstbelastende Aussagen im Enforcementverfahren der FINMA | S. 82 - 88            82
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      schliessenden Strafverfahren gegen                                 liche Sanktion und keine strafrechtliche
      Betroffene als Angeschuldigten ver-                                Sanktion dar.
      wendet werden?
                                                                         Stellt das Verfahren auf Erlass eines Berufs-
Das Bundesgericht hat in BGE 142 II 243 die
                                                                         verbots keine strafrechtliche Anklage dar,
erste Frage mit Bezug auf Enforcementverfah-
                                                                         finden die dafür vorgesehenen Garantien wie
ren zum Erlasse eines Berufsverbots klar mit
                                                                         das Verbot der Selbstbelastung des Betroffenen
nein beantwortet. Diese seien keine strafrecht-
                                                                         („nemo tenetur») im Enforcementverfahren
liche Anklage im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 EMRK
                                                                         keine Anwendung (E. 3.2-3.4): «In auf Auferle-
und Art. 14 Ziff. 3 lit. g UNO-Pakt II. Das von
                                                                         gung eines Berufsverbots gerichteten Verfahren
der FINMA gegen bei einer Beaufsichtigten in
                                                                         kann auf Aussagen abgestellt werden, welche
leitender Stellung tätige Personen verhängte
                                                                         die natürliche Person im gegen die Beaufsich-
Berufsverbot wird vom Bundesgericht als
                                                                         tigte geführten Verfahren getätigt hat: Das
identisch mit einem zeitlich beschränkten
                                                                         Selbstbelastungsverbot steht einer Verwertung
Berufsausübungsverbot bezeichnet, welches die
                                                                         dieser Aussagen nicht entgegen, weil das Berufs-
Aufsichtskommission aus Gründen des Publi-
                                                                         verbot hinsichtlich seiner Art und Schwere eine
kumsschutzes und zur Wahrung von Treu und
                                                                         wirtschaftspolizei-rechtlich motivierte Ein-
Glauben im Geschäftsverkehr (…) als Diszipli-
                                                                         schränkung der Wirtschaftsfreiheit und nicht
narmassnahme gegen eine Rechtsanwältin oder
                                                                         eine strafrechtliche Anklage i.S.v. Art. 6 Ziff. 1
einen Rechtsanwalt aussprechen könne. Rechts-
                                                                         EMRK ist.»
anwälte können sich der Disziplinierung durch
die Aufgabe ihrer forensischen Tätigkeit und
                                                                         Kommen wir zur zweiten Frage, dem Verhältnis
Löschung im Anwaltsregister entziehen. Banker
                                                                         zwischen Enforcementverfahren und Strafver-
können hingegen selbst im Falle einer Tätigkeit
                                                                         fahren gemäss Strafprozessordnung. Beide
ausserhalb des Finanzsektors immer noch mit
                                                                         Verfahren können von einander unabhängig
einem Berufsverbot im Finanzsektor bestraft,
                                                                         geführt werden. Sie können zeitlich gestaffelt
pardon: diszipliniert werden. Einmal Banker,
                                                                         oder auch gleichzeitig stattfinden. In der Praxis
immer Bankster.
                                                                         findet das Enforcementverfahren meist vor dem
                                                                         Strafverfahren statt. Das hat einen einfachen
Weil das Bundesgericht die Beschwerde trotz-
                                                                         Grund: Die FINMA ist verpflichtet, bei den
dem gutgeheissen und das Verfahren zur Er-
                                                                         zuständigen Behörden Strafanzeige einzurei-
gänzung des Sachverhalts (!) an die Vorinstanz
                                                                         chen, wenn sie Kenntnis von straf baren
zurückgewiesen hatte, war ein Gang nach
                                                                         Handlungen erlangt. Soweit es um Verstösse
Strassburg im betroffenen Verfahren nicht
                                                                         gegen das Finanzmarktaufsichtsrecht geht,
erforderlich. Die Vorinstanz hob das Berufs-
                                                                         dürften die zuständigen Strafverfolgungsbe-
verbot der FINMA nach zwei weiteren Jahren
                                                                         hörden kaum je ohne Anzeige der FINMA davon
rechtskräftig auf. Das Urteil des Bundesgerichts
                                                                         erfahren.
zur Rechtsnatur des Enforcementverfahrens
wurde in der Lehre, soweit ersichtlich, über-
                                                                         Die FINMA muss für die Strafanzeige Infor-
wiegend kritisiert, auch in diesem Forum.
