S3-Leitlinie Polytrauma/ Schwerverletzten-Behandlung
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S3-Leitlinie Polytrauma/ Schwerverletzten-Behandlung Am 21. September 2016 veröffentlichte die Zielorientierung der Leitlinie Anwenderzielgruppe Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaft- lichen Medizinischen Fachgesellschaften Ziel der Leitlinie ist es, die Versorgung von Die Leitlinie richtet sich an die an der Versor- e. V. (AWMF) die neu überarbeitete S3- Polytrauma-Patienten bzw. Schwerverletzten gung polytraumatisierter oder schwer ver- Leitlinie Polytrauma/Schwerverletzten- zu verbessern. Die Empfehlungen sollen zur letzter Patientinnen und Patienten beteiligten Behandlung [1]. Optimierung der Struktur- und Prozessqua- Ärztinnen und Ärzte sowie an alle anderen an lität in der Klinik sowie in der präklinischen der Versorgung beteiligten medizinischen Be- Der folgende Artikel gibt einen Überblick Versorgung beitragen. Deren Umsetzung soll rufsgruppen. Die Empfehlungen beziehen sich über die wichtigsten Neuerungen vor allem helfen, die Ergebnisqualität, gemessen an Le- in erster Linie auf erwachsene Patienten. Emp- in den Abschnitten Präklinik und Schock- talität oder Lebensqualität, zu verbessern. Die fehlungen zur Versorgung von Kindern und Ju- raum. Wir verweisen jedoch ausdrücklich Leitlinie soll außerdem aus interdisziplinärer gendlichen werden in der Leitlinie aber neuer- auch auf den Abschnitt „1. Operative Phase“. Sicht Hilfe zur Entscheidungsfindung in spezi- dings an einigen Stellen gegeben. fischen Situationen geben, die auf dem aktuel- len Stand der Wissenschaft und auf Verfahren beruhen, die sich in der Praxis bewährt haben. Methodisches Vorgehen Sie soll auch Grundlage für die interdiszipli- näre Zusammenarbeit bei der Versorgung von Nach den Statuten der AWMF [2, 3] stehen Schwerverletzten sein und zur Optimierung der Leitlinien der Stufe S3 an der Spitze der Hie- prä- und innerklinischen Struktur- und Prozess- rarchie medizinscher Leitlinien und sind sowohl qualität beitragen. evidenz- als auch konsensbasiert. Leitlinien der 8 Bayerisches Ärzteblatt 1-2/2017
Titelthema © M. Lazarovici (INM) Dr. Heiko Trentzsch, Professor Dr. Stefan Huber-Wagner Stufe S3 enthalten alle Elemente der systema- ausschließlich vom Evidenzlevel bestimmt. In des Abschnittes „Präklinik“ und „Schockraum“ tischen Entwicklung. Dazu gehört auch, dass den GoR fließt auch das klinische Werteurteil aufgelistet und kurz anhand einer Zusammen- sie von einer Leitliniengruppe konsentiert wer- der Leitliniengruppe ein. Daraus ergibt sich, dass fassung des Begleittextes der jeweiligen Kern- den, die repräsentativ für den Adressatenkreis Evidenzgrad und Empfehlungsstärke in begrün- empfehlung erläutert. Für die vollumfänglichen ist. An dieser S3-Leitlinie waren 20 Fachgesell- deten Fällen voneinander abweichen können. Erläuterungen, die dazugehörigen Literatur- schaften/Organisationen (Tabelle) und insge- stellen und alle übrigen Kernempfehlungen sei samt über 160 Autoren beteiligt. Methodisch Anhand des Empfehlungsgrades lassen sich drei auf die Langfassung verwiesen [1]. wurde die Leitliniengruppe von Mitarbeitern Arten von Kernempfehlungen unterscheiden: des Instituts für Forschung in der Operativen 1. Starke Empfehlungen (GoR A; „soll“) Neben dem Empfehlungsgrad (GoR) wird auch Medizin (IFOM) unterstützt. Insgesamt wurden 2. Empfehlungen (GoR B; „sollte“) angegeben, ob sie in der aktualisierten Leitli- über 2.500 wissenschaftliche Arbeiten zitiert. 