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Gesundheitsförderung und Prävention | Februar 2020 News und Newsletter | www.spectra-online.ch spectra 127 Qualität und Patientensicherheit 2 Eine erhöhte Transparenz führt zu mehr Qualität und Sicherheit Das BAG setzt sich seit Jahren für mehr Qualität im Schweizer Gesundheitswesen ein. Mit der neu- en gesetzlichen Grundlage (Teilrevision Krankenversicherungsgesetz, KVG) beginnt nun eine Phase mit einem Fokus auf mehr Koordination und erhöhten Transparenzanforderungen. Zudem fokus- siert der Bundesrat im Rahmen seiner gesundheitspolitischen Prioritäten (Gesundheit2020) auf die Reduktion von Healthcare-assoziierten Infektionen und die Wirksamkeit von Antibiotika. 5 Die Medikation in Pflegeheimen verbessern Die grosse Mehrheit von Betagten in der stationären Langzeitpflege nimmt zu viele Medikamente ein. Das hat auch Spitaleintritte zur Folge. Nun testet das vom BAG finanzierte Programm «Sichere Medikation in Pflegeheimen» Massnahmen, damit die Bewohnerinnen und Bewohner der Pflege- heime weniger ungeeignete Arzneimittel zu sich nehmen. 12 «Wir retten zwischen 5 und 8 Millionen Leben – pro Jahr» 5 Fragen an den Professor und Experten für Infektionskrankheiten Didier Pittet des Universitäts- spitals Genf. Er leitet seit 2005 ein weltweites Programm zur Bekämpfung von Infektionen in Spitälern, das auf dem sogenannten «Genfer Händehygienemodell» aufbaut.
Erhöhte Transparenz führt zu mehr Qualität und mehr Sicherheit Das BAG setzt sich seit Jahren für mehr Qualität im Schweizer Gesundheitswesen ein. Mit der neuen gesetzlichen Grundlage (Teilrevision KGV) beginnt nun eine Phase mit einem Fokus auf mehr Koordination und erhöhten Transparenz- anforderungen. Zudem fokussiert der Bundesrat im Rahmen seiner gesundheitspolitischen Prioritäten (Gesundheit2020) auf die Reduktion von Healthcare-assoziierten Infektionen und die Wirksamkeit von Antibiotika. Die Schweiz verfügt über eines der regelt wichtige Punkte: 4-Jahres- besten Gesundheitssysteme in Eu- Ziele, eine neue Qualitätskommis- ropa. Die Menschen geniessen eine sion sowie Qualitätsverträge. hohe Lebenserwartung und profi- tieren von effizienten Behandlun- 4-Jahres-Ziele gen. Trotzdem gibt es in puncto Nach Anhörung der interessierten Qualität noch einiges aufzuholen. Organisationen legt der Bundesrat Zu viele Patientinnen und Patien- die Ziele im Hinblick auf die Siche- ten erleiden in Schweizer Spitälern rung und Förderung der Qualität unerwünschte Ereignisse, zum Bei- fest. Diese Ziele werden alle vier spiel die Gabe der falschen Dosis Jahre neu festgelegt. eines Medikaments. Viele solcher Ereignisse verlaufen harmlos, aber Qualitätskommission manche tödlich. Mehr Qualität im Das Gesetz schreibt die Schaffung Gesundheitswesen senkt die An- einer neuen Eidgenössischen Qua- zahl solcher Ereignisse und damit litätskommission vor, die den Bun- die Kosten. Das BAG setzt sich seit desrat bei der Förderung der Qua- Jahren für mehr Qualität ein. lität unterstützen wird. In dieser Aktuell laufen viele Arbeiten im Kommission sind die Kantone, die Bereich Qualität. Grundlage für Leistungserbringer (z. B. Ärzte oder diese Arbeiten bildet die Teilrevisi- Spitäler), die Krankenversicherer on des Krankenversicherungsge- wie auch Patientenorganisationen setzes (KVG) zur Stärkung von vertreten. Die Kommission kann Qualität und Wirtschaftlichkeit, die Dritte damit beauftragen, neue im Juni 2019 vom Parlament ver- Qualitätsindikatoren zu entwickeln abschiedet wurde und dessen Ver- sowie Studien und Programme zur ordnungen im Verlaufe von 2020 Qualitätsentwicklung durchzufüh- Die Strategie Antibiotikaresistenzen verfolgt das Ziel, die Ausbreitung von resistenten Keimen erarbeitet werden. Die Teilrevision ren. Finanziert wird die Kommissi- im Spital zu verhindern, zum Beispiel via strengere Richtlinien zum Antibiotikagebrauch. Forum Mit Teamarbeit die Patientensicherheit erhöhen Anthony Staines, Qualitätsbeauftragter Institutionen, die eine 12-monatige Nachprojektphase akzeptierten, des Waadtländer Spitalverbandes wurde der Anteil der Patienten mit unerwünschten Arzneimittelereig- nissen um 61 % reduziert. Als der Verband der Waadtländer Spitäler Das zweite Ziel bestand darin, die Compliance der Handhygiene von (Fédération des hôpitaux vaudois, FHV) im 62 % auf 85 % zu erhöhen, basierend auf der multimodalen Strategie Jahre 2015 die Mitarbeiterinnen und Mitar- der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Diese Strategie umfasst fünf beiter befragte, in welchem Prozentsatz der Interventionsbereiche: Zugang zur alkoholischen Lösung erleichtern, Situationen sie eine Handhygiene anwen- Fachkräfte schulen, Einhaltung von Vorschriften messen, Erinnerungen den, lag der Durchschnittswert der Antwor- und Anreize am Behandlungsort sowie Kultur und Leadership. Die ten bei 86 %. Wenn geschulte Beobachter Ergebnisse wurden von Beobachtern gemessen. Die Compliance-Rate diese Rate bewerteten, lag der Wert bei stieg innerhalb von 18 Monaten von 62 % auf 88 %. Zwei Jahre nach 62 %. Diese Kluft zwischen wahrgenom- dem Projekt lag sie immer noch bei 88 %. mener und gemessener Compliance der Das dritte Ziel bestand darin, die Anzahl von im Spital erworbenen Handhygiene musste Fragen aufwerfen. Dekubiti (Wundliegen, Druckgeschwür) um 50 % zu reduzieren; mithilfe Der FHV hat sich entschieden, diese Herausforderung anzunehmen einer 6-Punkte-Strategie: Erhöhung des Dekubitus-Risikoscreenings, und die Situation zu verbessern, basierend auf den Methoden der systematische Anwendung von Präventionsmassnahmen für Risikopa- «Implementation Science» sowie der «Breakthrough Collaboratives». tienten, Mitarbeiter schulen, Leistung messen und melden, Patienten- Dies ist ein organisierter und multimodaler Ansatz zur Qualitätsverbes- beteiligung stärken und Leadership entwickeln. In 18 Monaten wurde serung, der Teams aus verschiedenen Institutionen zusammenbringt, die Rate von neuen Dekubituspatienten von 4,6 auf 2,3 pro 1000 Kran- Methoden, Ideen und Daten zu einem bestimmten Thema anwendet kenhaustage vermindert – eine Reduktion von 50 %. und miteinander teilt. Die oben genannten Projekte zeigen, dass bestehende Praktiken Das erste Ziel des FHV bestand darin, unerwünschte Arzneimittel- verbessert werden können. Es braucht jedoch eine Veränderung der wirkungen um 20 % zu reduzieren. Es bestand in der Umsetzung eines Gewohnheiten und die Umsetzung eines Ansatzes, der eine Vielfalt von Portfolios von Massnahmen in vier Bereichen: korrekte Patientenidenti- Interventionsmassnahmen kombiniert, wobei die Messung und Be- fikation, Medikamentenvorbereitung, Management von Hochrisiko- richterstattung der Ergebnisse im Mittelpunkt steht. medikamenten und Patienteneinbezug. Die Ergebnisse wurden mit dem Instrument «Médicamenteux» gemessen, einem beschleunigten Kontakt: Überprüfungsverfahren zur Verfolgung unerwünschter Ereignisse. In anthony.staines@bluewin.ch 2 spectra 127 | Februar 2020 | Qualität und Patientensicherheit
