"Smart drugs": Therapie oder Doping?
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18 «Smart drugs»: Therapie oder Doping? Dr. med. Ralph Mager tion. L’intérêt doit en l’occurrence por- Basel ter sur les substances ayant la propriété de favoriser la cognition. A l’avenir, les Les tentatives d’améliorer tout l’éventail assureurs devront certainement s’occu- des performances humaines en recou- per de cette question, encore que des rant à des substances de toute nature données reposant sur des évidences fe- ont une longue tradition derrière elles ront encore défaut pour longtemps. et ne concernent pas que les sportifs professionnels, car nous vivons finale- Versuche, das ganze Spektrum der ment dans une société que nous carac- menschlichen Leistungsfähigkeit durch térisons aussi comme fondée sur le ren- Substanzen aller Art zu steigern, haben dement individuel. Le désir de trouver eine lange Tradition und beschränken une potion magique est compréhensi- sich in keinem Falle auf die Anwendung ble et fascinant et motive les humains bei professionellen Sportereignissen, à percevoir de telles offres, éventuelle- leben wir doch in einer von uns auch ment sélectionnées selon des critères so bezeichneten «Leistungsgesell- d’une certaine probabilité et plausibi- schaft». Die Idee eines «Zaubertran- lité. Reste qu’au cours des dernières kes» ist nachvollziehbar faszinierend décennies, de nouveaux aspects quali- und entsprechend «motiviert» werden tatifs et quantitatifs sont apparus : de solche Angebote durch Menschen, ggf. plus en plus et dans le monde entier gefiltert nach vermeintlicher Seriösi- des produits neuropsychopharmacolo- tät und Plausibilität, wahrgenommen. giques ont été développés pour traiter Dennoch ist es in der letzten Dekade des affections en pesant leurs avanta- zu qualitativ und quantitativ neuen As- ges et leurs risques, et ils sont utilisés pekten gekommen: Es werden zuneh- sans consultation médicale par des per- mend weltweit Neuropsychopharmaka, sonnes en bonne santé. L’article que die zur Behandlung von Erkrankungen voici doit donner un aperçu des subs- in Abwägung von Nutzen und Risiken tances auxquelles on a surtout à faire entwickelt wurden, von gesunden Per- ici et des questions éthiques, juridiques sonen ohne ärztliche Konsultation an- et médicales soulevées par leur utilisa- gewandt. In dem vorliegenden Artikel ASA | SVV Medinfo 2009/2 Suchterkrankungen
19 soll ein Überblick gegeben werden, mit Letztere Substanzen wurden eingehen- welchen Substanzen wir es hier vor al- den Untersuchungen zugeführt, um lem zu tun haben und welche ethischen, Zulassungen bei umschriebenen neu- juristischen und medizinischen Fragen rologischen oder auch psychiatrischen durch den Gebrauch aufgeworfen wer- Indikationen zu ermöglichen. Der kli- den. Der Focus soll dabei auf den Sub- nische Nutzen ist hier völlig unbestrit- stanzen mit kognitionsfördernden Ei- ten, wobei es durchaus einen erhebli- genschaften liegen. Versicherer werden chen Dissens gibt über die Breite der sich unzweifelhaft in Zukunft hiermit Indikationsstellung. Bei den genann- auseinandersetzen müssen, wobei eine ten Substanzen hat jedoch früh eine evidenzbasierte Datenlage hierfür ver- Art «Kollateralanwendung» eingesetzt. mutlich noch länger fehlen wird. Dies kann kaum überraschen, da der in Aussicht gestellte «Benefit» in ei- ner erhöhten Konzentrationsfähigkeit, Einleitung: in einer verbesserten Planungsfähig- Der Begriff «smart Drugs» ist nicht keit, Merkfähigeit und Stresstoleranz streng definiert, bezieht sich