Wahlen in Myanmar: Die Konsolidierung autoritärer Herrschaft
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Nummer 10 2010 ISSN 1862-359X Wahlen in Myanmar: Die Konsolidierung autoritärer Herrschaft Marco Bünte In Myanmar fanden am 7. November 2010 erstmals seit 20 Jahren wieder Wahlen statt. Die Abstimmungen wurden von der vom Militär aus der Taufe gehobenen Union Soli- darity and Development Party (USDP) gewonnen. Analyse Die Wahlen bedeuten nicht den Übergang Myanmars zur Demokratie, sondern den Umbau des Militärregimes zu einem von einer hegemonialen Partei kontrollierten poli- tischen System, in dem das Militär weitreichende Vorrechte besitzt. Damit hat die Füh- rungselite ihre Herrschaft stabilisiert, da sie sich neben dem Militär selbst auch auf die neue Regimepartei stützen kann. Das Militärregime hat einen Wandel von einer direkten zu einer indirekten Form der Herrschaft eingeleitet. Das Militär besitzt darin zahlreiche Vorrechte, der Raum ziviler Kräfte ist bislang nicht absehbar. Die Wahlen wurden vom Militärregime durch eine Vielzahl von legalen und admi- nistrativen Maßnahmen derart manipuliert, dass Oppositionsparteien keine Sieg- chancen hatten. Die Wahlen entsprachen in ihrer Organisation und Durchführung nicht internationalen Standards. Die Regimepartei der USDP hat die Wahlen mit großem Abstand gewonnen. Die Opposition hat sich durch die Wahlen gespalten. Die moderate National Demo- cratic Force (NDF) kam dabei lediglich auf 16 Sitze und ist dadurch erheblich ge- schwächt. Durch die Freilassung von Aung San Suu Kyi erhält die Opposition neuen Auftrieb, den sie vorerst nutzen muss, um die Spaltung der Nationalen Liga für Demokratie (NLD) zu überwinden. Der gemeinsame Kampf gegen die Wahlfälschung könnte einigendes Moment aller Oppositionsparteien sein. Die ethnischen Gruppen haben vor allem in den Regionalparlamenten eine be- trächtliche Anzahl von Mandaten errungen. Daraus ergeben sich Chancen für neue lokale Machtstrukturen, die in Zukunft für die Aushandlung von mehr lokaler Au- tonomie genutzt werden könnten. Schlagwörter: Myanmar, Wahlen, Opposition, ethnische Gruppen, Menschenrechte www.giga-hamburg.de/giga-focus
Myanmars Übergang zur „disziplinierten“ sche wahrscheinlich machen (Geddes 1999). Dar- Demokratie über hinaus können sie sich auf keine Legitimie- rung der Bevölkerung stützen. Der Umbau des Myanmars Wahlen vom 7. November 2010 waren politischen Systems war nicht von einer allge- die ersten seit 20 Jahren. Aus den letzten Wahl- meinen Liberalisierung begleitet, sondern wur- en des Jahres 1990 ging die oppositionelle Natio- de von der Militärspitze gezielt gesteuert. Hier- nale Liga für Demokratie (NLD) als klarer Sieger bei entstanden in den letzten Jahren kleinere Frei- hervor. Das Militärregime erkannte das Ergebnis räume, die von politischen Aktivisten und zivilge- jedoch nicht an, sondern gab im Nachhinein be- sellschaftlichen Organisationen genutzt wurden. kannt, dass es sich um Wahlen zur Nationalver- Nach dem Zyklon Nargis entwickelten sich zahl- sammlung gehandelt hätte. Eine Machtübertra- reiche Nichtregierungsorganisationen, die die Mi- gung fand nicht statt, das Militär regierte per De- litärregierung tolerierte. Mit Hilfe der neuen Me- kret weiter. Dem Militär gelang es in der Folgezeit, dien wurde auch die Kommunikation offener, so- seine Herrschaft weiter zu konsolidieren. Die Ab- dass politische Fragen verstärkt diskutiert wur- geordneten der Opposition wurden vielfach ver- den. Derartige Freiräume hatten jedoch keiner- folgt und eingesperrt: Oppositionsführerin Aung lei Auswirkungen auf die Ausgestaltung des poli- San Suu Kyi verbrachte 15 der letzten 21 Jahre in tischen Systems, das vom Militär dominiert wur- Hausarrest, zahlreiche Mitglieder der NLD wur- de und oppositionellen oder ethnischen Gruppen den verhaftet oder flohen ins Ausland. Die Anzahl kaum Mitspracherechte einräumte: In den letzten politischer Gefangener blieb in den letzten Jahren