SONDERHEFT | PSYCHISCHE GESUNDHEIT - AUSGABE DEZEMBER 2018 - BAUA

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SONDERHEFT | PSYCHISCHE GESUNDHEIT - AUSGABE DEZEMBER 2018 - BAUA
Arbeitsmedizin | Sozialmedizin | Umweltmedizin               www.asu-arbeitsmedizin.com

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                                                                                    53. Jahrgang
                                                                                  Dezember 2018
                                                                                   Gentner Verlag

Zeitschrif t für medizinische Prävention

Sonderheft | Psychische Gesundheit
Ausgabe Dezember 2018

Wissenschaft      Mentales Abschalten von der Arbeit als Erholungsindikator
Praxis     Regulativer Rahmen und programmatische Aktivitäten zur psychischen Gesundheit
Position    Verständnis und Versorgungsauftrag aus der arbeitsmedizinischen Perspektive

  Prävention und Arbeitsgestaltung

  Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt
SONDERHEFT | PSYCHISCHE GESUNDHEIT - AUSGABE DEZEMBER 2018 - BAUA
Arbeitsmedizin | Sozialmedizin | Umweltmedizin

                     Zeitschrif t für medizinische Prävention

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Foto: Thinkstock

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SONDERHEFT | PSYCHISCHE GESUNDHEIT - AUSGABE DEZEMBER 2018 - BAUA
Editorial       | ­
                                                                                                                                          3

                                                                                                                                                © BAuA / Sylwia Wisbar
Psychische Gesundheit
in der Arbeitswelt                                                                                   Isabel Rothe

M     it dem Projekt „Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt“
      hat die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin
(BAuA) eine systematische wissenschaftliche Standortbestimmung
                                                                      Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler qualitätsgesichert und
                                                                      anschließend in wissenschaftlichen Expertengesprächen reflektiert
                                                                      und konsolidiert wurden. Die so gewonnenen Ergebnisse konnten
zum Zusammenhang zwischen Arbeitsbedingungen und psychi-              wir im nächsten Schritt mit Fachkreisen des Arbeitsschutzes – allen
scher Gesundheit vorgenommen. Übergeordnetes Ziel war es,             voran dem Kuratorium der BAuA, den Akteuren der Gemeinsamen
einen Beitrag zu einer zentralen Herausforderung für Sicherheit       Deutschen Arbeitsschutzstrategie, den Sozialpartnern und der Politik
und Gesundheit in der Arbeit zu leisten: Eine zeitgemäße arbeits-     – ausführlich erörtern. Des Weiteren hatten wir die Gelegenheit, diese
weltbezogene Prävention, so unsere Überzeugung, muss psychi-          in wissenschaftlichen Jahrestagungen – der DGAUM, der GfA, der
sche Arbeitsbedingungsfaktoren – neben anderen Arbeitsbedingun-       DGPs und der DGPPN – vorzustellen. Das gesamte Projekt, das in-
gen – entsprechend ihrer Bedeutung in der modernen Arbeitswelt        nerhalb der BAuA durch wissenschaftliche Kolleginnen und Kollegen
berücksichtigen.                                                      dreier Fachbereiche übergreifend durchgeführt wurde, wurde durch
                                                                      einen Ausschuss des Wissenschaftlichen Beirats der BAuA intensiv
Dafür braucht es mehr als Appelle. Vielmehr ist entsprechendes        begleitet.
Zusammenhangswissen zur Wirkung von spezifischen Arbeitsbe-
dingungen auf die Gesundheit aufzubereiten und – wo erforderlich      Mit dem vorliegenden Sonderheft dürfen wir aus verschiedenen
– zusätzliches Wissen zu generieren. Des Weiteren gilt es, fundier-   fachlichen und fachpolitischen Perspektiven – in Beiträgen unseres
tes Gestaltungswissen zu entwickeln, mit dem Ziel, betriebliche In-   Wissenschaftlichen Beirats, von Autor/innen einzelner Überblicks-
terventionen für eine gesundheitsgerechte Arbeit unter dem Aspekt     arbeiten sowie der Themenverantwortlichen zu ausgewählten über-
der psychischen Belastung zu unterstützen. Nicht zuletzt ist es we-   greifenden Themen – unser Projekt nochmals vertiefend darstellen
sentlich, auch die Systeme und Vorgehensweisen des Arbeits- und       und weiterführende Fragestellungen thematisieren. Wir hoffen, dass
Gesundheitsschutzes weiterzuentwickeln. Dazu zählen Fragen der        wir damit zur wichtigen Debatte zur psychischen Gesundheit in der
Rechts- und Regelsetzung genauso wie etwa die Kompetenzentwick-       Arbeitswelt, die weiterhin vielerorts geführt wird, beitragen können.
lung der Akteure und die sachgerechte Verknüpfung der Primär-, Se-    Denn auch wenn in den vergangenen Jahren in Forschung, Arbeits-
kundär- und Tertiärprävention.                                        schutzpolitik und betrieblicher Praxis viele Aktivitäten gestartet und
                                                                      Fortschritte erzielt wurden, so gibt es doch eine erhebliche Lücke
Mit ihrem Projekt „Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt“ hatte    zwischen den Erfordernissen und der tatsächlichen Realisierung ei-
sich die Bundesanstalt vorgenommen, Zusammenhangswissen zu            ner zeitgemäßen, psychische Faktoren angemessen integrierenden
Arbeit und Gesundheit systematisch aufzubereiten und Gestaltungs-     Präventionsstrategie. Diese Lücke ist von den zentralen Akteuren
wissen wo immer möglich aus den vorhandenen Studien zu extra-         gemeinsam zu schließen oder mindestens weiter zu reduzieren.
hieren. Auch wollten wir Forschungslücken systematisch aufzeigen      Hierzu möchte die Bundesanstalt auch zukünftig bestmöglich bei-
und – im Rahmen abschließender Empfehlungen – übergreifenden          tragen.
Handlungsbedarf aufzeigen. Dafür wurden systematische Über-
sichtsarbeiten zu mehr als zwanzig arbeitsbezogenen psychischen       Isabel Rothe
Belastungsfaktoren erstellt, die durch jeweils einschlägige externe   Präsidentin der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin

                                                                                 ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 53 (Sonderheft) | 12.2018
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Zeitschrif t für medizinische Prävention

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Arbeitsmedizin | Sozialmedizin | Umweltmedizin

Zeitschrift für medizinische Prävention | 12.2018                                                                         www.asu-arbeitsmedizin.com

  Sonderheft | Psychische Gesundheit | Dezember 2018

 Editorial                                   3 Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt                I. Rothe

 Einführung                                  6 Prävention und Arbeitsgestaltung: Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt
                                                    M. Schütte, I. Rothe

 Wissenschaft                                9	Tätigkeitsspielräume in Produktionsaufgaben – Arbeitswissenschaftliche
                                               Erkenntnisse und Gestaltungsoptionen P.H. Rosen
                                            15 Führung und psychische Gesundheit F. Pundt, B. Thomson, D. Montano, A. Reeske
                                           20	Themenfeld „Arbeitszeit“              B. Beermann, A. M Wöhrmann

                                           25 Mentales Abschalten von der Arbeit als Erholungsindikator
                                                    J. Wendsche, A. Lohmann-Haislah, A. Schulz, I. Schöllgen

                                           32	Atypische Beschäftigung und psychische Gesundheit                      L. Hünefeld

                                           38 Der Arbeitsumgebungsfaktor „Lärm“ H. Sukowski

 Praxis                                    44 Regulativer Rahmen und programmatische Aktivitäten zur psychischen
                                              Gesundheit in der Arbeitswelt L. Adolph, J. Michel

 Position                                   51 Verständnis und Versorgungsauftrag aus der arbeitsmedizinischen
                                               Perspektive S. Letzel
                                           54 Psychische Gesundheit: Arbeitspsychologische Perspektive                      N.K. Semmer

                                           57 Zum Umgang mit psychischer Gesundheit                     K. Scheuch

                                           60 Psychische Gesundheit: Forschungsmethodische Perspektive                         E. Bamberg

                                           63 Psychische Gesundheit: Zukünftige Forschungsfelder                     G. Mohr

                                           67 Impressum

                                                                                       ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 53 (Sonderheft) | 12.2018
SONDERHEFT | PSYCHISCHE GESUNDHEIT - AUSGABE DEZEMBER 2018 - BAUA
einführung

