"Smart drugs": Therapie oder Doping?

 
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     «Smart drugs»: Therapie oder Doping?

     Dr. med. Ralph Mager                         tion. L’intérêt doit en l’occurrence por-
     Basel                                        ter sur les substances ayant la propriété
                                                  de favoriser la cognition. A l’avenir, les
     Les tentatives d’améliorer tout l’éventail   assureurs devront certainement s’occu-
     des performances humaines en recou-          per de cette question, encore que des
     rant à des substances de toute nature        données reposant sur des évidences fe-
     ont une longue tradition derrière elles      ront encore défaut pour longtemps.
     et ne concernent pas que les sportifs
     professionnels, car nous vivons finale-      Versuche, das ganze Spektrum der
     ment dans une société que nous carac-        menschlichen Leistungsfähigkeit durch
     térisons aussi comme fondée sur le ren-      Substanzen aller Art zu steigern, haben
     dement individuel. Le désir de trouver       eine lange Tradition und beschränken
     une potion magique est compréhensi-          sich in keinem Falle auf die Anwendung
     ble et fascinant et motive les humains       bei professionellen Sportereignissen,
     à percevoir de telles offres, éventuelle-    leben wir doch in einer von uns auch
     ment sélectionnées selon des critères        so bezeichneten «Leistungsgesell-
     d’une certaine probabilité et plausibi-      schaft». Die Idee eines «Zaubertran-
     lité. Reste qu’au cours des dernières        kes» ist nachvollziehbar faszinierend
     décennies, de nouveaux aspects quali-        und entsprechend «motiviert» werden
     tatifs et quantitatifs sont apparus : de     solche Angebote durch Menschen, ggf.
     plus en plus et dans le monde entier         gefiltert nach vermeintlicher Seriösi-
     des produits neuropsychopharmacolo-          tät und Plausibilität, wahrgenommen.
     giques ont été développés pour traiter       Dennoch ist es in der letzten Dekade
     des affections en pesant leurs avanta-       zu qualitativ und quantitativ neuen As-
     ges et leurs risques, et ils sont utilisés   pekten gekommen: Es werden zuneh-
     sans consultation médicale par des per-      mend weltweit Neuropsychopharmaka,
     sonnes en bonne santé. L’article que         die zur Behandlung von Erkrankungen
     voici doit donner un aperçu des subs-        in Abwägung von Nutzen und Risiken
     tances auxquelles on a surtout à faire       entwickelt wurden, von gesunden Per-
     ici et des questions éthiques, juridiques    sonen ohne ärztliche Konsultation an-
     et médicales soulevées par leur utilisa-     gewandt. In dem vorliegenden Artikel

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soll ein Überblick gegeben werden, mit      Letztere Substanzen wurden eingehen-
welchen Substanzen wir es hier vor al-      den Untersuchungen zugeführt, um
lem zu tun haben und welche ethischen,      Zulassungen bei umschriebenen neu-
juristischen und medizinischen Fragen       rologischen oder auch psychiatrischen
durch den Gebrauch aufgeworfen wer-         Indikationen zu ermöglichen. Der kli-
den. Der Focus soll dabei auf den Sub-      nische Nutzen ist hier völlig unbestrit-
stanzen mit kognitionsfördernden Ei-        ten, wobei es durchaus einen erhebli-
genschaften liegen. Versicherer werden      chen Dissens gibt über die Breite der
sich unzweifelhaft in Zukunft hiermit       Indikationsstellung. Bei den genann-
auseinandersetzen müssen, wobei eine        ten Substanzen hat jedoch früh eine
evidenzbasierte Datenlage hierfür ver-      Art «Kollateralanwendung» eingesetzt.
mutlich noch länger fehlen wird.            Dies kann kaum überraschen, da der
                                            in Aussicht gestellte «Benefit» in ei-
                                            ner erhöhten Konzentrationsfähigkeit,
Einleitung:                                 in einer verbesserten Planungsfähig-
Der Begriff «smart Drugs» ist nicht         keit, Merkfähigeit und Stresstoleranz
streng definiert, bezieht sich eigentlich   etc. besteht. Welche Dynamik eine so
auf sämtliche Chemikalien, Pflanzenin-      angestossene Begehrlichkeit auslö-
haltsstoffe oder Pharmaka, die im Ruf       sen kann, hat uns die Substanz Silde-
stehen, die geistige Leistungsfähigkeit     nafil (bekannt als Viagra®) gezeigt, die
zu steigern mit Einfluss auf Motivati-      heute über Internet auch losgelöst von
on, Intelligenz und Kognition allgemein.    den medizinischen Indikationen regen
Dies beginnt bei dem uns geläufigen         Zuspruch findet, dem Gebrauch/Miss-
Koffein oder dem sehr fraglich Flügel       brauch sind hier trotz respektabler Ne-
verleihendem Taurin über einzelne Le-       benwirkungen kaum Grenzen gesetzt.
bensmittel/ Nahrungsergänzungsmit-          Auch bezüglich der «Cognitive enhan-
tel bis hin zu verschreibungspflichtigen    cers» («Viagra for the brain») hat diese
oder gar betäubungsmittelpflichtigen        Entwicklung bereits eingesetzt. Das US-
Pharmaka wie Modafinil, Donepezil,          National Center of Addiction and Subs-
Methylphenidat (Ritalin®) und ande-         tance Abuse (CASA) schätzt allgemein,
ren Präparaten (Tabelle 1, siehe S. 27).    dass 15 Millionen US-Bürger Arzneimit-

