Sotschi 2014 - Geographische Dimensionen - von Kurt Scharr und Ernst Steinicke

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Sotschi 2014 - Geographische Dimensionen - von Kurt Scharr und Ernst Steinicke
Sotschi 2014
    – Geographische Dimensionen
    von Kurt Scharr und Ernst Steinicke
    Die vergangenen Jahre haben eine deutliche Zunah-
me von Megaevents in Schwellenländern gezeigt. Dieses
Phänomen tritt besonders im Osten Europas zutage, wo
eine Reihe von Staaten vor kurzem Gastgeber solcher
globaler Großereignisse war bzw. sich gegenwärtig darauf
vorbereitet. Unter den bedeutendsten ist die Fußball-
Europameisterschaft in der Ukraine und in Polen 2012,
der Eurovision Song Contest in Baku 2012, die Univer-
siade in Kazan 2013, die Olympischen Winterspiele
2014 in Sotschi sowie die Fußball-Weltmeisterschaft in
Russland 2018 zu nennen. Untersuchungen über solche
Veranstaltungen in Transformationsländern des vorma-
ligen Ostblocks sind bislang weitgehend vernachlässigt
worden. Die Studien zu den Olympischen Sommerspielen
in Beijing (Broudehoux 2007; Close et al. 2007; Brow-
nell 2008; Price & Dayan 2008, Flüchter & Wang 2008)
zeigen jedoch – im Vergleich zu den bisherigen Arbeiten
über Megaevents – völlig neue Perspektiven auf. Der
vorliegende Beitrag will solche Perspektiven – v.a. in      Ao.Univ.-Prof. Mag. Dr. Ernst
geographisch relevanten Bereichen – am Beispiel der         Steinicke ist Leiter der
Winterspiele von Sotschi 2014 thematisieren.                Arbeitsgruppe „Megasport-
                                                            events“. Gemeinsam mit
1. Problemstellung und Forschungsstand                      Priv.-Doz. Mag. Dr. Kurt
                                                            Scharr (ÖAW-IGF) beschäf-
     Sowohl der Alpine Weltcup (Feb. 2012) als auch
                                                            tigt er sich seit 2008 mit einer
die Nordischen und Eiskanal-Wettkämpfe (Feb. 2013),         Langzeitwirkungsanalyse zu
die im Vorfeld der Olympischen Winterspiele 2014 als        den XII. Olympischen Win-
Generaltests in Krasnaja Poljana (Stadtgemeinde Sotschi)    terspielen in Sotschi (2014),
stattgefunden haben, waren Gegenstand zahlreicher kri-      die eine ex ante- als auch
tischer Berichte der internationalen Medien (z.B. Teuffel   eine ex post-Komponente
2013; Anonymus 2013). Überaus negativ bewerteten die        umfasst. Ihr Forschungs-
Journalisten die Kostenexplosion, die geringe ökologische   design konzentriert sich
Nachhaltigkeit von Winterspielen in naturgeschützten        auf die sozio-ökonomischen
Arealen sowie die mit der Errichtung des “Olympic           Auswirkungen, die Wahr-
Coastal Clusters“ verbundenen Enteignungsverfahren.         nehmung der Bevölkerung
Hauptaufgabe der vorliegenden Studie ist es, geogra-        und das Konfliktpotential
phische Dimensionen der Winterspiele von 2014 , vor         im Raum des Westkaukasus.
                                                                                        53
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allem aber Besonderheiten und Eigenarten von Sotschi als ihrem Austragungsort in
illustrativer Form aufzuzeigen und kritisch zu diskutieren. (Abb. 1)

   Sotschi
   27 km
                              Krasnaja Poljana
                              Olympisches Dorf II     Adler - Imeretinskaya Bucht
                                Alpinebewerbe                Olympisches Dorf I / Hallenwettbewerbe
                               Mountain Cluster                         Coastal Cluster
                                    40 km                                    2013
  mta

                                                                                          Flughafen
 Mzy

                                                                                          Eisenbahn
                                                                                          Hauptstrasse
                                                                                          Staatsgrenze
                                                                                          Fluß/Küstenlinie
                                                                                          Straße     im
                                                                            E9            Gebäude Bau
                                                                              7-M
                                                                                  27
                                                        c
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         500 m
                                                                                                      Gagra
                                                                                                      30 km

                                                                                                              Geor
        Olympische Spiele Bauarea

                                                                                                         gien bcha
        frühere intensiv Landwirtschaft

                                                                                                             A
                                                                                                             Psou
        Neue Wohnsiedlung
        Enteignete Siedlungsarea                    Sowjet. Datschas

                                                                                                              sien
        Kompakte sowjet. Wohnsiedlung               Post sowjet. Cottages
        frühere Treibhäuser                         Olympisches Dorf/Sportstätten
        Geflügelfarm Adler                          Gaskraftwerk
        Andere Area                           c     Kommunikationszentrum
                              Abb 1
                                                  2013 mod. nach Scharr & Steinicke (2010), Scharr et al. (2012)