Aus erster Hand on je zu einem Drittel vom Bund, vor allem drei Massnahmen: wachen, zu verhüten und zu be- von den Kantonen und von den Verschreibungsrichtlinien zum kämpfen. Pascal Strupler, Versicherern. Gebrauch von Antibiotika, Ste- Gegen HAI wurde in der Ver- Direktor Bundesamt wardship-Programme für die sys- gangenheit schon viel unternom- für Gesundheit Qualitätsverträge tematische Überprüfung von Ver- men. Was aber gefehlt hat, sind ei- Zudem regelt das Gesetz die Ein- schreibungen von antimikrobiellen ne landesweite Überwachung der führung von Qualitätsverträgen, die Substanzen sowie Richtlinien zur epidemiologischen Situation sowie Die Sicherheits- neu zwischen den Leistungserbrin- Prävention und Kontrolle von allgemein gültige, wissenschaftli- gern und den Krankenversicherern Healthcare-assoziierten Ausbrü- che Standards zur Verhütung und kultur in Schweizer ausgehandelt werden müssen. Die chen mit multiresistenten Erregern. Bekämpfung von HAI. Aktuell wer- Qualitätsverträge gelten gesamt- den solche strukturellen Mindest- Spitälern stärken schweizerisch und regeln zum Bei- Ziel dieser Gesetzesrevisi- anforderungen für Schweizer Akut- spiel, wie in Zukunft die Qualität spitäler erarbeitet. Eine weitere on ist eine Stärkung der gemessen werden soll, welche zukünftige Massnahme ist der Auf- Massnahmen es braucht, um die Strukturen sowie der bau eines nationalen Überwa- Wer zur Behandlung in ein Spital geht, Qualität zu verbessern, wie die Organisationen und der chungssystems für HAI. Diese vertraut darauf, dass dies ein sicherer Ort Massnahmen überwacht werden Finanzierung. Überwachung wird in Form von ist und dass er das Spital hoffentlich ge- und welche Sanktionen ausgespro- Modulen entwickelt und mindes- sünder und vor allem unbeschadet wieder chen werden, wenn die Vereinba- tens die Überwachung von kathe- verlässt. Die Realität zeichnet aber manch- rungen nicht eingehalten werden. Neben der Strategie StAR ver- terassoziierten Bakteriämien mal ein anderes Bild: Etwa jede zehnte Ziel dieser Gesetzesrevision ist folgt auch die Strategie NOSO das (CLABSI) und katheterassoziierten Person wird während des Spitalaufent- eine Stärkung der Strukturen so- Ziel, die Patientensicherheit im Harnwegsinfektionen (CAUTI) be- halts Opfer eines unerwünschten Ereig- wie der Organisationen und der Fi- Schweizer Gesundheitswesen zu inhalten. nisses. Dabei handelt es sich etwa um nanzierung. verbessern. Denn rund 6 Prozent Medikationsfehler oder um Spitalinfekti- der Patientinnen und Patienten Kontakte: onen. Die Hälfte davon wäre vermeidbar. Resistente Keime erleiden eine Spitalinfektion - Carlo Tschudi, Sektion Qualität Die Ursache ist oft, dass viele Spitäler die Ein anderer Bereich, in dem das (Healthcare-assoziierte Infektion, und Prozesse, Sicherheitsmassnahmen zu wenig strikt BAG für mehr Qualität sorgen will, HAI). Das Globalziel der Strategie carlo.tschudi@bag.admin.ch umsetzen. Die Sicherheitskultur in Schwei- umfasst die Antibiotikaresistenzen. NOSO ist daher die Reduktion der - Margaux Bovet, Sektion Infektions- zer Spitälern muss stärker gelebt werden Hier kommt bereits seit 2016 eine Spitalinfektionen und die Verhinde- kontrolle und Impfprogramme und alle Disziplinen und Hierarchiestufen andere Strategie zum Tragen: die rung der Ausbreitung potenziell ge- margaux.bovet@bag.admin.ch umfassen. Unerwünschte Ereignisse müs- Strategie Antibiotikaresistenzen fährlicher Erreger in der stationä- sen konsequent gemeldet werden. Schweiz (StAR). Die Massnahmen ren Versorgung. Mit dieser Strategie Links: Der erste nationale Bericht zu Qualität dieser Strategie verfolgen unter an- schaffen der Bund und die zahlrei- - Qualität und Patientensicherheit: und Patientensicherheit im Gesundheits- derem das Ziel, die Ausbreitung chen Umsetzungspartner gemein- https://tinyurl.com/ygkqcb8g wesen, den wir kürzlich publiziert haben, derartiger Keime im Spital zu sam die notwendigen Grundlagen - Strategie NOSO: zeigt auch andernorts Handlungsbedarf. verhindern. Im Fokus stehen hier und Instrumente, um HAI zu über- www.strategie-noso.ch Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern gibt es beispielsweise zu wenige Indikatoren, um Qualität und Sicherheit zu KVG-Revision zur Stärkung von Qualität und Wirtschaftlichkeit messen. Mit den vorhandenen Überwa- chungssystemen lässt sich die Versor- Bundesversammlung gungsqualität in der Schweiz nicht hinrei- Gesamtkredit für Abgeltungen und Finanzhilfen chend beurteilen. Hier wollen wir Verbesserungen errei- Bundesrat chen und vermehrt auf die Umsetzung der Strategische Steuerung (4-Jahres- und Jahres-Ziele) Massnahmen insistieren. Die Teilrevision des Krankenversicherungsgesetzes, die Departement das Parlament letzten Juni verabschiedet Wahl der Mitglieder hat, gibt uns dazu die rechtliche Basis und Genehmigung Reglemente Empfehlungen die finanziellen Mittel. Genehmigung / Festsetzung Der Bund ist aber bereits aktiv gewor- Beratung den. Es werden derzeit konkrete Massnah- men umgesetzt, um die Zahl der nosoko- Kantone mialen Infektionen zu reduzieren und der Eidgenössische Qualitätskommission Resistenzbildung gegen Antibiotika entge- Beratung Versicherer genzutreten; dies im Rahmen der beiden Entwicklung Qualitätsindikatoren, Durchführung Studien und Empfehlungen Programme, Beratung etc. Leistungs- Nationalen Strategien NOSO und StAR. erbringer Mit der Organisation des 5. Ministergip- fels, dem Global Ministerial Summit on Empfehlungen Aufträge Beratung Patient Safety, unterstreichen wir auch unser internationales Engagement. Am Berichte 27./28. Februar 2020 treffen sich in Montreux international anerkannte Experten und die Gesundheitsminister mehrerer Dutzend Dritte Länder, um über die nachhaltige Umset- Verbände der Verbände der Qualitätsverträge Versicherer Leistungserbringer zung bewährter Praktiken und die Instru- mente zur Verbesserung der Patientensi- Leistungserbringer cherheit zu diskutieren: www.pss2020.ch. Mit der Teilrevision des Krankenversicherungsgesetzes (KVG) zur Stärkung von Qualität und Wirtschaftlichkeit ist die Schaffung einer neuen Qualitätskommission verbunden sowie die Erarbeitung von neuen Qualitätsverträgen zwischen den Verbänden der Versicherer und der Leistungserbringer. spectra 127 | Februar 2020 | Qualität und Patientensicherheit 3
