Simulation von Bauablaufstörungen mit agentenbasierten Petri-Netzen unter Nutzung eines BIM-Modells für gutachterliche Bauzeitanalysen

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Simulation in Produktion
und Logistik 2019
Matthias Putz & Andreas Schlegel (Hrsg.)
Wissenschaftliche Scripten, Auerbach 2019

     Simulation von Bauablaufstörungen mit
agentenbasierten Petri-Netzen unter Nutzung eines
 BIM-Modells für gutachterliche Bauzeitanalysen

    Simulation of construction disturbances with agent-based Petri nets
       and employing a BIM model for expert building time analyses

        Ralf Gnerlich, Volkhard Franz, Universität Kassel, Kassel (Germany),
                   rgnerlich@uni-kassel.de, vfranz@uni-kassel.de

Abstract: This paper is based on a research project to update a disturbance-modified
schedule to assess disruption claims. The approach aims at quantifying time effects in
the expert analysis of construction claims. It focuses on the modeling of time-discrete
construction disturbances. For this purpose, the approach uses an agent-based
simulation with Petri nets and a BIM model (BIM = Building Information Modeling).
As a result of changes, the designed Petri net can reconfigure itself. In addition, it is
exemplarily demonstrated that the simulation results can be checked in chronological
order by integrating documents.

1         Einleitung
Regelmäßig lehnen deutsche Gerichte baubetriebliche Gutachten aufgrund einer nicht
schlüssigen Darlegung ab (Tiesler 2018, S. 1). Die Gründe dafür können verschieden
sein und hängen immer vom einzelfallbezogenen Verlauf des Gerichtsverfahrens ab.
In den Entscheidungen wird jedoch oft betont, dass es an einer nachvollziehbaren
Sachlogik zur Begründung des beanstandeten Rechtsanspruchs fehlt. Obwohl diese
Probleme bekannt sind, nutzt die derzeitige deutsche Gutachterpraxis vornehmlich
Projekt-Management-Software, um das komplexe Ablaufverhalten gestörter Bau-
abläufe im Rahmen von vertragsrechtlichen Anspruchsbewertungen zu analysieren.
Bei diesen Anwendungen erfolgt die Prozess-Modellierung und -Berechnung i. d. R.
auf Basis der Netzplantechnik. Inwieweit dies für eine schlüssige Analyse komplexer
Systeme ausreicht, wird in Fachkreisen kaum hinterfragt. Stattdessen rücken vor
allem die Nachweismethoden in das kritische Blickfeld, bei denen Balkenpläne für
Soll-Ist-Vergleiche aus den erstellten Netzplänen abgeleitet und die Balken infolge
verschiedener Herangehensweisen verglichen werden (Tiesler 2018, S. 89 ff.). Nur
vereinzelt gibt es Erwägungen auch Simulationen zu nutzen (Koc and Skaik 2014;
Valavanoglou et al. 2016; SCL-Protocol 2017; Gnerlich 2017; Soltani et al. 2017;
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Chou und Yang 2017; Gnerlich et al. 2018a; Eschenbruch und Gerstberger 2018).
Bisher wurde aber keine konkrete Lösung zur gutachterlichen Bewertung der Bauzeit
mit einer BIM-basierten Simulation vorgeschlagen (Ausnahme: Gnerlich 2019).

1.1     Zielsetzung und Abgrenzung
Der in diesem Beitrag vorgeschlagene Lösungsansatz zielt auf die Simulation
machbarer Produktionsprozesse zur Erstellung baubetrieblicher Gutachten über
Bauzeitnachträge ab. Dazu wird ein konzeptioneller Entwurf eines agentenbasierten
Petri-Netzes unter der Nutzung eines BIM-Modells präsentiert. Hiermit können
störungsmodifizierende Effekte für eine objektive Terminplanfortschreibung
nachgebildet werden. Außerdem enthält der Ansatz eine Möglichkeit zur chronolo-
gischen Verwaltung externer Dokumente. Diese Verknüpfung ist neben der
Modellverifizierung und -validierung auch zur prozessrechtlichen Darlegung
bestehender Forderungsrechte geeignet.
Insgesamt wird auf den konzeptionellen Entwurf und weniger auf technische Details
eingegangen. Ebenso entfallen in diesem Beitrag mathematische Beschreibungen.
Eine tiefergehende Darstellung der Agentenlogik liefert Gnerlich (2019).

