Selbstbelastende Aussagen im En- forcementverfahren der FINMA und deren Verwendung im Straf-prozess - Kunz Compliance
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Tagungen Selbstbelastende Aussagen im En- forcementverfahren der FINMA und deren Verwendung im Straf- prozess Michael Kunz Enforcement, d.h. die Durchsetzung des Finanz- Enforcementverfahren können schwerwiegen- marktaufsichtsrechts, zählt heute laut Jahres- de Konsequenzen für natürliche Personen als bericht 2018 der Eidg. Finanzmarktaufsicht Betroffenen haben. Die FINMA kann gegen sie FINMA zu deren Kernaufgaben. Enforcement gestützt auf Art. 33 FINMAG Berufsverbote bis versteht sie als Mittel zur Erreichung der zu fünf Jahren erlassen. Faktisch führt bereits Aufsichtsziele. Seit ein paar Jahren spüren das die Eröffnung des Enforcementverfahrens zu auch Organe und Mitarbeitende von Banken einem Ausscheiden aus der Bank oder einem und anderen Finanzintermediären. Die Unge- «garden leave». Spätestens mit dem Erlass eines wöhnlichkeit des Themas, welche sich bereits Berufsverbots ist die Karriere im Finanzsektor im Titel des Beitrags andeutet, beginnt bereits meist beendet. Dies gilt selbst dann, wenn das hier: Organe und Mitarbeitende von Banken Berufsverbot noch nicht rechtskräftig ist oder sind nicht Beaufsichtigte gemäss Bundesgesetz in einem Beschwerdeverfahren vollständig über die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht sogar vollständig aufgehoben wird. (Finanzmarktaufsichtsgesetz, FINMAG) und unterstehen damit keiner direkten Aufsicht der Angesichts der drohenden persönlichen Kon- FINMA. Trotzdem kann die FINMA gegen sie sequenzen stellen sich für die von Enforcement- als Parteien Enforcementverfahren führen und verfahren betroffenen natürlichen Personen, Enforcementverfügungen erlassen. Dies gilt auf deren Situation sich der vorliegende Text selbst dann, wenn sie gar nicht mehr bei einem beschränkt, verschiedene Fragen: Beaufsichtigten tätig sind. • Handelt es sich beim Enforcement- Enforcementverfahren werden von der FINMA verfahren um ein Verwaltungs- oder eröffnet, wenn ein Verdacht auf eine Verletzung um ein Strafverfahren? von Aufsichtsrecht besteht, der abgeklärt • Wie ist das Verhältnis zwischen En- werden muss. Betroffen von Ermittlungen forcementverfahren und Strafver- können sowohl Bewilligungsträger (als Beauf- fahren? sichtigte) als auch potenziell illegal tätige natür- liche oder juristische Personen sein. Wurde • Welche Regelungen gelten für das Aufsichtsrecht verletzt, muss die FINMA für Enforcementverfahren und müssen die Wiederherstellung des gesetzmässigen Zu- Betroffene im Enforcementverfahren standes sorgen und kann bei schweren Ver- Aussagen machen, die sie belasten letzungen Sanktionen erlassen. könnten? • Können selbstbelastenden Aussagen im Enforcementverfahren in an- ContraLegem | 2021 /2 | K unz, Selbstbelastende Aussagen im Enforcementverfahren der FINMA | S. 82 - 88 82
Tagungen schliessenden Strafverfahren gegen liche Sanktion und keine strafrechtliche Betroffene als Angeschuldigten ver- Sanktion dar. wendet werden? Stellt das Verfahren auf Erlass eines Berufs- Das Bundesgericht hat in BGE 142 II 243 die verbots keine strafrechtliche Anklage dar, erste Frage mit Bezug auf Enforcementverfah- finden die dafür vorgesehenen Garantien wie ren zum Erlasse eines Berufsverbots klar mit das Verbot der Selbstbelastung des Betroffenen nein beantwortet. Diese seien keine strafrecht- („nemo tenetur») im Enforcementverfahren liche Anklage