Iga.Report 29 - Führungskräfte sensibilisieren und Gesundheit fördern - Ergebnisse aus dem Projekt "iga.Radar"

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Iga.Report 29 - Führungskräfte sensibilisieren und Gesundheit fördern - Ergebnisse aus dem Projekt "iga.Radar"
iga.Report 29

Führungskräfte sensibilisieren und                                                                       Die Initiative
                                                                                                         Gesundheit und Arbeit

Gesundheit fördern – Ergebnisse                                                                          In der Initiative Gesundheit und
                                                                                                         Arbeit (iga) kooperieren gesetz-
                                                                                                         liche Kranken- und Unfallversi­
aus dem Projekt „iga.Radar“                                                                              cherung, um arbeitsbedingten
                                                                                                         Gesundheitsgefahren vorzu­
                                                                                                         beu­gen. Gemeinsam werden
                                                                                                         Präventionsansätze für die Ar-
Zusammengestellt von Ina Kramer, Stephan Oster und Michael Blum
                                                                                                         beitswelt weiterentwickelt und
                                                                                                         vorhandene Methoden oder
                                                                                                         ­Erkenntnisse für die Praxis nutz­­
Autoren- und Interviewbeiträge: Sören Brodersen, Dr. Marlen Cosmar, Prof. Dr. Jörg Felfe,
                                                                                                          bar gemacht.
Marianne Giesert, Dr. Nick Kratzer, Andreas Kummer, Anja Liebrich, Patricia Lück, Dr. Barbara Pangert,
Tobias Reuter, Thomas Schneberger, Sarah Schuster, Sabine Winterstein                                    iga wird getragen vom BKK
                                                                                                         Dachverband, der Deutschen
                                                                                                         Gesetzlichen Unfallversicherung
                                                                                                         (DGUV), dem AOK-Bundesver­
                                                                                                         band und dem Verband der
                                                                                                         ­Ersatzkassen e. V. (vdek).

                                                                                                         www.iga-info.de
iga. Report 29

Führungskräfte sensibilisieren und
Gesundheit fördern – Ergebnisse aus
dem Projekt „iga.Radar“

Zusammengestellt von
Ina Kramer, Stephan Oster und Michael Blum

Autoren- und Interviewbeiträge: Sören Brodersen, Dr. Marlen Cosmar, Prof. Dr. Jörg Felfe,
Marianne Giesert, Dr. Nick Kratzer, Andreas Kummer, Anja Liebrich, Patricia Lück,
Dr. Barbara Pangert, Tobias Reuter, Thomas Schneberger, Sarah Schuster, Sabine Winterstein
Inhaltsverzeichnis

1    Einleitung                                                                                               07

     1.1 Über das Projekt iga.Radar                                                                           07

     1.2 Relevanz psychischer Erkrankungen in der Arbeitswelt                                                 07

2    Dimension Wissenschaft                                                                                   13

     2.1 Rolle der Führung                                                                                    13

     2.2 Führung und Gesundheit                                                                               17

     2.3 Führungskräfte haben Vorbildfunktion – auch beim Thema Gesundheit!                                   24

     2.4 Führungsqualität aus nationaler und internationaler Perspektive – ein Überblick                      29

     2.5 Implikationen des Wandels der Arbeitswelt für die betriebliche Gesundheitsförderung am Beispiel
         „ständiger Erreichbarkeit”                                                                           32

3    Dimension Praxis                                                                                         39

     3.1 Führung und Gesundheit in der Praxis                                                                 39

     3.2 Seele unter Druck                                                                                    45

     3.3 Führungsorientierte Präventionsangebote der Unfallversicherungsträger bei psychischen Belastungen
         am Arbeitsplatz                                                                                      47

     3.4 Maßnahmen zur Förderung der psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt                                51

     3.5 Führung als zentrales Element der psychischen Gesundheit am Arbeitsplatz – Beispiele aus der AOK     56

4    Praktische Ansätze und Herangehensweisen zur Prävention psychischer Erkrankungen                         64

     4.1 Psychische Gesundheit am Arbeitsplatz umsetzen – Gewerkschaftliche Perspektive/Arbeitnehmersicht     64

     4.2 Unser Ziel ist das stresskompetente Unternehmen! – Führung und Gesundheit bei RWE                    70

     4.3 Herausforderungen für die Prävention und Gesundheitsförderung von Unfall- und Krankenversicherung:
         Empfehlungen und Ausblick                                                                            77

Anhang                                                                                                        78
iga.Report 29 . Führungskräfte sensibilisieren und Gesundheit fördern – Ergebnisse aus dem Projekt „iga.Radar“

1      Einleitung                                                   1.2    Relevanz psychischer Erkrankungen
                                                                           in der Arbeitswelt

In der Debatte um psychosoziale Fehlbeanspruchungen am Ar-          Wachsende Bedeutung von psychischen Erkrankungen
beitsplatz und die statistische Zunahme psychischer Erkrankun-      Den Berichten vieler Medien zufolge haben psychische Erkran-
gen wird die Rolle der Führung seit einiger Zeit diskutiert. So     kungen in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Unter-
hat die Führung in einem Unternehmen maßgeblichen Einfluss          stützt werden diese Meldungen von den Statistiken der Kran-
auf die Produktivität und den wirtschaftlichen Erfolg, aber auch    kenkassen, die tatsächlich steigende Arbeitsunfähigkeitszeiten,
auf die Gesundheit und das Wohlbefinden der Beschäftigten.          längere stationäre Krankenhausaufenthalte sowie zunehmende
In Zeiten einer alternden Erwerbsbevölkerung und dem damit          Verordnungszahlen von Psychopharmaka ausweisen. Auch die
verbundenen Fach- bzw. Nachwuchskräftemangel ist der Erhalt         Frühberentungen aufgrund psychischer Erkrankungen sind in
der Beschäftigungsfähigkeit von hoher Bedeutung.                    den vergangenen Jahren auf Rekordhöhe gestiegen. Auf der
                                                                    anderen Seite geht die Epidemiologie auf Basis der Datenlage
Auf der Grundlage der aktuellen Herausforderungen sehen sich        (Ein-Jahres-Prävalenz) davon aus, dass der Anteil der Bevölke-
die Akteure von Berufsgenossenschaften, Unfall- und Kranken-        rung, der innerhalb eines Jahres an einer psychischen Störung
kassen mit zahlreichen Fragen konfrontiert: Wie muss Arbeit         leidet, in Deutschland seit Jahren relativ konstant bei rund 33
gestaltet werden, damit künftig möglichst viele Menschen das        Prozent liegt (Ärzteblatt 2013). Darum kann nicht von einer
gesetzliche Rentenalter gesund und in sozialversicherungs-          starken Zunahme psychischer Erkrankungen in der Bevölkerung
pflichtiger Arbeit erreichen? Wie können Führungskräfte so          ausgegangen werden, wenngleich sich deren Bedeutung und
unterstützt werden, dass ihr Führungsverhalten die psychische       Wahrnehmung erhöht haben.
Gesundheit der Beschäftigten stärkt und sie auch selbst gesund
bleiben? Welche erfolgreichen Maßnahmen lassen sich ermit-          Denn der scheinbare Widerspruch – steigende Zahl von Fehl-
teln? Wie und mit welchen Mitteln wird die betriebliche Praxis      tagen aufgrund psychischer Erkrankungen einerseits, relativ
durch die verschiedenen politischen und gesellschaftlichen          gleichbleibender Anteil psychisch Erkrankter pro Jahr an der Ge-
Akteure unterstützt? Wo besteht Informations- und Handlungs-        samtkrankenlast andererseits – könnte ein Hinweis darauf sein,
bedarf?                                                             dass weniger die psychischen Erkrankungen als vielmehr die
                                                                    Sensibilität und auch das Bewusstsein für diese Krankheitsgrup-
                                                                    pe zugenommen haben (vgl. DAK-Gesundheitsreport 2013).
1.1    Über das Projekt iga.Radar                                   Darüber hinaus hat die beginnende gesellschaftliche Enttabui-
                                                                    sierung von psychischen Erkrankungen dazu beigetragen, dass
Das Projekt iga.Radar möchte einen Beitrag zur Ermittlung           betroffene Personen heute überhaupt und früher medizini-
und erfolgreichen Verbreitung von innovativen Konzepten und         sche Hilfe in Anspruch nehmen, womit sie statistisch relevant
deren Umsetzung leisten. Ziel ist dabei ein inhaltlich und for-     werden. Auch ist die diagnostische Kompetenz auf Seiten der
mal breitgefächertes Angebot, mit dem sich Aufmerksamkeit           Medizin gestiegen, wodurch mehr Störungen und Krankheiten
und Interesse am Thema „Arbeit und Gesundheit“ erzielen             im psychischen Bereich erkannt und therapiert werden können.
lassen.                                                             Insofern haben die psychischen Störungen nicht zugenommen,
                                                                    wohl aber ihre Bedeutung und Präsenz, was allerdings kein An-
Schon der Name verdeutlicht die Zielsetzung dieses Pro-             lass zur Entwarnung ist. Vielmehr besteht schon lange und im
jektes. Analog zur ursprünglichen Bedeutung des Begriffs            durchaus besorgniserregenden Maße eine Krankheitshäufigkeit
„Radar“ als ein Erkennungs- und Ortungsverfahren, das in            psychischer und psychosomatischer Erkrankungen, die jetzt aus
einen bestimmten Raum z. B. Objekte identifiziert, erfasst der      den genannten Gründen offensichtlich wird.
vorliegende Report eine Vielfalt an verfügbaren Informatio-
nen innerhalb des Themenfeldes „Führung und psychosoziale           Neue Herausforderungen, gefühlte Unsicherheit
Gesundheit“ und bereitet sie auf. Bildlich gesprochen: So wie       Dass die Zunahme von psychischen Erkrankungen in weiten
ein Radar seine Umgebung in bestimmten Zyklen regelmäßig            Teilen der Bevölkerung als gegeben bzw. wahrscheinlich
abtastet, möchte iga.Radar Entwicklungen innerhalb des The-         angenommen wird, steht in engem Zusammenhang mit
menfeldes orten, innovative Konzepte, Forschungs- und Mo-           der öffentlichen Diskussion über den aktuell stattfindenden
dellprojekte sowie Trends identifizieren, Beispiele guter Praxis    gesellschaftlichen und sozialen Wandel. Dieser stellt fast alle
ausfindig machen sowie aktuelle Erkenntnisse zu Wirksamkeit         Bevölkerungsgruppen vor neue Herausforderungen, erhöht den
und Nutzen entsprechender gesundheitsförderlicher und prä-          Druck auf den Einzelnen und gefährdet unter Umständen die
ventiver Aktivitäten im betrieblichen Umfeld dokumentieren.         psychische Stabilität auf breiter Ebene. So erschwert der demo-
Für das Projekt iga.Radar zum Thema „Führung und psycho-            grafische Wandel die Finanzierbarkeit der sozialen Sicherungs-
soziale Gesundheit“ wurden Literaturstudien und ausführliche        systeme und die Angst in der Bevölkerung vor Altersarmut und
Interviews mit Fachleuten aus Wissenschaft und Praxis zur           Pflegenotstand wächst. Arbeitslosigkeit und prekäre Arbeitsver-
Rolle der Führung bei der Förderung der psychischen Gesund-         hältnisse sind zusätzliche psychische Belastungsfaktoren, mit
heit durchgeführt. Die Ergebnisse des Projektes sind im vorlie-     denen sich eine relevante Anzahl von Menschen in Deutschland
genden iga.Report aufbereitet.                                      konfrontiert sieht.

