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Gesundheitsförderung und Prävention | Oktober 2021 News, Newsletter und Podcast | www.spectra-online.ch spectra 131 Interprofessionalität und koordinierte Versorgung 2 Interprofessionalität als Puzzlestein gegen den Fachkräftemangel Um die interprofessionelle Bildung und Zusammenarbeit zu stärken, führte das Bundesamt für Gesundheit (BAG) von 2017 bis 2020 ein Förderprogramm durch. Welche Erkenntnisse und Empfehlungen sich aus vier Jahren Forschung und praktischer Umsetzung ergeben und wie die weitere Entwicklung aussieht, das wird in dieser spectra-Ausgabe beleuchtet. 10 Wenn Apotheke und Hausarztpraxis eine Symbiose bilden In Chur haben in den letzten Jahren zahlreiche Hausarztpraxen geschlossen. Dem drohenden Engpass in der Grundversorgung begegnet Medi Porta mit einem interprofessionellen Geschäftsmo- dell: Die Verzahnung von Apotheke und Arztpraxis ermöglicht eine sinnvolle Verteilung der Aufgaben – und ein breites, dienstleistungsorientiertes Angebot für die Bevölkerung. 11 «Wir haben keine starr getrennten Aufgabengebiete» 5 Fragen an Thomas Ihde, Chefarzt Psychiatrie der Berner Oberländer Spitäler fmi AG. In der psy- chiatrischen Abteilung in Interlaken arbeiten verschiedene Berufsgruppen schon seit über 10 Jahren eng zusammen. Dabei orientiert sich die Verteilung der Aufgaben an den individuellen Bedürfnissen der Patientinnen und Patienten. Ausgabe online lesen
Interprofessionalität als Puzzlestein gegen den Fachkräftemangel Um die interprofessionelle Bildung und Zusammenarbeit zu stärken, führte das BAG von 2017 bis 2020 ein Förderpro- gramm durch. Welche Erkenntnisse und Empfehlungen sich aus vier Jahren Forschung und praktischer Umsetzung ergeben und wie die weitere Entwicklung aussieht, das wird in dieser spectra-Ausgabe beleuchtet. «Interprofessionelle Bildung ist ein besser genutzt werden. Die inter- Werkzeug. Sie ist ein Werkzeug, professionelle Zusammenarbeit um Verbindungen zwischen dem (IPZ) leistet zu beiden dieser As- Bildungssystem und dem Gesund- pekte einen wichtigen Beitrag. Stu- heitsversorgungssystem zu schaf- dien deuten darauf hin, dass IPZ fen. Sie ist ein Werkzeug, um eine die Versorgungsqualität direkt be- bessere Patientenversorgung zu einflusst, indem sie sich an den Be- erreichen. Sie ist ein Werkzeug für dürfnissen der Patientinnen und die Verbesserung der Gesundheit Patienten orientiert und die Koor- der Bevölkerung.» dination zwischen den verschiede- George E. Thibault, Institute for nen Fachpersonen optimiert. Sie Medicine of the National Academies wirkt sich durch eine erhöhte Ar- (USA) beitszufriedenheit der Fachperso- nen auch indirekt auf die Versor- Die Ursprünge des Förderpro- gungsqualität aus, da interpro- gramms «Interprofessionalität im fessionelle Teams stärker auf Au- Fachkräfte müssen frühzeitig lernen, eine gemeinsame Sprache zu sprechen. Gesundheitswesen 2017–2020» genhöhe miteinander arbeiten an- (Hinweis: Dieses Bild wurde vor der Pandemie aufgenommen.) liegen in der Fachkräfteinitiative. statt in starren Hierarchien zu Denn die Frage damals (wie heute) agieren. Dadurch verbleiben Fach- Förderprogramm bewilligt auch auf die Praxis (z.B. Modelle lautete: Wie können wir unser Ge- kräfte länger im Beruf, was sich Damit das Schweizer Gesundheits- guter Praxis sammeln) und brachte sundheitssystem im Hinblick auf positiv auf die Kontinuität der Ver- wesen von IPZ profitieren kann, vielfältige Ergebnisse hervor (siehe den drohenden Fachkräftemangel sorgung und somit auf die Qualität hat der Bundesrat ein Budget von Box). Im Bereich Forschung wur- auch in Zukunft noch bedarfsge- der Leistungen auswirkt. IPZ trägt drei Millionen Franken für ein ent- den insgesamt 18 Projekte finan- recht aufrechterhalten? Die Ant- aber auch zur Effizienzsteigerung sprechendes Förderprogramm be- ziert, die relativ breit das Thema wort: Es braucht einerseits eine des Gesundheitssystems bei, denn willigt, welches von 2017 bis 2020 Interprofessionalität untersuchten, noch stärker auf die Patientinnen wenn Fachpersonen koordiniert umgesetzt wurde. Das Programm darunter eine Kosten-Nutzen-Ana- und Patienten ausgerichtete Ver- und als Einheit agieren, können fokussierte nicht nur auf die For- lyse interprofessioneller Zusam- sorgung. Andererseits muss das beispielsweise Doppelspurigkeiten schung (z.B. wissenschaftliche menarbeit oder eine Studie zum Potenzial zur Effizienzsteigerung besser vermieden werden. Grundlagen verbessern), sondern Potenzial interprofessioneller Bil- Highlights des Förderprogramms 2017–2020 Die Ergebnisse des Förderpro- der Schweiz tätigen Akteure zu fördern. nalen Leistungserbringer bzw. Bil- Vier Policy Briefs gramms bieten Bund, Kanto- Das Verzeichnis bleibt auch nach Ende dungsanbieter im Gesundheitswesen. Die wichtigsten Erkenntnisse, die im des Förderprogramms bestehen und Im Rahmen der Forschungsprojekte Rahmen des Förderprogramms ge- nen, Gemeinden, Berufs- und ermöglicht Interessierten, Modelle wurden zudem Broschüren zur frühzei- wonnen wurden, wurden in vier Policy Bildungsorganisationen sowie nach verschiedenen Kriterien wie tigen Intervention bei Kindern und Briefs bereichsspezifisch zusammen- Leistungserbringern Instru- Kanton, Interventionsbereich, Beruf, Jugendlichen zur Förderung der psy- getragen. Ziel dieser Dokumente ist, Setting etc. gezielt zu suchen. Interes- chischen Gesundheit sowie ein Leitfa- den politischen Entscheidungsträgern, mente, um die Interprofessio- sierte können Modelle, Initiativen oder den für Gesundheitsfachpersonen im Berufsorganisationen, Bildungsverant- nalität im Gesundheitswesen Aktivitäten im Bereich der Interprofes- Bereich widersprüchliche Einschät- wortlichen sowie Leistungserbringern weiter zu stärken. sionalität einfach und schnell selbst- zungen publiziert. eine kurze und knappe Übersicht über ständig eintragen. Der Eintrag kann bestehende Herausforderungen und Forschungsprojekte auf Deutsch, Französisch oder Englisch Tool zur Erfassung mögliche Lösungsansätze zu geben. Insgesamt wurden 18 Forschungspro- erfolgen. Das BAG übernimmt die der Interprofessionalität jekte finanziert, 3 aus dem Bereich Übersetzung in die anderen Sprachen. Wie interprofessionell ist unsere Institu- Veranstaltungen Bildung, 15 aus dem Bereich Berufs- tion unterwegs? Mit dem «Schweize- Zwei grosse Veranstaltungen wurden ausübung. Die dadurch erarbeiteten Publikationen rischen Interprofessionalitäts-Evalua- durchgeführt: 2018 organisierten das Erkenntnisse zu interprofessioneller Im Rahmen des Förderprogramms tionsinstrument» (kurz: SIPEI) kann in BAG, die Schweizerische Akademie der Bildung und Zusammenarbeit dienen publizierte das BAG zwei Broschüren, einer Institution der Ist-Zustand erörtert Medizinischen Wissenschaften (SAMW) als Basis für die Erarbeitung praxisrele- die anhand erfolgreicher Beispiele werden. Das Tool umfasst Fragebögen und die Plattform Interprofessionalität vanter Massnahmen. zeigen, wie gelebte Interprofessionali- für die Stufen Mitarbeitende, Vorgesetz- die gemeinsame Tagung «Interprofessi- tät aussehen kann, wo die Herausfor- te sowie Patientinnen und Patienten und onalität im Gesundheitswesen: Better Onlineverzeichnis derungen liegen und welche Chancen kann sowohl zur Selbstevaluation als Chronic Care» im Berner Kursaal. Im Modelle guter Praxis sich bieten. Die beiden Broschüren auch zur Fremdevaluation angewendet November 2021 fand die Schlusstagung Das Verzeichnis enthält Steckbriefe von (erhältlich auf Deutsch, Französisch und werden (erhältlich auf Deutsch, Franzö- des Förderprogramms «Interprofessio- Modellen guter Praxis mit dem Ziel, Italienisch) richten sich in erster Linie sisch und Italienisch). Kontaktperson: nalität im Gesundheitswesen» statt. die Sichtbarkeit und Vernetzung der in an die lokalen, regionalen und kanto- soeren.huwendiek@iml.unibe.ch. 2 spectra 131 | Oktober 2021 | Interprofessionalität und koordinierte Versorgung