Patientensicherheit: die Schweiz und Europa Der neueste Vergleich der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zeigt, dass in der Schweiz Handlungsbedarf bei der Qualität besteht, insbesondere bei der Patientensicherheit. Gemäss der Studie «Gesund- heit auf einen Blick 2019» befindet sich die Schweiz in Bezug auf die Qualität der Pflege im europäischen Mittel. Patientensicherheit ist als ein As- daten zum Gesundheitszustand der päischen OECD-Ländern liegt sie was zeigt, welch grosser Hand- pekt der Qualität der Leistungser- Bevölkerung und zur Leistungsfä- bei den Kosten auf Platz 1. lungsbedarf hier besteht. Die häu- bringung im Gesundheitswesen higkeit der Gesundheitssysteme in figsten Risikofaktoren, die zu die- weltweit ein zentrales Thema. Aus den 36 OECD-Ländern und 8 wei- Mangel an Daten sem vermeidbaren Ereignis führen, diesem Anlass lohnt sich ein Blick teren Ländern präsentiert. So hat Die Analyse der neuesten Daten sind Notfälle, ungeplante Verfah- auf Europa. Wie steht die Schweiz die Schweiz beispielsweise eine der zeigt weiter, dass sich die Patien- rensänderungen, Fettleibigkeit des im Vergleich zu anderen europäi- geringsten Quoten für vermeidbare tensicherheit verbessert hat. Es Patienten und Wechsel im OP- schen Ländern da? Dies wollen wir Todesursachen und mit 83,6 Jah- braucht aber weitere Anstrengun- Team. Präventive Massnahmen ge- anhand einiger ausgewählter Da- ren ist in der Schweiz, abgesehen gen. Zu diesem Schluss kommt gen solche Ereignisse sind chirur- ten anschauen. von Japan, die Lebenserwartung so auch der Nationale Qualitätsbe- gische Checklisten, Zählen von hoch wie in keinem anderen OECD- richt des BAG, der im November Instrumenten, methodische Wund- Leistungsstark, aber teuer Land. 2019 publiziert wurde. Die Berich- behandlung und effektive Kommu- Die Schweiz verfügt über eines der Doch dies hat seinen Preis: Be- te bestätigen, dass insbesondere nikation im OP-Team. leistungsstärksten Gesundheitssys- treffend Gesundheitsausgaben be- ein Mangel an entsprechenden Da- teme weltweit. Dies belegt die neu- legt die Schweiz mit 12,2 Prozent ten vorliegt. Daher ist es grund- Nationales Qualitätspro- este OECD-Studie «Gesundheit auf Anteil am BIP den zweiten Platz sätzlich relativ schwierig, sich für gramm «Sichere Chirurgie» einen Blick 2019», die Vergleichs- (hinter den USA). Unter den euro- die Schweiz einen guten Überblick Die Schweiz entwickelt seit 2011 zu verschaffen. verschiedene Programme mit dem Ziel, die Patientensicherheit zu ver- Vermeidbare Zwischenfälle bessern. Sie werden durch die Stif- Grafik 1: Häufigkeit vergessener Fremdkörper nach einem in der Chirurgie tung für Patientensicherheit gelei- operativen Eingriff Die Patientensicherheit ist eines tet und entwickelt, sind Bestandteil der dringlichsten Gesundheitsthe- der Qualitätsstrategie des Bundes men. Dies zeigen auch die hohen und werden massgeblich vom BAG Ausgaben der OECD-Länder für die finanziert. Dazu gehört auch das Behandlung unerwünschter medi- innovative Modellprojekt «Sichere zinischer Zwischenfälle während Chirurgie»: Mit der konsequenten eines Spitalaufenthalts, die ver- Nutzung der chirurgischen Check- meidbar wären. Dazu gehören die liste der Weltgesundheitsorganisa- sogenannten «never events», selte- tion (WHO) im Operationssaal kann ne Ereignisse, die zu Patienten- die Anzahl vermeidbarer Zwi- schädigungen führen und als voll- schenfälle in der Chirurgie redu- ständig vermeidbar gelten. Grafik 1 ziert werden. «Bedeutende syste- zeigt Zahlen zum Schadensfall mische Sicherheitsdefizite können «vergessener Fremdkörper wäh- durch eine methodische, wissen- rend eines chirurgischen Eingriffs». schaftlich abgestützte und praxiso- Quelle: OECD, Gesundheit auf einen Blick 2019, mit unverknüpften Daten Die Schweiz hat hier mit 12,3 Pro- rientierte Handlungsweise verbes- zent den höchsten Wert überhaupt, sert werden», so Anita Imhof, Leiterin des Projektes bei der Stif- tung für Patientensicherheit. Die Grafik 2: Prävalenz von Patienten mit Healthcare-assoziierten Infektionen Schweiz hat mit diesem Projekt schon früh eine Vorreiterrolle übernommen, mittlerweile wurde das Programm zum professionel- len Standard erklärt, und es gibt bereits Folgeprojekte, welche die Spitäler vernetzen und den Infor- mations- und Erfahrungsaustausch weiter fördern. Ähnliche Program- me wurden bereits in Grossbritan- nien, Dänemark, Schweden, Hol- land, Schottland, Kanada und den USA durchgeführt. Infektionsprävention im Spital Der Handlungsbedarf bei Spitalin- fektionen wurde aufgrund der Be- richte der OECD und der WHO zum Gesundheitssystem Schweiz 2006 und 2011 erkannt. In den Jahren 2016 und 2017 hat das European Centre for Disease Prevention and Quelle: National point Control (ECDC) eine Punktpräva- prevalence survey on healthcare-associated lenz-Erhebung «Healthcare-asso- infections in acute care hospitals, Switzerland, 2017. ziierter Infektionen» (HAI) und des Euro Surveill. 2019;24(32) Gebrauchs antimikrobieller Medi- kamente in den Ländern der Euro- päischen Union und des Europäi- schen Wirtschaftsraums sowie in den Beitrittsländern durchgeführt. 4 spectra 127 | Februar 2020 | Qualität und Patientensicherheit
Die Medikation in Pflegeheimen verbessern Die grosse Mehrheit von Betagten in der stationären Langzeitpflege nimmt zu viele Medi- kamente ein. Das hat auch Spitaleintritte zur Folge. Nun testet das vom BAG finanzierte Zeitgleich führte die Schweiz 2017 eine nationale Erhebung zum Programm «Sichere Medikation in Pflegeheimen» Massnahmen, damit die Bewohnerin- selben Thema und unter Anwen- nen und Bewohner der Pflegeheime weniger ungeeignete Arzneimittel zu sich nehmen. dung desselben Protokolls durch (CH-PPS). An der Studie, die Swiss- die grosse Heterogenität bei den noso mit Unterstützung des BAG Langzeitpflegezentren. «Wir haben durchführte, haben eine erfreulich 302 Bewohnerinnen und Bewoh- hohe Zahl von 96 Schweizer Spitä- ner und sind aufgrund unserer lern teilgenommen und es wurden Grösse die Exoten in der Branche.» Daten von rund 13 000 Patientin- Sie hätten lange mit verschiedenen nen und Patienten erhoben. Ein Hausarztpraxen zusammengear- wichtiges Ergebnis ist, dass 5,9 beitet, aber dann 2018 einen Geri- Prozent der Patientinnen und Pati- ater als Heimarzt angestellt, um enten in der Schweiz eine Spitalin- den grossen Aufwand bei der Ab- fektion erleiden. Damit bewegt sich stimmung mit einer Vielzahl von die Schweiz im europäischen Ärztinnen und Ärzten einzuschrän- Durchschnitt – der Mittelwert der ken. «Mit dem Heimarzt können EU liegt bei 5,5 Prozent (Grafik 2). wir nun laufend unsere Abläufe op- timieren. So haben wir Richtlinien erstellt, die beispielsweise be- schreiben, was zu tun ist, wenn Global Patient sich der Zustand einer Bewohnerin Safety Summit 2020 Im Schnitt nehmen