     Obwohl eine Fülle an wissenschaftlichen Beiträgen zu den wirtschaftlichen Aus-
wirkungen von Megasportevents vorliegt (z.B. Rahmann et al. 1998; Maennig 1998;
Jeanrenaud 1999; Fanelsa 2003; Horn & Zemann 2006; Dansero & Mela 2007; Smith
& Fox 2007; Kurscheidt et al. 2008; Flüchter & Wang 2008; Preuß 2011; Preuß et
al. 2009; 2010; Benneworth & Dauncey 2010; Müller 2012) bleibt die akademische
Forschung zu den Olympischen Winterspielen in Sotschi 2014 durchaus überschaubar.
Zwar existiert ältere wie neuere – zumeist jedoch graue – Literatur, die sich mit der
Region in Einzelaspekten auseinandersetzt (Salpagarova 2000, Nikolin 2005; Konce-
vaja 2007; Kasparov 2008; Klimov 2010). Studien über konkrete Auswirkungen oder
auch über die Gesamtbedeutung der angekündigten Spiele für die Region, den Groß-
raum Sotschi, samt Beachtung und Bewertung der damit verbundenen Regionalpolitik
sind dagegen nicht vorhanden. Die Berichterstattung darüber – wenn sie überhaupt
Erwähnung findet – zeichnet sich meist nur undeutlich ab oder findet abseits der Öf-
fentlichkeit ihren Platz.
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Sotschi 2014

Abb. 2: Adler (Gemeinde Sotschi), unweit vom Coastal Cluster am Fuße des Westkaukasus:
          Die bunte Dachlandschaft verweist auf die zahlreichen Neubauten während der
          vergangenen beiden Jahrzehnte. Im Hintergrund sind Teile der neuen Straßen-
          führung und das Gaskraftwerk sichtbar.                     Aufnahme K. Scharr, Februar 2013.

     Eine Ausnahme bilden die Studien von Müller, der den staatlichen Einfluss auf
Сочи-2014 analysiert (Müller 2009; 2011) und darüber hinaus die Ergebnisse einer
Befragung über die öffentliche Wahrnehmung der Spiele in Sotschi vorstellt (Müller
2012). Das Institut für Geographie der Universität Innsbruck hat sich im Rahmen
seines Master-Studiengangs mehrfach mit Evaluierungen von Sportgroßevents befasst
(Borsdorf & Steinicke 2009; Scharr & Steinicke 2012a) und inzwischen einen beacht-
lichen Erfahrungsschatz darüber ansammeln können. Im Kontext zum vorliegenden
Beitrag sind insbesondere die bisherigen Projektergebnisse zu den Auswirkungen der
Olympischen Winterspiele in Sotschi erwähnenswert (Scharr & Steinicke 2010; 2011;
2012a; 2012b; Scharr et al. 2012). Diese ex ante-Analysen sollen im Folgenden mitei-
nander verknüpft, ergänzt und anhand von Fotos veranschaulicht werden.
     Der im Sammelband „Sotschi/Сочи-2014 – Troubles in Paradise“ (Scharr & Steini-
cke 2012b, 13–63) vorgenommene Streifzug durch ausgewählte alpine Austragungsorte
seit dem Zweiten Weltkrieg hat gezeigt, dass olympische Winterspiele tatsächlich einen
wesentlichen Beitrag zur Regionalentwicklung leisten und in fast allen Fällen nachhaltig
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wirkende Strukturen – hier v.a. im siedlungsgeographischen Bereich sowie in der
technischen Infrastruktur – hinterlassen haben. (Abb. 2) Wenngleich die Organisation
der Spiele an allen Orten regelhaft mit einem finanziellen Defizit einherschritt, ließen
sich dennoch längerfristige wirtschaftliche Vorteile erkennen. Oftmals sind indes die
Auswirkungen monetär nicht zu bewerten – wie es bei der Stärkung der regionalen
Identität oder im Imagegewinn einer Stadt der Fall ist. In sportökonomischer Hinsicht
unterscheidet sich Сочи-2014 von den dargestellten Beispielsorten in den Alpen er-
heblich. Hier spielen politische Überlegungen eine wesentliche Rolle bei Organisation
und Durchführung dieses Megasportevents. Der Nachhaltigkeitsgedanke wird – obwohl
proklamiert – dadurch inhaltslos und an eine Partizipation der lokalen Bevölkerung
an der Planung war ohnehin zu keiner Zeit wirklich gedacht. Ähnlich wie die Olym-
pischen Winterspiele 1936 in Garmisch-Partenkirchen (bzw. zuletzt in Peking) ist die
politische Elite Russlands versucht, aus Сочи-2014 eine Propagandaveranstaltung
zu konstruieren, welche dem neuerstarkten Staat in seiner Darstellung eine passende,
weltweit sichtbare Bühne bieten soll. Ökonomische, soziale und ökologische Bedenken
haben sich diesem Prinzip zu unterordnen. (Abb. 3)

Abb. 3: „Russland vorwärts!“ – so die Losung an der verkleideten Fassade der Universität
        von Sotschi, früher eine Hochschule. Links vor dem Eingang ein Museum zur Do-
        kumentation der sportlichen Errungenschaften von Sotschi. Die Universität bildet
        als eine der Hochschulen der R.F. Kader für die Spiele aus. Aufnahme K. Scharr, Februar 2013.
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Abb. 4: Bauliche Umgestaltung ehemaliger Sozialwohnungsbauten der Chruscht-
        schow-Ära im Stadtzentrum von Sotschi. Die Wohnungen des Erdgeschosses
        wurden im Zuge des Transformationsprozesses und verstärkt durch die bevor-
        stehenden Spiele vielfach zu Geschäftsfl ächen umgebaut und der ursprüng-
        liche Eingang von der Hof- auf die Straßenseite verlegt. Aufnahme K. Scharr, Februar 2013.

