SONDERHEFT | PSYCHISCHE GESUNDHEIT - AUSGABE DEZEMBER 2018 - BAUA
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Arbeitsmedizin | Sozialmedizin | Umweltmedizin www.asu-arbeitsmedizin.com E 4375 53. Jahrgang Dezember 2018 Gentner Verlag Zeitschrif t für medizinische Prävention Sonderheft | Psychische Gesundheit Ausgabe Dezember 2018 Wissenschaft Mentales Abschalten von der Arbeit als Erholungsindikator Praxis Regulativer Rahmen und programmatische Aktivitäten zur psychischen Gesundheit Position Verständnis und Versorgungsauftrag aus der arbeitsmedizinischen Perspektive Prävention und Arbeitsgestaltung Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt
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Editorial | 3 © BAuA / Sylwia Wisbar Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt Isabel Rothe M it dem Projekt „Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt“ hat die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) eine systematische wissenschaftliche Standortbestimmung Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler qualitätsgesichert und anschließend in wissenschaftlichen Expertengesprächen reflektiert und konsolidiert wurden. Die so gewonnenen Ergebnisse konnten zum Zusammenhang zwischen Arbeitsbedingungen und psychi- wir im nächsten Schritt mit Fachkreisen des Arbeitsschutzes – allen scher Gesundheit vorgenommen. Übergeordnetes Ziel war es, voran dem Kuratorium der BAuA, den Akteuren der Gemeinsamen einen Beitrag zu einer zentralen Herausforderung für Sicherheit Deutschen Arbeitsschutzstrategie, den Sozialpartnern und der Politik und Gesundheit in der Arbeit zu leisten: Eine zeitgemäße arbeits- – ausführlich erörtern. Des Weiteren hatten wir die Gelegenheit, diese weltbezogene Prävention, so unsere Überzeugung, muss psychi- in wissenschaftlichen Jahrestagungen – der DGAUM, der GfA, der sche Arbeitsbedingungsfaktoren – neben anderen Arbeitsbedingun- DGPs und der DGPPN – vorzustellen. Das gesamte Projekt, das in- gen – entsprechend ihrer Bedeutung in der modernen Arbeitswelt nerhalb der BAuA durch wissenschaftliche Kolleginnen und Kollegen berücksichtigen. dreier Fachbereiche übergreifend durchgeführt wurde, wurde durch einen Ausschuss des Wissenschaftlichen Beirats der BAuA intensiv Dafür braucht es mehr als Appelle. Vielmehr ist entsprechendes begleitet. Zusammenhangswissen zur Wirkung von spezifischen Arbeitsbe- dingungen auf die Gesundheit aufzubereiten und – wo erforderlich Mit dem vorliegenden Sonderheft dürfen wir aus verschiedenen – zusätzliches Wissen zu generieren. Des Weiteren gilt es, fundier- fachlichen und fachpolitischen Perspektiven – in Beiträgen unseres tes Gestaltungswissen zu entwickeln, mit dem Ziel, betriebliche In- Wissenschaftlichen Beirats, von Autor/innen einzelner Überblicks- terventionen für eine gesundheitsgerechte Arbeit unter dem Aspekt arbeiten sowie der Themenverantwortlichen zu ausgewählten über- der psychischen Belastung zu unterstützen. Nicht zuletzt ist es we- greifenden Themen – unser Projekt nochmals vertiefend darstellen sentlich, auch die Systeme und Vorgehensweisen des Arbeits- und und weiterführende Fragestellungen thematisieren. Wir hoffen, dass Gesundheitsschutzes weiterzuentwickeln. Dazu zählen Fragen der wir damit zur wichtigen Debatte zur psychischen Gesundheit in der Rechts- und Regelsetzung genauso wie etwa die Kompetenzentwick- Arbeitswelt, die weiterhin vielerorts geführt wird, beitragen können. lung der Akteure und die sachgerechte Verknüpfung der Primär-, Se- Denn auch wenn in den vergangenen Jahren in Forschung, Arbeits- kundär- und Tertiärprävention. schutzpolitik und betrieblicher Praxis viele Aktivitäten gestartet und Fortschritte erzielt wurden, so gibt es doch eine erhebliche Lücke Mit ihrem Projekt „Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt“ hatte zwischen den Erfordernissen und der tatsächlichen Realisierung ei- sich die Bundesanstalt vorgenommen, Zusammenhangswissen zu ner zeitgemäßen, psychische Faktoren angemessen integrierenden Arbeit und Gesundheit systematisch aufzubereiten und Gestaltungs- Präventionsstrategie. Diese Lücke ist von den zentralen Akteuren wissen wo immer möglich aus den vorhandenen Studien zu extra- gemeinsam zu schließen oder mindestens weiter zu reduzieren. hieren. Auch wollten wir Forschungslücken systematisch aufzeigen Hierzu möchte die Bundesanstalt auch zukünftig bestmöglich bei- und – im Rahmen abschließender Empfehlungen – übergreifenden tragen. Handlungsbedarf aufzeigen. Dafür wurden systematische Über- sichtsarbeiten zu mehr als zwanzig arbeitsbezogenen psychischen Isabel Rothe Belastungsfaktoren erstellt, die durch jeweils einschlägige externe Präsidentin der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 53 (Sonderheft) | 12.2018
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Inhalt | 5 Arbeitsmedizin | Sozialmedizin | Umweltmedizin Zeitschrift für medizinische Prävention | 12.2018 www.asu-arbeitsmedizin.com Sonderheft | Psychische Gesundheit | Dezember 2018 Editorial 3 Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt I. Rothe Einführung 6 Prävention und Arbeitsgestaltung: Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt M. Schütte, I. Rothe Wissenschaft 9 Tätigkeitsspielräume in Produktionsaufgaben – Arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse und Gestaltungsoptionen P.H. Rosen 15 Führung und psychische Gesundheit F. Pundt, B. Thomson, D. Montano, A. Reeske 20 Themenfeld „Arbeitszeit“ B. Beermann, A. M Wöhrmann 25 Mentales Abschalten von der Arbeit als Erholungsindikator J. Wendsche, A. Lohmann-Haislah, A. Schulz, I. Schöllgen 32 Atypische Beschäftigung und psychische Gesundheit L. Hünefeld 38 Der Arbeitsumgebungsfaktor „Lärm“ H. Sukowski Praxis 44 Regulativer Rahmen und programmatische Aktivitäten zur psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt L. Adolph, J. Michel Position 51 Verständnis und Versorgungsauftrag aus der arbeitsmedizinischen Perspektive S. Letzel 54 Psychische Gesundheit: Arbeitspsychologische Perspektive N.K. Semmer 57 Zum Umgang mit psychischer Gesundheit K. Scheuch 60 Psychische Gesundheit: Forschungsmethodische Perspektive E. Bamberg 63 Psychische Gesundheit: Zukünftige Forschungsfelder G. Mohr 67 Impressum ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 53 (Sonderheft) | 12.2018