1.2     Vorüberlegungen zur Simulationsmethodik
Allein die Nutzung eines BIM-Modells kann bereits bei manuell durchgeführten
Bauzeitanalysen dazu beitragen, dass realitätsnähere Ergebnisse zustande kommen
(Gnerlich et al. 2018a, S. 460-462). Führen Bauablaufsimulationen diese Berech-
nungen durch, sind sehr plausible Untersuchungen möglich (Dang 2014; Ben-Alon
und Sacks 2017; Gnerlich et al. 2018b). So können etwa komplexe Raum-Zeit-
Konflikte in einer realitätsnahen Bauwerksgeometrie betrachtet werden (Akinci et al.
2002; Dang 2014, S. 40-43; Mirzaei et al. 2018; Gnerlich 2019). Durch gezielte
Parametereingaben lassen sich bspw. virtuelle Produktionsprozesse unterbrechen,
zeitlich verschieben, hemmen oder beschleunigen (Dang 2014; Gnerlich et al. 2018b).
Diese Eigenschaften eignen sich zur störungsmodifizierten Fortschreibung von
Terminplänen sowie für die Bewertung von Nachträgen (Valavanoglou et al. 2016,
S. 4; SCL-Protocol 2017, S. 14, 46-47; Gnerlich et al. 2018b, Gnerlich 2019).
Ablaufsimulationen mit Petri-Netzen haben den Vorteil, dass ihre abstrakten
Modellierungselemente systemtypische Kausalitäten nachbilden und diese detailliert
rückverfolgt werden können (Gnerlich 2019). Regelmäßig kommen tokenbasierte
Semantiken für ausführbare BPMNs, EPKs und UML-Anzeigen (Van der Alst 2014,
S. 197) oder zur Ausführung von Soft- und Hardware (Peterson 1981, S. 31;
Wakefield und Sears 1997, S. 105) zum Einsatz. Petri-Netze eignen sich ebenso für
bauliche Produktionsanalysen (Franz 1989; Schopbach 2001). Samkari (2014) hat
gezeigt, dass mit Petri-Netzen äußerst schnelle und umfangreiche Hintergrund-
berechnungen BIM-basierter Bauablaufsimulationen stattfinden können. Die
Simulationsmodellierung bauzeitbezogener Produktionsläufe ist direkt im BIM-
Viewer möglich. Zur intuitiven Eingabe lassen sich fachspezifische Benutzer-
oberflächen gestalten. Anwender, die keine Simulationsexperten sind, können so ihr
fachliches Wissen schneller einbringen (Kugler 2012, S. 219-220; Samkari 2014,
S. 53 ff., 58-59). Bei Petri-Netzen kann die Modellierung der Ablaufstruktur durch
einen Algorithmus unterstützt werden. Dies ist insbesondere infolge einer störungs-
modifizierten Terminplanfortschreibung hilfreich, da die manuelle Modellierung
Simulation von Bauablaufstörungen mit agentenbasierten Petri-Netzen                 469