3. Empfehlungen, die nach Evidenzlage offen nie neu erschienen sind (neu 2016) oder mo- bleiben (GoR 0; „ist unklar“, „kann erwogen difiziert wurden (modifiziert 2016). Sofern zu- Die formale Konsensbildung folgt einer strin- werden“). treffend wird auch angegeben, ob sich der GoR genten Methodik, die in der Einleitung der aufgrund neuer Erkenntnisse verändert hat Langfassung [1] und begleitenden Leitlinien- In Fragen, zu denen keine Evidenz verfügbar (Heraufstufung oder Herabstufung). Report [4] detailliert beschreiben ist. ist, können Empfehlungen auf der Basis einer konsentierten Expertenmeinung formuliert Schlüsselempfehlung 1.17: Atemwegs- Grundlage der Konsensbildung sind die in der werden, sogenannte Good (Clinical) Practice management, Beatmung und Notfallnarkose wissenschaftlichen Literatur verfügbaren Be- Point (GPP). Diese Empfehlungen verwenden Die Videolaryngoskopie sollte zur besseren Ein- lege zu den als relevant erachteten klinischen aber auch die Wortwahl der evidenzgestützten stellbarkeit der Stimmbandebene und Optimie- Fragen (sogenannte Evidenz). Die Evidenz wird Empfehlungen (soll/sollte/kann). rung des primären Intubationserfolges präkli- nach definierten Kriterien hinsichtlich ihrer nisch und innerklinisch großzügig in Betracht methodischen und wissenschaftlichen Qualität Die Langfassung der S3-Leitlinie Polytrauma/ gezogen werden (GoR B, neu 2016). bewertet und mit sogenannten Evidenzgraden Schwerverletzten-Behandlung enthält insgesamt (Level of Evidence, LoE) klassifiziert [5]. 307 Kernempfehlungen, die hier nicht vollum- Studien zeigen, dass der Intubationserfolg im fänglich abgehandelt werden können. Die kom- ersten Versuch durch den primären Einsatz Der Evidenzlevel ist ein Maß für die Sicherheit plette Leitlinie kann kostenfrei auf der Homepage der Videolaryngoskopie (VL) deutlich verbes- des Wissens und liefert die Grundlage für den der AWMF unter www.awmf.org/leitlinien/detail/ sert werden kann. Er ist abhängig von der Ein- Empfehlungsgrad (Grade of Recommendation, ll/012-019.html heruntergeladen werden. stellbarkeit der Stimmbandebene, was mittels GoR). Der GoR ist das Maß der „Restunsicher- VL offenbar besser gelingt. Ähnliche Ergeb- heit“ bei der Bewertung der Evidenz durch die nisse werden für die prähospitale Anwendung Leitliniengruppe ist und erfolgt in Abwägung Ausgewählte Kernempfehlungen berichtet. Auch konnte in einer prospektiven erwünschter oder unerwünschter Konsequen- Beobachtungsstudie gezeigt werden, dass zen bei der Anwendung alternativer Vorgehens- Im Folgenden wird eine Auswahl der wichtigs- sich durch den Einsatz von VL die Häufigkeit weisen. Der Empfehlungsgrad wird aber nicht ten Änderungen in den Kernempfehlungen kurzzeitiger ösophagealer Fehlintubationen Bayerisches Ärzteblatt 1-2/2017 9
Titelthema bei der Intubation von Traumapatienten einer wird. Typisch sind hingegen respiratorische dien weisen jedoch ein hohes Risiko für einen Notaufnahme signifikant reduzieren ließ. Die Insuffizienz und/oder Störungen der Kreislauf- Selektions-Bias auf und zeigen große klinische Experten formulierten daher zusätzlich noch funktion zusammen mit einem abgeschwäch- Heterogenität. Die Sicherheit einer restriktiven einen GPP, nachdem die VL daher sowohl als ten Atemgeräusch. Flüssigkeitstherapie konnte in einer aktuelleren Primär- bzw. Reserveverfahren prähospital als prospektiven, randomisierten Studie gezeigt auch innerklinisch vorgehalten und eingesetzt Schlüsselempfehlung 1.19: Volumentherapie werden, die