im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 EMRK keine Anwendung (E. 3.2-3.4): «In auf Auferle- und Art. 14 Ziff. 3 lit. g UNO-Pakt II. Das von gung eines Berufsverbots gerichteten Verfahren der FINMA gegen bei einer Beaufsichtigten in kann auf Aussagen abgestellt werden, welche leitender Stellung tätige Personen verhängte die natürliche Person im gegen die Beaufsich- Berufsverbot wird vom Bundesgericht als tigte geführten Verfahren getätigt hat: Das identisch mit einem zeitlich beschränkten Selbstbelastungsverbot steht einer Verwertung Berufsausübungsverbot bezeichnet, welches die dieser Aussagen nicht entgegen, weil das Berufs- Aufsichtskommission aus Gründen des Publi- verbot hinsichtlich seiner Art und Schwere eine kumsschutzes und zur Wahrung von Treu und wirtschaftspolizei-rechtlich motivierte Ein- Glauben im Geschäftsverkehr (…) als Diszipli- schränkung der Wirtschaftsfreiheit und nicht narmassnahme gegen eine Rechtsanwältin oder eine strafrechtliche Anklage i.S.v. Art. 6 Ziff. 1 einen Rechtsanwalt aussprechen könne. Rechts- EMRK ist.» anwälte können sich der Disziplinierung durch die Aufgabe ihrer forensischen Tätigkeit und Kommen wir zur zweiten Frage, dem Verhältnis Löschung im Anwaltsregister entziehen. Banker zwischen Enforcementverfahren und Strafver- können hingegen selbst im Falle einer Tätigkeit fahren gemäss Strafprozessordnung. Beide ausserhalb des Finanzsektors immer noch mit Verfahren können von einander unabhängig einem Berufsverbot im Finanzsektor bestraft, geführt werden. Sie können zeitlich gestaffelt pardon: diszipliniert werden. Einmal Banker, oder auch gleichzeitig stattfinden. In der Praxis immer Bankster. findet das Enforcementverfahren meist vor dem Strafverfahren statt. Das hat einen einfachen Weil das Bundesgericht die Beschwerde trotz- Grund: Die FINMA ist verpflichtet, bei den dem gutgeheissen und das Verfahren zur Er- zuständigen Behörden Strafanzeige einzurei- gänzung des Sachverhalts (!) an die Vorinstanz chen, wenn sie Kenntnis von straf baren zurückgewiesen hatte, war ein Gang nach Handlungen erlangt. Soweit es um Verstösse Strassburg im betroffenen Verfahren nicht gegen das Finanzmarktaufsichtsrecht geht, erforderlich. Die Vorinstanz hob das Berufs- dürften die zuständigen Strafverfolgungsbe- verbot der FINMA nach zwei weiteren Jahren hörden kaum je ohne Anzeige der FINMA davon rechtskräftig auf. Das Urteil des Bundesgerichts erfahren. zur Rechtsnatur des Enforcementverfahrens wurde in der Lehre, soweit ersichtlich, über- Die FINMA muss für die Strafanzeige Infor- wiegend kritisiert, auch in diesem Forum. mationen aus dem Enforcementverfahren Dessen ungeachtet bestätigte das Bundesgericht verwenden. Zwischen den beiden Verfahren seine Praxis in einem neueren Urteil 2C_177/2019 besteht aber noch ein weiterer Berührungs- vom 22. Juli 2019 bezüglich der Publikation punkt. Das Finanzmarktaufsichtsgesetz er- eines Verbots, eine bestimmte Finanzinter- mächtigt die FINMA und die Strafverfolgungs- mediäre Tätigkeit auszuüben (sog. «naming and behörden zur gegenseitigen Amtshilfe. Sie shaming»). Die Publikation des Verbots stelle tauschen die im Rahmen der Zusammenarbeit wie das Berufsverbot eine verwaltungsrecht- und «zur Erfüllung ihrer Aufgaben notwendi- gen Informationen» aus. Das ist ganz praktisch, ContraLegem | 2021 /2 | K unz, Selbstbelastende Aussagen im Enforcementverfahren der FINMA | S. 82 - 88 83
