Sonderbericht Pandemie-Update Nr. 5: Aktienmärkte nehmen Pandemie-Ende teilweise vorweg - Wüstenrot ...

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8. April 2020

Sonderbericht
Pandemie-Update Nr. 5: Aktienmärkte
nehmen Pandemie-Ende teilweise vorweg
Während die Anzahl der täglichen Neuinfektionen mit dem Coronavirus in den
USA und auch im Vereinigten Königreich weiterhin hoch bleibt, zeichnet sich in
den großen Volkswirtschaften der EU unter gewissen Schwankungen immer
deutlicher ein Rückgang ab. Die Diskussionen über einen Ausstieg aus den
Eindämmungsmaßnahmen dürften deshalb in den kommenden Tagen weiter
zunehmen. Zwar sind hierzu noch viele Details offen. Beispielsweise muss
entschieden werden, welche Schritte wann erfolgen können. Und außerdem
dürften die Regierungen bei einer hierdurch ausgelösten Zunahme der
Neuinfektionen wieder zurückrudern. Aber grundsätzlich ist ein Licht am Ende des
Tunnels erkennbar.

Die Aktienbörsen nahmen das Abklingen der Pandemie und die Aufhebung der
außerordentlichen Maßnahmen in Teilen bereits vorweg. Die Indizes, die ab Ende
Februar in bislang unvorstellbarem Tempo einbrachen, fanden Mitte März
zumindest ihre vorläufigen Tiefstände und erholten sich seither. Die Frage, „Jetzt
noch einsteigen, oder lieber nicht?“ treibt deshalb viele Anleger um. Auch wir
haben hierauf keine eindeutige Antwort. Es ist jedoch auffällig, dass die große      ■ Dr. Torsten Gruber
Mehrheit der professionellen Marktbeobachter in den Banken von einem erneuten        ■ Thorsten Proettel
Kursrückgang ausgeht. Immer wieder wird die Mahnung ausgesprochen, die               ■ Bernhard Spitz
Dauer eines ausgeprägten Bärenmarktes nicht zu unterschätzen. Wir sind etwas
weniger pessimistisch und sehen für mittel- bis langfristig orientierte Anleger
durchaus Einstiegsgelegenheiten. Aktiv gemanagte Fonds dürften dabei
gegenüber passiven Anlagemöglichkeiten im Vorteil sein.
SONDERBERICHT: PANDEMIE-UPDATE                                                                                   2
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1. Allgemeine Pandemie-Entwicklung und
Lageeinschätzung
Die Rangliste der am meisten von der Corona-Pandemie betroffenen Staaten                       Absinken der Neu-
liefert ein gutes Abbild über das aktuelle Geschehen. Die USA liegen weiterhin an              infektionen in Europa,
erster Stelle, und dort wurde auch das höchste absolute Wachstum verzeichnet.                  ungebremstes Wachs-
Innerhalb einer Woche seit Veröffentlichung unseres letzten Sonderberichts                     tum in den USA.
Pandemie-Update Nr. 4 stieg die Anzahl der offiziell gemeldeten Fälle von rund
188.000 auf zuletzt mehr als 400.000 an. Spanien überholte wie prognostiziert
Italien und schob sich auf den zweiten Platz nach oben. Da China kaum noch
Neuinfektionen aufweist, rutschte es vom vierten auf den sechsten Rang. Die
„Aufsteiger“ sind Frankreich und Deutschland, wobei die Zuwachsraten in
Frankreich zuletzt deutlich größer als hierzulande ausfielen. Ähnlich wie in den
USA erlebt das Vereinigte Königreich eine etwas verspätete und nun besonders
heftige Virus-Ausbreitung. Die Fallzahlen kletterten von 25.000 auf zuletzt 55.000.
Das Gleiche gilt für die Türkei, die mit einem Wochenanstieg von mehr als 18.000
Fällen die Schweiz vom letzten Platz unserer Rangliste verdrängte.