Jahren hatte das Militärregime eine Nationalver- mit rund 2.000 Inhaftierten anhaltend hoch. Mit sammlung eingesetzt, die in vier Sitzungen (2003- drakonischen Gesetzen schränkte die Militärjun- 2007) eine neue Verfassung ausarbeiten sollte und ta die bürgerlichen Freiheitsrechte ein. In den in- an denen größtenteils vom Militär ausgesuchte ternationalen Ranglisten zur Demokratisierung Personen teilnahmen. Der Diskussionsspielraum und Durchsetzung bürgerlicher Freiheiten schnei- in der Nationalversammlung war von vornherein det Myanmar seit Jahren schlecht ab. Die Militär- beschränkt, da die Grundprinzipien der Staatsor- regierung geriet aufgrund der Menschenrechts- ganisation bereits vorgegeben waren. situation im Lande immer wieder in die Kritik, Die neue Verfassung schreibt die Führungs- zuletzt bei der Niederschlagung der Mönchsde- rolle der Streitkräfte in der Politik fest. Sie reser- monstrationen im Jahr 2007 oder bei den Verwüs- viert rund ein Viertel der Sitze im Ober- und Un- tungen durch den Zyklon Nargis im Mai 2008, als terhaus und in den Regionalparlamenten für Mi- die Junta sich weigerte, internationale Hilfsgüter litärangehörige. Wichtige Ministerposten, wie das ins Land zu lassen. Nach Meinung von Human Innen- und das Verteidigungsministerium und Rights Watch hat sich die Menschenrechtssitua- das Ministerium für Grenzangelegenheiten sind tion im Lande im Jahr 2009 erneut verschlechtert für Militärs reserviert. Innerhalb der Exekutive (HRW 2010). wird ein mächtiger Verteidigungs- und Sicher- Um die Kritik der internationalen Gemein- heitsrat geschaffen, der unter dem Befehl hoher schaft nach der erneuten Festsetzung von Aung Militärs steht und im Falle einer Gefährdung der San Suu Kyi abzumildern, verkündete General nationalen Sicherheit den Notstand ausrufen und Khin Nyunt im Herbst 2003 einen Sieben-Punkte- die Regierungsgeschäfte übernehmen kann. Den Fahrplan zur Einführung einer „disziplinierten Streitkräften kommt folglich innerhalb des neu Demokratie“. Dabei handelt es sich jedoch nicht entstehenden zivilen Systems eine große Macht- um den Übergang zu demokratischen Verhält- fülle zu. Es steht außerhalb jeglicher ziviler Kon- nissen, sondern um die stärkere Institutionalisie- trolle, da dem Militär das Recht zur Selbstverwal- rung der Herrschaft der gegenwärtigen militä- tung und der Erledigung der eigenen Angelegen- rischen Elite. Militärregime wie Myanmar gelten heiten zugesprochen wird. Die Militärs genießen allgemein als besonders instabil, da sie durch Zer- darüber hinaus Immunität. splitterung zu Cliquenbildung neigen und Put- Der ethnischen und religiösen Vielfalt des Viel- völkerstaates wird kaum Rechnung getragen. Es ������������������������������������������������������� Im Folgenden wird lediglich die Landesbezeichnung Myan- wird ein zentralistischer Einheitsstaat geschaf- mar verwendet. Dies beinhaltet keine politische Stellungnah- fen, der den Regionen nur wenig Autonomie ein- me, sondern reflektiert den offiziellen Sprachgebrauch der räumt. Die neue Verfassung sieht ein Zweikam- Vereinten Nationen und des Auswärtigen Amtes. GIGA Focus Asien 10/2010 --
mer-Parlament vor, das aus dem Oberhaus (mit kale Faktion. Die NLD entschied sich, zum Wahl- 224 Sitzen) und dem Unterhaus (mit 440 Sitzen) boykott aufzurufen, während die moderate Na- besteht. Erstmals in der Geschichte wurden 14 Re- tional Democratic Force (NDF) bei den Wahlen gionalparlamente geschaffen, die ebenfalls am 7. antreten wollte. November zur Wahl standen. Die Wahlen vom 7. Darüber hinaus gab die Militärjunta den ge- November waren der fünfte Schritt des Fahrplans nauen Termin für die Wahl erst Mitte August be- zur „disziplinierten Demokratie“, der mit der Zu- kannt. Den Parteien blieb dadurch nur wenig Zeit sammenkunft der Parlamente, dem Inkrafttreten zum Aufbau funktionsfähiger Apparate. Sie muss- der neuen Verfassung und der Wahl des Staats- ten bis Ende August große Anstrengungen zur präsidenten durch