einführung Prävention und Arbeitsgestaltung: Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt M. Schütte Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Berlin I. Rothe ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2018; 53 (Sonderheft): 6–8 Einleitung sätzlich eine entsprechende (Weiter-)Qualifizierung der Beschäftigten sichergestellt ist. Der Gestaltungsanspruch sollte daher die Minde- Entwicklungen in der Arbeitswelt, u.a. ausgelöst durch technische rung der Entstehung lebensstilbedingter Krankheiten, die Stärkung Innovationen, die Globalisierung, den demografischen Wandel der gesundheitlichen Ressourcen sowie – dem Settingansatz Ar- oder die zunehmende Dienstleistungsorientierung, verbunden beitsplatz/Betrieb (Webendörfer u. Oberlinner 2016) entsprechend mit wechselnden Marktanforderungen, auf die die Unternehmen – eine die Gesundheit unterstützende Gestaltung der Lebens- und in stärkerem Maße als bisher mit Restrukturierungen reagieren Arbeitsverhältnisse sowie Partizipations- und Kompetenzentwick- (Eichhorst u. Buhlmann 2015), haben zu Verschiebungen der lungsmöglichkeiten der Beschäftigten einschließen. Arbeitsanforderungen geführt, die sich u.a. in einem Rückgang der Dabei umfasst die Primärprävention die Reduktion bzw. Op- physischen und einem Anstieg der psychischen Arbeitsbelastung timierung der auftretenden Belastung, die Bereitstellung von zeigen. Damit entsteht die Notwendigkeit, die psychische Belastung personalen, sozialen und materiellen Ressourcen (Tautz 2016) konsequent in die Systeme und Vorgehensweisen des Arbeits- und sowie die Schaffung von Beteiligungswegen auf der Ebene der Gesundheitsschutzes zu integrieren. Durch den Gesetzgeber erfolgte Gestaltung von Aufgaben, der physikalischen Arbeitsumgebung bereits 2013 eine Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG), und organisationaler Bedingungen, um Erkrankungen vorzubeu- in dem nun in § 4 (Allgemeine Grundsätze) explizit die psychische gen und die Gesundheit zu fördern. Die Sekundärprävention, die Gesundheit als Zielgröße genannt ist sowie in § 5 (Beurteilung der auf die Früherkennung und Verhinderung des Fortschreitens einer Arbeitsbedingungen) die psychische Belastung als eine mögliche gesundheitlichen Beeinträchtigung zielt, beinhaltet die Anpassung Gefährdung bei der Arbeit explizit aufgeführt wird. Daneben wurden eines existierenden Arbeitssystems zur Abwendung von Erkrankun- weitere wichtige Initiativen und Programme gestartet wie gen. Die Tertiärprävention, die einem krankheitsbedingten Rückfall • die gemeinsame Erklärung von BMAS, DGB und BDA, die auf oder einer weiteren Verschlechterung des Gesundheitszustandes die Prävention psychischer Erkrankungen sowie eine erfolgrei- vorbeugen soll, erfordert die Kooperation von Präventionsakteuren che Wiedereingliederung von psychisch erkrankten Beschäftigten verschiedener institutioneller Systeme (Betrieb, Krankenkassen, Ren- fokussiert (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Bundes- tenversicherungen), wobei hier die ergonomische und individuelle vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände und Deutscher Arbeitsgestaltung sowie die Zuweisung eines gesundheitsgerechten Gewerkschaftsbund 2013), Arbeitsplatzes wesentlich sind. Idealerweise sollte prospektiv, d.h. be- • das Arbeitsprogramm und die Initiativen der Gemeinsamen reits bei der Planung von Arbeitssystemen, sowohl die zu erwartende Deutschen Arbeitsschutzstrategie, insbesondere der Schwer- physische als auch psychische Belastung systematisch berücksichtigt punkt „Stress reduzieren – Potenziale entwickeln“ oder werden. • die vom Ausschuss für Arbeitsmedizin erstellten Empfehlungen Die Ableitung von Handlungs- und Gestaltungswissen setzt die zur psychischen Gesundheit im Betrieb (Ausschuss für Arbeits- Kenntnis von Wirkmechanismen oder zumindest von Zusammen- medizin 2011). hängen zwischen der Arbeitsbelastung und deren gesundheitlichen Folgen voraus. Mit dem Projekt „Psychische Gesundheit in der Ar- Im Rahmen der Arbeitsgestaltung erhält damit bei der Konzeption beitswelt – Wissenschaftliche Standortbestimmung“ hat die Bundes- von verhältnis- und verhaltensbezogenen Maßnahmen wie auch im anstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) im Auftrag der Rahmen der Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention die psychi- Bundesregierung (Koalitionsvertrag zur 18. Legislaturperiode, S. 71) sche Belastung einen stärkeren Stellenwert. Neben den Zielen, un- eine Aufbereitung des verfügbaren Wissens vorgelegt, die eine fun- erwünschte Ereignisse oder Zustände zu verhindern, gesundheitliche dierte Übersicht über arbeitsbezogene psychische Belastungsfaktoren Schäden zu vermeiden, das Eintreten einer Erkrankung zu verzö- und deren Bezug zur Gesundheit gibt. gern oder deren Auftrittsrisiko zu verringern (Letzel 2016), sind auch Beteiligungsmöglichkeiten der Beschäftigten anzustreben, da neue Methodik und Ablauf des Projekts Anforderungen wie zum Beispiel eine erweiterte, arbeitsbezogene Erreichbarkeit, die Flexibilisierung von Arbeitszeiten oder auch die Zur Ermittlung des zu den Zusammenhängen zwischen psychischen adäquate Nutzung von Gestaltungsspielräumen einen betrieblichen Belastungsfaktoren und der psychischen Gesundheit verfügbaren Dialog erfordern, der weiterhin nur dann gelingen kann, wenn zu- Wissens erfolgte eine systematische Literaturaufbereitung (Scoping
psychische gesundheit in der arbeitswelt . Wissenschaft | 7 Reviews), in der mehr als 20 Arbeitsbedingungsfaktoren, die sich Foto: NicoElNino / Thinkstock grob vier Themenfeldern – nämlich „Arbeitsaufgabe“, „Führung und Organisation“, „Arbeitszeit“ und „Technische Faktoren“ – zuordnen lassen, untersucht wurden (Projektphase 1: Wissensaufbereitung). Ausgehend von einem umfassenden Gesundheitsverständnis wurden sowohl befindensbezogene Folgen psychischer Belastung (Ermüdung, Motivation, Arbeitszufriedenheit, psychosomatische Beschwerden) als auch gesundheitlich beeinträchtigende Wirkungen (psychische Störungen, Herz-Kreislauf- und Muskel-Skelett- Erkrankungen) betrachtet (Rothe et al. 2017). Im Anschluss an die so vorgenommene Wissensaufbereitung erfolgte die Validierung der erhaltenen Befunde (Projektphase 2: Wissensvertiefung) einerseits im Rahmen sogenannter Experten Die Entwicklungen in der Arbeitswelt haben zu einem Anstieg gespräche, an denen über 60 renommierte nationale sowie interna- psychischer Belastung beigetragen tionale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beteiligt waren, sowie andererseits über die Präsentation der Ergebnisse auf zentralen Erholung und Detachment (Wendsche et al. 2018) werden die Ergeb- wissenschaftlichen Kongressen (Rothe et al. 2017). nisse zu zwei Merkmalen des Themenfelds „Arbeitszeit“ präsentiert, Auf Basis des so wissenschaftlich konsolidierten Wissensstandes die beide durch die Flexibilisierungen in der Arbeitswelt