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     tel als Drogenersatz zweckentfremden,        gesellschaftlichen Folgen sind noch we-
     wobei neben den ZNS-Stimulantien hier        nig klar. Aber auch die Entwicklung ei-
     auch «non-smart drugs» wie Analgetika        nes sicherlich noch problematischeren
     und Anxiolytika eingeschlossen sind.         «Mind-Designs» oder einer «kosmeti-
     Bemerkenswert ist jedoch hier der kla-       schen Neurologie» mit vielgestaltiger
     re Trend zum Medikamentengebrauch.           Einflussnahme auf die Funktionsweise
     Zwischen 1992 bis 2003 stieg der Miss-       des Gehirnes ist nach Meinung zahlrei-
     brauch in diesem Bereich in den USA im       cher führender Neurowissenschaftler
     Vergleich zu den «klassischen» Drogen        unumkehrbar hin zu einem blühenden
     um das doppelte (im Vergleich zu Ma-         Markt der Selbstoptimierung. Wenn
     rihuana) bis sechzigfache (im Vergleich      auch die Neurotechnologie mit der
     zu Heroin) an. Entsprechende Trends          Schaffung von Kopplungen zwischen
     sind auch in den deutschsprachigen           «natürlicher» und künstlicher Intelli-
     Ländern klar ersichtlich, wobei ver-         genz (z.B. Datenabruf aus Datenban-
     gleichbares Datenmaterial fehlt.             ken) in den Kinderschuhen steckt, so ist
                                                  die Modulation von Gedächtnis, Stim-
                                                  mung , Wachheit und allgemein Kog-
     Ausgangslage und gesellschaftlicher          nition ausserhalb der neurologischen
     Hintergrund:                                 und psychiatrischen Indikationen durch
     Traditionell sind die Hemmschwel-            Pharmaka heute schon Realität. Bezüg-
     len zur Modifikation des eigenen Kör-        lich der Gruppe der «Cognitive enhan-
     pers in Europa höher als in den USA,         cers» führte die Zeitschrift «Nature»
     die Aufgeregtheit unserer Medienmit-         kürzlich eine online-Umfrage durch bei
     teilungen verzerrt zudem häufig die          1400 Personen aus 60 Länder[1]. Dabei
     reale Situation bei kaum erhältlichen        gab jeder fünfte Teilnehmer an, Sub-
     konkreten Zahlen. Das Beispiel der kos-      stanzen wie Methylphenidat, Modafi-
     metischen Chirurgie zeigt jedoch sehr        nil oder Propanolol bereits ausserhalb
     deutlich das Entstehen einer nur sehr        medizinischer Gründe eingenommen zu
     eingeschränkt indikationsabhängigen          haben, dabei spielte in der Beschaffung
     Medizin mit Ausrichtung zur «Lifestyle-      das Internet eine wichtige Rolle. Bereits
     Selbstoptimierung», die sozialen und         kurz zuvor war ebenfalls in Nature ein