ten Akteure steigern. Das BAG rief ger Erfolgsfaktor ist hier die Aus-, Aus erster Hand zu Beginn des Programms interes- Weiter- und Fortbildung. Fachleute sierte Fachpersonen auf, Modelle im Gesundheitswesen müssen zu präsentieren, die exemplarisch frühzeitig lernen, mit anderen Be- zeigen, wie interprofessionelle Bil- rufsgruppen zu interagieren. Sie dung (Interprofessional education, müssen lernen, eine gemeinsame IPE) sowie IPZ im medizinischen Bernadette Alltag erfolgreich gelebt werden. Häfliger Berger Aufgrund des grossen Interesses «In einem Spital, in einer Leiterin wurde ein Verzeichnis auf der Praxis, in einem Alters- Abteilung BAG-Webseite erstellt, in dem die und Pflegeheim müssen Gesundheits- Modelle, Aktivitäten und Tools berufe die IPE und die IPZ von steckbriefartig vorgestellt werden. der Führung gelebt und Die Patienten- Mittlerweile umfasst das Verzeich- nis fast 80 Einträge, von A wie gefördert werden. Nur so sicht ins Zentrum «Aufsuchende Familienarbeit und kann Interprofessionalität -therapie» bis Z wie «Zugehende im Berufsalltag gelingen.» stellen Beratung bei Demenz». Das Ver- zeichnis wird über das Ende des Forschungsprogramms hinaus Sprache zu sprechen, eine gemein- weitergeführt und soll damit auch same Haltung zu entwickeln und Der zentrale Fokus der interprofessionellen in Zukunft allen an der Interprofes- die Problematik der Schnittstellen Zusammenarbeit (IPZ) ist die Sichtweise sionalität interessierten Akteuren zu erkennen. «Entsprechend sollen der Patientinnen und Patienten. Welche ein Ideenlieferant sein. Einige die- alle Gesundheitsfachpersonen be- Bedürfnisse haben sie? Was für ein Be- ser Modelle wurden in zwei Publi- reits in der Ausbildung in dieser handlungsziel verfolgen sie im Einzelfall? kationen ausführlich porträtiert. Thematik geschult werden», so La- Inwiefern wollen und können sie in die Sie zeigen, wie die Zusammenar- ra De Simone-Nalotto, wissen- Entscheidungsfindung einbezogen wer- beit der verschiedenen Fachperso- schaftliche Projektassistentin beim den? Um die Menschen optimal und ganz- nen (und darüber hinaus) gelingen BAG. Hier hat sich in den vergan- heitlich versorgen zu können, braucht es kann oder wie die IPE gelebt wird. genen Jahren einiges zum Guten ein Umdenken. Zentrale Fragen dabei sind: verändert. Aber bis die Verände- Was braucht der Mensch in diesem Mo- Vier Policy Briefs rung in der Praxis einen Effekt ment und was können die verschiedenen Ein weiteres wichtiges Produkt des zeigt, braucht es Jahre, vielleicht Gesundheitsfachpersonen mit ihren spezi- Programms waren die vier Policy Jahrzehnte. Im Kontext des lebens- fischen Fähigkeiten dazu beitragen? dung. Trotz vieler spannender Er- Briefs für die Bereiche ambulante langen Lernens sollte die IPE einen kenntnisse sind eindeutige Antwor- bzw. stationäre Versorgung, psy- festen Bestandteil der Weiter- bzw. Im Rahmen der IPZ geht es meiner Mei- ten teilweise schwierig, da das chisch-somatische Nahtstelle sowie der Fortbildung werden, damit kol- nung nach darum, gemeinsam einen Be- Wohlergehen eines Patienten oder Bildung. Jeder Policy Brief hält je- lektive Kompetenzen kontinuier- handlungsweg und ein Behandlungsziel die erfolgreiche Teamarbeit in ei- weils kurz und knapp fest, welche lich weiterentwickelt werden (z.B. festzulegen und danach zu analysieren, nem Spital sowohl von der guten wichtigsten Erkenntnisse aus vier im Rahmen von Inhouse-Weiterbil- welche Fachperson welchen Aspekt opti- IPZ als auch von vielen weiteren Jahren Forschung gewonnen und dungen). mal abdecken kann. Dabei dürfen nicht Faktoren abhängt. Insofern gibt es welche Empfehlungen daraus ab- Eine wichtige Rolle nimmt auch berufsständische Überlegungen im Vorder- zum Beispiel keine abschliessende geleitet werden können. «Wichtig die Führung ein, da Fortschritte grund stehen. Vielmehr sollen die Kennt- Antwort auf die Frage, ob IPZ ins- war für uns, dass diese Empfehlun- nur möglich sind, wenn sie gewillt nisse und Fähigkeiten der involvierten gesamt kostengünstiger ist, aller- gen gemeinsam mit Stakeholdern ist, die Interprofessionalität voran- Fachpersonen den Ausschlag dafür geben, dings scheinen die Kosten zumin- erarbeitet werden und nun als Leit- zutreiben. In einem Spital, in einer wer welche Entscheidungen trifft und wer dest im stationären Setting kein planke respektive Grundlage für Arztpraxis, in einem Alters- und welche Arbeiten erledigt. Nicht in Professi- Hindernisfaktor zu sein. Wohl aber die weiteren Schritte dienen», so Pflegeheim müssen die IPE und die onen denken, sondern vom Patienten aus. zeigen die Ergebnisse, dass in in- Cinzia Zeltner, wissenschaftliche IPZ von der Führung gelebt und ge- Gerade bei Menschen mit mehrfachen, terprofessionellen Teams die Per- Mitarbeiterin beim BAG und zu- fördert werden. Nur so kann Inter- auch chronischen Erkrankungen ist es sonalfluktuation tiefer ist. ständige Projektleiterin. professionalität im Berufsalltag ge- wichtig, sie nicht Krankheit für Krankheit zu Im zweiten Bereich, der Praxis, Nach vier Jahren Förderpro- lingen. behandeln, sondern den Menschen im sollten die Massnahmen des För- gramm stellt sich aber auch die Klar ist, dass das Thema auch Auge zu behalten. Wichtig dabei: Die ein- derprogramms vor allem die Sicht- Frage: Was braucht es nun, um die in Zukunft eine wichtige Rolle spie- zelnen Fachpersonen bringen jeweils auf barkeit von Modellen guter Praxis IPZ im Gesundheitswesen noch len wird, denn der drohende Fach- Augenhöhe ihre Sichtweise mit ein, über- und die Vernetzung der involvier- stärker zu verankern? Ein wichti- kräftemangel wird das Schwei- nehmen Verantwortung und tragen so zum zer Gesundheitssystem noch auf gemeinsamen Behandlungserfolg bei. Jahre beschäftigen und die Ergeb- nisse des Förderprogramms zei- Für die Zukunft erhoffe ich mir, dass die gen: Eine erfolgreich umgesetzte vielen Grundlagen, die das BAG im Rah- Patientenorientierte Gesundheitsversorgung IPZ kann hier einen Beitrag zur men des Förderprogramms «Interprofessi- Entlastung leisten. onalität im Gesundheitswesen 2017–2020» Gelebte Interprofessionalität während vier Jahren erarbeitet hat, von Institutionelle Verankerung Tarife, Vergütungssysteme Verflechtung der Bereiche Kontakte: Regelmässige Evaluation den verschiedenen Akteuren genutzt und Elektronische Hilfsmittel Cinzia Zeltner und Lara De Simone- Gegenseitiges Wissen im Alltag umgesetzt werden. Das Thema Nalotto, Sektion Weiterentwicklung IPZ wird wichtig bleiben – nicht nur für das Gesundheitsberufe, Schweizer Gesundheitswesen, sondern interprofessionalitaet@bag.admin.ch auch für das BAG, etwa im Rahmen der Strategie 2030. In dieser vom Bundesrat Link zum Förderprogramm: verabschiedeten Strategie stehen für uns www.bag.admin.ch/fpinterprof vor allem zwei Ziele im Vordergrund: ei- nerseits das Ziel «Pflege und Finanzierung Onlineverzeichnis Modelle guter gewährleisten», andererseits das Ziel, Gemeinsames Verständnis von Interprofessionalität Praxis: «Qualität der Versorgung erhöhen». Ich www.bag.admin.ch/modelle-interprof bin davon überzeugt, dass das Wissen und In den Forschungsprojekten des Förderprogramms konnten sieben ge- die Erfahrungen aus dem Förderpro- meinsame Themenstränge identifiziert werden, welche alle auf dem Funda- gramm zum Erreichen dieser Ziele beitra- ment des gemeinsamen Verständnisses von Interprofessionalität aufbauen gen können. mit dem Ziel, die Versorgung patientenorientierter zu gestalten. spectra 131 | Oktober 2021 | Interprofessionalität und koordinierte Versorgung 3