                                                                                                                                  7
iga.Report 29 . Führungskräfte sensibilisieren und Gesundheit fördern – Ergebnisse aus dem Projekt „iga.Radar“

Und selbstverständlich ist es auch die Arbeit selbst, ihre Ge-      Wachsende Bedeutung von Gesundheit im
staltung und die Bedingungen, unter denen sie verrichtet wird,      demografischen Wandel
die als Belastungsfaktoren für zahlreiche Menschen eine Rolle       Dass die Bedeutung dieses Zusammenhangs mittlerweile
spielen.                                                            erkannt ist, belegt das Interesse von Politik, Arbeitgebern
                                                                    und deren Verbänden, Krankenkassen, Unfallversicherungs-
Veränderte Arbeitsanforderungen                                     trägern, Wissenschaft und auch von den Gewerkschaften an
Der Wandel von der klassischen Industriegesellschaft hin zu einer   Fragestellungen, die sich mit den Auswirkungen einer guten
Wissens-, Informations- und Dienstleistungsgesellschaft hat das     und menschengerechten Arbeitsgestaltung auf Motivation,
Anforderungsprofil an vielen Arbeitsplätzen verändert. Früher       Leistungsfähigkeit, Arbeitszufriedenheit und insgesamt auf
standen vor allem physische Belastungen auf der Agenda des          die psychische Gesundheit von Beschäftigten befassen.
Arbeits- und Gesundheitsschutzes. Diese sind heute zwar keines-     Mitverantwortlich für dieses Interesse ist der demografische
wegs verschwunden, die psychischen Belastungen haben jedoch         Wandel. Das Erwerbspersonenpotenzial in Deutschland wird
zugenommen und prägen den Arbeitsalltag von immer mehr              zukünftig weiter schrumpfen – nach Schätzungen der Bun-
Beschäftigten.                                                      desagentur für Arbeit um 6,5 Millionen Menschen bis 2025 –
                                                                    und so werden am Arbeitsmarkt immer weniger Arbeits- und
Geht man von der DIN EN ISO 10075-1 aus, die psychische             Fachkräfte zur Verfügung stehen. Gleichzeitig wird das Durch-
Belastung ausschließlich „als die Gesamtheit aller erfassbaren      schnittsalter der Bevölkerung weiter steigen, d. h. der Anteil
Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und              der Älteren wächst und jüngere und mittlere Altersgruppen
psychisch auf ihn einwirken“ definiert, ist das zunächst unprob-    schrumpfen. Für die sozialen Sicherungssysteme bedeutet
lematisch. Schließlich können diese Wirkungen durchaus positiv      das: Zunehmend weniger Personen zahlen Beiträge ein,
und erwünscht sein, z. B. im Falle eines gestärkten Selbstver-      während der Anteil der Personen, die Leistungen beziehen,
trauens aufgrund der Bewältigung einer komplexen Aufgabe.           wächst. Dieser volkswirtschaftlich ungünstigen Entwicklung
Problematisch wird es jedoch, wenn Beschäftigte die psychischen     versucht die Politik mit verschiedenen Maßnahmen nachhal-
Anforderungen Ihrer Arbeit nicht angemessen bewältigen können       tig zu begegnen. Eine dieser Maßnahmen ist die stufenweise
– sei es aufgrund fehlender Qualifikation und Erfahrung oder weil   Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre. Damit diese
die Arbeit schlecht gestaltet ist und nicht den Voraussetzungen     Maßnahme ihren Zweck erfüllt, müssen die Menschen aber
des Menschen entspricht. Dann führt die Herausforderung schnell     auch tatsächlich bis 67 Jahre arbeiten können, dürfen und
zur Überforderung mit allen negativen Konsequenzen für die          wollen.
psychische Gesundheit. Die Arbeitswissenschaft spricht dann von
Fehlbelastung.                                                      Auch viele Unternehmen spüren bereits die demografiebe-
                                                                    dingten Veränderungen am Arbeitsmarkt – viele Lehrstellen
Der von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin      können nicht adäquat besetzt werden, auch bei der Rek-
(BAuA) herausgegebene „Stressreport Deutschland 2012“ führt         rutierung von Fachkräften zeigt sich je nach Branche und
Arbeitsanforderungen auf, die für die psychische Gesundheit der     Region bereits ein Mangel an geeigneten Personen, die sich
Beschäftigten kritisch sein können. Hierzu zählen beispielsweise    bewerben. Deshalb versuchen einige Betriebe bereits, ihre
lang anhaltender hoher Zeitdruck, häufige Unterbrechungen der       Beschäftigten möglichst lange produktiv im Unternehmen
Arbeit, monotone Tätigkeiten sowie fehlende Erholungsmöglich-       zu halten. Damit gewinnt die Gesundheit der Mitarbeiter
keiten. Solche Arbeitsbedingungen führen häufig zu Stress. Laut     und Mitarbeiterinnen als wesentliche Voraussetzung für eine
BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 betrifft dies           möglichst gute und lange Beschäftigungsfähigkeit erheblich
viele Beschäftigte. So geben 58 Prozent der Befragten an, dass      an Bedeutung. Darüber hinaus haben einige Betriebe bereits
ihre Tätigkeit oft die gleichzeitige Betreuung verschiedenartiger   erkannt, dass ein möglichst hohes Gesundheitsniveau in der
Aufgaben umfasst. Damit steht Multitasking an der Spitze der        Belegschaft auch Voraussetzung für weitere Effizienzsteige-
häufigen Arbeitsanforderungen, gefolgt von hohem Termin- und        rungen ist, die im Rahmen des globalisierten Wettbewerbs
Leistungsdruck (52 Prozent), ständig wiederkehrenden Arbeitsvor-    absehbar notwendig sind. Weil Gesundheit – auch die psy-
gängen (50 Prozent) und Störungen und Unterbrechungen bei der       chische – in diesem Sinne zu einem wichtigen Wettbewerbs-
Arbeit (44 Prozent). Fehlbeansprucht fühlten sich die befragten     faktor geworden ist, wächst in einigen Unternehmen die
Erwerbstätigen insbesondere durch hohen Termin- und Leistungs-      Bereitschaft, mehr in die Gesundheit ihrer Beschäftigten zu
druck (34 Prozent), Arbeitsunterbrechungen und Störungen (26        investieren und gute Arbeitsbedingungen zu bieten.
Prozent), Multitasking (17 Prozent) und Monotonie (9 Prozent).
                                                                    Auf der anderen Seite ist das Handlungswissen für eine
Es gibt aber auch solche Arbeitsbedingungen, die sich eher          sinnvolle Prävention insbesondere von psychischen Störun-
förderlich auf die psychische Gesundheit auswirken, wie z. B. das   gen und Erkrankungen in vielen Betrieben und bei vielen
Vorhandensein von inhaltlichen und zeitlichen Spielräumen bei       Führungskräften noch verbesserungswürdig. Der mittel- und
der Arbeit oder die Kommunikation und Kooperation mit Kolle-        langfristige Einfluss von psychischen Fehlbelastungen auf
ginnen, Kollegen und Vorgesetzten. Solche Bedingungen werden        das psychische Wohlbefinden, auf die Gesundheit und die
Ressourcen genannt. Für die Gestaltung einer gesundheitsförderli-   Leistungsfähigkeit wird häufig noch unterschätzt.
chen Arbeit ist die Relation zwischen Ressourcen und Stressfakto-
ren von entscheidender Bedeutung.