Prävention und Arbeitsgestaltung:
Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt
M. Schütte                      Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Berlin
I. Rothe

ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2018; 53 (Sonderheft): 6–8

Einleitung                                                                        sätzlich eine entsprechende (Weiter-)Qualifizierung der Beschäftigten
                                                                                  sichergestellt ist. Der Gestaltungsanspruch sollte daher die Minde-
Entwicklungen in der Arbeitswelt, u.a. ausgelöst durch technische                 rung der Entstehung lebensstilbedingter Krankheiten, die Stärkung
Innovationen, die Globalisierung, den demografischen Wandel                       der gesundheitlichen Ressourcen sowie – dem Settingansatz Ar-
oder die zunehmende Dienstleistungsorientierung, verbunden                        beitsplatz/Betrieb (Webendörfer u. Oberlinner 2016) entsprechend
mit wechselnden Marktanforderungen, auf die die Unternehmen                       – eine die Gesundheit unterstützende Gestaltung der Lebens- und
in stärkerem Maße als bisher mit Restrukturierungen reagieren                     Arbeitsverhältnisse sowie Partizipations- und Kompetenzentwick-
(Eichhorst u. Buhlmann 2015), haben zu Verschiebungen der                         lungsmöglichkeiten der Beschäftigten einschließen.
Arbeitsanforderungen geführt, die sich u.a. in einem Rückgang der                     Dabei umfasst die Primärprävention die Reduktion bzw. Op-
physischen und einem Anstieg der psychischen Arbeitsbelastung                     timierung der auftretenden Belastung, die Bereitstellung von
zeigen. Damit entsteht die Notwendigkeit, die psychische Belastung                personalen, sozialen und materiellen Ressourcen (Tautz 2016)
konsequent in die Systeme und Vorgehensweisen des Arbeits- und                    sowie die Schaffung von Beteiligungswegen auf der Ebene der
Gesundheitsschutzes zu integrieren. Durch den Gesetzgeber erfolgte                Gestaltung von Aufgaben, der physikalischen Arbeitsumgebung
bereits 2013 eine Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG),                  und organisationaler Bedingungen, um Erkrankungen vorzubeu-
in dem nun in § 4 (Allgemeine Grundsätze) explizit die psychische                 gen und die Gesundheit zu fördern. Die Sekundärprävention, die
Gesundheit als Zielgröße genannt ist sowie in § 5 (Beurteilung der                auf die Früherkennung und Verhinderung des Fortschreitens einer
Arbeitsbedingungen) die psychische Belastung als eine mögliche                    gesundheitlichen Beeinträchtigung zielt, beinhaltet die Anpassung
Gefährdung bei der Arbeit explizit aufgeführt wird. Daneben wurden                eines existierenden Arbeitssystems zur Abwendung von Erkrankun-
weitere wichtige Initiativen und Programme gestartet wie                          gen. Die Tertiärprävention, die einem krankheitsbedingten Rückfall
  • die gemeinsame Erklärung von BMAS, DGB und BDA, die auf                       oder einer weiteren Verschlechterung des Gesundheitszustandes
    die Prävention psychischer Erkrankungen sowie eine erfolgrei-                 vorbeugen soll, erfordert die Kooperation von Präventionsakteuren
    che Wiedereingliederung von psychisch erkrankten Beschäftigten                verschiedener institutioneller Systeme (Betrieb, Krankenkassen, Ren-
    fokussiert (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Bundes-                tenversicherungen), wobei hier die ergonomische und individuelle
    vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände und Deutscher                   Arbeitsgestaltung sowie die Zuweisung eines gesundheitsgerechten
    Gewerkschaftsbund 2013),                                                      Arbeitsplatzes wesentlich sind. Idealerweise sollte prospektiv, d.h. be-
  • das Arbeitsprogramm und die Initiativen der Gemeinsamen                       reits bei der Planung von Arbeitssystemen, sowohl die zu erwartende
    Deutschen Arbeitsschutzstrategie, insbesondere der Schwer-                    physische als auch psychische Belastung systematisch berücksichtigt
    punkt „Stress reduzieren – Potenziale entwickeln“ oder                        werden.
  • die vom Ausschuss für Arbeitsmedizin erstellten Empfehlungen                      Die Ableitung von Handlungs- und Gestaltungswissen setzt die
    zur psychischen Gesundheit im Betrieb (Ausschuss für Arbeits-                 Kenntnis von Wirkmechanismen oder zumindest von Zusammen-
    medizin 2011).                                                                hängen zwischen der Arbeitsbelastung und deren gesundheitlichen
                                                                                  Folgen voraus. Mit dem Projekt „Psychische Gesundheit in der Ar-
Im Rahmen der Arbeitsgestaltung erhält damit bei der Konzeption                   beitswelt – Wissenschaftliche Standortbestimmung“ hat die Bundes-
von verhältnis- und verhaltensbezogenen Maßnahmen wie auch im                     anstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) im Auftrag der
Rahmen der Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention die psychi-                   Bundesregierung (Koalitionsvertrag zur 18. Legislaturperiode, S. 71)
sche Belastung einen stärkeren Stellenwert. Neben den Zielen, un-                 eine Aufbereitung des verfügbaren Wissens vorgelegt, die eine fun-
erwünschte Ereignisse oder Zustände zu verhindern, gesundheitliche                dierte Übersicht über arbeitsbezogene psychische Belastungsfaktoren
Schäden zu vermeiden, das Eintreten einer Erkrankung zu verzö-                    und deren Bezug zur Gesundheit gibt.
gern oder deren Auftrittsrisiko zu verringern (Letzel 2016), sind auch
Beteiligungsmöglichkeiten der Beschäftigten anzustreben, da neue                  Methodik und Ablauf des Projekts
Anforderungen wie zum Beispiel eine erweiterte, arbeitsbezogene
Erreichbarkeit, die Flexibilisierung von Arbeitszeiten oder auch die              Zur Ermittlung des zu den Zusammenhängen zwischen psychischen
adäquate Nutzung von Gestaltungsspielräumen einen betrieblichen                   Belastungsfaktoren und der psychischen Gesundheit verfügbaren
Dialog erfordern, der weiterhin nur dann gelingen kann, wenn zu-                  Wissens erfolgte eine systematische Literaturaufbereitung (Scoping
SONDERHEFT | PSYCHISCHE GESUNDHEIT - AUSGABE DEZEMBER 2018 - BAUA
psychische gesundheit in der arbeitswelt . Wissenschaft                               | ­
                                                                                                                                                7

