Spectra - Spectra - Gesundheitsförderung und Prävention

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Gesundheitsförderung und Prävention | Februar 2020                                    News und Newsletter | www.spectra-online.ch

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                                                                                                           127

       Qualität und Patientensicherheit
  2    Eine erhöhte Transparenz führt zu mehr
       Qualität und Sicherheit
       Das BAG setzt sich seit Jahren für mehr Qualität im Schweizer Gesundheitswesen ein. Mit der neu-
       en gesetzlichen Grundlage (Teilrevision Krankenversicherungsgesetz, KVG) beginnt nun eine Phase
       mit einem Fokus auf mehr Koordination und erhöhten Transparenzanforderungen. Zudem fokus-
       siert der Bundesrat im Rahmen seiner gesundheitspolitischen Prioritäten (Gesundheit2020) auf die
       Reduktion von Healthcare-assoziierten Infektionen und die Wirksamkeit von Antibiotika.

  5    Die Medikation in Pflegeheimen verbessern
       Die grosse Mehrheit von Betagten in der stationären Langzeitpflege nimmt zu viele Medikamente
       ein. Das hat auch Spitaleintritte zur Folge. Nun testet das vom BAG finanzierte Programm «Sichere
       Medikation in Pflegeheimen» Massnahmen, damit die Bewohnerinnen und Bewohner der Pflege-
       heime weniger ungeeignete Arzneimittel zu sich nehmen.

  12   «Wir retten zwischen 5 und 8 Millionen
       Leben – pro Jahr»
       5 Fragen an den Professor und Experten für Infektionskrankheiten Didier Pittet des Universitäts-
       spitals Genf. Er leitet seit 2005 ein weltweites Programm zur Bekämpfung von Infektionen in
       Spitälern, das auf dem sogenannten «Genfer Händehygienemodell» aufbaut.
Spectra - Spectra - Gesundheitsförderung und Prävention
Erhöhte Transparenz führt zu mehr
Qualität und mehr Sicherheit
Das BAG setzt sich seit Jahren für mehr Qualität im Schweizer Gesundheitswesen ein. Mit der neuen gesetzlichen
Grundlage (Teilrevision KGV) beginnt nun eine Phase mit einem Fokus auf mehr Koordination und erhöhten Transparenz-
anforderungen. Zudem fokussiert der Bundesrat im Rahmen seiner gesundheitspolitischen Prioritäten (Gesundheit2020)
auf die Reduktion von Healthcare-assoziierten Infektionen und die Wirksamkeit von Antibiotika.

Die Schweiz verfügt über eines der          regelt wichtige Punkte: 4-Jahres-
besten Gesundheitssysteme in Eu-            Ziele, eine neue Qualitätskommis-
ropa. Die Menschen geniessen eine           sion sowie Qualitätsverträge.
hohe Lebenserwartung und profi-
tieren von effizienten Behandlun-           4-Jahres-Ziele
gen. Trotzdem gibt es in puncto             Nach Anhörung der interessierten
Qualität noch einiges aufzuholen.           Organisationen legt der Bundesrat
Zu viele Patientinnen und Patien-           die Ziele im Hinblick auf die Siche-
ten erleiden in Schweizer Spitälern         rung und Förderung der Qualität
unerwünschte Ereignisse, zum Bei-           fest. Diese Ziele werden alle vier
spiel die Gabe der falschen Dosis           Jahre neu festgelegt.
eines Medikaments. Viele solcher
Ereignisse verlaufen harmlos, aber          Qualitätskommission
manche tödlich. Mehr Qualität im            Das Gesetz schreibt die Schaffung
Gesundheitswesen senkt die An-              einer neuen Eidgenössischen Qua-
zahl solcher Ereignisse und damit           litätskommission vor, die den Bun-
die Kosten. Das BAG setzt sich seit         desrat bei der Förderung der Qua-
Jahren für mehr Qualität ein.               lität unterstützen wird. In dieser
    Aktuell laufen viele Arbeiten im        Kommission sind die Kantone, die
Bereich Qualität. Grundlage für             Leistungserbringer (z. B. Ärzte oder
diese Arbeiten bildet die Teilrevisi-       Spitäler), die Krankenversicherer
on des Krankenversicherungsge-              wie auch Patientenorganisationen
setzes (KVG) zur Stärkung von               vertreten. Die Kommission kann
Qualität und Wirtschaftlichkeit, die        Dritte damit beauftragen, neue
im Juni 2019 vom Parlament ver-             Qualitätsindikatoren zu entwickeln
abschiedet wurde und dessen Ver-            sowie Studien und Programme zur
ordnungen im Verlaufe von 2020              Qualitätsentwicklung durchzufüh-       Die Strategie Antibiotikaresistenzen verfolgt das Ziel, die Ausbreitung von resistenten Keimen
erarbeitet werden. Die Teilrevision         ren. Finanziert wird die Kommissi-     im Spital zu verhindern, zum Beispiel via strengere Richtlinien zum Antibiotikagebrauch.

    Forum

     Mit Teamarbeit die Patientensicherheit erhöhen
                                    Anthony Staines, Qualitätsbeauftragter         Institutionen, die eine 12-monatige Nachprojektphase akzeptierten,
                                    des Waadtländer Spitalverbandes                wurde der Anteil der Patienten mit unerwünschten Arzneimittelereig-
                                                                                   nissen um 61 % reduziert.
                                   Als der Verband der Waadtländer Spitäler           Das zweite Ziel bestand darin, die Compliance der Handhygiene von
                                   (Fédération des hôpitaux vaudois, FHV) im       62 % auf 85 % zu erhöhen, basierend auf der multimodalen Strategie
                                   Jahre 2015 die Mitarbeiterinnen und Mitar-      der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Diese Strategie umfasst fünf
                                   beiter befragte, in welchem Prozentsatz der     Interventionsbereiche: Zugang zur alkoholischen Lösung erleichtern,
                                   Situationen sie eine Handhygiene anwen-         Fachkräfte schulen, Einhaltung von Vorschriften messen, Erinnerungen
                                   den, lag der Durchschnittswert der Antwor-      und Anreize am Behandlungsort sowie Kultur und Leadership. Die
                                   ten bei 86 %. Wenn geschulte Beobachter         Ergebnisse wurden von Beobachtern gemessen. Die Compliance-Rate
                                   diese Rate bewerteten, lag der Wert bei         stieg innerhalb von 18 Monaten von 62 % auf 88 %. Zwei Jahre nach
                                   62 %. Diese Kluft zwischen wahrgenom-           dem Projekt lag sie immer noch bei 88 %.
                                   mener und gemessener Compliance der                Das dritte Ziel bestand darin, die Anzahl von im Spital erworbenen
     Handhygiene musste Fragen aufwerfen.                                          Dekubiti (Wundliegen, Druckgeschwür) um 50 % zu reduzieren; mithilfe
        Der FHV hat sich entschieden, diese Herausforderung anzunehmen             einer 6-Punkte-Strategie: Erhöhung des Dekubitus-Risikoscreenings,
     und die Situation zu verbessern, basierend auf den Methoden der               systematische Anwendung von Präventionsmassnahmen für Risikopa-
     «Implementation Science» sowie der «Breakthrough Collaboratives».             tienten, Mitarbeiter schulen, Leistung messen und melden, Patienten-
     Dies ist ein organisierter und multimodaler Ansatz zur Qualitätsverbes-       beteiligung stärken und Leadership entwickeln. In 18 Monaten wurde
     serung, der Teams aus verschiedenen Institutionen zusammenbringt,             die Rate von neuen Dekubituspatienten von 4,6 auf 2,3 pro 1000 Kran-
     Methoden, Ideen und Daten zu einem bestimmten Thema anwendet                  kenhaustage vermindert – eine Reduktion von 50 %.
     und miteinander teilt.                                                           Die oben genannten Projekte zeigen, dass bestehende Praktiken
        Das erste Ziel des FHV bestand darin, unerwünschte Arzneimittel-           verbessert werden können. Es braucht jedoch eine Veränderung der
     wirkungen um 20 % zu reduzieren. Es bestand in der Umsetzung eines            Gewohnheiten und die Umsetzung eines Ansatzes, der eine Vielfalt von
     Portfolios von Massnahmen in vier Bereichen: korrekte Patientenidenti-        Interventionsmassnahmen kombiniert, wobei die Messung und Be-
     fikation, Medikamentenvorbereitung, Management von Hochrisiko-                richterstattung der Ergebnisse im Mittelpunkt steht.
     medikamenten und Patienteneinbezug. Die Ergebnisse wurden mit
     dem Instrument «Médicamenteux» gemessen, einem beschleunigten                 Kontakt:
     Überprüfungsverfahren zur Verfolgung unerwünschter Ereignisse. In             anthony.staines@bluewin.ch