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iga.Report 29 . Führungskräfte sensibilisieren und Gesundheit fördern – Ergebnisse aus dem Projekt „iga.Radar“

                                                                    bei den Beschäftigten keineswegs zwangsläufig zu psychischen
  Info-Box                                                          Fehlbeanspruchungen sowie mittel- und langfristig zu psy-
  Was ist psychische Gesundheit, was ist psychische                 chischen Störungen und Erkrankungen führen. Vielmehr kann
  Krankheit?                                                        eine Unternehmenspolitik, die eine gute Arbeitsgestaltung und
  Häufige, intensive und lang andauernde Normabweich-               ein gesundheitsförderliches Betriebsklima im Blick behält, die
  ung des Erlebens, Befindens und Verhaltens deuten auf             psychischen Belastungen positiv beeinflussen und psychische
  eine psychische Erkrankung hin. Diese Erkrankungen wer-           Fehlbeanspruchungen vermeiden.
  den in der Internationalen Klassifikation der Krankheiten
  (ICD) als „Psychische und Verhaltensstörungen“ (ICD-10,
  Kap. V (F)) beschrieben. Dort finden sich Krankheitsbil-             Info-Box
  der wie Depression, manisch-depressive Erkrankungen,                 Psychische Belastung – psychische Beanspruchung:
  Angststörungen und Schizophrenien. Oft gehen diese                   Was ist was?
  Krankheiten für den Betroffenen mit Leid, Angst, Verun-              Die Norm DIN EN ISO 10075-1 „Ergonomische Grundlagen
  sicherung sowie einem Verlust an Freiheit einher. Vor                bezüglich psychischer Arbeitsbelastung“ definiert psy-
  allem länger andauernde Krankheitszustände können                    chische Belastung „als die Gesamtheit aller erfassbaren
  bei Betroffenen zu einer Einschränkung der Lebensquali-              Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen
  tät in den Bereichen Wohnen, Arbeit und Freizeit führen.             und psychisch auf ihn einwirken.“ Diese Wirkungen
                                                                       können positiv und erwünscht, aber auch negativ und
  Der Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und                  unerwünscht sein. „Psychische Belastung“ ist neutral und
  Erkrankung ist ein wechselseitiger Prozess. Wenn ein                 muss nicht zwangsläufig negative gesundheitliche Folgen
  Mensch psychisch erkrankt, können die Ursachen haupt-                haben. Berufliche Anforderungen können beispielsweise
  sächlich in der Person selbst liegen, aber auch im priva-            als Herausforderungen angenommen werden, die im
  ten oder beruflichen Umfeld. Auf der anderen Seite stellt            Falle der Bewältigung das Selbstvertrauen stärken.
  z. B. eine Depression selbst auch einen Stressfaktor dar,            Auf der anderen Seite kann die gleiche berufliche Anfor-
  der die Leistungsfähigkeit einer Person am Arbeitsplatz              derung von einer anderen Person aber auch als Überfor-
  beeinträchtigt. In jedem Fall ist es wichtig, die Anzeichen          derung erlebt werden, weil etwa ihre Voraussetzungen
  frühzeitig zu erkennen: Wenn psychische Erkrankungen                 im Bereich Qualifikation und Erfahrung andere sind. Wie
  nicht rechtzeitig behandelt werden, tritt eine Verschlech-           gut eine Person mit psychischen Belastungen zurecht-
  terung ein und sie können langfristig chronisch verlaufen.           kommt, hängt von ihren individuellen Voraussetzungen
  Gesundheit ist ein „Zustand vollständigen physischen,                ab. Sie bestimmen, wie sich psychische Belastungen indi-
  geistigen und sozialen Wohlbefindens“, definiert die                 viduell auswirken bzw. wie sehr sie eine Person bean-
  Weltgesundheitsorganisation (WHO). Die Definition                    spruchen. Die bereits erwähnte DIN-Norm bezeichnet das
  macht deutlich, dass körperliche Gesundheit und psy-                 als „psychische Beanspruchung“. Zu den Voraussetzun-
  chisches Wohlbefinden zusammen gehören: Wer sich                     gen, die darüber entscheiden, wie sehr eine Person von
  psychisch nicht wohl fühlt, ist weder richtig gesund noch            einer psychischen Belastung beansprucht wird, gehören
  leistungsfähig. Psychische Gesundheit ist eine unver-                z. B. Fähigkeiten, Erfahrungen und Selbstbewusstsein,
  zichtbare Grundlage, um im modernen Arbeitsleben zu                  aber auch der Gesundheitszustand, das Alter und das
  bestehen und sich fachlich wie persönlich entwickeln zu              Geschlecht. So unterscheiden sich Personen hinsichtlich
  können. (Quelle: psyGA)                                              ihrer psychischen, körperlichen, genetischen und sozialen
                                                                       Voraussetzungen, was dazu führt, dass jeder Mensch
                                                                       anders auf psychische Belastung reagiert und sie auch
Unwissenheit und Unsicherheit führen teilweise dazu, dass es           unterschiedlich wahrnimmt. Werden die individuellen
bei der Bearbeitung des Themas noch viel Entwicklungspoten-            Voraussetzungen einer Person über- oder unterfordert, so
zial gibt. Hinzu kommt die nach wie vor nicht zu unterschätzen-        führt psychische Belastung zu Fehlbeanspruchung. Diese
de Tabuisierung von psychischen Belastungen und psychischen            kann sich bei Beschäftigten so auswirken, dass die Arbeit
Erkrankungen. Denn wer gibt gerne zu, überfordert oder gar             als langweilig empfunden wird, schnell Ermüdung ein-
psychisch erkrankt zu sein?                                            tritt, die Konzentrationsfähigkeit nachlässt oder wichtige
                                                                       Signale nicht mehr wahrgenommen werden. Die dabei
Prävention psychischer Erkrankungen durch                              auftretende kurzfristige Beanspruchung äußert sich durch
gute Arbeitsgestaltung                                                 Ermüdung oder ermüdungsähnliche Zustände – mit den
Die wissenschaftliche Forschung hat in den vergangenen Jahren          Einzelformen Monotonie, herabgesetzte Wachsamkeit,
Ansätze und Empfehlungen für die erfolgreiche Prävention               Sättigung sowie Stress. (Quelle: BAuA 2010, S. 12)
psychischer Erkrankungen auf betrieblicher Ebene erarbeitet
und vorgestellt. Dieses Handlungswissen haben einige Unter-
nehmen bereits erfolgreich in die Praxis umgesetzt. Denn die
veränderten Anforderungen der modernen Arbeitswelt müssen