Pflegeheimbewohnerinnen und -bewohner täglich verschlechtert. Diese Richtlinien 9,3 Medikamente ein – mit zum Teil ungeahnten Konsequenzen. geben der Pflege Orientierung und in Montreux Sicherheit», sagt Felber. Das BAG engagiert sich aktiv In der Schweiz werden mehr als 2016 das Pilotprogramm «pro- auf internationaler Ebene und 100 000 betagte Menschen in rund gress! Sichere Medikation in Pfle- Vertiefungsprojekt organisiert den «Global Mini- 1600 Pflegeheimen betreut. Diese geheimen» ins Leben gerufen. Das Um Richtlinien oder Minimalan- sterial Patient Safety Summit Bevölkerungsgruppe ist aus zwei kürzlich abgeschlossene Grundla- forderungen an die Zusammenar- 2020» mit Gesundheitsmini- Gründen besonders gefährdet, un- genprojekt gibt einen Überblick, beit von Berufsgruppen geht es stern und Fachpersonen aus geeignete Arzneimittel zu erhalten wie die Abläufe zur Überprüfung auch im Vertiefungsprojekt des mehreren Dutzend Ländern. und unerwünschte Arzneimittelne- der Medikationslisten und der Ne- Programms. Ausgehend von den An der Konferenz in Montreux benwirkungen zu erleiden. Erstens benwirkungen aussehen. Die dabei Umfrageresultaten, hat die Stif- werden gemeinsam Prioritäten haben Betagte einen langsameren durchgeführte Online-Befragung tung Patientensicherheit fünf Qua- für die globale Stärkung der Stoffwechsel als Personen im er- bei 420 Pflegeheimen hat gezeigt, litätsstandards definiert, etwa dass Qualität und der Patientensi- werbstätigen Alter. Deshalb bauen dass die Heime sehr unterschied- die Medikation mindestens zwei- cherheit festgelegt. sie die Medikamente weniger rasch lich organisiert sind und dass es mal jährlich strukturiert überprüft www.pss2020.ch ab und die Arzneimittel wirken deshalb nicht flächendeckende, werden soll. Und dass sich alle me- länger. Zweitens sind viele Men- sondern massgeschneiderte Mass- dizinischen Fachpersonen für eine schen in Pflegeheimen von mehre- nahmen zur Erhöhung der Medi- optimale Zusammenarbeit enga- ren Krankheiten gleichzeitig be- kamentensicherheit braucht. gieren und die Bewohnerinnen troffen, die alle medikamentös und Bewohner und deren Angehö- behandelt werden. Im Schnitt neh- Regelmässig überprüfen rige so weit wie möglich in die men Pflegeheimbewohnerinnen In 70 Prozent der Heime versuchen Therapie einbeziehen. Momentan und -bewohner täglich 9,3 Medika- die Pflegefachpersonen, den Ge- rekrutiert die Stiftung Patientensi- mente ein, das sind rund 4 Arznei- brauch von Psychopharmaka mit cherheit je fünf Alters- und Pflege- mittel mehr als die über 65-jährige alternativmedizinischen und wei- heime in den Kantonen Zürich und Allgemeinbevölkerung (5,6 Medi- teren Massnahmen zu verringern. Wallis, die dann zwischen Frühling Kontakt: kamente pro Tag). Diese Arzneimittel, insbesondere und Herbst 2020 als Pilotheime Carlo Tschudi, Sektion Qualität und Vor diesem Hintergrund er- Neuroleptika und Benzodiazepine testen, ob sich die Qualitätsstan- Prozesse, staunt es nicht, dass knapp vier (wie beispielsweise Valium), wer- dards des Programms in die tägli- carlo.tschudi@bag.admin.ch von fünf Heimbewohnern auch den aufgrund der immer grösser che Versorgung integrieren lassen. mindestens ein Medikament zu werdenden Zahl von Demenzkran- Links: sich nehmen, das – aufgrund des ken oft verschrieben, obwohl sie zu Kontakt: - Strategie NOSO: Nebenwirkungsprofils und der den PIM gehören. Zudem hat die Carlo Tschudi, Sektion Qualität und https://tinyurl.com/yfj4pb4v möglichen Interaktionen mit ande- Befragung ergeben, dass die Kont- Prozesse, https://www.swissnoso.ch/ ren Arzneimitteln – potenziell inad- rolle, ob bei einer veränderten Ge- carlo.tschudi@bag.admin.ch - Modellprojekt «Sichere Chirurgie»: äquat ist. Solche sogenannt poten- samtsituation einer Bewohnerin https://tinyurl.com/yghlq5db ziell inadäquaten Medikamente oder eines Bewohners noch alle Link: - OECD-Studie 2019: (PIM) verursachen häufig Proble- verordneten Medikamente nötig Programm «progress! Sichere https://tinyurl.com/ya9erumj me, die zur Einweisung in ein Spi- sind, weder genügend regelmässig Medikation in Pflegeheimen» der tal führen können. Dabei könnten noch genügend systematisch statt- Stiftung Patientensicherheit schätzungsweise 60 Prozent dieser findet. Der Schlussbericht des https://tinyurl.com/ygpgmezu unerwünschten Ereignisse vermie- Grundlagenprojekts hält fest, dass den werden, denn sie basieren auf auch die interprofessionelle Zu- Fehlern bei der Verordnung und sammenarbeit gefördert werden bei der Therapieüberwachung. muss. Mit dem Ziel, solche Fehler in Sabine Felber, Geschäftsleiterin Zukunft zu reduzieren, hat die Stif- Pflege und Betreuung der Betag- tung Patientensicherheit im Jahr tenzentren Emmen AG, bestätigt spectra 127 | Februar 2020 | Qualität und Patientensicherheit 5
«Die Bevölkerung hat ein Recht darauf, zu erfahren, wie sicher unser System ist» Die Stiftung Patientensicherheit macht unerwünschte Rolle. Das Team sollte einen aus, wie sie sollten. In ungefähr der Ereignisse in der Medizin zum Thema, ohne jemanden an schwierigen Fall sowohl vorbe- Hälfte dieser unerwünschten Er- sprechen wie auch nachbereiten, eignisse ist etwas schiefgelaufen, den Pranger zu stellen. Das Ziel ist, das System so zu ver- um die notwendigen Konsequen- das nichts mit menschlichem Ver- ändern, dass sich solche Ereignisse nicht wiederholen, sagt zen ziehen und in kritischen Mo- sagen zu tun hat. Doch etwa ein Dieter Conen, Präsident der Stiftung. menten gut reagieren zu können. Drittel bis die Hälfte dieser Fälle sind auf einen Fehler zurückzufüh- Gibt es in allen Gesundheits- ren – also vermeidbar. Solche ver- Herr Conen, Ihre Stiftung fordert das Commitment aller Füh- einrichtungen eine Sicher- meidbaren Schäden bedeuten möchte gemäss Website eine rungsebenen. Zum zweiten Punkt heitskultur? nicht nur grosses Leid für die be- «konstruktive und konse- zählen Fragen zur angemessenen Ja, aber es gibt sie in verschiede- troffenen Patientinnen und Patien- quente Sicherheitskultur im Personalausstattung. Drittens: Sind nen Reifegraden. Die höchste Stufe ten und deren Angehörige, sondern Gesundheitswesen» erreichen. die Abläufe standardisiert, spezifi- der Patientensicherheitskultur liegt haben auch beträchtliche Mehr- Was verstehen Sie unter ziert und eingeübt? Der vierte vor, wenn alle Prozesse auf ihre Si- kosten zur Folge. Sicherheitskultur? Punkt liegt in der Messung und Er- cherheitsrelevanz und Risikohaf- Sicherheitskultur zu definieren, ist fassung von Abläufen. Ein Spital tigkeit hin geprüft – und fortlau- Die Stiftung Patientensicher- nicht ganz einfach. Wir lehnen uns muss über geeignete Instrumente fend optimiert – werden. Die heit wurde im Jahr 2003 ge- an die Überlegungen