aber nicht dafür geplant war, die werden soll. Bei schwer verletzten Patienten sollte eine Vo- Überlegenheit dieser Therapie zu belegen. lumentherapie eingeleitet werden, die bei un- Schlüsselempfehlung 1.36: Thorax kontrollierbaren Blutungen in reduzierter Form Bei Patienten mit unkontrollierbarer Blutung Die Verdachtsdiagnose Spannungspneumo- durchgeführt werden sollte, um den Kreislauf sollte eine moderate Volumentherapie mit einer thorax sollte gestellt werden bei einseitig feh- auf niedrig-stabilem Niveau zu halten und die kontrollierten (oder permissiven) Hypotension lendem Atemgeräusch bei der Auskultation der Blutung nicht zu verstärken (GoR B, unverän- und einem systolischen Blutdruck um 90 mmHg Lunge (nach Kontrolle der korrekten Tubuslage) dert konsentiert 2016). angestrebt werden. Bei Patienten mit kardialer und dem zusätzlichen Vorliegen von typischen Schädigung oder Schädel-Hirn-Trauma (SHT) Symptomen, insbesondere einer schweren res- Schlüsselempfehlung 1.20: Volumentherapie wird dies aber kritisch gesehen. Eine permissi- piratorischen oder zirkulatorischen Störung Bei hypotensiven Patienten mit einem Schädel- ve Hypotension sollte bei älteren Patienten und (GoR B, modifiziert 2016). Hirn-Trauma sollte eine Volumentherapie mit solchen mit bekanntem arteriellem Hyperto- dem Ziel der Normotension durchgeführt wer- nus nur mit Vorsicht erwogen werden. Es han- Ein Spannungspneumothorax ist eine akut den (GoR B, unverändert konsentiert 2016). delt sich um eine zeitlich limitierte Option, die lebensbedrohliche Störung, die bereits wäh- nur bis zur chirurgischen Blutstillung erfolgen rend der Prähospitalphase auch ohne Inan- Aufgrund pathophysiologischer Überlegungen soll. In Situationen mit unkontrollierbarer in- spruchnahme weiterer diagnostischer Mittel und retrospektiver Vergleiche wird bei mas- trathorakaler oder intraabdomineller Blutung zu erkennen und durch die Dekompression der siv blutenden Patienten ein systolischer Blut- sollte so rasch wie möglich die chirurgische Pleurahöhle umgehend zu beseitigen ist. Die druck von 90 mmHg bzw. ein arterieller Mit- Therapie erfolgen und diese nicht durch prä- diagnostischen Kriterien dieser rein klinisch zu teldruck (MAP; RRdiast + ⅓ (RRsyst – RRdiast)) klinische Maßnahmen verzögert werden. Der stellenden Diagnose wurden nun modifiziert: von 65 mmHg als Zielwert empfohlen. Anhand Einsatz von Katecholaminen wird grundsätzlich Dabei wurden die oberen Einflussstauungen in von Daten des TraumaRegisters DGU® konnte kritisch gesehen und als ultima ratio betrachtet. Kombination mit einer arteriellen Hypotension gezeigt werden, dass mit zunehmender präkli- als ein typisches Symptom gestrichen. Grund nischer Flüssigkeitstherapie häufiger eine Ko- Schlüsselempfehlung 2.101: Damage Con- für die Empfehlung ist eine aktuelle Meta- agulopathie auftritt. Die Erkenntnis, dass eine trol Resuscitation Analyse der klinischen Symptomatik des Span- forcierte Volumengabe sich ungünstig auf Ge- Bei der Kombination von hämorrhagischem nungspneumothorax, nach der eine obere Ein- rinnungssituation und Überleben auswirkt, gilt Schock und Schädel-Hirn-Trauma (Glasgow flussstauung tatsächlich nur selten beobachtet als allgemein akzeptiert. Die verfügbaren Stu- Coma Scale/GCS < 9) und/oder spinalem Trau- Federführende Fachgesellschaft Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie e. V. (DGU) Beteiligung weiterer AWMF- Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie e. V. (DGAV), Gesellschaften Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin e. V. (DGAI), Deutsche Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin – Gesellschaft für operative, endovaskuläre und präventive Gefäßmedizin e. V. (DGG), Deutsche Gesellschaft für Handchirurgie e. V. (DGH), Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie e. V. (DGHNOKHC), Deutsche Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie e. V. (DGMKG), Deutsche Gesellschaft für Neurochirurgie e. V. (DGNC), Deutsche Gesellschaft für Thoraxchirurgie e. V. (DGT), Deutsche Gesellschaft für Urologie e. V. (DGU), Deutsche Röntgengesellschaft e. V. (DRG), Deutsche Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen e. V. (DGPRÄC), Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e. V. (DGGG), Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie e. V. (DGKCH), Deutsche Gesellschaft für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie e. V. (DGTI), Deutsche Gesellschaft für Verbrennungsmedizin e. V. (DGV), Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin e. V. (DIVI), Gesellschaft für Pädiatrische Radiologie e. V. (GPR) Beteiligung weiterer Fachgesell- Deutsche Gesellschaft interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin e. V. (DGINA), schaften/Organisationen Deutscher Berufsverband Rettungsdienst e. V. (DBRD) Ansprechpartner Monika Becker, Institut für Forschung in der Operativen Medizin (IFOM), Universität Witten/Herdecke, (Leitlinien-Sekretariat) Ostmerheimer Straße 200, 51109 Köln, E-Mail: Monika.Becker@uni-wh.de Leitlinien-Koordination Professor Dr. Bertil Bouillon, Klinik für Orthopädie, Unfallchirurgie und Sporttraumatologie, Lehrstuhl der Universität Witten/Herdecke, Ostmerheimer Straße 200, 51109 Köln Tabelle: Mitwirkende Fachgesellschaften. Eine namentliche Liste aller beteiligter Autoren und deren Anschrift ist der Langfassung der Leitlinie zu entnehmen [1]. 10 Bayerisches Ärzteblatt 1-2/2017
Titelthema ma mit neurologischer Symptomatik sollte der Lösungen beim penetrierenden Trauma wur- MAP 85 bis 90 mmHg betragen (GoR B, neu de aufgrund dieser Entwicklung ebenfalls 2016). von GoR B auf GoR 0 herabgestuft. Während es unstrittig ist, dass bei hämor- Schlüsselempfehlung 1.62: Offene Frakturen rhagischem Schock in Kombination mit SHT Aktive Blutungen sollen durch folgendes (GCS 8) ein höherer Blutdruck zur Perfusi- Stufenschema behandelt werden: on nötig ist, ist die Kombination mit spinalem Trauma und Neurologie nicht eindeutig klar. 1. manuelle Kompression Retrospektive Datenauswertungen und andere 2. Kompressionsverband Leitlinien sprechen sich jedoch für einen MAP 3. Tourniquet von 85 bis 90 mmHg aus. (GoR A, modifiziert 2016, Heraufstufung von GoR B) Schlüsselempfehlung 1.23: Volumentherapie Zur Volumentherapie bei Traumapatienten Schlüsselempfehlung 1.63: Offene Frakturen sollten Kristalloide eingesetzt werden (GoR B, Wenn vorangegangene Maßnahmen nicht er- modifiziert 2016). folgreich sind, dann können Hämostyptika er- gänzend angewendet werden (GoR 0, neu 2016). Schlüsselempfehlung 1.24: Volumentherapie Isotone Kochsalzlösung soll nicht verwendet Schlüsselempfehlung 1.64: Offene Frakturen werden (GoR A, modifiziert 2016, Heraufstu- Ein Tourniquet sollte sofort angewendet wer- fung von GoR B). den bei: Die Luftrettung sollte zur präklinischen Versorgung Schwerverletzter primär eingesetzt werden. Schlüsselempfehlung 1.25: Volumentherapie » Lebensgefährlichen Blutungen/multiplen Balancierte kristalloide, isotone Vollelektro- Blutungsquellen an einer Extremität, lytlösungen