                                                                                                                                    9
iga.Report 29 . Führungskräfte sensibilisieren und Gesundheit fördern – Ergebnisse aus dem Projekt „iga.Radar“

Führungskräfte wichtiger Einflussfaktor
Eine ganz zentrale Rolle nehmen dabei – wie übrigens im                Arbeitsverdichtung, Termin- und Leistungsdruck, häufige
gesamten Bereich des Betrieblichen Gesundheitsmanagements              Störungen oder ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge
(BGM) ­– die Führungskräfte ein. Ihre Kompetenzen hinsichtlich         werden von den Beschäftigten am häufigsten genannt,
gesundheitsförderlicher Führung entscheiden mit darüber, ob            wenn sie nach psychischer Belastung befragt werden.
die Beschäftigten die veränderten Anforderungen als Heraus-            Die grundsätzlich positive Wirkung der Arbeit kann dann
forderung annehmen und bewältigen oder als Überforderung               ins Negative umschlagen und Erkrankungen auslösen,
erleben und scheitern. Dabei ist für Beschäftigte besonders            wenn arbeitsbedingter Stress nicht nur punktuell, son-
wichtig, welches Maß an Unterstützung sie von ihren Vorge-             dern dauerhaft auf die Beschäftigten einwirkt und die
setzten erfahren. Hier kommt es z. B. darauf an, ob Vorgesetzte        Beanspruchungsfolgen nicht ausreichend kompensiert
ansprechbar sind, ob sich mit ihnen Probleme erörtern lassen           werden können.“
und ob von ihnen klar strukturierte Aufgaben sowie eindeutige
Rückmeldungen zu erwarten sind. Diese Verlässlichkeit ist beim         Gesund, motiviert und qualifiziert
ständigen Wandel, dem Arbeitstätigkeiten heute unterliegen,            „Der Schutz vor gesundheitlichen Risiken ist eine ethi-
besonders bedeutsam. Und weil die Führungsqualität einen               sche Frage – aber nicht nur: Auch aus ökonomischen
relevanten Einflussfaktor auf die psychische Gesundheit von            Gründen ist es notwendig, mögliche Beeinträchtigungen
Beschäftigten darstellt (Stilijanow 2012), widmete sich das            durch arbeitsbedingte psychische Belastung frühzeitig
Projekt iga.Radar diesem speziellen Themenfeld. Es werden              zu erkennen und zu minimieren, um spätere lange
verschiedene Aspekte von Führung und Gesundheit sowie                  Fehlzeiten zu vermeiden. Künftig wird es in Deutschland
unterschiedliche Perspektiven vorgestellt, Einblicke in den            erheblich weniger Menschen im erwerbsfähigen Alter
aktuellen Forschungsstand zur Führungskultur gewährt sowie             geben und das Durchschnittsalter der Beschäftigten wird
Hinweise für die Praxis formuliert.                                    steigen. Auch deshalb sind die Rahmenbedingungen der
                                                                       Arbeitswelt so zu gestalten und eigenverantwortliches
                                                                       und gesundheitsbewusstes Handeln so zu fördern, dass
     Info-Box                                                          die Menschen gesund, motiviert und qualifiziert bis zum
     Gemeinsame Erklärung von Sozialpartnern und Politik               Rentenalter arbeiten können. Daher ist es wichtig, das
     Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt                          Wissen über mögliche Gefährdungen, deren Vermeidung
     Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, die                und die damit verbundenen gesetzlichen Pflichten in
     Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände               die Unternehmen und die öffentliche Verwaltung zu
     sowie der Deutsche Gewerkschaftsbund haben Anfang                 bringen.“
     September 2013 eine gemeinsame Erklärung zur „Psychi-
     schen Gesundheit in der Arbeitswelt“ veröffentlicht. Hier         Arbeitsschutz und Gesundheitsförderung
     finden sich einige Auszüge:                                       „Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, die
                                                                       Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbän-
     „Psychische Erkrankungen gewinnen national wie in-                de und der Deutsche Gewerkschaftsbund sind sich der
     ternational an Beachtung. Nicht nur die Gesundheit und            wachsenden Bedeutung psychischer Gesundheit in der
     Lebensqualität des Einzelnen werden durch sie nachhal-            Arbeitswelt bewusst. Sie wollen – unabhängig von un-
     tig beeinträchtigt. Auch aus unternehmerischer sowie              terschiedlichen Positionen in Einzelfragen – gemeinsam
     volkswirtschaftlicher Sicht sind die Konsequenzen erheb-          dazu beitragen, psychischen Erkrankungen vorzubeugen
     lich: Psychische Erkrankungen mindern das Leistungs-              und die erfolgreiche Wiedereingliederung von psychisch
     vermögen der betroffenen Beschäftigten, verursachen               erkrankten Beschäftigten zu verbessern.
     inzwischen etwa 13 Prozent der Arbeitsunfähigkeitstage            Wesentliche Ansatzpunkte, um psychische Belastung
     und stellen mittlerweile die häufigste Frühverrentungs-           frühzeitig zu erkennen und gesundheitliche Risiken zu
     ursache dar. (...) Die Ursachen für psychische Erkrankun-         minimieren, sind die Instrumente des gesetzlich verbind-
     gen sind vielfältig. So können private Einflüsse ebenso           lichen Arbeitsschutzes und der freiwilligen betrieblichen
     dazu beitragen wie gesellschaftliche Entwicklungen und            Gesundheitsförderung.“
     arbeitsbezogene Faktoren.“
                                                                       Agenda der Sozialpartner
     Arbeit hat positiven Einfluss                                     • „Die Sozialpartner werden die konsequente Umset-
     „Grundsätzlich hat Arbeit einen positiven Einfluss auf              zung der Vorgaben des Arbeits-­und Gesundheits-
     die Gesundheit und die persönliche Entwicklung des                  schutzes befördern. Sie werden außerdem freiwillige
     Einzelnen. Gut gestaltete Arbeit stabilisiert die Psyche            Maßnahmen und Vereinbarungen zur betrieblichen
     des Menschen. Wissenschaft und Fachwelt stimmen                     Gesundheitsförderung und zum Arbeits-­und Gesund-
     gleichwohl überein, dass psychische Belastung und ihre              heitsschutz unterstützen.
     Wirkung auf die Beschäftigten auch eine wachsende                 • Dabei setzen sie sich dafür ein, die Gesundheit besser
     Herausforderung unserer modernen Arbeitswelt sind.                  vor Gefährdungen durch arbeitsbedingte psychische

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iga.Report 29 . Führungskräfte sensibilisieren und Gesundheit fördern – Ergebnisse aus dem Projekt „iga.Radar“