an, die Edgar verfügen, um zu wissen, was gut primitivste Form der Sicherheits- gründet. Was hat die Stiftung Schein angestellt hat, als er den Be- kultur äussert sich darin, dass schon erreicht? griff der Organisationskultur er- nichts getan wird, bevor nicht je- Wir haben die Patientensicherheit fand. Auf einen Satz vereinfacht, «Kommunikationspro- mand reklamiert oder ein uner- zu einem Thema gemacht, über lautet seine Definition: Die Kultur bleme spielen bei uner- wünschtes Ereignis aufgetreten ist. das geredet wird. Ganz wichtig ist, einer Organisation beschreibt, wie wünschten Ereignissen dass wir es verstanden haben, Aufgaben in dieser Organisation Wie oft passieren Unfälle? über kritische und mitunter auch meist eine zentrale Rolle.» erledigt werden. Auf die Sicherheit Unsere Daten sind nicht prospek- tragische Ereignisse zu sprechen, übertragen bedeutet dieser Spruch, tiv, sondern sind in der Regel erst ohne zu skandalisieren. Wir haben dass nicht nur die Massnahmen läuft und wo Fehler passieren, da- im Nachhinein erhoben worden, klarmachen können, dass es nicht und Standards zur Kultur zählen, mit es lernen und besser werden wir können deshalb Verzerrungen um schlechte Menschen geht, die sondern weit mehr. kann. Schliesslich muss fünftens nicht ausschliessen. Die Daten zei- einen Schaden bewirken. Sondern Für uns gehören fünf Aspekte eine transparente Kommunikation gen, dass zwischen 90 und 95 Pro- um Menschen, die in schlecht funk- zur Sicherheitskultur. Das ist zum nach innen und nach aussen statt- zent aller Hospitalisationen prob- tionierenden Systemen arbeiten einen Leadership: Die Entwicklung finden. Denn Kommunikationspro- lemlos ablaufen. In 5 bis 10 Prozent und deshalb manchmal leider ei- einer Sicherheitskultur liegt in der bleme spielen bei unerwünschten der Fälle kommen die medizini- Führungsverantwortung und er- Ereignissen meist eine zentrale schen Massnahmen nicht so her- «Wir haben klarmachen können, dass es nicht um schlechte Menschen geht, die einen Schaden be- wirken. Sondern um Menschen, die in schlecht funktionierenden Systemen arbeiten.» nen Schaden verursachen. Deshalb liegt nicht die Bestrafung im Vor- dergrund (ausser es handelt sich um grobe Fahrlässigkeit), sondern die Verbesserung des Systems. Dank diesem Fokus haben wir uns das Vertrauen der Öffentlichkeit, aber auch der Fachpersonen er- werben können. Das zeigt sich auch darin, dass wir gemeinsame Projekte zur Systemverbesserung durchführen. Was ist der Stiftung bisher noch nicht gelungen? Wir arbeiten für unsere Pilotpro- jekte mit einer überschaubaren Anzahl von Spitälern zusammen. Aber für die Ausbreitung in die Flä- che fehlen uns die Mittel. Wir möchten beispielsweise, dass die medizinischen Schadensfälle schweizweit erfasst werden. Das haben wir bisher aus verschiede- nen Gründen noch nicht erreicht. Die Gabe von Medikamenten kann in Spitälern zu unerwünschten Ereignissen führen, etwa wenn die Dosis falsch Deshalb kennen wir das wahre angegeben wird oder es zu einer Verwechslung kommt. Oft sind Kommunikationsprobleme dafür verantwortlich. Ausmass dieser Schäden nicht. In 6 spectra 127 | Februar 2020 | Qualität und Patientensicherheit
Dieter Conen Prof. Dr. med. Dieter Conen hat zuerst Philosophie und dann Medizin studiert. 1984 habilitierte er zur «Qualität der ärztlichen Leistung». Von 1987 bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2008 war er Leiter des der Schweiz weiss niemand, wie oniert das gut, weil Ärzte in der Re- Departements Innere Medizin am Kantonsspital häufig etwa auf der falschen Seite gel intrinsisch motiviert sind und Aarau und Professor an der medizinischen Fakultät operiert wird. Dabei müssten wir sich für ihre Patienten einsetzen der Universität Basel. Er war Mitglied des Spitalrates solche Zahlen diskutieren können, und verantwortlich fühlen. Auf der des Universitätsspitals Zürich und ist Gründungsprä- denn meiner Meinung nach hat die systemischen Ebene gibt es aber sident der Stiftung Patientensicherheit Schweiz. Bevölkerung ein Recht darauf, zu oft Widerstand vonseiten der Ärz- erfahren, wie sicher unser Gesund- teschaft. heitssystem ist. Ohne diese quanti- tative Transparenz können wir Wie erklären Sie sich das? auch keine Aussage machen, ob Im Medizinstudium steht der indi- sich im Gesundheitswesen heute viduelle Vertrag zwischen dem Arzt weniger fehlerbedingte Schadens- und dem Patienten im Vorder- fälle ereignen als vor 15 Jahren. grund, und die Freiheit in der The- rapiewahl ist eine wichtige Grösse der auf das Individuum fokussier- rungen vor allem in der Medika- Die Stiftung Patientensicher- in der Arzt-Patient-Beziehung. ten Ausbildung zu tun. Wenn die mentensicherheit – unter der heit betreibt doch ein Fehler- Doch Ärztinnen und Ärzte sind Individualisierung sehr dominant Voraussetzung, dass die eingetra- meldesystem? gleichzeitig auch der Gesellschaft ist, kontrastiert sie mit dem Team- genen Daten miteinander in Ver- Ja, aber unser Meldesystem ist im gegenüber verpflichtet, weil sie die gedanken. Ich nenne das die «toxi- bindung gebracht werden und dass Moment so aufgegleist, dass es nur Mittel zur Verfügung stellt. Die Ärz- sche» Haltung eines Kapitäns, der alle, die mit einem Patienten zu tun Ereignisse umfasst, die keinen teschaft hat auch Public-Health- meint, er sei der Einzige, der das haben, in seinem Auftrag das Dos- Schaden zur Folge haben. Wir Aufgaben, zu denen etwa die Pati- Problem lösen kann. Dabei gerät sier nachführen. grenzen uns hier klar ab, weil Feh- entensicherheit gehört. Wenn es aus dem Blick, dass auch der beste ler mit Folgeschäden Haftpflicht- Schäden gibt, die bis zum Todesfall Operateur nur gute Resultate erzie- Und was macht Ihnen Sorgen? fragen nach sich ziehen. Wir wol- reichen, muss ich einerseits wissen, len kann, wenn auch alle anderen Die Stiftung Patientensicherheit len nicht, dass die freiwilligen wie oft treten diese Schäden auf? – von der Putzequipe bis zur hoch beschäftigt 19 Personen, die sich Berichte zum Nachteil der Melden- Und andererseits, was kann ich etwa 12 Vollzeitstellen teilen. Unge- den verwendet werden. Doch vor präventiv tun, um diese Schäden zu fähr zwei Drittel der Kosten decken einigen Jahren hat ein Fall im Kan- vermeiden oder wenigstens ihre «Oft merken wir, dass die wir mit Projekten, die wir meist ton Tessin gezeigt, dass genau das Auswirkungen zu minimieren? Leute froh sind, wenn wir beim BAG eingeben und finanziert passieren kann. Es gibt – im Ge- die Probleme aufgreifen bekommen. Der Rest stammt von gensatz etwa zu Deutschland – kei- Welche Rolle spielen psycholo- einem Beitrag in der Höhe von un- und thematisieren, denn ne Schutzregelungen für die Mel- gische Aspekte, etwa dass es gefähr 