                                                                         mationen aus dem Enforcementverfahren
Dessen ungeachtet bestätigte das Bundesgericht
                                                                         verwenden. Zwischen den beiden Verfahren
seine Praxis in einem neueren Urteil 2C_177/2019
                                                                         besteht aber noch ein weiterer Berührungs-
vom 22. Juli 2019 bezüglich der Publikation
                                                                         punkt. Das Finanzmarktaufsichtsgesetz er-
eines Verbots, eine bestimmte Finanzinter-
                                                                         mächtigt die FINMA und die Strafverfolgungs-
mediäre Tätigkeit auszuüben (sog. «naming and
                                                                         behörden zur gegenseitigen Amtshilfe. Sie
shaming»). Die Publikation des Verbots stelle
                                                                         tauschen die im Rahmen der Zusammenarbeit
wie das Berufsverbot eine verwaltungsrecht-
                                                                         und «zur Erfüllung ihrer Aufgaben notwendi-
                                                                         gen Informationen» aus. Das ist ganz praktisch,


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weil jede Behörde bei der Beschaffung von In-                             verfahren. Gegenüber der FINMA gilt jedoch
formationen, die für die andere Behörde inte-                             nicht nur eine Aussage- und Herausgabepflicht.
ressant ist, ihre eigenen Verfahrensregeln an-                            Beaufsichtigte sind auch zur Wahrheit ver-
wenden kann. Beide Behörden gelangen dadurch                              pflichtet. Die vorsätzliche Erteilung von falschen
an Informationen, an die sie durch die eigenen                            Auskünften gilt gemäss Art. 45 FINMAG als
Verfahrensregeln nicht gelangen könnten.                                  Vergehen, die fahrlässige Begehung als Über-
                                                                          tretung.
Die FINMA kann zwar laut ausdrücklicher
gesetzlicher Bestimmung die Herausgabe von                                Organe und Mitarbeitende sind wie erwähnt
Informationen und Akten an die Strafverfol-                               keine Beaufsichtigte. Trotzdem ist bisher un-
gungsbehörden (und andere inländische Be-                                 bestritten, dass sie gegenüber der FINMA
hörden) verweigern. Das muss aber diese nicht                             auskunftspflichtig sind. Ist die Beaufsichtigte
kümmern. Verfügen sie wie Strafverfolgungs-                               eine juristische Person, so ist sie zwar Partei
behörden über entsprechende Kompetenzen,                                  und auskunftspflichtig, kann aber selbst nicht
können sie die von der FINMA verlangten In-                               handeln und Auskunft geben. Gemäss Botschaft
formationen und Akten im Strafverfahren                                   zum FINMAG sind in diesem Fall die Organe
direkt bei den Betroffenen einverlangen. Über                             Adressaten der Auskunftspflicht. Sie liefern
die Amtshilfe haben sie von deren Existenz ja                             der FINMA die verlangten Informationen und
bereits Kenntnis erlangt. So geschehen bezüg-                             Unterlagen. Zur Sache der Beaufsichtigten
lich eines Berichts, denn eine Anwaltskanzlei                             werden die Organe von der FINMA befragt. Die
für eine grosse Bank erstellt hatte. Nachdem                              natürliche Person kann im Enforcementver-
die FINMA die Herausgabe des Berichts an die                              fahren auch als Partei auskunftspflichtig sein.