    Belastung zu schützen. Sie wirken insbesondere auf               Info-Box
    die flächendeckende Umsetzung betrieblicher Gefähr-              Psychische Erkrankungen in Zahlen, Daten, Fakten
    dungsbeurteilungen unter Berücksichtigung sowohl                 • Seit Mitte der 1990er Jahre verzeichnen alle Kranken-
    physischer als auch psychischer Belastung hin. Für die              kassen eine Zunahme der Arbeitsunfähigkeitszeiten
    Umsetzung kann der Abschluss von Vereinbarungen                     wegen psychischer Erkrankungen. Der Anteil der von
    auf Betriebs­ebene hilfreich sein.                                  dieser Krankheitsgruppe verursachten AU-Tage betrug
•   Die Sozialpartner unterstützen die entsprechenden                   2012 14,7 Prozent – das entspricht einer Verdoppelung
    Ziele der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstra-                  seit dem Jahr 2000 (BKK Gesundheitsreport 2013).
    tegie und beteiligen sich aktiv an ihrer Umsetzung.              • Die Zahl der Arbeitsunfähigkeitstage wegen psy-
    Dazu sprechen sie ihre jeweiligen Vertretungen in den               chischer Erkrankungen ist nach einer Analyse der
    Betrieben und Dienststellen an, informieren diese                   Bundestherapeutenkammer (BPtK 2012) allein
    über die rechtlichen Vorgaben sowie über Gestal-                    zwischen 2001 und 2010 von 33,6 Mio. auf 53,5 Mio.
    tungsbedarf und ­-möglichkeiten. Sie verpflichten sich,             angestiegen.
    Beispiele guter Praxis sowie Instrumente und Erkennt-            • Psychische Erkrankungen sind oft mit einer langen
    nisse zu verbreiten, um Gefährdungen zu identifi-                   Erkrankungsdauer verbunden. Diese lag nach Anga-
    zieren und zu bewerten. Sie werden die Information                  ben des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales
    und Qualifizierung betrieblicher Akteure anregen und                (BMAS) je nach Krankenkasse bei durchschnittlich bis
    fördern.                                                            zu 40,5 Tagen. Zum Vergleich: Eine Krankschreibung
•   Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeber-                    bei anderen Krankheitsgruppen dauert durchschnitt-
    verbände wird bei den Unternehmen dafür werben,                     lich 13 Tage.
    das gesetzlich vorgeschriebene betriebliche Einglie-             • 2012 gingen nach Zahlen der Deutschen Rentenversi-
    derungsmanagement umzusetzen, um psychisch                          cherung über 42 Prozent aller Renten wegen vermin-
    Erkrankten die erfolgreiche Rückkehr ins Arbeitsleben               derter Erwerbsfähigkeit auf psychische Störungen
    zu ermöglichen. Dabei wird sie auf entsprechende                    zurück.
    Unterstützungsangebote der Sozialversicherungsträger             • 2012 betrugen die direkten Kosten psychischer Ver-
    zurückgreifen.                                                      haltensstörungen rund 33 Milliarden Euro.
•   Der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Mit-                    • Als Ursachen für die stark angestiegenen Arbeitsunfä-
    gliedsgewerkschaften setzen sich für eine „Anti-­                   higkeitstage wegen psychischer Erkrankungen nennt
    Stress-Verordnung“ und für konkretisierende Regeln                  das Bundesministerium für Arbeit und Soziales mit
    der Unfallversicherungsträger ein, um die aus ihrer                 Blick auf die Arbeitswelt steigende Anforderungen,
    Sicht existierende Regelungslücke bei psychischer                   höhere Eigenverantwortung im Beruf, höhere Flexibi-
    Belastung zu schließen. Aus Sicht der Bundesvereini-                litätsanforderungen sowie unterbrochene Beschäfti-
    gung der Deutschen Arbeitgeberverbände wird dieser                  gungsverhältnisse.
    Schutz durch das bestehende Recht und Regelwerk
    bereits gewährleistet.
•   Die Sozialpartner werden gemeinsam in den Selbst-
    verwaltungen der Sozialversiche­rungsträger darauf            Literatur
    hinwirken, dass die Gesetzliche Krankenversicherung,
    die Gesetzliche Rentenversicherung und die Gesetz-            Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (Hrsg.)
    liche Unfallversicherung in Bezug auf Prävention              (2010): Psychische Belastung und Beanspruchung im Berufs-
    enger untereinander sowie mit den Unternehmen                 leben. Erkennen – Gestalten. Berlin.
    kooperieren. Sie streben ferner an, dass die ambulan-
    te psychotherapeutische Versorgung bedarfsgerecht             Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Hrsg.) (2013):
    ausgestaltet, psychisch erkrankte Beschäftigte ohne           Gemeinsame Erklärung psychische Gesundheit in der Arbeits-
    längere Wartezeit behandelt und die beruflich ori-            welt. Berlin.
    entierte Rehabilitation gestärkt werden. Arbeitgeber          http://www.bmas.de/DE/Service/Publikationen/a-449-ge-
    und Beschäftigte sind auf abgestimmte Konzepte der            meinsame-erklaerung-psychische-gesundheit-arbeitswelt.html
    Sozialversicherungs­träger angewiesen. Orientierende          (Zugriff am 12.03.2014).
    Hilfestellungen und Beratungsangebote durch das ge-
    gliederte System sind hilfreich und müssen ausgebaut          Bundespsychotherapeutenkammer (Hrsg.) (2012): BPtK-Studie
    werden (z. B. Firmenservices der Rentenversiche-              zur Arbeitsunfähigkeit – Psychische Erkrankungen und Burnout.
    rung).“ (Quelle: BMAS 2013)                                   Berlin.

                                                                                                                                11
iga.Report 29 . Führungskräfte sensibilisieren und Gesundheit fördern – Ergebnisse aus dem Projekt „iga.Radar“

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12
iga.Report 29 . Führungskräfte sensibilisieren und Gesundheit fördern – Ergebnisse aus dem Projekt „iga.Radar“