eigentlich etc. besteht. Welche Dynamik eine so auf sämtliche Chemikalien, Pflanzenin- angestossene Begehrlichkeit auslö- haltsstoffe oder Pharmaka, die im Ruf sen kann, hat uns die Substanz Silde- stehen, die geistige Leistungsfähigkeit nafil (bekannt als Viagra®) gezeigt, die zu steigern mit Einfluss auf Motivati- heute über Internet auch losgelöst von on, Intelligenz und Kognition allgemein. den medizinischen Indikationen regen Dies beginnt bei dem uns geläufigen Zuspruch findet, dem Gebrauch/Miss- Koffein oder dem sehr fraglich Flügel brauch sind hier trotz respektabler Ne- verleihendem Taurin über einzelne Le- benwirkungen kaum Grenzen gesetzt. bensmittel/ Nahrungsergänzungsmit- Auch bezüglich der «Cognitive enhan- tel bis hin zu verschreibungspflichtigen cers» («Viagra for the brain») hat diese oder gar betäubungsmittelpflichtigen Entwicklung bereits eingesetzt. Das US- Pharmaka wie Modafinil, Donepezil, National Center of Addiction and Subs- Methylphenidat (Ritalin®) und ande- tance Abuse (CASA) schätzt allgemein, ren Präparaten (Tabelle 1, siehe S. 27). dass 15 Millionen US-Bürger Arzneimit- ASA | SVV Medinfo 2009/2 Suchterkrankungen
20 tel als Drogenersatz zweckentfremden, gesellschaftlichen Folgen sind noch we- wobei neben den ZNS-Stimulantien hier nig klar. Aber auch die Entwicklung ei- auch «non-smart drugs» wie Analgetika nes sicherlich noch problematischeren und Anxiolytika eingeschlossen sind. «Mind-Designs» oder einer «kosmeti- Bemerkenswert ist jedoch hier der kla- schen Neurologie» mit vielgestaltiger re Trend zum Medikamentengebrauch. Einflussnahme auf die Funktionsweise Zwischen 1992 bis 2003 stieg der Miss- des Gehirnes ist nach Meinung zahlrei- brauch in diesem Bereich in den USA im cher führender Neurowissenschaftler Vergleich zu den «klassischen» Drogen unumkehrbar hin zu einem blühenden um das doppelte (im Vergleich zu Ma- Markt der Selbstoptimierung. Wenn rihuana) bis sechzigfache (im Vergleich auch die Neurotechnologie mit der zu Heroin) an. Entsprechende Trends Schaffung von Kopplungen zwischen sind auch in den deutschsprachigen «natürlicher» und künstlicher Intelli- Ländern klar ersichtlich, wobei ver- genz (z.B. Datenabruf aus Datenban- gleichbares Datenmaterial fehlt. ken) in den Kinderschuhen steckt, so ist die Modulation von Gedächtnis, Stim- mung , Wachheit und allgemein Kog- Ausgangslage und gesellschaftlicher nition ausserhalb der neurologischen Hintergrund: und psychiatrischen Indikationen durch Traditionell sind die Hemmschwel- Pharmaka heute schon Realität. Bezüg- len zur Modifikation des eigenen Kör- lich der Gruppe der «Cognitive enhan- pers in Europa höher als in den USA, cers» führte die Zeitschrift «Nature» die Aufgeregtheit unserer Medienmit- kürzlich eine online-Umfrage durch bei teilungen verzerrt zudem häufig die 1400 Personen aus 60 Länder[1]. Dabei reale Situation bei kaum erhältlichen gab jeder fünfte Teilnehmer an, Sub- konkreten Zahlen. Das Beispiel der kos- stanzen wie Methylphenidat, Modafi- metischen Chirurgie zeigt jedoch sehr nil oder Propanolol bereits ausserhalb deutlich das Entstehen einer nur sehr medizinischer Gründe eingenommen zu eingeschränkt indikationsabhängigen haben, dabei spielte in der Beschaffung Medizin mit Ausrichtung zur «Lifestyle- das Internet eine wichtige Rolle. Bereits Selbstoptimierung», die sozialen und kurz zuvor war ebenfalls in Nature ein ASA | SVV Medinfo 2009/2 Suchterkrankungen
