Smell it! Geruch in der Kunst - Wienand ...
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Inhaltsverzeichnis Table of Contents T he Vorwort/Foreword Camilla Nicklaus-Maurer H id d Der verborgene Sinn – Zeit für BARÓN von Münchhausen 140 en Sens e olfaktorisches Feingefühl 7 Olfactory 10 Saskia Wilson-Brown –A g the Status, Konsum, Kreation: in ppreciat Städtische Galerie Bremen Auffassungen von Macht in der Olfaktor: Welt des Parfums 143 Geruch gleich Gegenwart Attainment, Olfactor: Consumption, Creation: Scent is Present 13 Perceptions of Power in Perfumery 151 Mădălina Diaconu Der kontingente All-Faktor 49 Kunstverein The Contingent Bremerhaven »All Factor« 57 Stefani Glauber ≈ 350 159 Gerhard-Marcks-Haus Kornelia Hoffmann GAK Gesellschaft scent rubbing 65 für Aktuelle Kunst Effrosyni Kontogeorgou Weserburg Museum Substrate 167 für moderne Kunst Luca Vitone Jonathan Reinarz Macht 71 Dem Geruch Gestalt geben: Historische Impressionen Kunsthalle Bremen von Geruchssinn und Kunst 173 Mit den Augen riechen. Framing Scent: Geruchsbilder Historical Impressions seit der Renaissance of Smell and Art 183 To Smell with the Eyes: Images of Scent kek since the Renaissance 81 Kindermuseum Dufte – Nose on! 193 Camilla Nicklaus-Maurer Wie sich der Geruch in der Künstlerhaus Bremen Kunst des 20. Jahrhunderts Cecilia Novero ausbreitete 99 Mit einer Hundenase Kunst betrachten How Smell Spread Die Materialität (unsichtbarer) Geister in 20th-Century Art 107 destillieren lernen ... To Look at Art with a Zentrum für Dog’s Nose Künstlerpublikationen Learning to Distill the Duft, Smell, Olor, … Materiality of Multiple Darstellungen (Invisible) Ghosts ... 203 des Olfaktorischen in der zeitgenössischen Kunst Impressum Duft, Smell, Olor, … Imprint 221 Multiple Representations of the Olfactory Bildnachweise in Contemporary Art 115 Image Credits 223 Paula Modersohn- Förderung / Kooperationen Becker Museum Sponsoring / Partnerships 224 Unverblümt. Blunt Blossom. Camilla Nicklaus-Maurer & Paula Modersohn-Becker 129 5
MODULA überantwortet die genaue Konfigurati- Rezeption dieser Arbeit erst wirklich bewusst ist. Maki Ueda Viral Parfum, What if coronaviruses on des synästhetischen Erlebnisses den jeweili- Sie ist hier als kollektive und potenziell appetit- were something you could smell and gen Menschen, die diese Arbeit wie eine Samm- anregende Erfahrung möglich. see?, 2021 ler-Kunst-Edition erwerben, deren Sinn sich je- Einen Austausch mit dem Publikum und Geruchsinstallation/Olfactory installation doch nur entfaltet, wenn man sie auch benutzt eine Vermittlung vertiefter Beschäftigung mit der Maße variabel/size variable und ihren temporären Gehalt anerkennt. Auch olfaktorischen Ebene der Kochkunst sucht auch wenn die Künstler*innen eine Ebene für die Ver- Martin Voßwinkel. Sein Duft-Container ist ein mittlung im Ausstellungsraum finden, ist es ein Schrank, der an der Schnittstelle zwischen künst- Kunstwerk, das vollkommen den Rezipient*innen lerischer Praxis, Performance und Alltagsge- überlassen wird und dessen Analogie von Klang brauch steht (→ S. 42). Konzipiert zur Vermark- und Duft Synästhesie individuell erfahrbar macht. tung von selbst hergestellten Räucherprodukten Dabei setzt diese Arbeit darauf, dass olfaktorische der eigenen Firma Fuchswiese, enthält er Essen- und akustische Ansprachen jeweils stark mit zen und Rohstoffe zum Räuchern. Der kommer- Emotionen verknüpft sind und entsprechende zielle Anspruch von Martin Voßwinkels Marke Wirkungen auf Menschen haben. wurde zugunsten privater und künstlerischer Nut- Diese Bereicherung durch Geruch-Klang- zung eingestellt. Sie wird in der Ausstellung dem Analogien funktioniert auch in alltäglichen Hand- Publikum überantwortet, indem der Künstler lungen und auf dieser Ebene gehen sie in der Ar- nicht nur die verwendeten Ingredienzen