2      Dimension Wissenschaft                                       Führungskräfte haben einen direkten und indirekten Einfluss auf
                                                                    die Belastungen der Beschäftigten (Ulich et al. 2004). So gestal-
                                                                    ten sie die Arbeitsbedingungen von Beschäftigten wesentlich
Führung und (psychische) Gesundheit: Zum Zusammenhang               mit. Darüber hinaus sollen Führungskräfte u. a. Visionen vermit-
aus wissenschaftlicher Perspektive                                  teln, Charisma besitzen, Lernumwelten organisieren, Mitarbeite-
                                                                    rinnen und Mitarbeiter beraten, bei Zielprozessen unterstützen
                                                                    und die Motivation fördern. Sie sollen Orientierung in einer kom-
2.1    Rolle der Führung                                            plexer werdenden Arbeitswelt geben, zudem Kreativität anregen
                                                                    können und Sorge dafür tragen, dass Beschäftigte ihre Arbeit als
Führungskräfte sind in mehrfacher Hinsicht vom Thema                sinnvoll ansehen und erleben, insbesondere, weil sinnlos erlebte
„Psychische Belastungen“ berührt. Mit Blick auf ihre Aufgaben       Arbeit zu psychischen Störungen und auch körperlichen Beein-
als Führungskraft tragen sie einerseits Verantwortung für das       trächtigungen, wie z. B. Herz-Kreislauf-Erkrankungen, führen
Erreichen der wirtschaftlichen Unternehmensziele, anderseits        kann. Und nicht zuletzt sollen Führungskräfte auch zur Vermei-
haben sie eine Fürsorgepflicht gegenüber den Beschäftigten          dung von Über- und Unterforderung beitragen. Das können sie,
und deren Gesundheit. Diese umfasst auch, Fehlbelastungen           indem sie für ein anspruchsvolles, aber nicht überforderndes
abzubauen, Gefährdungen zu erkennen und zu beseitigen               Arbeitsaufgabenprofil sorgen, das großen Handlungsspielraum
sowie die Beschäftigten im Umgang mit Stress zu unterstüt-          und reichhaltige Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten bietet.
zen. Oder anders formuliert: Führungskräfte sollten darauf          Hingegen sollten sie unklare Aufgabenstellungen, zu wenig
achten, dass die Belastungen und Anforderungen der Arbeit           oder keine Rückmeldung zu Arbeitsergebnissen sowie Zeit- und
den Ressourcen, der Leistungsfähigkeit sowie den Bewälti-           Leistungsdruck vermeiden.
gungsmöglichkeiten der Beschäftigten entsprechen. Zwischen
Aufgabenorientierung (Initiating Structure) und Mitarbeitero-       Fürsorgepflicht im Zeichen von Restrukturierung
rientierung (Consideration) stehen die Führungskräfte häufig        Der ständige Wandel der Arbeitswelt stellt sowohl Führungskräf-
vor dem Dilemma, im Interesse der Unternehmensziele eben            te als auch Beschäftigte regelmäßig vor neue Herausforderun-
jenen Termin- und Zeitdruck vermeintlich erzeugen zu müssen,        gen. So erfordern neue Technologien stetige Weiterbildung und
vor dem sie ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eigentlich        Qualifizierung, um diese sicher zu beherrschen. Zur Führungsauf-
schützen sollen. Insofern sind sie sowohl potenzielle Ressour-      gabe gehört hierbei, den Beschäftigten mögliche Unsicherheiten
ce als auch potenzieller Stressor. Ferner tragen sie über diese     gegenüber dem Neuen und dem Lernen zu nehmen. Denn feh-
unmittelbare Verantwortung für die psychische und physische         lende Kenntnisse können zu Überforderung führen, was das psy-
Gesundheit der Beschäftigten natürlich auch Verantwortung für       chische Wohlbefinden einer Person einschränken kann. Auch or-
die eigene Gesundheit. Ausgehend von einer Vorbildfunktion          ganisatorische Veränderungen müssen im Zuge von Restrukturie-
für die Beschäftigten kann nur diejenige Führungskraft aktiv        rungsprozessen frühzeitig kommuniziert werden, um vielleicht
und unterstützend agieren, die sich mit sich selbst und dem         bestehenden Ängsten von Beschäftigten angemessen begegnen
Thema auseinandersetzt. Ist die Führungskraft hingegen selbst       zu können. Dazu müssen Führungskräfte allerdings im Vorfeld
von Überforderung betroffen oder fehlt ihr Stresskompetenz,         durch professionelle Qualifizierung und Unterstützung befähigt
hat sie nicht nur kaum Möglichkeiten zur Unterstützung ihrer        werden. Beispielsweise können sie durch Trainings und indivi-
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sondern wird sogar zum            duelles Coaching jene Fähigkeiten und jenes Rollenverständnis
Risiko für die Mitarbeitergesundheit.                               erwerben, die für die Umsetzung des Prozesses notwendig sind.
                                                                    Wichtig ist die Sensibilisierung für die psycho-sozialen Dyna-
Das Review von Gregersen et al. (2011) verweist auf viele           miken und die gesundheitsrelevanten Aspekte eines Verände-
Forschungsergebnisse, die den Schluss nahelegen, dass ein           rungsprozesses als gestaltbare Größen. In der Praxis unterbleibt
Führungsstil, der die beiden Dimensionen Aufgabenorientie-          diese Befähigung der Führungskräfte häufig oder findet nur
rung und Mitarbeiterorientierung möglichst umfassend reali-         unzureichend statt. In diesem Fall werden solche Prozesse im
siert, den Gesundheitsschutz der Beschäftigten einschließlich       Regelfall von fehlender Transparenz und Information begleitet.
der Prävention psychischer Störungen und Erkrankungen am            Weitere Folgen sind Angst vor Arbeitsplatzverlust bis hin zu Exis-
ehesten fördert.                                                    tenzängsten auf Seiten der Beschäftigten, verbunden mit allen
                                                                    nachteiligen Auswirkungen auf deren Gesundheit. Die iga.Fakten
Über ihr Führungsverhalten und die Gestaltung der Arbeitsbe-        4 „Restrukturierung: Gesunde und motivierte Mitarbeiter im be-
dingungen nehmen Führungskräfte wesentlichen Einfluss auf           trieblichen Wandel“ skizzieren die wesentlichen Aufgabenfelder
das Wohlbefinden, die Leistungsfähigkeit und die Gesundheit         für Führungskräfte in Veränderungsprozessen wie folgt:
der Beschäftigten. So kann spezifisches Führungsverhalten           ŸŸ Mobilisierungsfunktion – „... nimmt die Menschen mit!“
psychische Belastungen reduzieren, aber auch verstärken.            ŸŸ Unterstützungsfunktion – „... hat ein Ohr für die Belange der
Die Auswirkungen verschiedener Führungsstile wurden bereits             Beschäftigten!“
in einer Vielzahl wissenschaftlicher Studien untersucht, deren      ŸŸ Vorbildfunktion – „...ist ein Vorbild. Lebt das, was von den
Ergebnisse in diesem Kapitel zusammengestellt sind.                     Beschäftigten erwartet wird!“
                                                                    ŸŸ Entscheidungsfunktion – „... trifft klare Entscheidungen!“

                                                                                                                                   13
iga.Report 29 . Führungskräfte sensibilisieren und Gesundheit fördern – Ergebnisse aus dem Projekt „iga.Radar“

Entsprechend sind die Führungskräfte sowohl vor als auch und        Zum anderen spiegeln alle in der Vergangenheit und Gegenwart
nach einer Restrukturierung in ihrer Fürsorgepflicht gefordert.     entwickelten Theorien zur Führungsthematik auch die jeweili-
Wie wichtig die Berücksichtigung und das Mitnehmen der              gen Leit- und Wertvorstellungen wider, die für einen bestimm-
Beschäftigten nach der Restrukturierung sind, zeigt z. B. der       ten Zeitabschnitt im historischen Verlauf prägend waren. Die
europäische Bericht „health in restructuring/HIRES“ (Working        folgende Info-Box beinhaltet eine Definition von Führung, die
Lives Research Institute 2010), der jene europäischen Stu-          grundsätzlich ist, ohne jedoch alle Aspekte zu umfassen.
dien zusammenfasst, die explizit den Zusammenhang von
„überlebter“ Restrukturierung und gesundheitlichen Folgen
untersuchen. Demnach erlebten die sogenannten „survivors“              Info-Box
erhebliche gesundheitliche Beeinträchtigungen, wie z. B.               Führung: eine Definition
schlechte Schlafqualität, erhöhtes Stressempfinden, erhöh-             Unter Führung versteht man die Leitung von Gruppen
tes Herzinfarktrisiko, erhöhter Drogenkonsum, Alkohol- und             und Organisationen durch eine Person oder Personen-
Nikotinmissbrauch, erhöhter Verbrauch von Psychopharmaka,              gruppe, die Befehls- und Entscheidungsgewalt besitzt.
Zunahme von Muskel-Skelett-Erkrankungen und Verlust der                Die Führung hat die Aufgabe, die Ziele der Gruppe zu
Erholungsfähigkeit.                                                    formulieren und zu verwirklichen. Sie wirkt nicht nur
                                                                       nach außen, sondern regelt auch das Verhalten der
Der kurze Überblick verdeutlicht, dass den Führungskräften             Gruppenmitglieder. Man kann zwischen zwei Arten von
neben der Sacharbeit immer auch Beziehungsarbeit z. B. durch           Führung unterscheiden. Die Führung, die Ideen und Ziele
Motivation, Anleitung und Unterstützung obliegt. Es scheint            vorgibt und die Gruppe begründet, und die Führung, die
allerdings so, als ob dieser Teil der Führungsarbeit nicht selten      sich aus einer bestehenden Gruppe bildet (Gudemann
zugunsten der Sach- bzw. Aufgabenarbeit vernachlässigt wird.           1995, S.132).
So gaben bei einer europäischen Beschäftigtenbefragung
nur 47 Prozent der Befragten in Deutschland an, immer oder
meistens Hilfe und Unterstützung von ihrem Vorgesetzen zu er-       Trotz der Vielfalt an Definitionen lassen sich dennoch zwei
fahren – das sind 13 Prozent weniger als im EU-27-Durchschnitt      Grundzüge der Führungsforschung identifizieren, die auch
(Eurofound 2011, zitiert aus: Lohmann-Haislah 2012).                heute noch die öffentliche Wahrnehmung und Deutung von
                                                                    erfolgreicher Führung prägen.
Die Einführung einer gesundheitsförderlichen Führungskultur
stellt sich deshalb als eine neue Personal- und Entwicklungsauf-    Eine dieser beiden Leitvorstellungen, welche die Forschung
gabe für viele Unternehmen dar. Dabei liegt das Thema Gesund-       bis in die 1950er Jahre maßgeblich dominierte, ist die
heit keineswegs allein im Verantwortungsbereich der Führungs-       Auffassung, dass es besondere, angeborene Persönlich-
kräfte. Diese spielen zwar in vielen Bereichen und nicht zuletzt    keitseigenschaften und Charaktermerkmale sind, die einen
als Multiplikatoren eine wichtige Rolle, es bedarf aber auch        Menschen zur Führung befähigen und in diesem Sinne auch
einer Unternehmenskultur, in der die Gesundheit der Beschäf-        vorherbestimmen. Bekannt unter dem Namen „Eigenschafts-
tigten als gleichwertiges Unternehmensziel neben Qualität, Kun-     theorie“ hat dieser Zweig der Führungsforschung das Leben
denfreundlichkeit und Wirtschaftlichkeit steht. Eine solche ge-     und Wirken erfolgreicher Führungspersönlichkeiten untersucht
sundheitsförderliche Unternehmenskultur mit entsprechenden          und dabei die These vertreten, dass für den Führungserfolg
Arbeitsbedingungen beeinflusst nicht nur die Führungskräfte,        ausschließlich die Persönlichkeit der Führungsperson relevant
sondern erhöht auch die Bereitschaft der Beschäftigten, Selbst-     sei, der Beitrag der Geführten für den Erfolg indes nicht wich-
verantwortung in Sachen Gesundheit zu übernehmen. Insofern          tig sei (Stippler et al. 2011). Diese Idee von der natürlichen
sind personelle, organisatorische und technische Bedingungen        Existenz einer „starken Führungspersönlichkeit“ (Great-Man-
eng miteinander verbunden, was die nachhaltige Wirksamkeit          Theorie) besitzt heute nur noch wenig Relevanz.
von Einzelmaßnahmen wie eine einmalige Führungskräfteschu-
lung in Frage stellt. Erfolgversprechender sind dagegen ganz-       Die zweite Richtung in der Führungsforschung vertritt eine
heitliche Konzepte, welche die Handlungsfelder Betriebliches        gegenteilige Auffassung. Hier wird festgestellt, dass es eben
Gesundheitsmanagement, Arbeitsgestaltung und -organisation          nicht angeborene Eigenschaften sind, die Führungserfolg
sowie Unternehmens- und Führungskultur zu einem sinnvollen          ermöglichen, sondern das Führungsverhalten erlernbar ist.
Ganzen verbinden (Spilker 2006, Wegge et al. 2010).                 Es ist demnach umwelt- bzw. kontextabhängig und lässt sich
                                                                    darüber hinaus auch in unterschiedlichen Führungsstilen
Die Führung in der Theorie – ein Überblick                          beschreiben.
Hinsichtlich der Bedeutung von Führung (Leadership) existiert
keine einheitliche Definition. Allein Neuberger (2002) listet       Hinsichtlich der Systematisierung von Führungsstilen ist die
nicht weniger als 39 Führungsdefinitionen auf. Diese Defini-        Unterscheidung von Lewin (1939) in einen autoritären, einen
tionsvielfalt ist zum einen der Tatsache geschuldet, dass sich      demokratischen und einen Laissez-faire-Stil am bekanntesten.
unterschiedlichste wissenschaftliche Disziplinen wie Politik,       Diese Begriffe entstanden in den 1930er und 1940er Jahren
Geschichte, Soziologie, Psychologie und auch die Wirtschafts-       in den USA und bestimmen auch heute noch alltägliche Deu-
wissenschaften mit dem Thema Führung beschäftigen.                  tungsmuster.