Reviews), in der mehr als 20 Arbeitsbedingungsfaktoren, die sich

                                                                                                                                                      Foto: NicoElNino / Thinkstock
grob vier Themenfeldern – nämlich „Arbeitsaufgabe“, „Führung und
Organisation“, „Arbeitszeit“ und „Technische Faktoren“ – zuordnen
lassen, untersucht wurden (Projektphase 1: Wissensaufbereitung).
Ausgehend von einem umfassenden Gesundheitsverständnis
wurden sowohl befindensbezogene Folgen psychischer Belastung
(Ermüdung, Motivation, Arbeitszufriedenheit, psychosomatische
Beschwerden) als auch gesundheitlich beeinträchtigende Wirkungen
(psychische Störungen, Herz-Kreislauf- und Muskel-Skelett-
Erkrankungen) betrachtet (Rothe et al. 2017).
    Im Anschluss an die so vorgenommene Wissensaufbereitung
erfolgte die Validierung der erhaltenen Befunde (Projektphase 2:
Wissensvertiefung) einerseits im Rahmen sogenannter Experten­               Die Entwicklungen in der Arbeitswelt haben zu einem Anstieg
gespräche, an denen über 60 renommierte nationale sowie interna-            psychischer Belastung beigetragen
tionale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beteiligt waren,
sowie andererseits über die Präsentation der Ergebnisse auf zentralen       Erholung und Detachment (Wendsche et al. 2018) werden die Ergeb-
wissenschaftlichen Kongressen (Rothe et al. 2017).                          nisse zu zwei Merkmalen des Themenfelds „Arbeitszeit“ präsentiert,
    Auf Basis des so wissenschaftlich konsolidierten Wissensstandes         die beide durch die Flexibilisierungen in der Arbeitswelt und die damit
wurden in einem dritten Schritt (Projektphase 3: Wissensanwendung)          einhergehende Auflösung der Grenzen zwischen Arbeits- und Ruhe-
mit der Politik, einschlägigen Fachkreisen der Praxis sowie Vertretern      zeit von hoher Relevanz sind. Die exemplarisch für das Themenfeld
der Sozialpartner Umsetzungsmöglichkeiten im Arbeits- und                   „Technische Faktoren“ präsentierten Ergebnisse zum Faktor Lärm
Gesundheitsschutz diskutiert (Rothe et al. 2017) und im Rahmen              demonstrieren, dass die zur Vermeidung von Hörschädigungen exis-
einer Abschlussveranstaltung präsentiert als Beitrag für einen von          tierenden Grenzwerte für die Betrachtung von Wirkungen des Schalls
den Sozialpartnern und dem Bundesministerium für Arbeit und                 auf die psychische Gesundheit nicht ausreichend sind (Sukowski
Soziales getragenen Dialogprozess, der darauf zielt, die betriebliche       2018). Der Artikel von Adolph u. Michel (2018) gibt einen Überblick
Umsetzung geeigneter Maßnahmen für den Erhalt und die Stärkung              über den bestehenden, inhaltlich für die psychische Belastung und
der psychischen Gesundheit zu fördern.                                      Gesundheit relevanten regulativen Rahmen.
    Das Projekt wurde in all seinen drei Phasen von einem sich aus
Hochschullehrenden der Arbeitsmedizin und Arbeitspsychologie                Resümee: Arbeitsgestaltung und Prävention
zusammensetzenden Ausschuss des wissenschaftlichen Beirats der
BAuA begleitet: Entsprechend stellen die Beiträge von Scheuch (2018)        Die auf Grundlage des Arbeitszeitmonitorings (BAuA 2016)
und Letzel (2018) in diesem Heft das Vorhaben mit seinen Ergebnissen        sowie der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung (Bundesinstitut
in den Kontext der Arbeitsmedizin und der Artikel von Semmer (2018) in      für Berufliche Bildung u. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
den der Arbeitspsychologie. Der Aufsatz von Bamberg (2018) beschreibt       Arbeitsmedizin 2013) ermittelten Prävalenzen für die einzelnen im
forschungsmethodische und der von Mohr (2018) forschungsthematische         Projekt „Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt“ untersuchten
Konsequenzen, die sich aus der wissenschaftlichen Standortbestimmung        Arbeitsbedingungsfaktoren demonstrieren deren Aktualität und
zur psychischen Gesundheit ergeben.                                         Relevanz in der betrieblichen Realität.
                                                                                Die im Rahmen der Literaturaufbereitung insgesamt ge­
Befunde                                                                     wonnenen Befunde belegen, dass zwischen den betrachteten
                                                                            Arbeitsbedingungsfaktoren und den berücksichtigten Indikatoren
Die in diesem Heft dargestellten Befunde der Literaturaufbereitung          der psychischen Gesundheit bedeutsame Zusammenhänge
greifen zentrale Aspekte des Settings Arbeitsplatz/Betrieb auf: So stellt   bestehen, wobei der überwiegende Teil der ausgewerteten Studien
der Handlungs- und Entscheidungsspielraum (Rosen 2018) einen für            allerdings keine Kausalaussagen zulässt, so dass zukünftig verstärkt
die menschengerechte Aufgabengestaltung bedeutsamen Aspekt aus              Längsschnittuntersuchungen angestrebt werden sollten (Bamberg
dem Themenfeld „Arbeitsaufgabe“ dar, der auch Eingang in die in-            2018). Die Ergebnisse zeigen weiterhin, dass die Wirksamkeit von
ternationale Normung gefunden hat (DIN EN ISO 6385: 2016). Mit              Gestaltungsmaßnahmen prüfende Untersuchungen fehlen und
der Führung wird über einen Arbeitsbedingungsfaktor aus dem The-            somit derartige Studien künftig ebenfalls prioritär zu initiieren sind
menfeld „Führung und Organisation“ berichtet, der aufgrund seiner           (Bamberg 2018). Dennoch konnten in den Veröffentlichungen auch
Beziehungen zu anderen Faktoren, wie z.B. Arbeitszeit und Unsicher-         in der betrieblichen Praxis erprobte und sich bewährt habende
heitserleben, von hoher Relevanz ist (Pundt et al. 2018). Die atypische     Gestaltungsansätze identifiziert werden.
Beschäftigung (Hünefeld 2018), ebenfalls aus dem Themenfeld „Füh-               Bei der Arbeitsgestaltung sind sowohl bedingungs- als auch
rung und Organisation“, hat aufgrund politischer und wirtschaftlicher       verhaltensbezogene Ansätze gleichermaßen zu bedenken, da
Veränderungen immer mehr an Bedeutung gewonnen: Mittlerweile                Gestaltungsmerkmale wie z.B. Führung oder soziale Unterstützung
befindet sich gut ein Fünftel der abhängig Beschäftigten in einem           durch Interaktionen zwischen Akteuren geprägt sind und sich somit
solchen Beschäftigungsverhältnis (Statistisches Bundesamt o.J.). Mit        neben verhältnis- auch über verhaltensorientierte Maßnahmen
der Arbeitszeit (Beermann u. Wöhrmann 2018) sowie den Faktoren              umsetzen lassen. Daneben darf nicht übersehen werden, dass die

                                                                                       ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 53 (Sonderheft) | 12.2018
SONDERHEFT | PSYCHISCHE GESUNDHEIT - AUSGABE DEZEMBER 2018 - BAUA
­8   |   Wissenschaft . psychische gesundheit in der arbeitswelt

Qualifizierung der Beschäftigten angesichts der Dynamik der in der                  Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Bundesvereinigung der Deutschen
                                                                                    Arbeitgeberverbände, Deutscher Gewerkschaftsbund: Gemeinsame Erklärung
Arbeitswelt auftretenden Veränderungen ein ebenfalls wichtiges                      psychische Gesundheit in der Arbeitswelt. Bonn: Bundesministerium für Arbeit und
Element darstellt, um sicherzustellen, dass Arbeitstätigkeiten den                  Soziales, Referat Information, Publikation, Redaktion, 2013.
Fähigkeiten wie Fertigkeiten der Beschäftigten entsprechen und                      Bundesinstitut für Berufliche Bildung, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
weiter kompetent ausgeführt werden können. Darüber hinaus                           Arbeitsmedizin: Grundauswertung der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung
                                                                                    2012. Mit den Schwerpunkten Arbeitsbedingungen, Arbeitsbelastungen und
werden zukünftig bei der Entwicklung und Umsetzung von                              gesundheitliche Beschwerden. Dortmund: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Gestaltungsmaßnahmen Partizipations- und Aushandlungsprozesse                       Arbeitsmedizin, 2013.
einen höheren Stellenwert als bisher erhalten, da sich z.B. eine                    DIN EN ISO 6385:2016-12. Grundsätze der Ergonomie für die Gestaltung von
                                                                                    Arbeitssystemen. Berlin: Beuth, 2016.
ausgewogene Work-Life-Balance zu einem wichtigen Merkmal
einer sich an den Bedürfnissen der Beschäftigten orientierenden                     Eichhorst W, Buhlmann F: Die Zukunft der Arbeit und der Wandel der Arbeitswelt.
                                                                                    IZA Standpunkte, Nr. 77. Bonn: Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit, 2015.
Arbeitsgestaltung entwickelt.
                                                                                    Hünefeld L: Atypische Beschäftigung und psychische Gesundheit. ASU Arbeitsmed
   Die skizzierten, der Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention                    Sozialmed Umweltmed 2018; 53 (Sonderheft): 32–37.
zuzuordnenden Gestaltungsansätze verdeutlichen, dass sich alle                      Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD 2013, Deutschlands Zukunft
drei Präventionsformen insgesamt ergänzen und daher gemeinsam                       gestalten. https://www.bundesregierung.de/Content/DE/_Anlagen/2013/2013-12-17-
im Fokus der Arbeitsgestaltung stehen können (Rothe et al.                          koalitionsvertrag.pdf?__blob=publicationFile (zuletzt abgerufen am: 03.09.2018).