                 Gemeldete Infektionen, Stand 8. April 2020, 11:00 Uhr

                 0         100.000            200.000        300.000         400.000

         USA                                                                       400.549
     Spanien                              141.942
       Italien                            135.586
   Frankreich                       109.069
 Deutschland                        107.663
        China                    81.802             Gelbe Balken: Stand vor
          Iran             62.589                   einer Woche

          UK              55.242
       Türkei          34.109
                                                    Quelle: Worldometers, eigene Darstellung

In der Europäischen Union zeigen sich trotz des weiteren Anstiegs der jemals
infizierten Personen deutliche Verbesserungen bei Betrachtung der Details. Die                 Deutliche Entspann-
prozentuale Zuwachsrate für Italien verringerte sich von 4,1 % vor einer Woche                 ung in Kontinental-
auf 2,8 % gemäß dem jüngsten Datenausweis der Weltgesundheitsorganisation                      europa.
von heute Nacht. In absoluten Zahlen ausgedrückt sank der tägliche Anstieg der
Neuinfektionen von seinem Hoch bei 6.500 am 22. März auf zuletzt 3.600
Personen. Zwar nimmt die Belastung des Gesundheitssystems damit weiter zu,
denn in der ersten Hälfte der laufenden Woche wurden nur 1.000 bis etwa 1.500
Menschen pro Tag als wieder gesund registriert. Doch die Entwicklung stimmt
zuversichtlich, so dass die Wende hoffentlich bald bevorsteht. In Spanien
halbierten sich die täglichen Neuinfektionen sogar von 8.500 am 1. April auf
zuletzt 4.273. Die drastischen Maßnahmen, zu denen ähnlich wie in Italien ein fast
komplettes Herunterfahren der Wirtschaftsaktivitäten gehört, zeigen demnach
eine positive Wirkung.
SONDERBERICHT: PANDEMIE-UPDATE                                                                                       3
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Auch für Deutschland dokumentieren die Statistiken ein Absinken der
Neuinfektonen. Die prozentuale Rate reduzierte sich binnen Wochenfrist von                       Zunahme der
9,0 % pro Tag auf 3,3 % gestern. Der absolute Wert fiel im gleichen Zeitraum per                 Neuinfektionen in
Saldo von 4.615 Infektionen auf 3.834. Allerdings schwanken die Zahlen etwas.                    Deutschland Ende
So meldete die Weltgesundheitsorganisation unter Berufung auf das Robert Koch-                   letzter Woche.
Institut (RKI) für den Donnerstag und Freitag der letzten Woche jeweils mehr als
6.100 neue Fälle. Der Grund für die Schwankungen dürfte unter anderem sein,
dass das RKI im Vergleich zu den Behörden anderer Länder wiederholt Daten mit
Verspätung weitergibt. Aber auch unabängig hiervon sanken die Neuinfektionen in
den letzten Tagen etwas langsamer als von uns erwartet.

              Corona-Epidemie: Tägliche Neuinfektionen in Deutschland
    70                                                                                   8.000
                     Anstieg in % (linke Skala)
    60               Absolute Werte, geglättet (rechte Skala)                            7.000
                     Absolute Werte (rechte Skala)                                       6.000
    50
                                                                                         5.000
    40
                                                                                         4.000
    30
                                                                                         3.000
    20
                                                                                         2.000
    10                                                                                   1.000

    0                                                                                    0
   26.02.2020        07.03.2020        17.03.2020        27.03.2020         06.04.2020
                                              Quelle: WHO, eigene Berechnung und Darstellung