Tagungen weil jede Behörde bei der Beschaffung von In- verfahren. Gegenüber der FINMA gilt jedoch formationen, die für die andere Behörde inte- nicht nur eine Aussage- und Herausgabepflicht. ressant ist, ihre eigenen Verfahrensregeln an- Beaufsichtigte sind auch zur Wahrheit ver- wenden kann. Beide Behörden gelangen dadurch pflichtet. Die vorsätzliche Erteilung von falschen an Informationen, an die sie durch die eigenen Auskünften gilt gemäss Art. 45 FINMAG als Verfahrensregeln nicht gelangen könnten. Vergehen, die fahrlässige Begehung als Über- tretung. Die FINMA kann zwar laut ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung die Herausgabe von Organe und Mitarbeitende sind wie erwähnt Informationen und Akten an die Strafverfol- keine Beaufsichtigte. Trotzdem ist bisher un- gungsbehörden (und andere inländische Be- bestritten, dass sie gegenüber der FINMA hörden) verweigern. Das muss aber diese nicht auskunftspflichtig sind. Ist die Beaufsichtigte kümmern. Verfügen sie wie Strafverfolgungs- eine juristische Person, so ist sie zwar Partei behörden über entsprechende Kompetenzen, und auskunftspflichtig, kann aber selbst nicht können sie die von der FINMA verlangten In- handeln und Auskunft geben. Gemäss Botschaft formationen und Akten im Strafverfahren zum FINMAG sind in diesem Fall die Organe direkt bei den Betroffenen einverlangen. Über Adressaten der Auskunftspflicht. Sie liefern die Amtshilfe haben sie von deren Existenz ja der FINMA die verlangten Informationen und bereits Kenntnis erlangt. So geschehen bezüg- Unterlagen. Zur Sache der Beaufsichtigten lich eines Berichts, denn eine Anwaltskanzlei werden die Organe von der FINMA befragt. Die für eine grosse Bank erstellt hatte. Nachdem natürliche Person kann im Enforcementver- die FINMA die Herausgabe des Berichts an die fahren auch als Partei auskunftspflichtig sein. Bundesanwaltschaft verweigert hatte, be- Das Verwaltungsverfahrensgesetz sieht keine schaffte sich diese den Bericht durch eine formelle Einvernahme der Partei vor, diese Hausdurchsuchung bei der Bank gleich selbst. können nur befragt werden. Mitarbeitende von Die – seltene – Verweigerung der FINMA lief Beaufsichtigten werden von der FINMA hin- dadurch ins Leere. Die Strafverfolgungsbe- gegen formell als Zeugen befragt. Die FINMA hörde hatte das im Finanzmarktaufsichtsgesetz gehört gemäss Art. 14 VwVG zu den Verwal- für solche Meinungsverschiedenheiten aus- tungsbehörden, welche zur Durchführung von drücklich vorgesehene Streitschlichtungsver- formellen Zeugeneinvernahmen ermächtigt ist. fahren zwischen den Behörden mit der Haus- durchsuchung ganz einfach umgangen und ad Weder das FINMAG noch das VwVG sehen ein absurdum geführt. Rechtsmissbrauch scheint formelles Aussageverweigerungsrecht im Falle nur für Privatpersonen verboten. einer Selbstbelastung für Betroffene vor. Obwohl nemo tenetur im Verwaltungsverfahrensrecht Nun zur dritten Frage: Formell ist für das wie erwähnt nicht gilt, macht die FINMA Or- Enforcementverfahren das Bundesgesetz über gane und Mitarbeitenden in den Befragungen das Verwaltungsverfahren (Verwaltungsver- bzw. Zeugeneinvernahmen dennoch darauf fahrensgesetz, VwVG) anwendbar. Das Ver- aufmerksam, dass sie zwar zur wahrheitsge- waltungsverfahrensgesetz verpflichtet die mässen Auskunft verpflichtet sind, jedoch Parteien in Art. 13, an der (amtlichen) Fest- aufgrund analoger Anwendung von Art. 16 stellung des Sachverhalts mitzuwirken. Diese VwVG i.v.m. Art. 42 Abs. 1 des Bundesgesetzes Aufforderung wird im Finanzmarktaufsichts- über den Bundeszivilprozess die Beantwortung gesetz zum Zwang: Die Beaufsichtigten müssen von Fragen verweigern können, falls sie sich der FINMA nach Art. 29 Abs. 1 FINMAG alle dabei der Gefahr der strafrechtlichen Verfol- Auskünfte erteilen und Unterlagen herausgeben, gung oder einer schweren Benachteiligung der die sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben benötigt. Ehre aussetzen könnten oder ihnen ein un- Dies gilt nicht nur, aber auch für Enforcement- mittelbarer vermögensrechtlicher Schaden ContraLegem | 2021 /2 | K unz, Selbstbelastende Aussagen im Enforcementverfahren der FINMA | S. 82 - 88 84