14
iga.Report 29 . Führungskräfte sensibilisieren und Gesundheit fördern – Ergebnisse aus dem Projekt „iga.Radar“

Die Führungsstilforschung hat eine Reihe von unterschiedli-         Auch die sich wandelnden Auffassungen über das Verhältnis
chen Theorien hervorgebracht, die eine Unterscheidung von           von Alter und Leistungsfähigkeit verändern nach den Grund-
aufgabenbezogener Führungsfunktion und mitarbeiterbezoge-           annahmen der Systemtheorie die Rahmenbedingungen von
ner Führungsfunktion gemeinsam haben. Dabei umfasst die             Führung.
Aufgabenorientierung die Gestaltung der Arbeitsaufgaben ein-
schließlich der Personalzuordnung, während die Mitarbeiterori-      Transaktionale und transformationale Führung
entierung die Sicherung des Zusammenhalts in Organisationen         Ein weiterer derzeit aktueller Ansatz der Führungsforschung
und Teams sowie die Schaffung von Rahmenbedingungen für             leitet sich aus der Fortentwicklung der Mitarbeiterorientierung
ein hohes Leistungsengagement, Identifikation und Zufrieden-        ab. Er ist letztlich auch Ergebnis der zunehmenden Individua-
heit beinhaltet. Beide Funktionen sind nicht ausschließlich an      lisierung in entwickelten Gesellschaften und Konsequenz der
die Führungskräfte gebunden, auch Teammitglieder überneh-           Analyse von bislang ungenutzten Produktivitätspotenzialen
men informell oder formal delegiert Teilaufgaben in beiden          unter den bisherigen Formen der Arbeitsorganisation. Damit
Feldern. Die praktische Umsetzung beider Führungsfunktionen         rückt die Beziehungsgestaltung zwischen Führungskraft und
hängt im konkreten betrieblichen Einzelfall von einer Vielzahl      Beschäftigten stärker in den Fokus. In diesem Zusammenhang
von Faktoren ab, beispielsweise von den persönlichen Voraus-        werden derzeit insbesondere zwei Führungsansätze diskutiert:
setzungen und Kompetenzen der Führungskräfte, aber auch             die transaktionale Führung (Orientierung auf Ziele) und die
von den Voraussetzungen auf Seiten der Organisation und der         transformationale Führung (Initiierung von Veränderung). Im
Teams wie auch von der Aufgabencharakteristik.                      Jahre 1978 von Burns (1978) als Idee entwickelt und später
                                                                    durch Bass (1985) weiterentwickelt, ergänzen sich beide
Mit der grundsätzlichen Erweiterung der Führungsverantwor-          Ansätze eher als dass sie gegensätzlich wären (vgl. Nyberg et
tung um die Bereiche „Gestaltung des Arbeitsklimas“ sowie           al. 2005).
„Gestaltung von Beziehungen am Arbeitsplatz“ steigen selbst-
verständlich auch die Anforderungen an die Kompetenzen von          Dabei betrachtet die sogenannte „transaktionale Führung“ die-
Führungskräften. Sie müssen nunmehr in der Lage sein, auf           ses Beziehungsverhältnis als Austauschverhältnis, in dem die
unterschiedlich ausgeprägte Faktoren in den Rahmenbedingun-         Führungskräfte mit den Beschäftigten gegenseitige Erwartun-
gen unterschiedlich zu reagieren.                                   gen absprechen, Ziele vereinbaren und im Anschluss im Tausch
                                                                    für Identifikation und Leistung Belohnungen vermitteln, z. B.
Führung auf Grundlage bestimmter überdauernder Persön-              materielle Vorteile, aber auch immaterielle wie Anerkennung
lichkeitseigenschaften und Führung als Bündel verschiedener         und Wertschätzung. Dabei erhalten die Beschäftigten durch die
Führungsstile, die jeweils den situativen Bedingungen anzu-         an den Unternehmenszielen orientierten Zielvereinbarungen
passen sind, kennzeichnen zusammenfassend die auch heute            eine konkrete Vorstellung davon, was sie erreichen sollen und
noch prägenden Deutungsmuster im betrieblichen Alltag und           können. Damit sich Beschäftigte weitgehend engagieren und
außerbetrieblichen Umfeld. Die später entstandenen moder-           optimale Leistungen erbringen, gilt es, einige Regeln bei der
neren Konzepte von Führung gehen über diese beiden Ansätze          Zielvereinbarung zu beachten. So spielen nach der Zieltheorie
weit hinaus, haben aber die älteren Deutungsmuster noch             von Locke und Latham (1990) insbesondere der Schwierigkeits-
nicht abgelöst. Neu hinzugekommen sind beispielsweise die           grad und die Spezifität eine wichtige Rolle. Ausgehend von
Anwendungen der Systemtheorie im Bereich Führung sowie              dieser Theorie sollen Ziele nach der SMART-Regel gestaltet sein:
solche Führungskonzepte, die eine Gestaltung der Beziehung          spezifisch (specific), messbar (measurable), bei angemessener
zu den geführten Beschäftigten in den Mittelpunkt stellen           Anstrengung erreichbar (attainable), realistisch im Gesamt-
(transaktionale und transformationale Führung).                     kontext (realistic) und zeitlich terminiert (time phased). Die
                                                                    Aufgabe der Führungskraft besteht hierbei darin, Zielkonflikte
Führung aus Sicht der Systemtheorie                                 wahrzunehmen und diese, wenn nötig, zu beseitigen, Feed-
Ein zentraler Gedanke der Systemtheorie besagt, dass Orga-          back zu geben und die Aufgabenerfüllung zu bewerten (vgl.
nisationen nicht wie Maschinen funktionieren, sondern eine          Wilkens & Externbrink 2011).
Eigendynamik entfalten und deswegen nicht linear steuer-
bar sind. Insofern wirken Führungsinterventionen in erster          Im Konzept der sogenannten „transformationalen Führung“
Linie auf die Rahmenbedingungen in Organisationen zurück,           besteht die Führungsaufgabe darin, einerseits Sinn zu stiften
einfache Ursache-Wirkungs-Modelle bilden deshalb nur einen          und diesen auch zu vermitteln und andererseits die Beschäf-
kleinen Ausschnitt der Wirklichkeit ab. Die Wirkungsansprüche       tigten dazu zu befähigen, die vereinbarten Aufgaben eigen-
und -erwartungen in Bezug auf Führung werden durch diesen           verantwortlich und mit hohem Engagement zu lösen. Dieses
Ansatz relativiert. Betriebe sind vor dem theoretischen Hinter-     Führungskonzept korrespondiert mit dem ebenfalls neuen Leit-
grund der Systemtheorie zudem Teil verschiedener sozialer           bild des „unternehmerischen Handelns“ oder „Mitunterneh-
Systeme, in denen ihrerseits ein kontinuierlicher Wandel zu         mertums“, in dem Beschäftigte – so die Idealvorstellung – in
neuen Rahmenbedingungen führen kann. Ein Beispiel dafür             eigener Verantwortung und in den Grenzen der gesetzten bzw.
sind die im Vergleich zu der unmittelbaren Nachkriegszeit deut-     vereinbarten Ziele Managementaufgaben übernehmen. Trans-
lich veränderten Rollen und Wertvorstellungen zwischen den          formationale Führung verfolgt insofern das Ziel, das Verhalten
Geschlechtern.                                                      und die Einstellung der Beschäftigten hinsichtlich Arbeitsethik,