Die etwas weniger positive Entwicklung der letzten Tagen zeigt sich auch in der                  Deutschland-Prognose
folgenden Grafik mit unserer epidemiologischen Prognose für Deutschland (siehe                   erweist sich als
nächste Seite). Ende März sanken die täglichen Neuinfektionen etwas stärker als                  Punktlandung.
von uns angenommen, so dass die Kurve mit den Ist-Werten leicht unter unserem
Prognosepfad lag. Der Wiederanstieg der letzten Tage machte diese erfreuliche
Entwicklung leider zunichte und beide Linien glichen sich wieder an. Heute
Morgen meldete das RKI einen Gesamtstand von 103.228 Fällen, während die
Funke-Mediengruppe unter Berufung auf Angaben aus den Bundesländern über
107.663 Infektionen berichtete. Unsere im Sonderbericht Pandemie-Update (Nr.
1) vom 16. März vorgestellte Prognose von 105.000 Fällen am heutigen Tag kann
demnach quasi als Punktlandung bezeichnet werden. Damals waren lediglich
3.795 Personen als infiziert festgestellt, so dass seitdem ein Anstieg um rund
2.800 % erfolgte.
SONDERBERICHT: PANDEMIE-UPDATE                                                                              4
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Ein fast haargenaues Abbild der gemeldeten Infektionen bietet bislang auch unse-      New York weiterhin
re Prognose für die USA, die sich aus 51 Einzelprognosen für die Bundesstaaten        am stärksten in den
und den Distrikt der Hauptstadt Washington zusammensetzt (siehe Grafik unten).        USA betroffen.
Der am stärksten betroffene Bundesstaat ist weiterhin New York mit 142.400 Fäl-
len (Verlaufsprognose 145.300 Fälle), gefolgt von New Jersey (44.400 Fälle,
prognostiziert 44.800 Fälle) und Michigan (19.000 Fälle, prognostiziert 18.400
Fälle). Darüber hinaus gleichen sich verschiedene Prognosefehler aus. In Kalifor-
nien grassiert das Virus mit 17.600 festgestellten Infektionen deutlich stärker als
von uns erwartet (11.100 Fälle). Umgekehrt liegen vor allem Texas und North
Carolina mit „nur“ 9.000 beziehungsweise 3.300 Fällen erfreulicherweise deutlich
unter unserer Prognose von 24.500 beziehungsweise 10.200 Fällen. Der Grund
hierfür ist, dass die vielen tausend Gemeinden in jenen Staaten selbst über ihre
Eindämmungsmaßnahmen entscheiden und wir die unterschiedliche Praxis in
unseren Modellen nicht ausreichend berücksichtigen können.
SONDERBERICHT: PANDEMIE-UPDATE                                                                               5
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Sorgen bereitet uns die Entwicklung in manchen Schwellenländern. Thailand,
                                                                                       Deutlicher Anstieg der
Indonesien und Indien zeigten in den letzten Wochen bislang das Bild einer
                                                                                       Fallzahlen in Indien...
deutlich gebremsten Virusverbreitung mit eher flach ansteigenden Kurven. Der
unten sichtbare unstetige Verlauf im Fall von Thailand und Indien ist vor allem das
Ergebnis einer unregelmäßigen Datenmitteilung an die WHO und insofern nicht
weiter relevant. In den letzten Tag schoss allerdings die Kurve für Indien auf mehr
als 4.000 Infizierte nach oben. Die Steigung entspricht einem unkontrollierten
Ausbruch, wie die Vergleichszahlen für Südkorea und die chinesische Provinz
Hubei sowie China ohne Hubei vom Januar in der linken Bildhälfte verdeutlichen.