    In scharfem Kontrast dazu stellt sich die geopolitische Realität der Gesamtregion
Kaukasus. Dies betrifft in erster Linie die international ungeklärte Frage nach der
staatlichen Souveränität Abchasiens – dessen Grenze nur ein paar 100 Meter vom
Olympischen Dorf in Adler entfernt verläuft. Damit bezieht sich der Konflikt zwischen
Georgien und Russland, der 2008 in einen Krieg mündete, unmittelbar auf die Region
der Olympischen Winterspiele 2014. Auch die nordkaukasischen Spannungszonen
der Russländischen Föderation (R.F.) (z.B. Tschetschenien) werfen hier ihre Schatten.

2. Сочи-2014 – Versuch eines Portraits
2.1 Vorbemerkungen
    Mit der Entscheidung des Internationalen Olympischen Komitees 2007, den russ-
ländischen Kurort Sotschi an der kaukasischen Schwarzmeerküste zum Austragungsort
der Olympischen Winterspiele 2014 zu machen, rückte eine Region, die im Westen nur
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wenig bekannt ist, in der vormaligen Sowjetunion und im heutigen Russland jedoch
einen beachtlichen Bekanntheitsgrad besitzt, ins Zentrum des weltweiten öffentlichen
Interesses. Als konkreten Austragungsort stellte man – unter dem Motto „Olympische
Winterspiele im subtropischen Urlaubsparadies“ – die Schwarzmeerstadt Sotschi an
der Kaukasischen Riviera vor.
    Seit dem Zerfall der UdSSR fanden in dieser peripheren Region der R.F. zahlreiche
Veränderungen statt. (Abb. 4) Während anhaltender Transformationsprozesse hat die
russische Schwarzmeerregion nicht zuletzt auf Grund wirtschaftlicher Notwendigkeiten
begonnen, sich von der sowjetischen touristischen Struktur angebotsorientierter Rekre-
ation und Regeneration (Turizm) zu lösen und neue auf die Befriedigung der Nachfrage
ausgelegte Wege zu beschreiten (Scharr & Steinicke 2010, 51 f.). Nicht überall ist
dies gelungen. Dringend nötige Modernisierung und Innovationen sind erst teilweise
und v.a. in den privatisierten Bereichen des touristischen Sektors zu verzeichnen. Das
Großsportereignis Сочи-2014 lässt zudem erhebliche Auswirkungen auf die Demo-
graphie, Siedlungsgeographie, Wirtschaft bzw. auf das gesamtgesellschaftliche System
der Region und ganz Russlands erwarten. Die notwendigen Bauvorhaben müssen in
relativ kurzer Zeit abgeschlossen sein und sind daher z.T. mit gravierenden Problemen

Abb. 5: One year to go: Küstenstreifen bei Adler mit der ursprünglichen Uferver-
        bauung und den neuen Eisstadien im Hintergrund. Aufnahme K. Scharr, Februar 2013.
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Sotschi 2014

verbunden, zumal hier bislang der Wintersport keinerlei Tradition hatte und praktisch
die gesamte technische Infrastruktur neu zu errichten ist. (Abb. 5) Außerdem machen
die real existierenden autoritär-zentralistischen Strukturen der R.F. Bottom up-Prozesse
kaum möglich. Letztere sind bei einer noch weitgehend absenten Zivilgesellschaft
ohnedies nur von geringer Relevanz. Mit dem Projekt Сочи-2014 verfügt die Region
jedoch über ein zentralstaatlich privilegiertes Instrumentarium, das ein Erreichen
des strukturellen Nachholbedarfs realistisch und greifbar nahe erscheinen lässt. Ein
politisches Prestigeprojekt – das jedoch die erhebliche Gefahr der Überforderung für
die Region mit sich bringt.

2.2 Die Kulisse
     Für die Austragung von Winterspielen überrascht die Wahl von Sotschi – und zwar
zunächst durch seine absolute und relative Lage: In der Kulturkreis-Übergangszone
zwischen Europa und Asien befindet sich der Hauptort Sotschi unmittelbar an der
Nordostküste des Schwarzen Meeres auf 43° nördlicher Breite und ist daher von seiner
geo-ökologischen Stellung vergleichbar mit Nizza. Nur ein paar 100 Meter von der
Küste entfernt steigt das Relief markant an, und knapp 50 km landeinwärts erreichen
die Ausläufer des Westkaukasus Höhen bis über 3.300 m. Für den Küstensaum charak-
teristisch ist eine Variante des mediterranen Klimas, das zweihundert Sonnentage im
Jahr aufweist. Auch die Temperaturverhältnisse der Kaukasischen Riviera ähneln mit
23 °C im August und mit knapp 5 °C im Jänner jener der Côte d’Azur (Čistjakov 1996,
12f). Das räumliche Nebeneinander von Meer und stauendem Gebirgswall begründet
den besonders hohen Niederschlag im Spätherbst, der im Hochgebirge als Schnee
fällt und Krasnaja Poljana (500 m [sic!]), das nur eine knappe Stunde Autofahrt von
der Küste entfernt liegt und an dessen Talseiten der Großteil der alpinen Wettkämpfe
stattfinden soll, Schneesicherheit garantiert (Efremov et al 2007, 133 ff.). Aus dieser
Perspektive nicht ganz unberechtigt erscheint daher Sotschis touristischer Slogan: „You
can swim in the sea from April through October, and go skiing from October through
May“ (www.sochiru.ru).
     Vielfältig präsentiert sich auch die Pflanzen- und Tierwelt des Gebietes. Ein bereits
1924 an den Hängen des Westkaukasus eingerichteter staatlicher Naturpark mit mehr
als 280.000 ha (davon entfallen auf den subtropischen Anteil der Gebiete Sotschi und
Hosta 302 ha), die Aufnahme in die UNESCO Programme „Mensch und Biosphäre“
(1979) sowie zum Welt(-Natur-)erbe der Menschheit (1999) tragen dem Rechnung
(Koncevaja 2007; Salpagarova 2000). 1983 wurde zusätzlich der Nationalpark Sotschi
(193.700 ha) mit dem Ziel der planmäßigen Erhaltung und Nutzung des Natur- wie
Kulturraums geschaffen. Groß-Sotschi selbst befindet sich auf dem Territorium des
Parks, der in zahlreiche, unterschiedlich definierte Schutzzonen zerstückelt ist. Allein
schon aus den unübersichtlichen Abgrenzungen des Nationalparks entspricht er nicht
den für Nationalparks geforderten Kriterien der International Union for Conservation
of Nature and Natural Ressources (IUCN; vgl. Dudley 2008).
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Gebiet              1900         1915         1939         1959         1970         1989       2010
Sotschi Zentrum     1.400       11.000       71.000       127.000
Groß-Sotschi                                                           224.000     312.000     332.000