2   spectra 127 | Februar 2020 | Qualität und Patientensicherheit
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Aus erster Hand

on je zu einem Drittel vom Bund,                                            vor allem drei Massnahmen:                                    wachen, zu verhüten und zu be-
von den Kantonen und von den                                                Verschreibungsrichtlinien zum                                 kämpfen.                                                                    Pascal Strupler,
Versicherern.                                                               Gebrauch von Antibiotika, Ste-                                    Gegen HAI wurde in der Ver-                                             Direktor Bundesamt
                                                                            wardship-Programme für die sys-                               gangenheit schon viel unternom-                                             für Gesundheit
Qualitätsverträge                                                           tematische Überprüfung von Ver-                               men. Was aber gefehlt hat, sind ei-
Zudem regelt das Gesetz die Ein-                                            schreibungen von antimikrobiellen                             ne landesweite Überwachung der
führung von Qualitätsverträgen, die                                         Substanzen sowie Richtlinien zur                              epidemiologischen Situation sowie

                                                                                                                                                                                               Die Sicherheits-
neu zwischen den Leistungserbrin-                                           Prävention und Kontrolle von                                  allgemein gültige, wissenschaftli-
gern und den Krankenversicherern                                            Healthcare-assoziierten Ausbrü-                               che Standards zur Verhütung und

                                                                                                                                                                                               kultur in Schweizer
ausgehandelt werden müssen. Die                                             chen mit multiresistenten Erregern.                           Bekämpfung von HAI. Aktuell wer-
Qualitätsverträge gelten gesamt-                                                                                                          den solche strukturellen Mindest-

                                                                                                                                                                                               Spitälern stärken
schweizerisch und regeln zum Bei-                                          Ziel dieser Gesetzesrevisi-                                    anforderungen für Schweizer Akut-
spiel, wie in Zukunft die Qualität                                                                                                        spitäler erarbeitet. Eine weitere
                                                                           on ist eine Stärkung der
gemessen werden soll, welche                                                                                                              zukünftige Massnahme ist der Auf-
Massnahmen es braucht, um die                                              Strukturen sowie der                                           bau eines nationalen Überwa-                         Wer zur Behandlung in ein Spital geht,
Qualität zu verbessern, wie die                                            Organisationen und der                                         chungssystems für HAI. Diese                         vertraut darauf, dass dies ein sicherer Ort
Massnahmen überwacht werden                                                Finanzierung.                                                  Überwachung wird in Form von                         ist und dass er das Spital hoffentlich ge-
und welche Sanktionen ausgespro-                                                                                                          Modulen entwickelt und mindes-                       sünder und vor allem unbeschadet wieder
chen werden, wenn die Vereinba-                                                                                                           tens die Überwachung von kathe-                      verlässt. Die Realität zeichnet aber manch-
rungen nicht eingehalten werden.                                                Neben der Strategie StAR ver-                             terassoziierten Bakteriämien                         mal ein anderes Bild: Etwa jede zehnte
    Ziel dieser Gesetzesrevision ist                                        folgt auch die Strategie NOSO das                             (CLABSI) und katheterassoziierten                    Person wird während des Spitalaufent-
eine Stärkung der Strukturen so-                                            Ziel, die Patientensicherheit im                              Harnwegsinfektionen (CAUTI) be-                      halts Opfer eines unerwünschten Ereig-
wie der Organisationen und der Fi-                                          Schweizer Gesundheitswesen zu                                 inhalten.                                            nisses. Dabei handelt es sich etwa um
nanzierung.                                                                 verbessern. Denn rund 6 Prozent                                                                                    Medikationsfehler oder um Spitalinfekti-
                                                                            der Patientinnen und Patienten                                Kontakte:                                            onen. Die Hälfte davon wäre vermeidbar.
Resistente Keime                                                            erleiden eine Spitalinfektion                                 - Carlo Tschudi, Sektion Qualität                       Die Ursache ist oft, dass viele Spitäler die
Ein anderer Bereich, in dem das                                             (Healthcare-assoziierte Infektion,                            und Prozesse,                                        Sicherheitsmassnahmen zu wenig strikt
BAG für mehr Qualität sorgen will,                                          HAI). Das Globalziel der Strategie                            carlo.tschudi@bag.admin.ch                           umsetzen. Die Sicherheitskultur in Schwei-
umfasst die Antibiotikaresistenzen.                                         NOSO ist daher die Reduktion der                              - Margaux Bovet, Sektion Infektions-                 zer Spitälern muss stärker gelebt werden
Hier kommt bereits seit 2016 eine                                           Spitalinfektionen und die Verhinde-                           kontrolle und Impfprogramme                          und alle Disziplinen und Hierarchiestufen
andere Strategie zum Tragen: die                                            rung der Ausbreitung potenziell ge-                           margaux.bovet@bag.admin.ch                           umfassen. Unerwünschte Ereignisse müs-
Strategie Antibiotikaresistenzen                                            fährlicher Erreger in der stationä-                                                                                sen konsequent gemeldet werden.
Schweiz (StAR). Die Massnahmen                                              ren Versorgung. Mit dieser Strategie                          Links:                                                  Der erste nationale Bericht zu Qualität
dieser Strategie verfolgen unter an-                                        schaffen der Bund und die zahlrei-                            - Qualität und Patientensicherheit:                  und Patientensicherheit im Gesundheits-
derem das Ziel, die Ausbreitung                                             chen Umsetzungspartner gemein-                                https://tinyurl.com/ygkqcb8g                         wesen, den wir kürzlich publiziert haben,
derartiger Keime im Spital zu                                               sam die notwendigen Grundlagen                                - Strategie NOSO:                                    zeigt auch andernorts Handlungsbedarf.
verhindern. Im Fokus stehen hier                                            und Instrumente, um HAI zu über-                              www.strategie-noso.ch                                Im Vergleich zu anderen europäischen
                                                                                                                                                                                               Ländern gibt es beispielsweise zu wenige
                                                                                                                                                                                               Indikatoren, um Qualität und Sicherheit zu
   KVG-Revision zur Stärkung von Qualität und Wirtschaftlichkeit                                                                                                                               messen. Mit den vorhandenen Überwa-
                                                                                                                                                                                               chungssystemen lässt sich die Versor-
                                                                                   Bundesversammlung                                                                                           gungsqualität in der Schweiz nicht hinrei-
                                                                        Gesamtkredit für Abgeltungen und Finanzhilfen                                                                          chend beurteilen.
                                                                                                                                                                                                  Hier wollen wir Verbesserungen errei-
                                                                                          Bundesrat                                                                                            chen und vermehrt auf die Umsetzung der
                                                                      Strategische Steuerung (4-Jahres- und Jahres-Ziele)                                                                      Massnahmen insistieren. Die Teilrevision
                                                                                                                                                                                               des Krankenversicherungsgesetzes, die
                                                                                                                                             Departement                                       das Parlament letzten Juni verabschiedet
                                                        Wahl
                                               der Mitglieder

                                                                                                                                                                                               hat, gibt uns dazu die rechtliche Basis und
                                                                                                                         Genehmigung
                                                                                                                           Reglemente
                                                                                           Empfehlungen

                                                                                                                                                                                               die finanziellen Mittel.
    Genehmigung / Festsetzung

                                                                                                                                                                                                  Der Bund ist aber bereits aktiv gewor-
                                                                                           Beratung

                                                                                                                                                                                               den. Es werden derzeit konkrete Massnah-
                                                                                                                                                                                               men umgesetzt, um die Zahl der nosoko-
                                                                                                                                                               Kantone
                                                                                                                                                                                               mialen Infektionen zu reduzieren und der
                                                    Eidgenössische Qualitätskommission
                                                                                                                                                                                               Resistenzbildung gegen Antibiotika entge-
                                                                                                                                            Beratung          Versicherer                      genzutreten; dies im Rahmen der beiden
                                         Entwicklung Qualitätsindikatoren, Durchführung Studien und
                                                                                                                                            Empfehlungen
                                                         Programme, Beratung etc.                                                                             Leistungs-                       Nationalen Strategien NOSO und StAR.
                                                                                                                                                               erbringer                          Mit der Organisation des 5. Ministergip-
                                                                                                                                                                                               fels, dem Global Ministerial Summit on
                                                                                                          Empfehlungen

                                                                                                                            Aufträge
                                                                                Beratung

                                                                                                                                                                                               Patient Safety, unterstreichen wir auch
                                                                                                                                                                                               unser internationales Engagement. Am
                                                Berichte

                                                                                                                                                                                               27./28. Februar 2020 treffen sich in Montreux
                                                                                                                                                                                               international anerkannte Experten und die
                                                                                                                                                                                               Gesundheitsminister mehrerer Dutzend
                                                                                                                                        Dritte                                                 Länder, um über die nachhaltige Umset-
                                Verbände der                                                        Verbände der
                                                                Qualitätsverträge
                                 Versicherer                                                     Leistungserbringer                                                                            zung bewährter Praktiken und die Instru-
                                                                                                                                                                                               mente zur Verbesserung der Patientensi-
                                                            Leistungserbringer                                                                                                                 cherheit zu diskutieren: www.pss2020.ch.

Mit der Teilrevision des Krankenversicherungsgesetzes (KVG) zur Stärkung von Qualität und Wirtschaftlichkeit ist
die Schaffung einer neuen Qualitätskommission verbunden sowie die Erarbeitung von neuen Qualitätsverträgen
zwischen den Verbänden der Versicherer und der Leistungserbringer.