und die damit wurden in einem dritten Schritt (Projektphase 3: Wissensanwendung) einhergehende Auflösung der Grenzen zwischen Arbeits- und Ruhe- mit der Politik, einschlägigen Fachkreisen der Praxis sowie Vertretern zeit von hoher Relevanz sind. Die exemplarisch für das Themenfeld der Sozialpartner Umsetzungsmöglichkeiten im Arbeits- und „Technische Faktoren“ präsentierten Ergebnisse zum Faktor Lärm Gesundheitsschutz diskutiert (Rothe et al. 2017) und im Rahmen demonstrieren, dass die zur Vermeidung von Hörschädigungen exis- einer Abschlussveranstaltung präsentiert als Beitrag für einen von tierenden Grenzwerte für die Betrachtung von Wirkungen des Schalls den Sozialpartnern und dem Bundesministerium für Arbeit und auf die psychische Gesundheit nicht ausreichend sind (Sukowski Soziales getragenen Dialogprozess, der darauf zielt, die betriebliche 2018). Der Artikel von Adolph u. Michel (2018) gibt einen Überblick Umsetzung geeigneter Maßnahmen für den Erhalt und die Stärkung über den bestehenden, inhaltlich für die psychische Belastung und der psychischen Gesundheit zu fördern. Gesundheit relevanten regulativen Rahmen. Das Projekt wurde in all seinen drei Phasen von einem sich aus Hochschullehrenden der Arbeitsmedizin und Arbeitspsychologie Resümee: Arbeitsgestaltung und Prävention zusammensetzenden Ausschuss des wissenschaftlichen Beirats der BAuA begleitet: Entsprechend stellen die Beiträge von Scheuch (2018) Die auf Grundlage des Arbeitszeitmonitorings (BAuA 2016) und Letzel (2018) in diesem Heft das Vorhaben mit seinen Ergebnissen sowie der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung (Bundesinstitut in den Kontext der Arbeitsmedizin und der Artikel von Semmer (2018) in für Berufliche Bildung u. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und den der Arbeitspsychologie. Der Aufsatz von Bamberg (2018) beschreibt Arbeitsmedizin 2013) ermittelten Prävalenzen für die einzelnen im forschungsmethodische und der von Mohr (2018) forschungsthematische Projekt „Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt“ untersuchten Konsequenzen, die sich aus der wissenschaftlichen Standortbestimmung Arbeitsbedingungsfaktoren demonstrieren deren Aktualität und zur psychischen Gesundheit ergeben. Relevanz in der betrieblichen Realität. Die im Rahmen der Literaturaufbereitung insgesamt ge Befunde wonnenen Befunde belegen, dass zwischen den betrachteten Arbeitsbedingungsfaktoren und den berücksichtigten Indikatoren Die in diesem Heft dargestellten Befunde der Literaturaufbereitung der psychischen Gesundheit bedeutsame Zusammenhänge greifen zentrale Aspekte des Settings Arbeitsplatz/Betrieb auf: So stellt bestehen, wobei der überwiegende Teil der ausgewerteten Studien der Handlungs- und Entscheidungsspielraum (Rosen 2018) einen für allerdings keine Kausalaussagen zulässt, so dass zukünftig verstärkt die menschengerechte Aufgabengestaltung bedeutsamen Aspekt aus Längsschnittuntersuchungen angestrebt werden sollten (Bamberg dem Themenfeld „Arbeitsaufgabe“ dar, der auch Eingang in die in- 2018). Die Ergebnisse zeigen weiterhin, dass die Wirksamkeit von ternationale Normung gefunden hat (DIN EN ISO 6385: 2016). Mit Gestaltungsmaßnahmen prüfende Untersuchungen fehlen und der Führung wird über einen Arbeitsbedingungsfaktor aus dem The- somit derartige Studien künftig ebenfalls prioritär zu initiieren sind menfeld „Führung und Organisation“ berichtet, der aufgrund seiner (Bamberg 2018). Dennoch konnten in den Veröffentlichungen auch Beziehungen zu anderen Faktoren, wie z.B. Arbeitszeit und Unsicher- in der betrieblichen Praxis erprobte und sich bewährt habende heitserleben, von hoher Relevanz ist (Pundt et al. 2018). Die atypische Gestaltungsansätze identifiziert werden. Beschäftigung (Hünefeld 2018), ebenfalls aus dem Themenfeld „Füh- Bei der Arbeitsgestaltung sind sowohl bedingungs- als auch rung und Organisation“, hat aufgrund politischer und wirtschaftlicher verhaltensbezogene Ansätze gleichermaßen zu bedenken, da Veränderungen immer mehr an Bedeutung gewonnen: Mittlerweile Gestaltungsmerkmale wie z.B. Führung oder soziale Unterstützung befindet sich gut ein Fünftel der abhängig Beschäftigten in einem durch Interaktionen zwischen Akteuren geprägt sind und sich somit solchen Beschäftigungsverhältnis (Statistisches Bundesamt o.J.). Mit neben verhältnis- auch über verhaltensorientierte Maßnahmen der Arbeitszeit (Beermann u. Wöhrmann 2018) sowie den Faktoren umsetzen lassen. Daneben darf nicht übersehen werden, dass die ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 53 (Sonderheft) | 12.2018
8 | Wissenschaft . psychische gesundheit in der arbeitswelt Qualifizierung der Beschäftigten angesichts der Dynamik der in der Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Deutscher Gewerkschaftsbund: Gemeinsame Erklärung Arbeitswelt auftretenden Veränderungen ein ebenfalls wichtiges psychische Gesundheit in der Arbeitswelt. Bonn: Bundesministerium für Arbeit und Element darstellt, um sicherzustellen, dass Arbeitstätigkeiten den Soziales, Referat Information, Publikation, Redaktion, 2013. Fähigkeiten wie Fertigkeiten der Beschäftigten entsprechen und Bundesinstitut für Berufliche Bildung, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und weiter kompetent ausgeführt werden können. Darüber hinaus Arbeitsmedizin: Grundauswertung der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2012. Mit den Schwerpunkten Arbeitsbedingungen, Arbeitsbelastungen und werden zukünftig bei der Entwicklung und Umsetzung von gesundheitliche Beschwerden. Dortmund: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Gestaltungsmaßnahmen Partizipations- und Aushandlungsprozesse Arbeitsmedizin, 2013. einen höheren Stellenwert als bisher erhalten, da sich z.B. eine DIN EN ISO 6385:2016-12. Grundsätze der Ergonomie für die Gestaltung von Arbeitssystemen. Berlin: Beuth, 2016. ausgewogene Work-Life-Balance zu einem wichtigen Merkmal einer sich an den Bedürfnissen der Beschäftigten orientierenden Eichhorst W, Buhlmann F: Die Zukunft der Arbeit und der Wandel der Arbeitswelt. IZA Standpunkte, Nr. 77. Bonn: Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit, 2015. Arbeitsgestaltung entwickelt. Hünefeld L: Atypische Beschäftigung und psychische Gesundheit. ASU Arbeitsmed Die skizzierten, der Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention Sozialmed Umweltmed 2018; 53 (Sonderheft): 32–37. zuzuordnenden Gestaltungsansätze verdeutlichen, dass sich alle Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD 2013, Deutschlands Zukunft drei Präventionsformen insgesamt ergänzen und daher gemeinsam gestalten. https://www.bundesregierung.de/Content/DE/_Anlagen/2013/2013-12-17- im Fokus der Arbeitsgestaltung stehen können (Rothe et al. koalitionsvertrag.pdf?