aufgrund erhöhter Komplexität äußerst kompliziert und fehleranfällig sein kann. Ein
weiterer Vorteil bei der Verwendung von Petri-Netzen besteht darin, modulartige
Teilnetze in mehreren Hierarchieebenen ineinander zu verschachteln. Entsprechend
lassen sich die Simulationsergebnisse strukturieren, was zu einer gewissen
Übersichtlichkeit und Lesbarkeit beitragen kann (Schopbach 2001, S. 148-149).
Zudem bilden die Markierungen reproduzierbare Zwischenstände in den Simulations-
läufen ab. Hierüber ist es möglich, bereits durchgeführte Simulationsläufe beliebig
zurückzuspulen, zu überarbeiten und neu zu starten.
Forschungsergebnisse haben gezeigt, dass Anwender ein besseres Verständnis über
die simulierten Produktionsabläufe erlangen, wenn Agenten ein BIM-Modell als
Umwelt nutzen (Kugler 2012, S. 218-219; Ben-Alon und Sacks 2017, S. 13, 26). Die
situativen Entscheidungen der Agenten tragen zu einem emergenten Modellverhalten
bei, was einem realitätsnahen Systemverhalten entspricht (Watkins et al. 2009, S. 660-
661; Ben-Alon und Sacks 2017, S. 16; Gnerlich 2019). Ein Beispiel für Emergenz
sind Bauablaufumstellungen infolge eingetretener Bauablaufstörungen mit Folge-
wirkung auf Neben- und Anschlussgewerke. Solche Effekte sind Kernfragen, die in
Gutachten oft zu klären sind (BGH 2005a; SCL-Protocol 2017, S. 33 ff.).
Darüber hinaus ermöglichen BIM-Modelle eine bauteilbezogene und chronologische
Integration externer Dokumente über das Bauvorhaben (Valavanoglou et al. 2017;
Gibbs et al. 2017; Soltani et al. 2017; Gnerlich 2019). Dies ist besonders hilfreich bei
der Untersuchung von gestörten Bauabläufen. Denn dadurch lässt sich die Gültigkeit
des Simulationsmodells prüfen und gleichzeitig ein Nachtrag belegen oder entkräften.

1.3      Überblick verschiedener Petri-Netz-Konzepte
Um mit (zyklischen) Petri-Netzen überhaupt Störungen nachbilden zu können, stellen
Damrianant und Wakefield (2000) Schalterfunktionen für Verzögerungen und
Unterbrechungen vor. Dazu ergänzen sie ein Petri-Netz mit zusätzlichen
Modellierungselementen zum Ein- und Ausschalten von Verzögerungsfaktoren.
Unterbrechungen simulieren sie, indem sie die als Token nachgebildeten Ressourcen
in den Vorgangsberechnungen vorübergehend ignorieren. Weitere Ansätze lassen sich
in zeitgesteuerten Petri-Netzen (time Petri nets) wiederfinden, bei denen die Token in
den Transitionen oder Stellen festgehalten werden, um so das Schalten zu verzögern
(z. B. Ramchandani 1974, S. 107 ff.).
Demgegenüber stellt Samkari (2014) einen Simulationsansatz mit Petri-Netzen vor,
bei dem Agenten eine weitere Bedingung zum Schalten der Transitionen darstellen.
Dafür sind die vorgangsberechnenden Transitionen mit einer guard-function ausge-
stattet, um vor jedem Schalten die Verfügbarkeit notwendiger Arbeitskräfte zu prüfen.
Erst bei gegebener Verfügbarkeit kann eine aktivierte Transition vollends schalten
(Samkari 2014, S. 86 ff.). Das Petri-Netz ist zudem als Prädikaten-Transitions-Netz
aufgebaut, wobei jede Stelle nur eine Eingangs- und eine Ausgangskante im Sinne
eines Marked-Graphen besitzt. Jede neu erzeugte Marke bildet einen elementaren
Modellzustand ab. Auf zyklische Strukturen verzichtet Samkari (2014).
Im Gegensatz zu zeitgesteuerten Petri-Netzen wird die Simulationszeit im Sinne von
sogenannten timed Petri nets nicht angehalten (Merlin und Farber 1976). Stattdessen
leiten die Token Zeitinformationen aus dem Vorbereich an die aktivierten
Transitionen weiter. Beim Schalten werden die Zeitinformationen miteinander
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verglichen und verrechnet. Die Methode ermöglicht sehr schnelle Simulationsläufe
von komplexen Bauablaufszenarien (Samkari 2014, S. 180-181).
Der in diesem Beitrag vorgestellte Ansatz greift die agentenbasierte Petri-Netz-
Methode von Samkari (2014) auf. Um termindiskrete Änderungen als Bauablauf-
störungen zu modellieren, werden Schalterfunktionen genutzt, deren Verwendungs-
zweck etwa dem von Damrianant und Wakefield (2000) entspricht.