beide Parlamente seinen Ab- Registrierung und Mitgliederwerbung unterneh- schluss findet. men. Ferner bedurfte es enormer finanzieller Res- sourcen, da es nach Maßgaben des Wahlgesetzes erforderlich war, pro Kandidat 500.000 MMK (500 USD) zu zahlen. Um landesweit antreten zu kön- Kontrollierter Wettbewerb und Repression vor nen, mussten die Parteien also über mindestens den Wahlen 250.000 USD verfügen. Die Oppositionsparteien, denen die Mittel fehlten, konnten so weitaus we- Der gesamte Wahlprozess wurde von der Militär- niger Kandidaten aufstellen als geplant. Die Re- regierung streng kontrolliert und manipuliert und gimepartei, die das Vermögen der Union Solidar- die Opposition systematisch in ihrem Wahlkampf ity and Development Association (USDA) erb- benachteiligt. Die im März ernannte 18-köpfige te, konnte sich hingegen auf staatliche finanziel- Wahlkommission bestand im Wesentlichen aus le Mittel stützen und landesweit Kandidaten ins handverlesenen, dem Regime loyal ergebenen Rennen schicken (Horsey 2010b). Personen. Die im März verkündeten Wahl- und Die Wahlgesetze benachteiligten die Oppo- Parteiengesetze behinderten die Opposition maß- sition auch im Anfang September beginnenden geblich: Nach Bestimmungen des Wahlgesetzes Wahlkampf. Laut Wahlkommission mussten Stra- mussten sich die Parteien bis zum 7. Mai neu re- ßenumzüge eine Woche vorher genehmigt wer- gistrieren und detaillierte Informationen über ihre den. Flugblätter und politische Programme muss- Führung, Programmatik und Mitgliedschaft vor- ten von der Zensurbehörde bewilligt werden. Kri- legen. Sie mussten in mindestens drei Wahlkrei- tik an der Politik der Militärregierung war ver- sen antreten und innerhalb von 90 Tagen 1.000 boten (Election Commission 2010a). Diese Vor- Mitglieder (bei regionalen Parteien 500) vorwei- schrift führte dazu, dass der Wahlkampf nicht auf sen. Laut Parteiengesetz durfte niemand, der ge- der Straße stattfand, sondern die Kandidaten von genwärtig eine Gefängnisstrafe verbüßt, an den Tür zu Tür gingen. Die Pressezensur wurde vor Wahlen teilnehmen. Kandidaten mussten darü- der Wahl noch einmal verschärft: Die Zensurbe- ber hinaus die letzten zehn Jahre im Land gelebt hörde verbot im Juli und Oktober zwei Wochen- haben. Nach Auffassung der NLD wurden damit zeitschriften. Die eine hatte die Verfassung kriti- Aung San Suu Kyi, zahlreiche politische Gefan- siert, die andere eine Karikatur von USDP-Mit- gene und Exilanten von der Wahl von vornher- gliedern abgedruckt. Die Geheimpolizei verhafte- ein ausgeschlossen. Die NLD entschloss sich des- te auch Mitglieder der NLD, die offen für einen halb, die Wahlen aufgrund mangelnder Fairness Boykott der Wahlen eintraten. Alles in allem zei- zu boykottieren. Die Opposition spaltete sich zu gen die restriktiven Wahlgesetze (NDI 2010), die diesem Zeitpunkt in eine moderate und eine radi- massive Einschränkung der Meinungs- und Ver- sammlungsfreiheit und die Behinderung der Op- ������������������������������������������������������� Ob Aung San Suu Kyi an den Wahlen hätte teilnehmen kön- position im Vorfeld ein Bild manipulierter Wahl- nen, war zu diesem Zeitpunkt nicht endgültig geklärt worden. en, die es der Junta ermöglichen sollten, ihre Herr- Gemäß den Bestimmungen sind lediglich die Personen, die schaft in zivilem Gewand fortzuführen. Internati- gegenwärtig eine Gefängnisstrafe verbüßen, von den Wahlen ausgeschlossen (Horsey 2010a). Zwar wurde Aung San Suu onale Wahlbeobachter ließ die Militärjunta nicht Kyi zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, diese wurde jedoch zu. Auch die Einreisebestimmungen wurden zum ausgesetzt und in einen Hausarrest umgewandelt. Nach Aus- sagen der Wahlkommission kurz vor der Wahl war Aung San Wahltermin hin verschärft: So wurde das kurze Suu Kyi außerdem in den Wählerlisten geführt worden und Zeit vorher eingeführte „visa on arrival“ wieder hätte so an der Wahl teilnehmen dürfen. Sie entschied sich je- doch für den Boykott. GIGA Focus Asien 10/2010 --