Forum Patientensicherheit durch Gemeinsam statt gegen- Die Bedeutung der Inter- interprofessionelles einander: interprofessionelles professionalität in der Simulationstraining Simulationstraining im Spital medizinischen Simulation Im komplexen und ver- Die Bereitschaft und die Als Rettungssanitäter netzten Gesundheitssy- Kompetenz zum interpro- und Spezialist für medi- stem von heute müssen fessionellen Zusammen- zinische High-Fidelity- sich Teams schnell und arbeiten fallen nicht vom Simulationen bin ich reibungslos an die sich Himmel – nicht allen fällt von der Bedeutung der ständig verändernden es gleich leicht, im Team interprofessionellen Bedingungen in Pflege- mit anderen Professionen Simulation überzeugt, umgebungen anpassen zusammenzuarbeiten. denn die Zusammenar- – dort, wo Entscheidungen Manchmal sprechen die beit von medizinischen über Leben und Tod be- Personen schlicht nicht die und paramedizinischen stimmen können. Erfreuli- gleiche Sprache, haben Fachpersonen in dem- cherweise gewinnt die schlechte Vorerfahrungen selben Setting fördert Teamfähigkeit in der Gesundheitsfürsorge zuneh- gemacht oder Annahmen darüber, wie sich typische gemeinsame Überlegungen und verbessert die mend an Bedeutung, seit im vergangenen Jahr die Vertreterinnen und Vertreter anderer Professionen Pflegequalität. Notwendigkeit interprofessioneller Trainings (Inter- verhalten. Werden die Schwierigkeiten des interpro- FormaSim Sàrl ist ein Institut, das Weiterbildungen professional education, IPE) für die Förderung der fessionellen Zusammenarbeitens nicht adressiert, für medizinische Fachpersonen und für die Ge- Zusammenarbeit von Teams anerkannt wurde. Das sinken sowohl die Behandlungsqualität als auch die samtbevölkerung anbietet. Seit 2019 gibt es auch Ausbildungssystem ist allerdings aktuell noch nicht Arbeitszufriedenheit. Die Sozial- und Organisations- verschiedene Simulationstrainings, von Erste-Hil- dafür ausgelegt, das medizinische Fachpersonal mit psychologie liefert Ideen, wie Stereotypen, Vorurtei- fe-Kursen für werdende Eltern bis hin zu High-Fide- allen erforderlichen und kritischen Kompetenzen für len und sogenannten Intergruppenkonflikten begeg- lity-Simulationen für Pflegefachpersonen. diese Teamarbeit auszustatten. net werden kann: Die immersiven, interaktiven und kollaborativen Das Centro di Simulazione (CeSi) ist ein Simulations- Trainings von FormaSim für das Fachpersonal im labor, das seine Hauptaufgabe darin sieht, die inter- 1. Nicht individuell, sondern gemeinsam trainieren. Gesundheitswesen sind darauf ausgerichtet, fach- professionellen Kompetenzen des medizinischen Beispielsweise kann interprofessionelles Zusam- liche und nichtfachliche (CRM) Kompetenzen im Fachpersonals und der in Ausbildung befindlichen menarbeiten in der Geburtshilfe am besten trai- Rahmen von interprofessionellen medizinischen Fachkräfte zu erweitern, um die Qualität der Pflege niert werden, wenn Geburtsmediziner und Ge- Simulationen zu entwickeln. Sie stützen sich auf und die Sicherheit der Patientinnen und Patienten zu burtsmedizinerinnen, Hebammen, die Technologien und pädagogischen Mittel der verbessern. Das Labor bietet eine praxisorientierte Pflegefachpersonen und allenfalls Personen wei- High-Fidelity- und/oder High-Intensity-Simulation Lern- und Lehrumgebung, in der Lernende in prak- terer Disziplinen (z.B. Anästhesiologie) gemein- unter Einsatz von High-Fidelity-Manikins oder tischen Übungen individuell und vor allem gemein- sam in realitätsnaher Umgebung kritische Fälle simulierten Patienten. sam trainieren können, um die operativen und sozia- üben und über das Zusammenarbeiten reflektie- Unser mobiles Zentrum für medizinische Simulati- len Kompetenzen zu erwerben, zu verbessern und zu ren. onen besucht Institutionen in der ganzen Schweiz. bewahren, die menschliches Versagen begrenzen 2. Das Training soll strukturiert und erfahrungsba- Vor Ort werden dann mit modernsten Materialien und das klinische Risiko minimieren. Hier werden in siert sein, um interprofessionellen Teams zu er- und/oder der beim Kunden vorhandenen Ausstat- der akademischen Ausbildung von Medizinerinnen möglichen, an konkreten, gemeinsamen Erfah- tung Szenarien simuliert, in denen die Teilneh- und Medizinern, Pflegenden und medizinischem rungen zu lernen. Entscheidend ist ein wert- menden «wie im richtigen Leben» agieren sollen. Fachpersonal, aber auch im Rahmen von For- schätzendes, klares und sicheres Trainingssetting. Das Ziel ist, ihnen mit diesen lebensechten Simu- schungsprojekten verschiedene Simulationsmodali- 3. Das gemeinsame Training soll sich durch die Aus- lationen ein Setting zu bieten, das ihrem beruf- täten in einer interaktiven Lernumgebung eingesetzt, bildungsstufen ziehen: angefangen in der Grund- lichen Alltag möglichst nahekommt. um inter- und multidisziplinäre Trainings in Kliniken ausbildung / im Studium, über die Fort- und Wei- Die zentralen Merkmale der Simulation sind das zu ermöglichen. terbildung bis hin zum eigenen Faculty Eintauchen in eine übliche Gefahrensituation, die Neben Ex-situ-Simulationen entwickelt und realisiert Development. Dadurch kann eine langfristige positive Sicht auf das Risiko (es geht um geeig- das CeSi auch Simulationstrainings, die direkt in Lernroutine etabliert werden: voneinander lernen netes Risikomanagement und nicht um Risikover- klinischen Settings stattfinden. Dort werden Abläufe anstatt sich übereinander zu ärgern. meidung) und eine ununterbrochene Abfolge von analysiert und Störungen im System sowie ver- simulierten Situationen, die aufeinander auf- deckte Risiken aufgespürt, um die interdisziplinäre Gut geführtes Simulationstraining ist evidenzbasiert bauen. Performance zu verbessern. Das CeSi führt beispiels- und bietet aufgrund seiner Praxisnähe ein ideales Ein wesentliches Ziel der High-Fidelity-Simulation weise gemeinsam mit der Anästhesiologie für Er- Setting für interprofessionelles Lernen. Es ermög- im Pflegebereich ist, dass die Teilnehmenden aus wachsene und dem Büro für Qualität und Patienten- licht gegenseitige Perspektivenübernahme, das Fehlern lernen können, ohne dass Patienten zu sicherheit des Ospedale Regionale di Bellinzona