offen- beit Sound Kitchen von Mari Lena Rapprich legt, sondern auch die entsprechende Literatur (→ S. 41) eine Symbiose ein, die synästhetische zur Verfügung stellt. In einem würfelförmigen Züge trägt. Eine Kochstation im Ausstellungsraum, Rollcontainer finden sich die Fachbücher, die die autonome Versuchsanordnung und Basis für Martin Voßwinkel selbst genutzt hat, um sich in Kochaktionen ist, repräsentiert skulptural eine das Thema der Räuchermischungsherstellung (Koch-)Maschine, deren Funktionselemente zum einzulesen, was in einer Zeit, in der es nicht für Teil offen liegen und die ihre Benutzbarkeit deut- jede Tätigkeit einen Youtube-Kanal gab, durch- lich zeigt. Beinhaltet sind neben Lautsprechern, aus der Aneignung einer Art von Geheimwissen die dauerhaft die Geräusche der Benutzung wie- glich. Dies galt insbesondere für alte, traditionel- dergeben und diese während des Kochens verstär- le Räucherverfahren wie die Kyphi-Räucherung, ken, mehrere Klangerzeugungsinstrumente, in eine Weihrauchmischung, die bereits im alten denen Küchengeräte zu musikalischen Zwecken Ägypten verwendet wurde. Die Darstellung der verfremdet werden. Während die Kochstation auf Duftstoffe, komplexen Mischungen und Räuche- der Klangebene immer weiter kocht, Klänge also rungen, die nötig sind, um Räucherwaren und autonom verarbeitet werden – was auch weitergeht, Currys herzustellen, ermöglicht Besucher*innen, wenn real Speisen zubereitet werden, weshalb man sich selbst in dem Bereich auszuprobieren. dann von Schichten des Kochens sprechen muss – Vor allem aber regt Martin Voßwinkel, ähn- erzeugt die Sound Kitchen auf der olfaktorischen lich wie Mari Lena Rapprich mittels ihrer fortlau- Ebene einen Prozess feiner Differenzierung. fenden Kochklänge, eine olfaktorische Imaginati- Denn es besteht ein Unterschied zwi- on an, die sich im Falle des Duft-Containers über schen den Momenten, in denen Zutaten vor Ort die Inhaltsstoffe ergibt – ob sie bekannt sind und gewaschen, geschnitten, gedünstet, gebraten, ge- die Vorstellung eines bestimmten Geruchs auslö- kocht werden und entsprechende Gerüche ent- sen oder ob die exotischen Namen zur Vorstellung stehen, und der übrigen Zeit, in der alleine die eines Duftes führt. In vier gemeinsamen Räucher- verbliebenen Geräusche Zeugnis dieser Kochab- aktionen vermittelt der Künstler dies vor Ort für läufe geben. Aber Geruchsimpressionen sind Besucher*innen und lädt damit zu einem olfaktori- auch dann möglich, wenn nicht sogar unaus- schen Austausch ein. In Farbtafeln, für die Namen weichlich, denn das Kochwasserblubbern, von Duftstoffen aus dem Container in die Google- Gemüsehacken oder Pfannenfettzischen ruft ol- Bildersuche eingegeben und auf der Ebene der faktorische Assoziationen hervor, die alltagssyn- einfarbigen Bildervorschau angehalten werden, ästhetisch bedingt sind. Man möchte geradezu was algorithmisch generierte Durchschnittsfarb- von einer »Küchensynästhesie« sprechen (ohne werte der jeweiligen Fotografien zeigt, bietet Mar- jeglichen negativen Beiklang), denn alle synäs- tin Voßwinkel zudem einen visuellen synästheti- thetischen Eindrücke beruhen auf der Tatsache, schen Zugang zum olfaktorischen Thema der Räu- dass Besucher*innen die Kochgeräusche so ver- chermischungen. traut sind, dass sie anhand des jeweiligen Klangs Räucherwaren ganz anderer Art nutzt Clau- den Geruch bestimmen können und er sich da- dia Christoffel für eine kleine kegelförmige Plastik, durch einstellen kann. Die besondere olfaktori- deren potenzielle olfaktorische Ausdehnung viel sche Bedeutung der Installation liegt – neben den größer und in der Wirkung gewaltig ist (→ S. 45). Barbara Haiduck Kochaktionen mit weiteren eingeladenen Künst- Denn die kleinen trapezförmigen Räucherbriketts, »Les fleurs tristes«, 2020/21 ler*innen für ausgewählte Gruppen – vor allem in die von der Künstlerin in einem Geschäft für reli- Serie: 8 Fotogramme auf Agfa s/w Fotopapier/Series: 8 photograms der betonten und verstärkten Aktivierung jener giösen Bedarf in Portugal gefunden wurden, sol- on Agfa black and white photo paper alltäglichen Synästhesie, derer man sich nach der len bei Verbrennung schicksalsbeeinflussend sein. je/each 30,5 × 40,5 cm 28 Olfaktor: Geruch gleich Gegenwart. Städtische Galerie Bremen Olfactor: Scent is Present. Städtische Galerie Bremen 29