__blob=publicationFile (zuletzt abgerufen am: 03.09.2018). 2017). So lässt sich nicht ausschließen, dass selbst bei optimalen Letzel S: Historische Entwicklung. In: Rieger M, Hildenbrand S, Nesseler T, Letzel S, Nowak D (Hrsg.): Prävention und Gesundheitsförderung an der Arbeitsbedingungen Beschäftigte in einem Betrieb tätig sind, die Schnittstelle zwischen kurativer Medizin und Arbeitsmedizin . Landsberg am Lech: aufgrund einer Erkrankung Unterstützung in Form von sekundär- ecomed Medizin, 2016, S. 17–23. oder tertiärpräventiven Maßnahmen benötigen. Der dadurch Letzel S: Verständnis und Versorgungsauftrag aus der arbeitsmedizinischen ermöglichte Verbleib eines Mitarbeiters im Betrieb kann einen Perspektive. ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2018; 53 (Sonderheft): 51–53. wichtigen Beitrag zur Genesung leisten, da Arbeit selbst als ein positiv Mohr G: Psychische Gesundheit: Zukünftige Forschungsfelder. ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2018; 53 (Sonderheft): 63–66. auf die Gesundheit wirkender Faktor gilt. Ein derartiger Ansatz Pundt F, Thomson B, Montano D, Reeske A: Führung und psychische Gesundheit. verlangt ein koordiniertes Vorgehen der verschiedenen betrieblichen ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2018; 53 (Sonderheft): 15–19. und überbetrieblichen Akteure, um Arbeitsgestaltungsmaßnahmen, Rosen PH: Tätigkeitsspielräume in Produktionsaufgaben – Arbeitswissenschaftliche personenbezogene Unterstützungs- und Beratungsangebote sowie Erkenntnisse und Gestaltungsoptionen. ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed die medizinisch-therapeutische Versorgung optimal aufeinander 2018; 53 (Sonderheft): 9–14. abzustimmen (Rothe 2016; Rothe et al. 2017), was den Aufbau und Rothe I: Ressourcen und Stressoren in der Arbeitswelt. ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2016; 51: 809–812. die Pflege von Kooperationsnetzwerken erfordert. Rothe I, Adolph L, Beermann B, Schütte M, Windel A, Grewer A, Lenhardt U, Insgesamt zeigen diese Überlegungen einmal mehr die Michel J, Thomson B, Formazin M: Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt – Notwendigkeit, Gestaltungswissen auf allen beschriebenen Ebenen Wissenschaftliche Standortbestimmung. Dortmund: Bundesanstalt für Arbeitsschutz weiter auf- und auszubauen. Sie machen daneben aber auch deutlich, und Arbeitsmedizin, 2017. wie wichtig der Einbezug unterschiedlicher Perspektiven sowie Scheuch K: Zum Umgang mit psychischer Gesundheit. ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2018; 53 (Sonderheft): 57–59. vielfältiger Akteure und damit ein interdisziplinäres, holistisches Semmer NK: Psychische Gesundheit: Arbeitspsychologische Perspektive. ASU Vorgehen bei der Lösung von Gestaltungsproblemen sind – eine Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2018; 53 (Sonderheft): 54–56. Herausforderung, der sich der Arbeitsschutz stellen muss. Statistisches Bundesamt: Atypische Beschäftigung. https://www.destatis.de/DE/ PresseService/Presse/Pressemitteilungen/2017/08/PD17_281_12211.html (zuletzt interessenkonflikt: Die Autoren geben an, dass keine Interes- abgerufen am: 23.11.2018). senkonflikte vorliegen. Sukowski H: Der Arbeitsumgebungsfaktor „Lärm“. ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2018; 53 (Sonderheft): 38–43. Literatur Tautz A: Betriebliches Gesundheitsmanagement: Bedeutung von Primär-/Sekundär/- Tertiärprävention. In: Rieger M, Hildenbrand S, Nesseler T, Letzel S, Nowak D Adolph A, Michel J: Regulativer Rahmen und programmatische Aktivitäten zur (Hrsg.): Prävention und Gesundheitsförderung an der Schnittstelle zwischen kurativer psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt. ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed Medizin und Arbeitsmedizin . Landsberg am Lech: ecomed Medizin, 2016, S. 23–34. 2018; 53 (Sonderheft): 44–50. Webendörfer S, Oberlinner C: Sekundärprävention als Baustein im Betrieblichen ArbSchG: Gesetz über die Durchführung von Maßnahmen des Arbeitsschutzes zur Gesundheitsmanagement (BGM). In: Rieger M, Hildenbrand S, Nesseler T, Letzel Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten bei der S, Nowak D (Hrsg.): Prävention und Gesundheitsförderung an der Schnittstelle Arbeit (Arbeitsschutzgesetz – ArbSchG). Arbeitsschutzgesetz vom 7. August 1996 zwischen kurativer Medizin und Arbeitsmedizin . Landsberg am Lech: ecomed (BGBl. I S. 1246), zuletzt durch Artikel 427 der Verordnung vom 31. August 2015 Medizin, 2016, S. 201–207. (BGBl. I S. 1474) geändert. Wendsche J, Lohmann-Haislah A, Schulz A, Schöllgen I: Mentales Abschalten von der Ausschuss für Arbeitsmedizin: Arbeitsmedizin – Psychische Gesundheit im Betrieb – Arbeit als Erholungsindikator: Wirkungen, Einflussfaktoren und Gestaltungsansätze. Arbeitsmedizinische Empfehlung. Bonn: Bundesministerium für Arbeit und Soziales, ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2018; 53 (Sonderheft): 25–31. Referat Information, Publikation, Redaktion, 2011. Bamberg E: Psychische Gesundheit: Forschungsmethodische Perspektive. ASU Für die Verfasser Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2018; 53 (Sonderheft): 60–62. apl. Prof. Dr. phil. Martin Schütte Beermann B, Wöhrmann AM: Themenfeld „Arbeitszeit“. ASU Arbeitsmed Sozialmed Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin Umweltmed 2018; 53 (Sonderheft): 20–24. Nöldnerstraße 40–42 Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin: Arbeitszeitreport Deutschland 10317 Berlin 2016. Dortmund: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, 2016. schuette.martin@baua.bund.de asu arbeitsmed sozialmed umweltmed 53 (sonderheft) | 12.2018