                                                                                                                                                                                 spectra 127 | Februar 2020 | Qualität und Patientensicherheit   3
Spectra - Spectra - Gesundheitsförderung und Prävention
Patientensicherheit: die Schweiz und Europa
                        Der neueste Vergleich der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zeigt, dass in der
                        Schweiz Handlungsbedarf bei der Qualität besteht, insbesondere bei der Patientensicherheit. Gemäss der Studie «Gesund-
                        heit auf einen Blick 2019» befindet sich die Schweiz in Bezug auf die Qualität der Pflege im europäischen Mittel.

                        Patientensicherheit ist als ein As-                  daten zum Gesundheitszustand der      päischen OECD-Ländern liegt sie          was zeigt, welch grosser Hand-
                        pekt der Qualität der Leistungser-                   Bevölkerung und zur Leistungsfä-      bei den Kosten auf Platz 1.              lungsbedarf hier besteht. Die häu-
                        bringung im Gesundheitswesen                         higkeit der Gesundheitssysteme in                                              figsten Risikofaktoren, die zu die-
                        weltweit ein zentrales Thema. Aus                    den 36 OECD-Ländern und 8 wei-        Mangel an Daten                          sem vermeidbaren Ereignis führen,
                        diesem Anlass lohnt sich ein Blick                   teren Ländern präsentiert. So hat     Die Analyse der neuesten Daten           sind Notfälle, ungeplante Verfah-
                        auf Europa. Wie steht die Schweiz                    die Schweiz beispielsweise eine der   zeigt weiter, dass sich die Patien-      rensänderungen, Fettleibigkeit des
                        im Vergleich zu anderen europäi-                     geringsten Quoten für vermeidbare     tensicherheit verbessert hat. Es         Patienten und Wechsel im OP-
                        schen Ländern da? Dies wollen wir                    Todesursachen und mit 83,6 Jah-       braucht aber weitere Anstrengun-         Team. Präventive Massnahmen ge-
                        anhand einiger ausgewählter Da-                      ren ist in der Schweiz, abgesehen     gen. Zu diesem Schluss kommt             gen solche Ereignisse sind chirur-
                        ten anschauen.                                       von Japan, die Lebenserwartung so     auch der Nationale Qualitätsbe-          gische Checklisten, Zählen von
                                                                             hoch wie in keinem anderen OECD-      richt des BAG, der im November           Instrumenten, methodische Wund-
                        Leistungsstark, aber teuer                           Land.                                 2019 publiziert wurde. Die Berich-       behandlung und effektive Kommu-
                        Die Schweiz verfügt über eines der                       Doch dies hat seinen Preis: Be-   te bestätigen, dass insbesondere         nikation im OP-Team.
                        leistungsstärksten Gesundheitssys-                   treffend Gesundheitsausgaben be-      ein Mangel an entsprechenden Da-
                        teme weltweit. Dies belegt die neu-                  legt die Schweiz mit 12,2 Prozent     ten vorliegt. Daher ist es grund-        Nationales Qualitätspro-
                        este OECD-Studie «Gesundheit auf                     Anteil am BIP den zweiten Platz       sätzlich relativ schwierig, sich für     gramm «Sichere Chirurgie»
                        einen Blick 2019», die Vergleichs-                   (hinter den USA). Unter den euro-     die Schweiz einen guten Überblick        Die Schweiz entwickelt seit 2011
                                                                                                                   zu verschaffen.                          verschiedene Programme mit dem
                                                                                                                                                            Ziel, die Patientensicherheit zu ver-
                                                                                                                   Vermeidbare Zwischenfälle                bessern. Sie werden durch die Stif-
    Grafik 1: Häufigkeit vergessener Fremdkörper nach einem
                                                                                                                   in der Chirurgie                         tung für Patientensicherheit gelei-
    operativen Eingriff                                                                                            Die Patientensicherheit ist eines        tet und entwickelt, sind Bestandteil
                                                                                                                   der dringlichsten Gesundheitsthe-        der Qualitätsstrategie des Bundes
                                                                                                                   men. Dies zeigen auch die hohen          und werden massgeblich vom BAG
                                                                                                                   Ausgaben der OECD-Länder für die         finanziert. Dazu gehört auch das
                                                                                                                   Behandlung unerwünschter medi-           innovative Modellprojekt «Sichere
                                                                                                                   zinischer Zwischenfälle während          Chirurgie»: Mit der konsequenten
                                                                                                                   eines Spitalaufenthalts, die ver-        Nutzung der chirurgischen Check-
                                                                                                                   meidbar wären. Dazu gehören die          liste der Weltgesundheitsorganisa-
                                                                                                                   sogenannten «never events», selte-       tion (WHO) im Operationssaal kann
                                                                                                                   ne Ereignisse, die zu Patienten-         die Anzahl vermeidbarer Zwi-
                                                                                                                   schädigungen führen und als voll-        schenfälle in der Chirurgie redu-
                                                                                                                   ständig vermeidbar gelten. Grafik 1      ziert werden. «Bedeutende syste-
                                                                                                                   zeigt Zahlen zum Schadensfall            mische Sicherheitsdefizite können
                                                                                                                   «vergessener Fremdkörper wäh-            durch eine methodische, wissen-
                                                                                                                   rend eines chirurgischen Eingriffs».     schaftlich abgestützte und praxiso-
    Quelle: OECD, Gesundheit auf einen Blick 2019, mit unverknüpften Daten
                                                                                                                   Die Schweiz hat hier mit 12,3 Pro-       rientierte Handlungsweise verbes-
                                                                                                                   zent den höchsten Wert überhaupt,        sert werden», so Anita Imhof,
                                                                                                                                                            Leiterin des Projektes bei der Stif-
                                                                                                                                                            tung für Patientensicherheit. Die
    Grafik 2: Prävalenz von Patienten mit Healthcare-assoziierten Infektionen                                                                               Schweiz hat mit diesem Projekt
                                                                                                                                                            schon früh eine Vorreiterrolle
                                                                                                                                                            übernommen, mittlerweile wurde
                                                                                                                                                            das Programm zum professionel-
                                                                                                                                                            len Standard erklärt, und es gibt
                                                                                                                                                            bereits Folgeprojekte, welche die
                                                                                                                                                            Spitäler vernetzen und den Infor-
                                                                                                                                                            mations- und Erfahrungsaustausch
                                                                                                                                                            weiter fördern. Ähnliche Program-
                                                                                                                                                            me wurden bereits in Grossbritan-
                                                                                                                                                            nien, Dänemark, Schweden, Hol-
                                                                                                                                                            land, Schottland, Kanada und den
                                                                                                                                                            USA durchgeführt.

                                                                                                                                                            Infektionsprävention im Spital
                                                                                                                                                            Der Handlungsbedarf bei Spitalin-
                                                                                                                                                            fektionen wurde aufgrund der Be-
                                                                                                                                                            richte der OECD und der WHO zum
                                                                                                                                                            Gesundheitssystem Schweiz 2006
                                                                                                                                                            und 2011 erkannt. In den Jahren
                                                                                                                                                            2016 und 2017 hat das European
                                                                                                                                                            Centre for Disease Prevention and
                                                                                                                            Quelle: National point          Control (ECDC) eine Punktpräva-
                                                                                                                            prevalence survey on
                                                                                                                            healthcare-associated           lenz-Erhebung «Healthcare-asso-
                                                                                                                            infections in acute care
                                                                                                                            hospitals, Switzerland, 2017.
                                                                                                                                                            ziierter Infektionen» (HAI) und des
                                                                                                                            Euro Surveill. 2019;24(32)      Gebrauchs antimikrobieller Medi-
                                                                                                                                                            kamente in den Ländern der Euro-
                                                                                                                                                            päischen Union und des Europäi-
                                                                                                                                                            schen Wirtschaftsraums sowie in
                                                                                                                                                            den Beitrittsländern durchgeführt.