21 Artikel erschienen, in dem die Autoren gen des Präparates ausserhalb der zu- trotz der Nennung von Bedenken klar gelassenen Anwendungen erfolgen. Es grundsätzlich eine Liberalisierung und ist sicherlich kein Geheimnis und nach- Öffnung des Gebrauchs der «Cogniti- vollziehbar, dass die Pharmaindustrie ve enhancers» für die Allgemeinheit einen hochattraktiven Zukunftsmarkt forderten, ein bemerkenswerter Vor- im «Lifestyle» Sektor sieht, also in der stoss[2]. Eine dieses Jahr von der Deut- «Behandlung» gesunder Menschen. schen Angestelltenkasse (DAK) an 3000 Hier treffen sich einige gesellschaftli- Arbeitnehmern durchgeführte Studie[3] che Entwicklungen zu einer beschleuni- ergab das Bild, dass gut 40% der Be- genden Synergie: Unsere Gesellschaft fragten meinten, dass psychiatrisch und überaltert rasant, der auch kognitive neurologisch angewandte Pharmaka in Leistungsanspruch an die Menschen der Lage seien, auch bei Gesunden die wächst, als auch ganz offensichtlich die Leistungsfähigkeit zu verbessern, wo- Bereitschaft zur «Selbstmanipulation». bei jedoch lediglich 20% ein günstiges Erleichtert wird der Zuspruch dadurch, Verhältnis zwischen Nutzen und Ne- dass die benutzten Substanzen mit ih- benwirkungen sahen. 5% gaben sogar rem pharmakologischen Hintergrund an, entsprechende Substanzen bereits scheinbar präzise, selektive Verbesse- ohne gesundheitliche Indikation einge- rungen erlauben ohne das Stigma und nommen zu haben. Dies würde immer- die Nebenwirkungen von Drogen wie hin bedeuten, dass umgerechnet 2 Mio. Kokain, Heroin oder Ecstasy. In die- berufstätige Menschen in Deutschland sem Zusammenhang sei auch erwähnt, bereits mindestens einmal ohne gängi- dass zunehmend renommierte Neu- ge Indikation «zugegriffen» hätten. In rowissenschaftler und Ethiker sich in 2006 wurde öffentlich gemacht, dass prominenten Wissenschaftsjournalen die britische Armee in großem Umfang zustimmend äussern gegenüber eines Modafinil für den Irakkrieg angeschafft verschreibungsfreien Einsatzes von be- habe, obwohl es offenbar letztendlich stimmten Stimulantien wie Methylphe- nie zum Kampfeinsatz gekommen ist. nidat oder Modafinil im Rahmen der Der Hersteller Cephalon gibt selbst schulischen und weiteren Ausbildung an, dass etwa 90 % der Verschreibun- («Was ist gegen eine Verbesserung der ASA | SVV Medinfo 2009/2 Suchterkrankungen
22 Kognition zu sagen?»). Die Komplexi- Diagnosestellung durch Fachmediziner tät des Problems wird auch deutlich angehalten, noch vor kurzer Zeit war bei der Anwendung von Antidementiva Modafinil in Deutschland als Betäu- bei natürlich alternden Menschen ohne bungsmittel klassifiziert. Es wird aktu- explizite Demenzdiagnose. Die Anwen- ell jedoch an einer Erweiterung der Indi- dung ist bereits ein Thema, limitierend kationsstellung gearbeitet (z.B. ADHS; sind hier lediglich die bekannten Pro- Erschöpfung bei Depression; «Chro- bleme der verfügbaren Substanzen, nic-fatigue-Syndrom»). Insgesamt wird der Weg ist jedoch gebahnt. In einer in häufig kommuniziert, dass Modafinil dem Fachjournal Neurology publizier- ähnlich wirke wie Metylphenidat ohne ten Studie konnte gezeigt werden, dass die nachteiligen Nebenwirkungen am- Piloten nach 4-wöchiger Einnahme des phetaminartiger Substanzen. Trotz der Antidementivums Donepezil (Cholines- stimulierenden Wirkung werden die terasehemmer) sich leistungsfähiger in vegetativen Nebenwirkungen als ge- Flugsimulatoren zeigten als eine Kont- ring beschrieben, die Verträglichkeit rollgruppe nach Einnahme von Place- als subjektiv gut. Dennoch werden vom bo[4]. Die Liste der Neuentwicklungen Hersteller Kopfschmerzen und eine ver- von vermeintlichen «Cognitive Enhan- mehrte