     Gesamtzahl Corona-Infektionen nach Überschreiten der 100-Schwelle
5.000                                                                          5.000
4.500                                                                          4.500
4.000                                                   Hubei                  4.000
3.500                                                   Thailand               3.500
3.000                                                   Indien                 3.000
2.500                                                   Indonesien             2.500
2.000                                                   China ex Hubei         2.000
1.500                                                   Südkorea               1.500
1.000                                                                          1.000
  500                                                                          500
    0                                                                          0
        0      5     10     15   20   25    30     35     40       45    50
        I→   Anzahl Tage   →                  Quelle: WHO, CCDC, eigene Darstellung

In Indien findet das Virus leider optimale Bedingungen, nämlich eine große,            …und Brasilien.
oftmals dicht gedrängte und zugleich überwiegend arme Bevölkerung bei einem
unterdurchschnittlich ausgebauten Gesundheitssystem. Gelingt dort die
Eindämmung der Epidemie nicht, dann könnte der Subkontinent möglicherweise
in ein paar Wochen die USA als den am stärksten betroffenen Staat ablösen.
Chancen auf diesen traurigen Rekordplatz hat auch Brasilien, wo sich die Zahl der
Infektionen binnen Wochenfrist von 4.300 auf 11.100 fast verdreifachte. Unklar ist
natürlich auch hier das Ausmaß der Dunkelziffer. In Afrika belegt momentan die
Republik Südafrika mit 1.700 Fällen den ersten Platz.

Es gibt aber auch positve Beispiele aus den Schwellenländern. In Vietnam stellte
                                                                                       Vietnam: Zu arm für
man frühzeitig fest, dass man viel zu arm ist und sich eine Epidemie nicht leisten
                                                                                       eine Epidemie.
kann. Das mit 95 Mio. Menschen dicht bevökerte Land schloss deshalb die mehr
als 1.000 Kilometer lange Grenze zu China und weist gemäß den WHO-Berichten
einen nur sehr langsamen Anstieg der Infektionen auf zuletzt 245 Fälle aus. Ein
großer Teil dieser Menschen ist schon wieder genesen, nur vier Personen sind
gestorben. Einreisende vietnamesiche Staatsbürger müssen zunächst in
Quarantänelager. Gemäß Medienberichten betrifft dies ungefähr 50.000
Personen, die vor der Lungenseuche aus Europa und den USA in ihr Heimatland
geflohen sind. Auch sonst zeigt man sich konsequent. Als Mitte Februar mehrere
Fälle registriert wurden, stellte die Regierung eine Gemeinde mit mehr als 10.000
Einwohnern kurzerhand unter eine mehrwöchige Quarantäne. Die Überlegenheit
der Vietnamesen gegenüber den westlichen Industriestaaten beruht daneben
auch auf umfassenden Informationskampagnen für die Bevölkerung. So wurde
SONDERBERICHT: PANDEMIE-UPDATE                                                                                      6
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das Virus von Anfang an als große Bedrohung dargestellt und nicht als eine Art
Grippe verharmlost.

2. Die Lage auf den Aktienmärkten und in der Wirtschaft
Das schrittweise Übergreifen der Pandemie-Welle auf wichtige Volkswirtschaften                  Die Pandemie
hinterließ vor allem an den Aktienmärkten tiefe Spuren. Die wichtigsten Indizes                 beschert den
hatten noch kurz zuvor in einer Phase relativer Unbekümmertheit der Anleger                     Unternehmen
neue Mehrjahreshochs oder sogar Allzeithochs erreicht. Möglicherweise waren                     Verluste.
die Aktien deshalb für eine Kurskorrektur besonders anfällig. Aber auch ohne den
vorhergehenden Höhenflug der Notierungen gilt, dass die Maßnahmen gegen das
Virus, die von der Streichung einzelner Großveranstaltungen bis hin zum fast
vollständigen Stopp von Handel und Produktion reichen, die Unternehmen vieler
Branchen in die Verlustzone treiben würden. Da an den Aktienbörsen im
übertragenen Sinne die Gewinnaussichten von Unternehmen gehandelt werden,
sind Kursverluste die logische Konsequenz.