Bundesanwaltschaft verweigert hatte, be-                                  Das Verwaltungsverfahrensgesetz sieht keine
schaffte sich diese den Bericht durch eine                                formelle Einvernahme der Partei vor, diese
Hausdurchsuchung bei der Bank gleich selbst.                              können nur befragt werden. Mitarbeitende von
Die – seltene – Verweigerung der FINMA lief                               Beaufsichtigten werden von der FINMA hin-
dadurch ins Leere. Die Strafverfolgungsbe-                                gegen formell als Zeugen befragt. Die FINMA
hörde hatte das im Finanzmarktaufsichtsgesetz                             gehört gemäss Art. 14 VwVG zu den Verwal-
für solche Meinungsverschiedenheiten aus-                                 tungsbehörden, welche zur Durchführung von
drücklich vorgesehene Streitschlichtungsver-                              formellen Zeugeneinvernahmen ermächtigt ist.
fahren zwischen den Behörden mit der Haus-
durchsuchung ganz einfach umgangen und ad                                 Weder das FINMAG noch das VwVG sehen ein
absurdum geführt. Rechtsmissbrauch scheint                                formelles Aussageverweigerungsrecht im Falle
nur für Privatpersonen verboten.                                          einer Selbstbelastung für Betroffene vor. Obwohl
                                                                          nemo tenetur im Verwaltungsverfahrensrecht
Nun zur dritten Frage: Formell ist für das                                wie erwähnt nicht gilt, macht die FINMA Or-
Enforcementverfahren das Bundesgesetz über                                gane und Mitarbeitenden in den Befragungen
das Verwaltungsverfahren (Verwaltungsver-                                 bzw. Zeugeneinvernahmen dennoch darauf
fahrensgesetz, VwVG) anwendbar. Das Ver-                                  aufmerksam, dass sie zwar zur wahrheitsge-
waltungsverfahrensgesetz verpflichtet die                                 mässen Auskunft verpflichtet sind, jedoch
Parteien in Art. 13, an der (amtlichen) Fest-                             aufgrund analoger Anwendung von Art. 16
stellung des Sachverhalts mitzuwirken. Diese                              VwVG i.v.m. Art. 42 Abs. 1 des Bundesgesetzes
Aufforderung wird im Finanzmarktaufsichts-                                über den Bundeszivilprozess die Beantwortung
gesetz zum Zwang: Die Beaufsichtigten müssen                              von Fragen verweigern können, falls sie sich
der FINMA nach Art. 29 Abs. 1 FINMAG alle                                 dabei der Gefahr der strafrechtlichen Verfol-
Auskünfte erteilen und Unterlagen herausgeben,                            gung oder einer schweren Benachteiligung der
die sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben benötigt.                            Ehre aussetzen könnten oder ihnen ein un-
Dies gilt nicht nur, aber auch für Enforcement-                           mittelbarer vermögensrechtlicher Schaden


ContraLegem | 2021 /2 | K
                         unz, Selbstbelastende Aussagen im Enforcementverfahren der FINMA | S. 82 - 88              84
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verursacht würde, die FINMA in diesem Fall                               ausgabepflicht. Das ist aber noch nicht genug:
aber die Verweigerung der Mitwirkung frei                                Die FINMA weist die Beaufsichtigten und deren
würdigen kann. Die FINMA weist in den Be-                                Organe im Dispositiv der Einsetzungsverfü-
fragungen von Parteien und Organen weiter                                gungen für Untersuchungsbeauftragte regel-
auf die Strafdrohung bei Erteilung falscher                              mässig auf die Strafdrohung von Art. 48 FIN-
Auskunft gemäss Art. 45 FINMAG, ihre Pflicht                             MAG, Missachten von Verfügungen der FINMA,
                                                                         hin. Mit Busse bis zu 100 000 Franken wird
                                                                         bestraft, wer einer von der FINMA unter
                                                                         Hinweis auf die Strafdrohung dieses Artikels

Mit dieser Vorgehens-                                                    ergangenen rechtskräftigen Verfügung oder
                                                                         einem Entscheid der Rechtsmittelinstanzen
weise schafft die                                                        vorsätzlich nicht Folge leistet. Anschliessend
                                                                         wird ihnen im Dispositiv unter Androhung von
FINMA eine strafbe-                                                      Busse gemäss Art. 48 FINMAG die Pflicht auf-

wehrte                                                                   erlegt, den Untersuchungsbeauftragten sämt-
                                                                         liche Informationen und Unterlagen zu den
Aussagepflicht gegen-                                                    Geschäftsaktivitäten zur Verfügung zu stellen
                                                                         und Zugang zu den Räumlichkeiten zu ver-
über Untersuchungs-                                                      schaffen sowie keine relevanten Unterlagen und

beauftragten, wo das                                                     Dateien jeglicher Art zu verändern, zu ver-
                                                                         nichten oder vernichten zu lassen. Mit dieser
Finanzmarktauf-                                                          Vorgehensweise schafft die FINMA eine straf-
                                                                         bewehrte Aussagepflicht gegenüber Untersu-
sichtsgesetz keine                                                       chungsbeauftragten, wo das Finanzmarktauf-
                                                                         sichtsgesetz keine vorsieht. Es gibt
vorsieht. Es gibt Straf-                                                 Strafrechtler, welche diese Vorgehensweise als
rechtler, welche diese                                                   straf bare Nötigung qualifizieren. Im Dispositiv
                                                                         der Einsetzungsverfügung ergeht zudem der
Vorgehensweise als                                                       Hinweis auf die Strafdrohung für falsche
                                                                         Auskunft gemäss Art. 45 FINMAG.