2       Grundsätze des Simulationsentwurfs

2.1     Konzeptioneller Ansatz
Grundlage der Agentenbewegungen bildet ein Wegenetz im BIM-Gebäudemodell,
das aus Wegkanten und Wegknoten besteht. Die in Abbildung 1 innerhalb des
virtuellen Bauwerks dunkel dargestellten Wegknoten dienen der anwenderbezogenen
Definition lokaler Produktionsstätten PSi, wie Räume, Geschosse oder Abschnitte.
Grundsätzlich braucht der Anwender kein Petri-Netz zu modellieren. Vielmehr wird
es aus den Prozesseingaben und Mengenzuweisungen des BIM-Modells abgeleitet.

Abbildung 1: Definition der Produktionsstätten PSi als Teilnetze

Gemäß Abbildung 1 lassen sich alle Produktionsstätten (PSi) in ausführbare Petri-
Netz-Strukturen überführen und sind daher Schnittstellen zwischen dem BIM-Modell
und dem Petri-Netz. Letzteres befindet sich im Hintergrund der Anwendung als
„Berechnungswerkzeug“ der Ablaufstruktur und ist für den Anwender unsichtbar.
Ihm ist es aber möglich auf die lokalen Produktionsstätten zuzugreifen, um dort die
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Simulationsmodellierung vorzunehmen. Rechtsseitig der Abbildung 1 ist ein
beispielhafter Ausschnitt für Prozesseingaben und -verknüpfungen innerhalb der
lokalen Produktionsstätten skizziert. In diesen können eigene Aufbaustrukturen
modelliert werden, z. B. zur Abgrenzung der (Teil-)Prozesse einzelner Gewerke. Die
Definition der Ablaufstrukturen erfolgt durch die Eingabe einfacher Kanten. Sie
beschreiben zwingende Abhängigkeiten aufeinanderfolgender Prozesse. Auch
können Abhängigkeiten zwischen den Produktionsstätten eingegeben werden.
Zur Vorgangsberechnung müssen die eingegebenen Prozesse mit den jeweiligen
Mengenanteilen verknüpft werden. Dafür kann der Anwender die Eigenschaften der
topologisch angeordneten Bauteilobjekte im BIM-Modell abrufen. Bei der Auswahl
der Bauteilobjekte gibt es keine Bedingungen, so dass die in den Produktionsstätten
definierbaren Prozesse für mehrere Geschossebenen oder für beliebig große
Abschnitte ausgelegt werden können. Allerdings sollte der Anwender bei seiner
Auswahl möglichst eine räumliche Nähe zu den im BIM-Modell angeordneten
Produktionsstätten berücksichtigen, damit er später die simulierten Produktions-
abläufe besser nachvollziehen kann.
Zur endgültigen Simulation der Produktionsabläufe müssen den Prozessen, falls
erforderlich, Ressourcen zugewiesen werden. Dies können z. B. Arbeiterkolonnen,
Geräte, Termine, Material oder Stehflächen sein. Über das Wegenetz gelangen die
Arbeitskräfte (bzw. die Agenten) einer Kolonne zu den Produktionsstätten und führen
die dort definierten Arbeitsaufgaben aus. Damit möglichst ein Produktionsablauf
eingehalten wird, kann der Anwender für die Arbeiterkolonnen eine oder mehrere
Fertigungsrichtung/en über die lokalen Produktionsstätten definieren. Die
Fertigungsrichtungen lassen sich priorisieren, so dass die Arbeitskräfte (Agenten)
einer Arbeiterkolonne bei Ausweichmaßnahmen verschiedene Produktionsabläufe
bevorzugen können. Für Aushärte- oder Trocknungsprozesse sind aber keine
Ressourcenzuweisungen notwendig.