4   spectra 127 | Februar 2020 | Qualität und Patientensicherheit
Spectra - Spectra - Gesundheitsförderung und Prävention
Die Medikation in Pflegeheimen
                                       verbessern
                                       Die grosse Mehrheit von Betagten in der stationären Langzeitpflege nimmt zu viele Medi-
                                       kamente ein. Das hat auch Spitaleintritte zur Folge. Nun testet das vom BAG finanzierte
    Zeitgleich führte die Schweiz
2017 eine nationale Erhebung zum
                                       Programm «Sichere Medikation in Pflegeheimen» Massnahmen, damit die Bewohnerin-
selben Thema und unter Anwen-          nen und Bewohner der Pflegeheime weniger ungeeignete Arzneimittel zu sich nehmen.
dung desselben Protokolls durch
(CH-PPS). An der Studie, die Swiss-                                                                                    die grosse Heterogenität bei den
noso mit Unterstützung des BAG                                                                                         Langzeitpflegezentren. «Wir haben
durchführte, haben eine erfreulich                                                                                     302 Bewohnerinnen und Bewoh-
hohe Zahl von 96 Schweizer Spitä-                                                                                      ner und sind aufgrund unserer
lern teilgenommen und es wurden                                                                                        Grösse die Exoten in der Branche.»
Daten von rund 13 000 Patientin-                                                                                       Sie hätten lange mit verschiedenen
nen und Patienten erhoben. Ein                                                                                         Hausarztpraxen zusammengear-
wichtiges Ergebnis ist, dass 5,9                                                                                       beitet, aber dann 2018 einen Geri-
Prozent der Patientinnen und Pati-                                                                                     ater als Heimarzt angestellt, um
enten in der Schweiz eine Spitalin-                                                                                    den grossen Aufwand bei der Ab-
fektion erleiden. Damit bewegt sich                                                                                    stimmung mit einer Vielzahl von
die Schweiz im europäischen                                                                                            Ärztinnen und Ärzten einzuschrän-
Durchschnitt – der Mittelwert der                                                                                      ken. «Mit dem Heimarzt können
EU liegt bei 5,5 Prozent (Grafik 2).                                                                                   wir nun laufend unsere Abläufe op-
                                                                                                                       timieren. So haben wir Richtlinien
                                                                                                                       erstellt, die beispielsweise be-
                                                                                                                       schreiben, was zu tun ist, wenn
  Global Patient                                                                                                       sich der Zustand einer Bewohnerin
  Safety Summit 2020                   Im Schnitt nehmen Pflegeheimbewohnerinnen und -bewohner täglich                 verschlechtert. Diese Richtlinien
                                       9,3 Medikamente ein – mit zum Teil ungeahnten Konsequenzen.                     geben der Pflege Orientierung und
  in Montreux                                                                                                          Sicherheit», sagt Felber.
  Das BAG engagiert sich aktiv         In der Schweiz werden mehr als         2016 das Pilotprogramm «pro-
  auf internationaler Ebene und        100 000 betagte Menschen in rund       gress! Sichere Medikation in Pfle-       Vertiefungsprojekt
  organisiert den «Global Mini-        1600 Pflegeheimen betreut. Diese       geheimen» ins Leben gerufen. Das         Um Richtlinien oder Minimalan-
  sterial Patient Safety Summit        Bevölkerungsgruppe ist aus zwei        kürzlich abgeschlossene Grundla-         forderungen an die Zusammenar-
  2020» mit Gesundheitsmini-           Gründen besonders gefährdet, un-       genprojekt gibt einen Überblick,         beit von Berufsgruppen geht es
  stern und Fachpersonen aus           geeignete Arzneimittel zu erhalten     wie die Abläufe zur Überprüfung          auch im Vertiefungsprojekt des
  mehreren Dutzend Ländern.            und unerwünschte Arzneimittelne-       der Medikationslisten und der Ne-        Programms. Ausgehend von den
  An der Konferenz in Montreux         benwirkungen zu erleiden. Erstens      benwirkungen aussehen. Die dabei         Umfrageresultaten, hat die Stif-
  werden gemeinsam Prioritäten         haben Betagte einen langsameren        durchgeführte Online-Befragung           tung Patientensicherheit fünf Qua-
  für die globale Stärkung der         Stoffwechsel als Personen im er-       bei 420 Pflegeheimen hat gezeigt,        litätsstandards definiert, etwa dass
  Qualität und der Patientensi-        werbstätigen Alter. Deshalb bauen      dass die Heime sehr unterschied-         die Medikation mindestens zwei-
  cherheit festgelegt.                 sie die Medikamente weniger rasch      lich organisiert sind und dass es        mal jährlich strukturiert überprüft
  www.pss2020.ch                       ab und die Arzneimittel wirken         deshalb nicht flächendeckende,           werden soll. Und dass sich alle me-
                                       länger. Zweitens sind viele Men-       sondern massgeschneiderte Mass-          dizinischen Fachpersonen für eine
                                       schen in Pflegeheimen von mehre-       nahmen zur Erhöhung der Medi-            optimale Zusammenarbeit enga-
                                       ren Krankheiten gleichzeitig be-       kamentensicherheit braucht.              gieren und die Bewohnerinnen
                                       troffen, die alle medikamentös                                                  und Bewohner und deren Angehö-
                                       behandelt werden. Im Schnitt neh-      Regelmässig überprüfen                   rige so weit wie möglich in die
                                       men Pflegeheimbewohnerinnen            In 70 Prozent der Heime versuchen        Therapie einbeziehen. Momentan
                                       und -bewohner täglich 9,3 Medika-      die Pflegefachpersonen, den Ge-          rekrutiert die Stiftung Patientensi-
                                       mente ein, das sind rund 4 Arznei-     brauch von Psychopharmaka mit            cherheit je fünf Alters- und Pflege-
                                       mittel mehr als die über 65-jährige    alternativmedizinischen und wei-         heime in den Kantonen Zürich und
                                       Allgemeinbevölkerung (5,6 Medi-        teren Massnahmen zu verringern.          Wallis, die dann zwischen Frühling
Kontakt:                               kamente pro Tag).                      Diese Arzneimittel, insbesondere         und Herbst 2020 als Pilotheime
Carlo Tschudi, Sektion Qualität und        Vor diesem Hintergrund er-         Neuroleptika und Benzodiazepine          testen, ob sich die Qualitätsstan-
Prozesse,                              staunt es nicht, dass knapp vier       (wie beispielsweise Valium), wer-        dards des Programms in die tägli-
carlo.tschudi@bag.admin.ch             von fünf Heimbewohnern auch            den aufgrund der immer grösser           che Versorgung integrieren lassen.
                                       mindestens ein Medikament zu           werdenden Zahl von Demenzkran-
Links:                                 sich nehmen, das – aufgrund des        ken oft verschrieben, obwohl sie zu      Kontakt:
- Strategie NOSO:                      Nebenwirkungsprofils und der           den PIM gehören. Zudem hat die           Carlo Tschudi, Sektion Qualität und
https://tinyurl.com/yfj4pb4v           möglichen Interaktionen mit ande-      Befragung ergeben, dass die Kont-        Prozesse,
https://www.swissnoso.ch/              ren Arzneimitteln – potenziell inad-   rolle, ob bei einer veränderten Ge-      carlo.tschudi@bag.admin.ch
- Modellprojekt «Sichere Chirurgie»:   äquat ist. Solche sogenannt poten-     samtsituation einer Bewohnerin
https://tinyurl.com/yghlq5db           ziell inadäquaten Medikamente          oder eines Bewohners noch alle           Link:
- OECD-Studie 2019:                    (PIM) verursachen häufig Proble-       verordneten Medikamente nötig            Programm «progress! Sichere
https://tinyurl.com/ya9erumj           me, die zur Einweisung in ein Spi-     sind, weder genügend regelmässig         Medikation in Pflegeheimen» der
                                       tal führen können. Dabei könnten       noch genügend systematisch statt-        Stiftung Patientensicherheit
                                       schätzungsweise 60 Prozent dieser      findet. Der Schlussbericht des           https://tinyurl.com/ygpgmezu
                                       unerwünschten Ereignisse vermie-       Grundlagenprojekts hält fest, dass
                                       den werden, denn sie basieren auf      auch die interprofessionelle Zu-
                                       Fehlern bei der Verordnung und         sammenarbeit gefördert werden
                                       bei der Therapieüberwachung.           muss.
                                           Mit dem Ziel, solche Fehler in         Sabine Felber, Geschäftsleiterin
                                       Zukunft zu reduzieren, hat die Stif-   Pflege und Betreuung der Betag-
                                       tung Patientensicherheit im Jahr       tenzentren Emmen AG, bestätigt