Der deutsche Leitindex DAX verlor ab Mitte Februar bis zum bisherigen Tiefstand
am 18 März etwa 5.500 Punkte beziehungsweise 40 %. Bemerkenswert ist vor                        Der Crash umfasste
allem der schnelle Ablauf dieser Entwicklung: In der vierten Februarwoche, als                  bislang lediglich
hierzulande Fasching gefeiert wurde und die Epidemie in Italien Fahrt aufnahm,                  wenige Wochen.
erfolgte der erste starke Einbruch. Die erste Märzwoche war von einem
Erholungsversuch gekennzeichnet, doch in der zweiten Märzwoche ging es an
den Börsen erneut abwärts, vor allem, da nun auch andere europäische Länder
stärker betroffen waren. In der dritten Märzwoche fielen die Aktienkurse zunächst
weiter, aber sie erreichten dann bei etwa 8.200 DAX-Punkten ein zumindest
vorläufiges Tief. Insofern umfasste der Absturz lediglich eine Zeitspanne von vier
Wochen.

Fast ebenso zügig verlief der seitherige Wiederanstieg der Aktien. Unter
Schwankungen erreichte der DAX zuletzt ein Niveau von etwa 10.300 Punkten.                      Erholung unter
Dies entspricht einem Zugewinn in Höhe von 26 % gemessen am Tiefstand,                          Schwankungen seit
beziehungsweise der Verlust seit Mitte Februar reduzierte sich auf 25 %. Für                    Mitte März.
andere wichtige Indizes gelten ähnliche Werte, wobei die prozentualen Verluste in
den USA etwas geringer ausfallen.

                  Aktienmärkte: DAX und S&P 500 seit Anfang 2015
15.000                                                                                  3.500
14.000                                                                                  3.300

13.000                                                                                  3.100
                                                                                        2.900
12.000
                                                                                        2.700
11.000
                                                                                        2.500
10.000
                                                                                        2.300
 9.000
                                                                                        2.100
 8.000                                                                                  1.900
 7.000                                                                                  1.700
                      DAX (linke Skala)          S&P 500 (rechte Skala)
 6.000                                                                                  1.500
      2015        2016           2017     2018        2019           2020
                                                 Quelle: Haver Analytics, eigene Darstellung
SONDERBERICHT: PANDEMIE-UPDATE                                                                                        7
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Aus Anlegersicht viel wichtiger als der Blick in den Rückspiegel ist natürlich die
Frage, wie es in den kommenden Wochen und Monaten weitergehen wird. Die                             Ein einfacher
relativ simple Antwort hierauf lautet, dass dies von der weiteren Entwicklung der                   theoretischer
Pandemie abhängt. Hält sich die Bevölkerung nicht an die Maßgaben zur                               Zusammenhang…
Virusbekämpfung, dann würde ein Wiederanstieg der Neuinfektionen resultieren,
und die Aktienkurse würden voraussichtlich erneut deutlich nachgeben.
Umgekehrt hätte ein plötzliches Ende der Epidemie das Potenzial, die Sorgen der
Anleger zu vertreiben und die Aktienkurse in neue Höhen zu katapultieren. Diesen
Zusammenhang veranschaulicht die nachfolgende Grafik andeutungsweise, in der
die täglichen Neuinfektionen im zunächst besonders stark betroffenen Italien
invertiert auf der linken Skala und der Stand des S&P 500 auf der rechten
abgetragen sind.

                     S&P 500 und Corona-Neuinfektionen in Italien
     0
                                                                                            3.200
 1.000
                                                                                            3.000
 2.000
                                                                                            2.800
 3.000
                                                                                            2.600
 4.000

 5.000                                                                                      2.400

 6.000                                                                                      2.200
                     Neuinfektionen Italien           S&P 500 (rechte Skala)
 7.000                                                                                      2.000
    21.02.2020         07.03.2020             22.03.2020          06.04.2020
                                                     Quelle: Haver Analytics, eigene Darstellung