Nervosität als sehr häufige Ne- cers» ist lang, im folgenden sollen ei- benwirkungen angegeben, sowie auch nige der wahrscheinlich relevantesten emotionale Labilität, Aggression, Feind- Präparate aus der Gruppe der Neuro- seligkeit und eine nervöse Anspannung psychopharmaka kurz beispielhaft vor- als gelegentliche, Schlafstörungen gestellt werden. und Verwirrtheit als häufige Neben- wirkungen dokumentiert sind. Poten- tiell besteht auch durchaus ein Inter- Substanzen: aktionsrisiko mit anderen Substanzen. Modafinil: In der Schweiz hat Moda- Sowohl bei kognitiven Testungen am finil eine arzneimittelrechtliche Zulas- Menschen, als auch tierexperimentell sung für Narkolepsie und für bestimmte konnte eine Verbesserung des Arbeits- Schweregrade eines Schlaf-Apnoe-Syn- und des episodischen Gedächtnisses in droms, dabei wird zu einer sorgfätigen Gruppenvergleich gezeigt werden mit ASA | SVV Medinfo 2009/2 Suchterkrankungen
23 einer Zunahme der Aufmerksamkeit, ei- flusst es die Katecholaminfreisetzung. ner Verbesserung des räumlichen Pla- Offensichtlich wird insbesondere die nes und einer rascheren Umstellung Dopaminfreisetzung moduliert, mög- auf neue Aufgaben, auch das Entschei- lichweise dabei auch rasch aufeinan- dungsvermögen wurde verbessert. Für derfolgende «Peaks» des Transmitters Modafinil konnte aber auch ein Einfluss verhindert. Als häufige Nebenwirkun- auf die Stimmung und auf die Akzep- gen treten Schlaflosigkeit, Nervosität, tanz von Humor demonstriert werden, Tachykardien und Arrhythmien auf, es was durchaus als Hinweis auf eine psy- sind daneben auch schwerwiegende chologische, über die reine «Arbeits- Nebenwirkungen selten bis sehr sel- kognition» hinausgehende Wirkung ten dokumentiert, entsprechend eng gesehen werden kann. Zur Wirkungs- wird eine ärztliche Überwachung emp- art lässt sich sagen, dass die Substanz fohlen. Die klinische Wirksamkeit ist wahrscheinlich vorwiegend über die im Rahmen der Indikationsstellung gut Modulation von Dopamin und Norad- belegt mit Verbesserung der Aufmerk- renalin «arbeitet» und damit auch Ein- samkeit, der Planungsfähigkeit, der Ko- fluss nimmt auf die GABAerge und hist- gnition und der Kommunikationsfähig- aminerge Transmission. keit. Es gibt aber auch Hinweise für eine Wirksamkeit bei Gesunden, wobei die Methylphenidat (Ritalin®): In ver- Datenlage hier nicht befriedigend er- schiedenen, insgesamt jedoch nicht scheint. Die grundsätzlich bestehende repräsentativen Erhebungen nimmt Gefahr einer Abhängigkeitsentwicklung Ritalin® klar eine führende Rolle als wurde in neueren Studien deutlich ab- Substanz zum «Gehirndoping» ein. geschwächt. Die Verschreibungshäufig- Methylphenidat wird verschrieben bei keit hat in den letzten Jahren in Europa hyperkinetischen Störungen. Die Ab- und den USA erheblich zugenommen, gabe ist in der Regel integriert in ein sowie auch der nicht ärztlich begleite- umfassendes Therapieprogramm, in te Konsum. der Schweiz untersteht es dem Bun- desgesetz über Betäubungsmittel. β-Blocker: Für Propranolol als ein Ver- Als substituiertes Amphetamin beein- treter der β-Blocker konnte gezeigt wer- ASA | SVV Medinfo 2009/2 Suchterkrankungen