strafbare Nötigung
qualifizieren.                                                           Das VwVG ist für Untersuchungsbeauftragte
                                                                         wie erwähnt nicht anwendbar. Sie führen mit
                                                                         den Beaufsichtigten bzw. deren Organe und
                                                                         Mitarbeitenden deshalb formlose Befragungen
                                                                         durch. Die Untersuchungsbeauftragten weisen
zur Strafanzeige gemäss Art. 38 Abs. 3 FINMAG
                                                                         in ihren Befragungen eingangs auf die Aussage-
sowie auf ihre Pflicht zur Rechtshilfe gemäss
                                                                         pflicht gemäss Art. 36 Abs. 3 FINMAG hin. Seit
Art. 38 Abs. 1 FINMAG hin
                                                                         wenigen Jahren weisen sie auch auf das Aus-
                                                                         sageverweigerungsrecht im Falle einer mögli-
Die FINMA überträgt die Feststellung des
                                                                         chen Selbstbelastung sowie die Würdigung
Sachverhalts in Enforcementverfahren in den
                                                                         einer allfälligen Verweigerung der Aussage nach
meisten Fällen an Untersuchungsbeauftragte.
                                                                         freiem Ermessen hin. Wie sich das Aussagever-
Das ist praktisch, weil das VwVG für Unter-
                                                                         weigerungsrecht mit der straf bewehrten Aus-
suchungsbeauftragte nicht gilt. Trotzdem be-
                                                                         kunfts- und Herausgabepflicht in der Einset-
steht für Beaufsichtigte bzw. deren Organe
                                                                         zungsverfügung verträgt, ist bisher nicht
gemäss Art. 36 Abs. 3 FINMAG gegenüber Unter-
                                                                         geklärt.
suchungsbeauftragten eine Aussage- und Her-


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Wenden wir uns nun der letzten, entscheiden-                             Erkenntnisse, welche die Parteien im Enforce-
den Frage zu, ob selbstbelastende Aussagen aus                           mentverfahren der FINMA oder Untersuchungs-
dem Enforcementverfahren in anschliessenden                              beauftragten unter Aussage- und Wahrheits-
Strafverfahren verwendet werden können. Wie                              zwang zu ihrer eigenen Belastung ausgesagt
erwähnt muss die FINMA Strafanzeige ein-                                 oder unter Herausgabezwang an die FINMA
reichen, wenn sie von straf baren Handlungen                             oder Untersuchungsbeauftragte herausgegeben
Kenntnis erlangt. Für die Widerhandlungen                                haben. Ebenso sind diese Erkenntnisse meist
gegen die Straf bestimmungen des FINMAG oder                             in der Sachverhaltsdarstellung der Verfügung,
der Finanzmarktgesetze ist das Bundesgesetz                              in welcher die unbefugte Entgegennahme von
über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR) an-                               Publikumseinlagen festgestellt wurde, ent-
wendbar, soweit das FINMAG oder die Finanz-                              halten. Die FINMA überlässt es dem Strafrechts-
marktgesetze nichts anderes bestimmen. Ver-                              dienst, über die Verwertung der selbstbelasten-
folgende und urteilende Behörde ist nach Art.                            den Aussagen zu entscheiden.