In der Praxis halten wir hinsichtlich des weiteren Pandemie-Verlaufs eine Art
                                                                                                    …und dessen
Mittelweg für wahrscheinlich, wie wir ihn in den vergangenen Sonderberichten zur
                                                                                                    schwierige Umsetzung
Corona-Pandemie bereits beschrieben haben: Demnach dürfte der allmähliche                           in die Praxis.
Rückgang der Neuinfektionen in den westlichen Industrieländern ab Mai eine
schrittweise   Rücknahme       der     Eindämmungsmaßnahmen        ermöglichen.
Entsprechende Schritte wurden von Österreich und Dänemark bereits
angekündigt, und Deutschland dürfte mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung
entsprechend des Pandemie-Verlaufs folgen. Wie im letzten Sonderbericht
Pandemie-Update Nr. 4 erläutert, wäre dies in der ersten Maihälfte denkbar. Die
Bundesregierung wird am Dienstag nach Ostern über diese Frage beraten.

Bei der schrittweisen Lockerung dürften zunächst diejenigen Lebensbereiche im
Mittelpunkt stehen, die wirtschaftlich besonders relevant sind wie die                              Entscheidend ist die
Industrieprodukton. Anders könnte es im Tourismus aussehen. Da sich einige                          Auslastung des
Schwellenländer wie oben ausgeführt zu einer neuen Brutstätte des Virus                             Gesundheitssystems.
entwickeln, ist bis zur Marktreife eines Impfstoffes (voraussichtlich erst 2021)
weiterhin mit Reisebeschränkungen zu rechnen. Für die Regierungen handelt es
sich bei der Frage nach dem Ausstieg aus den Maßnahmen selbstverständlich um
ein thematisches Neuland. Man wird sich davon leiten lassen müssen, wie hoch
die freien Kapazitäten im Gesundheitssystem sind, beispielsweise die Anzahl der
Betten in den Intensivstationen der Krankenhäuser. Und bei Bedarf wird man
vermutlich auch wieder zu einschneidenderen Maßnahmen zurückkehren.
SONDERBERICHT: PANDEMIE-UPDATE                                                                            8
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Das beschriebene schrittweise Vorgehen bedingt für die Unternehmen je nach            Firmen sind
ihrer Branchenzugehörigkeit voraussichtlich eine unterschiedliche Länge der           unterschiedlich stark
Einschränkungen. Außerdem ist in der gegenwärtigen Krise in erster Linie der          betroffen…
Dienstleistungssektor betroffen und weniger das verarbeitende Gewerbe. Dies
wird beispielsweise mit Blick auf die Einkaufsmanagerindizes deutlich. Für das
verarbeitende Gewerbe ermittelte Markit-IHS im März für die USA einen Wert von
48,5 Punkten und für die EWU von 44,5 Punkten. Der Einbruch unter die
sogenannte Expansionsschwelle von 50 Punkten blieb demnach verhalten, und
der deutsche Einkaufsmanagerindex befindet sich aufgrund der Misere im
Automobilbau und dem US-chinesischen Handelsstreit ohnehin schon seit                 …und der
mehreren Monaten im Kontraktionsbereich. Viel drastischer ist dagegen der             Dienstleistungssektor
Absturz der Indizes für den Dienstleistungssektor (siehe Chart unten). Für die        leidet besonders.
USA ergab sich ein Einbruch auf 39,8 Punkte und die EWU steht bei 26,4
Punkten. Lediglich China weist bereits eine Erholung auf.

Diese Unterschiede bedingen wiederum, dass aktiv gemanagte Fonds momentan
eindeutig im Vorteil sind gegenüber passiven Anlageprodukten, die lediglich einen     Aktiv gemanagte
bestimmten Index nachbilden. Durch die aktive Titelselektion ist es möglich,          Produkte sind im
gezielt die bedeutenden Unterschiede zu berücksichtigen. Beispielsweise gaben         Vorteil.
verschiedene Luftfahrtgesellschaften in den letzten Tagen bekannt, ihre
Flugzeugflotten verkleinern zu wollen, da sie auch nach dem Ende der Pandemie
auf absehbare Zeit nicht mit einer Rückkehr zu dem Passagieraufkommen der
Vorkrisenzeit rechnen. Auf der anderen Seite profitieren manche Gesellschaften
aus dem Bereich der Informations- und Telekommunikationstechnologien sogar
von einem verstärktem Trend zu Internetkonferenzen und ähnlichem. Diese
Aufzählung ließe sich mit vielen Beispielen fortsetzen.

