Sport- und Bewegung in der Prävention und Therapie von onkologischen Erkrankungen
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Fortbildung Sport- und Bewegung in der Prävention und Therapie von onkologischen Erkrankungen VNR: 2760602018152540002 Dr. phil. Eszter Füzéki, Dr. phil. Katharina Schmidt und Prof. Dr. med. Dr. phil. Winfried Banzer 1. Epidemiologie aktuell nur unzureichend erforscht, ange- ten/Woche mit hoher Intensität durch- nommen wird jedoch eine multifaktorielle führen. Onkologische Erkrankungen stellen in den Pathogenese mit vielfältigen zum Teil be- • Die Aktivität kann in Einheiten von min- Industrieländern eine hohe Krankheitslast einflussbaren Risikofaktoren. Auch wenn destens zehn Minuten akkumuliert dar. In Deutschland sind im Jahr 2013 immunologische und genetische Aspekte werden. etwa 253.000 Männer und 230.000 Frau- bei der Entstehung von Krebs eine Rolle • Erwachsene sollten zwei- bis dreimal in en an Krebs neu erkrankt. Bei Frauen sind spielen, geht man davon aus, dass je nach der Woche muskelkräftigende Aktivitä- Mamma-, Kolon-, und Bronchialkarzinom, Entität bis zu 30 % der Krankheitsfälle mit ten durchführen. bei Männern Prostata-, Bronchial-, und modifizierbaren Lebensstil- und Umwelt- • Auch Aktivitäten unterhalb dieser Emp- Kolonkarzinome die häufigsten Entitäten faktoren im Zusammenhang stehen. fehlungen sind gesundheitswirksam. (siehe Abb. 1, nur in der Online-Ausgabe). Die Forschung zu möglichen protektiven Bösartige Neubildungen sind nach Herz- Effekten von Bewegung ist ein relativ Ausdauertraining kreislauf-Erkrankungen in Deutschland junges Wissenschaftsfeld, das jedoch kon- Unter Ausdauer versteht man die Fähig- die zweithäufigste Todesursache und für tinuierlich neue Erkenntnisse liefert. So keit des Körpers, eine Leistung über län- circa jeden vierten Todesfall verantwort- belegt mittlerweile eine Vielzahl an epide- gere Zeit hinweg ohne Ermüdung zu er- lich [1, 2]. miologischen Studien einen starken bringen. Ausdaueraktivitäten verbessern Die Verbesserung von Früherkennung, Zusammenhang zwischen Bewegungsver- die Leistungsfähigkeit des Herzkreislauf- Diagnose und Therapie tragen zu einer län- halten und dem Risiko, an bestimmten systems und tragen zu einer besseren geren Überlebensdauer und insgesamt Krebsarten zu erkranken. Die Evidenz ist Erholungsfähigkeit der Muskulatur nach besseren Prognose bei. Die Überlebensra- besonders stark bei Kolon-, Mamma-, und Belastung bei. Ausdaueraktivitäten sind ten variieren zwischen den Tumorentitäten Endometriumskarzinomen [3]. zum Beispiel Gehen, (Nordic) Walking, und -stadien. Durchschnittlich überleben Joggen, Schwimmen oder Radfahren. ca. 61–66 Prozent (%) aller Krebspatien- Bewegungsempfehlungen ten mindestens fünf Jahre nach einer für die Primärprävention Kraft- oder Muskeltraining Krebsdiagnose [2]. Entsprechend steigt die Kraft ist die Fähigkeit des neuromuskulä- Anzahl von Personen, die in ihrem Leben Aus der aktuellen wissenschaftlichen Da- ren Systems, Widerstände zu überwinden, von einer Krebserkrankung und -therapie tenlage lassen sich keine endgültigen An- sie zu halten oder ihnen entgegenzuwir- betroffen waren, an. Das Robert-Koch- gaben bezüglich Bewegungsempfehlun- ken. Muskelkräftigendes Training kann in Institut schätzt die fünf-Jahres-Prävalenz gen für die Primärprävention ableiten. Die vielen Formen wie zum Beispiel mit Ge- auf circa 1,6 Millionen Menschen [2]. verschiedenen Fachgesellschaften und Ex- wichten oder Kleingeräten durchgeführt