2.2      Bestandteile des Petri-Netzes
Aus der Aufbaustruktur der in den lokalen Produktionsstätten (PSi) hierarchisch
zusammengefassten Prozesse werden Teilnetze abgeleitet. Diese sind innerhalb der
Petri-Netz-Struktur durch zwei NetTransitionen begrenzt. Eine NetTransition bildet
den Input und die andere NetTransition den Output eines jeden Teilnetzes.
Dazwischen befinden sich die elementaren TaskTransitionen, die aus den
eingegebenen Prozessen abgeleitet werden und die Vorgangsberechnungen
durchführen (siehe Abbildung 1).
Sobald eine TaskTransition schaltet, werden alle ihre bauteilbezogenen Mengen und
assoziierten gewerkespezifischen Prozessdefinitionen miteinander verrechnet. In
Anlehnung an Samkari (2014) kann eine TaskTransition nur dann schalten, wenn ihr
Vorbereich aktiviert ist und gleichzeitig die für den Prozess erforderlichen Ressourcen
verfügbar sind. Beispielsweise muss für das Schalten ressourcenabhängiger
TaskTransitionen genügend Material vorhanden sein und eine zulässige Anzahl von
Agenten über das Wegenetz zu den lokalen Produktionsstätten gelangen können.
Zur Vorgangsberechnung muss bei der Prozessdefinition ein Zeitaufwandswert für
die zugrunde gelegte Arbeitsproduktivität angegeben werden. Der Zeitaufwandswert
lässt sich durch verschiedene parametrische Aufwandsfaktoren gewichten. Je nach
Wert, bieten diese Aufwandsfaktoren mehrere Möglichkeiten, die simulierten
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Produktionsprozesse zu hemmen, zu beschleunigen oder zu unterbrechen. In den
späteren gutachterlichen Bauzeitanalysen können so Aussagen notwendiger
Produktivitäten infolge experimenteller Gewichtungskombinationen gewonnen
werden. Aus dem gewichteten Zeitaufwandswert lassen sich Erkenntnisse der
simulierten Arbeitsgeschwindigkeiten ableiten. Hierzu liefert Abbildung 2 einen
Überblick der möglichen Gewichtungen. Darin enthalten ist auch die Formel zur
Vorgangsberechnung, die beim Schalten einer TaskTransition standardmäßig
abgearbeitet wird.

Abbildung 2: Berechnungsinhalt einer TaskTransition

Zur Simulation termindiskreter Bauablaufstörungen wird das Petri-Netz im Sinne der
Abbildung 3 in zwei Teilnetze, dem Process-Branchnet und dem Date-Time-
Branchnet, unterteilt. Beide Teilnetze schalten während eines Simulationslaufes
wechselseitig und erneuern gegenseitig ihre bisherige Petri-Netz-Struktur.
In Anlehnung an Abbildung 1 umfasst das Process-Branchnet alle Teilnetze der
lokalen Produktionsstätten (PSi). Abbildung 3 veranschaulicht, wie die Teilnetze in
eine hierarchische Aufbaustruktur gegliedert werden können, so dass sich z. B.
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verschiedene Unternehmen mit ihren Gewerken und Leistungsbeschreibungen bis hin
zu den elementaren Arbeitsaufgaben voneinander abgrenzen lassen.
Arbeitsaufgaben werden durch TaskTransitionen abgebildet, die beim Schalten
Vorgangszeiten für Start-, Zwischen- und End-Termine berechnen. Während eines
Simulationslaufes werden alle vom Process-Branchnet errechneten Termine
sukzessiv in das Date-Time-Branchnet als termingebundene DateTransitionen
überführt und in einer chronologischen Sortierung verknüpft.
DateTransitionen sind termindiskrete Anfangsbedingungen beliebig vieler
TaskTransitionen. Der Anwender kann ebenfalls DateTransitionen als termindiskrete
Ablaufbedingungen in das Petri-Netz integrieren, wenn er Termine eingibt und diese
mit den Prozessen verknüpft. Diesen Terminen bzw. den daraus resultierenden
DateTransitionen können zudem extern angehängte Dokumente zugewiesen werden,
wodurch terminfixe Vergleichsgrößen zur Validierung und Verifizierung der
simulierten Prozessabläufe zustande kommen.