Ein weiterer, mit der Dauer des Shutdowns zusammenhängender Faktor ist der
Verschuldungsgrad      der   Unternehmen.      Manches      Unternehmen       ohne     Auch der Faktor Zeit
ausreichendes Finanzpolster dürfte trotz der gewährten Hilfskredite die Krise nicht    spielt eine Rolle.
überleben. In den letzten Tagen meldeten bereits verschiedene namhafte
Unternehmen Insolvenz an, oder sie stehen kurz davor.
SONDERBERICHT: PANDEMIE-UPDATE                                                                           9
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Auffällig ist, dass nahezu ausnahmslos alle Investmentbanken und
Marktbeobachter, mit denen wir uns in den letzten Tagen austauschten, von            Fast sämtliche
einem erneuten Rückgang der Aktienkurse in den kommenden Wochen                      Experten rechnen mit
ausgehen. Die Argumente hierfür wiederholen sich mit nur leichten Nuancen.           einer Fortsetzung des
Demnach würden Privatanleger vor allem die Dauer eines sogenannten                   Kurseinbruchs am
Bärenmarktes mit nachgebenden Kursen unterschätzen. Wie oben beschrieben             Aktienmarkt.
vollzog sich der Corona-Crash nur innerhalb von vier Wochen. Während der
Weltfinanzkrise 2008/09 hielt der Rückgang der Kurse dagegen von Ende 2007
bis März 2009 an. Und in der sogenannten Dotcom-Krise, die hierzulande auch
mit dem Stichwort „Neuer Markt“ und den Terroranschlägen vom 11. September
2001 in Verbindung gebracht wird, umfasste die Phase von den Höchst- zu den
Tiefständen sogar rund drei Jahre.

Zweitens ist das Ausmaß der wirtschaftlichen Verwerfungen durch den aktuellen
Shutdown noch nicht bekannt. Es wird sich erst mit den nächsten                      Was sagen die
Zwischenberichten der Unternehmen für das 1. Quartal in wenigen Tagen                „harten“ Unter-
beziehungsweise für das 2. Quartal ab Mitte Juli zeigen. Unter dem Eindruck sehr     nehmenszahlen?
schlechter betriebswirtschaftlicher Zahlen könnte demnach eine neue
Verkaufswelle auf dem Aktienmarkt beginnen. Drittens ist auch das Ausmaß der
„Zweitrundeneffekte“ unklar, womit Folgeschäden in der Realwirtschaft gemeint
sind, die durch die Epidemie an anderer Stelle losgetreten wurden. Ein einfaches
Beispiel hierfür ist die zuletzt in den USA sichtbare Entlassungswelle, die in den
vergangenen zwei Wochen mehr als 9 Mio Menschen traf. Es ist fraglich, ob die
Arbeitslosen nach der Pandemie ebenso schnell wieder einen Job finden, wie sie
den alten verloren. Folglich werden diese Privathaushalte zukünftig weitgehend
als Konsumenten ausfallen.