Wissenschaft Tätigkeitsspielräume in Produktionsaufgaben – Arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse und Gestaltungsoptionen P.H. Rosen Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Dortmund Abstract / Zusammenfassung Job control in production tasks – findings and design Tätigkeitsspielräume in Produktionsaufgaben – Arbeits- options from labour studies wissenschaftliche Erkenntnisse und Gestaltungsoptionen Objective: The German manufacturing sector plays an important role in the Zielstellung: Produktionstätigkeiten und insbesondere Montagetätigkeiten national labour market and the overall economy. Manufacturing jobs, espe- zeichnen sich häufig durch einen hohen Automatisierungsgrad und repeti- cially assembly tasks, are often characterised by high degrees and levels of tive Aufgaben aus. Die organisationalen Strukturen sind eng mit der Gestal- automation as well as repetitive work cycles. These organisational structures tung von Arbeitsaufgaben und somit dem arbeitspsychologischen Konzept are strongly correlated with the psychological concept of job control. The des Tätigkeitsspielraums verbunden. Das Ziel des vorliegenden Beitrags ist aim of this paper is to outline the scientific evidence regarding job control es, Erkenntnisse zusammenzutragen, die den Zusammenhang zwischen and its relationship with different outcome variables such as mental health, dem Tätigkeitsspielraum und abhängigen Variablen wie Gesundheit, Befin- wellbeing, motivation and performance. Further task design implications den, Motivation und Leistung untersuchen. are discussed. Methode: Der Artikel fasst die Ergebnisse eines bereits veröffentlichten Re- Methods: The article summarises the main results of an already pub- views zusammen und diskutiert Gestaltungsaussagen basierend auf der Analyse. lished scoping review and discusses task design recommendations based Ergebnisse: In das Scoping Review wurden 106 Studien aufgenommen. Die on the analysis. meisten waren Untersuchungen im Querschnitt und verwendeten subjek- Results: The scoping review included 106 studies, most of which applied tive Messverfahren. Es wurden die folgenden Kategorien gebildet, um die a cross-sectional design and used subjective measures. Studies were cat- Studien auszuwerten: horizontale Tätigkeitsmerkmale, vertikale Tätigkeits- egorised into horizontal or vertical task characteristics and characteris- merkmale, Merkmale der Arbeitsablauforganisation. Gesundheitsbezogene tics of the work organisation. Health-related outcomes were studied most Variablen wurden am häufigsten mit vertikalen und horizontalen Tätigkeits- frequently with horizontal and vertical task characteristics. Both aspects merkmalen untersucht. Beide Aspekte zeigen positive Zusammenhänge mit show positive correlations with positive health outcomes, motivation, sat- positiven Gesundheitsfolgen, Wohlbefinden, Motivation und Zufriedenheit. isfaction and wellbeing, whilst showing negative correlations with negative Negative Zusammenhänge zeigen sich hingegen mit negativen Gesundheits- health outcomes such as depression. Although evidence on characteristics folgen wie Depressivität. Die Befundlage zu Merkmalen der Arbeitsablauf- of work organisation is rather limited, studies addressing these issues can gestaltung ist vergleichsweise gering. Dennoch können diese Studien zur be related to task design. Ableitung von Gestaltungsaussagen herangezogen werden. Conclusions: Overall, the review shows that higher levels of job control Schlussfolgerungen: Insgesamt zeigt das Review, dass ein höheres Aus- are correlated with positive outcome variables such as wellbeing. Further maß an Tätigkeitsspielräumen mit positiven gesundheitsbezogenen In- research is needed to complement practical guides on how to design job dikatoren, wie einem höheren Wohlbefinden, einhergeht. Allerdings ist control in production tasks. weitere Forschung nötig, um Empfehlungen abzuleiten, wie Tätigkeits- Keywords: task design – job control – decision latitude – production – spielräume in Produktionsaufgaben menschengerecht gestaltet werden manufacturing können. Schlüsselwörter: Aufgabengestaltung – Tätigkeitsspielraum – Handlungs- ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2018; 53 (Sonderheft): 9–14 und Entscheidungsspielraum – Produktion
1 0 | Wissenschaft . tätigkeitsspielräume in Produktionsaufgaben Abb. 1: Arbeitsplatzrotation und durchschnittliche Taktzeiten Fig. 1: Workplace rotation and average cycle times zeiten oder Arbeitsplatzrotation stehen in direktem Zusammenhang mit dem arbeitspsychologischen Konzept des Tätigkeitsspielraums. Betriebliche Rahmenbedingungen von Mensch-Technik-Interaktion und Tätigkeitsspielräume Produktionsaufgaben bei Produktionsaufgaben Das produzierende Gewerbe hat eine große Bedeutung für die deut- Die Automatisierung von unterschiedlichen Funktionen innerhalb sche Wirtschaftsleistung. Produktionsarbeit leistet seit zwei Jahrzehn- komplexer Arbeitssysteme geht mit hohen Anforderungen an die Ar- ten kontinuierlich einen Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) von beitsgestaltung einher. Bei der Automatisierung von Prozessen können rund 20 %. Im Jahr 2017 waren im Bereich Industrie/verarbeitendes unterschiedliche Funktionen („degree of automation“, DOA) und diese Gewerbe 7,9 Millionen Beschäftigte tätig (Destatis 2017). Aufgrund von Funktionen in unterschiedlichem Ausmaß („level of automation“, Wirtschaftlichkeitsüberlegungen sind Arbeitsplätze in der Produktion LOA) durch Assistenzsysteme unterstützt werden (Parasuraman et al. häufig durch hoch standardisierte und repetitive Tätigkeiten gekenn- 2000). Es lassen sich derzeit jedoch keine fundierten Aussagen über zeichnet. Ergebnisse aus dem Arbeitszeitreport der Bundesanstalt für den Zusammenhang zwischen der Funktionsteilung und der psychi- Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (vgl. ➥ Abb. 1) charakterisieren schen Gesundheit von Beschäftigten ableiten. Vorliegende Befunde zei- typische Arbeitsbedingungen in der Produktion. Die Befragung er- gen allerdings, dass sich sowohl Grad als auch Level der Automation fasst in etwa 20 000 Erwerbstätige in Deutschland. Für den vorliegen- auf die subjektive Beanspruchung auswirken. Gleichzeitig zeigt sich den Beitrag wurden die gewichteten Daten von Vollzeitbeschäftigten ein positiver Einfluss eines höheren Automatisierungsgrades auf die (n = 1211) ausgewertet, die angegeben haben, in der Industrie und an Leistung. Aussagen zu Zusammenhängen zwischen der Funktions- Produktionsmaschinen- und Anlagen zu arbeiten (männlich = 85 %; teilung mit langfristigen Beanspruchungsfolgen, Arbeitszufriedenheit weiblich = 15 %). Die Teilstichprobe umfasste Personen zwischen 18 oder Motivation lassen sich nicht ableiten (Robelski 2016). Wenngleich und 67 Jahren (MW = 43,14; SD = 11,31). Die Daten zeigen, dass 78 % keine direkten Zusammenhänge zwischen dem Grad der Funktionstei- der befragten Personen angeben, zwischen Arbeitsstationen zu rotie- lung und unterschiedlichen Beanspruchungsfolgen beobachtbar sind, ren; 45 % berichten, dass sie taktgebunden arbeiten; 37 % der Befragten wird dennoch deutlich, dass Automatisierungsprozesse mit einer Um- geben an, sowohl zwischen Arbeitsstationen zu rotieren als auch takt- gestaltung von Aufgabenmerkmalen einhergehen. Automatisierung gebunden zu arbeiten. 