ein Überprüfen gegenseitiger Annahmen und das Entwi- Schaden kommen. Das zweite Ziel besteht darin, Pilotprojekt durch, in dessen Rahmen latente Risiken ckeln eines gemeinsamen Verständnisses der Zu- die eigenen medizinischen Fehler zu analysieren proaktiv durch Pflegepunkt-Simulationen aufgedeckt sammenarbeit: «Was ist richtig?» anstatt «Wer hat und zu erkennen, welche Störungen sie auslösen werden: Mitglieder des medizinischen Teams, darun- recht?» können. ter Pflegende, Anästhesisten, Chirurginnen, Spital- Ich erachte es für wichtig, die medizinische Simu- PD Dr. Michaela Kolbe, Leiterin Simulationszentrum, ärzte, Studierende und Technikerinnen, nehmen an lation allgemein für alle medizinischen und para- Universitätsspital Zürich, michaela.kolbe@usz.ch Simulationen teil, in deren Verlauf sie in einer echten medizinischen Bereiche zu entwickeln. Die medizi- OP-Umgebung mit geplanten kritischen Szenarien nische Simulation sollte nicht allein bestimmten konfrontiert werden, um etablierte klinische Settings Professionen wie den Sanitätern oder Bereichen verbessern zu können. Wichtig für eine bessere wie der Intensivpflege oder der Anästhesie vorbe- Pflegeleistung in Stresssituationen ist die kritische halten sein, sondern viel breiter eingesetzt wer- Betrachtung der Simulation. Sie wird von medizi- den. Tatsächlich kann sie auch für medizinisch- nischen Teams unter Einsatz eines spezifischen Rah- technische Radiologiefachpersonen sehr nützlich menwerks für Risiko- und Sicherheitsanalysen sein, da auch diese Berufsgruppe in bestimmten durchgeführt. Situationen ihres Arbeitsalltags von einer interpro- fessionellen Simulation profitiert, die Sanitäter, Prof. Dr. Pier Luigi Ingrassia, Centro di Simulazione Pflegekräfte und Radiologen einschliesst. (CeSi), Lugano, pierluigi.ingrassia@edu.ti.ch Antoine Choffat, FormaSim Sàrl, antoinechoffat@formasim.ch 4 spectra 131 | Oktober 2021 | Interprofessionalität und koordinierte Versorgung
Akteure vernetzen – um die Interprofessionalität zu verankern Obwohl bereits zahlreiche vielversprechende Aktivitäten laufen, muss die Vernetzung zwischen den Stakeholdern im Bereich Bildung und Berufspraxis weiter verstärkt werden. Das BAG will dies unterstützen. Denkbar sind der Aufbau einer Webseite oder die Organisation von Anlässen – wie etwa einem Tag der Interprofessionalität. Mit dem 2020 abgeschlossenen derten Lebensstile und die Entste- Förderprogramm «Interprofessio- hung von neuen Modellen zur nalität im Gesundheitswesen» hat Gesundheitsversorgung reagiert. das BAG Forschungsprojekte und Und die Planung geht weiter: Um Massnahmen unterstützt, um in- die bereits bestehende Zusammen- terprofessionelle Ansätze in der arbeit zwischen Studierenden der schweizerischen Bildungs- und Be- Pflege, der Ergotherapie und der rufspraxis-Landschaft nachhaltig Physiotherapie auch auf Medizin- zu verankern (dies auch eine For- studierende auszuweiten, prüft die derung aus den Policy Briefs). SUPSI aktuell eine Zusammenar- Dabei ist unter anderem eine Pub- beit mit der Universität der italieni- likation entstanden, in der beispiel- schen Schweiz (USI), die seit letz- hafte berufsübergreifende Bil- tem Jahr ein Masterstudium in dungsangebote vorgestellt werden. Medizin anbietet. Dazu gehört etwa das Angebot der Fachhochschule der italienischen Miteinander, voneinander und Schweiz SUPSI: Dort können Ba- übereinander lernen chelorstudierende in den Berei- Ein anderes Beispiel aus der BAG- chen Pflege, Ergotherapie und Phy- Broschüre ist die Zürcher interpro- siotherapie Module zur Förderung fessionelle klinische Ausbildungs- interprofessioneller Kompetenzen station (ZIPAS). Seit Herbst 2019 gemeinsam belegen. Die Studie- verbindet sie Studierende aus den renden lernen dabei, dass eine op- Bereichen Pflege, Medizin, Physio- timale Versorgung patientenzent- therapie und Ergotherapie mit den riert ist und deshalb auf Lernenden Fachfrau/-mann Ge- ganzheitliche, integrierte Weise er- sundheit EFZ. folgt. Der eigene Beitrag zum Be- Im Rahmen eines Praktikums handlungsprozess soll sowohl auf oder einer Unterassistenz bilden die Bedürfnisse der Patientin oder jeweils etwa sieben Lernende eine Das BAG will die Vernetzung zwischen Stakeholdern im Bereich des Patienten als auch auf die Ar- Gruppe auf der Ausbildungsstati- Bildung und Berufspraxis unterstützen. beit der anderen Fachkräfte abge- on. Unter Supervision eines Berufs- stimmt sein. bildners oder einer Kaderärztin Mit diesen interprofessionellen übernehmen die Lernenden die Pa- Teammitglied betrachtet. Die Ler- gebote im Gesundheitswesen über- Studiengängen hat die SUPSI schon tientenversorgung – selbstständig nenden entwickeln ein Verständnis sichtlich aufgelistet und vorgestellt im Jahr 2006 auf die soziodemo- und gemeinsam. Dabei wird der für die Kompetenzen und Grenzen werden. Eine weitere Möglichkeit grafische Entwicklung, die verän- Patient oder die Patientin als ihres eigenen Berufs und diejeni- wäre die Organisation eines «Tages gen anderer Berufe. Kurz: Sie ler- der Interprofessionalität», wo sich nen miteinander, voneinander, die Stakeholder aus verschiedenen übereinander. Regionen direkt begegnen und Zu den Erkenntnissen des För- voneinander lernen können. derprogramms «Interprofessiona- lität im Gesundheitswesen» gehört, Kontakte: dass solche realitätsnahen Unter- Cinzia Zeltner und Lara De Simone- richtsformate die besten Lerneffek- Nalotto, Sektion Weiterentwicklung te zeigen. Aber auch, dass die Sta- Gesundheitsberufe, keholder im Bildungsbereich noch interprofessionalitaet@bag.admin.ch nicht optimal vernetzt sind. In Ge- sprächen mit diversen Akteuren Link: hat das BAG im Frühjahr 2021 eru- www.bag.admin.ch/fpinterprof iert, welche Netzwerke bereits vor- handen sind – und durch welche Vernetzungsaktivitäten sie allen- falls erweitert werden könnten. Das Fazit dieser Gespräche lau- tet, dass sich viele Bildungsinstitu- tionen regional gut koordinieren, aber dass sich viele einen stärke- ren überregionalen oder sogar na- tionalen Austausch wünschen. Ein solches schweizweites Netzwerk will das BAG fördern. Auf einer Wird Interprofessionalität bereits im Studium erlernt, kann sie später im beruflichen Alltag Website könnten beispielsweise al- besser gelebt werden. (Hinweis: Dieses Bild wurde vor der Pandemie aufgenommen.) le interprofessionellen Bildungsan- spectra 131 | Oktober 2021 | Interprofessionalität und koordinierte Versorgung 5