                                                                                               spectra 127 | Februar 2020 | Qualität und Patientensicherheit   5
Spectra - Spectra - Gesundheitsförderung und Prävention
«Die Bevölkerung hat ein Recht darauf,
                      zu erfahren, wie sicher unser System ist»
                      Die Stiftung Patientensicherheit macht unerwünschte                                  Rolle. Das Team sollte einen           aus, wie sie sollten. In ungefähr der
                      Ereignisse in der Medizin zum Thema, ohne jemanden an                                schwierigen Fall sowohl vorbe-         Hälfte dieser unerwünschten Er-
                                                                                                           sprechen wie auch nachbereiten,        eignisse ist etwas schiefgelaufen,
                      den Pranger zu stellen. Das Ziel ist, das System so zu ver-                          um die notwendigen Konsequen-          das nichts mit menschlichem Ver-
                      ändern, dass sich solche Ereignisse nicht wiederholen, sagt                          zen ziehen und in kritischen Mo-       sagen zu tun hat. Doch etwa ein
                      Dieter Conen, Präsident der Stiftung.                                                menten gut reagieren zu können.        Drittel bis die Hälfte dieser Fälle
                                                                                                                                                  sind auf einen Fehler zurückzufüh-
                                                                                                           Gibt es in allen Gesundheits-          ren – also vermeidbar. Solche ver-
                      Herr Conen, Ihre Stiftung                     fordert das Commitment aller Füh-      einrichtungen eine Sicher-             meidbaren Schäden bedeuten
                      möchte gemäss Website eine                    rungsebenen. Zum zweiten Punkt         heitskultur?                           nicht nur grosses Leid für die be-
                      «konstruktive und konse-                      zählen Fragen zur angemessenen         Ja, aber es gibt sie in verschiede-    troffenen Patientinnen und Patien-
                      quente Sicherheitskultur im                   Personalausstattung. Drittens: Sind    nen Reifegraden. Die höchste Stufe     ten und deren Angehörige, sondern
                      Gesundheitswesen» erreichen.                  die Abläufe standardisiert, spezifi-   der Patientensicherheitskultur liegt   haben auch beträchtliche Mehr-
                      Was verstehen Sie unter                       ziert und eingeübt? Der vierte         vor, wenn alle Prozesse auf ihre Si-   kosten zur Folge.
                      Sicherheitskultur?                            Punkt liegt in der Messung und Er-     cherheitsrelevanz und Risikohaf-
                      Sicherheitskultur zu definieren, ist          fassung von Abläufen. Ein Spital       tigkeit hin geprüft – und fortlau-     Die Stiftung Patientensicher-
                      nicht ganz einfach. Wir lehnen uns            muss über geeignete Instrumente        fend optimiert – werden. Die           heit wurde im Jahr 2003 ge-
                      an die Überlegungen an, die Edgar             verfügen, um zu wissen, was gut        primitivste Form der Sicherheits-      gründet. Was hat die Stiftung
                      Schein angestellt hat, als er den Be-                                                kultur äussert sich darin, dass        schon erreicht?
                      griff der Organisationskultur er-                                                    nichts getan wird, bevor nicht je-     Wir haben die Patientensicherheit
                      fand. Auf einen Satz vereinfacht,             «Kommunikationspro-                    mand reklamiert oder ein uner-         zu einem Thema gemacht, über
                      lautet seine Definition: Die Kultur           bleme spielen bei uner-                wünschtes Ereignis aufgetreten ist.    das geredet wird. Ganz wichtig ist,
                      einer Organisation beschreibt, wie            wünschten Ereignissen                                                         dass wir es verstanden haben,
                      Aufgaben in dieser Organisation                                                      Wie oft passieren Unfälle?             über kritische und mitunter auch
                                                                    meist eine zentrale Rolle.»
                      erledigt werden. Auf die Sicherheit                                                  Unsere Daten sind nicht prospek-       tragische Ereignisse zu sprechen,
                      übertragen bedeutet dieser Spruch,                                                   tiv, sondern sind in der Regel erst    ohne zu skandalisieren. Wir haben
                      dass nicht nur die Massnahmen                 läuft und wo Fehler passieren, da-     im Nachhinein erhoben worden,          klarmachen können, dass es nicht
                      und Standards zur Kultur zählen,              mit es lernen und besser werden        wir können deshalb Verzerrungen        um schlechte Menschen geht, die
                      sondern weit mehr.                            kann. Schliesslich muss fünftens       nicht ausschliessen. Die Daten zei-    einen Schaden bewirken. Sondern
                          Für uns gehören fünf Aspekte              eine transparente Kommunikation        gen, dass zwischen 90 und 95 Pro-      um Menschen, die in schlecht funk-
                      zur Sicherheitskultur. Das ist zum            nach innen und nach aussen statt-      zent aller Hospitalisationen prob-     tionierenden Systemen arbeiten
                      einen Leadership: Die Entwicklung             finden. Denn Kommunikationspro-        lemlos ablaufen. In 5 bis 10 Prozent   und deshalb manchmal leider ei-
                      einer Sicherheitskultur liegt in der          bleme spielen bei unerwünschten        der Fälle kommen die medizini-
                      Führungsverantwortung und er-                 Ereignissen meist eine zentrale        schen Massnahmen nicht so her-
                                                                                                                                                  «Wir haben klarmachen
                                                                                                                                                  können, dass es nicht um
                                                                                                                                                  schlechte Menschen geht,
                                                                                                                                                  die einen Schaden be-
                                                                                                                                                  wirken. Sondern um
                                                                                                                                                  Menschen, die in schlecht
                                                                                                                                                  funktionierenden Systemen
                                                                                                                                                  arbeiten.»

                                                                                                                                                  nen Schaden verursachen. Deshalb
                                                                                                                                                  liegt nicht die Bestrafung im Vor-
                                                                                                                                                  dergrund (ausser es handelt sich
                                                                                                                                                  um grobe Fahrlässigkeit), sondern
                                                                                                                                                  die Verbesserung des Systems.
                                                                                                                                                  Dank diesem Fokus haben wir uns
                                                                                                                                                  das Vertrauen der Öffentlichkeit,
                                                                                                                                                  aber auch der Fachpersonen er-
                                                                                                                                                  werben können. Das zeigt sich
                                                                                                                                                  auch darin, dass wir gemeinsame
                                                                                                                                                  Projekte zur Systemverbesserung
                                                                                                                                                  durchführen.

                                                                                                                                                  Was ist der Stiftung bisher
                                                                                                                                                  noch nicht gelungen?
                                                                                                                                                  Wir arbeiten für unsere Pilotpro-
                                                                                                                                                  jekte mit einer überschaubaren
                                                                                                                                                  Anzahl von Spitälern zusammen.
                                                                                                                                                  Aber für die Ausbreitung in die Flä-
                                                                                                                                                  che fehlen uns die Mittel. Wir
                                                                                                                                                  möchten beispielsweise, dass die
                                                                                                                                                  medizinischen Schadensfälle
                                                                                                                                                  schweizweit erfasst werden. Das
                                                                                                                                                  haben wir bisher aus verschiede-
                                                                                                                                                  nen Gründen noch nicht erreicht.
                      Die Gabe von Medikamenten kann in Spitälern zu unerwünschten Ereignissen führen, etwa wenn die Dosis falsch                 Deshalb kennen wir das wahre
                      angegeben wird oder es zu einer Verwechslung kommt. Oft sind Kommunikationsprobleme dafür verantwortlich.                   Ausmass dieser Schäden nicht. In

6   spectra 127 | Februar 2020 | Qualität und Patientensicherheit
Spectra - Spectra - Gesundheitsförderung und Prävention
Dieter Conen