2017). So lässt sich nicht ausschließen, dass selbst bei optimalen                  Letzel S: Historische Entwicklung. In: Rieger M, Hildenbrand S, Nesseler T,
                                                                                    Letzel S, Nowak D (Hrsg.): Prävention und Gesundheitsförderung an der
Arbeitsbedingungen Beschäftigte in einem Betrieb tätig sind, die                    Schnittstelle zwischen kurativer Medizin und Arbeitsmedizin . Landsberg am Lech:
aufgrund einer Erkrankung Unterstützung in Form von sekundär-                       ecomed Medizin, 2016, S. 17–23.
oder tertiärpräventiven Maßnahmen benötigen. Der dadurch                            Letzel S: Verständnis und Versorgungsauftrag aus der arbeitsmedizinischen
ermöglichte Verbleib eines Mitarbeiters im Betrieb kann einen                       Perspektive. ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2018; 53 (Sonderheft): 51–53.

wichtigen Beitrag zur Genesung leisten, da Arbeit selbst als ein positiv            Mohr G: Psychische Gesundheit: Zukünftige Forschungsfelder. ASU Arbeitsmed
                                                                                    Sozialmed Umweltmed 2018; 53 (Sonderheft): 63–66.
auf die Gesundheit wirkender Faktor gilt. Ein derartiger Ansatz
                                                                                    Pundt F, Thomson B, Montano D, Reeske A: Führung und psychische Gesundheit.
verlangt ein koordiniertes Vorgehen der verschiedenen betrieblichen                 ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2018; 53 (Sonderheft): 15–19.
und überbetrieblichen Akteure, um Arbeitsgestaltungsmaßnahmen,                      Rosen PH: Tätigkeitsspielräume in Produktionsaufgaben – Arbeitswissenschaftliche
personenbezogene Unterstützungs- und Beratungsangebote sowie                        Erkenntnisse und Gestaltungsoptionen. ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed
die medizinisch-therapeutische Versorgung optimal aufeinander                       2018; 53 (Sonderheft): 9–14.

abzustimmen (Rothe 2016; Rothe et al. 2017), was den Aufbau und                     Rothe I: Ressourcen und Stressoren in der Arbeitswelt. ASU Arbeitsmed Sozialmed
                                                                                    Umweltmed 2016; 51: 809–812.
die Pflege von Kooperationsnetzwerken erfordert.
                                                                                    Rothe I, Adolph L, Beermann B, Schütte M, Windel A, Grewer A, Lenhardt U,
   Insgesamt zeigen diese Überlegungen einmal mehr die                              Michel J, Thomson B, Formazin M: Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt –
Notwendigkeit, Gestaltungswissen auf allen beschriebenen Ebenen                     Wissenschaftliche Standortbestimmung. Dortmund: Bundesanstalt für Arbeitsschutz
weiter auf- und auszubauen. Sie machen daneben aber auch deutlich,                  und Arbeitsmedizin, 2017.

wie wichtig der Einbezug unterschiedlicher Perspektiven sowie                       Scheuch K: Zum Umgang mit psychischer Gesundheit. ASU Arbeitsmed Sozialmed
                                                                                    Umweltmed 2018; 53 (Sonderheft): 57–59.
vielfältiger Akteure und damit ein interdisziplinäres, holistisches
                                                                                    Semmer NK: Psychische Gesundheit: Arbeitspsychologische Perspektive. ASU
Vorgehen bei der Lösung von Gestaltungsproblemen sind – eine                        Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2018; 53 (Sonderheft): 54–56.
Herausforderung, der sich der Arbeitsschutz stellen muss.
                                                                                    Statistisches Bundesamt: Atypische Beschäftigung. https://www.destatis.de/DE/
                                                                                    PresseService/Presse/Pressemitteilungen/2017/08/PD17_281_12211.html (zuletzt
interessenkonflikt: Die Autoren geben an, dass keine Interes-                       abgerufen am: 23.11.2018).
senkonflikte vorliegen.                                                             Sukowski H: Der Arbeitsumgebungsfaktor „Lärm“. ASU Arbeitsmed Sozialmed
                                                                                    Umweltmed 2018; 53 (Sonderheft): 38–43.

Literatur                                                                           Tautz A: Betriebliches Gesundheitsmanagement: Bedeutung von Primär-/Sekundär/-
                                                                                    Tertiärprävention. In: Rieger M, Hildenbrand S, Nesseler T, Letzel S, Nowak D
Adolph A, Michel J: Regulativer Rahmen und programmatische Aktivitäten zur          (Hrsg.): Prävention und Gesundheitsförderung an der Schnittstelle zwischen kurativer
psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt. ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed       Medizin und Arbeitsmedizin . Landsberg am Lech: ecomed Medizin, 2016, S. 23–34.
2018; 53 (Sonderheft): 44–50.
                                                                                    Webendörfer S, Oberlinner C: Sekundärprävention als Baustein im Betrieblichen
ArbSchG: Gesetz über die Durchführung von Maßnahmen des Arbeitsschutzes zur         Gesundheitsmanagement (BGM). In: Rieger M, Hildenbrand S, Nesseler T, Letzel
Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten bei der   S, Nowak D (Hrsg.): Prävention und Gesundheitsförderung an der Schnittstelle
Arbeit (Arbeitsschutzgesetz – ArbSchG). Arbeitsschutzgesetz vom 7. August 1996      zwischen kurativer Medizin und Arbeitsmedizin . Landsberg am Lech: ecomed
(BGBl. I S. 1246), zuletzt durch Artikel 427 der Verordnung vom 31. August 2015     Medizin, 2016, S. 201–207.
(BGBl. I S. 1474) geändert.
                                                                                    Wendsche J, Lohmann-Haislah A, Schulz A, Schöllgen I: Mentales Abschalten von der
Ausschuss für Arbeitsmedizin: Arbeitsmedizin – Psychische Gesundheit im Betrieb –   Arbeit als Erholungsindikator: Wirkungen, Einflussfaktoren und Gestaltungsansätze.
Arbeitsmedizinische Empfehlung. Bonn: Bundesministerium für Arbeit und Soziales,    ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2018; 53 (Sonderheft): 25–31.
Referat Information, Publikation, Redaktion, 2011.
Bamberg E: Psychische Gesundheit: Forschungsmethodische Perspektive. ASU
                                                                                    Für die Verfasser
Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2018; 53 (Sonderheft): 60–62.
                                                                                    apl. Prof. Dr. phil. Martin Schütte
Beermann B, Wöhrmann AM: Themenfeld „Arbeitszeit“. ASU Arbeitsmed Sozialmed         Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin
Umweltmed 2018; 53 (Sonderheft): 20–24.                                             Nöldnerstraße 40–42
Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin: Arbeitszeitreport Deutschland   10317 Berlin
2016. Dortmund: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, 2016.           schuette.martin@baua.bund.de

asu arbeitsmed sozialmed umweltmed 53 (sonderheft) | 12.2018
SONDERHEFT | PSYCHISCHE GESUNDHEIT - AUSGABE DEZEMBER 2018 - BAUA
Wissenschaft

Tätigkeitsspielräume in Produktionsaufgaben
– Arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse und
Gestaltungsoptionen

P.H. Rosen                      Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Dortmund