«Im Zentrum der Interprofessionalität steht der gegenseitige Respekt» Wir müssen die Rollen und Aufgaben im Gesundheitswesen grundlegend überdenken. Dadurch verbessert sich auch die Behandlungsqualität, sagt Monika Brodmann Maeder, Präsidentin des Schweizerischen Instituts für ärztliche Weiter- und Fortbildung. Frau Brodmann Maeder, was deshalb relativ rasch die Idee für «Als ich vor 30 Jahren Doch durch ihr Schweigen verstehen Sie unter dem ein gemeinsames Weiterbildungs- hätte sie das Leben des Pa- etwas sperrigen Begriff der angebot auf. Medizin studierte, war die tienten riskiert? Interprofessionalität? Ausbildung noch sehr Ja, genau deswegen trägt die Inter- Für mich bedeutet der Begriff in Wie sah dieses Angebot aus? stark auf den eigenen professionalität nicht nur zu einer erster Linie eine qualitativ hochste- Wir haben ein Kernteam von zehn Beruf ausgerichtet. Wir Qualitätsverbesserung in der Be- hende Zusammenarbeit der ver- Instruktorinnen und Instruktoren handlung und Betreuung von Pa- schiedenen Berufsgruppen inner- gebildet, das je zur Hälfte aus Ange- kamen als Studierende tientinnen und Patienten bei, son- halb des Gesundheitswesens. hörigen der Pflege und der Ärzte- nur mit anderen Ärztin- dern erhöht letztlich auch deren Weiter gefasst bedeutet Interpro- schaft bestand. In den Kursen ha- nen und Ärzten in Kontakt. Sicherheit. fessionalität aber auch den Einbe- ben wir viel mit Simulationen Heute ist es normal, dass zug von Patientinnen und Patien- gearbeitet, also relevante Situatio- Was halten Sie von der Aussa- ten und deren Angehörigen. Denn nen nachgestellt – mit Puppen aus zum Beispiel auch eine ge, dass Interprofessionalität auch sie sind massgeblich beteiligt Kunststoff für die Reanimation, psychologische Psycho- zwar die Arbeitsqualität ver- am Genesungsprozess, der auf eine aber auch mit Schauspielerinnen therapeutin einer Gruppe bessert, aber halt auch mehr Verletzung oder eine Krankheit und Schauspielern, wenn es etwa kostet? folgt. um das Überbringen von schlech- von Medizinstudierenden Mich überzeugt diese Aussage aus ten Nachrichten ging. Im anschlies- ihre Arbeit vorstellt.» zwei Gründen nicht. Erstens: Wenn Die interprofessionelle Zusam- senden Debriefing haben wir dann Sie dank einer guten Zusammenar- menarbeit geht für Sie über jeweils gemeinsam analysiert, was beit die Behandlungsqualität erhö- das Fachpersonal hinaus? gut und was weniger gut gelaufen sucht hat: Als sie auf dem Monitor hen, passieren Ihnen im Schnitt Ja, die Patientenrolle hat sich in ist. Für uns waren diese Weiterbil- eine schwerwiegende Rhythmus- weniger Fehler. Dadurch reduzie- den letzten Jahren stark gewan- dungskurse auch eine Möglichkeit, störung bemerkte, holte sie Luft. ren sich auch die schweren Verse- delt. Das lateinische Patiens, das stereotypische und eingeschliffene Offensichtlich war ihr erster Im- hen mit Haftpflichtrelevanz. Des- das Erdulden und passive Aushal- Verhaltensmuster gemeinsam zu puls, etwas zu sagen, doch am halb lohnen sich die Investitionen ten einer Krankheit beschreibt, reflektieren – und so aufzuweichen. Schluss liess sie es sein. Beim De- in die Interprofessionalität länger- trifft heute auf viele Betroffene Wir haben zum Beispiel ein Simu- briefing danach habe ich die Per- fristig auch aus ökonomischer nicht mehr zu. Früher gingen die lationsszenario entwickelt, bei dem son auf diesen Moment des Luftho- Sicht, wie mehrere Studien aus den Leute zur Ärztin, zum Arzt, wenn die Ärztin oder der Arzt so am Pa- lens angesprochen. Tatsächlich USA belegen. Zweitens: Unter dem ihnen etwas wehtat, mit der Er- tientenbett steht, dass nur die Pfle- hatte sie das Kammerflimmern ent- Stichwort «Task Shifting» wird wartung, dass die Expertin schon gefachperson den Monitor mit der deckt und gedacht, dass es gleich heute – mitunter auch heiss – dis- wisse, was zu tun sei. Heute infor- Herzkurve im Blick hat. Noch heute zum Herzstillstand kommt, aber sie kutiert, welche der bisher aus- mieren sich die Personen im Inter- sehe ich eine Pflegefachfrau vor hatte dem Arzt nicht dreinreden schliesslich ärztlichen Aufgaben net, bevor sie eine Ärztin aufsu- mir, die den Kurs vor 20 Jahren be- wollen. von anderen nichtärztlichen Ge- chen. Das schafft völlig andere Voraussetzungen für die Betreuung und Behandlung. Wir müssen die Patientinnen und Patienten abho- len und mitentscheiden lassen, wenn wir möchten, dass die Thera- pien mitgetragen und auch besser befolgt werden. Für die Gesund- heitsfachpersonen bedeutet das, dass wir uns nicht nur mit anderen Berufsgruppen absprechen und koordinieren müssen, sondern eben auch mit Laien. Zu Ihrer Zeit am Notfallzen- trum des Inselspitals haben Sie gemeinsame Weiterbil- dungskurse für Pflegefachper- sonen und die Ärzteschaft organisiert. Wieso? Den Ausschlag gegeben hat ein ge- wisses Unbehagen der Pflegefach- personen. Sie beklagten sich, von den Ärzten nicht gehört und nicht ernst genommen zu werden. Die Pflegenden fanden auch, dass die Qualität ihrer Arbeit darunter lei- det. Während meiner Zeit am Insel- spital habe ich mich im Rahmen meiner Masterausbildung mit der Interprofessionalität auseinander- gesetzt. Als ich von der Unzufrie- Durch die interprofessionelle Zusammenarbeit werden Hierarchien im Gesundheitswesen überwunden. Dadurch können Behand- denheit der Pflegenden erfuhr, kam lungsqualität und Behandlungssicherheit für Patientinnen und Patienten verbessert werden. 6 spectra 131 | Oktober 2021 | Interprofessionalität und koordinierte Versorgung
PD Dr. med. Monika Brodmann Maeder Monika Brodmann Maeder hat sundheitsfachleuten, zum Beispiel flächen, denn mit der besseren an der Universität Basel Medizin Apothekerinnen oder Pflegefach- Ausbildung geht auch ein höheres studiert und sich daraufhin in personen, übernommen werden Selbstvertrauen einher. Und mit Innerer Medizin, Chirurgie, könnten. Das erklärte Ziel ist dabei dem steigenden Selbstbewusstsein Anästhesie und in der Neurore- die Senkung der Gesundheitskos- der nichtärztlichen Gesundheits- habilitation von Querschnittge- ten. Aber bei diesem Thema sind fachpersonen kommt auch der Ruf lähmten und Hirnverletzten noch viele Fragen offen. nach einer partizipativen Zusam- weitergebildet. Über zehn Jahre menarbeit auf Augenhöhe. Es gilt, lang arbeitete sie in den Ge- Inwiefern ist Interprofessiona- die Hierarchien im Gesundheits- birgsbasen der Luftrettungsor- lität ein neues Thema im wesen grundlegend zu überdenken ganisation Rega. Von 2016 bis Gesundheitswesen? und die Schnittstellen zwischen 2021 war Brodmann Maeder am Als ich vor 30 Jahren Medizin stu- den Fachpersonen zu beleuchten. Universitären Notfallzentrum des Inselspitals Bern tätig, zuletzt als leitende Ärztin. Seit dierte, war die Ausbildung noch Erst mit der Thematik der Inter- Februar 2021 präsidiert Brodmann Maeder das Schweizerische Institut für ärztliche sehr stark auf den eigenen Beruf professionalität ist dieser Prozess Weiter- und Fortbildung (SIWF). ausgerichtet. Wir kamen als Stu- richtig in Gang gekommen. dierende nur mit anderen Ärztin- nen und Ärzten in Kontakt. Heute Sie meinen, dass es in der ist es normal, dass zum Beispiel Interprofessionalität also auch auch eine psychologische Psycho- darum geht, die Medizine- stürzen, das Team im Schockraum therapeutin einer Gruppe von Me- rinnen und Mediziner von «Viele Personen verbinden wird nach wie vor von jemandem dizinstudierenden ihre Arbeit vor- ihrem Sockel zu stürzen? eine Frau mit dem Pflege- aus der Ärzteschaft und nicht von stellt. Das dürfte es künftigen Nein, das ist nicht das Thema. Im beruf – und nur Männer einer Pflegefachperson geleitet. Ärztinnen und Ärzten vereinfa- Zentrum der Interprofessionalität Doch kleinere Dinge haben sich ins chen, die «Ein-Beruf-Silos» zu stehen für mich der gegenseitige mit dem Arztberuf. Solche Positive gedreht. So haben sich die überwinden und sich in Angehöri- Respekt und die Wertschätzung für Stereotype sind heute Atmosphäre und die Art der Zu- ge anderer Berufsgruppen