24 den, dass eine Tendenz besteht emoti- chiatrie sind die seltenen, aber prob- onal belastende Erlebnisse besser zu lematischen Seiten von Methylpheni- neutralisieren, sowie insgesamt eine dat, Antidepressiva etc. gut bekannt, Ermüdung durch eine vegetative Über- entsprechend eng erfolgt die Indikati- erregung wahrscheinlich gemindert onsstellung und die Verlaufskontrolle wird. Mit diesen Effekten ist offenbar insbesondere bei Patienten mit einer in belastenden Situationen eine erhöh- anzunehmenden Prädisposition (z.B. te Entscheidungsbereitschaft möglich, psychotisches Erleben in der Vorge- was wohl schon zu Erprobungen für schichte). Diese Kontrolle entfällt bei militärische Einsätze geführt hat. Zur einem allgemeinen Gebrauch naturge- Vielzahl der diskutierten kognitiv leis- mäss gänzlich. So bestehen z.B. selbst tungssteigernden Substanzen siehe ei- bei dem offensichtlich sonst erstaun- nen Auszug der Substanzen, wie in Tab. lich nebenwirkungsarmen Modafinil 1 dargestellt. durchaus relevante, kardial begründete Kontraindikationen. So wäre es durch- aus denkbar, dass ein Selbstversuch Ethische und iuristische Überlegungen: in einer Invalidität enden könnte. Dies Ethische und juristische Aspekte sind hiesse, dass die Gesellschaft parado- beim nicht indizierten und ärztlich nicht xerweise die Kosten übernehmen müss- kontrollierten Gebrauch von den ge- te für den Versuch eines Individuums, nannten Substanzen eng vernetzt. In sich einen (unfairen?) Leistungsvorteil den USA ist als «Vorgeschmack» der gegenüber anderen zu verschaffen. Das Fall eines Mehrfachmordes (1989) be- Gehirn ist in seiner Homöostase unter richtet in sehr engem und plausiblem Einfluss von «Enhancern» kaum auszu- Zusammenhang zum Einsatz von Flu- rechnen, der Glaube an saubere, prä- oxetin (Prozac®), das den Täter offen- zise pharmakologische Interventionen sichtlich in einen psychotischen Zu- zur selektiven Kognitionssteigerung stand versetzte. Dieser Fall hat in den ganz ohne Einfluss auf die den Men- USA zu einer heftigen Diskussion ge- schen individuell charakterisierenden, führt über den Einsatz von Prozac als identitätsstiftenden Eigenschaften ein- «lifestyle-Droge». In der klinischen Psy- schliesslich moralischer Haltung ist ASA | SVV Medinfo 2009/2 Suchterkrankungen
25 wahrscheinlich naiv. Es hat sich im Ge- net werden. Es besteht ein immenser folge der beschriebenen Entwicklungen Bedarf an Klärungen, auch wenn das eine neue Fachdisziplin, die der Neuro- Problem aktuell vielleicht aufgrund der ethik formiert, die bislang noch nicht Mediendarstellungen eher überschätzt fest im Sattel sitzt, sich aber zuneh- wird. Dies ist aber weniger der Einsicht mend auch der Fragestellung der «En- der Menschen zu verdanken als viel- hancers» widmet[5, 6]. Insgesamt ist mehr den insgesamt eher diskreten Ef- eine ethisch schwierige Situation auch fektstärken, die die genannten Präpara- dadurch entstanden, dass auf der einen te bei Gesunden erzielen in nicht immer Seite akademisch gestützt ein freier Ge- klarer Abgrenzung gegenüber den kul- brauch von den genannten Substanzen turell akzeptierten Substanzen wie Tee, gefordert wird, auf der anderen Seite Nikotin, Schokolade oder Kaffee. unterliegen die Substanzen z.T. noch den Betäubungsmittelgesetzen und ihr unbefugter Besitz wird ggf. mit Gefäng- Ausblick und versicherungsmedizini- nisstrafen geahndet (z.B. bei Besitz von sche Aspekte: Adderall® in den USA, Indikation ADHS). Das «Neuro-enhancement» wird neben Es muss klar festgestellt werden, dass Einzelfällen wahrscheinlich erst dann eine Kosten-Nutzen Abwägung bei «All- versicherungsmedizinisch relevant wer- tagsgebrauch» bislang in keiner Weise den, wenn erstmals konsistent über- möglich ist, es gibt hierzu keine reprä- zeugende Ergebnisse vorliegen würden sentativen Studien, die Konsequenzen für eine einzelne Substanz, was bis- eines langjährigen Konsums sind völ- lang eher nicht der Fall ist. Dies würde lig