Einhergehend mit verbesserten Prognosen perten sprechen leicht differierende Emp- werden. Vergleichbar effektiv können und längerer Überlebensdauer werden fehlungen aus. Einig sind sie jedoch darin, zum Beispiel auch Übungen mit dem eige- onkologische Erkrankungen zunehmend dass regelmäßige moderate Bewegung nen Körpergewicht, wie Liegestütze, zu chronischen Erkrankungen, da die Über- das Erkrankungsrisiko deutlich senken Klimmzüge, Situps etc. sein. lebenden unter anderem auch langfristig kann. Häufig wird auf die allgemeinen noch unter den Folgen von Erkrankung und Bewegungsempfehlungen der Weltge- Therapie leiden. Folglich gewinnen neben sundheitsorganisation (WHO) verwiesen. Wirkmechanismen körperlicher der primären und akuten Therapie die Zudem wird gefordert, die mit Sitzen ver- Aktivität in der Prävention Nachsorge und langfristige Gesundheits- brachte Zeit möglichst zu reduzieren [3]. förderungsmaßnahmen inklusive Sport- Vergleichbar zur nur unvollständig mögli- und Bewegungstherapie an Bedeutung. WHO-Bewegungsempfehlungen chen Beschreibung der Karzinogenese für Erwachsene bleibt auch die Identifikation der Mecha- 2. Bewegung in der Prävention nismen über die körperliche Aktivität prä- • Erwachsene sollten möglichst mindes- ventiv wirkt, aktuell eine große Heraus- Krebs ist ein sehr heterogenes Krankheits- tens 150 Minuten/Woche Ausdauer- forderung. Die vermuteten Mechanismen bild. Die Ätiologie vieler Krebsentitäten ist aktivität mit moderater oder 75 Minu- greifen ineinander und unterscheiden sich 228 | Hessisches Ärzteblatt 4/2018
Fortbildung unter Berücksichtigung individueller Ein- schränkungen und Kontraindikationen in jeder Phase der Erkrankung und Therapie sicher durchführbar und vorteilhaft ist. Ausdauertraining Die am häufigsten untersuchen Ausdauer- trainingsformen sind Fahrradergometer- training, Walking und Nordic Walking. Ein Foto: Evgeniy Kalinovsky – dreamstime.com Großteil der vorliegenden Studien wurden bei Brustkrebs-, Prostata-, und Kolorektal- karzinompatienten während oder nach der Therapie durchgeführt. Zusammen- fassend lässt sich feststellen, dass Ausdau- ertraining die Lebensqualität der Patien- ten signifikant verbessern [11–14] und die Fatigue-Symptomatik deutlich min- dern kann [7, 14–19]. Weitere mögliche Regelmäßige moderate Bewegung kann das Erkrankungsrisiko deutlich senken. Effekte eines Ausdauertrainings, welche in Studien bereits nachgewiesen werden konnten, umfassen unter anderem eine zwischen den Krebsentitäten. Diskutiert inaktiven, gleichaltrigen Personen des Verbesserung der körperlichen Leistungs- werden direkte Wirkmechanismen von gleichen Geschlechts weisen onkologi- fähigkeit, eine Reduktion von kardiovas- körperlichem Training, wie beispielsweise sche Patienten eine um bis 30 % reduzier- kulären Risikofaktoren und haben einen die günstige Beeinflussung von Wachs- te kardiorespiratorische Fitness auf [8, 9]. positiven Einfluss sowohl auf psychosozia- tumsfaktoren und anti-oxidativem Stress. Zudem leiden viele onkologische Patien- le Parameter als auch depressive Sympto- Potentielle indirekte Mechanismen tragen ten an schwerwiegenden, unter anderem matiken. primär über die Verbesserung der Körper- auch weiteren altersassoziierten, Komor- zusammensetzung und konsekutive biditäten. Krafttraining Effekte zur Reduktion des Erkrankungs- Für viele Patienten ist die Fatigue-Symp- Neue Studien zeigen, dass auch Krafttrai- risikos bei. Umfassende narrative Über- tomatik eine der Nebenwirkungen, wel- ning