9 Rappen pro Einwohner, dungen, jeder Staatsanwalt kann vielen Personen schwerfällt, dann müssen sie sie nicht den uns die Kantone entsprechend auf sie zugreifen, wenn er das ver- sich zu entschuldigen? mehr totschweigen.» ihrer Bevölkerungsgrösse entrich- langt. Das macht die Sache natürlich ten. Doch wenn im Jahr 2021 die komplizierter. In der Medizin ist es neuen Bestimmungen zur Stär- Was ist denn der Zweck des ja häufig so, dass dem Patienten spezialisierten Anästhesie und kung von Qualität und Wirtschaft- Fehlermeldesystems? gesagt wird: «Es kommt gut, das Krankenpflege – ihre Aufgaben lichkeit im überarbeiteten Kran- Unser System heisst CIRRNET habe ich schon oft gemacht.» Aber wahrnehmen. Heute sind Team- kenversicherungsgesetz in Kraft (Critical Incident Reporting and ein solches Perfektionsversprechen player gefragt, die die Meinung der treten, droht diese Basisfinanzie- Reacting Network), weil es die Mel- kann niemand in Aussicht stellen. anderen Teammitglieder abholen rung wegzufallen. Wir riskieren, dungen aus lokalen Fehlermelde- Wenn dem Patienten dann etwas und einbeziehen. dass uns dann die Planungssicher- systemen vernetzt und zusammen- Unvorhergesehenes zustösst, muss heit und die Kontinuität abhanden- führt. So werden Problemfelder er annehmen, es sei ein Fehler pas- Sie setzen sich schon seit kommen. In den etwas mehr als 15 sichtbar, die überregional relevant siert. Bedauern über das Vorgefal- mehr als dreissig Jahren mit Jahren hat die Stiftung gute Arbeit sind. Wir entwickeln dann in Zu- lene zu zeigen, scheitert dann nicht der Qualität von ärztlichen geleistet und sich auch einen ent- sammenarbeit mit verschiedenen selten daran, dass viele darin im- Leistungen auseinander. Wie sprechenden Ruf erworben. Darauf Fachexpertinnen und -experten mer noch ein Schuldeingeständnis reagieren Ihre Kolleginnen sind wir stolz. Doch nun ist das, Empfehlungen und machen sie mit sehen. und Kollegen: Gelten Sie als was wir aufgebaut haben, in Ge- sogenannten «Quick Alerts» allen Wer jedoch von Anfang an dar- Pionier oder als Nestbe- fahr. interessierten Gesundheitsinstitu- auf hinweist, dass der Eingriff mit schmutzer? tionen zugänglich. einem Risiko verbunden ist, kann Ich denke nicht, dass man mich als dann ohne diesen Widerspruch Nestbeschmutzer betrachtet. Denn Sie haben sich mal als «Medi- kommunizieren: «Was passiert ist, wenn wir den Finger auf die Wun- zinbürger» bezeichnet, der war nicht auszuschliessen. Es tut de legen, machen wir das mit dem «seinen Verpflichtungen den mir leid, dass es Ihnen zugestossen nötigen Anstand und im Wissen, Patienten gegenüber gerne ist.» Das ist dann auch die Grund- dass hinter den allermeisten Feh- nachkommt». Was sind das für lage, um gemeinsam anzuschauen, lern keine böse Absicht steckt. Oft Verpflichtungen? wieso es zum Schaden gekommen merken wir, dass die Leute froh Ein Bürger sollte keine Lügen ver- ist – anstatt den Eindruck zu erwe- sind, wenn wir die Probleme auf- breiten, sondern offen und trans- cken, dass nichts passiert ist. greifen und thematisieren, denn parent sein und sich für seine Um- dann müssen sie sie nicht mehr gebung und die Aufrechterhaltung Wie wichtig ist die Teamarbeit totschweigen. des Gemeinwesens verantwortlich für die Patientensicherheit? fühlen. Das Gleiche gilt eigentlich Sie ist essenziell. Viele Ärzte lang- Zum Schluss ein Blick in die auch für den Mediziner. Er sollte weilen sich bei Teamtrainings, Zukunft: Was erhoffen Sie sich sich nicht hinter einem Standes- aber können sich etwa für neue mi- für die Patientensicherheit? dünkel verbergen, sondern versu- krochirurgische Werkzeuge begeis- Wir brauchen mehr Transparenz. chen, das Mögliche für seine Pati- tern, obwohl die Trainings für die Das geht nur, wenn wir auch im IT- entinnen und Patienten zu tun, und Patientensicherheit mindestens so Bereich investieren. Ich verspreche gewissermassen ihr Anwalt sein. wichtig, wenn nicht gar viel wichti- mir etwa vom elektronischen Pati- Auf der individuellen Ebene funkti- ger sind. Das hat auch wieder mit entendossier wichtige Verbesse- spectra 127 | Februar 2020 | Qualität und Patientensicherheit 7
Was Spitäler tun, um Übertragungen von Keimen zu verhindern Mit zahlreichen Projekten und Initiativen beteiligen sich viele hiesige Spitäler an den Bemühungen, die Übertragungen von krankmachenden Keimen zu verhindern – und so die Anzahl Infektionen im Gesundheitswesen zu reduzieren und den Vormarsch multiresistenter Bakterien einzudämmen. Dass sich das Spitalpersonal im- Jahren 2005 und 2006. Damals ist mer die Hände desinfiziert, bevor die Einhaltung der Richtlinien von und nachdem es einen Patienten 54 % auf 68 % gestiegen. Seither oder eine Patientin berührt, ist hat sich diese Entwicklung fortge- wichtig, weil der Hauptübertra- setzt, wie die mit «CleanHands» gungsweg von Keimen über die erfassten Daten zeigen: Am besten Hände des Spitalpersonals verläuft. werden die fünf Momente für die Die Spitalmitarbeitenden erwerben Händehygiene in der Geriatrie be- (meist ohne es zu merken) wäh- folgt (87 %). In den Akutspitälern rend der Behandlung und Pflege werden die Richtlinien in 76 % der vorübergehend Bakterien, die von beobachteten Fälle eingehalten, Patientinnen oder Patienten, aber vom Pflegefachpersonal besser als auch von kontaminiertem Material von der Ärzteschaft. oder aus der Umgebung stammen Das grosse Engagement für die können. Wie ein Forschungsteam Infektionsprävention zeigt sich un- um den Infektionsexperten Didier ter anderem auch in den Schu- Pittet von den Universitätsspitälern lungsunterlagen, die viele Spitäler in Genf (siehe «5 Fragen an», Seite entwickeln, um ihre Mitarbeitenden 12) nachgewiesen hat, lassen sich auf eine korrekte Durchführung der die Übertragungen um die Hälfte Händedesinfektion einzuschwören. verringern, wenn die Bakterien So hat das Universitätsspital Zürich konsequent mit einem alkoholi- etwa einen fünfminütigen Film rea- schen Händedesinfektionsmittel lisiert, in dem der Krankenhausauf- abgetötet werden. enthalt – mit einer Prise Humor – Das Team um Pittet hat fünf mit einem Interkontinentalflug entscheidende Momente für die verglichen wird und eine Flugbe- Händehygiene ausgemacht, bei- gleiterin den Mitarbeitenden des spielsweise jedes Mal bevor und Spitals augenzwinkernd die nötigen nachdem eine invasive Handlung Massnahmen zur Händehygiene er- durchgeführt wird oder ein Kon- klärt. takt mit Körperflüssigkeiten (wie etwa Blut oder Speichel) stattge- Ausgezeichnetes Programm funden hat. Um überprüfen zu kön- am Kantonsspital Neuenburg nen, wie gut die Richtlinien mit den Das Kantonsspital Neuenburg be- fünf Momenten der Händehygiene treibt ein Programm namens befolgt werden, hat