Himmlischer Duft/Heavenly Scent Tierisches Schnuppern/Animal sniffing 18) 17) 24) 25) 16) 27) 19) 20) 26) 21) 28) 23) 29) 22) 88 Mit den Augen riechen. Geruchsbilder seit der Renaissance Kunsthalle Bremen To Smell with the Eyes: Images of Scent since the Renaissance Kunsthalle Bremen 89
Camilla Nicklaus-Maurer Olfaktorische Rauminstallation, Unverblümt/Blunt blossom, 2021 Wildsaatgut, Geruch, Text/ Olfactory installation, wild seeds, smell, text 80 qm 130 Unverblümt. Camilla Nicklaus-Maurer & Paula Modersohn-Becker Paula Modersohn-Becker Museum Blunt Blossom. Camilla Nicklaus-Maurer & Paula Modersohn-Becker Paula Modersohn-Becker Museum 131
Blumen nehmen im Werk von Paula Modersohn- Feldblumen. Bereits um 1902 hat die Malerin mit Paula Modersohn-Becker Alte Armenhäuslerin mit Glaskugel Becker eine herausragende Stellung ein – ob im dem Gemälde Hand mit Blumenstrauß (→ S. 137) und Mohnblumen/ Stillleben, als zentrales Bildmotiv, Beiwerk oder ein Blumengebinde als Bildmotiv festgehalten, Old Woman from the Poorhouse in the Garden with Glass Globe ornamentaler Hintergrund. Die Malerin bediente dessen Darstellung mit gröberen und spontaneren and Poppies, 1907 sich floraler Elemente, insbesondere um Analo- Pinselstrichen auskommt und gleichzeitig wie ein Paula Modersohn-Becker Museum, Bremen gien zu Gefühlen zu bilden und die Charakter- malerischer Schnappschuss eines gerade ge- eigenschaften der dargestellten Personen zu un- pflückten Straußes wirkt, der stolz emporgehoben Leinwand/Canvas, 96,3 × 80,2 cm terstreichen. 1907 schuf sie mit dem in der wird. Die Empfindsamkeit einer einzelnen Blume Künstlerkolonie Worpswede entstandenen Gemäl- scheinen die ungefähr zur selben Zeit entstande- de Alte Armenhäuslerin mit Glaskugel und Mohn- nen Hände mit Kamillenblume (→ S. 137) wieder- blumen (→ S. 133) die monumentale Gestalt der zugeben. Die Kamillenblüte wird hier liebevoll von »Mutter Schröder«, die vor leuchtend bunten zwei kräftigen Händen gehalten, und es fällt – trotz Mohnblumen und einer dickbauchigen Glaskugel – der rein visuellen Darstellung – nicht schwer, sich einem typischen Schmuck Worpsweder Bauern- den Geruch der Blume vorzustellen. gärten – thront. Hierbei verzichtete Modersohn- Inspiriert durch die Blumengemälde Mo- Becker auf eine genrehafte, idealisierende dersohn-Beckers hat die zeitgenössische Künstle- Darstellung der bäuerlichen Lebenswelt und fand rin Camilla Nicklaus-Maurer für die Ausstellung zu einer Bildsprache, die dem Wesenhaften und UNVERBLÜMT. Camilla Nicklaus-Maurer & Paula Ursprünglichen der Porträtierten Ausdruck ver- Modersohn-Becker eine olfaktorische Intervention leiht. Die kräftige, gedrungene Figur, das grobe geschaffen, die neue Perspektiven auf das Werk Gesicht und der abwesende Blick der Frau ver- der Malerin eröffnet. Entstanden ist eine ortsspe- leihen der Darstellung eine gewisse Schwere, die zifische, raumgreifende Arbeit, bei der die zeitli- durch die leuchtende Farbigkeit der dargestellten che und räumliche Präsenz von Gerüchen und Mohnblumen im Hintergrund und einer einzel- deren multisensorisches Erleben im Vordergrund nen Fingerhut-Pflanze in ihren Händen aufgebro- stehen. chen wird. Die Blüten werden auf diese Weise zur Zu sehen und vor allem auch zu riechen ist Metapher der dargestellten Person. Gleichzeitig ein begehbares Feld aus auf dem