                                                                                                                                  15
iga.Report 29 . Führungskräfte sensibilisieren und Gesundheit fördern – Ergebnisse aus dem Projekt „iga.Radar“

Einsatzbereitschaft sowie Wahrnehmung von Verantwortung
mit Blick auf die Unternehmensziele positiv zu beeinflussen            Info-Box
(vgl. Wilkens & Externbrink 2011). Möglich wird das nach Bass          Führungsstile – eine Übersicht
und Avolio (1994), wenn der oder die Führende folgende vier
Leitsätze umsetzt:                                                     Autoritärer Führungsstil
                                                                       • Vorgesetzte entscheiden allein, Mitarbeiter führen aus
Die Führungskraft …                                                    • Keine Beteiligung der Beschäftigten an Entscheidun-
ŸŸ wirkt als Identifikationsfigur, entwickelt Visionen für das           gen, Gehorsamsverhältnis
   Team und die Organisation, motiviert (Charisma),
ŸŸ kommuniziert hohe Erwartungen und motiviert die Beschäf-            Bürokratischer Führungsstil
   tigten über die eigenen Interessen hinaus zum Wohl der              • Führungsanspruch legitimiert durch bürokratische
   Gruppe beizutragen, hat fachliche und moralische Vorbild-             Regeln
   funktion (Inspiration),                                             • Führungsfunktion nicht untrennbar mit einer Person
ŸŸ stimuliert die Beschäftigten, ihre Arbeit aus neuen Perspek-          verbunden, sondern zeitlich befristet und übertragbar
   tiven zu sehen und neue Wege bei der Problemlösung zu               • Basis sind Reglungen und Vereinbarungen, die Füh-
   gehen (Intellektuelle Stimulierung)                                   rung versachlichen
ŸŸ fördert Fähigkeiten und Potenziale von Mitarbeitern, ist
   Coach und wendet sich dem Individuum zu (Individuelle               Kooperativer Führungsstil
   Hinwendung) (vgl. Wilkens & Externbrink, 2011).                     • Beschäftigte werden an Entscheidungen beteiligt
                                                                       • Fremdkontrolle wird teilweise ersetzt durch Eigenver-
Ein Zwischenfazit                                                        antwortung
Blickt man auf die Entwicklung der Führungsforschung, fällt            • Führungskraft ist „primus inter pares“
der Bezug zu sozialen Wertvorstellungen und Leitbildern –              • Führungskraft lässt Lösungen entwickeln und wählt
jeweils im spezifischen historischen Kontext – auf. So erklärt die       aus
allgemeine gesellschaftliche Modernisierung mit den Aspekten
Individualisierung, Ökonomisierung und Flexibilisierung einen          Transaktionaler Führungsstil
großen Teil der Veränderungen in den wissenschaftlichen Kon-           • Grundlage: Austauschbeziehung zwischen Führungs-
zepten und Grundannahmen. Das erklärt auch das aktuelle wis-              kraft und Mitarbeiter
senschaftliche und zunehmend auch betriebliche Interesse an            • Gegenseitige Erwartungen werden abgesprochen,
solchen Führungskonzepten, die neben dem ökonomischen Er-                 anschließend werden Ziele vereinbart, bei deren
folg auch die Gesundheit sowie die Beschäftigungsfähigkeit der            Erreichen eine Belohnung erfolgt
Beschäftigten als gleichwertiges Unternehmensziel verfolgen.           • Führungskraft kontrolliert Zielerreichung und über-
In Zeiten des demografischen Wandels und der Notwendigkeit                wacht Vorgänge und Abläufe
verlängerter Lebensarbeitszeiten wird die physische und insbe-         • Variante: Führungskraft ist sehr zurückhaltend, greift
sondere auch die psychische Gesundheit der Beschäftigten als              nur bei auftretenden Problemen ein
immer wichtiger werdender Wettbewerbsfaktor erkannt. Füh-
rungskonzepte, welche diese Dimension berücksichtigen bzw.             Transformationaler Führungsstil
in die sich diese Dimension integrieren lässt, werden deshalb          • Wird auch als werteorientierter Führungsstil bezeichnet
in Zukunft weiter Konjunktur haben. Das sind in erster Linie           • Transformationale Führung ist ganzheitlich ausge-
eher mitarbeiterorientierte Konzepte – insbesondere solche,               richtet, Führungskraft hat gesamte Persönlichkeit des
die auf dem Ansatz der transformationalen Führung beruhen,                Beschäftigten im Blick
der auf Einstellungs- und Verhaltensänderungen auf Seiten              • Transformationale Führung versucht Ziel- und An-
der Beschäftigten abzielt. Dass sich diese Einflussnahme der              spruchsniveau der Beschäftigten zu beeinflussen, ihre
Führungskräfte zusätzlich auf gesundheitliche Ziele bzw. auf              Werte und Motive auf eine höhere Ebene zu heben,
die Verbesserung der Ressourcen und damit auch der Förde-                 Mittel dazu sind:
rung der Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit erstrecken kann,            –– „Intellektuelle Stimulation“, d. h. die Führungskraft
ist ein Ansatz, der in jüngster Zeit wissenschaftlich verfolgt                ermuntert die Beschäftigten, neue Wege der Prob-
wird – vgl. dazu das Interview mit Prof. Dr. Jörg Felfe in diesem             lemlösung zu beschreiten und die eigenen Einstel-
Report.                                                                       lungen und Werthaltungen zu reflektieren
                                                                          –– „Idealisierender Einfluss“, d. h. die Führungskraft übt
                                                                              durch ihr ethisch vorbildliches Verhalten und Han-
                                                                              deln positiven Einfluss auf die Beschäftigten aus
                                                                          –– „Individualisierte Mitarbeiterorientierung“, d. h. die
                                                                              Führungskraft behandelt nicht alle Beschäftigten
                                                                              gleich, sondern berücksichtigt die Bedürfnisse und
                                                                              Anlagen jeder einzelnen Person, was deren Selbst-
                                                                              vertrauen stärkt

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