die Spitalhygi- «HygièNE des mains», das gar mit ene des Kantonsspitals St. Gallen dem «European Hand Hygiene In- ein Messinstrument namens novation Award 2017» ausgezeich- «CleanHands» entwickelt, welches net wurde. Es umfasst neben regel- das nationale Zentrum für Infekti- mässigen Schulungen und einem onsprävention Swissnoso allen Spi- persönlichen Händehygiene-Kit für tälern in der Schweiz zur Verfü- das Personal auch regelmässige In- gung stellt. Aktuell verwenden über spektionen, während denen ein 100 Gesundheitsinstitutionen die Mitglied der Spitalhygiene das Per- «CleanHands»-App: Damit können sonal auf die Patientenvisite beglei- Die Kampagne der Weltgesundheitsorganisation WHO «Save Lives: Clean Your Hands» die Hygienefachpersonen des Spi- tet und die Massnahmen zur Hän- setzt einen weltweiten Standard betreffend Händehygiene. tals das Personal mit Patientenkon- dehygiene analysiert. Mit dem takt beobachten und erfassen, 2012 lancierten Programm wollte wann es sich die Hände desinfi- das Spital ursprünglich erreichen, günstiges Umfeld für eine gute Weitere Informationen: ziert. dass alle Mitarbeitenden mit Pati- Händedesinfektion: Hände ohne Die fünf Momente der Händehygiene entenkontakt in mindestens 80 % Fingerringe. (Poster der WHO) Direktes Feedback ist ent- der angezeigten Fälle ihre Hände https://tinyurl.com/yhfy4nvz scheidend für den Lerneffekt desinfizieren. Kontakt: Das Instrument wertet die Einga- «Dieses Ziel haben wir erreicht Margaux Bovet, Sektion Infektions- «Clean Hands» von Swissnoso ben automatisiert aus und gibt den und sogar übertroffen: Mit einer kontrolle und Impfprogramme, https://tinyurl.com/yhkddvb4 beobachteten Personen eine un- Übereinstimmungsrate von 86,2 % margaux.bovet@bag.admin.ch mittelbare Rückmeldung. Dieses liegen wir 8 % über den 90 anderen Film zur Infektionsprävention am direkte Feedback ist entscheidend Institutionen, die am ‹CleanHands›- Universitätsspital Zürich für den Lerneffekt. Denn wenn die Modul von Swissnoso teilnehmen», https://tinyurl.com/ye93x3sk Rückmeldung erst mehrere Monate hält das Spital stolz auf seiner Web- später erfolgt, kann das Personal site fest. Und fährt gleich mit dem Programm «HygièNE des mains» keinen unmittelbaren Bezug zu Ausblick fort, dass der Fokus nun des Kantonsspitals Neuenburg den Handlungen im Alltag herstel- von quantitativen auch auf qualita- https://tinyurl.com/yk67wb6r len, schreibt Swissnoso in einer tive Aspekte ausgeweitet werden Rückschau auf die erste nationale soll: Das Projekt «zéro bijou» ist Händehygiene-Kampagne in den schon aufgegleist, es wirbt für ein 8 spectra 127 | Februar 2020 | Qualität und Patientensicherheit
Qualitätsbericht des BAG: mehr Daten, mehr Transparenz Der nationale Qualitätsbericht des BAG zeigt auf, dass die Qualität der medizinischen Versorgung in der Schweiz ver- bessert werden muss. Die Hälfte der rund zehn Prozent der unerwünschten medizinischen Zwischenfälle während eines Spitalaufenthalts wäre vermeidbar. Aber vor allem fehlen die Daten, um die Qualität in der Versorgung zu messen. Die Verbesserung der Qualität des Personen mitgetragen. So ist der chen Informationen vorliegt, die Gesundheitswesens und die Förde- Qualitätsbericht das Ergebnis der für die Überprüfung der Behand- rung der Patientensicherheit gehö- Zusammenarbeit namhafter Ex- lungsstandards und die Wirkung ren zu den wichtigsten Zielen der perten und Organisationen in der der getroffenen Gesundheitsmass- gesundheitspolitischen Agenda Schweiz. Er wurde im Auftrag des nahmen dringend erforderlich Gesundheit2020 des Bundesrats. Bundesamtes für Gesundheit er- sind. Dadurch sind die nötigen Basis für die Verbesserung sowie stellt und stützt sich auf 26 Kurzbe- Fortschritte zur Erhöhung der Ge- die Weiterentwicklung ist die Qua- richte, welche die wichtigsten sundheitsversorgung und für die litätsmessung und -verbesserung. Schweizer Akteure aus dem Be- Förderung der Patientensicherheit Der im November 2019 veröffent- reich Versorgungsqualität erarbei- behindert. Transparenz über die lichte nationale Bericht zur Quali- tet haben. Somit konnte auf ein Qualität ist gefragt. Dazu müssen tät und Patientensicherheit im breites Spektrum an Fachwissen Qualitäts- und Sicherheitsindikato- schweizerischen Gesundheitswe- und Erfahrung zurückgegriffen ren entwickelt werden, die für die sen liefert erstmals eine schweiz- werden. ganze Schweiz gelten. weite Datengrundlage. Die seit dem Jahr 2000 zusammengetrage- Qualitätsindikatoren sind Ansatz mit Modellcharakter nen Daten zur Beurteilung von Mangelware Ein hervorragendes Beispiel für ei- Qualität und Patientensicherheit Der Bericht zeigt, dass im komple- ne rigorose, systematische Daten- zeigen auf, wo der Handlungsbe- xen, dezentral organisierten erhebung von relevanten Qualitäts- Der Qualitätsbericht liefert erst- darf am grössten ist. Der Qualitäts- Schweizer Gesundheitssystem die und Sicherheitsindikatoren und mals schweizweite Daten. bericht liefert auch gleich konkrete Bereitstellung von Informationen ein beeindruckendes Engagement Empfehlungen für Verbesserungen zur Verbesserung der Qualität der für Transparenz und öffentliche mierung von medikamentösen im schweizerischen Gesundheits- medizinischen Versorgung drin- Berichterstattung ist die Erhebung Behandlungen fördert und unnöti- wesen. Dank des kooperativen An- gend notwendig ist. Der Bericht von Swissnoso zu postoperativen ge medizinische Tests, Behandlun- satzes werden die Empfehlungen kommt zum Schluss, dass ein Man- Wundinfektionen. Sie ist Teil der gen und Verfahren verhindern soll. des Berichtes von den beteiligten gel an verwertbaren und zugängli- Indikatoren des Nationalen Vereins für Qualitätsentwicklung in Spitä- Konkrete Empfehlungen lern und Kliniken (ANQ). Der An- Der Katalog von Empfehlungen des satz kann als Modell für die Ent- Berichts richtet sich aber an alle wicklung und Veröffentlichung Akteure des schweizerischen Ge- einer umfassenden Palette aussa- sundheitssystems. Im gesamten gekräftiger Qualitäts- und Sicher- Gesundheitssektor ist ein Umden- heitsindikatoren im schweizeri- ken gefragt. Es braucht eine Kultur, schen Gesundheitssystem dienen. in der Fehler offen angesprochen, transparent gemeldet und syste- Handlungsbedarf in der matisch erfasst werden. Dazu be- Medikation darf es der Erarbeitung weiterer Beispielsweise zeigt der umfassen- nationaler Qualitätsprogramme. de Überblick über die verfügbaren Voraussetzung für den Erfolg aller Informationen zum Umgang mit Massnahmen sind eine gute Basis- Heilmitteln und Medikationssi- infrastruktur, angemessene Res- cherheit der Stiftung Patientensi- sourcen sowie eine effiziente Füh- cherheit Schweiz, dass gerade in rung. Gefordert