                                                                                Prof. Dr. med. Dieter Conen hat zuerst Philosophie
                                                                                und dann Medizin studiert. 1984 habilitierte er zur
                                                                                «Qualität der ärztlichen Leistung». Von 1987 bis zu
                                                                                seiner Pensionierung im Jahr 2008 war er Leiter des
der Schweiz weiss niemand, wie        oniert das gut, weil Ärzte in der Re-     Departements Innere Medizin am Kantonsspital
häufig etwa auf der falschen Seite    gel intrinsisch motiviert sind und        Aarau und Professor an der medizinischen Fakultät
operiert wird. Dabei müssten wir      sich für ihre Patienten einsetzen         der Universität Basel. Er war Mitglied des Spitalrates
solche Zahlen diskutieren können,     und verantwortlich fühlen. Auf der        des Universitätsspitals Zürich und ist Gründungsprä-
denn meiner Meinung nach hat die      systemischen Ebene gibt es aber           sident der Stiftung Patientensicherheit Schweiz.
Bevölkerung ein Recht darauf, zu      oft Widerstand vonseiten der Ärz-
erfahren, wie sicher unser Gesund-    teschaft.
heitssystem ist. Ohne diese quanti-
tative Transparenz können wir         Wie erklären Sie sich das?
auch keine Aussage machen, ob         Im Medizinstudium steht der indi-
sich im Gesundheitswesen heute        viduelle Vertrag zwischen dem Arzt
weniger fehlerbedingte Schadens-      und dem Patienten im Vorder-
fälle ereignen als vor 15 Jahren.     grund, und die Freiheit in der The-
                                      rapiewahl ist eine wichtige Grösse      der auf das Individuum fokussier-       rungen vor allem in der Medika-
Die Stiftung Patientensicher-         in der Arzt-Patient-Beziehung.          ten Ausbildung zu tun. Wenn die         mentensicherheit – unter der
heit betreibt doch ein Fehler-        Doch Ärztinnen und Ärzte sind           Individualisierung sehr dominant        Voraussetzung, dass die eingetra-
meldesystem?                          gleichzeitig auch der Gesellschaft      ist, kontrastiert sie mit dem Team-     genen Daten miteinander in Ver-
Ja, aber unser Meldesystem ist im     gegenüber verpflichtet, weil sie die    gedanken. Ich nenne das die «toxi-      bindung gebracht werden und dass
Moment so aufgegleist, dass es nur    Mittel zur Verfügung stellt. Die Ärz-   sche» Haltung eines Kapitäns, der       alle, die mit einem Patienten zu tun
Ereignisse umfasst, die keinen        teschaft hat auch Public-Health-        meint, er sei der Einzige, der das      haben, in seinem Auftrag das Dos-
Schaden zur Folge haben. Wir          Aufgaben, zu denen etwa die Pati-       Problem lösen kann. Dabei gerät         sier nachführen.
grenzen uns hier klar ab, weil Feh-   entensicherheit gehört. Wenn es         aus dem Blick, dass auch der beste
ler mit Folgeschäden Haftpflicht-     Schäden gibt, die bis zum Todesfall     Operateur nur gute Resultate erzie-     Und was macht Ihnen Sorgen?
fragen nach sich ziehen. Wir wol-     reichen, muss ich einerseits wissen,    len kann, wenn auch alle anderen        Die Stiftung Patientensicherheit
len nicht, dass die freiwilligen      wie oft treten diese Schäden auf?       – von der Putzequipe bis zur hoch       beschäftigt 19 Personen, die sich
Berichte zum Nachteil der Melden-     Und andererseits, was kann ich                                                  etwa 12 Vollzeitstellen teilen. Unge-
den verwendet werden. Doch vor        präventiv tun, um diese Schäden zu                                              fähr zwei Drittel der Kosten decken
einigen Jahren hat ein Fall im Kan-   vermeiden oder wenigstens ihre          «Oft merken wir, dass die               wir mit Projekten, die wir meist
ton Tessin gezeigt, dass genau das    Auswirkungen zu minimieren?             Leute froh sind, wenn wir               beim BAG eingeben und finanziert
passieren kann. Es gibt – im Ge-                                              die Probleme aufgreifen                 bekommen. Der Rest stammt von
gensatz etwa zu Deutschland – kei-    Welche Rolle spielen psycholo-                                                  einem Beitrag in der Höhe von un-
                                                                              und thematisieren, denn
ne Schutzregelungen für die Mel-      gische Aspekte, etwa dass es                                                    gefähr 9 Rappen pro Einwohner,
dungen, jeder Staatsanwalt kann       vielen Personen schwerfällt,            dann müssen sie sie nicht               den uns die Kantone entsprechend
auf sie zugreifen, wenn er das ver-   sich zu entschuldigen?                  mehr totschweigen.»                     ihrer Bevölkerungsgrösse entrich-
langt.                                Das macht die Sache natürlich                                                   ten. Doch wenn im Jahr 2021 die
                                      komplizierter. In der Medizin ist es                                            neuen Bestimmungen zur Stär-
Was ist denn der Zweck des            ja häufig so, dass dem Patienten        spezialisierten Anästhesie und          kung von Qualität und Wirtschaft-
Fehlermeldesystems?                   gesagt wird: «Es kommt gut, das         Krankenpflege – ihre Aufgaben           lichkeit im überarbeiteten Kran-
Unser System heisst CIRRNET           habe ich schon oft gemacht.» Aber       wahrnehmen. Heute sind Team-            kenversicherungsgesetz in Kraft
(Critical Incident Reporting and      ein solches Perfektionsversprechen      player gefragt, die die Meinung der     treten, droht diese Basisfinanzie-
Reacting Network), weil es die Mel-   kann niemand in Aussicht stellen.       anderen Teammitglieder abholen          rung wegzufallen. Wir riskieren,
dungen aus lokalen Fehlermelde-       Wenn dem Patienten dann etwas           und einbeziehen.                        dass uns dann die Planungssicher-
systemen vernetzt und zusammen-       Unvorhergesehenes zustösst, muss                                                heit und die Kontinuität abhanden-
führt. So werden Problemfelder        er annehmen, es sei ein Fehler pas-     Sie setzen sich schon seit              kommen. In den etwas mehr als 15
sichtbar, die überregional relevant   siert. Bedauern über das Vorgefal-      mehr als dreissig Jahren mit            Jahren hat die Stiftung gute Arbeit
sind. Wir entwickeln dann in Zu-      lene zu zeigen, scheitert dann nicht    der Qualität von ärztlichen             geleistet und sich auch einen ent-
sammenarbeit mit verschiedenen        selten daran, dass viele darin im-      Leistungen auseinander. Wie             sprechenden Ruf erworben. Darauf
Fachexpertinnen und -experten         mer noch ein Schuldeingeständnis        reagieren Ihre Kolleginnen              sind wir stolz. Doch nun ist das,
Empfehlungen und machen sie mit       sehen.                                  und Kollegen: Gelten Sie als            was wir aufgebaut haben, in Ge-
sogenannten «Quick Alerts» allen           Wer jedoch von Anfang an dar-      Pionier oder als Nestbe-                fahr.
interessierten Gesundheitsinstitu-    auf hinweist, dass der Eingriff mit     schmutzer?
tionen zugänglich.                    einem Risiko verbunden ist, kann        Ich denke nicht, dass man mich als
                                      dann ohne diesen Widerspruch            Nestbeschmutzer betrachtet. Denn
Sie haben sich mal als «Medi-         kommunizieren: «Was passiert ist,       wenn wir den Finger auf die Wun-
zinbürger» bezeichnet, der            war nicht auszuschliessen. Es tut       de legen, machen wir das mit dem
«seinen Verpflichtungen den           mir leid, dass es Ihnen zugestossen     nötigen Anstand und im Wissen,
Patienten gegenüber gerne             ist.» Das ist dann auch die Grund-      dass hinter den allermeisten Feh-
nachkommt». Was sind das für          lage, um gemeinsam anzuschauen,         lern keine böse Absicht steckt. Oft
Verpflichtungen?                      wieso es zum Schaden gekommen           merken wir, dass die Leute froh
Ein Bürger sollte keine Lügen ver-    ist – anstatt den Eindruck zu erwe-     sind, wenn wir die Probleme auf-
breiten, sondern offen und trans-     cken, dass nichts passiert ist.         greifen und thematisieren, denn
parent sein und sich für seine Um-                                            dann müssen sie sie nicht mehr
gebung und die Aufrechterhaltung      Wie wichtig ist die Teamarbeit          totschweigen.
des Gemeinwesens verantwortlich       für die Patientensicherheit?
fühlen. Das Gleiche gilt eigentlich   Sie ist essenziell. Viele Ärzte lang-   Zum Schluss ein Blick in die
auch für den Mediziner. Er sollte     weilen sich bei Teamtrainings,          Zukunft: Was erhoffen Sie sich
sich nicht hinter einem Standes-      aber können sich etwa für neue mi-      für die Patientensicherheit?
dünkel verbergen, sondern versu-      krochirurgische Werkzeuge begeis-       Wir brauchen mehr Transparenz.
chen, das Mögliche für seine Pati-    tern, obwohl die Trainings für die      Das geht nur, wenn wir auch im IT-
entinnen und Patienten zu tun, und    Patientensicherheit mindestens so       Bereich investieren. Ich verspreche
gewissermassen ihr Anwalt sein.       wichtig, wenn nicht gar viel wichti-    mir etwa vom elektronischen Pati-
Auf der individuellen Ebene funkti-   ger sind. Das hat auch wieder mit       entendossier wichtige Verbesse-

                                                                                                                    spectra 127 | Februar 2020 | Qualität und Patientensicherheit   7
Spectra - Spectra - Gesundheitsförderung und Prävention
Was Spitäler tun, um Übertragungen
von Keimen zu verhindern
Mit zahlreichen Projekten und Initiativen beteiligen sich viele hiesige Spitäler an den
Bemühungen, die Übertragungen von krankmachenden Keimen zu verhindern – und so
die Anzahl Infektionen im Gesundheitswesen zu reduzieren und den Vormarsch
multiresistenter Bakterien einzudämmen.