sollten verwendet werden (GoR B, » Nichterreichbarkeit der eigentlichen Verlet- modifiziert 2016). zung, anzusehen, um initial eine schnelle und effek- » mehreren Verletzten mit Blutungen, tive Blutstillung durchzuführen. Hinweise zur Schlüsselempfehlung 1.26: Volumentherapie » schwerer Blutung der Extremitäten bei korrekten Anwendung von Tourniquets finden Balancierte Infusionslösungen mit Acetat oder gleichzeitigem kritischem A-, B- oder C- sich in der S3-Leitlinie oder der dort zitierten Malat statt Lactat können erwogen werden Problem, Literatur. (GoR 0, modifiziert 2016, Herabstufung von » Unmöglichkeit der Blutstillung durch ande- GoR B). re Maßnahmen, Hämostyptika sind additiv anwendbare, lokal » schweren Blutungen an Extremitäten bei wirksame Substanzen, die die Blutstillung be- Die Empfehlungen für den Volumenersatz Zeitdruck unter Gefahrensituationen schleunigen sollen. Im Wesentlichen lassen sich wurden umformuliert und damit die Bedeu- (GoR B, modifiziert 2016). zwei grundsätzliche Wirkweisen unterscheiden: tung von kristalloiden, isotonen Vollelekt- physikalisch gewebe-adhärent und die Gefäß- rolytlösungen gestärkt. Einig waren sich die Maßnahmen zur Kontrolle starker Blutungen verletzung verschließend (mucoadhäsiv) oder Experten, dass die Verwendung von isotoner an den Extremitäten sollen nach einem eska- gerinnungsfördernd durch Flüssigkeitsabsorp- Kochsalzlösung nicht empfohlen wird. Hier lierenden Schema folgen: Primär soll versucht tion, Konzentration von prokoagulatorischen erfolgte sogar eine Heraufstufung der Emp- werden, aktive Blutungen durch manuelle Faktoren und direkte Gerinnungsaktivierung. fehlung von GoR B auf GoR A. Vorteile für Kompression und Hochlagerung der Extremität Eine Beurteilung des Nutzens von Hämostyptika eine bestimmte Art des Anions basieren auf zu stoppen. Anschließend soll ein Druckverband ist schwierig und aufgrund der unterschiedli- tierexperimentellen Daten. Neue Evidenz angelegt werden. Bei weiterer Persistenz soll chen hämostatischen Wirksamkeit der Produkte konnte nicht aufgeboten werden. Daher wur- versucht werden, eine Arterie proximal der Ver- bei unterschiedlichen Blutungsmodellen (arteri- de die Empfehlung auf GoR 0 herabgestuft. letzung abzudrücken. Des Weiteren soll, sofern ell, venös, arterio-venös) kaum zu vergleichen. Die Wahl der zu verwendenden Infusionslö- möglich, ein Tourniquet angelegt werden. Eine Ernüchternd sind außerdem Studienergebnisse, sung wurde über Jahre kontrovers diskutiert. retrospektive Studie an Patienten mit trauma- nach denen auch einfache, kostengünstigere Insbesondere der Einsatz von Kolloiden war tischer Amputation oder schwere Gefäßverlet- Verbandgazen, die gleichen positiven Ergebnis- Gegenstand intensiver Diskussionen. Im Jahr zung an den Extremitäten konnte zeigen, dass se erzielen wie die zu vergleichenden Hämos- 2013 wurde der Einsatz von Hydroxyethyl- der präklinische Gebrauch von Tourniquets zu typtika. Diese Beobachtungen zeigen, dass das stärke (HES) in Infusionslösungen durch das einer besseren Blutungskontrolle führt; dies Hauptaugenmerk in der Behandlung von pene- Bundesinstitut für Arzneimittel und Medi- trifft insbesondere für Patienten mit einem trierenden, blutenden Wunden auf das geschul- zinprodukte deutlich eingeschränkt. In der Injury Severity Score (ISS) über 15 Punkte zu. te Einlegen („wound packing“) der Wundgazen derzeitigen Leitlinie wurde die bisherige GoR Eine verringerte Mortalität konnte allerdings oder des Hämo-styptikums