50 Abs. 1 FINMAG das Eidg. Finanzdepartement,
das in seinem Rechtsdienst für solche Ver-                               In Verwaltungsstrafverfahren gilt das Verbot
fahren einen sog. Strafrechtsdienst geschaffen                           der Selbstbelastung grundsätzlich. Zwar ist
hat. Die sachliche Zuständigkeit dieser Be-                              auch nach Praxis des Europäischen Gerichtshofs
hörde für die Untersuchung der Straftaten                                für Menschenrechte (EGMR) nicht jede Pflicht
ergibt sich auch aus Art. 20 VStrR.                                      unzulässig, Informationen zur Verfügung
                                                                         stellen zu müssen, die auch Strafsanktion nach
In der Praxis läuft es ganz anders: Verdächtigt                          sich ziehen können. Wie in BGE 140 II 384 E.3.3.2
die FINMA beispielsweise eine unbefugte                                  dargelegt, verbiete Art. 6 EMRK (nur) die so-
Entgegennahme von Publikumseinlagen durch                                genannte «improper compulsion», d.h. eine
Personen, welche dafür nicht über die erforder-                          missbräuchlich bzw. unverhältnismässig aus-
liche Bewilligung verfügen, erstattet die FINMA                          geübte Form von Zwang. Als solche «improper
nicht etwa eine Strafanzeige beim Strafrechts-                           compulsion» erachtet der EGMR etwa eine
dienst. Sie eröffnet selbst ein Enforcementver-                          unter Strafandrohung erzwungene Herausgabe
fahren und klärt den Sachverhalt in eigener                              von potenziell belastenden Dokumenten z.B. in
Regie ab. Sie übernimmt damit die Untersu-                               einem Zollstrafverfahren im Urteil Funke gegen
chung für die möglicherweise straf bare Hand-                            Frankreich vom 25. Februar 1993 oder in einem
lung gleich selbst und führt unter dem Deck-                             Steuerhinterziehungsverfahren im Urteil
mantel des Verwaltungsverfahrensrechts                                   Chambaz gegen Schweiz vom 5. April 2012.
faktisch eine strafrechtliche Untersuchung. Ob
darin eine Amtsanmassung liegt, wurde bisher                             Zur Beurteilung der Frage, ob das Recht, zu
leider noch nicht geklärt. Dessen ungeachtet                             schweigen und sich nicht selbst belasten zu
schliesst die FINMA ihre Untersuchung mit                                müssen, verletzt ist, stellt der EGMR auf die
einer Verfügung gemäss VwVG ab, in welcher                               Natur und den Grad des angewandten Zwangs
sie die unbefugte Entgegennahme von Publi-                               zur Erlangung des Beweismittels, die Verteidi-
kumseinlagen, d.h. den objektiven Tatbestand                             gungsmöglichkeiten sowie den Gebrauch des
der straf baren Handlung, «aufsichtsrechtlich»                           Beweismaterials ab. Wird in einem Enforce-
feststellt. Wird die Feststellungsverfügung                              mentverfahren der FINMA eine Aussage ge-
rechtskräftig, so erstattet sie beim Strafrechts-                        stützt auf eine Aussagepflicht und Strafdrohung
dienst Anzeige gegen die im Verwaltungsver-                              gemäss Art. 48 FINMAG im Weigerungsfall
fahren involvierte(n) Partei(en) wegen Verlet-                           erlangt, läge nach hier vertretener Auffassung
zung von Art. 44 FINMAG, Tätigkeit ohne                                  eine «improper compulsion» vor. Diese müsste
Bewilligung. Sie übergibt dem Strafrechtsdienst                          gemäss EGMR im Verwaltungsstrafverfahren
mit der Strafanzeige eine Kopie ihrer eigenen                            beachtet werden, selbst wenn sie in einem an-
amtlichen Akten. Darin befinden sich auch alle                           deren Verfahren erfolgt war, sofern zwischen


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beiden Verfahren ein genügend enger Bezug
                                                                         anschliessenden Verwaltungsstrafverfahren
besteht. Dies scheint über die Anzeigepflicht
                                                                         aus rechtsstaatlicher Sicht auch sein mag, so
der FINMA der Fall zu sein.