Boden ausgeleg- bringen sie die Naturverbundenheit der Malerin ten Samen, das durch das Betreten einen leicht und ihre große Vorliebe für selbige zum Ausdruck. nussigen, krautartigen Duft freisetzt (→ S. 130/ Während Modersohn-Beckers Aufenthalten 139). Koriander, Wiesen-Kümmel, Fenchel, Peter- in der Kunstmetropole Paris stellten Blumen zu- silie, Schabziger Klee und Wilde Möhre tragen zu dem einen wichtigen Bezug zur Natur dar. »Blu- einem einzigartigen Geruchserleben bei. Blickt men sind hier [in Paris] eins von den wenigen man in einem bestimmten Winkel auf das Saatgut- Stücklein Natur, an welches sich die Leute klam- feld, wird ein Schriftzug lesbar: »Unverblümt«. mern. Und dann fassen sie sie nicht als Blumen Nicklaus-Maurer bedient sich hierbei der opti- auf wie wir Deutschen, sondern mehr als etwas schen Täuschung eines Camcarpets – ein 3D- Duftendes, Farbiges«,1 schrieb die Malerin im Schriftzug, wie er beispielsweise bei Werbeban- Februar 1900 in einem Brief an Otto und Helene nern am Rande eines Fußballfelds eingesetzt wird. Modersohn. Sie verwies damit nicht nur auf die Der titelgebende, perspektivisch verzerrte Schrift- visuellen Qualitäten von Blumen, sondern betonte zug eröffnet zahlreiche assoziative Bezüge zum auch deren olfaktorischen Reiz, wenngleich in ih- Werk und Leben Paula Modersohn-Beckers. »Un- rem Werk hauptsächlich deren malerische Eigen- verblümt« kann sowohl auf die Darstellungs-, Mal- schaften hervortreten. So zeichnet sich beispiels- als auch auf die für damalige Zeiten emanzipierte weise das Stillleben mit Feldblumenstrauß (→ S. 136) Lebensweise der Malerin bezogen werden. Darü- aus dem Jahr 1906 durch seine besondere Farb- ber hinaus ergeben sich vielfältige Fragen, die intensität und Formensprache aus. Die zart darge- beispielsweise die Materialität der künstlerischen stellten Feldblumen stehen im Kontrast zum flä- Arbeit an sich betreffen. So kann das Wort auch chig gestalteten Hintergrund und dem mit Punkten auf das in der Installation eingesetzte Saatgut be- verzierten sowie von Blättern kreisförmig umring- zogen werden. Durch die Verbindung von Mate- ten Krug. Umherschwirrende Schmetterlinge ver- rialität, Text und Geruch ergibt sich ein facetten- leihen dem Stillleben, das in seiner Malweise an reiches Zusammenspiel, das die Präsenz und ein Henri Rousseau erinnert, Lebendigkeit und ver- Erleben vor Ort voraussetzt – denn noch lassen weisen gleichzeitig auf den anziehenden Duft der sich Gerüche nicht einfach digital reproduzieren. Vielmehr ist das Geruchserleben nicht nur stark 1 Paula Modersohn-Becker an Otto subjektiv geprägt, sondern auch von Faktoren wie und Helene Modersohn, Zeit, Luftfeuchtigkeit und der Umgebung abhän- Brief, Paris, 9 Rue campagne première, 29.2.1900, in: gig. Nicklaus-Maurer schafft mit ihrer olfaktori- Günter Busch und Liselotte von schen Rauminstallation sowohl visuelle wie auch Reinken: Paula Modersohn- Becker in Briefen und Tagebüchern, geruchliche Bezüge, die neue Wahrnehmungs- Frankfurt am Main, 2. überarb. und weisen ermöglichen und das Potenzial von Ge- erw. Aufl. 2007, S. 236. ruch als weitere ästhetische Dimension der Kunst 132 Unverblümt. Camilla Nicklaus-Maurer & Paula Modersohn-Becker Paula Modersohn-Becker Museum Blunt Blossom. Camilla Nicklaus-Maurer & Paula Modersohn-Becker Paula Modersohn-Becker Museum 133
Teresa Margolles Ausstellungsansicht/installation view Vaporization, 2002 Mexico City: An Exhibition about the Exchange Rates of Bodies and Values, 2002. The Museum of Modern Art, New York, NY, USA 204 Mit einer Hundenase Kunst betrachten • Die Materialität (unsichtbarer) Geister destillieren lernen ... Cecilia Novero To Look at Art with a Dog’s Nose • Learning to Distill the Materiality of (Invisible) Ghosts... Cecilia Novero 205
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