Abbildung 3: Übersicht des gesamten Petri-Netz-Aufbaus

Abbildung 3 zeigt, dass sich neben den DateTransitionen auch ModTransitionen im
Date-Time-Branchnet befinden. ModTransitionen führen Schaltfunktionen für
termindiskrete Störungen im Process-Branchnet durch. Dazu müssen sie innerhalb
des Petri-Netzes direkt hinter einer DateTransition angeordnet sein und beim Schalten
diskrete Wertänderungen vornehmen. Zum Beispiel lassen sich beim Schalten der
ModTransitionen beliebig viele Agenten aus dem Simulationsmodell entnehmen oder
hinzufügen. Dadurch können die Arbeitszeiten oder krankheitsbedingte Ausfälle der
Arbeitskräfte termindiskret abgebildet werden. Ebenso lassen sich mit diesem Prinzip
beliebige Bauteilobjekte des BIM-Modells blockieren, so dass ein Weiterarbeiten in
bestimmten Arbeitsbereichen nicht mehr möglich ist. Abbildung 3 veranschaulicht
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das Prinzip des Entnehmens und Hinzufügens durch „switch on/off“-Symbole.
Darüber hinaus ist es möglich, mit vereinzelten ModTransitionen diskrete Werte
während eines Simulationslaufs zu erneuern, so dass z. B. Änderungen der in
Abbildung 2 dargestellten Aufwandsfaktoren stattfinden.
Für klare Abgrenzungen im Date-Time-Branchnet werden die DateTransitionen und
ModTransitionen von eigenen Teilnetzen umschlossen (siehe Abbildung 3).

2.3      Fortschreibungsprinzip des Petri-Netzes
In Tabelle 1 werden sechs Schritte des wechselseitigen Schaltens zur störungs-
modifizierten Fortschreibung des Petri-Netzes versinnbildlicht. Wechselseitig
bedeutet, dass immer ein Teilnetz warten muss, während das andere schaltet. Alle
sechs Schritte zeigen die Markierungen derjenigen Petri-Netz-Zustände, die beim
Durchschalten bis zum Warten eines Teilnetzes abgearbeitet werden. Zum Beispiel
sind in der linken Spalte von Tabelle 1 jene Zustandsbeschreibungen abgebildet, die
das Process-Branchnet bis zum Schalten des Date-Time-Branchnet maximal
annehmen kann. Demgegenüber wird in der rechten Spalte das geschaltete Date-Time-
Branchnet veranschaulicht. Für jeden Schritt ist eine Balkenplandarstellung zu sehen,
bei denen schwarze Vorgangsbalken die errechneten Vorgangsdauern zeigen.
Schwarze Rauten bilden Termine des Date-Time-Branchnets ab.
Beim Schritt 1 werden alle Transitionen des Date-TimeBranchnets durchgeschaltet,
bis sich ein Token zwischen den beiden Teilnetzen von „Datum A“ und „Datum B“
befindet. Danach erfolgt in Schritt 2 das Schalten der beiden TaskTransitionen
„TT_A“ und „TT_B“ im Process-Branchnet. Die daraus resultierenden Token
verbleiben im direkten Nachbereich der beiden TaskTransitionen. Die untere Balken-
darstellung zeigt, dass beide Vorgangsdauern den Termin der DateTransition
„Datum B“ überlagern. Darum wird am „Datum B“, als nächst frühester Termin,
festgehalten. Alle überlappenden Vorgangsdauern werden geschnitten und entfernt.
Dazu kopiert und verknüpft der Simulator die beiden TaskTransitionen gemäß
Schritt 3. In diesem Fall ist z. B. die TaskTransition „TT_A*“ eine Kopie von
„TT_A“. Alle kopierten TaskTransitionen teilen sich die Prozessdefinitionen ihrer
ursprünglichen TaskTransitionen. Sie unterscheiden sich aber in den errechneten
Leistungsständen. So bleibt bei der ursprünglichen TaskTransition „TT_A“ der zuvor
berechnete Leistungsfortschritt bis zum Zeitpunkt des schneidenden Termins als
Endzustand erhalten. Die kopierte TaskTransition „TT_A*“ erhält hingegen den
zuletzt erreichten Leistungsstand als Anfangszustand. Zudem werden alle betroffenen
TaskTransitionen mit der DateTransition „Datum B“ gemäß Schritt 3 verknüpft.
Dafür ist es erforderlich, neue Token zu erstellen, die die berechneten Leistungsstände
an die folgenden Transitionen weiter reichen. In Schritt 4 schaltet auch die
ModTransition, die dazu beiträgt, dass die Vorgangsdauer von „TT_B*“ länger als
von „TT_A*“ ist. Die Transitionen im Date-Time-Branchnet schalten solange, bis
sich ein Token zwischen den Teilnetzen von „Datum B“ und „Datum C“ befindet.
Schritt 5 zeigt gegenüber Schritt 3 die Situation, dass der errechneter Termin
(„Datum X“) der nächst früheste ist. Analog zu Schritt 3 kopiert und verknüpft der
Simulator alle TaskTransitionen deren Vorgangsdauern das „Datum X“ zeitlich
überlappen. Dazu wird für das „Datum X“ ein neues Teilnetz im Date-Time-
Branchnet durch den Simulator automatisch erzeugt. Schritt 6 zeigt der
Vollständigkeit halber jenen Schaltvorgang, mit dem die endgültigen Vorgangsdauern
ermittelt werden.
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Tabelle 1: Wechselseitiges Schaltprinzip in sechs Schritten