                                                                         konsequent erscheint sie angesichts der Kumu-
                                                                         lierung merkwürdiger Konstellationen. Zu-
Wehrt sich ein Angeschuldigter im Verwaltungs-
                                                                         sammenfassend hier noch einmal die wichtigs-
strafverfahren gegen die unzulässige Verwen-
                                                                         ten Faktoren:
dung von Informationen und Unterlagen,
welche durch eine «improper compulsion» im
                                                                         •     Im aufsichtsrechtlichen Enforce-
Enforcementverfahren der FINMA erlangt
                                                                               mentverfahren bestehen ausseror-
wurden, und verlangt eine gerichtliche Beurtei-
                                                                               dentlich weit gehende Auskunfts-
lung, so dürfte er ein blaues Wunder erleben.
                                                                               und Herausgabepflichten sowie eine
Es könnte ihm wie dem Angeschuldigten er-
                                                                               straf bewehrte Wahrheitspflicht für
gehen, der zur Klärung dieser Frage bis ans
                                                                               natürliche Personen;
Bundesstrafgericht gelangte. Die Vertreterin
des Strafrechtsdienstes beantragte in ihrem                              •     Die FINMA führt Enforcement- und
Schlussplädoyer in der öffentlichen Verhand-                                   damit Verwaltungsverfahren gegen
lung vor dem Einzelrichter die Bestrafung des                                  natürliche Personen, welche nicht
Angeschuldigten und machte in letzter Sekun-                                   Beaufsichtigte im Sinne des Gesetzes
de des mehrjährigen Verfahrens erstmals eine                                   sind und dem FINMAG damit per-
Ersatzforderung des Staates von mehreren                                       sönlich gar nicht unterstehen;
hunderttausend Franken gelten. Eingeschüch-
                                                                         •     Das Enforcementverfahren stellt bei
tert von diesen unerwartet drohenden finan-
                                                                               Straftatbeständen im Finanzmarkt-
ziellen Konsequenzen zog der Angeschuldigte
                                                                               aufsichtsrecht faktisch eine Vorun-
sein Begehren um gerichtliche Beurteilung
                                                                               tersuchung zu straf baren Handlun-
zurück und verzichtete auf die gerichtliche
                                                                               gen durch die FINMA als
Klärung der Frage, ob die aufgrund einer
                                                                               Verwaltungsbehörde dar;
«improper compulsion» von ihm erlangten
Informationen und Unterlagen im Verwaltungs-                             •     Die Auslagerung der Sachverhaltser-
strafverfahren gegen ihn verwendet werden                                      mittlung an Untersuchungsbeauf-
dürfen. Im Ergebnis führten (nur) sie zu seiner                                tragte unter Ausschluss der Anwen-
Verurteilung.                                                                  dung des VwVG in Verbindung mit
                                                                               der rechtswidrigen Anordnung einer
Soweit ersichtlich ist die Frage bis heute nicht                               straf bewehrten Auskunfts- und Her-
geklärt und selbstbelastende Aussagen aus dem                                  ausgabepflichte für die Beaufsichtig-
Enforcementverfahren, welche durch eine                                        ten und deren Organe führt zu einer
«improper compulsion» erlangt wurden, dürf-                                    unzulässigen «improper compulsi-
ten in Verwaltungsstrafverfahren weiterhin                                     on». Kommt es später zu einer Straf-
trotz Verbot gegen die Angeschuldigten ver-                                    anzeige, erfolgte die Untersuchung
wendet werden. Das raffinierte Vorgehen des                                    einer straf baren Handlung durch die
Strafrechtsdienstes, welches im Übrigen in der                                 Untersuchungsbeauftragten als pri-
publizierten Einstellungsverfügung des Einzel-                                 vate Unternehmen;
richters nicht erwähnt wird, verhinderte bisher
                                                                         •     Die FINMA hält in einer Feststel-
mutmasslich in vergleichbaren Fällen Versuche
                                                                               lungsverfügung als Verwaltungsbe-
zur gerichtlichen Klärung erfolgreich.