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Artikel erschienen, in dem die Autoren     gen des Präparates ausserhalb der zu-
trotz der Nennung von Bedenken klar        gelassenen Anwendungen erfolgen. Es
grundsätzlich eine Liberalisierung und     ist sicherlich kein Geheimnis und nach-
Öffnung des Gebrauchs der «Cogniti-        vollziehbar, dass die Pharmaindustrie
ve enhancers» für die Allgemeinheit        einen hochattraktiven Zukunftsmarkt
forderten, ein bemerkenswerter Vor-        im «Lifestyle» Sektor sieht, also in der
stoss[2]. Eine dieses Jahr von der Deut-   «Behandlung» gesunder Menschen.
schen Angestelltenkasse (DAK) an 3000      Hier treffen sich einige gesellschaftli-
Arbeitnehmern durchgeführte Studie[3]      che Entwicklungen zu einer beschleuni-
ergab das Bild, dass gut 40% der Be-       genden Synergie: Unsere Gesellschaft
fragten meinten, dass psychiatrisch und    überaltert rasant, der auch kognitive
neurologisch angewandte Pharmaka in        Leistungsanspruch an die Menschen
der Lage seien, auch bei Gesunden die      wächst, als auch ganz offensichtlich die
Leistungsfähigkeit zu verbessern, wo-      Bereitschaft zur «Selbstmanipulation».
bei jedoch lediglich 20% ein günstiges     Erleichtert wird der Zuspruch dadurch,
Verhältnis zwischen Nutzen und Ne-         dass die benutzten Substanzen mit ih-
benwirkungen sahen. 5% gaben sogar         rem pharmakologischen Hintergrund
an, entsprechende Substanzen bereits       scheinbar präzise, selektive Verbesse-
ohne gesundheitliche Indikation einge-     rungen erlauben ohne das Stigma und
nommen zu haben. Dies würde immer-         die Nebenwirkungen von Drogen wie
hin bedeuten, dass umgerechnet 2 Mio.      Kokain, Heroin oder Ecstasy. In die-
berufstätige Menschen in Deutschland       sem Zusammenhang sei auch erwähnt,
bereits mindestens einmal ohne gängi-      dass zunehmend renommierte Neu-
ge Indikation «zugegriffen» hätten. In     rowissenschaftler und Ethiker sich in
2006 wurde öffentlich gemacht, dass        prominenten Wissenschaftsjournalen
die britische Armee in großem Umfang       zustimmend äussern gegenüber eines
Modafinil für den Irakkrieg angeschafft    verschreibungsfreien Einsatzes von be-
habe, obwohl es offenbar letztendlich      stimmten Stimulantien wie Methylphe-
nie zum Kampfeinsatz gekommen ist.         nidat oder Modafinil im Rahmen der
Der Hersteller Cephalon gibt selbst        schulischen und weiteren Ausbildung
an, dass etwa 90 % der Verschreibun-       («Was ist gegen eine Verbesserung der

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     Kognition zu sagen?»). Die Komplexi-         Diagnosestellung durch Fachmediziner
     tät des Problems wird auch deutlich          angehalten, noch vor kurzer Zeit war
     bei der Anwendung von Antidementiva          Modafinil in Deutschland als Betäu-
     bei natürlich alternden Menschen ohne        bungsmittel klassifiziert. Es wird aktu-
     explizite Demenzdiagnose. Die Anwen-         ell jedoch an einer Erweiterung der Indi-
     dung ist bereits ein Thema, limitierend      kationsstellung gearbeitet (z.B. ADHS;
     sind hier lediglich die bekannten Pro-       Erschöpfung bei Depression; «Chro-
     bleme der verfügbaren Substanzen,            nic-fatigue-Syndrom»). Insgesamt wird
     der Weg ist jedoch gebahnt. In einer in      häufig kommuniziert, dass Modafinil
     dem Fachjournal Neurology publizier-         ähnlich wirke wie Metyl­phenidat ohne
     ten Studie konnte gezeigt werden, dass       die nachteiligen Nebenwirkungen am-
     Piloten nach 4-wöchiger Einnahme des         phetaminartiger Substanzen. Trotz der
     Antidementivums Donepezil (Cholines-         stimulierenden Wirkung werden die
     terasehemmer) sich leistungsfähiger in       vegetativen Nebenwirkungen als ge-
     Flugsimulatoren zeigten als eine Kont-       ring beschrieben, die Verträglichkeit
     rollgruppe nach Einnahme von Place-          als subjektiv gut. Dennoch werden vom
     bo[4]. Die Liste der Neuentwicklungen        Hersteller Kopfschmerzen und eine ver-
     von vermeintlichen «Cognitive Enhan-         mehrte Nervosität als sehr häufige Ne-
     cers» ist lang, im folgenden sollen ei-      benwirkungen angegeben, sowie auch
     nige der wahrscheinlich relevantesten        emotionale Labilität, Aggression, Feind-
     Präparate aus der Gruppe der Neuro-          seligkeit und eine nervöse Anspannung
     psychopharmaka kurz beispielhaft vor-        als gelegentliche, Schlafstörungen
     gestellt werden.                             und Verwirrtheit als häufige Neben-
                                                  wirkungen dokumentiert sind. Poten-
                                                  tiell besteht auch durchaus ein Inter-
     Substanzen:                                  aktionsrisiko mit anderen Substanzen.
     Modafinil: In der Schweiz hat Moda-          Sowohl bei kognitiven Testungen am
     finil eine arzneimittelrechtliche Zulas-     Menschen, als auch tierexperimentell
     sung für Narkolepsie und für bestimmte       konnte eine Verbesserung des Arbeits-
     Schweregrade eines Schlaf-Apnoe-Syn-         und des episodischen Gedächtnisses in
     droms, dabei wird zu einer sorgfätigen       Gruppenvergleich gezeigt werden mit