bei onkologischen Patienten sicher sichten zu den möglichen Mechanismen che die Lebensqualität am deutlichsten durchführbar und therapeutisch sinnvoll finden sich bei Thomas und Kollegen [4]. beeinträchtigt. Fatigue ist ein physischer, ist. Wenngleich die Effekte von Krafttrai- mentaler und kognitiver Erschöpfungszu- ning auf die Fatigue-Symptomatik und die 3. Bewegungstherapie stand, der zu einer weiteren Reduktion Lebensqualität weniger eindeutig als beim bei Krebserkrankungen körperlicher Aktivität führt und somit eine Ausdauertraining [20, 21] sind, kann negative Spirale begünstigen kann. Die Krafttraining die Körperzusammenset- Krankheits- und therapiebedingte Prävalenz von Fatigue während der The- zung günstig verändern und zu großen Veränderungen der körperlichen Leis- rapie reicht von 25 % bis 99 %, je nach En- Kraftzuwachs in den trainierten Extremi- tungsfähigkeit onkologischer Patienten tität und Therapieart, und kann unter Um- täten führen [20– 23]. Gegen anfängliche Die körperliche Leistungsfähigkeit onko- ständen zum Therapieabbruch führen. Befürchtungen verursacht bzw. ver- logischer Patienten wird nicht nur durch Die Symptomatik verbessert sich häufig schlimmert Krafttraining kein Brustkrebs- die Erkrankung selbst, sondern auch im ersten Jahr nach Therapieende. Trotz- assoziiertes Lymphödem, sondern kann durch die Nebenwirkungen der Therapien dem berichten ein Viertel bis ein Drittel dieses sogar positiv beeinflussen [24]. vermindert. Einige Daten legen nahe, dass der Patienten auch noch zehn Jahre nach Krebsüberlebende schon vor der Diagnose Diagnose und Therapie von Fatigue [10]. Intervalltraining überproportional häufig inaktiv waren Intervalltraining ist eine im Leistungs- [5], und oft ihre körperliche Aktivität Bewegungstherapie bei onkologi- sport seit vielen Jahren etablierte Trai- noch weiter reduzieren [6]. Die aggressi- schen Erkrankungen ningsmethode mit aufeinanderfolgenden ven Therapien schädigen oftmals das kar- Belastungs- und Erholungsphasen. Die diovaskuläre, pulmonale, neurologische Noch in den 1980er-Jahren galt die Emp- Anzahl der Phasen und die jeweiligen und endokrine, sowie das Muskel-Skelett- fehlung, onkologische Patienten sollten Intensitäten können variabel gestaltet und Immunsystem [7]. Diese Nebenwir- sich körperlich schonen; häufig wurde ih- werden. Ein spezifisches Training ist das kungen manifestieren sich akut oder nen Bettruhe verordnet. Heute liegt Evi- HIIT (high intensity interval training), in verzögert und können reversibel oder lang denz auf dem höchsten wissenschaftli- dem die Belastungsphase sehr kurz ist – anhaltend sein. Im Vergleich zu gesunden, chen Niveau vor, dass Bewegungstherapie je nach Protokoll zwischen zehn Sekun- Hessisches Ärzteblatt 4/2018 | 229
Fortbildung den bis ca. vier Minuten. Gleichzeitig ist Schmerzen, Kribbeln in den Händen und tige Erkenntnis war zudem, dass dieser die Intensität sehr hoch – nah an der Füßen, Taubheitsgefühl und Muskel- protektive Effekt unabhängig von Adipo- maximalen Leistungsfähigkeit. Diese Me- schwäche [26], die bei vielen Patienten sitas bestand [37]. thode hat sich in jüngerer Zeit auch bei lange anhalten [27] und die Lebensquali- unterschiedlichen Patientenkollektiven tät, Mobiliät und Gleichgewichtsfähigkeit Wirkmechanismen körperlicher als effektiv und sicher durchführbar vermindern können. Eine aktuelle Über- Aktivität in der Therapie erwiesen [32, 33]. Die nun vorliegenden sichtsarbeit zeigt, dass kombiniertes ersten Untersuchungen