Tagungen verursacht würde, die FINMA in diesem Fall ausgabepflicht. Das ist aber noch nicht genug: aber die Verweigerung der Mitwirkung frei Die FINMA weist die Beaufsichtigten und deren würdigen kann. Die FINMA weist in den Be- Organe im Dispositiv der Einsetzungsverfü- fragungen von Parteien und Organen weiter gungen für Untersuchungsbeauftragte regel- auf die Strafdrohung bei Erteilung falscher mässig auf die Strafdrohung von Art. 48 FIN- Auskunft gemäss Art. 45 FINMAG, ihre Pflicht MAG, Missachten von Verfügungen der FINMA, hin. Mit Busse bis zu 100 000 Franken wird bestraft, wer einer von der FINMA unter Hinweis auf die Strafdrohung dieses Artikels Mit dieser Vorgehens- ergangenen rechtskräftigen Verfügung oder einem Entscheid der Rechtsmittelinstanzen weise schafft die vorsätzlich nicht Folge leistet. Anschliessend wird ihnen im Dispositiv unter Androhung von FINMA eine strafbe- Busse gemäss Art. 48 FINMAG die Pflicht auf- wehrte erlegt, den Untersuchungsbeauftragten sämt- liche Informationen und Unterlagen zu den Aussagepflicht gegen- Geschäftsaktivitäten zur Verfügung zu stellen und Zugang zu den Räumlichkeiten zu ver- über Untersuchungs- schaffen sowie keine relevanten Unterlagen und beauftragten, wo das Dateien jeglicher Art zu verändern, zu ver- nichten oder vernichten zu lassen. Mit dieser Finanzmarktauf- Vorgehensweise schafft die FINMA eine straf- bewehrte Aussagepflicht gegenüber Untersu- sichtsgesetz keine chungsbeauftragten, wo das Finanzmarktauf- sichtsgesetz keine vorsieht. Es gibt vorsieht. Es gibt Straf- Strafrechtler, welche diese Vorgehensweise als rechtler, welche diese straf bare Nötigung qualifizieren. Im Dispositiv der Einsetzungsverfügung ergeht zudem der Vorgehensweise als Hinweis auf die Strafdrohung für falsche Auskunft gemäss Art. 45 FINMAG. strafbare Nötigung qualifizieren. Das VwVG ist für Untersuchungsbeauftragte wie erwähnt nicht anwendbar. Sie führen mit den Beaufsichtigten bzw. deren Organe und Mitarbeitenden deshalb formlose Befragungen durch. Die Untersuchungsbeauftragten weisen zur Strafanzeige gemäss Art. 38 Abs. 3 FINMAG in ihren Befragungen eingangs auf die Aussage- sowie auf ihre Pflicht zur Rechtshilfe gemäss pflicht gemäss Art. 36 Abs. 3 FINMAG hin. Seit Art. 38 Abs. 1 FINMAG hin wenigen Jahren weisen sie auch auf das Aus- sageverweigerungsrecht im Falle einer mögli- Die FINMA überträgt die Feststellung des chen Selbstbelastung sowie die Würdigung Sachverhalts in Enforcementverfahren in den einer allfälligen Verweigerung der Aussage nach meisten Fällen an Untersuchungsbeauftragte. freiem Ermessen hin. Wie sich das Aussagever- Das ist praktisch, weil das VwVG für Unter- weigerungsrecht mit der straf bewehrten Aus- suchungsbeauftragte nicht gilt. Trotzdem be- kunfts- und Herausgabepflicht in der Einset- steht für Beaufsichtigte bzw. deren Organe zungsverfügung verträgt, ist bisher nicht gemäss Art. 36 Abs. 3 FINMAG gegenüber Unter- geklärt. suchungsbeauftragten eine Aussage- und Her- ContraLegem | 2021 /2 | K unz, Selbstbelastende Aussagen im Enforcementverfahren der FINMA | S. 82 - 88 85