abgeschafft und Journalisten erhielten keine Ein- Die größte Oppositionspartei, die NLD, ent- reiseerlaubnis. schied sich nach der Sitzung ihres Exekutivkomi- tees am 29. März 2010, nicht zur Wahl anzutreten. Die Entscheidung fiel, nachdem die unter Hausar- rest stehende Parteiführerin Aung San Suu Kyi er- Dominanz der Regimepartei und Schwäche der klärt hatte, dass die Partei angesichts der unfairen Opposition Wahlgesetze die Registrierung verweigern sollte. Die NLD forderte nach wie vor die Umsetzung Die von der Junta ernannte Wahlkommission ließ des Wahlergebnisses des Jahres 1990 und lehnte insgesamt 37 Parteien zur Wahl zu. Hierbei han- sowohl den Fahrplan zur Demokratisierung als delte es sich in der Mehrzahl um kleinere Parteien auch die Verfassung der Militärregierung ab, da der ethnischen Minderheiten. Rund zwei Drittel beide ohne Teilnahme der Opposition entstanden der registrierten Parteien repräsentierten die In- sind. Ihre Strategie war es anscheinend, die Wahl- teressen der ethnischen Minderheiten, die Hälfte en des Jahres 2010 zu delegitimieren und die Jun- der Parteien stellten weniger als zehn Kandidaten ta an den Verhandlungstisch zu bringen, um über auf. Landesweit traten lediglich vier große Par- politische Reformen sprechen zu können. Die Ent- teien an: Auf Seiten des Regimes die Union Soli- scheidung, die Wahl zu boykottieren, war jedoch darity Development Party (USDP) und die Na- innerhalb der NLD nicht unumstritten und führte tional Unity Party (NUP); diesen Regimeparteien letztlich zur Spaltung der Opposition in eine mo- standen die zwei Parteien der Opposition, die Na- derate und eine radikale Faktion. Mehrere hoch- tional Democratic Force (NDF) und die Democrat- rangige NLD-Mitglieder kündigten an, der Li- ic Party (DP), gegenüber. nie der Parteiführung nicht folgen zu wollen. Sie Die USDP wurde von 27 ehemaligen Offizie- gründeten die NDF, die landesweit mit 163 Kandi- ren gegründet. Sie ging aus der 28 Millionen Mit- daten an den Start ging. Nach eigenen Aussagen glieder starken Union Solidarity Development will die NDF für Reformen innerhalb des neuen Association (USDA) – dem zivilgesellschaftlichen Systems und eine schrittweise Demokratisierung Arm des autoritären Regimes – hervor und wurde kämpfen. von Ex-General und Premierminister Thein Sein Die Democratic Party schaffte es aufgrund fi- angeführt. Im August fand ein weitreichender nanzieller Schwierigkeiten nicht, hinreichend Umbruch im Militär statt, als rund 70 Offiziere die Kandidaten zur Wahl zu stellen. Es gelang ihr Armee verließen und zu Parteisoldaten wurden. nicht, die finanziellen und administrativen Hür- Zahlreiche weitere Kandidaten der USDP sind zu- den zu überspringen, sodass sie lediglich einige dem dem Militärregime nahestehende Unterneh- wenige Kandidaten ins Rennen schickte. mer. Insgesamt ging die USDP mit 1.163 Kandi- daten landesweit an den Start. Dies spiegelt den organisatorischen und finanziellen Vorsprung der Regimepartei wider. Die Partei hat 16 bis 18 Mil- Die ethnischen Gruppen und die Wahlen lionen Mitglieder und enorme finanzielle Mittel, die sie Gerüchten zufolge zum Stimmenkauf und Myanmar ist ein Vielvölkerstaat. Die Birmanen zur Einschüchterung einsetzte. Die National Uni- stellen mit rund 60 Prozent die Mehrheitsethnie, ty Party (NUP) ist ein Überbleibsel der Burma So- während die hufeisenförmig um das Zentralge- cialist Programme Party (BSPP), die das Land vor biet siedelnden Völker der Rakhine, Chin, Kachin, dem Jahr 1988 regierte. Ihr Vorsitzender, Tun Yi, Shan, Karen und Mon zusammen rund ein Drit- war früherer Stellvertretender Chef der Streit- tel der Bevölkerung ausmachen. Die Militärregie- kräfte. Die Partei gilt deshalb auch als regimena- rung steht seit Jahrzehnten in Konflikt mit einigen he Partei, auch wenn ihre Mitglieder eher der Cli- ethnischen Gruppen und deren Milizen, die be- que von vor 1988 zuzurechnen sind. Bei den Wahl- reits seit der Staatsgründung im Jahr 1948 um die en im Jahr 1990 erhielt die Partei lediglich zehn Unabhängigkeit kämpfen oder nach mehr Auto- Sitze und musste sich der NLD geschlagen geben. nomie im Staat streben. Seit Ende der 1980er Jahre Sie stellte im Jahr 2010 landesweit 999 Kandidaten hat die Militärregierung mit den meisten militä- zur Wahl auf. risch bedeutsamen Gruppen Friedensabkommen geschlossen. Die 17 Abkommen sind jedoch größ- GIGA Focus Asien 10/2010 --