und des zu applizie- B-Empfehlung von HES als kolloidales Volu- nicht beobachtet werden. Eine andere Studie renden Druckes liegen muss. menersatzmittel bei hypotensiven Trauma- zeigt aber, dass der Einsatz von Tourniquets mit patienen gestrichen. Mit dem Rückzug der einer höheren Überlebenswahrscheinlichkeit Schlüsselempfehlung 1.53: Wirbelsäule HES-Präparate hat sich auch die Verfügbar- verbunden ist, insbesondere, wenn die Anwen- Die Halswirbelsäule soll bei der schnellen und keit der hypertonen Lösungen verändert und dung frühzeitig, noch vor der Entstehung eines schonenden Rettung vor der eigentlichen tech- diese haben damit an Bedeutung verloren. Schocks erfolgt. Die Anlage eines Tourniquets nischen Rettung immobilisiert werden. Die Die Empfehlungen zum Einsatz hypertoner ist aber lediglich als temporäre Maßnahme Notwendigkeit zur Sofortrettung (zum Beispiel Bayerisches Ärzteblatt 1-2/2017 11
Titelthema board nur als Erleichterung der Rettung eines © S. Huber-Wagner Wirbelsäulenverletzten aus ungünstiger Scha- densortlage bewertet. Schlüsselempfehlung 1.67: Transport und Zielklinik Die Luftrettung sollte zur präklinischen Ver- sorgung Schwerverletzter primär eingesetzt werden. Einsatztaktische Gesichtspunkte und der Faktor Zeit sind zu berücksichtigen (GoR B, modifiziert 2016, Heraufstufung von GoR 0). Ob der Einsatz der Luftrettung tatsächlich zu einer Reduktion der Mortalität führt, blieb lange umstritten. Neuere Arbeiten scheinen zumindest für Deutschland positive Effekte aufzuzeigen. Obwohl sich im Vergleich mit bodengebundener Rettung die präklinische Versorgungszeit bei Luftrettungseinsätzen um ca. 16 Minuten verlängert, finden sich einige Studien, die zeigen, dass sich aus dem Einsatz der Luftrettung klare Vorteile für das Überleben der Patienten ergeben, wenngleich die Ursachen unklar bleiben. Die Erreichbar- keit spezialisierter Zentren über größere Dis- tanzen wird als eine mögliche Erklärung an- geführt. Auch geht es nicht mehr darum, die Sinnhaftigkeit der Luftrettung als solche zu bestätigen, sondern zum Beispiel die Frage der Ausdehnung der Einsatzzeiten auf 24 Stunden Versorgung eines Schwerstverletzten im Schockraum des Klinikums rechts der Isar der Technischen zu untersuchen. Universität München. Schlüsselempfehlung 2.46: Becken Bei instabilem Beckenring und hämodynami- scher Instabilität soll eine mechanische Not- fallstabilisierung vorgenommen werden (GoR A, Feuer/Explosionsgefahr) stellt eine Ausnahme Mangels Evidenz konnte aber keine Kernemp- modifiziert 2016, Heraufstufung von GoR B). dar (GPP, modifiziert 2016, Herabstufung von fehlung für die Art der Durchführung der Wir- GoR A). belsäulenimmobilisation bei der prähospitalen Eine Aufwertung hat die Empfehlung zur Not- Versorgung ausgesprochen werden. Im Erläu- fallstabilisierung des instabilen Beckenrings bei Die Immobilisierung der Wirbelsäule orientiert terungstext wird ausgeführt, dass als erste hämodynamischer Instabilität erhalten. Hier sich am Zustand des Patienten. Obwohl eine präklinische Maßnahme am Unfallverletzten wurde als wesentliche Veränderung festgestellt, Reihe von prähospital anwendbaren Entschei- die Immobilisierung der HWS manuell oder mit dass sich in den vergangenen Jahren die An- dungshilfen existieren, die helfen sollen eine einer Zervikalstütze erfolgen sollte, auch wenn wendung von Beckengurten und anderen nicht- Wirbelsäulenverletzung auszuschließen, wur- es hierzu keine Studien mit hohem Evidenz- invasiven externen Stabilisierungen zunehmend