Tagungen Wenden wir uns nun der letzten, entscheiden- Erkenntnisse, welche die Parteien im Enforce- den Frage zu, ob selbstbelastende Aussagen aus mentverfahren der FINMA oder Untersuchungs- dem Enforcementverfahren in anschliessenden beauftragten unter Aussage- und Wahrheits- Strafverfahren verwendet werden können. Wie zwang zu ihrer eigenen Belastung ausgesagt erwähnt muss die FINMA Strafanzeige ein- oder unter Herausgabezwang an die FINMA reichen, wenn sie von straf baren Handlungen oder Untersuchungsbeauftragte herausgegeben Kenntnis erlangt. Für die Widerhandlungen haben. Ebenso sind diese Erkenntnisse meist gegen die Straf bestimmungen des FINMAG oder in der Sachverhaltsdarstellung der Verfügung, der Finanzmarktgesetze ist das Bundesgesetz in welcher die unbefugte Entgegennahme von über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR) an- Publikumseinlagen festgestellt wurde, ent- wendbar, soweit das FINMAG oder die Finanz- halten. Die FINMA überlässt es dem Strafrechts- marktgesetze nichts anderes bestimmen. Ver- dienst, über die Verwertung der selbstbelasten- folgende und urteilende Behörde ist nach Art. den Aussagen zu entscheiden. 50 Abs. 1 FINMAG das Eidg. Finanzdepartement, das in seinem Rechtsdienst für solche Ver- In Verwaltungsstrafverfahren gilt das Verbot fahren einen sog. Strafrechtsdienst geschaffen der Selbstbelastung grundsätzlich. Zwar ist hat. Die sachliche Zuständigkeit dieser Be- auch nach Praxis des Europäischen Gerichtshofs hörde für die Untersuchung der Straftaten für Menschenrechte (EGMR) nicht jede Pflicht ergibt sich auch aus Art. 20 VStrR. unzulässig, Informationen zur Verfügung stellen zu müssen, die auch Strafsanktion nach In der Praxis läuft es ganz anders: Verdächtigt sich ziehen können. Wie in BGE 140 II 384 E.3.3.2 die FINMA beispielsweise eine unbefugte dargelegt, verbiete Art. 6 EMRK (nur) die so- Entgegennahme von Publikumseinlagen durch genannte «improper compulsion», d.h. eine Personen, welche dafür nicht über die erforder- missbräuchlich bzw. unverhältnismässig aus- liche Bewilligung verfügen, erstattet die FINMA geübte Form von Zwang. Als solche «improper nicht etwa eine Strafanzeige beim Strafrechts- compulsion» erachtet der EGMR etwa eine dienst. Sie eröffnet selbst ein Enforcementver- unter Strafandrohung erzwungene Herausgabe fahren und klärt den Sachverhalt in eigener von potenziell belastenden Dokumenten z.B. in Regie ab. Sie übernimmt damit die Untersu- einem Zollstrafverfahren im Urteil Funke gegen chung für die möglicherweise straf bare Hand- Frankreich vom 25. Februar 1993 oder in einem lung gleich selbst und führt unter dem Deck- Steuerhinterziehungsverfahren im Urteil mantel des Verwaltungsverfahrensrechts Chambaz gegen Schweiz vom 5. April 2012. faktisch eine strafrechtliche Untersuchung. Ob darin eine Amtsanmassung liegt, wurde bisher Zur Beurteilung der Frage, ob das Recht, zu leider noch nicht geklärt. Dessen ungeachtet schweigen und sich nicht selbst belasten zu schliesst die FINMA ihre Untersuchung mit müssen, verletzt ist, stellt der EGMR auf die einer Verfügung gemäss VwVG ab, in welcher Natur und den Grad des angewandten Zwangs sie die unbefugte Entgegennahme von Publi- zur Erlangung des Beweismittels, die Verteidi- kumseinlagen, d.h. den objektiven Tatbestand gungsmöglichkeiten sowie den Gebrauch des der straf baren Handlung, «aufsichtsrechtlich» Beweismaterials ab. Wird in einem