Die US-Investmentbank Goldman Sachs erwartet vor diesem Hintergrund ein
Einbruch des S&P 500 vom gegenwärtigen Stand bei 2.660 Punkten auf 2.000             Die Erfahrungen mit
Punkte in den kommenden Monaten und empfahl eine konservative Ausrichtung            vergangenen Krisen
der Depots. Auch hierzulande überwiegt die Skepsis. Verschiedene deutsche            leiten die gegenwärtig
Geldhäuser sehen den DAX, der sich aktuell bei 10.300 Punkten bewegt, in ein         die Prognosen.
paar Monaten bei 8.500 Punkten und können sich sogar Tiefstände unter 7.000
Punkten vorstellen. Bei diesen Prognosen spielen unter anderem die Erfahrungen
aus den Kurseinbrüchen der vergangenen Krisen eine große Rolle.

5. Fazit
In Europa entwickeln sich die Neuinfektionen allmählich nach unten. In Italien, wo    Positive Wirtschafts-
die Pandemie sehr früh ausbrach, und beispielsweise in Österreich, wo härtere         entwicklung im
Maßnahmen ergriffen wurden, ist dies etwas früher als in Deutschland der Fall.        zweiten Halbjahr
Doch auch hier dürfte in den kommenden Tagen immer stärker eine Diskussion            scheint möglich.
darüber einsetzen, wann die Maßnahmen gelockert werden können. Wie bereits
im letzten Sonderbericht beschrieben, sind erste Schritte in der Bundesrepublik in
der ersten Hälfte des Mai denkbar, wenn die Neuinfektionen spürbar zurückge-
hen. Den Höhepunkt der Neuinfektionen dürfte Deutschland jedenfalls schon vor
einiger Zeit überschritten haben. Etwas anders sieht es in den USA aus, wo die
Infektionen zumindest vorerst noch zunehmen werden. Und manche Schwellen-
länder stehen vermutlich erst am Beginn einer medizinischen Katastrophe.
SONDERBERICHT: PANDEMIE-UPDATE                                                                          10
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Dennoch könnte dem drastischen Wirtschaftseinbruch ab Ende des 1. Quartals in         Das Wirtschafts-
den westlichen Industriestaaten ab dem 3. Quartal ein Wiederaufschwung folgen.        wachstum dürfte 2020
Das BIP-Wachstum für das Gesamtjahr 2020 bliebe demnach zwar negativ. Wir             negativ ausfallen.
rechnen aktuell für Deutschland mit minus 5,5 % und für die USA mit minus 4,0 %
Doch an der Börse wird bekanntlich die Zukunft gehandelt, und insbesondere die
Aktienmärkte nahmen einen Teil der hoffentlich bald einsetzenden Erholung
schon vorweg.

Fast alle professionellen Marktbeobachter rechnen mit einem erneuten Rückgang
der Aktienkurse in den kommenden Wochen. Wir teilen einerseits die Sorgen un-         Mittel- bis langfristig
serer Kollegen, sind aber zumindest mittelfristig weit optimistischer. Die aktuelle   gehen wir von einer
Krise rührt nicht aus der Wirtschaft selbst her, wie dies während der Weltfinanz-     positiven Entwicklung
krise und der Dotcom-Krise der Fall war. Es handelt sich vielmehr um eine Unter-      der Aktienkurse aus.
brechung der Aktivitäten, die von außen bedingt ist. Nach dem Wegfall des Stör-
faktors kann das wirtschaftliche Leben allmählich wieder aufblühen, sofern die
Zweitrundeneffekte nicht allzu groß ausfallen. Wie beschrieben sind die Aussich-
ten von Branche zu Branche allerdings unterschiedlich zu beurteilen. Außerdem
gab es vor der Corona-Pandemie auch keine Überhitzungserscheinungen der
Wirtschaft, denen oft eine Rezession folgt, sobald ein passende Auslöser den
Anstoß hierfür gibt (2000: Zusammenbruch des neuen Markts, Terroranschläge;
2007: Hypothekenkrise). Für mittel- bis langfristig orientierte Anleger bietet das
gegenwärtige Niveau demnach durchaus Chancen. Dies gilt umso mehr, wenn es
in den kommenden Wochen tatsächlich zu einem neuen Rückgang der Kurse
kommen sollte.
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