zeigen, dass HIIT Ausdauer-, Kraft- und sensomotorisches Die biologischen Mechanismen, die den auch von onkologischen Patienten gut Training die Symptome möglicherweise positiven Effekten von körperlicher Aktivi- toleriert wird und Lebensqualität, kör- reduzieren oder diesen sogar vorbeugen tät bei onkologischen Patienten zu Grun- perliche Leistungsfähigkeit und kardio- kann [28]. Bisherige Studien haben de liegen, sind noch unzureichend vaskuläre Risikofaktoren ähnlich günstig jedoch noch keine Patienten mit beson- beschrieben. Es werde komplexe Wirkun- beeinflussen kann wie ein moderates deres stark ausgeprägten Symptomen gen und Interaktionen vermutet. Bspw. Dauertraining [34, 35]. berücksichtigt, weshalb noch keine Aus- wird die Reduktion der Fatigue-Sympto- sagen zur Machbarkeit und Effektivität matik auf unterschiedliche bewegungsin- Kognitive Effekte eines Trainings in diesem Kollektiv duzierte physiologische Anpassungen wie getroffen werden können. zum Beispiel im Muskelstoffwechsel, der Wie oben erwähnt, können Erkrankung Zytokinausschüttung, Blutbildverände- und Therapie auch das neurologische Sys- Rezidivprophylaxe, Mortalität rungen sowie bei entzündlichen Prozes- tem negativ beeinflussen. Dies manifes- sen und Parametern zurückgeführt [38]. tiert sich unter anderem in kognitiven Eine entscheidende Frage ist, ob Bewe- Im Hinblick auf die Effekte bezüglich der Beeinträchtigungen im Bereich Aufmerk- gung letztlich einen Überlebensvorteil er- Prognose werden abhängig von Krebsart samkeit, Konzentration und exekutiver möglicht. Eine aktuelle, Beobachtungsstu- und Trainingsform variierende Mechanis- Funktionen. Schätzungsweise sind bis zu dien zusammenfassende, Übersichtsar- men angenommen. [39–41]. Insgesamt 70 % der Patienten unmittelbar nach einer beit schlussfolgert, dass Bewegung das liegt jedoch erst eine begrenzte Anzahl an Chemotherapie hiervon betroffen, und Sterberisiko bei Brust-, Darm- und Prosta- Studien unter Berücksichtigung von mög- circa 30 % berichten von solchen takrebs um durchschnittlich ca. 38 % sen- lichen relevanten Biomarkern mit teils in- Einschränkungen auch viele Jahre nach ken kann [36]. Des Weiteren scheint eine konsistenten Resultaten vor. Therapieende. Eine aktuelle Übersichtsar- hohe kardiorespiratorische Fitness mit ei- beit fand erste Hinweise dafür, dass Bewe- nem reduzierten Sterblichkeitsrisiko in Bewegungsempfehlungen gungstherapie in mehreren kognitiven Zusammenhang zu stehen. Eine aktuelle für Krebspatienten Domänen zu einer Verbesserung der Meta-Analyse hat an Krebs erkrankte Funktion führen kann [25]. Personen je nach Fitnessstatus in drei Die Heterogenität onkologischer Erkran- Gruppen geteilt und das Mortalitätsrisiko kungen und Stadien, die unterschiedli- Neuropathie nach einem durchschnittlichen Follow- chen Therapien sowie der differierende Up von 16,4 Jahren ausgewertet. Vergli- Gesundheits- und Fitnesszustand der Periphere Neuropathien können durch chen mit unfitten Patienten wiesen die Patienten erlaubt aktuell nur bedingt die Erkrankung selber oder durch die Fittesten ein um 45 % und die in der mitt- krebsspezifische oder konkrete Empfeh- Chemo- und Strahlentherapie bedingt leren Fitnessgruppe ein um 20 % niedri- lungen zu formulieren. Möglich sind eher werden. Typische Symptome sind geres Sterblichkeitsrisiko auf. Eine wich- allgemeine Vorgaben. Patienten ohne Kontraindikationen und in stabilem Zustand können sich an den allgemeinen Multiple Choice-Fragen Bewegungsempfehlungen orientieren. Wichtig