8 % der Befragten arbeiten nur taktgebunden kann beispielsweise mit einer Veränderung der Wiederholungshäu- und wechseln nicht zwischen einzelnen Arbeitsstationen. figkeit und Qualifizierungsanforderungen für Beschäftigte verbunden Für die gleiche Stichprobe wurde auch die durchschnittlich be- sein (Balogh et al. 2006). Zudem wirkt sich eine zunehmende Auto- richtete Taktzeit ausgewertet. Die Daten zeigen eine Häufung der matisierung direkt auf die Möglichkeit aus, das eigene Arbeitstempo Taktzeiten unter 10 Minuten. Rund zwei Drittel der Befragten be- zu bestimmen (Rafnsdottir u. Gudmundsdottir 2004). Eine entspre- richten im Durchschnitt in einem Takt von 10 Minuten oder weniger chende Funktionsteilung führt also in jedem Fall zu einer Veränderung zu arbeiten. Etwa ein Drittel der Befragten arbeiten in Taktzeiten von von Arbeitsaufgaben und Tätigkeitsspielräumen bzw. erfordert deren zwei Minuten oder weniger. Gestaltung. Tätigkeitsspielräume stellen ein zentrales Merkmal von Um effiziente Produktionsbedingungen zu schaffen und diese Arbeitsaufgaben dar (Hacker u. Sachse 2014; Ulich 2005). Robelski auch zu halten, sind kurzzyklische Tätigkeiten und Automatisie- kommt in einem Review zur Mensch-Maschine-Interaktion zu dem rungslösungen ein fester Bestandteil von Produktionsaufgaben und Schluss, dass die Funktionsteilung bei Automatisierungsprozessen vor- beschreiben die betriebliche Realität vieler Tätigkeiten im produ- nehmlich eine Veränderung der Tätigkeitsspielräume von Beschäftigten zierenden Gewerbe. Der Grad der Automatisierung und die damit zur Folge hat. Das Aufgabenmerkmal Tätigkeitsspielraum kann somit einhergehenden, hier beschriebenen Aufgabenmerkmale wie Takt- als verbindendes Element zwischen Automatisierungsprozessen und ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 53 (Sonderheft) | 12.2018
tätigkeitsspielräume in Produktionsaufgaben . Wissenschaft | 11 und allgemeinen Befindens- und Gesund- heitsindikatoren, Motivation, Arbeits- zufriedenheit sowie Leistung unter Be- rücksichtigung von Alter und Geschlecht. Berücksichtigt werden in dem Review Pro- duktions- und Montagetätigkeiten. Ferner wird auf Grundlage der eingeschlossenen Studien das verfügbare Gestaltungswissen analysiert zusammengefasst (Rosen 2016). Methodisches Vorgehen und Review-Prozess Das Scoping-Review wurde in Anlehnung an die Methode nach Arksey u. O’Malley (2005) erstellt. Auf dieser Basis wurde ein umfassender Suchstring entwickelt und in den Datenbanken Abb. 2: Übersicht der Auswertungskategorien Fig. 2: Overview of analysis categories EBSCOhost, PubMed und WISO eingesetzt (zum methodischen Vorgehen ausführlich siehe Rosen 2016). Der Suchstring führte zu 3464 den Auswirkungen auf Beschäftigte betrachtet werden (Robelski 2016). Treffern. Im Anschluss an die Recherche folgte ein zweistufiger Review- Dieser Arbeitsbedingungsfaktor wurde für Produktionstätigkeiten, ei- Prozess. Im ersten Analyseschritt wurden die Referenzen auf Basis von nem Bereich mit hohem Automatisierungsanteil, in einem weiteren Titeln, Abstracts und Keywords begutachtet. Nach dem ersten Analyse- Review genauer untersucht (Rosen 2016). schritt wurden 553 Studien zur Volltextsichtung eingeschlossen. Auf Basis Die zeitliche Organisation von Abläufen, die Wahl von Arbeitsmit- dieser Volltextsichtung wurden weitere 447 Referenzen ausgeschlossen. teln, die Gestaltung von Vorgehensweisen nach eigenen Zielsetzun- 106 Studien wurden final in das Review aufgenommen und narrativ zu- gen oder die Möglichkeit, Arbeitsaufgaben selbst festlegen zu können, sammengefasst. Im Sinne der Scoping-Review-Methode wurden für die bestimmen den Tätigkeitsspielraum von Beschäftigten (Ulich 2005). Studienselektion breite Einschlusskriterien formuliert. Studien wurden Der Tätigkeitsspielraum gilt häufig als zentrales Merkmal gut gestal- dann für die weitere Auswertung aufgenommen, wenn ein Aspekt des teter Arbeitsaufgaben (Hacker u. Sachse 2014; Ulich 2005) und wird in Tätigkeitsspielraums gemeinsam mit einer oder mehreren der definier- vielen verschiedenen arbeitspsychologischen Theorien und Modellen ten abhängigen Variablen untersucht wurde. Des Weiteren mussten die beschrieben: beispielsweise im Job-Demand-Control-Modell (Karasek Studien in deutscher oder englischer Sprache vorliegen sowie eine aus- u. Theorell 1990), dessen Erweiterung, dem Job-Demand-Resources- reichende Beschreibung der untersuchten Variablen vorliegen. Effektstär- Modell (Bakker et al. 2003), dem Job-Characteristics-Modell (Hackman ken der einzelnen Studien wurden, soweit möglich, standardisiert und u. Oldham 1976), der Handlungsregulationstheorie (Hacker 1973; Vol- in Korrelationskoeffizienten überführt (Lenhard u. Lenhard, o.J.). Die pert 1974) oder aber dem Vitaminmodell (Warr 1987). Bewertung der Effektstärken erfolgte nach Cohen (1988). Das Konzept des Tätigkeitsspielraums ist darüber hinaus Bestandteil von untergesetzlichem Regelwerk (DIN EN 2941-2: 1993, DIN EN ISO Ergebnisse 6385: 2016). So werden beispielsweise in der Technischen Regel für Be- triebssicherheit (TRBS 1151 „Gefährdungen an der Schnittstelle Mensch Die inhaltliche Strukturierung der extrahierten Studien fand auf Ba- – Arbeitsmittel – Ergonomische und menschliche Faktoren, Arbeitssys- sis der Operationalisierung der unabhängigen Variablen statt. Aus- tem“) unzureichende Handlungs- und Entscheidungsspielräume als gehend von den theoretischen Grundlagen zum Tätigkeitsspielraum mögliche Gefährdung beschrieben. Die Vermeidung von gesundheits- nach Ulich sowie den Merkmalen der horizontalen Tätigkeitserwei- schädlicher Taktarbeit wird hier als Schutzmaßnahme angeführt. terung und vertikalen Tätigkeitserweiterung (Herzberg 1966; Ulich Das Konzept des Tätigkeitsspielraums hat Eingang in viele einschlä- 2005) wurde ein Auswertungsrahmen abgeleitet. Dieser beinhaltet gige arbeitswissenschaftliche Theorien und Modelle sowie in arbeits- drei Merkmalskategorien, denen die einzelnen Studien zugeordnet schutzrelevante Grundlagen gefunden. Dennoch lässt sich feststellen, wurden: horizontale Tätigkeitsmerkmale, vertikale Tätigkeitsmerk- dass nicht nur das Konzept als solches jeweils mit einer unterschied- male und Merkmale der Arbeitsablauforganisation. In der Kategorie lichen Schwerpunktsetzung dargestellt wird. Es zeigt sich auch, dass horizontale Tätigkeitsmerkmale werden Studien zusammengefasst, kaum konkretes Wissen in Bezug auf die spezifische Wirkung des Fak- die strukturell gleichartige Tätigkeiten betrachten, wie beispielsweise tors vorhanden ist. Insbesondere die Ableitung von konkretem Gestal- Routinisierung oder repetitive Tätigkeiten. Merkmale wie Arbeits- tungswissen für die Praxis in Bezug auf Tätigkeitsspielräume erweist sich platzrotationen, Zeit- oder Methodenspielräume werden ebenfalls als schwierig und stellt betriebliche Akteure vor Herausforderungen, unter diesem Merkmal zusammengefasst. In die Kategorie der ver- auch in der Anwendung des untergesetzlichen Regelwerks. tikalen Tätigkeitsmerkmale fallen Studien, die strukturell verschie- Daher untersucht das Scoping-Review zunächst den Zusam- dene Aufgaben betrachten und sich vermehrt auf das Konzept des menhang zwischen dem Aufgabenmerkmal Tätigkeitsspielraum Entscheidungsspielraums beziehen. Dazu gehören Aufgaben, die die ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 53 (Sonderheft) | 12.2018