tenteils Gentlemen’s Agreements, die auf einer Die Wahlen vom 7. November 2010 Aufteilung der Ressourcen (Teak, Opium, Edel- steine) basieren und keine Abgabe der Waffen be- Am 7. November waren 29 Millionen Wahlbe- inhalten (Callahan 2007). Zu den wichtigsten Waf- rechtigte aufgerufen, in mehr als 40.000 Wahlloka- fenstillstandsparteien gehören die United Wa State len ihre Stimme abzugeben. Die Wahlen verliefen Party (UWSP), deren Armee (UWSA) etwa 20.000 im burmesischen Kernland insgesamt relativ ru- Soldaten zählt, die Kachin Independence Organi- hig. Es gab keine Berichte über gewalttätige Aus- sation (KIO), deren bewaffneter Flügel aus unge- einandersetzungen, auch Sicherheitskräfte hielten fähr 4.000 Mann besteht, und die Shan State Army. sich merklich zurück. Eine offizielle Bekanntga- Die bedeutendste noch kämpfende Aufstandsbe- be zur Wahlbeteiligung liegt zurzeit nicht vor, in- wegung ist die Karen National Union (KNU), die offiziellen Berichten zufolge lag sie bei 60 bis 70 an der Grenze zu Thailand operiert und deren Ar- Prozent. Gründe hierfür könnten die Einschüch- mee etwa 2.500 Soldaten umfasst. Zahlreiche Par- terungen und das allgemein vorherrschende Kli- teien der ethnischen Gruppen haben auch an der ma der Angst, die Apathie der Wähler in Anbe- Wahl im Jahr 1990 teilgenommen, deren Ergebnis tracht des bereits feststehenden Ergebnisses oder vom Militär nicht akzeptiert wurde. weitverbreitete Unwissenheit über die Wahlpro- Im März 2010 machte es die Junta zur Bedin- zeduren gewesen sein. Die Stimmen wurden lo- gung, die Milizen bis zu den Wahlen in Grenz- kal und im Beisein der Parteivertreter ausgezählt. schutztruppen (Border Guard Forces) umzuwan- Ähnlich wie bei der Volksabstimmung über die deln und dem Kommando des Militärs zu unter- Verfassung im Jahr 2008 hat das Regime Druck stellen. Während 17 Gruppierungen darauf ein- auf Staatsangestellte, Militärs und deren Fami- gingen, wiesen die größeren, wie die UWSA oder lien ausgeübt, ihre Stimmen schon vor dem ei- die KIO, die Forderungen von Beginn an zurück. gentlichen Wahltag abzugeben – abseits der Wahl- Auch die New Mon State Party und die Shan State lokale ergab sich so viel Raum für Einschüchte- Army North haben den Vorschlag abgelehnt. Da- rungen und Manipulationen. Bei der Auszählung mit einher ging die Befürchtung, dass nach den der Stimmen wurde deutlich, dass die Vorwahl- Wahlen in vielen Gebieten der Bürgerkrieg wieder stimmen das Kräfteverhältnis stark beeinflussten ausbrechen könnte. und den Sieg der USDP in vielen Wahlkreisen ga- Zahlreiche andere ethnische Parteien haben rantierten. Vor allem in Yangon und Mandalay sich im Vorfeld entschieden, bei den Wahlen an- hatte sich die NDF mehr Sitze versprochen. Schon zutreten. Verbunden war damit die Hoffnung, die am Wahlabend beschwerten sich Oppositionelle politische Blockade im Lande zu lösen und Vor- der NDF und der Shan Nationalities Democratic aussetzungen für wirtschaftliches Wachstum zur Party (SNDP) schriftlich bei der Wahlkommission Überwindung der Armut im Lande zu schaffen. Es über den Wahlbetrug. Die Führer der USDP gaben registrierten sich insgesamt 25 kleinere ethnische an, dass sie 80 Prozent der Sitze gewonnen hät- Parteien, die hauptsächlich in den Regionalparla- ten. Die ebenfalls als regimenah eingestufte NUP menten antraten. Nach Maßgaben des Parteienge- akzeptierte ihre Niederlage. Gleichzeitig gab sie setzes durften die Parteien keinen direkten oder aber bekannt, die Untersuchung der