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einer Zunahme der Aufmerksamkeit, ei-     flusst es die Katecholaminfreisetzung.
ner Verbesserung des räumlichen Pla-      Offensichtlich wird insbesondere die
nes und einer rascheren Umstellung        Dopaminfreisetzung moduliert, mög-
auf neue Aufgaben, auch das Entschei-     lichweise dabei auch rasch aufeinan-
dungsvermögen wurde verbessert. Für       derfolgende «Peaks» des Transmitters
Modafinil konnte aber auch ein Einfluss   verhindert. Als häufige Nebenwirkun-
auf die Stimmung und auf die Akzep-       gen treten Schlaflosigkeit, Nervosität,
tanz von Humor demonstriert werden,       Tachykardien und Arrhythmien auf, es
was durchaus als Hinweis auf eine psy-    sind daneben auch schwerwiegende
chologische, über die reine «Arbeits-     Nebenwirkungen selten bis sehr sel-
kognition» hinausgehende Wirkung          ten dokumentiert, entsprechend eng
gesehen werden kann. Zur Wirkungs-        wird eine ärztliche Überwachung emp-
art lässt sich sagen, dass die Substanz   fohlen. Die klinische Wirksamkeit ist
wahrscheinlich vorwiegend über die        im Rahmen der Indikationsstellung gut
Modulation von Dopamin und Norad-         belegt mit Verbesserung der Aufmerk-
renalin «arbeitet» und damit auch Ein-    samkeit, der Planungsfähigkeit, der Ko-
fluss nimmt auf die GABAerge und hist-    gnition und der Kommunikationsfähig-
aminerge Transmission.                    keit. Es gibt aber auch Hinweise für eine
                                          Wirksamkeit bei Gesunden, wobei die
Methylphenidat (Ritalin®): In ver-        Datenlage hier nicht befriedigend er-
schiedenen, insgesamt jedoch nicht        scheint. Die grundsätzlich bestehende
repräsentativen Erhebungen nimmt          Gefahr einer Abhängigkeitsentwicklung
Ritalin® klar eine führende Rolle als     wurde in neueren Studien deutlich ab-
Substanz zum «Gehirndoping» ein.          geschwächt. Die Verschreibungshäufig-
Methylphenidat wird verschrieben bei      keit hat in den letzten Jahren in Europa
hyperkinetischen Störungen. Die Ab-       und den USA erheblich zugenommen,
gabe ist in der Regel integriert in ein   sowie auch der nicht ärztlich begleite-
umfassendes Therapieprogramm, in          te Konsum.
der Schweiz untersteht es dem Bun-
desgesetz über Betäubungsmittel.          β-Blocker: Für Propranolol als ein Ver-
Als substituiertes Amphetamin beein-      treter der β-Blocker konnte gezeigt wer-