wird auch eine der Medikation grosser Hand- verstärkte Ausbildung des Gesund- lungsbedarf besteht. Bisher gibt es heitspersonals. So war die Schweiz kein nationales Programm zur Me- beispielsweise Pionierin in der Ent- dikationssicherheit und die Vor- wicklung von Schulungen zur schriften sind in den einzelnen Teamarbeit in der Chirurgie. Eine Kantonen unterschiedlich. So wird Implementierung im grösseren die Einführung eines systemati- Rahmen ist gewünscht. Darüber schen Medikationsabgleichs bei hinaus sind Patientinnen und Pati- Die bisherigen Qualitätsindikatoren Spitaleintritt derzeit nur in einem enten für die Risiken eines medizi- Schweizer Spital durchgeführt. Ge- nischen Eingriffs besser zu sensibi- Hierzulande gibt es nur wenige gesamtschweizerische Indikatoren. Diese konzentrieren plante Massnahmen zur Verbesse- lisieren. Sie und auch die sich hauptsächlich auf die Spitäler und die Akutsomatik. Das vom BAG gewählte Kon- rung der Sicherheit der Medikation betreuenden Angehörigen sind zept der Qualitätsindikatoren beinhaltet Angaben zu den Behandlungen in den Schwei- sind computergestützte Verschrei- grundsätzlich stärker einzubezie- zer Spitälern. Ausgewiesen werden Fallzahlen (z. B. Anzahl stationäre Behandlungen bungssysteme und standardisierte hen. wegen Lungenkrebs), Anteilswerte (z. B. Kaiserschnittrate in Bezug auf alle stationären Medikationsabläufe. Als Beispiel Geburten), die Mortalität bei bestimmten Krankheitsbildern und Eingriffen (z. B. Mortali- dazu hat Swissmedic eine Arbeits- Kontakt: tät aller Herzinfarktpatienten über 19 Jahre) sowie ausgewählte Aufenthaltsdauer (z. B. gruppe mit Patienten- und Konsu- Carlo Tschudi, Sektion Qualität und Durchschnitt in Tagen bei Patienten mit entfernten Gaumenmandeln, ohne Tumorfälle). mentenorganisationen als Platt- Prozesse, Die Qualitätsindikatoren liefern Hinweise auf die Qualität in den einzelnen Spitälern. form für den Informationsaustausch carlo.tschudi@bag.admin.ch Vergleiche erfordern die nötige Sorgfalt, damit vermieden wird, dass Spitäler mit un- eingerichtet. In einigen Regionen gleichem Versorgungsauftrag verglichen werden. Ein direktes Spitalranking lässt sich in der Schweiz wurde zudem die Link: folglich nicht erstellen. sogenannte «Smarter Medicine»- Qualitätsbericht (PDF) Kampagne lanciert, die Massnah- https://tinyurl.com/ua4zcfl men und Interventionen zur Opti- spectra 127 | Februar 2020 | Qualität und Patientensicherheit 9
Wundinfektionen verringern Seit die Wundinfektionen in der Schweiz zentral erfasst werden und die Spitäler sich untereinander vergleichen können, nimmt die Infektrate ab. Mit dem Ziel, noch mehr Infektionen zu verhindern, stellt Swissnoso den Spitälern ein Inter- ventionsmodul zur Verfügung: Nun können medizinische Fachpersonen mit einer App überprüfen, ob sie die Massnahmen zur Infektionsprävention korrekt durchführen. Verletzungen der Haut stellen ide- Während der Pilotphase in neun ale Eintrittspforten für Erreger dar. Spitälern hat Swissnoso die Spital- Deshalb machen Wundinfektionen mitarbeitenden in der Anwendung nach chirurgischen Eingriffen (im dieser drei Massnahmen geschult, Englischen surgical site infections, die Verantwortlichkeiten im Opera- SSI) mehr als einen Viertel der Spi- tionssaal geklärt und so die Orga- talinfektionen aus. Die Komplikati- nisationsstruktur optimiert. Mit ei- onen führen nicht nur zu höheren ner auf dem Smartphone oder Kosten, sondern auch dazu, dass Tablet bedienbaren App namens Patientinnen und Patienten länger «Clean Care Monitor» hat das im Spital bleiben müssen – oder in Fachpersonal die Einhaltung der den schlimmsten Fällen sogar ster- Massnahmen dokumentiert. Die ben. Als wichtiges Instrument der App gibt nicht nur direkte und zeit- Qualitätsmessung erfasst das nati- nahe Rückmeldungen, sondern er- onale Zentrum für Infektionsprä- laubt auch eine kontinuierliche vention Swissnoso im Auftrag des Überwachung und den Vergleich Nationalen Vereins für Qualitäts- mit anderen Spitälern. Nach drei entwicklung in Spitälern und Klini- Jahren führte das Pilotprojekt da- ken (ANQ) seit 2009 schweizweit zu, dass die korrekte Umsetzung die Infektraten bei zwölf definier- der Massnahmen von 55 % auf ten Eingriffen, beispielsweise beim 84 % gestiegen ist. Einsetzen von Hüft- und Kniege- lenksprothesen, bei Operationen Infektionsrate um am Darm oder bei Kaiserschnittge- 10 Prozent senken burten. Aufgrund der ermutigenden Resultate des Pilotprojekts ist das Leistungsvergleich fördert Programm im Jahr 2019 auf die den Wettbewerb ganze Schweiz ausgeweitet wor- Die jährliche zentrale Auswer- den, es steht nun allen hiesigen tung der Daten erlaubt den Spitä- Spitälern zur Verfügung. Swissnoso lern, ihre eigenen Infektraten zu hat noch viel vor: Das Ziel ist, die überprüfen und mit den anderen Wundinfektionsrate innert zwei Institutionen zu vergleichen. Dieser Jahren um mindestens 10 % zu Leistungsvergleich setzt einen Qua- senken. Das bedingt, dass 90 % al- litätswettbewerb in Gang: Die Sor- ler Operationen in der Schweiz erst ge um die Sicherheit ihrer Patien- dann beginnen, nachdem alle tinnen und Patienten und um ihren Massnahmen zur Infektionsprä- guten Ruf motiviert viele Spitäler, vention gewissenhaft und vorbild- zusätzliche Anstrengungen zur lich ausgeführt worden sind. Verhütung von SSI zu unterneh- men, wie eine Studie kürzlich ge- Kontakt: zeigt hat. Tatsächlich sind die Margaux Bovet, Sektion Infektions- durchschnittlichen Infektionsraten kontrolle und Impfprogramme, gemäss dem neuesten nationalen margaux.bovet@bag.admin.ch Vergleichsbericht bei den meisten Eingriffen (von Blinddarm-Entfer- Links: nungen über Herzoperationen bis - Erklärvideo des BAG zur Vorberei- zum Einsetzen von Hüftgelenks- tung einer Operation prothesen) im Vergleich zu 2009 https://tinyurl.com/yehof7am statistisch signifikant verringert. - Nationaler Vergleichsbericht des Programms zur Überwachung Drei elementare Massnahmen postoperativer Wundinfektionen Um die Infektionsraten noch weiter https://tinyurl.com/yfs7uwhc zu reduzieren, hat Swissnoso im - Modul von Swissnoso Rahmen der Strategie NOSO mit https://tinyurl.com/un636ll Unterstützung des BAG im Jahr 2015 ein zusätzliches Modul ge- startet. Das Ziel: Dafür zu sorgen, dass das medizinische Personal bei der Vorbereitung einer Operation drei elementare Massnahmen kor- rekt durchführt, die anerkannter- massen das Risiko einer Infektion verringern: – Entfernung der Haare an der Operationsstelle – Desinfektion der Haut – Prophylaktische Gabe von Anti- Quelle: Erklärvideo des BAG in Zusammenarbeit mit Swissnoso biotika 10 spectra 127 | Februar 2020 | Qualität und Patientensicherheit
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