Tab. 1: Bevölkerungsentwicklung von Sotschi 1900–2010
         Quelle: Koncevaja (2007, 92) und Zensus 2010 (www.perepis-2010.ru)

    Die Agglomeration Sotschi (seit 1968) zieht sich zwischen Tuapse und Adler ban-
dartig 145 km entlang der Schwarzmeerküste und umfasst gegenwärtig knapp 400.000
Einwohner; davon entfallen auf den zentralen Teil der Stadt Sotschi rund 134.000. Die
restlichen drei Rayons erreichen jeweils annähernd die Hälfte der Bewohner (Adler
70.000, Hosta 62.000, Lasarevskij 64.000). In ethnischer Hinsicht stellt im westlichen
Kaukasus die russische Bevölkerung die Mehrheit (>70 %). Armenier, Ukrainer und
Georgier sowie v.a. Adygier (Tscherkessen) bilden größere Minderheiten.

2.3 Stadtentwicklung und Ökologie
     Die ökologische Dimension erwächst zunächst aus einem für diese Region spe-
zifischen Spannungsverhältnis zwischen Natur- und potentiellem Kultur- bzw. Dau-
ersiedlungsraum. Die Siedlungstopographie wird durch einen schmalen Küstensaum
bestimmt, der parallel zum hochaufragenden Hauptkamm des Kaukasus verläuft.
Die Küstengebiete der heutigen Kaukasischen Riviera am Ostufer des Schwarzen
Meeres galten dementsprechend bis weit in die Mitte des 19. Jahrhunderts hinein als
ausgesprochen siedlungsfeindlich. Der Küstenstreifen, der sich von Novorossijsk im
Nordwesten bis zur Staatsgrenze der R.F. bei Adler im Südosten zieht, bot kaum Platz
für Landwirtschaft. Die wenigen bescheidenen Siedlungen hatten zudem unter sommer-
heißem Klima und Krankheiten zu leiden, deren Erreger in den flachen Schwemmkegeln
der zahlreichen hier ins Meer entwässernden Bäche ideale Bedingungen vorfanden,
worauf zeitgenössische Reiseführer vor dem Ersten Weltkrieg regelmäßig verwiesen
(Dorovatovskij 1911/2010, 56; 398; Tarnopol’skij 1908, 64).
     Mit der Wende zum 20. Jahrhundert setzte der Aufbau einer vorwiegend touristisch
geleiteten Infrastruktur ein. Die Sowjetunion begann, diesen Teil der Schwarzmeerküste
massiv zu einem seiner führenden Erholungszentren auszugestalten. Einen Eisenbahn-
anschluss erhielt Sotschi noch während des Ersten Weltkrieges, der hochseefähige
Hafen wurde 1950 für den Verkehr freigegeben, und ein Flughafen für zivile Luftfahrt
folgte 1945 (mit Ausbauphasen 1956, 1965 und seit 2006). 1933 und 1967 wurden
dementsprechende Generalpläne zur Umsetzung vorgelegt und 1968 entschloss sich
Moskau, die Siedlungen zwischen Tuapse und Adler zu einem einheitlichen Stadtgebiet
mit einer Gesamtlänge von 145 km zusammenzuführen (Tolstoi 1968, 28f). Die in der
Sowjetunion eingeführte „Marke Sotschi“ diente dabei jeweils als erfolgsversprechende
Basis für die angestrebten Umstrukturierungen (Stadelbauer 1986, 9 u. 20).
60
Sotschi 2014 - Geographische Dimensionen - von Kurt Scharr und Ernst Steinicke
Sotschi 2014