Enforce- feststellt. Wird die Feststellungsverfügung mentverfahren der FINMA eine Aussage ge- rechtskräftig, so erstattet sie beim Strafrechts- stützt auf eine Aussagepflicht und Strafdrohung dienst Anzeige gegen die im Verwaltungsver- gemäss Art. 48 FINMAG im Weigerungsfall fahren involvierte(n) Partei(en) wegen Verlet- erlangt, läge nach hier vertretener Auffassung zung von Art. 44 FINMAG, Tätigkeit ohne eine «improper compulsion» vor. Diese müsste Bewilligung. Sie übergibt dem Strafrechtsdienst gemäss EGMR im Verwaltungsstrafverfahren mit der Strafanzeige eine Kopie ihrer eigenen beachtet werden, selbst wenn sie in einem an- amtlichen Akten. Darin befinden sich auch alle deren Verfahren erfolgt war, sofern zwischen ContraLegem | 2021 /2 | K unz, Selbstbelastende Aussagen im Enforcementverfahren der FINMA | S. 82 - 88 86
Tagungen beiden Verfahren ein genügend enger Bezug anschliessenden Verwaltungsstrafverfahren besteht. Dies scheint über die Anzeigepflicht aus rechtsstaatlicher Sicht auch sein mag, so der FINMA der Fall zu sein. konsequent erscheint sie angesichts der Kumu- lierung merkwürdiger Konstellationen. Zu- Wehrt sich ein Angeschuldigter im Verwaltungs- sammenfassend hier noch einmal die wichtigs- strafverfahren gegen die unzulässige Verwen- ten Faktoren: dung von Informationen und Unterlagen, welche durch eine «improper compulsion» im • Im aufsichtsrechtlichen Enforce- Enforcementverfahren der FINMA erlangt mentverfahren bestehen ausseror- wurden, und verlangt eine gerichtliche Beurtei- dentlich weit gehende Auskunfts- lung, so dürfte er ein blaues Wunder erleben. und Herausgabepflichten sowie eine Es könnte ihm wie dem Angeschuldigten er- straf bewehrte Wahrheitspflicht für gehen, der zur Klärung dieser Frage bis ans natürliche Personen; Bundesstrafgericht gelangte. Die Vertreterin des Strafrechtsdienstes beantragte in ihrem • Die FINMA führt Enforcement- und Schlussplädoyer in der öffentlichen Verhand- damit Verwaltungsverfahren gegen lung vor dem Einzelrichter die Bestrafung des natürliche Personen, welche nicht Angeschuldigten und machte in letzter Sekun- Beaufsichtigte im Sinne des Gesetzes de des mehrjährigen Verfahrens erstmals eine sind und dem FINMAG damit per- Ersatzforderung des Staates von mehreren sönlich gar nicht unterstehen; hunderttausend Franken gelten. Eingeschüch- • Das Enforcementverfahren stellt bei tert von diesen unerwartet drohenden finan- Straftatbeständen im Finanzmarkt- ziellen Konsequenzen zog der Angeschuldigte aufsichtsrecht faktisch eine Vorun- sein Begehren um gerichtliche Beurteilung tersuchung zu straf baren Handlun- zurück und verzichtete auf die gerichtliche gen durch die FINMA als Klärung der Frage, ob die aufgrund einer Verwaltungsbehörde dar; «improper compulsion» von ihm erlangten Informationen und Unterlagen im Verwaltungs- • Die Auslagerung der Sachverhaltser- strafverfahren gegen ihn verwendet werden mittlung an Untersuchungsbeauf- dürfen. Im Ergebnis führten (nur) sie zu seiner tragte unter Ausschluss der Anwen- Verurteilung. dung des VwVG in Verbindung mit der rechtswidrigen Anordnung einer Soweit ersichtlich ist die Frage bis heute nicht straf bewehrten Auskunfts- und Her- geklärt und selbstbelastende Aussagen aus dem ausgabepflichte für die Beaufsichtig- Enforcementverfahren, welche durch eine ten und deren Organe führt zu einer «improper compulsion» erlangt wurden, dürf- unzulässigen «improper compulsi- ten in Verwaltungsstrafverfahren weiterhin on». Kommt es später zu einer Straf- trotz Verbot gegen die