unklar. Aber es darf auch provokativ unzweifelhaft eine erhebliche Dyna- eingeworfen werden, dass für Alkohol mik entfesseln mit unklarem Ausgang. und Nikotin auch keine Indikationsstel- So wird in Brasilien aktuell aufgrund lung vorgesehen ist, obwohl die Lang- der gesellschaftlichen Veränderun- zeitfolgen hinlänglich bekannt sind. Es gen durch Viagra über eine Rentenre- wären auch Hinweise zu klären, dass form nachgedacht. Der aktuelle «Miss- bereits heute «Neuro-enhancers» ärzt- brauch» der «cognitive enhancers» in lich ausserhalb der Indikationen verord- der Schweiz ist nach allen Hinweisen ASA | SVV Medinfo 2009/2 Suchterkrankungen
26 eher gering und kaum detektierbar. Literatur: Auch lassen sich aktuell etwa für einen 1. Maher, B., Poll results: look who‘s doping. Lebensversicherer keine Risiken quanti- Nature, 2008. 452(7188): p. 674-5. fizieren, wobei je nach Substanz natür- lich ein illegales Verhalten angemahnt 2. Greely, H., et al., Towards responsible use of werden kann. Unsere Gesellschaft ist si- cognitive-enhancing drugs by the healthy. cherlich gut beraten, sich mit den ange- Nature, 2008. 456(7223): p. 702-5. sprochenen ethischen Fragestellungen jetzt, vor einer Ausweitung der Proble- 3. DAK, Deutsche Angestellten Krankenkasse, matik, auseinander zusetzen. Will man Doping im Büro. http://www.presse.dak.de, den Gebrauch etwa in die Nähe von ille- 2009. galem Kokaingebrauch stellen mit allen juristischen Konsequenzen oder wäre 4. Yesavage, J.A., et al., Donepezil and flight gar als anderes Extrem ein Gebrauch im simulator performance: effects on retention Rahmen einer Schadensminderungs- of complex skills. Neurology, 2002. 59(1): pflicht zu fordern, um eine Arbeitsfähig- p. 123-5. keit wiederherzustellen oder zu erhal- ten? Letztendlich ist es unabhängig von 5. Sahakian, B. and S. Morein-Zamir, den bislang unzureichenden medizini- Professor‘s little helper. Nature, 2007. schen Daten über die diskutierten Prä- 450(7173): p. 1157-9. parate und deren Risiken im Allgemein- gebrauch, eine gesellschaftliche Frage, 6. Solomon, L.M., R.C. Noll, and D.S. Mordkoff, ob «Neuro-enhancement» indikations- Cognitive enhancements in human beings. frei zur Leistungssteigerung zugelassen Gend Med, 2009. 6(2): p. 338-44. oder als Doping geächtet wird. Letzte- res wird sich wahrscheinlich nach den aktuellen Expertenmeinungen nach «sauberer» Klärung der pharmakolo- gischen und neuropsychiatrischen Fra- gen in Zukunft immer weniger durchset- zen lassen. ASA | SVV Medinfo 2009/2 Suchterkrankungen
27 Tabelle 1: Substanzen, die zur Steigerung der geistigen Leistungsfähigkeit eingesetzt werden (unvollständig) Neuropsychopharmaka Substanzen (unvollständig) (nach Wirkungsart) Vorwiegend glutamaterge Modulation z.B. Piracetam, Aniracetam, Ampakine, (Annahme) Memantin, Nefiracetam, Pyroglutamat … Vorwiegend cholinerge Modulation Galantamin, Donepezil, Rivastigmin … Vorwiegend adrenerge/ dopaminerge/ Methylphenidat, Adrenalin, Modafinil, GABAerge Modulation d-Amphetamin, dl-Amphetamin, Pemo- lin, Rasagilin … Weitere Neuropsychopharmaka Substanzen (unvollständig) Antidepressiva Fluoxetin, Mirtazapin, Venlafaxin, Mo- clobemid … Andere Propranolol, Nifedipin, Sildenafil, Nimo- dipin, Molsidomin … Phytopharmaka, Alkohol, Koffein, Koka, alpha-Lipon- Nahrungsergänzungsmittel säure, Khat, Schokolade, Vitamin B6/ B12 … Körpereigene Substanzen/ Hormone Dehydroepiandrosterone, Androgene, Insulin, Melatonin, Glucose … ASA | SVV Medinfo 2009/2 Suchterkrankungen
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