1 2 | Wissenschaft . tätigkeitsspielräume in Produktionsaufgaben am häufigsten gemeinsam mit Gesund- heitsindikatoren untersucht werden. Mo- tivation und Arbeitszufriedenheit werden am zweithäufigsten mit Aspekten des Tätigkeitsspielraums untersucht. Die Un- tersuchung des Zusammenhangs mit Be- findens- und Leistungsvariablen erfolgt in den betrachteten Studien deutlich seltener. Eine Verteilung der untersuchten Zusam- menhänge und die Bewertung der Zusam- menhänge auf Grundlage der Effektstärke nach Cohen (1988) ist in ➥ Tabelle 1 dargestellt. Variablen zur psychischen Ge- sundheit (z. B. depressive Symptome) sind als Teilmenge allgemeiner Gesundheits- maße gesondert aufgeführt. Hier unter- Abb. 3: Anzahl Studien zwischen den abhängigen Variablen und den Merkmalsklassen Fig. 3: Number of studies between the dependent variables and the characteristics classes scheidet sich die Stärke der beobachteten Effekte zu den Variablen des allgemeinen Gelegenheit zur unterschiedlichen aufgabenbezogenen Tätigkeitsre- Gesundheitszustands (z. B. Muskel-Skelett-Beschwerden). Über gulation bieten (Hacker 1973; Volpert 1974). In der dritten Kategorie die einzelnen Merkmalskategorien hinweg zeigen sich Zusam- der Arbeitsablauforganisation werden solche Studien zusammenge- menhänge schwacher bis mittlerer Stärke. fasst, die vornehmlich Ablaufmerkmale wie Gruppenarbeit, Taktzei- Eine detaillierte Beschreibung der Ergebnisse hinsichtlich der ten oder einzelne Fertigungs- bzw. Gestaltungsprinzipien, z.B. kon- einzelnen Auswertungskategorien findet sich in Rosen (2016). So tinuierliche Verbesserungsprozesse (KVP), betrachten. ➥ Abbildung 2 zeigen sich insgesamt positive Assoziationen zu Variablen wie einem veranschaulicht die Auswertungskategorien. guten Gesundheitszustand, Motivation, Arbeitszufriedenheit, Wohl- befinden und auch Leistungsparametern. Die Abwesenheit verti- Merkmalsübergreifende Analysen kaler und horizontaler Tätigkeitsmerkmale hingegen zeigt negative Zusammenhänge zu diesen Variablen. Beide Tätigkeitsmerkmale Die in das Review eingeschlossenen Quellen umfassen Studien aus hängen negativ mit verschiedenen Gesundheitsbeschwerden wie den Jahren zwischen 1960 und 2014, wobei die meisten Studien aus Muskel-Skelett-Beschwerden, Burnout-Facetten oder depressiven den Jahren zwischen 2000 bis 2009 stammen (45 %). Hinsichtlich der Symptomen zusammen. So ist beispielsweise das Ausmaß an Irrita- Populationsverteilung zeigt sich, dass mit 29 % der größte Teil der tion geringer ausgeprägt, wenn die Beschäftigten subjektiv über ein Studien aus dem Bereich der Herstellung unterschiedlicher Güter höheres Maß an Entscheidungsspielraum und Aufgabenautonomie wie Glas oder Stahl stammen. 23 % der Studien beziehen sich auf verfügen. Geringe Handlungsspielräume hingegen gehen mit dem die Automobilbranche und 10 % der Studien auf die Herstellung von Auftreten von Muskel-Skelett-Beschwerden und psychischen Er- Elektronikgeräten. Die verbleibenden Studien weisen vermischte krankungen einher (Alipour et al. 2009; Gerr et al. 2014; Inoue et al. Stichproben aus unterschiedlichen Produktionsbereichen auf. 2010; Michel et al. 2011). Vereinzelt lassen sich jedoch auch konträre Die Messung des Arbeitsbedingungsfaktors erfolgt in 65 % der Befunde feststellen, die nicht dem eben beschriebenen Schema fol- Studien über subjektive Erhebungsmethoden, von denen bei 20 % der gen. So berichten beispielsweise Joensuu et al. (2010), dass ein hohes Job Content Questionaires (JCQ) (Karasek et al. 1998) zum Einsatz Maß an Entscheidungsbefugnis mit alkoholinduzierten Störungen kommt. 17 % der Studien basieren auf einer objektiven Tätigkeits- sowie depressiven Störungen korrespondiert. Allerdings ist die An- beschreibung, wobei hier eine Beschreibung des gesamten Arbeits- zahl solcher Befunde eher gering. Die Effekte für Merkmale der Ar- systems im Vordergrund steht und nicht explizit die Beschreibung beitsablaufgestaltung weisen ein ähnliches Muster auf, sind jedoch der jeweiligen Tätigkeitsspielräume. Die Mehrzahl der in das Review insgesamt als schwächer zu bewerten. Auch hier ist die Operationa- aufgenommenen Arbeiten (58 %) stellen Querschnittsstudien dar. lisierung entscheidend. So geht beispielsweise eine Zykluszeit von 20 % der Studien sind Untersuchungen im Längsschnitt. weniger als einer Minute mit vermehrtem psychischem Stress einher ➥ Abbildung 3 zeigt die Einteilung der Studien anhand ihres Un- (Melamed et al. 1995). tersuchungsgegenstandes. Dargestellt ist die Anzahl der Studien pro Merkmalskategorie der unabhängigen Variable in Kombination mit Gestaltungsaussagen für die betriebliche Praxis den vier Gruppen der abhängigen Variablen (Gesundheit, Befinden, Motivation/Arbeitszufriedenheit und Leistung). Im Rahmen des Scoping Reviews bestand ein weiteres Ziel darin, Die Auswertung der eingeschlossenen Referenzen zeigt, dass neben Zusammenhängen zwischen dem Arbeitsbedingungsfaktor die meisten Befunde zu vertikalen Tätigkeitsmerkmalen vorliegen. und den einzelnen Outcome-Variablen Gestaltungsaussagen für Horizontale Tätigkeitsmerkmale werden am zweithäufigsten un- die betriebliche Praxis aus den Studien zu extrahieren. Dabei kann tersucht, Merkmale der Arbeitsablauforganisation hingegen sel- zwischen Gestaltungshinweisen, Gestaltungsempfehlungen und tener. Es zeigt sich für alle drei Merkmalskategorien, dass diese Gestaltungswissen unterschieden werden (Rothe et al. 2017). Die ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 53 (Sonderheft) | 12.2018