Unregelmä- indirekten Kontakt mit bewaffneten Gruppen auf- ßigkeiten unterstützen zu wollen. Zahlreiche zi- weisen. Die Wahlkommission ließ drei Parteien vilgesellschaftliche Organisationen kündigten an, aus dem Kachin-Staat nicht zur Wahl zu, vermut- die Wahlfälschungen dokumentieren zu wollen. lich weil die KIO es abgelehnt hatte, ihre Armeen NDF und SNDP gaben ebenfalls bei der Wahlkom- den Vorstellungen der Junta entsprechend in mission ihre Beschwerden ab. Die Hürden für offi- Grenztruppen umzuwandeln und die Waffen ab- zielle Beschwerden sind jedoch groß, da die Wahl- zugeben. Am 16. September entschied die Wahl- kommission eine Gebühr von 1.000 USD zur Un- kommission darüber hinaus, die Wahlen in 3.401 tersuchung von Unregelmäßigkeiten verlangt. Dörfern im Kachin-Gebiet und in den Staaten der Karen, Karenni, Mon und Shan aus Sicherheits- gründen auszusetzen. Diese Entscheidung führte zum Ausschluss von 1,5 Millionen Wählern und wurde von den Führern der ethnischen Gruppen stark kritisiert. GIGA Focus Asien 10/2010 --
Tabelle 1: Sitzverteilung im Ober- und Unterhaus und in den 14 Regionalparlamenten Partei Unterhaus Oberhaus 14 Regionalparlamente Gesamt Union Solidarity and Development Party (USDP) 259 129 496 884 National Unity Party 12 5 46 63 Shan Nationalities Democratic Party (SNDP) 18 3 36 57 Rakhine Nationalities Development Party 9 7 19 35 National Democratic Force (NDF) 8 4 4 16 3 4 9 16 All Mon Regions Democratic Party (AMRDP) Chin Progressive Party (CPP) 2 4 6 12 Pa-O National Organisation 3 1 6 10 Phalon-Sawaw Democratic Party 2 3 4 9 Chin National Party 2 2 5 9 Palaung National Party 1 1 4 6 Kayin People’s Party 1 1 4 6 Wa Democratic Party 2 1 3 6 Unity and Demcoracy Party of Kachin State 2 1 2 5 Inn Nationalities Development Party 1 0 3 4 Democratic Party (Myanmar) 0 0 3 3 Kayin State Democracy and Progressive 0 1 1 2 Party Unabhängige 1 1 4 6 Andere Parteien 0 0 7 7 Gesamt 326 168 662 1.156 Quelle: Election Commission 2010b. Das Ergebnis in den 1.156 Wahlkreisen zeigt den ethnischen Minderheiten (Chin, Kachin, Kayah, überwältigenden Sieg der Regimepartei. Die US- Kayin, Mon, Rakhine, Shan) hat die USDP zwar DP hat auch ohne den Block der ernannten Mili- eine beträchtliche Anzahl von Stimmen gewonnen tärs eine Mehrheit in beiden Häusern des Parla- (mehr als 25 Prozent); sie hat aber keine Mehrheit. ments. Die USDP kann allein den Präsidenten be- Ethnische Parteien, die in diesen Regionen (vor stimmen, der in einer gemeinsamen Sitzung bei- allem Shan und Rakhine) eine große Anzahl von der Häuser gewählt wird, und Gesetzesvorha- Sitzen erhalten haben, können Einfluss auf die Lo- ben auf den Weg bringen. Sie hat folglich weitaus kalpolitik in ihren Regionen nehmen. mehr Macht als der Oberkommandierende der Streitkräfte, der die 25 Prozent Militärs ernennt. Die Opposition hat hingegen kaum faktische Macht: Sie kann keine Anträge auf Verfassungs- Die politische Landschaft: Szenarien nach den änderungen einbringen, da sie die dafür notwen- Wahlen dige 25-Prozent-Hürde verpasst hat. Sie kann kei- ne Sondersitzungen des Parlaments anberaumen Die Wahlen bedeuten nicht den Übergang Myan- oder eine Amtsenthebungsklage einleiten, für die mars zu einem demokratischen System. Gleich- 33 Prozent notwendig gewesen wären. wohl beinhalten sie die größten Veränderungen In den Regionalparlamenten stellt sich die Si- seit mehr als 20 Jahren und damit Chancen auf po- tuation vielfach ähnlich dar: In allen Gebieten des litischen Wandel. Dieser ergibt sich in erster Linie burmesischen Herzlandes (Ayeyarwady, Bago, aus dem neuen politischen Personal in den neuen Magway, Mandalay, Sagaing, Tanintharyi, Yan- Institutionen. Die jetzige Militärelite bleibt an der gon) hat die USDP eine große Mehrheit gewon- Macht. Durch ihre Vertreter in den nationalen wie nen. Sie kontrolliert die Regionalparlamente und lokalen Parlamenten und ihre Dominanz im Kabi- kann den von der Regierung ernannten Chief Min- nett und an der Staatsspitze entwickelt sich ein in- ister absetzen. Eine Opposition ist in diesen Ge- direkt vom Militär kontrolliertes Regime, wie es in bieten de facto nicht existent. In den Gebieten der Thailand (bis 1992) oder Indonesien unter Suharto GIGA Focus Asien 10/2010 --