hinein- die Arbeit von Fachpersonen im zwar überholt, aber sammenarbeit auf dem Notfall zudenken. Hinzu kommt, dass sich Gesundheitswesen mit unter- immer noch in vielen spürbar verbessert, das fällt auch in letzter Zeit viele nichtärztliche schiedlichen beruflichen Hinter- Leuten aus anderen Abteilungen Gesundheitsberufe weiterentwi- gründen und Perspektiven. Köpfen präsent.» auf. Sogar wenn es brodelt, pflegt ckelt und professionalisiert haben. das Team untereinander eine wert- Wie haben Sie diesen Respekt schätzende Kommunikation. Offen- Wie wirkt sich diese Professio- in den gemeinsamen Weiter- um, explizit auf Dinge aufmerksam bar konnten die Mitglieder des nalisierung auf die Zusam- bildungskursen vermittelt? zu machen, die sonst im Team nur Kernteams als Vorbilder wirken menarbeit aus? Es ging darum, den Teilnehmen- implizit mitschwingen. Zum Bei- und so, indem sie die Bildungsin- Unsere Gesellschaft hat über Gene- den bewusst zu machen, dass alle spiel: Es ist klar geregelt, dass im halte aus den Kursen in die Praxis rationen hinweg Bilder erschaffen, Mitarbeitenden des Notfallzent- Schockraum bei der Behandlung einfliessen liessen, allmählich ei- die immer noch wirkmächtig sind. rums «Profis» sind. Und dass im von Schwerverletzten immer eine nen Kulturwandel einleiten. Denken Sie etwa an das Bild der Behandlungs- und Betreuungspro- Oberärztin oder ein Oberarzt vom Krankenschwester, die fürsorglich zess verschiedene Rollen und Auf- Notfall für die Koordination zu- Wie schätzen Sie die künftige zu den Patientinnen und Patienten gaben verteilt und übernommen ständig ist – und die Teamleitungs- Entwicklung der Interprofessi- schaut. Oder das Bild vom Herrn werden müssen. Diese Verteilung funktion übernimmt. Doch eine un- onalität ein? Doktor, dem Halbgott in Weiss, muss nicht hierarchisch organi- scheinbare Frau wird dabei Ich bin sicher, dass sie weiterhin dem alle anderen Personen nur zu- siert sein, sondern sie kann auch in häufiger übersehen als ein grosser an Bedeutung gewinnen wird. Von einer Art Netzwerk erfolgen. Na- Mann mit einer sonoren Stimme. der Aufwertung der nichtärztlichen «Es gilt, die Hierarchien türlich braucht es eine klar defi- Zudem spielen auch unbewusste Berufe können wir alle profitieren. nierte Koordinationsfunktion, aber geschlechtsspezifische Berufszu- Allerdings wird es in nächster Zeit im Gesundheitswesen auch nichtärztliche Fachpersonen schreibungen eine Rolle: Viele Per- zu weiteren Auseinandersetzungen grundlegend zu überden- können solche Rollen übernehmen. sonen verbinden eine Frau mit kommen, weil die Rollen und Auf- ken und die Schnittstellen In der Rehabilitation, wo ich vor dem Pflegeberuf – und nur Männer gaben der Berufsgruppen neu ge- zwischen den Fachper- dem Notfall gearbeitet habe, haben mit dem Arztberuf. Solche Stereo- klärt werden müssen. Ausserdem zum Beispiel auch Mitarbeitende type sind heute zwar überholt, fehlen vielerorts noch interprofes- sonen zu beleuchten. Erst vom Sozialdienst oder von der Phy- aber immer noch in vielen Köpfen sionelle Vorbilder. Wahrscheinlich mit der Thematik der siotherapie koordinative Funktio- präsent. dauert es deshalb noch eine ganze Interprofessionalität ist nen ausgeübt. Weile, bis alle in ihre neuen Rollen Das Ziel der gemeinsamen hineingewachsen sind – und wirk- dieser Prozess richtig in Es gibt Personen mit kommu- Weiterbildungskurse war, die lich auf Augenhöhe zusammenar- Gang gekommen.» nikativen und koordinativen Arbeitsqualität auf dem Not- beiten. Stärken und andere, die in fall zu verbessern. Im Rück- dieser Hinsicht weniger begabt blick betrachtet: Haben Sie dienen. Doch mit dem Aufkommen sind. Inwieweit lassen sich dieses Ziel erreicht? von Fachhochschulen und weite- solche Fähigkeiten erlernen? Wir haben das Programm nicht ren Bildungsangeboten hat die Natürlich gibt es Leute mit einem wissenschaftlich ausgewertet, ich Ausbildung etwa für Pflegefach- angeborenen Talent für kommuni- kann Ihnen deshalb keine evidenz- kräfte, Hebammen, Ernährungsbe- kative und koordinative Aufgaben, basierte Antwort geben. Trotzdem rater, Physio- und Ergotherapeu- aber man kann sich das auch erar- bin ich überzeugt, dass wir Wichti- tinnen einen Qualitätszuwachs beiten. In unseren Weiterbildungs- ges erreicht haben. Die Resultate erfahren. Das sorgt für Reibungs- kursen ging es unter anderem dar- zeigen sich nicht in grossen Um- spectra 131 | Oktober 2021 | Interprofessionalität und koordinierte Versorgung 7
Das elektronische Patientendossier erleichtert den Austausch zwischen Fachpersonen Ab diesem Jahr wird das elektronische Patientendossier bei höchste Ansprüche an den Da- (IPAG), welche interprofessionelle (EPD) in der Schweiz schrittweise eingeführt. Das EPD er- tenschutz und die Datensicherheit. Inhalte für das EPD erarbeitet, ha- Dafür sorgen das Datenschutzge- ben gezeigt, dass Fachpersonen leichtert den Informationsaustausch zwischen Patientinnen setz sowie das Bundesgesetz zum häufig die Informationsbedürfnisse und Patienten und Gesundheitsfachpersonen, da alle jeder- EPD. der anderen Berufsgruppen nicht zeit über die relevanten Informationen verfügen. Bei den Gesundheitsinstitutio- kennen. Entsprechend braucht es nen ist der stationäre Bereich, also auch Weiterbildungen, damit Ge- Spitäler, Geburtshäuser, Alters- und sundheitsfachpersonen für das Die Einführung des elektronischen Medikamente. Die Spitex ist dann Pflegeheime, ab 2022 gesetzlich EPD gerüstet sind (siehe Box). Impfzertifikats für die Covid-Imp- die einzige Leistungserbringerin, verpflichtet, das EPD anzubieten. fung macht den Nutzen der Digita- die mit einer Medikationsliste die Neu zugelassene Arztpraxen müs- Kontakt: lisierung für unser Gesundheits- Gesamtübersicht hat. Im Notfall sen ab 1. Januar 2022 ebenfalls ein Catherine Bugmann, Koordinations- system deutlich: Mithilfe einer ruft das Spital dann die Spitex an EPD anbieten. Bei ambulanten und Kompetenzstelle eHealth Suisse, sicheren, digitalen Lösung können und fragt nach den aktuellen Me- Dienstleistern wie Apotheken, Phy- catherine.bugmann@e-health- geimpfte Personen jederzeit und dikamenten. Mit dem EPD würde siotherapiepraxen, Spitexorganisa- suisse.ch überall ihren Impfstatus belegen. sich diese Anfrage erübrigen.» Das tionen oder Hausarztpraxen, die Auch das EPD bringt einen gros- Beispiel zeigt: Je mehr Personen bereits vor 2022 zugelassen wur- Links: sen Mehrwert, indem Patientinnen ein EPD eröffnen und nutzen, um- den, ist die Teilnahme hingegen − Überblick Stammgemeinschaf- und Patienten sowie ihre behan- so grösser wird der Nutzen für alle weiterhin freiwillig. ten: https://tinyurl.com/4r65578 delnden Fachpersonen auf die Ge- Beteiligten. − Informationen zum Weiterbil- sundheitsinformationen zugreifen Weiterentwicklung und inter- dungsangebot der BFH: können. Dadurch wird die Be- Regionale Einführung professionelle Kommunikation https://tinyurl.com/jxzz52xf handlungsqualität und -effizienz Die Einführung des EPD erfolgt re- Das EPD wird schrittweise weiter- − Bildungsbroschüre «eHealth- erhöht und das Risiko von Fehlent- gional durch neun Stammgemein- entwickelt. Am Anfang werden vor Themen für Gesundheitsfach- scheiden minimiert. Heute gehen schaften, von