tätigkeitsspielräume in Produktionsaufgaben . Wissenschaft | 13 Tabelle 1: Zusammenhänge zwischen Merkmalen des Arbeitsbedingungsfaktors und abhängigen Planung von Arbeitssystemen mit berück- Variablen (Bewertung nach Cohen und Anzahl der Zusammenhänge) sichtigt werden. Table 1: Relationships between characteristics of the work-related factors and dependent variables (analysis based on Cohen and number of relationships) Bewertung und Diskussion Tätigkeits- Gesundheit Psych. Befinden Motivation/ Leistung merkmal Gesundheit AZ Der vorliegende Beitrag betrachtet den Fak- Vertikal Schwach (35) Mittel (8) Schwach (6) Mittel (9) Schwach (6) tor Tätigkeitsspielraum speziell bezogen auf Produktionsaufgaben. Eine ergänzende Horizontal Schwach (11) Mittel (7) Schwach (9) Mittel (8) Schwach (6) Zusammenstellung arbeitswissenschaftli- Arbeitsablauf Schwach (5) Schwach (5) Tendenz (3) Tendenz (6) Mittel (5) cher Erkenntnisse zu den Wirkungen des Arbeitsbedingungsfaktors außerhalb von Ableitung von konkreten Aussagen zur Gestaltung des Tätigkeits- Produktionstätigkeiten findet sich bei Bradtke et al. (2016). spielraums aus den analysierten Studien stellt eine Herausforderung Für den Bereich der Produktionstätigkeiten zeigt die Mehrzahl der dar. In vielen Studien wird der Arbeitsbedingungsfaktor häufig selbst Studien, dass horizontale und vertikale Tätigkeitsmerkmale jeweils als Gestaltungselement angeführt, ohne diesen weiter zu konkreti- in gesundheitsförderlicher und gesundheitsbeeinträchtigender Aus- sieren. So beschreiben Studien häufig lediglich das Vorliegen oder prägung vorliegen können. Beide Merkmale weisen deutliche Zu- Nichtvorliegen von Handlungs- und Entscheidungsspielräumen auf sammenhänge mit den abhängigen Variablen Gesundheit, Befinden, der Basis von erhobenen Fragebogendaten. Zeigen die Daten eine Motivation/Arbeitszufriedenheit und Leistung auf. geringe Ausprägung des Merkmals, so empfehlen Gestaltungshin- Für beide Tätigkeitsmerkmale zeigt sich, dass ihr Fehlen mit ein- weise der Autoren häufig, die Tätigkeitsspielräume zu erhöhen. Es zelnen Burnout-Facetten oder depressiven Symptomen einhergeht. wird jedoch selten weiter konkretisiert, welche Maßnahmen dazu Das Vorhandensein der Merkmale hingegen hat einen positiveren genutzt werden können oder welche spezifische Facette des Tä- subjektiven Gesundheitszustand zur Folge. Ein ähnliches Zusam- tigkeitsspielraums adressiert werden soll. Lediglich für die Facette menhangsmuster lässt sich auch bei der Motivation und Arbeitszu- des Zeitspielraums lassen sich Gestaltungsempfehlungen für den friedenheit erkennen: Ist die Arbeit durch das Vorliegen horizontaler Arbeitsbedingungsfaktor ableiten. So verweisen einige Studien da- und vertikaler Tätigkeitsmerkmale gekennzeichnet, können höhere rauf, dass Beschäftigte die Möglichkeit erhalten sollten, die eigene Arbeitszufriedenheitswerte beobachtet werden. Sind die Merkmale Arbeitsgeschwindigkeit sowie die zeitlichen Abläufe anpassen bzw. nicht vorhanden, sind Fluktuation sowie Abwesenheiten häufiger. kontrollieren zu können (Bergstrom et al. 2007; Frieling et al. 2008; Die extrahierten Studien zeigen insgesamt, dass vertikale Tätig- Leclerc et al. 1998). Dies gilt insbesondere, wenn mit schwerem Gerät keitsmerkmale im Vergleich zu den anderen Merkmalen häufiger un- und Maschinen gearbeitet wird (Cheung et al. 2014). Darüber hin- tersucht werden. Dieser Fakt ist jedoch sicherlich auch der Tatsache aus wird auch empfohlen, systematische Arbeitsplatzrotationen und geschuldet, dass der Job Content Questionnaire, mit dem vertikale Tätigkeitswechsel vorzusehen (Frieling et al. 2008; Jorgensen 2005). Tätigkeitsmerkmale erhoben werden, ein sehr verbreitetes Instru- Die Empfehlung der Autoren lautet weiterhin, dass Arbeitsplatzro- ment ist und auch in vielen Sprachen vorliegt. tationen nicht nur als temporäre Maßnahme eingesetzt, sondern als Die Analyse der Studien zeigt weiter, dass der Arbeitsbedin- fester Bestandteil in den Produktionsprozess implementiert werden gungsfaktor in der Regel dichotom (vorhanden – nicht vorhanden) sollten. Eine Gestaltungsempfehlung hinsichtlich der konkreten betrachtet wird. Es erfolgt selten eine Darstellung in verschiedenen Dauer oder einer genauen Rotationsanzahl kann aus den Studien Abstufungen. Lediglich die Untersuchung von Joensuu et al. (2010) allerdings nicht abgeleitet werden. Ferner lassen sich Studien fin- betrachtet den Tätigkeitsspielraum differenzierter. Sie beschreiben den, die empfehlen, repetitive Tätigkeit zu vermeiden (Bergstrom et den Arbeitsbedingungsfaktor mit den Abstufungen gering – mittel al. 2007) bzw. den Entscheidungsspielraum bei komplexeren Tätig- – hoch. Ferner lässt sich eine Unterscheidung zwischen vertikalen keiten zu erhöhen und Arbeitsaufgaben somit im Sinne einer voll- und horizontalen Tätigkeitsmerkmalen aus der Theorie gut ableiten, ständigen Tätigkeit ganzheitlicher zu gestalten (Holman et al. 2012). jedoch scheinen sich diese Überlegungen nicht in der Messpraxis Gestaltungswissen hinsichtlich der spezifischen Gestaltung von wiederzufinden. Die Varianz der verwendeten Messinstrumente ist Tätigkeitsspielräumen lässt sich aus den analysierten Studien nicht gering und somit auch das Spektrum der fokussierten Facette des ableiten. Allerdings lassen Untersuchungen, die die direkten Bezie- Tätigkeitsspielraums. Weiter enthalten Studien selten eine konkrete hungen zwischen Merkmalen der Arbeitsablauforganisation und Beschreibung des Arbeitssystems sowie der Arbeitsaufgabe. Damit dem Arbeitsbedingungsfaktor im Rahmen von Interventionsstudien bleibt die Beschreibung des Aufgabenmerkmals Tätigkeitsspielraum analysieren, die Ableitung von Gestaltungswissen zu. Hier zeigt sich in der Regel abstrakt und beschränkt sich auf die Nennung von Bei- vor allem, dass Lean-Production-Prinzipien und serielle (Fließband-) spiel-Items der verwendeten Messinstrumente. Organisation von Produktionsprozessen sich nicht positiv auf den Tä- Die Analyse der Gestaltungsaussagen zeigt ein heterogenes Bild. Ei- tigkeitsspielraum auswirken. Organisationsformen wie teilautonome nerseits besteht große Einigkeit in der Literatur dahingehend, dass der Arbeitsgruppen, flexible Fertigungsprinzipien oder die Umsetzung Tätigkeitsspielraum selbst als Gestaltungsressource betrachtet wird. In eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses (KVP) hingegen sind den allermeisten Studien wird ein Vorhandensein oder eine Erhöhung mit höheren Tätigkeitsspielräumen verbunden. Somit wirkt sich die von Spielräumen empfohlen und auch aus dem Zusammenhang zwi- Gestaltung der Arbeitsablauforganisation direkt auf die Gestaltung schen Arbeitsablaufmerkmalen und den jeweils erlebten Tätigkeitsspiel- des Aufgabenmerkmals Tätigkeitsspielraum aus und sollte bei der räumen lassen sich Hinweise auf eine gute Gestaltung des Merkmals ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 53 (Sonderheft) | 12.2018
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