     Allein die Kaukasus Region und die Küste des Schwarzen Meeres stellten innerhalb
der Sowjetunion nahezu 40 Prozent aller für den Tourismus zur Verfügung stehenden
Betten (zit. nach Noack 2006, 284). Zwischen 1991 und 2000 war die Region mit
einem drastischen Rückgang der Nächtigungen konfrontiert. So sank etwa der Anteil
der im staatlichen oder städtischen Besitz stehenden Hotels von 13 auf 1,2 % (Stein-
metzer 2006). Sotschi besitzt jedoch nach wie vor die höchste Dichte an touristischer
Infrastruktur der R.F. und hält Russland weit mit 3,1 Mio. Nächtigungen einen Anteil
von rund 14 % (Snegireva 2012, 105-106).
     Mit dem Ansteigen der Wohnbevölkerung und der wachsenden Dichte touristischer
Infrastruktur baute sich seit 2007 durch die Auslagerung der Wohnungen für die an-
sässige Bevölkerung in billigere, zumeist randlägige Zonen verstärkt eine zusätzliche
Verkehrsspannung auf. Der Großraum mit seiner immanent prekären Gesamtsituation
ist schon gegenwärtig kaum dazu in der Lage, diese zu bewältigen. Ebenso ungelöst
sind vorerst die ausreichende Versorgung mit Trinkwasser, der Anschluss an zentrale
Heizkraftwerke, Strom u. a. Im Juni 2011 eröffnete Premierminister V. V. Putin eine

Abb. 6: In einer der Unterführungen im Zentrum von Sotschi. Die informellen Läden
        entlang dieser Durchgänge haben sich mittlerweile zu offiziellen Geschäftsflächen
        konsolidiert. Hier werden etwa Souvenirs zu den Olympischen Winterspielen
        angeboten.                                                    Aufnahme K. Scharr, Februar 2013.

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neue über den Meeresboden verlaufende Gaspipeline (Džubga-Lasarevskoje-Sotschi)
zur Energieversorgung der Stadt und im selben Jahr wurde unweit vom Olympic Coastal
Cluster ein modernes Gaskraftwerk errichtet.
    Die Kanalisation ist – soweit vorhanden – überfordert und der allermeiste Teil
der Abwässer wird ungeklärt entweder direkt über Leitungen oder indirekt über die
natürlichen Zuflüsse ins Meer eingeleitet (Čistjakov et al. 1996; Miroljubova 2009).
Bereits 1995 hob eine Untersuchung der Moskauer Staatsuniversität die besondere
Belastung der Küstengewässer durch den zentralen Siedlungsbereich um Sotschi hervor
(Nagalevskij & Čistjakov 2003, 106f). Die aktuelle Degradation des ohnedies fragilen
natürlichen Potentials entlang des Küstenstreifens und des Mzymta-Tales nach Kras-
naja Poljana wird zwar in der Literatur vergleichsweise zum Gesamtraum der Region
Kranodarsk als gering eingestuft (Antipova 2001), erreicht jedoch lokal v.a. verstärkt
durch die 2007 eingeleiteten Baumaßnahmen beträchtliche Ausmaße. Darüber hinaus
erscheint der Nationalpark durch die Kleinkammerung und Gestuftheit seiner Schutz-
zonen besonders gefährdet.
2.4 Die geopolitische Dimension
    Der Südwesten Russlands besitzt mit dem Krasnodarskij Kraj und der Respublika
Adygeja (seit 1992) juristisch zwei voneinander unabhängige Föderationssubjekte. Die
Erhebung vom autonomen Gebiet zur Republik ist zwar als Zugeständnis gegenüber
der Titularnation (Adygier resp. Tscherkessen), die nach den Russen die zweitstärkste
ethnische Gruppe repräsentieren, zu verstehen, allerdings ist die Republik funktional
und wirtschaftlich weitgehend mit Krasnodar verflochten und von ihr abhängig. Aus
historischer Perspektive besitzt die 1864 mit der militärischen Eroberung durch das
zaristische Russland einsetzende systematische Vertreibung der ansässigen tscher-
kessischen Bevölkerung und die kollektive Erinnerung daran zumindest in Sotschi
nur eine vernachlässigbare Relevanz. Sie ist nicht vergleichbar mit der Situation in
den nordkaukasischen Republiken (Frolova 1999; Gumppenberg & Steinbach 2008;
King 2008). Eine ansatzweise Instrumentalisierung dieser historischen Tragödie mit
politischem Hintergrund im Verteilungskampf um die Investitionsmittel im Umfeld
der Unzufriedenheit lässt sich hingegen im Zuge der Vorbereitungen auf Sotschi 2014
ausmachen (Nefljaševa & Malašenko 2011).
    Adygier der R.F. hatten jedoch schon zu Beginn der 1990er abchasische Separatisten
in Georgien unterstützt (O’Loughlin et al. 2007, 143), womit sich indirekt ein innerer
Zusammenhang zum schwerwiegenderen außenpolitischen Konflikt an der unruhigen
Südgrenze Russlands v.a. zur Republik Georgien auftut. Der 2008 entfachte Krieg um die
georgischen Gebiete Südossetien und Abchasien – letzteres Gebiet ist vom Stadtzentrum
Sotschi weniger als 50 km entfernt – endete nicht nur in der Ausrufung zweier internatio-
nal nicht anerkannter Vasallenstaaten Russlands, sondern spitzte den ohnedies seit 1991
kalten Konflikt zwischen beiden Staaten neuerlich zu (Sapper ind Weichsel 2008). Die
abchasischen Städte Suhumi und Gagra zählten bis zum Bürgerkrieg 1992 mithin zu den
62
Sotschi 2014

führenden Tourismusdestinationen der Region (Stadelbauer 2001; Steinmetzer 2006).
Mit der militärischen Intervention konnte Moskau nicht nur eine Art Cordon Sanitaire
im Glacis der Spiele schaffen, sondern auch den Weg für russisches Investitionskapital
in diese Region ein Stück weit ebnen (Anonymus 2008; Hewitt 1996, Semikin 2009).
Abchasien bleibt trotz der kürzlich abgehaltenen Präsidentschaftswahlen ein geopoli-
tischer Unsicherheitsfaktor in unmittelbarer Nähe der XXII. Olympischen Winterspiele.