Im Zuge der Fortschreibung verschieben sich die Produktionsprozesse zeitlich nach
vorne oder nach hinten. Die im Petri-Netz hinterlegten Dokumente bleiben jedoch
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aufgrund der DateTransitionen terminfix bestehen. Ihre Inhalte beschreiben jene
Modellzustände, die infolge der Fortschreibung durch Simulationsexperimente
nachzubilden sind. Sobald die Zustandsbeschreibungen der Dokumente mit den
Simulationsergebnissen zeitlich korrelieren, liegt aus rechtlicher Sicht eine
ausreichend begründete Verifikation vor. Das simulierte Ablaufverhalten betrifft
wiederum die Validierung der Simulationsergebnisse. Hier ist es Aufgabe des
Gutachters abzuschätzen, ob die Abläufe praktikabel waren und unter welchen
Parametereinstellungen die schrittweise durchzuführenden Verifikationen möglich
waren. Die Aufwandsfaktoren können kombiniert werden, um Abweichungen
festzustellen oder anderweitige Aussagen z. B. zu fehlenden Informationen zu treffen.
Näheres enthält die Dissertationsschrift von Gnerlich (2019).
Das Petri-Netz selbst kann mit dem vorgestellten Simulationsprinzip eine sehr
komplizierte Ablaufstruktur mit einem äußerst komplexen Ablaufverhalten erzeugen.
Für das im Hintergrund befindliche Petri-Netz sind automatisierte Regeln möglich,
um trotz Rekonfiguration eine ausführbare Ablaufstruktur zu gewährleisten.
Beispielsweise kann der Anwender bereits bei seinen Eingaben darauf hingewiesen
werden, ob sich die Ablaufstrukturen ausführen oder nicht ausführen lassen.

3       Zusammenfassung und Ausblick
Dieser Beitrag hat einen Ansatz zur Simulation von Bauablaufstörungen mit
agentenbasierten Petri-Netzen unter Nutzung eines BIM-Modells für gutachterliche
Bauzeitanalysen vorgestellt. Im Gegensatz zur Netzplantechnik, die in der derzeitigen
Gutachterpraxis überwiegend Einsatz findet, liegt der Nutzen des hier vorgestellten
Ansatzes in den chronologischen und prozessbezogenen Eingabemöglichkeiten, um
störungsmodifizierende Effekte für eine objektive Terminplanfortschreibung zu
erzielen. Mit den rekonfigurierbaren Eigenschaften des entworfenen Petri-Netzes sind
komplexe Simulationsexperimente möglich, die ein emergentes Systemverhalten gut
nachbilden können. Die Einbindung externer Dokumente schafft Anhaltspunkte zur
Validierung und Verifizierung des Modellverhaltens. Auch gutachterliche
Argumentationslinien können davon profitieren, da sich der simulierte Leistungs-
fortschritt mit den angehängten Dokumenten vergleichen lässt.
Im Rahmen des Forschungsprojektes wurden bereits Experimente zur Simulation
komplexer Bauablaufsimulationen gestörter Produktionsprozesse durchgeführt. Um
praktische Aussagen treffen zu können, wird das vorgestellte Simulationsprinzip
derzeit an einem realen Projekt getestet.

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