Abstract / Zusammenfassung

Job control in production tasks – findings and design                           Tätigkeitsspielräume in Produktionsaufgaben – Arbeits-
­options from labour studies                                                    wissenschaftliche Erkenntnisse und Gestaltungsoptionen
Objective: The German manufacturing sector plays an important role in the       Zielstellung: Produktionstätigkeiten und insbesondere Montagetätigkeiten
national labour market and the overall economy. Manufacturing jobs, espe-       zeichnen sich häufig durch einen hohen Automatisierungsgrad und repeti-
cially assembly tasks, are often characterised by high degrees and levels of    tive Aufgaben aus. Die organisationalen Strukturen sind eng mit der Gestal-
automation as well as repetitive work cycles. These organisational structures   tung von Arbeitsaufgaben und somit dem arbeitspsychologischen Konzept
are strongly correlated with the psychological concept of job control. The      des Tätigkeitsspielraums verbunden. Das Ziel des vorliegenden Beitrags ist
aim of this paper is to outline the scientific evidence regarding job control   es, Erkenntnisse zusammenzutragen, die den Zusammenhang zwischen
and its relationship with different outcome variables such as mental health,    dem Tätigkeitsspielraum und abhängigen Variablen wie Gesundheit, Befin-
wellbeing, motivation and performance. Further task design implications         den, Motivation und Leistung untersuchen.
are discussed.                                                                  Methode: Der Artikel fasst die Ergebnisse eines bereits veröffentlichten Re-
Methods: The article summarises the main results of an already pub-             views zusammen und diskutiert Gestaltungsaussagen basierend auf der Analyse.
lished scoping review and discusses task design recommendations based           Ergebnisse: In das Scoping Review wurden 106 Studien aufgenommen. Die
on the analysis.                                                                meisten waren Untersuchungen im Querschnitt und verwendeten subjek-
Results: The scoping review included 106 studies, most of which applied         tive Messverfahren. Es wurden die folgenden Kategorien gebildet, um die
a cross-sectional design and used subjective measures. Studies were cat-        Studien auszuwerten: horizontale Tätigkeitsmerkmale, vertikale Tätigkeits-
egorised into horizontal or vertical task characteristics and characteris-      merkmale, Merkmale der Arbeitsablauforganisation. Gesundheitsbezogene
tics of the work organisation. Health-related outcomes were studied most        Variablen wurden am häufigsten mit vertikalen und horizontalen Tätigkeits-
frequently with horizontal and vertical task characteristics. Both aspects      merkmalen untersucht. Beide Aspekte zeigen positive Zusammenhänge mit
show positive correlations with positive health outcomes, motivation, sat-      positiven Gesundheitsfolgen, Wohlbefinden, Motivation und Zufriedenheit.
isfaction and wellbeing, whilst showing negative correlations with negative     Negative Zusammenhänge zeigen sich hingegen mit negativen Gesundheits-
health outcomes such as depression. Although evidence on characteristics        folgen wie Depressivität. Die Befundlage zu Merkmalen der Arbeitsablauf-
of work organisation is rather limited, studies addressing these issues can     gestaltung ist vergleichsweise gering. Dennoch können diese Studien zur
be related to task design.                                                      Ableitung von Gestaltungsaussagen herangezogen werden.
Conclusions: Overall, the review shows that higher levels of job control        Schlussfolgerungen: Insgesamt zeigt das Review, dass ein höheres Aus-
are correlated with positive outcome variables such as wellbeing. Further       maß an Tätigkeitsspielräumen mit positiven gesundheitsbezogenen In-
research is needed to complement practical guides on how to design job          dikatoren, wie einem höheren Wohlbefinden, einhergeht. Allerdings ist
control in production tasks.                                                    weitere ­Forschung nötig, um Empfehlungen abzuleiten, wie Tätigkeits-
Keywords: task design – job control – decision latitude – production –          spielräume in Produktionsaufgaben menschengerecht gestaltet werden
manufacturing                                                                   können.
                                                                                Schlüsselwörter: Aufgabengestaltung – Tätigkeitsspielraum – Handlungs-
ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2018; 53 (Sonderheft): 9–14                  und Entscheidungsspielraum – Produktion
SONDERHEFT | PSYCHISCHE GESUNDHEIT - AUSGABE DEZEMBER 2018 - BAUA
­1 0   |   Wissenschaft . tätigkeitsspielräume in Produktionsaufgaben

 Abb. 1: Arbeitsplatzrotation und durchschnittliche Taktzeiten
Fig. 1: Workplace rotation and average cycle times                        zeiten oder Arbeitsplatzrotation stehen in direktem Zusammenhang
                                                                          mit dem arbeitspsychologischen Konzept des Tätigkeitsspielraums.

Betriebliche Rahmenbedingungen von                                        Mensch-Technik-Interaktion und Tätigkeitsspielräume
­Produktionsaufgaben                                                      bei Produktionsaufgaben

Das produzierende Gewerbe hat eine große Bedeutung für die deut-          Die Automatisierung von unterschiedlichen Funktionen innerhalb
sche Wirtschaftsleistung. Produktionsarbeit leistet seit zwei Jahrzehn-   komplexer Arbeitssysteme geht mit hohen Anforderungen an die Ar-
ten kontinuierlich einen Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) von       beitsgestaltung einher. Bei der Automatisierung von Prozessen können
rund 20 %. Im Jahr 2017 waren im Bereich Industrie/verarbeitendes         unterschiedliche Funktionen („degree of automation“, DOA) und diese
Gewerbe 7,9 Millionen Beschäftigte tätig (Destatis 2017). Aufgrund von    Funktionen in unterschiedlichem Ausmaß („level of automation“,
Wirtschaftlichkeitsüberlegungen sind Arbeitsplätze in der Produktion      LOA) durch Assistenzsysteme unterstützt werden (Parasuraman et al.
häufig durch hoch standardisierte und repetitive Tätigkeiten gekenn-      2000). Es lassen sich derzeit jedoch keine fundierten Aussagen über
zeichnet. Ergebnisse aus dem Arbeitszeitreport der Bundesanstalt für      den Zusammenhang zwischen der Funktionsteilung und der psychi-
Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (vgl. ➥ Abb. 1) charakterisieren         schen Gesundheit von Beschäftigten ableiten. Vorliegende Befunde zei-
typische Arbeitsbedingungen in der Produktion. Die Befragung er-          gen allerdings, dass sich sowohl Grad als auch Level der Automation
fasst in etwa 20 000 Erwerbstätige in Deutschland. Für den vorliegen-     auf die subjektive Beanspruchung auswirken. Gleichzeitig zeigt sich
den Beitrag wurden die gewichteten Daten von Vollzeitbeschäftigten        ein positiver Einfluss eines höheren Automatisierungsgrades auf die
(n = 1211) ausgewertet, die angegeben haben, in der Industrie und an      Leistung. Aussagen zu Zusammenhängen zwischen der Funktions-
Produktionsmaschinen- und Anlagen zu arbeiten (männlich = 85 %;           teilung mit langfristigen Beanspruchungsfolgen, Arbeitszufriedenheit
weiblich = 15 %). Die Teilstichprobe umfasste Personen zwischen 18        oder Motivation lassen sich nicht ableiten (Robelski 2016). Wenngleich
und 67 Jahren (MW = 43,14; SD = 11,31). Die Daten zeigen, dass 78 %       keine direkten Zusammenhänge zwischen dem Grad der Funktionstei-
der befragten Personen angeben, zwischen Arbeitsstationen zu rotie-       lung und unterschiedlichen Beanspruchungsfolgen beobachtbar sind,
ren; 45 % berichten, dass sie taktgebunden arbeiten; 37 % der Befragten   wird dennoch deutlich, dass Automatisierungsprozesse mit einer Um-
geben an, sowohl zwischen Arbeitsstationen zu rotieren als auch takt-     gestaltung von Aufgabenmerkmalen einhergehen. Automatisierung
gebunden zu arbeiten. 8 % der Befragten arbeiten nur taktgebunden         kann beispielsweise mit einer Veränderung der Wiederholungshäu-
und wechseln nicht zwischen einzelnen Arbeitsstationen.                   figkeit und Qualifizierungsanforderungen für Beschäftigte verbunden
   Für die gleiche Stichprobe wurde auch die durchschnittlich be-         sein (Balogh et al. 2006). Zudem wirkt sich eine zunehmende Auto-
richtete Taktzeit ausgewertet. Die Daten zeigen eine Häufung der          matisierung direkt auf die Möglichkeit aus, das eigene Arbeitstempo
Taktzeiten unter 10 Minuten. Rund zwei Drittel der Befragten be-          zu bestimmen (Rafnsdottir u. Gudmundsdottir 2004). Eine entspre-
richten im Durchschnitt in einem Takt von 10 Minuten oder weniger         chende Funktionsteilung führt also in jedem Fall zu einer Veränderung
zu arbeiten. Etwa ein Drittel der Befragten arbeiten in Taktzeiten von    von Arbeitsaufgaben und Tätigkeitsspielräumen bzw. erfordert deren
zwei Minuten oder weniger.                                                Gestaltung. Tätigkeitsspielräume stellen ein zentrales Merkmal von
   Um effiziente Produktionsbedingungen zu schaffen und diese             Arbeitsaufgaben dar (Hacker u. Sachse 2014; Ulich 2005). Robelski
auch zu halten, sind kurzzyklische Tätigkeiten und Automatisie-           kommt in einem Review zur Mensch-Maschine-Interaktion zu dem
rungslösungen ein fester Bestandteil von Produktionsaufgaben und          Schluss, dass die Funktionsteilung bei Automatisierungsprozessen vor-
beschreiben die betriebliche Realität vieler Tätigkeiten im produ-        nehmlich eine Veränderung der Tätigkeitsspielräume von Beschäftigten
zierenden Gewerbe. Der Grad der Automatisierung und die damit             zur Folge hat. Das Aufgabenmerkmal Tätigkeitsspielraum kann somit
einhergehenden, hier beschriebenen Aufgabenmerkmale wie Takt-             als verbindendes Element zwischen Automatisierungsprozessen und

ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 53 (Sonderheft) | 12.2018
tätigkeitsspielräume in Produktionsaufgaben . Wissenschaft                                    | ­
                                                                                                                                                11

                                                                                                     und allgemeinen Befindens- und Gesund-
                                                                                                     heitsindikatoren, Motivation, Arbeits-
                                                                                                     zufriedenheit sowie Leistung unter Be-
                                                                                                     rücksichtigung von Alter und Geschlecht.
                                                                                                     Berücksichtigt werden in dem Review Pro-
                                                                                                     duktions- und Montagetätigkeiten. Ferner
                                                                                                     wird auf Grundlage der eingeschlossenen
                                                                                                     Studien das verfügbare Gestaltungswissen
                                                                                                     analysiert zusammengefasst (Rosen 2016).

                                                                                                     Methodisches Vorgehen
                                                                                                     und ­Review-Prozess

                                                                                                     Das Scoping-Review wurde in Anlehnung an
                                                                                                     die Methode nach Arksey u. O’Malley (2005)
                                                                                                     erstellt. Auf dieser Basis wurde ein umfassender
                                                                                                     Suchstring entwickelt und in den Datenbanken
 Abb. 2: Übersicht der Auswertungskategorien
Fig. 2: Overview of analysis categories                                                              EBSCOhost, PubMed und WISO eingesetzt
                                                                                                     (zum methodischen Vorgehen ausführlich siehe
                                                                                                     Rosen 2016). Der Suchstring führte zu 3464
den Auswirkungen auf Beschäftigte betrachtet werden (Robelski 2016).        Treffern. Im Anschluss an die Recherche folgte ein zweistufiger Review-
Dieser Arbeitsbedingungsfaktor wurde für Produktionstätigkeiten, ei-        Prozess. Im ersten Analyseschritt wurden die Referenzen auf Basis von
nem Bereich mit hohem Automatisierungsanteil, in einem weiteren             Titeln, Abstracts und Keywords begutachtet. Nach dem ersten Analyse-
Review genauer untersucht (Rosen 2016).                                     schritt wurden 553 Studien zur Volltextsichtung eingeschlossen. Auf Basis
    Die zeitliche Organisation von Abläufen, die Wahl von Arbeitsmit-       dieser Volltextsichtung wurden weitere 447 Referenzen ausgeschlossen.
teln, die Gestaltung von Vorgehensweisen nach eigenen Zielsetzun-           106 Studien wurden final in das Review aufgenommen und narrativ zu-
gen oder die Möglichkeit, Arbeitsaufgaben selbst festlegen zu können,       sammengefasst. Im Sinne der Scoping-Review-Methode wurden für die
bestimmen den Tätigkeitsspielraum von Beschäftigten (Ulich 2005).           Studienselektion breite Einschlusskriterien formuliert. Studien wurden
Der Tätigkeitsspielraum gilt häufig als zentrales Merkmal gut gestal-       dann für die weitere Auswertung aufgenommen, wenn ein Aspekt des
teter Arbeitsaufgaben (Hacker u. Sachse 2014; Ulich 2005) und wird in       Tätigkeitsspielraums gemeinsam mit einer oder mehreren der definier-
vielen verschiedenen arbeitspsychologischen Theorien und Modellen           ten abhängigen Variablen untersucht wurde. Des Weiteren mussten die
beschrieben: beispielsweise im Job-Demand-Control-Modell (Karasek           Studien in deutscher oder englischer Sprache vorliegen sowie eine aus-
u. Theorell 1990), dessen Erweiterung, dem Job-Demand-Resources-            reichende Beschreibung der untersuchten Variablen vorliegen. Effektstär-
Modell (Bakker et al. 2003), dem Job-Characteristics-Modell (Hackman        ken der einzelnen Studien wurden, soweit möglich, standardisiert und
u. Oldham 1976), der Handlungsregulationstheorie (Hacker 1973; Vol-         in Korrelationskoeffizienten überführt (Lenhard u. Lenhard, o.J.). Die
pert 1974) oder aber dem Vitaminmodell (Warr 1987).                         Bewertung der Effektstärken erfolgte nach Cohen (1988).
    Das Konzept des Tätigkeitsspielraums ist darüber hinaus Bestandteil
von untergesetzlichem Regelwerk (DIN EN 2941-2: 1993, DIN EN ISO            Ergebnisse
6385: 2016). So werden beispielsweise in der Technischen Regel für Be-
triebssicherheit (TRBS 1151 „Gefährdungen an der Schnittstelle Mensch       Die inhaltliche Strukturierung der extrahierten Studien fand auf Ba-
– Arbeitsmittel – Ergonomische und menschliche Faktoren, Arbeitssys-        sis der Operationalisierung der unabhängigen Variablen statt. Aus-
tem“) unzureichende Handlungs- und Entscheidungsspielräume als              gehend von den theoretischen Grundlagen zum Tätigkeitsspielraum
mögliche Gefährdung beschrieben. Die Vermeidung von gesundheits-            nach Ulich sowie den Merkmalen der horizontalen Tätigkeitserwei-
schädlicher Taktarbeit wird hier als Schutzmaßnahme angeführt.              terung und vertikalen Tätigkeitserweiterung (Herzberg 1966; Ulich
    Das Konzept des Tätigkeitsspielraums hat Eingang in viele einschlä-     2005) wurde ein Auswertungsrahmen abgeleitet. Dieser beinhaltet
gige arbeitswissenschaftliche Theorien und Modelle sowie in arbeits-        drei Merkmalskategorien, denen die einzelnen Studien zugeordnet
schutzrelevante Grundlagen gefunden. Dennoch lässt sich feststellen,        wurden: horizontale Tätigkeitsmerkmale, vertikale Tätigkeitsmerk-
dass nicht nur das Konzept als solches jeweils mit einer unterschied-       male und Merkmale der Arbeitsablauforganisation. In der Kategorie
lichen Schwerpunktsetzung dargestellt wird. Es zeigt sich auch, dass        horizontale Tätigkeitsmerkmale werden Studien zusammengefasst,
kaum konkretes Wissen in Bezug auf die spezifische Wirkung des Fak-         die strukturell gleichartige Tätigkeiten betrachten, wie beispielsweise
tors vorhanden ist. Insbesondere die Ableitung von konkretem Gestal-        Routinisierung oder repetitive Tätigkeiten. Merkmale wie Arbeits-
tungswissen für die Praxis in Bezug auf Tätigkeitsspielräume erweist sich   platzrotationen, Zeit- oder Methodenspielräume werden ebenfalls
als schwierig und stellt betriebliche Akteure vor Herausforderungen,        unter diesem Merkmal zusammengefasst. In die Kategorie der ver-
auch in der Anwendung des untergesetzlichen Regelwerks.                     tikalen Tätigkeitsmerkmale fallen Studien, die strukturell verschie-
    Daher untersucht das Scoping-Review zunächst den Zusam-                 dene Aufgaben betrachten und sich vermehrt auf das Konzept des
menhang zwischen dem Aufgabenmerkmal Tätigkeitsspielraum                    Entscheidungsspielraums beziehen. Dazu gehören Aufgaben, die die