2.5 Perzeptive Dimension
2.5.1     Befragungsergebnisse in Sotschi-Zentrum, Adler und Krasnaja Poljana
    Studierende der Universität Innsbruck haben im Herbst 2011 im Rahmen eines
Mastermoduls mit standardisierten Datenerhebungstechniken Eindrücke, Meinungen
und Interessen der Bewohner zu Сочи-2014 erfasst und festgehalten (Scharr & Steinicke
2012b). Dabei deckten sich die meisten Ergebnisse mit den Befragungsergebnissen
von Müller (2012). Generell besteht ein großes Interesse am Ereignis selbst, und es
existieren mehr Befürworter denn Gegner. Insgesamt blicken die Einwohner des Groß-

Abb. 7: Moderne Glasfassaden von Markengeschäften im Zentrum von Sotschi. Auch hier
        fördern die Olympischen Spiele den Eintritt in die Postmoderne. Aufnahme K. Scharr, Februar 2013.
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raumes Sotschi mit Stolz auf ihre Gastgeberschaft. Zweifelsohne profitiert auch das
Gemeinschaftsgefühl innerhalb der Bandstadt davon. Auffallend ist, dass nur wenige
Interviewte erklären, einem Wintersport nachzugehen, aber mehr als die Hälfte angibt,
dennoch die neuen Sportstätten in der Zukunft frequentieren zu wollen. Die meisten sind
sich ebenfalls sicher, dass durch die Olympischen Spiele vermehrt Sport in der Region
betrieben wird. Viele wollen – abhängig vom Preis – die Wettkämpfe besuchen. Die
Einwohner in Sotschi-Zentrum befürchten jedoch viel mehr ungünstige Entwicklungen
durch die Austragung der Spiele. Extrem negativ erscheint dort das Meinungsbild hin-
sichtlich der Preisentwicklung und des allgemeinen Verkehrs zu sein. (Abb. 7) Adler
zeigt dagegen eine ausgewogenere Einstellung. Die schlechtesten Einschätzungen
erzielen dabei die Auswirkungen auf den allgemeinen Verkehr, die Preisentwicklung
und auch auf die Umwelt. (Abb. 8) In Sotschi-Zentrum erwarten die Befragten eine
Steigerung des kulturellen Angebotes. Die Interviewten in Krasnaja Poljana schätzen

Abb. 8: Seit Bekanntgabe von Sotschi als Austragungsort der Olympischen Winterspiele
        2014 stiegen die Immobilienpreise erheblich an und nähern sich Moskauer
        Verhältnissen. Vor allem im Stadtzentrum wird auf Grund des Platzmangels
        in die Höhe gebaut. Zahlreiche Schilder verweisen auf zum Verkauf stehende
        Wohn- und Geschäftsflächen.                              Aufnahme K. Scharr, Februar 2013.

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Sotschi 2014

die Entwicklung im öffentlichen Verkehr ebenfalls als positiv ein. In Adler sieht die
Mehrheit eine positive Entwicklung im Binnentourismus, der Arbeits- sowie der
Wohnsituation auf sich zukommen. Obwohl der Fragebogen die Zwangsumsiedlungen
im Osten von Adler bewusst ausgespart hat, fällt auf, dass dieser Themenkreis von den
Interviewten nie angesprochen wurde.

2.5.2     Zur Wahrnehmung der Umsiedler 2013
     Schon bei der Bewerbung für Сочи-2014 war es klar, dass ein Olympisches Dorf
östlich von Adler in der ca. 10 km2 großen Imeretinskaya Bucht angelegt wird und Ent-
eignungen bzw. Umsiedlungen daher notwendig sein werden. Dies wurde ab 2006 auch
mit dem “Olympics Law 310” umgesetzt: Enteignete Bewohner sind mit alternativen
Wohnstätten und/oder mit Geld zu entschädigen (siehe v. a. Artikel 15).
     Abgesehen vom durch Hochwasser gefährdeten Mündungsbereich der Mzymta-
Torrente ist die dünn besiedelte Imeretinskaya Bucht das einzige flache Küstengebiet

Abb. 9: Die Gazprom-Liftanlagen „Laura“. Der halbstaatliche Konzern Gazprom ist einer
        von insgesamt vier Betreibergesellschaften für die Anlagen in Krasnaja Poljana.
        Schneekanonen garantieren eine sichere Schneedecke auch bei Plusgraden wie
        hier im Februar. Die im Hintergrund entstehenden Cottages reichen bis an die
        Grenze des Biosphärenparks.                                  Aufnahme K. Scharr, Februar 2013.