                                                                               hörde fest, dass der objektive Tatbe-
                                                                               stand einer
So schockierend die Verwertung von selbstbe-
                                                                               Verwaltungsstraf bestimmung erfüllt
lastenden, unter Zwang erlangten Aussagen aus
                                                                               ist;
dem Enforcementverfahren der FINMA im


ContraLegem | 2021 /2 | K
                         unz, Selbstbelastende Aussagen im Enforcementverfahren der FINMA | S. 82 - 88              87
Tagungen

•     Die enge Verknüpfung von Enforce-                                  eigenem Sanktionsverfahren vorgesehen, das
      ment- und Strafverfahren mit                                       sich in prozessualen Fragen nicht nur am
      zwangsweise ungehindertem Aus-                                     Strafverfahren orientierte, sondern auch als
      tausch von Informationen und Un-                                   solches gelten wollte. Der Gesetzgeber wollte es
      terlagen führt zur ungehinderten                                   jedoch anders. Neben dem Berufsverbot über-
      Überführung von Informationen                                      lebte nur die Einziehung unrechtmässiger
      und Unterlagen, welche im Enforce-                                 Gewinne das ursprüngliche Konzept. Auf ein
      mentverfahren durch selbstbelasten-                                eigenes Sanktionsverfahren hat der Gesetzgeber
      de Aussagen oder Herausgabe von                                    ebenfalls verzichtet. Dies hätte eigentlich dazu
      Unterlagen erlangt wurden, in ein                                  führen müssen, dass die Untersuchung bei
      Strafverfahren;                                                    Verwaltungsstraftatbeständen gemäss Art. 20
                                                                         VStrV durch die «beteiligte Verwaltung» - hier
•     Im Verwaltungsstrafverfahren ge-
                                                                         dem Strafrechtsdienst - erfolgen müsste. Die
      langt der Grundsatz von nemo tene-
                                                                         Zuständigkeit für die Untersuchung im Ver-
      tur nicht oder nur ungenügend zur
                                                                         waltungsstrafverfahren hat die FINMA jedoch
      Anwendung.
                                                                         usurpiert und führt an dessen Stelle ein ver-
Hier manifestiert sich nach hier vertretener                             waltungsrechtliches Enforcementverfahren
Auffassung eine schon länger festgestellte                               durch, mit den beschriebenen Konsequenzen.
Entwicklung in der Auslegung von Aufsichts-                              Hier liegt der eigentliche Hund begraben.
recht. Zur Anwendung gelangt meist die
fünfte, in keiner Verfügung und keinem Urteil                            Stellen selbstbelastende Aussagen und/oder die
erwähnte Auslegungsmethode: Die utilitaris-                              selbstbelastende Herausgabe von Unterlagen
tische Auslegung – vom Ergebnis her gedacht.                             im Enforcementverfahren die einzigen oder
Aus rechtsstaatlicher Sicht ist die Situation                            zumindest massgebenden Beweise für eine
unbefriedigend. Inwieweit das Verhalten von                              möglicherweise straf bare Tätigkeit eines Be-
FINMA-Beaufsichtigten und deren Exponenten                               aufsichtigten bzw. von dessen Organen und/
in den letzten Jahren die Haltung der Behörden                           oder Mitarbeitenden dar, muss die Aussage bzw.
negativ beeinflusst hat, kann hier offenbleiben.                         Herausgabe bereits im Enforcementverfahren
                                                                         verweigert werden. Anders kann der Schutz vor
Der Grund für diese Ungereimtheiten liegt auch                           Selbstbelastung im Verwaltungsstrafverfahren
in einem konzeptionellen Fehler des FINMAG.                              vorläufig nicht sichergestellt werden.
Ursprünglich hatte ihre Vorgängerbehörde, die
Eidg. Bankenkommission, für Enforcementver-
fahren ein umfassendes Sanktionensystem mit


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