Dass sich das Spitalpersonal im-            Jahren 2005 und 2006. Damals ist
mer die Hände desinfiziert, bevor           die Einhaltung der Richtlinien von
und nachdem es einen Patienten              54 % auf 68 % gestiegen. Seither
oder eine Patientin berührt, ist            hat sich diese Entwicklung fortge-
wichtig, weil der Hauptübertra-             setzt, wie die mit «CleanHands»
gungsweg von Keimen über die                erfassten Daten zeigen: Am besten
Hände des Spitalpersonals verläuft.         werden die fünf Momente für die
Die Spitalmitarbeitenden erwerben           Händehygiene in der Geriatrie be-
(meist ohne es zu merken) wäh-              folgt (87 %). In den Akutspitälern
rend der Behandlung und Pflege              werden die Richtlinien in 76 % der
vorübergehend Bakterien, die von            beobachteten Fälle eingehalten,
Patientinnen oder Patienten, aber           vom Pflegefachpersonal besser als
auch von kontaminiertem Material            von der Ärzteschaft.
oder aus der Umgebung stammen                    Das grosse Engagement für die
können. Wie ein Forschungsteam              Infektionsprävention zeigt sich un-
um den Infektionsexperten Didier            ter anderem auch in den Schu-
Pittet von den Universitätsspitälern        lungsunterlagen, die viele Spitäler
in Genf (siehe «5 Fragen an», Seite         entwickeln, um ihre Mitarbeitenden
12) nachgewiesen hat, lassen sich           auf eine korrekte Durchführung der
die Übertragungen um die Hälfte             Händedesinfektion einzuschwören.
verringern, wenn die Bakterien              So hat das Universitätsspital Zürich
konsequent mit einem alkoholi-              etwa einen fünfminütigen Film rea-
schen Händedesinfektionsmittel              lisiert, in dem der Krankenhausauf-
abgetötet werden.                           enthalt – mit einer Prise Humor –
    Das Team um Pittet hat fünf             mit einem Interkontinentalflug
entscheidende Momente für die               verglichen wird und eine Flugbe-
Händehygiene ausgemacht, bei-               gleiterin den Mitarbeitenden des
spielsweise jedes Mal bevor und             Spitals augenzwinkernd die nötigen
nachdem eine invasive Handlung              Massnahmen zur Händehygiene er-
durchgeführt wird oder ein Kon-             klärt.
takt mit Körperflüssigkeiten (wie
etwa Blut oder Speichel) stattge-           Ausgezeichnetes Programm
funden hat. Um überprüfen zu kön-           am Kantonsspital Neuenburg
nen, wie gut die Richtlinien mit den        Das Kantonsspital Neuenburg be-
fünf Momenten der Händehygiene              treibt ein Programm namens
befolgt werden, hat die Spitalhygi-         «HygièNE des mains», das gar mit
ene des Kantonsspitals St. Gallen           dem «European Hand Hygiene In-
ein Messinstrument namens                   novation Award 2017» ausgezeich-
«CleanHands» entwickelt, welches            net wurde. Es umfasst neben regel-
das nationale Zentrum für Infekti-          mässigen Schulungen und einem
onsprävention Swissnoso allen Spi-          persönlichen Händehygiene-Kit für
tälern in der Schweiz zur Verfü-            das Personal auch regelmässige In-
gung stellt. Aktuell verwenden über         spektionen, während denen ein
100 Gesundheitsinstitutionen die            Mitglied der Spitalhygiene das Per-
«CleanHands»-App: Damit können              sonal auf die Patientenvisite beglei-   Die Kampagne der Weltgesundheitsorganisation WHO «Save Lives: Clean Your Hands»
die Hygienefachpersonen des Spi-            tet und die Massnahmen zur Hän-         setzt einen weltweiten Standard betreffend Händehygiene.
tals das Personal mit Patientenkon-         dehygiene analysiert. Mit dem
takt beobachten und erfassen,               2012 lancierten Programm wollte
wann es sich die Hände desinfi-             das Spital ursprünglich erreichen,      günstiges Umfeld für eine gute       Weitere Informationen:
ziert.                                      dass alle Mitarbeitenden mit Pati-      Händedesinfektion: Hände ohne        Die fünf Momente der Händehygiene
                                            entenkontakt in mindestens 80 %         Fingerringe.                         (Poster der WHO)
Direktes Feedback ist ent-                  der angezeigten Fälle ihre Hände                                             https://tinyurl.com/yhfy4nvz
scheidend für den Lerneffekt                desinfizieren.                          Kontakt:
Das Instrument wertet die Einga-                «Dieses Ziel haben wir erreicht     Margaux Bovet, Sektion Infektions-   «Clean Hands» von Swissnoso
ben automatisiert aus und gibt den          und sogar übertroffen: Mit einer        kontrolle und Impfprogramme,         https://tinyurl.com/yhkddvb4
beobachteten Personen eine un-              Übereinstimmungsrate von 86,2 %         margaux.bovet@bag.admin.ch
mittelbare Rückmeldung. Dieses              liegen wir 8 % über den 90 anderen                                           Film zur Infektionsprävention am
direkte Feedback ist entscheidend           Institutionen, die am ‹CleanHands›-                                          Universitätsspital Zürich
für den Lerneffekt. Denn wenn die           Modul von Swissnoso teilnehmen»,                                             https://tinyurl.com/ye93x3sk
Rückmeldung erst mehrere Monate             hält das Spital stolz auf seiner Web-
später erfolgt, kann das Personal           site fest. Und fährt gleich mit dem                                          Programm «HygièNE des mains»
keinen unmittelbaren Bezug zu               Ausblick fort, dass der Fokus nun                                            des Kantonsspitals Neuenburg
den Handlungen im Alltag herstel-           von quantitativen auch auf qualita-                                          https://tinyurl.com/yk67wb6r
len, schreibt Swissnoso in einer            tive Aspekte ausgeweitet werden
Rückschau auf die erste nationale           soll: Das Projekt «zéro bijou» ist
Händehygiene-Kampagne in den                schon aufgegleist, es wirbt für ein

8   spectra 127 | Februar 2020 | Qualität und Patientensicherheit
Spectra - Spectra - Gesundheitsförderung und Prävention
Qualitätsbericht des BAG: mehr Daten,
                mehr Transparenz
                Der nationale Qualitätsbericht des BAG zeigt auf, dass die Qualität der medizinischen Versorgung in der Schweiz ver-
                bessert werden muss. Die Hälfte der rund zehn Prozent der unerwünschten medizinischen Zwischenfälle während eines
                Spitalaufenthalts wäre vermeidbar. Aber vor allem fehlen die Daten, um die Qualität in der Versorgung zu messen.

                Die Verbesserung der Qualität des       Personen mitgetragen. So ist der        chen Informationen vorliegt, die
                Gesundheitswesens und die Förde-        Qualitätsbericht das Ergebnis der       für die Überprüfung der Behand-
                rung der Patientensicherheit gehö-      Zusammenarbeit namhafter Ex-            lungsstandards und die Wirkung
                ren zu den wichtigsten Zielen der       perten und Organisationen in der        der getroffenen Gesundheitsmass-
                gesundheitspolitischen Agenda           Schweiz. Er wurde im Auftrag des        nahmen dringend erforderlich
                Gesundheit2020 des Bundesrats.          Bundesamtes für Gesundheit er-          sind. Dadurch sind die nötigen
                Basis für die Verbesserung sowie        stellt und stützt sich auf 26 Kurzbe-   Fortschritte zur Erhöhung der Ge-
                die Weiterentwicklung ist die Qua-      richte, welche die wichtigsten          sundheitsversorgung und für die
                litätsmessung und -verbesserung.        Schweizer Akteure aus dem Be-           Förderung der Patientensicherheit
                Der im November 2019 veröffent-         reich Versorgungsqualität erarbei-      behindert. Transparenz über die
                lichte nationale Bericht zur Quali-     tet haben. Somit konnte auf ein         Qualität ist gefragt. Dazu müssen
                tät und Patientensicherheit im          breites Spektrum an Fachwissen          Qualitäts- und Sicherheitsindikato-
                schweizerischen Gesundheitswe-          und Erfahrung zurückgegriffen           ren entwickelt werden, die für die
                sen liefert erstmals eine schweiz-      werden.                                 ganze Schweiz gelten.
                weite Datengrundlage. Die seit
                dem Jahr 2000 zusammengetrage-          Qualitätsindikatoren sind               Ansatz mit Modellcharakter
                nen Daten zur Beurteilung von           Mangelware                              Ein hervorragendes Beispiel für ei-
                Qualität und Patientensicherheit        Der Bericht zeigt, dass im komple-      ne rigorose, systematische Daten-
                zeigen auf, wo der Handlungsbe-         xen, dezentral organisierten            erhebung von relevanten Qualitäts-      Der Qualitätsbericht liefert erst-
                darf am grössten ist. Der Qualitäts-    Schweizer Gesundheitssystem die         und Sicherheitsindikatoren und          mals schweizweite Daten.
                bericht liefert auch gleich konkrete    Bereitstellung von Informationen        ein beeindruckendes Engagement
                Empfehlungen für Verbesserungen         zur Verbesserung der Qualität der       für Transparenz und öffentliche         mierung von medikamentösen
                im schweizerischen Gesundheits-         medizinischen Versorgung drin-          Berichterstattung ist die Erhebung      Behandlungen fördert und unnöti-
                wesen. Dank des kooperativen An-        gend notwendig ist. Der Bericht         von Swissnoso zu postoperativen         ge medizinische Tests, Behandlun-
                satzes werden die Empfehlungen          kommt zum Schluss, dass ein Man-        Wundinfektionen. Sie ist Teil der       gen und Verfahren verhindern soll.
                des Berichtes von den beteiligten       gel an verwertbaren und zugängli-       Indikatoren des Nationalen Vereins
                                                                                                für Qualitätsentwicklung in Spitä-      Konkrete Empfehlungen
                                                                                                lern und Kliniken (ANQ). Der An-        Der Katalog von Empfehlungen des
                                                                                                satz kann als Modell für die Ent-       Berichts richtet sich aber an alle
                                                                                                wicklung und Veröffentlichung           Akteure des schweizerischen Ge-
                                                                                                einer umfassenden Palette aussa-        sundheitssystems. Im gesamten
                                                                                                gekräftiger Qualitäts- und Sicher-      Gesundheitssektor ist ein Umden-
                                                                                                heitsindikatoren im schweizeri-         ken gefragt. Es braucht eine Kultur,
                                                                                                schen Gesundheitssystem dienen.         in der Fehler offen angesprochen,
                                                                                                                                        transparent gemeldet und syste-
                                                                                                Handlungsbedarf in der                  matisch erfasst werden. Dazu be-
                                                                                                Medikation                              darf es der Erarbeitung weiterer
                                                                                                Beispielsweise zeigt der umfassen-      nationaler Qualitätsprogramme.
                                                                                                de Überblick über die verfügbaren       Voraussetzung für den Erfolg aller
                                                                                                Informationen zum Umgang mit            Massnahmen sind eine gute Basis-
                                                                                                Heilmitteln und Medikationssi-          infrastruktur, angemessene Res-
                                                                                                cherheit der Stiftung Patientensi-      sourcen sowie eine effiziente Füh-
                                                                                                cherheit Schweiz, dass gerade in        rung. Gefordert wird auch eine
                                                                                                der Medikation grosser Hand-            verstärkte Ausbildung des Gesund-
                                                                                                lungsbedarf besteht. Bisher gibt es     heitspersonals. So war die Schweiz
                                                                                                kein nationales Programm zur Me-        beispielsweise Pionierin in der Ent-
                                                                                                dikationssicherheit und die Vor-        wicklung von Schulungen zur
                                                                                                schriften sind in den einzelnen         Teamarbeit in der Chirurgie. Eine
                                                                                                Kantonen unterschiedlich. So wird       Implementierung im grösseren
                                                                                                die Einführung eines systemati-         Rahmen ist gewünscht. Darüber
                                                                                                schen Medikationsabgleichs bei          hinaus sind Patientinnen und Pati-
Die bisherigen Qualitätsindikatoren                                                             Spitaleintritt derzeit nur in einem     enten für die Risiken eines medizi-
                                                                                                Schweizer Spital durchgeführt. Ge-      nischen Eingriffs besser zu sensibi-
Hierzulande gibt es nur wenige gesamtschweizerische Indikatoren. Diese konzentrieren
                                                                                                plante Massnahmen zur Verbesse-         lisieren. Sie und auch die
sich hauptsächlich auf die Spitäler und die Akutsomatik. Das vom BAG gewählte Kon-
                                                                                                rung der Sicherheit der Medikation      betreuenden Angehörigen sind
zept der Qualitätsindikatoren beinhaltet Angaben zu den Behandlungen in den Schwei-
                                                                                                sind computergestützte Verschrei-       grundsätzlich stärker einzubezie-
zer Spitälern. Ausgewiesen werden Fallzahlen (z. B. Anzahl stationäre Behandlungen
                                                                                                bungssysteme und standardisierte        hen.
wegen Lungenkrebs), Anteilswerte (z. B. Kaiserschnittrate in Bezug auf alle stationären
                                                                                                Medikationsabläufe. Als Beispiel
Geburten), die Mortalität bei bestimmten Krankheitsbildern und Eingriffen (z. B. Mortali-
                                                                                                dazu hat Swissmedic eine Arbeits-       Kontakt:
tät aller Herzinfarktpatienten über 19 Jahre) sowie ausgewählte Aufenthaltsdauer (z. B.
                                                                                                gruppe mit Patienten- und Konsu-        Carlo Tschudi, Sektion Qualität und
Durchschnitt in Tagen bei Patienten mit entfernten Gaumenmandeln, ohne Tumorfälle).
                                                                                                mentenorganisationen als Platt-         Prozesse,
   Die Qualitätsindikatoren liefern Hinweise auf die Qualität in den einzelnen Spitälern.
                                                                                                form für den Informationsaustausch      carlo.tschudi@bag.admin.ch
Vergleiche erfordern die nötige Sorgfalt, damit vermieden wird, dass Spitäler mit un-
                                                                                                eingerichtet. In einigen Regionen
gleichem Versorgungsauftrag verglichen werden. Ein direktes Spitalranking lässt sich
                                                                                                in der Schweiz wurde zudem die          Link:
folglich nicht erstellen.
                                                                                                sogenannte «Smarter Medicine»-          Qualitätsbericht (PDF)
                                                                                                Kampagne lanciert, die Massnah-         https://tinyurl.com/ua4zcfl
                                                                                                men und Interventionen zur Opti-