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in der Bandstadt. Noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts hatte dieser teilweise unter dem
Meeresspiegel liegende amphibische Saum den Ruf eines für den Menschen ungesunden
Gebietes. Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurde – wie bereits erwähnt – ein weitläufiges
Bonifizierungssystem errichtet, um diese Küstengegend zu meliorieren. Bis 2005 hat
sich aus dem Sumpfgebiet ein landwirtschaftlicher Intensiveraum entwickelt, und im
Google-Satellitenbilder aus dem Jahr 2006 fällt die hohe Zahl an Glashäusern auf. In
der sowjetischen Periode entstanden Wohnsiedlungen lediglich am bereits ansteigenden
Nordrand der Polder sowie entlang der Küste, wo sich die Häuser ganz im Osten zum Ort
Veseloe, der unmittelbar an der Grenze zu Abchasien liegt, verdichteten. Für den Bau
des Olympischen Cluster an der Küste musste allerdings ein Teil des ca. 5 km langen,
schmalen Siedlungsbandes entlang des Strandes zwischen Mündung der Mzymta und
Veseloe weichen. (Abb. 9) Aus einem Vergleich der Google-Satellitenbilder von 2006
und 2011 ist deutlich ersichtlich, dass sowohl die gesamte Glashausindustrie als auch
rund 150 Gartenhäuser, davon etwa die Hälfte Datschen, geschleift wurden. Vereinzelte
enteignete Häuser ließ man noch stehen, da sie als Unterkünfte für die Bauarbeiter
dienen konnten. Obwohl genaue Zahlen nicht greifbar sind, kann davon ausgegangen
werden, dass ca. 500 Bewohner von einer Umsiedlung betroffen waren. Für diese waren
neu errichtete Ein- und Mehrfamilienhäuser im Osten der Polder vorgesehen.
     In Form einer Schneeball-Analyse wurden während dreier Aufenthalte zwischen
September 2008 und Oktober 2011 zwölf Experten aus der Gemeindeverwaltung sowie
der Universität von Sotschi zum Umsiedlungsvorhaben befragt. Vorweggenommen sei,
dass uns Einblicke in offizielle Unterlagen zu den Enteignungen verwehrt blieben bzw.
dies nur mit unverhältnismäßig großem bürokratischem Aufwand möglich gewesen
wäre. Alle Interviewten bedauerten zwar die Zwangsenteignungen, doch waren sich
die meisten einig, dass die zur Verfügung gestellten Ersatzheime durch die Entschädi-
gungsbeträge für die Umsiedler leistbar wären und die Neubauten eine unvergleichlich
bessere Ausstattung hätten. Dies betreffe in erster Linie die sanitären Einrichtungen.
Die neuen Eigenheime besäßen auch zusätzliche und großzügig bemessene Garten-
grundstücke. Zudem dürfe nicht außer Acht gelassen werden, dass die Ersatzunterkünfte
in der unmittelbaren Umgebung liegen.
     Schon eine flüchtige Medienanalyse (z.B. Teuffel 2013) zeigt, dass diese positive
Einstellung von den internationalen Journalisten überhaupt nicht geteilt wird. Zwangs-
enteignungen stünden einfach im Widerspruch mit dem Olympischen Gedanken. Es
fällt allerdings auf, dass die neue Situation der Umsiedler kaum Gegenstand der me-
dialen Darstellungen ist. Das mag nicht überraschen, zumal eine offizielle Befragung
der Umsiedler schwierig ist, da das gesamte Baugebiet Olympic Coastal Cluster von
der Polizei sowie von privaten Security-Unternehmen bewacht wird und für Umfragen
amtliche Genehmigungen notwendig sind. Eine Ausnahme bildet lediglich die von
Steffi Wurster gedrehte Filmstudie (2012), in der sie den Kampf der Buchtbewohner
um eine faire Entschädigung dokumentiert.
66
Sotschi 2014

    Im Rahmen unserer ex-ante Analysen waren ein Jahr vor den Spielen Interviews
mit den Umgesiedelten geplant. Um an solchen Insider-Informationen zu kommen,
erschien es daher günstig, bei einem neuerlichen Besuch in der Polder (Anfang Febru-
ar 2013) eine Wanderung durch das Gelände mit den neu errichteten Eigenheime für
die Umsiedler zu machen und dabei zwanglos mit möglichst vielen neuen Bewohner
in ein Gespräch zu kommen. Dabei wurde wieder das Schneeball-System angewendet,
bei dem die Interviewpartner ersucht wurden, Umsiedler zu nennen, die bereit waren,
mit den Autoren zu sprechen. Oftmals wurden dabei die Gespräche formlos über Häu-
serzäune hinweg organisiert. Dabei fiel auf, dass in einigen der ca. 80 neu errichteten
Häuser Gastarbeiter aus anderen russischen Gebieten wohnten.
    Zwar kann es sich auch hier nicht um eine repräsentative Aussage handeln, doch
war charakteristisch, dass die überwiegende Mehrzahl der rund 20 befragten Haushalte
den Olympischen Spielen positiv gegenüber stand. Bei Kritik an der Umsiedlung hielt
man sich dagegen eher bedeckt. Dies mag u.a. damit zusammenhängen, dass die mei-
sten Umsiedler in die Bauaktivitäten zur Errichtung der nahe liegenden Sportstätten
bzw. des Olympischen Dorfes einbezogen wurden und dabei wirtschaftlich auch z.T.
profitieren. Kritiken betrafen mehr Baulärm, Staubentwicklung und die Anwesenheit
vieler fremder Gastarbeiter aus Mittelasien, mit denen es kaum Kontakte gebe. Von
finanziellen Verlusten durch die Umsiedlung war daher – auch nach wiederholtem
Rückfragen – nicht die Rede; auf die im angesprochenen Film von Wurster schwie-
rigen Ablöseverhandlungen wurde in den Gesprächen nicht eingegangen. Außerdem
wurden bei den Neusiedlern auch keine befriedigenden Antworten auf die Frage nach
ihren wirtschaftlichen Chancen nach den Olympischen Spielen gegeben. Die Neube-
wohner waren in ihrer Freizeit bemüht, ihre Wohnungen bzw. Häuser in Form einer
Gemeinschaftshilfe und Symbiose mit den übrigen Bauaktivitäten fertig zu stellen.
Viele pflanzten in ihren Gärten bereits Obstbäume an, mancherorts war sogar eine Art
bescheidene Landwirtschaft sichtbar – ähnlich wie sie es bei ihren alten Häusern an
der Küsten taten. Fallweise stehen Teile der Einfamilienhäuser sowie neue Zubauten
den Gastarbeitern als Mietunterkünfte zur Verfügung. Später sollen diese als private
Touristenunterkünfte weiter genutzt werden. Insgesamt konnte man den Eindruck
gewinnen, dass der Schmerz der Enteignung schon nach kurzer Zeit – v.a. durch die
neuen Möglichkeiten an Einkünften – verblasst war. Allerdings ist auch eine Schwä-
che dieser Befragung unübersehbar: Mit unserer Methode konnten freilich nur die
permanenten Siedler einbezogen werden, nicht jedoch die Besitzer der Datschen. Für
diese Stadtbewohner war ja keine Umsiedlung, sondern eine finanzielle Entschädigung
vorgesehen. Sie verloren damit ihren idyllisch gelegenen Freizeitwohnsitz an der Küste.