für die Trainingsplanung und Die Multiple Choice-Fragen zum Artikel Mitglieder-Portal vom 25.03.2018 bis -gestaltung ist, wie oben skizziert, dass „Sport- und Bewegung in der Prävention 24.03.2019 möglich. Die Fortbildung ist sehr viele onkologische Patienten eine und Therapie von onkologischen Erkran- mit zwei Punkten zertifiziert. Mit Absen- eingeschränkte körperliche Leistungs- kungen“ von Prof. Dr. med. Dr. Winfried den des Fragebogens bestätigen Sie, fähigkeit aufweisen. Zudem können sich Banzer et al. finden Sie im Mitglieder-Por- dass Sie dieses CME-Modul nicht bereits fluktuierende Ausprägungen der Neben- tal der Landesärztekammer Hessen an anderer Stelle absolviert haben. Die- wirkungen, insbesondere der Fatigue- (LÄKH) (https://portal.laekh.de) sowie ser Artikel hat ein Peer-Review-Verfah- Symptomatik im Zeitverlauf stark unter- auf den Online-Seiten des Hessischen ren durchlaufen. Die Inhalte des Artikels schiedlich bemerkbar machen, und somit Ärzteblattes (www.laekh.de). Die Teil- sind produkt- und/oder dienstleistungs- eine variierende Tagesform bedingen. nahme zur Erlangung von Fortbildungs- neutral. Es bestehen keine Interessen- Dies impliziert, dass allgemeine Bewe- punkten ist ausschließlich online über das konflikte der Autoren. gungsempfehlungen bei vielen Patienten nur langfristige Ziele sein können. Eine 230 | Hessisches Ärzteblatt 4/2018
Fortbildung graduelle Steigerung der körperlichen bedingte Kontraindikationen und Beson- sowie für die Trainingsplanung, Beratung Aktivität [42] und Berücksichtigung indi- derheiten für das Training wurden von und Motivation der Patienten. vidueller Möglichkeiten und Präferenzen verschiedenen Expertengruppen zusam- scheinen daher sinnvoll. Grundsätzlich mengefasst [7]. Die enge Abstimmung Dr. phil. Eszter Füzéki gilt: Jede Bewegung besser ist als keine mit dem behandelnden Onkologen/Haus- Abteilung Sportmedizin, [43]. arzt ist essenziell, um die Entscheidung Goethe-Universität Frankfurt hinsichtlich einer gefährdungsfreien Be- Kontakt per E-Mail: 4. Sportmedizinische Beratung lastbarkeit abzusichern [47]. Dabei sollte auch der klinische Status unter Berück- Dr. phil. Katharina Schmidt Bei der sport- und bewegungstherapeuti- sichtigung der Diagnosen inkl. Labortests Klinik für Onkologie und Hämatologie, schen Betreuung onkologischer Patien- wie Blutwerten, aktuellen und vorange- Krankenhaus Nordwest ten müssen sowohl die krankheits- wie gangenen Behandlungen, einer medizini- auch therapiebedingte Folgen und indivi- schen Anamnese und gegebenenfalls ei- Prof. Dr. med. Dr. phil. duelle Möglichkeiten beachtet werden. ner Echokardiographie und einem Ruhe- Winfried Banzer Generell sollten die üblichen Kontraindi- EKG berücksichtigt werden [42, 48–50]. Abteilung Sportmedizin, kationen bzgl. Bewegungstherapie und Nach Freigabe durch den Onkologen bie- Goethe-Universität Frankfurt Belastungstests sowie Regeln zu sport- tet eine sportmedizinische Untersuchung medizinischen Voruntersuchungen (in- (nach DGSP-Richtlinien) inklusive Belas- ternistisch, orthopädisch) für Gesunde tungs-EKG und gegebenenfalls weiteren Literaturangaben und Abb. 1 finden und chronisch Erkrankte [44, 45, 46], klinischen Diagnostiken [42, 50] eine op- sich auf der Website www.laekh.de, auch für Krebspatienten Berücksichti- timale Basis zum Ausschluss unbekannter Rubrik „Hessisches Ärzteblatt“. gung finden. Weitere tumor-/therapie- Kontraindikationen bzw. Komorbiditäten Blauer Ratgeber Nr. 48 Rehabilitationssport – Ganzheitliches Training für Mit der Nummer Krebspatienten in der Rehabilitation und Nachsorge 48 aus der Reihe Rehabilitationssport ist verordnungsfä- Rehabilitation nach § 44 Abs. 1 Nr. 3 und „Die Blauen Rat- higes, dem individuellen Status ange- 4 SGB IX unter folgenden Voraussetzun- geber“ informie- passtes körperliches Training unter qua- gen übernehmen: ren Deutsche lifizierter Betreuung, das regelmäßig in • Verordnung bzw. Antrag auf För- Krebshilfe und einer Kleingruppe stattfindet. Das Trai- derung durch den behandelnden Arzt. Deutsche Krebs- ning verfolgt eine ganzheitliche Ausrich- • Die „Verordnung für Rehabilitations- gesellschaft über tung zur umfassenden Förderung der sport“ (Muster 56) soll enthalten: Hilfen und Per- biopsychosozialen Gesundheit – somit – Diagnose und gegebenenfalls spektiven rund um das Thema „Bewe- von Lebensqualität, Mobilität, Teilhabe Nebendiagnosen, wenn diese gung und Sport bei Krebs“, so der Titel. sowie Hilfe zur Selbsthilfe. berücksichtigt werden müssen. Denn Bewegung und Sport beeinflus- Neben den direkten Effekten – wie z. B. – Gründe und Ziele, weshalb Rehabi- sen den Krankheitsverlauf bei Krebs der Verbesserung von Kraft, Ausdauer, litationssport erforderlich ist. positiv. Nr. 48 will darüber informieren, Koordination und Beweglichkeit – wer- – Dauer und Anzahl der wöchentlich welche sportlichen Aktivitäten für den indirekte, langfristige Effekte u. a. notwendigen Übungseinheiten Krebsbetroffene überhaupt möglich durch gruppendynamische Prozesse so- (in der Regel ein bis zwei). sind. Schwerpunktmäßig geht es um wie die Bindung an körperliche Aktivität – Empfehlung zur Auswahl der Sport und die Bewegungstherapie in angestrebt. Zudem sollen psychosoziale geeigneten Sportart. der Rehabilitation, aber auch während Krankheitsfolgen bewältigt werden – Informationen dazu gibt es bei den je- der Therapie. Die Stiftung Deutsche dabei gehören u. a. auch Entspannungs- weiligen Kostenträgern. Vor Beginn Krebshilfe informiert zu allen Fragen, übungen dazu. Onkologischen Patienten müssen die Patienten dort selbst eine die Betroffene haben können – im per- können in der Regel 50 Einheiten bud- Zusage zur Kostenübernahme einholen. sönlichen Beratungsgespräch, weite- getfrei verordnet werden, die innerhalb Lizensierte Rehasport-Angebote für ren Broschüren sowie im Internet. von 18 Monaten erfolgen müssen. Krebspatienten können über den Hessi- • Internet: www.krebshilfe.de Verordnungsfähigkeit*: Die Renten- und schen Behinderten- und Rehasportver- Fon: 0228 72990-0 | E-Mail: Krankenversicherung können Rehabilita- band oder den Landessportbund recher- deutsche@krebshilfe.de tionssport als ergänzende Leistung zur chiert werden. Dr. Katharina Schmidt • Hotline Infonetz Krebs: * Quelle: Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (2011). Rahmenvereinbarung über den Rehabilitationssport Fon: 0800 80708877 und das Funktionstraining, Frankfurt/Main. Hessisches Ärzteblatt 4/2018 | 231
Fortbildung Multiple Choice-Fragen: Sport- und Bewegung in der Prävention und Therapie von onkologischen Erkrankungen VNR: 2760602018152540002 (nur eine Antwort ist richtig) 1. Die Anzahl der Krebs Neuerkrankun- 5. Welche Aussage zum Krafttraining ist 9. Welche Aussage ist richtig? gen in Deutschland liegt bei ca.: richtig? 1) Die biologischen Mechanismen, die 1) 553.000 bei den Männern und 930.000 1) Krafttraining verursacht Brustkrebs- den positiven Effekten von körperli- bei den Frauen assoziiertes Lymphödem. cher Aktivität bei onkologischen Pa- 2) 53.000 bei den Männern und 30.000 2) Krafttraining kann für onkologische tienten zu Grunde liegen, sind eindeu- bei den Frauen Patienten auf keinen Fall empfohlen tig beschrieben. 