                                                                                                                spectra 127 | Februar 2020 | Qualität und Patientensicherheit   9
Spectra - Spectra - Gesundheitsförderung und Prävention
Wundinfektionen verringern
Seit die Wundinfektionen in der Schweiz zentral erfasst werden und die Spitäler sich untereinander vergleichen können,
nimmt die Infektrate ab. Mit dem Ziel, noch mehr Infektionen zu verhindern, stellt Swissnoso den Spitälern ein Inter-
ventionsmodul zur Verfügung: Nun können medizinische Fachpersonen mit einer App überprüfen, ob sie die Massnahmen
zur Infektionsprävention korrekt durchführen.

                                                                   Verletzungen der Haut stellen ide-      Während der Pilotphase in neun
                                                                   ale Eintrittspforten für Erreger dar.   Spitälern hat Swissnoso die Spital-
                                                                   Deshalb machen Wundinfektionen          mitarbeitenden in der Anwendung
                                                                   nach chirurgischen Eingriffen (im       dieser drei Massnahmen geschult,
                                                                   Englischen surgical site infections,    die Verantwortlichkeiten im Opera-
                                                                   SSI) mehr als einen Viertel der Spi-    tionssaal geklärt und so die Orga-
                                                                   talinfektionen aus. Die Komplikati-     nisationsstruktur optimiert. Mit ei-
                                                                   onen führen nicht nur zu höheren        ner auf dem Smartphone oder
                                                                   Kosten, sondern auch dazu, dass         Tablet bedienbaren App namens
                                                                   Patientinnen und Patienten länger       «Clean Care Monitor» hat das
                                                                   im Spital bleiben müssen – oder in      Fachpersonal die Einhaltung der
                                                                   den schlimmsten Fällen sogar ster-      Massnahmen dokumentiert. Die
                                                                   ben. Als wichtiges Instrument der       App gibt nicht nur direkte und zeit-
                                                                   Qualitätsmessung erfasst das nati-      nahe Rückmeldungen, sondern er-
                                                                   onale Zentrum für Infektionsprä-        laubt auch eine kontinuierliche
                                                                   vention Swissnoso im Auftrag des        Überwachung und den Vergleich
                                                                   Nationalen Vereins für Qualitäts-       mit anderen Spitälern. Nach drei
                                                                   entwicklung in Spitälern und Klini-     Jahren führte das Pilotprojekt da-
                                                                   ken (ANQ) seit 2009 schweizweit         zu, dass die korrekte Umsetzung
                                                                   die Infektraten bei zwölf definier-     der Massnahmen von 55 % auf
                                                                   ten Eingriffen, beispielsweise beim     84 % gestiegen ist.
                                                                   Einsetzen von Hüft- und Kniege-
                                                                   lenksprothesen, bei Operationen         Infektionsrate um
                                                                   am Darm oder bei Kaiserschnittge-       10 Prozent senken
                                                                   burten.                                     Aufgrund der ermutigenden
                                                                                                           Resultate des Pilotprojekts ist das
                                                                   Leistungsvergleich fördert              Programm im Jahr 2019 auf die
                                                                   den Wettbewerb                          ganze Schweiz ausgeweitet wor-
                                                                        Die jährliche zentrale Auswer-     den, es steht nun allen hiesigen
                                                                   tung der Daten erlaubt den Spitä-       Spitälern zur Verfügung. Swissnoso
                                                                   lern, ihre eigenen Infektraten zu       hat noch viel vor: Das Ziel ist, die
                                                                   überprüfen und mit den anderen          Wundinfektionsrate innert zwei
                                                                   Institutionen zu vergleichen. Dieser    Jahren um mindestens 10 % zu
                                                                   Leistungsvergleich setzt einen Qua-     senken. Das bedingt, dass 90 % al-
                                                                   litätswettbewerb in Gang: Die Sor-      ler Operationen in der Schweiz erst
                                                                   ge um die Sicherheit ihrer Patien-      dann beginnen, nachdem alle
                                                                   tinnen und Patienten und um ihren       Massnahmen zur Infektionsprä-
                                                                   guten Ruf motiviert viele Spitäler,     vention gewissenhaft und vorbild-
                                                                   zusätzliche Anstrengungen zur           lich ausgeführt worden sind.
                                                                   Verhütung von SSI zu unterneh-
                                                                   men, wie eine Studie kürzlich ge-       Kontakt:
                                                                   zeigt hat. Tatsächlich sind die         Margaux Bovet, Sektion Infektions-
                                                                   durchschnittlichen Infektionsraten      kontrolle und Impfprogramme,
                                                                   gemäss dem neuesten nationalen          margaux.bovet@bag.admin.ch
                                                                   Vergleichsbericht bei den meisten
                                                                   Eingriffen (von Blinddarm-Entfer-       Links:
                                                                   nungen über Herzoperationen bis         - Erklärvideo des BAG zur Vorberei-
                                                                   zum Einsetzen von Hüftgelenks-          tung einer Operation
                                                                   prothesen) im Vergleich zu 2009         https://tinyurl.com/yehof7am
                                                                   statistisch signifikant verringert.     - Nationaler Vergleichsbericht des
                                                                                                           Programms zur Überwachung
                                                                   Drei elementare Massnahmen              postoperativer Wundinfektionen
                                                                   Um die Infektionsraten noch weiter      https://tinyurl.com/yfs7uwhc
                                                                   zu reduzieren, hat Swissnoso im         - Modul von Swissnoso
                                                                   Rahmen der Strategie NOSO mit           https://tinyurl.com/un636ll
                                                                   Unterstützung des BAG im Jahr
                                                                   2015 ein zusätzliches Modul ge-
                                                                   startet. Das Ziel: Dafür zu sorgen,
                                                                   dass das medizinische Personal bei
                                                                   der Vorbereitung einer Operation
                                                                   drei elementare Massnahmen kor-
                                                                   rekt durchführt, die anerkannter-
                                                                   massen das Risiko einer Infektion
                                                                   verringern:
                                                                   – Entfernung der Haare an der
                                                                      Operationsstelle
                                                                   – Desinfektion der Haut
                                                                   – Prophylaktische Gabe von Anti-
Quelle: Erklärvideo des BAG in Zusammenarbeit mit Swissnoso           biotika

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