(1966-1998) existierte. Das Militär stützt dabei sei- Aung San Suu Kyi könnte jedoch von einer all- ne Vorherrschaft in den Parlamenten auf die He- zu konfrontativen Haltung absehen, einen mode- gemonialpartei USDP, und die Opposition bleibt raten Kurs einschlagen und mit Teilen der Oppo- angesichts ihres Scheiterns an der 25-Prozent- sition im Parlament und zivilgesellschaftlichen Or- Hürde, mit der Parlamentssitzungen einberufen ganisationen zusammenarbeiten. Sie könnte sich werden können, sehr schwach. Folglich besteht für die Überwindung von Armut einsetzen und in die Gefahr, dass das neu gewählte Parlament zur Bildungsfragen und im Sozialsektor mit den UN- Fassade verkommt. Im Militär selbst sorgt der Ge- Organisationen vor Ort zusammenarbeiten. Miss- nerationenwechsel für eine neue Dynamik. So ha- stände, wie die Unterfinanzierung des Bildungs- ben die älteren Generäle ihre Uniformen abgelegt und Sozialsystems, würden so angesprochen, zi- und sind Mitglieder politischer Parteien gewor- vilgesellschaftliche Akteure gestärkt und Vertrau- den. Die gegenwärtige Generation von Generälen, en zwischen den politischen Akteuren würde auf- die vor allem durch den Unabhängigkeitskampf gebaut. Mit dieser Strategie könnten auch westli- und den Bürgerkrieg sozialisiert ist, ist stark nach che Regierungen ihre gescheiterte Sanktionspolitik innen gewandt und nationalistisch. Durch den überdenken. Aufstieg jüngerer Offiziere könnte es zum Wandel Den größten Wandel verspricht die neue Situati- innerhalb des Militärs kommen. Softliner, die für on in den Gebieten der ethnischen Minderheiten. Ne- einen demokratischen Übergang notwendig sind, gativ könnte sich dies bei den ethnischen Gruppen könnten langsam in der Armee aufsteigen. Deren auswirken, die keine Grenztruppen gebildet haben. Haltung zur Opposition wird maßgeblich für jede Dort ist ein Wiederaufflammen des Bürgerkrieges Form politischer Öffnung sein. möglich. In den Regionen, in denen ethnische Par- Die politische Opposition ist vorerst gespalten teien große Stimmen in ihren Regionen gewonnen in eine gemäßigte (NDF) und eine radikale Fak- haben, könnte das größere Ausmaß an lokaler Auto- tion (NLD). Die NLD ist nach ihrem Boykott der nomie auch positive Effekte hervorbringen. Wahlen vorerst aufgelöst, aber weiterhin politisch aktiv; die NDF ist zu schwach, um aus dem ge- Literatur wählten Parlament heraus Wandel herbeiführen zu können. Durch die Wahlen hat es das Regime Callahan, Mary (2007), Political Authority in Burma’s folglich geschafft, die Opposition zu schwächen. Ethnic Minority States: Devolution, Occupation and Nachdem der Hausarrest von Aung San Suu Kyi Coexistence, Policy Studies, 31, Southeast Asia, am 13. November ausgelaufen war, wurde sie von Washington: East West Center. der Militärjunta freigelassen. Ihr wird es obliegen, Election Commission (2010a), Directive No. 2/2010, die politische Opposition zu vereinen und auf ei- Nay Pi Taw, 21. Juni. nen neuen Kurs zu führen. Als prominenteste Fi- Election Commission (2010b), Notifications, 120-140, in:� gur des friedlichen Widerstands und Tochter des The New Light of Myanmar, verschiedene Ausgaben. Staatsgründers Aung San ist sie außerordentlich Geddes, Barbara (1999), What Do We Know about populär, was sie zur natürlichen Gegenspielerin Democratization after 20 Years?, in: Annual Review der Militärjunta macht. Ihr Handlungsspielraum of Political Science, 2, 115-144. ist jedoch eng begrenzt. Sollte sie die Opposition Horsey, Richard (2010a), Preliminary Analysis of erneut gegen das Regime mobilisieren und dieses Myanmar’s Electoral Laws, Conflict Prevention and sich herausgefordert fühlen, besteht wiederum die Peace Forum, 31. März. Gefahr, dass