Angeschuldigten ver- anzeige, erfolgte die Untersuchung wendet werden. Das raffinierte Vorgehen des einer straf baren Handlung durch die Strafrechtsdienstes, welches im Übrigen in der Untersuchungsbeauftragten als pri- publizierten Einstellungsverfügung des Einzel- vate Unternehmen; richters nicht erwähnt wird, verhinderte bisher • Die FINMA hält in einer Feststel- mutmasslich in vergleichbaren Fällen Versuche lungsverfügung als Verwaltungsbe- zur gerichtlichen Klärung erfolgreich. hörde fest, dass der objektive Tatbe- stand einer So schockierend die Verwertung von selbstbe- Verwaltungsstraf bestimmung erfüllt lastenden, unter Zwang erlangten Aussagen aus ist; dem Enforcementverfahren der FINMA im ContraLegem | 2021 /2 | K unz, Selbstbelastende Aussagen im Enforcementverfahren der FINMA | S. 82 - 88 87
Tagungen • Die enge Verknüpfung von Enforce- eigenem Sanktionsverfahren vorgesehen, das ment- und Strafverfahren mit sich in prozessualen Fragen nicht nur am zwangsweise ungehindertem Aus- Strafverfahren orientierte, sondern auch als tausch von Informationen und Un- solches gelten wollte. Der Gesetzgeber wollte es terlagen führt zur ungehinderten jedoch anders. Neben dem Berufsverbot über- Überführung von Informationen lebte nur die Einziehung unrechtmässiger und Unterlagen, welche im Enforce- Gewinne das ursprüngliche Konzept. Auf ein mentverfahren durch selbstbelasten- eigenes Sanktionsverfahren hat der Gesetzgeber de Aussagen oder Herausgabe von ebenfalls verzichtet. Dies hätte eigentlich dazu Unterlagen erlangt wurden, in ein führen müssen, dass die Untersuchung bei Strafverfahren; Verwaltungsstraftatbeständen gemäss Art. 20 VStrV durch die «beteiligte Verwaltung» - hier • Im Verwaltungsstrafverfahren ge- dem Strafrechtsdienst - erfolgen müsste. Die langt der Grundsatz von nemo tene- Zuständigkeit für die Untersuchung im Ver- tur nicht oder nur ungenügend zur waltungsstrafverfahren hat die FINMA jedoch Anwendung. usurpiert und führt an dessen Stelle ein ver- Hier manifestiert sich nach hier vertretener waltungsrechtliches Enforcementverfahren Auffassung eine schon länger festgestellte durch, mit den beschriebenen Konsequenzen. Entwicklung in der Auslegung von Aufsichts- Hier liegt der eigentliche Hund begraben. recht. Zur Anwendung gelangt meist die fünfte, in keiner Verfügung und keinem Urteil Stellen selbstbelastende Aussagen und/oder die erwähnte Auslegungsmethode: Die utilitaris- selbstbelastende Herausgabe von Unterlagen tische Auslegung – vom Ergebnis her gedacht. im Enforcementverfahren die einzigen oder Aus rechtsstaatlicher Sicht ist die Situation zumindest massgebenden Beweise für eine unbefriedigend. Inwieweit das Verhalten von möglicherweise straf bare Tätigkeit eines Be- FINMA-Beaufsichtigten und deren Exponenten aufsichtigten bzw. von dessen Organen und/ in den letzten Jahren die Haltung der Behörden oder Mitarbeitenden dar, muss die Aussage bzw. negativ beeinflusst hat, kann hier offenbleiben. Herausgabe bereits im Enforcementverfahren verweigert werden. Anders kann der Schutz vor Der Grund für diese Ungereimtheiten liegt auch Selbstbelastung im Verwaltungsstrafverfahren in einem konzeptionellen Fehler des FINMAG. vorläufig nicht sichergestellt werden. Ursprünglich hatte ihre Vorgängerbehörde, die Eidg. Bankenkommission, für Enforcementver- fahren ein umfassendes Sanktionensystem mit ContraLegem | 2021 /2 | K unz, Selbstbelastende Aussagen im Enforcementverfahren der FINMA | S. 82 - 88 88
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