                                                                                       ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 53 (Sonderheft) | 12.2018
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                                                                                                              am häufigsten gemeinsam mit Gesund-
                                                                                                              heitsindikatoren untersucht werden. Mo-
                                                                                                              tivation und Arbeitszufriedenheit werden
                                                                                                              am zweithäufigsten mit Aspekten des
                                                                                                              Tätigkeitsspielraums untersucht. Die Un-
                                                                                                              tersuchung des Zusammenhangs mit Be-
                                                                                                              findens- und Leistungsvariablen erfolgt in
                                                                                                              den betrachteten Studien deutlich seltener.
                                                                                                              Eine Verteilung der untersuchten Zusam-
                                                                                                              menhänge und die Bewertung der Zusam-
                                                                                                              menhänge auf Grundlage der Effektstärke
                                                                                                              nach Cohen (1988) ist in ➥ Tabelle 1
                                                                                                              dargestellt. Variablen zur psychischen Ge-
                                                                                                              sundheit (z. B. depressive Symptome) sind
                                                                                                              als Teilmenge allgemeiner Gesundheits-
                                                                                                              maße gesondert aufgeführt. Hier unter-
 Abb. 3: Anzahl Studien zwischen den abhängigen Variablen und den Merkmalsklassen
Fig. 3: Number of studies between the dependent variables and the characteristics classes                     scheidet  sich die Stärke der beobachteten
                                                                                                              Effekte zu den Variablen des allgemeinen
Gelegenheit zur unterschiedlichen aufgabenbezogenen Tätigkeitsre-                    Gesundheitszustands (z. B. Muskel-Skelett-Beschwerden). Über
gulation bieten (Hacker 1973; Volpert 1974). In der dritten Kategorie                die einzelnen Merkmalskategorien hinweg zeigen sich Zusam-
der Arbeitsablauforganisation werden solche Studien zusammenge-                      menhänge schwacher bis mittlerer Stärke.
fasst, die vornehmlich Ablaufmerkmale wie Gruppenarbeit, Taktzei-                        Eine detaillierte Beschreibung der Ergebnisse hinsichtlich der
ten oder einzelne Fertigungs- bzw. Gestaltungsprinzipien, z.B. kon-                  einzelnen Auswertungskategorien findet sich in Rosen (2016). So
tinuierliche Verbesserungsprozesse (KVP), betrachten. ➥ Abbildung 2                  zeigen sich insgesamt positive Assoziationen zu Variablen wie einem
veranschaulicht die Auswertungskategorien.                                           guten Gesundheitszustand, Motivation, Arbeitszufriedenheit, Wohl-
                                                                                     befinden und auch Leistungsparametern. Die Abwesenheit verti-
Merkmalsübergreifende Analysen                                                       kaler und horizontaler Tätigkeitsmerkmale hingegen zeigt negative
                                                                                     Zusammenhänge zu diesen Variablen. Beide Tätigkeitsmerkmale
Die in das Review eingeschlossenen Quellen umfassen Studien aus                      hängen negativ mit verschiedenen Gesundheitsbeschwerden wie
den Jahren zwischen 1960 und 2014, wobei die meisten Studien aus                     Muskel-Skelett-Beschwerden, Burnout-Facetten oder depressiven
den Jahren zwischen 2000 bis 2009 stammen (45 %). Hinsichtlich der                   Symptomen zusammen. So ist beispielsweise das Ausmaß an Irrita-
Populationsverteilung zeigt sich, dass mit 29 % der größte Teil der                  tion geringer ausgeprägt, wenn die Beschäftigten subjektiv über ein
Studien aus dem Bereich der Herstellung unterschiedlicher Güter                      höheres Maß an Entscheidungsspielraum und Aufgabenautonomie
wie Glas oder Stahl stammen. 23 % der Studien beziehen sich auf                      verfügen. Geringe Handlungsspielräume hingegen gehen mit dem
die Automobilbranche und 10 % der Studien auf die Herstellung von                    Auftreten von Muskel-Skelett-Beschwerden und psychischen Er-
Elektronikgeräten. Die verbleibenden Studien weisen vermischte                       krankungen einher (Alipour et al. 2009; Gerr et al. 2014; Inoue et al.
Stichproben aus unterschiedlichen Produktionsbereichen auf.                          2010; Michel et al. 2011). Vereinzelt lassen sich jedoch auch konträre
   Die Messung des Arbeitsbedingungsfaktors erfolgt in 65 % der                      Befunde feststellen, die nicht dem eben beschriebenen Schema fol-
Studien über subjektive Erhebungsmethoden, von denen bei 20 % der                    gen. So berichten beispielsweise Joensuu et al. (2010), dass ein hohes
Job Content Questionaires (JCQ) (Karasek et al. 1998) zum Einsatz                    Maß an Entscheidungsbefugnis mit alkoholinduzierten Störungen
kommt. 17 % der Studien basieren auf einer objektiven Tätigkeits-                    sowie depressiven Störungen korrespondiert. Allerdings ist die An-
beschreibung, wobei hier eine Beschreibung des gesamten Arbeits-                     zahl solcher Befunde eher gering. Die Effekte für Merkmale der Ar-
systems im Vordergrund steht und nicht explizit die Beschreibung                     beitsablaufgestaltung weisen ein ähnliches Muster auf, sind jedoch
der jeweiligen Tätigkeitsspielräume. Die Mehrzahl der in das Review                  insgesamt als schwächer zu bewerten. Auch hier ist die Operationa-
aufgenommenen Arbeiten (58 %) stellen Querschnittsstudien dar.                       lisierung entscheidend. So geht beispielsweise eine Zykluszeit von
20 % der Studien sind Untersuchungen im Längsschnitt.                                weniger als einer Minute mit vermehrtem psychischem Stress einher
   ➥ Abbildung 3 zeigt die Einteilung der Studien anhand ihres Un-                   (Melamed et al. 1995).
tersuchungsgegenstandes. Dargestellt ist die Anzahl der Studien pro
Merkmalskategorie der unabhängigen Variable in Kombination mit                       Gestaltungsaussagen für die betriebliche Praxis
den vier Gruppen der abhängigen Variablen (Gesundheit, Befinden,
Motivation/Arbeitszufriedenheit und Leistung).                                       Im Rahmen des Scoping Reviews bestand ein weiteres Ziel darin,
   Die Auswertung der eingeschlossenen Referenzen zeigt, dass                        neben Zusammenhängen zwischen dem Arbeitsbedingungsfaktor
die meisten Befunde zu vertikalen Tätigkeitsmerkmalen vorliegen.                     und den einzelnen Outcome-Variablen Gestaltungsaussagen für
Horizontale Tätigkeitsmerkmale werden am zweithäufigsten un-                         die betriebliche Praxis aus den Studien zu extrahieren. Dabei kann
tersucht, Merkmale der Arbeitsablauforganisation hingegen sel-                       zwischen Gestaltungshinweisen, Gestaltungsempfehlungen und
tener. Es zeigt sich für alle drei Merkmalskategorien, dass diese                    Gestaltungswissen unterschieden werden (Rothe et al. 2017). Die

ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 53 (Sonderheft) | 12.2018
tätigkeitsspielräume in Produktionsaufgaben . Wissenschaft                                        | ­
                                                                                                                                                          13