denen heute mit allem Unterlagen im PDF-Format personen» entlang der Versorgungskette oft emedo und CARA zwei bereits den abgelegt, aber Vorarbeiten laufen, https://tinyurl.com/jn76tp5j Informationen verloren, zum Bei- Betrieb aufgenommen haben, damit bald auch interaktive For- spiel bei der Schnittstelle Arztpra- mehrere zertifiziert sind und sich mate möglich sind. Damit können xis–Spitex. Esther Bättig, wissen- weitere im Zertifizierungsverfah- Ärztinnen oder Apotheker zum schaftliche Mitarbeiterin der ren befinden (siehe www.patien- Beispiel die aktuelle Medikation ih- Spitex Schweiz, sieht etliche Vor- tendossier.ch/anbieter). In der rer Patientinnen und Patienten di- teile für alle in der Behandlung in- Schweiz wohnhafte Personen kön- rekt im EPD anpassen. Interprofessionalität bereits volvierten Akteure: «Der Hausarzt nen selbst entscheiden, bei wel- Das EPD fördert auch die Kom- im Studium leben und alle involvierten Fachärztin- cher Stammgemeinschaft sie ein munikation über die Berufsgrup- nen und Fachärzte haben oft keine EPD eröffnen möchten. Für alle pen hinweg. Erfahrungen der In- Die Berner Fachhochschule (Departement Ge- Einsicht in eine Gesamtliste der Stammgemeinschaften gelten da- terprofessionellen Arbeitsgruppe sundheit und Medizininformatik) hat für die Studiengänge «Ernährung und Diätetik», «Heb- amme», «Pflege und Physiotherapie» interpro- fessionelle Module entwickelt. In den Modulen «Interprofessionelle Zusammenarbeit und eHealth», «Personenzentrierte Gesundheitsver- sorgung» und «Gesundheitsförderung im inter- professionellen Kontext» erwerben die Studie- renden Kompetenzen, um untereinander und mit Patientinnen und Patienten, Angehörigen oder Fachpersonen ausserhalb des Gesund- heitswesens enger zusammenzuarbeiten. Pilotprojekt im Kanton Neuenburg Um den grössten Nutzen für Patientinnen und Patienten sowie Gesundheitsfachpersonen zu generieren, lanciert die Stammgemeinschaft «Mon Dossier Santé» des Kantons Neuenburg ein Pilotprojekt zur koordinierten Versorgung von Diabetespatientinnen und -patienten mit rund 100 Dienstleistern. Dieses Projekt ermög- licht es, das EPD vor der breiten Einführung zu validieren und anzupassen. Jean-Gabriel Jean- not, am Projekt teilnehmender Arzt, hebt die Vorteile für Patientinnen und Patienten hervor: «Ein Patient, der auf sein EPD zugreift, hat ein besseres Verständnis für seine medizinischen Probleme. So kann er sich aktiver um seine Mit dem EPD haben alle in die Behandlung involvierten Fachpersonen Gesundheit kümmern.» jederzeit Zugriff auf die relevanten Dokumente. 8 spectra 131 | Oktober 2021 | Interprofessionalität und koordinierte Versorgung
Prävention verbindet über Fachgrenzen hinweg Um die Gesundheit zu ver- bessern und Krankheiten zu verhindern oder ihr Fort- schreiten zu verlangsamen, kommt der Prävention in der Gesundheitsversorgung (PGV) eine immer grössere Bedeutung zu. Es braucht die interprofessionelle Zu- sammenarbeit (IPZ) aller Fachpersonen, um die Prä- vention über die ganze Ver- sorgungskette zu etablieren. Das Schweizer Gesundheitswesen ist qualitativ hochstehend, weist Die PGV will Schnittstellen zwischen dem Gesundheits-, Sozial- und aber im Präventionsbereich Lücken Gemeinwesen besser aufeinander abstimmen. auf. Wichtig sind in die Behandlung integrierte präventive Massnah- aufeinander abgestimmte Behand- mit einem tabletgestützten Scree- zu entdecken, die Betroffenen an men, aufeinander abgestimmte Be- lung und Beratung durch verschie- ning und einer Onlineplattform, die die richtigen Fachpersonen zu ver- ratungs- und Behandlungsangebo- dene Fachpersonen ermöglicht bestehende psychosoziale Behand- weisen und ihre Gesundheitskom- te und ein besseres Verständnis für nebst der konservativen Therapie lungsangebote in Basel vernetzt. So petenz zu stärken. Das Projekt «Ak- individuelle Bedürfnisse von Pa- der Krankheit das Ansprechen von können bereits während den Spital- tion Diabetes» will die IPZ während tientinnen und Patienten. Fragen zu Suchtmittelkonsum, psy- aufenthalten ambulante Behandlun- der Pflege von Personen mit Diabe- Hier dockt die PGV an. Sie hat chischem Wohlbefinden, Ernäh- gen aufgegleist werden. Neben den tesrisiko verbessern, indem es bei- zum Ziel, Prävention zu stärken rungs- und Bewegungsverhalten, Betroffenen sollen auch die Leis- spielsweise Referenzdokumente und über die gesamte Versor- Selbstmanagement-Kompetenzen tungserbringer profitieren – dank zum Management der Krankheit gungskette zu etablieren: von der oder sozialer Integration. Einer Per- einer besseren Nutzung der Schnitt- bereitstellt, aber auch Werkzeuge, psychosozialen Beratung in der son mit Herzerkrankung zum Bei- stellen und der Etablierung von die den Informationsaustausch und Gemeinde über die ambulante spiel stellt der Arzt oder die Ärztin Netzwerkstrukturen für eine koordi- das Empowerment der Patientin- Arztpraxis bis hin zum stationären Fragen zu Lebensumfeld oder psy- nierte Versorgung zwischen statio- nen und Patienten fördern. Spital- und Reha-Setting. Da Ver- chischem Befinden und involviert närer und ambulanter Medizin. sorgungsketten oft unterbrochen Angehörige in die Behandlung. Kontakte: werden, möchte die PGV Schnitt- 2. PRiMA − Alberto Marcacci, Sektionsleiter stellen zwischen dem Gesund- So wird IPZ gelebt Damit ältere Menschen und Perso- Prävention in der Gesundheitsver- heits-, Sozial- und Gemeinwesen Die IPZ ist eine wichtige Grundlage nen mit chronischen Krankheiten, sorgung, alberto.marcacci@bag. besser aufeinander abstimmen. für eine erfolgreiche Umsetzung der die im Alltag medizinische und pfle- admin.ch PGV und steht bei zwei * von insge- gerische Hilfe benötigen, möglichst − Franziska Widmer Howald, Pro- Individuelle Lebenssituation samt sechs prioritären Interventi- lange in ihrer gewohnten Umge- jektleiterin PGV bei Gesundheits- im Mittelpunkt onsbereichen des Konzepts Projekt- bung bleiben können, statten ihnen förderung Schweiz, Koordinato- Mit dem biopsychosozialen Ansatz förderung PGV ** im Fokus. Die Advanced Practice Nurses (APN) rin von PRiMA und SomPsyNet, stellt die PGV nicht nur biologische Projekte zur Stärkung der Präventi- regelmässig Besuche ab. In enger franziska.widmer@promotion Faktoren der Krankheit ins Zent- on in der Gesundheitsversorgung Zusammenarbeit mit dem interpro- sante.ch rum, sondern das Individuum in ei- werden durch die Stiftung Gesund- fessionellen Behandlungsteam be- − Raphaël Trémeaud, Projektleiter ner ganzheitlichen Betrachtung. Die heitsförderung Schweiz begleitet sprechen APN mit Betroffenen PGV bei Gesundheitsförderung und gefördert. Die folgenden PGV- Massnahmen zur Reduzierung von Schweiz, Koordinator von Action Projekte zeigen, wie Prozesse zwi- Risikofaktoren oder zur Therapie Diabète, raphael.tremeaud@ schen Gesundheits-, Sozial- und Ge- und ermitteln so den pflegerischen promotionsante.ch meinwesen etabliert werden, wie Bedarf. APN haben sich in einem individuelle Lebenssituationen der Masterstudium erweitertes Exper- Prävention in der Gesundheitsver- Patientinnen und Patienten berück- tenwissen und Fähigkeiten zur Ent- sorgung: www.bag.admin.ch/pgv sichtigt und deren Gesundheits- scheidungsfindung angeeignet und kompetenzen gestärkt