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     den, dass eine Tendenz besteht emoti-        chiatrie sind die seltenen, aber prob-
     onal belastende Erlebnisse besser zu         lematischen Seiten von Methylpheni-
     neutralisieren, sowie insgesamt eine         dat, Antidepressiva etc. gut bekannt,
     Ermüdung durch eine vegetative Über-         entsprechend eng erfolgt die Indikati-
     erregung wahrscheinlich gemindert            onsstellung und die Verlaufskontrolle
     wird. Mit diesen Effekten ist offenbar       insbesondere bei Patienten mit einer
     in belastenden Situationen eine erhöh-       anzunehmenden Prädisposition (z.B.
     te Entscheidungsbereitschaft möglich,        psychotisches Erleben in der Vorge-
     was wohl schon zu Erprobungen für            schichte). Diese Kontrolle entfällt bei
     militärische Einsätze geführt hat. Zur       einem allgemeinen Gebrauch naturge-
     Vielzahl der diskutierten kognitiv leis-     mäss gänzlich. So bestehen z.B. selbst
     tungssteigernden Substanzen siehe ei-        bei dem offensichtlich sonst erstaun-
     nen Auszug der Substanzen, wie in Tab.       lich nebenwirkungsarmen Modafinil
     1 dargestellt.                               durchaus relevante, kardial begründete
                                                  Kontraindikationen. So wäre es durch-
                                                  aus denkbar, dass ein Selbstversuch
     Ethische und iuristische Überlegungen:       in einer Invalidität enden könnte. Dies
     Ethische und juristische Aspekte sind        hiesse, dass die Gesellschaft parado-
     beim nicht indizierten und ärztlich nicht    xerweise die Kosten übernehmen müss-
     kontrollierten Gebrauch von den ge-          te für den Versuch eines Individuums,
     nannten Substanzen eng vernetzt. In          sich einen (unfairen?) Leistungsvorteil
     den USA ist als «Vorgeschmack» der           gegenüber anderen zu verschaffen. Das
     Fall eines Mehrfachmordes (1989) be-         Gehirn ist in seiner Homöostase unter
     richtet in sehr engem und plausiblem         Einfluss von «Enhancern» kaum auszu-
     Zusammenhang zum Einsatz von Flu-            rechnen, der Glaube an saubere, prä-
     oxetin (Prozac®), das den Täter offen-       zise pharmakologische Interventionen
     sichtlich in einen psychotischen Zu-         zur selektiven Kognitionssteigerung
     stand versetzte. Dieser Fall hat in den      ganz ohne Einfluss auf die den Men-
     USA zu einer heftigen Diskussion ge-         schen individuell charakterisierenden,
     führt über den Einsatz von Prozac als        identitätsstiftenden Eigenschaften ein-
     «lifestyle-Droge». In der klinischen Psy-    schliesslich moralischer Haltung ist

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wahrscheinlich naiv. Es hat sich im Ge-    net werden. Es besteht ein immenser
folge der beschriebenen Entwicklungen      Bedarf an Klärungen, auch wenn das
eine neue Fachdisziplin, die der Neuro-    Problem aktuell vielleicht aufgrund der
ethik formiert, die bislang noch nicht     Mediendarstellungen eher überschätzt
fest im Sattel sitzt, sich aber zuneh-     wird. Dies ist aber weniger der Einsicht
mend auch der Fragestellung der «En-       der Menschen zu verdanken als viel-
hancers» widmet[5, 6]. Insgesamt ist       mehr den insgesamt eher diskreten Ef-
eine ethisch schwierige Situation auch     fektstärken, die die genannten Präpara-
dadurch entstanden, dass auf der einen     te bei Gesunden erzielen in nicht immer
Seite akademisch gestützt ein freier Ge-   klarer Abgrenzung gegenüber den kul-
brauch von den genannten Substanzen        turell akzeptierten Substanzen wie Tee,
gefordert wird, auf der anderen Seite      Nikotin, Schokolade oder Kaffee.
unterliegen die Substanzen z.T. noch
den Betäubungsmittelgesetzen und ihr
unbefugter Besitz wird ggf. mit Gefäng-    Ausblick und versicherungsmedizini-
nisstrafen geahndet (z.B. bei Besitz von   sche Aspekte:
Adderall® in den USA, Indikation ADHS).    Das «Neuro-enhancement» wird neben
Es muss klar festgestellt werden, dass     Einzelfällen wahrscheinlich erst dann
eine Kosten-Nutzen Abwägung bei «All-      versicherungsmedizinisch relevant wer-
tagsgebrauch» bislang in keiner Weise      den, wenn erstmals konsistent über-
möglich ist, es gibt hierzu keine reprä-   zeugende Ergebnisse vorliegen würden
sentativen Studien, die Konsequenzen       für eine einzelne Substanz, was bis-
eines langjährigen Konsums sind völ-       lang eher nicht der Fall ist. Dies würde
lig unklar. Aber es darf auch provokativ   unzweifelhaft eine erhebliche Dyna-
eingeworfen werden, dass für Alkohol       mik entfesseln mit unklarem Ausgang.
und Nikotin auch keine Indikationsstel-    So wird in Brasilien aktuell aufgrund
lung vorgesehen ist, obwohl die Lang-      der gesellschaftlichen Veränderun-
zeitfolgen hinlänglich bekannt sind. Es    gen durch Viagra über eine Rentenre-
wären auch Hinweise zu klären, dass        form nachgedacht. Der aktuelle «Miss-
bereits heute «Neuro-enhancers» ärzt-      brauch» der «cognitive enhancers» in
lich ausserhalb der Indikationen verord-   der Schweiz ist nach allen Hinweisen