 Tabelle 1: Zusammenhänge zwischen Merkmalen des Arbeitsbedingungsfaktors und abhängigen                        Planung von Arbeitssystemen mit berück-
Variablen (Bewertung nach Cohen und Anzahl der Zusammenhänge)                                                   sichtigt werden.
Table 1: Relationships between characteristics of the work-related factors and dependent variables (analysis
based on Cohen and number of relationships)
                                                                                                                Bewertung und Diskussion
 Tätigkeits-        Gesundheit        Psych.            Befinden           Motivation/       Leistung
 merkmal                              ­Gesundheit                          AZ                        Der vorliegende Beitrag betrachtet den Fak-
  Vertikal         Schwach (35)     Mittel (8)    Schwach (6)   Mittel (9)         Schwach (6)       tor Tätigkeitsspielraum speziell bezogen
                                                                                                     auf Produktionsaufgaben. Eine ergänzende
  Horizontal       Schwach (11)     Mittel (7)    Schwach (9)   Mittel (8)         Schwach (6)
                                                                                                     Zusammenstellung arbeitswissenschaftli-
  Arbeitsablauf    Schwach (5)      Schwach (5)   Tendenz (3)   Tendenz (6)        Mittel (5)
                                                                                                     cher Erkenntnisse zu den Wirkungen des
                                                                                                     Arbeitsbedingungsfaktors außerhalb von
Ableitung von konkreten Aussagen zur Gestaltung des Tätigkeits-             Produk­tionstätigkeiten findet sich bei Bradtke et al. (2016).
spielraums aus den analysierten Studien stellt eine Herausforderung             Für den Bereich der Produktionstätigkeiten zeigt die Mehrzahl der
dar. In vielen Studien wird der Arbeitsbedingungsfaktor häufig selbst       Studien, dass horizontale und vertikale Tätigkeitsmerkmale jeweils
als Gestaltungselement angeführt, ohne diesen weiter zu konkreti-           in gesundheitsförderlicher und gesundheitsbeeinträchtigender Aus-
sieren. So beschreiben Studien häufig lediglich das Vorliegen oder          prägung vorliegen können. Beide Merkmale weisen deutliche Zu-
Nichtvorliegen von Handlungs- und Entscheidungsspielräumen auf              sammenhänge mit den abhängigen Variablen Gesundheit, Befinden,
der Basis von erhobenen Fragebogendaten. Zeigen die Daten eine              Motivation/Arbeitszufriedenheit und Leistung auf.
geringe Ausprägung des Merkmals, so empfehlen Gestaltungshin-                   Für beide Tätigkeitsmerkmale zeigt sich, dass ihr Fehlen mit ein-
weise der Autoren häufig, die Tätigkeitsspielräume zu erhöhen. Es           zelnen Burnout-Facetten oder depressiven Symptomen einhergeht.
wird jedoch selten weiter konkretisiert, welche Maßnahmen dazu              Das Vorhandensein der Merkmale hingegen hat einen positiveren
genutzt werden können oder welche spezifische Facette des Tä-               subjektiven Gesundheitszustand zur Folge. Ein ähnliches Zusam-
tigkeitsspielraums adressiert werden soll. Lediglich für die Facette        menhangsmuster lässt sich auch bei der Motivation und Arbeitszu-
des Zeitspielraums lassen sich Gestaltungsempfehlungen für den              friedenheit erkennen: Ist die Arbeit durch das Vorliegen horizontaler
Arbeitsbedingungsfaktor ableiten. So verweisen einige Studien da-           und vertikaler Tätigkeitsmerkmale gekennzeichnet, können höhere
rauf, dass Beschäftigte die Möglichkeit erhalten sollten, die eigene        Arbeitszufriedenheitswerte beobachtet werden. Sind die Merkmale
Arbeitsgeschwindigkeit sowie die zeitlichen Abläufe anpassen bzw.           nicht vorhanden, sind Fluktuation sowie Abwesenheiten häufiger.
kontrollieren zu können (Bergstrom et al. 2007; Frieling et al. 2008;           Die extrahierten Studien zeigen insgesamt, dass vertikale Tätig-
Leclerc et al. 1998). Dies gilt insbesondere, wenn mit schwerem Gerät       keitsmerkmale im Vergleich zu den anderen Merkmalen häufiger un-
und Maschinen gearbeitet wird (Cheung et al. 2014). Darüber hin-            tersucht werden. Dieser Fakt ist jedoch sicherlich auch der Tatsache
aus wird auch empfohlen, systematische Arbeitsplatzrotationen und           geschuldet, dass der Job Content Questionnaire, mit dem vertikale
Tätigkeitswechsel vorzusehen (Frieling et al. 2008; Jorgensen 2005).        Tätigkeitsmerkmale erhoben werden, ein sehr verbreitetes Instru-
Die Empfehlung der Autoren lautet weiterhin, dass Arbeitsplatzro-           ment ist und auch in vielen Sprachen vorliegt.
tationen nicht nur als temporäre Maßnahme eingesetzt, sondern als               Die Analyse der Studien zeigt weiter, dass der Arbeitsbedin-
fester Bestandteil in den Produktionsprozess implementiert werden           gungsfaktor in der Regel dichotom (vorhanden – nicht vorhanden)
sollten. Eine Gestaltungsempfehlung hinsichtlich der konkreten              betrachtet wird. Es erfolgt selten eine Darstellung in verschiedenen
Dauer oder einer genauen Rotationsanzahl kann aus den Studien               Abstufungen. Lediglich die Untersuchung von Joensuu et al. (2010)
allerdings nicht abgeleitet werden. Ferner lassen sich Studien fin-         betrachtet den Tätigkeitsspielraum differenzierter. Sie beschreiben
den, die empfehlen, repetitive Tätigkeit zu vermeiden (Bergstrom et         den Arbeitsbedingungsfaktor mit den Abstufungen gering – mittel
al. 2007) bzw. den Entscheidungsspielraum bei komplexeren Tätig-            – hoch. Ferner lässt sich eine Unterscheidung zwischen vertikalen
keiten zu erhöhen und Arbeitsaufgaben somit im Sinne einer voll-            und horizontalen Tätigkeitsmerkmalen aus der Theorie gut ableiten,
ständigen Tätigkeit ganzheitlicher zu gestalten (Holman et al. 2012).       jedoch scheinen sich diese Überlegungen nicht in der Messpraxis
Gestaltungswissen hinsichtlich der spezifischen Gestaltung von              wiederzufinden. Die Varianz der verwendeten Messinstrumente ist
Tätigkeitsspielräumen lässt sich aus den analysierten Studien nicht         gering und somit auch das Spektrum der fokussierten Facette des
ableiten. Allerdings lassen Untersuchungen, die die direkten Bezie-         Tätigkeitsspielraums. Weiter enthalten Studien selten eine konkrete
hungen zwischen Merkmalen der Arbeitsablauforganisation und                 Beschreibung des Arbeitssystems sowie der Arbeitsaufgabe. Damit
dem Arbeitsbedingungsfaktor im Rahmen von Interventionsstudien              bleibt die Beschreibung des Aufgabenmerkmals Tätigkeitsspielraum
analysieren, die Ableitung von Gestaltungswissen zu. Hier zeigt sich        in der Regel abstrakt und beschränkt sich auf die Nennung von Bei-
vor allem, dass Lean-Production-Prinzipien und serielle (Fließband-)        spiel-Items der verwendeten Messinstrumente.
Organisation von Produktionsprozessen sich nicht positiv auf den Tä-            Die Analyse der Gestaltungsaussagen zeigt ein heterogenes Bild. Ei-
tigkeitsspielraum auswirken. Organisationsformen wie teilautonome           nerseits besteht große Einigkeit in der Literatur dahingehend, dass der
Arbeitsgruppen, flexible Fertigungsprinzipien oder die Umsetzung            Tätigkeitsspielraum selbst als Gestaltungsressource betrachtet wird. In
eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses (KVP) hingegen sind           den allermeisten Studien wird ein Vorhandensein oder eine Erhöhung
mit höheren Tätigkeitsspielräumen verbunden. Somit wirkt sich die           von Spielräumen empfohlen und auch aus dem Zusammenhang zwi-
Gestaltung der Arbeitsablauforganisation direkt auf die Gestaltung          schen Arbeitsablaufmerkmalen und den jeweils erlebten Tätigkeitsspiel-
des Aufgabenmerkmals Tätigkeitsspielraum aus und sollte bei der             räumen lassen sich Hinweise auf eine gute Gestaltung des Merkmals

                                                                                                   ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 53 (Sonderheft) | 12.2018
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