es repressive Mittel einsetzt, um die Horsey, Richard (2010b), Overview of Registered Pol- Oppositionspolitikerin zum Schweigen zu brin- itical Parties in Myanmar, Conflict Prevention and gen. Der Überfall von Anhängern des Regimes auf Peace Forum, 15. Juni. ihren Konvoi bei Depayin im Herbst 2003 signali- HRW (Human Rights Watch) (2010), World Report: siert – ähnlich wie die hohe Anzahl politischer Ge- Burma, online: (25.10.2010). kritiker – dass das Regime vor repressivsten Mit- NDI (National Democratic Institute) (2010), Burma’s teln nicht zurückschreckt. Eine weitere Folge zu- 2010 Electoral Framework: Fundamentally Undemo- nehmender Konfrontation und einer Allianz mit cratic. A Legal and Human Rights Analysis, August, den ethnischen Gruppen wäre der Rückfall in den online: (01.11.2010). GIGA Focus Asien 10/2010 --
Der Autor Dr. Marco Bünte ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am GIGA Institut für Asien-Studien (IAS) und Mit- glied im Forschungsschwerpunkt 1 „Legitimität und Effizienz politischer Systeme“ und Forschungs- schwerpunkt 2 „Gewalt und Sicherheit“. E-Mail: , Website: . GIGA Forschung zum Thema Im Forschungsteam „Persistenz und Wandel nichtdemokratischer Regime“ im Forschungsschwerpunkt 1 („Legitimität und Effizienz politischer Systeme“) werden aktuell verschiedene Forschungsprojekte zu Stabilität und Wandel autoritärer Regime durchgeführt. Thomas Richter arbeitet an einem Projekt zu „Stabilität und Wandel autoritärer Regime: Ein systematischer Vergleich von institutionellen und mate- riellen Einflussfaktoren“; Christian von Soest und weitere GIGA-Mitarbeiter untersuchen den „Wandel von Neopatrimonialismus in verschiedenen Nicht-OECD Regionen“. Im Rahmen des Forschungsteams 4 „Pariastaaten und Sanktionen“ im Forschungsschwerpunkt 2 („Gewalt und Sicherheit“) untersuchen Wissenschaftler aus allen Regionalinstituten des GIGA die Reaktionsmuster autoritärer Staaten auf exter- ne Sanktionierung. GIGA-Publikationen zum Thema Bünte, Marco (2009), Myanmar und die Frage der externen Intervention: Von der „Responsibility to Pro- tect“ zum humanitären Dialog, in: Die Friedenswarte, 84, 1, 125-143. Bünte, Marco (2008), Myanmar: Autoritarismus im Wandel, GIGA Focus Asien, 7, online: . Bünte, Marco (2007), „Problemstaat“ Myanmar – Zum schwierigen Umgang mit dem Militärregime, GIGA Fo- cus Asien, 11, online: . Der GIGA Focus ist eine Open-Access-Publikation. Sie kann kostenfrei im Netz gelesen und heruntergeladen werden unter und darf gemäß den Be dingungen der Creative-Commons-Lizenz Attribution-No Derivative Works 3.0 frei vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zu gänglich gemacht werden. Dies umfasst insbesondere: korrekte Angabe der Erstveröffentli chung als GIGA Focus, keine Bearbeitung oder Kürzung. Das GIGA German Institute of Global and Area Studies – Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien in Hamburg gibt Focus-Reihen zu Afrika, Asien, Lateinamerika, Nahost und zu globalen Fragen heraus, die jeweils monatlich erscheinen. Ausgewählte Texte werden in der GIGA Focus International Edition auf Englisch veröffentlicht. Der GIGA Focus Asien wird vom GIGA Institut für Asien-Studien redaktionell gestaltet. Die vertretenen Auffassun gen stellen die der Autoren und nicht unbedingt die des Instituts dar. Die Autoren sind für den Inhalt ihrer Beiträge verantwortlich. Irrtümer und Auslassungen bleiben vorbehalten. Das GIGA und die Autoren haften nicht für Richtig keit und Vollständigkeit oder für Konsequenzen, die sich aus der Nutzung der bereitgestellten Informationen er geben. Auf die Nennung der weiblichen Form von Personen und Funktionen wird ausschließlich aus Gründen der Lesefreundlichkeit verzichtet. Redaktion: Andreas Ufen; Gesamtverantwortliche der Reihe: André Bank und Hanspeter Mattes Lektorat: Petra Brandt; Kontakt: ; GIGA, Neuer Jungfernstieg 21, 20354 Hamburg www.giga-hamburg.de/giga-focus
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