3) 253.000 bei den Männern und 230.000 werden. 2) Das sogenannte high intensity interval bei den Frauen 3) Krafttraining kann die Körperzusam- training ist wirksamer in der Verbesse- 4) 1.253.000 bei den Männern und mensetzung onkologischer Patienten rung der Lebensqualität onkologischer 1.230.000 bei den Frauen günstig beeinflussen. Patienten als ein moderates Dauertrai- 4) Krafttraining kann man ausschließlich ning. 2. Welche Aussage zu onkologischen im Fitnessstudio an Geräten durchfüh- 3) Beobachtungsstudien legen nahe, dass Erkrankungen ist richtig? ren. Bewegung das Sterberisiko bei Brust-, 1) Onkologische Erkrankungen sind gänz- Darm- und Prostatakrebs um durch- lich genetisch bedingt. 6. Welche Aussage zur Fatigue ist richtig? schnittlich ca. 38 % senken kann. 2) Ca. 30 % der Fälle von onkologischen 1) Die Prävalenz von Fatigue während der 4) Der Fitnessstatus onkologischer Pa- Erkrankungen stehen mit modifizier- Therapie ist mit ca. 5–10 % relativ ge- tienten steht nicht in Zusammenhang baren Lebensstil- und Umweltfaktoren ring. mit dem Mortalitätsrisiko. im Zusammenhang. 2) Fatigue ist ein physischer, mentaler 3) Die Ätiologie onkologischer Erkran- und kognitiver Erschöpfungszustand. 10. Welche Aussage ist richtig? kungen ist weitestgehend geklärt. 3) Fatigue beeinflusst die Therapie nicht. 1) Jeder onkologische Patient kann das 4) In der Therapie onkologischer Erkran- 4) Für die meisten Patienten bedeutet gleiche Trainingsprogramm absolvie- kungen gibt es seit Jahren keine neuen Fatigue keine Lebensqualitätseinbuße. ren. Entwicklungen. 2) Bei der sportmedizinischen Beratung 7. Welche Systeme werden von Therapien bei onkologischen Patienten müssen 3. Die präventiven Effekte der Bewegung häufig geschädigt? therapiebedingte Folgen und individu- sind am besten nachgewiesen im Falle 1) keine elle Möglichkeiten beachtet werden. von 2) nur das Immunsystem 3) Bei der sportmedizinischen Beratung 1) Lungenkrebs 3) das kardiovaskuläre und das pulmonale liegen keine Regel zu Voruntersuchun- 2) Bauspeicheldrüsenkrebs System gen und Kontraindikationen vor, der 3) Leukämie 4) Das kardiovaskuläre, pulmonale, neu- Sportmediziner muss sich auf sein 4) Kolon-, Mamma- und Endometriums- rologische und endokrine sowie das Bauchgefühl verlassen. karzinomen Muskel-Skelett- und Immunsystem 4) Eine etwaige graduelle Steigerung der körperlichen Aktivität ist bei onkologi- 4) Welche Aussage ist richtig? 8. Welche Aussage zur Trainingsplanung schen Patienten unwichtig. 1) Ausdauertraining kann zur Verbesse- und -gestaltung ist richtig? rung der kardiorespiratorischen Fitness 1) Viele onkologische Patienten weisen und der körperlichen Funktionen onko- eine eingeschränkte körperliche Leis- logischer Patienten führen. tungsfähigkeit auf. 2) Die meisten onkologischen Patienten 2) Die Tagesform onkologischer Patien- werden nach der Diagnose körperlich ten ist typischerweise stabil. aktiver. 3) Wenn onkologische Patienten nicht 3) Die körperliche Leistungsfähigkeit on- mindestens 2,5 Stunden in der Woche kologischer Patienten ist vergleichbar aktiv sind, sollten sie lieber gar keine mit der Gesunden gleichaltrigen. Aktivität durchführen. 4) Komorbiditäten treten bei onkologi- 4) Onkologische Patienten sollten sich schen Erkrankungen nicht auf. schonen, möglichst viel liegen und sitzen.