3 Fazit: Wachsendes Konfliktpotential
    Die vorliegende Studie hat versucht, mehrere Ebenen von Interessensgegensätzen zu
berühren: ökologische, demographische, sozio-ökonomische, kulturelle und politische.
                                                                                  67
B e iträ g e                                                       Innsbrucker Bericht 2011–13

Eine wichtige Frage betraf die Einstellung der Einheimischen zu Сочи-2014. Insgesamt
ist es erstaunlich, dass in Anbetracht der großen Anzahl negativer Werthaltungen über
die Olympischen Spiele und ihre Auswirkungen trotzdem die Mehrheit Сочи-2014
befürwortet. Obwohl unsere Untersuchungen zu den Auswirkungen der Umsiedlungen
die Kritik der internationalen Journalisten nicht unterstreichen konnte, darf von einer
sozialen Nachhaltigkeit der Spiele nicht gesprochen werden. Ebenso ist das Potential
für ökonomische und ökologische Nachhaltigkeit gering (Scharr & Steinicke 2012).
Freilich kann erst die ex post-Analyse, welche als Teil des Innsbrucker Sotschi-Projektes
für das Jahr 2015 geplant ist, endgültig darüber Auskunft geben.
     Insgesamt lässt sich aus dem Zusammenwirken der hier aufgerissenen Konfliktdi-
mensionen und ihres Potentials erkennen, dass mit den Vorbereitungen zu Sotschi 2014
eine erhebliche Steigerung zu den ohnedies vorhandenen Spannungen aus den laufenden
Transformationsprozessen dieser Peripherie Russlands verbunden ist. (Abb. 10) Darin
ist jedoch auch unschwer eine übergeordnete Dimension für den russländischen Staat
in seiner Gesamtverfasstheit ausmachen. Spannungen, wie sie in Sotschi zwischen

Abb. 10: Ein Teil des Olympischen Dorfes im Mountain Cluster von Krasnaja Poljana.
         Auffallend ist die Vegetation an den Hängen. Der Buchenwald im Hinter-
         grund, durch den sich eine der Pisten schlängelt, wirkt keineswegs ‚hoch-
         alpin‘.                                                Aufnahme K. Scharr, Februar 2013.

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Sotschi 2014

der Staatsmacht und der Bevölkerung vorhanden sind, sei es nun aus sozialen, eth-
nischen, ökonomischen oder ökologischen Gründen, verstärken sich in dem Maße wie
zivilgesellschaftliche Strukturen durch fehlenden Beteiligungswillen seitens der stets
misstrauischen Zentralmacht bereits an ihrer Basis abgeblockt werden (Gel‘man 2010).
Für die angestrebte Modernisierung unumgängliche regionale Identitätsbildungspro-
zesse (Busygina 2002) werden dadurch ebenfalls im Keimstadium unterbunden. Die
Überwindung der durch die Transformation angewachsenen räumlichen Disparitäten
gerät zu einem ungleichen Wettlauf. (Abb. 10) Selbst innerhalb einer Region wie dem
Krasnodarskij Kraj ergeben sich durch die massiv politisch geförderte Entwicklung
zwischen Küstenregion und ‚Hinterland‘ erhebliche Spannungen. Teilweise resultieren
diese aus den strukturellen Unterschieden zwischen der agrarindustriellen Region
nördlich des Kaukasuskammes rund um die Hauptstadt Krasnodar und dem weitge-
hend touristisch geprägten Küstenstreifen der Bandstadt Sotschi. Andererseits wurzeln
diese Spannungen auch in einer durch die 2014 stattfindenden Olympischen Spiele
mitverursachten und als ungerecht empfundenen Umlenkung der zur Verfügung ste-
henden Mittel. So profitiert die Gebietshauptstadt Krasnodar in diesem Zusammenhang
zweifellos von den Investitionen aus Moskau.
     Austragungsort sowie die Art und Weise der Planung bzw. Umsetzung notwendiger
baulicher Maßnahmen für die XXII. Olympischen Winterspiele liefern in vielerlei
Hinsicht ein symptomatisches Bild für die gesamtgesellschaftliche Situation und dem
tieferen Staatsverständnis der R.F. (nicht nur) an seiner Peripherie.

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