werden. wirken als Bindeglieder zwischen Links zu den drei Projektbeispielen: Betroffenen, Angehörigen und an- − SomPsyNet: 1. SomPsyNet deren Gesundheitsfachpersonen. https://tinyurl.com/krnurr62 Patientinnen und Patienten, die auf- Das Projekt «PRiMA – Funktion und − PRiMA: grund körperlicher Erkrankungen Kosten der Advanced Practice Nur- https://tinyurl.com/3jpttz5k ein Spital aufsuchen, sind häufig ses in der Primärversorgung» eva- − Aktion Diabetes: auch psychosozial belastet, was sich luiert die Leistungen eingesetzter https://tinyurl.com/44fkkp6y negativ auf ihre Behandlung aus- APN, identifiziert Schnittstellen und * (1) Schnittstellen zwischen den Syste- wirkt. Ein sektorenübergreifendes erarbeitet Empfehlungen. men und den darin tätigen Akteu- Versorgungsnetzwerk in Basel-Stadt rinnen/Akteuren der PGV, (2) Entwick- lung und Implementierung von hat zum Ziel, ihnen mit einer frühen 3. Aktion Diabetes – Gemeinsam Gesundheitspfaden mittels Kollabora- Identifikation die nötigen Unterstüt- gegen Diabetes tion und Multiprofessionalität zungsangebote zu vermitteln. Die Oft wird Diabetes erst bei Kompli- ** Gesundheitsförderung Schweiz, Konzept der Projektförderung Präven- am Projekt SomPsyNet teilnehmen- kationen diagnostiziert. Es müssen tion in der Gesundheitsversorgung PGV: Koordinierter Einsatz über die gesamte den vier Spitäler und ambulanten daher effiziente Prozesse etabliert (PGV) 2021–2024: Versorgungskette hinweg. Player nutzen ein digitales System werden, um die Erkrankung früh https://tinyurl.com/nexavjj9 spectra 131 | Oktober 2021 | Interprofessionalität und koordinierte Versorgung 9
Wenn Apotheke und Hausarztpraxis eine Symbiose bilden In Chur haben in den letzten Jahren zahlreiche Hausarztpraxen geschlossen. Dem drohen- den Engpass in der Grundversorgung begegnet Medi Porta mit einem interprofessionellen Geschäftsmodell: Die Verzahnung von Apotheke und Arztpraxis ermöglicht eine sinnvolle Verteilung der Aufgaben – und ein breites, dienstleistungsorientiertes Angebot für die Be- völkerung. Das Medizinische Zentrum «gleis am Medizinischen Zentrum «gleis können. Die beiden Praxen, die aus. Für Mitarbeitende in der Apo- d» in Chur liegt direkt beim Bahn- d» fast verdoppelt. Das sei nicht zu- hinter den Räumlichkeiten der theke sei es bereichernd, Einblicke hof. In den obersten drei Etagen letzt darauf zurückzuführen, dass Apotheke liegen, haben jeden Tag in die Medizin zu erhalten, zum haben Ärztinnen und Ärzte ver- in Chur aufgrund von Pensionie- halbstündige Reservetermine of- Beispiel in die Auswertung von schiedene Praxen eingerichtet. So rungen viele Hausarztpraxen ge- fen, die von Caratsch und ihren Blutmesswerten aus dem Labor weit, so normal. Doch im Erdge- schlossen wurden. Das Bündner Kolleginnen gebucht werden kön- oder in die Interpretation der im schoss befindet sich Medi Porta: Ärztenetzwerk Grisomed warnte nen. Dass sie die Leute bei Bedarf EKG aufgezeichneten Herzschläge, ein interprofessionelles Beratungs- 2015 in einer Studie vor einem direkt weiterleiten könne, sei auch meint Quack. Und umgekehrt pro- und Behandlungszentrum, das in drohenden Engpass in der medizi- für sie vorteilhaft, meint Caratsch: fitieren auch die Mitarbeitenden in der Biologie wohl als Symbiose nischen Grundversorgung. «Wir «Denn wenn die Person zurück- der Praxis von der Nähe zur Apo- von Apotheke und Hausarztpraxis wussten, dass wir mehr Anfragen kommt, erfahre ich gleich, was theke, denn in den vier Jahren seit bezeichnet würde. Und das «die erhalten würden – und dass wir beim Gespräch mit dem Arzt be- Beginn von Medi Porta hat sich Vorteile einer Apotheke mit denen mit einer weiteren Arztpraxis nur sprochen wurde.» auch das gegenseitige Verständnis einer Arztpraxis vereint», wie die eine limitierte Anzahl von Perso- für die unterschiedlichen Philoso- Website von Medi Porta festhält. nen zusätzlich betreuen könnten», Bereichernder Austausch phien entwickelt. «Wir haben Pa- «Wir haben auf einer Fläche sagt Quack. In der Symbiose sieht auch Quack tienten vor uns, die Apothekerin- von 170 Quadratmetern einen Ver- So kam die Idee auf, mit einer viele Vorteile, zum Beispiel: «Seit nen haben Kunden vor sich», sagt kaufsraum, Arbeitsräume für die Apotheke zusammenzuarbeiten, wir unsere eigenen Medikamen- Quack. Ihm ist aufgefallen, dass mit Apothekerinnen, zwei Behand- die als erste Anlaufstelle die Per- tenspezialistinnen im Haus haben, diesem Bild des Kunden auch eine lungszimmer für Hausärzte sowie sonen berät – und gleich auch tri- müssen wir Ärzte keine Pharma- grössere Dienstleistungsorientiert- je ein Zimmer für Röntgen und La- agiert. «Wenn jemand zum Bei- vertreter mehr empfangen.» Aller- heit einhergeht. «In einer Arztpra- bor untergebracht», sagt Chris- spiel an einer Blasenentzündung dings hatte sich Quack zu Beginn xis ist es als Patient oft umständ- toph Quack, ärztlicher Leiter von leidet, finden wir im gemeinsamen eine noch engere Zusammenarbeit lich, sich Medikamente nach Hause Medi Porta. Aus Platzgründen la- Gespräch und dank einem hinter- erhofft – und sich zum Beispiel vor- liefern zu lassen. Doch für eine gern die Medikamente der Apothe- legten Algorithmus heraus, ob wir gestellt, gemeinsam mit den Phar- Apotheke ist das Standard», sagt ke im Keller, bei Bedarf holt sie ein Antibiotika direkt abgeben kön- mazeutinnen den Medikamenten- Quack. Roboter automatisch nach oben nen – oder ob wir die Person an plan der Patientinnen und Mit dieser Dienstleistungsori- ans Tageslicht. eine Ärztin oder einen Arzt ver- Patienten besprechen zu können. entiertheit verbunden ist auch die weisen müssen», sagt Barbara Ca- «Doch diese Hoffnung hat sich bis- niederschwellige und auf die indi- Engpass in der medizinischen ratsch, Apothekerin und Leiterin her leider nicht erfüllt», sagt Quack. viduellen Bedürfnisse ausgerichte- Grundversorgung von Medi Porta. In der Realität fehlt einfach oft die te «Beratung auf Augenhöhe», wel- Das neue Geschäftsmodell habe Caratsch sagt, dass viele Perso- Zeit für gemeinsame Gespräche. che Medi Porta auf ihrer Webseite sich aufgedrängt, sagt Quack. Denn nen froh seien, ihr gesundheitli- Dafür tauschen sich die Phar- verspricht. Wie im Namen ange- zwischen 2008 und 2015 hätten ches Problem gleich vor Ort einer ma-Assistentinnen und medizini- deutet, stehen die Türen von Medi sich die Hausarztkonsultationen Ärztin oder einem Arzt zeigen zu schen Praxis-Assistentinnen rege Porta innerhalb der Geschäftszei- ten auch ohne Voranmeldung allen immer offen. Das Medizinische Zentrum «gleis d» scheint aus der Not eine Tugend gemacht zu haben. Es bie- tet aus einer Hand das ganze Spek- trum von der Beratung über die Diagnostik bis zur Behandlung an. «Dank der kompakten Verzahnung von Apotheke und Arztpraxis kön- nen wir die Aufgaben besser ver- teilen – und die Menschen erhalten genau das, was sie zu diesem Zeit- punkt brauchen», sagt Quack. Link: https://www.mediporta.ch/ Im interprofessionellen Beratungs- und Behandlungszentrum Medi Porta kann man während der Öffnungszeiten auch ohne Voranmeldung jederzeit vorbeigehen. 10 spectra 131 | Oktober 2021 | Interprofessionalität und koordinierte Versorgung
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