Fortbildung Abb. 1: In Deutschland sind im Jahr 2013 etwa 253.000 Männer und 230.000 Frauen an Krebs neu erkrankt. Bei Frauen sind Mam- ma-, Kolon-, und Bronchialkarzinom, bei Männern Prostata-, Bronchial-, und Kolonkarzinome die häufigsten Entitäten [nach 1]. Literatur zum Artikel: Sport- und Bewegung in der Prävention und Therapie von onkologischen Erkrankungen von Dr. phil. Eszter Füzéki, Dr. phil. Katharina Schmidt und Prof. Dr. med. Dr. Winfried Banzer [1] destatis. Gestorbene nach ausge- American Cancer Society Guide for [10] Bower JE. Cancer-related fatigue-- wählten Todesursachen. Online: Informed Choices. CA: A Cancer Jour- mechanisms, risk factors, and treat- https://www.destatis.de/DE/Zah nal for Clinicians 2006; 56: 323–353 ments. Nature reviews. Clinical onco- lenFakten/GesellschaftStaat/Ge logy 2014; 11: 597–609 sundheit/Todesursachen/Tabellen/ [6] Irwin ML. Physical activity interventi- EckdatenTU.html ons for cancer survivors. British jour- [11] Mishra SI, Scherer RW, Geigle PM et nal of sports medicine 2009; 43: al. Exercise interventions on health- [2] Barnes B, Hrsg. Bericht zum Krebs- 32–38 related quality of life for cancer survi- geschehen in Deutschland 2016. vors. The Cochrane database of sys- Berlin: Robert Koch-Institut; Novem- [7] Schmitz KH, Courneya KS, Matthews tematic reviews 2012: CD007566 ber 2016 C et al. American College of Sports Medicine roundtable on exercise gui- [12] Ferrer RA, Huedo-Medina TB, John- [3] Leitzmann M, Powers H, Anderson delines for cancer survivors. Medici- son BT et al. Exercise interventions AS et al. European Code against Can- ne and science in sports and exercise for cancer survivors. A meta-analysis cer 4th Edition. Physical activity and 2010; 42: 1409–1426 of quality of life outcomes. Annals of cancer. Cancer epidemiology 2015; behavioral medicine : a publication of 39 Suppl 1: S46–55 [8] Steins Bisschop CN, Velthuis MJ, Wit- the Society of Behavioral Medicine tink H et al. Cardiopulmonary exerci- 2011; 41: 32–47 [4] Thomas RJ, Kenfield SA, Jimenez A. se testing in cancer rehabilitation. A Exercise-induced biochemical systematic review. Sports medicine [13] Gerritsen JKW, Vincent AJPE. Exerci- changes and their potential influence (Auckland, N.Z.) 2012; 42: 367–379 se improves quality of life in patients on cancer. A scientific review. British with cancer. A systematic review and journal of sports medicine 2017; 51: [9] Jones LW, Liang Y, Pituskin EN et al. meta-analysis of randomised con- 640–644 Effect of exercise training on peak trolled trials. British journal of sports oxygen consumption in patients with medicine 2016; 50: 796–803 [5] Doyle C, Kushi LH, Byers T et al. Nu- cancer. A meta-analysis. The oncolo- trition and Physical Activity During gist 2011; 16: 112–120 [14] Mishra SI, Scherer RW, Snyder C et al. and After Cancer Treatment. An Are exercise programs effective for
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