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     eher gering und kaum detektierbar.           Literatur:
     Auch lassen sich aktuell etwa für einen      1.	Maher, B., Poll results: look who‘s doping.
     Lebensversicherer keine Risiken quanti-        Nature, 2008. 452(7188): p. 674-5.
     fizieren, wobei je nach Substanz natür-
     lich ein illegales Verhalten angemahnt       2.	Greely, H., et al., Towards responsible use of
     werden kann. Unsere Gesellschaft ist si-       cognitive-enhancing drugs by the healthy.
     cherlich gut beraten, sich mit den ange-       Nature, 2008. 456(7223): p. 702-5.
     sprochenen ethischen Fragestellungen
     jetzt, vor einer Ausweitung der Proble-      3.	DAK, Deutsche Angestellten Krankenkasse,
     matik, auseinander zusetzen. Will man          Doping im Büro. http://www.presse.dak.de,
     den Gebrauch etwa in die Nähe von ille-        2009.
     galem Kokaingebrauch stellen mit allen
     juristischen Konsequenzen oder wäre          4.	Yesavage, J.A., et al., Donepezil and flight
     gar als anderes Extrem ein Gebrauch im         simulator performance: effects on retention
     Rahmen einer Schadensminderungs-               of complex skills. Neurology, 2002. 59(1):
     pflicht zu fordern, um eine Arbeitsfähig-      p. 123-5.
     keit wiederherzustellen oder zu erhal-
     ten? Letztendlich ist es unabhängig von      5.	Sahakian,   B.    and    S.   Morein-Zamir,
     den bislang unzureichenden medizini-           Professor‘s little helper. Nature, 2007.
     schen Daten über die diskutierten Prä-         450(7173): p. 1157-9.
     parate und deren Risiken im Allgemein-
     gebrauch, eine gesellschaftliche Frage,      6.	Solomon, L.M., R.C. Noll, and D.S. Mordkoff,
     ob «Neuro-enhancement» indikations-            Cognitive enhancements in human beings.
     frei zur Leistungssteigerung zugelassen        Gend Med, 2009. 6(2): p. 338-44.
     oder als Doping geächtet wird. Letzte-
     res wird sich wahrscheinlich nach den
     aktuellen Expertenmeinungen nach
     «sauberer» Klärung der pharmakolo-
     gischen und neuropsychiatrischen Fra-
     gen in Zukunft immer weniger durchset-
     zen lassen.

     ASA | SVV Medinfo 2009/2 Suchterkrankungen
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Tabelle 1:
Substanzen, die zur Steigerung der geistigen Leistungsfähigkeit eingesetzt werden (unvollständig)

Neuropsychopharmaka                              Substanzen (unvollständig)
(nach Wirkungsart)
Vorwiegend glutamaterge Modulation               z.B. Piracetam, Aniracetam, Ampakine,
(Annahme)                                        Memantin, Nefiracetam, Pyroglutamat …
Vorwiegend cholinerge Modulation                 Galantamin, Donepezil, Rivastigmin …
Vorwiegend adrenerge/ dopaminerge/               Methylphenidat, Adrenalin, Modafinil,
GABAerge Modulation                              d-Amphetamin, dl-Amphetamin, Pemo-
                                                 lin, Rasagilin …
Weitere Neuropsychopharmaka                      Substanzen (unvollständig)
Antidepressiva                                   Fluoxetin, Mirtazapin, Venlafaxin, Mo-
                                                 clobemid …
Andere                                           Propranolol, Nifedipin, Sildenafil, Nimo-
                                                 dipin, Molsidomin …
Phytopharmaka,                                   Alkohol, Koffein, Koka, alpha-Lipon-
Nahrungsergänzungsmittel                         säure, Khat, Schokolade, Vitamin B6/
                                                 B12 …
Körpereigene Substanzen/ Hormone                 Dehydroepiandrosterone, Androgene,
                                                 Insulin, Melatonin, Glucose …

                                                     ASA | SVV Medinfo 2009/2 Suchterkrankungen
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