den die bisherigen Empfehlungen, die Kriterien level gibt. Bei der alleinigen Immobilisation der auch in der Präklinik etabliert haben. Folge ist für einen sicheren Ausschluss solcher Verlet- HWS durch eine Zervikalstütze verbleibt eine ein deutlich früherer Therapiebeginn durch eine zungen angeboten haben, gestrichen und fin- Restbeweglichkeit. Die Ruhigstellung der HWS effektive Notfallstabilisierung. Die Initiierung den sich nur noch im Erläuterungstext wieder. kann durch Lagerung auf der Vakuummatrat- der nicht-invasiven Stabilisierung erfolgt meist Bei akuter Lebensgefahr kann eine sofortige ze zusätzlich verbessert werden. Die Experten bereits aufgrund der Unfallkinematik und hilft, Rettung ohne Immobilisierung der Wirbel- bewerten die Vakuummatratze als das derzeit den Patienten mit pelviner Blutung deutlich frü- säule durchgeführt werden. Bei der schnellen effektivste Mittel zur Immobilisation für die her zu stabilisieren und zu therapieren. Rettung soll die Manipulation an der Wirbel- gesamte Wirbelsäule. Dabei wird durch Ein- säule minimiert werden. Die Immobilisierung beziehung des Kopfes mit hohen Kissen oder Schlüsselempfehlung 2.47: Becken der Halswirbelsäule (HWS) sollte durch eine Gurten die mögliche Restbewegung der HWS Bei persistierender Blutung sollte eine chirur- Zervikalstütze erfolgen, auch wenn der Nutzen weiter eingeschränkt. Bisher liegt keine rando- gische Blutstillung und/oder selektive Angio- dieses Vorgehens zur Vermeidung eines Sekun- misierte Studie vor, die einen positiven Effekt grafie mit anschließender Angioembolisation därschadens durch die Literatur bisher nicht der Immobilisierung der Wirbelsäule beweist. erfolgen (GoR B, modifiziert 2016). belegt ist. Bei der schonenden Rettung (zum Andere Hilfsmittel wie die Schaufeltrage kön- Beispiel durch Abnahme eines PKW-Daches) nen die Wirbelsäule nur eingeschränkt immo- Aus Mangel an hochrangiger Evidenz so- sollte eine strikte Immobilisierung der Wirbel- bilisieren. An anderer Stelle wird der Nutzen wohl auf Seiten der Tamponade als auch auf säule erfolgen. von Hilfsmitteln wie Schaufeltrage oder Spine- Seiten der Embolisation kann letztlich keine 12 Bayerisches Ärzteblatt 1-2/2017
Titelthema ausschließliche Empfehlung gegeben werden. nes traumatischen Herzkreislaufstillstandes Schlüsselempfehlung 2.114: Gerinnung Entscheidend ist vielmehr, dass ein Eingriff ausgeschlossen oder behandelt sein (GoR GPP, Mehr als drei Stunden nach dem Trauma sollte zur Stabilisierung des Patienten angewendet neu 2016). mit der Gabe von Tranexamsäure nicht mehr werden muss, da ein unnötiges Abwarten das begonnen werden (außer bei nachgewiesener Outcome des Patienten verschlechtert. Es ist Der Erfolg einer kardiopulmonalen Reanimati- Hyperfibrinolyse) (GoR B, neu 2016). letztlich zu postulieren, dass die chirurgische on bei TCA-Patienten ist zum einen abhängig Blutstillung (packing + externe Stabilisierung) von der bereits vorliegenden Dauer des Herz- Eine Hyperfibrinolyse scheint bei Polytrau- und die Angioembolisation keine konkurrie- kreislaufstillstandes und zum anderen von der mata häufiger als bisher angenommen vor- renden, sondern ergänzende Verfahren mit Möglichkeit, während der Reanimation trau- handen zu sein (knapp 20 Prozent bis zu 60 unterschiedlichem Fokus darstellen. Welchem maspezifische Ursachen des Herzkreislaufstill- Prozent). Deren Ausmaß korreliert mit der Verfahren jeweils der Vorzug gegeben wird, ist standes zu beseitigen (Pneumothorax, Hypo- Schwere der Verletzung und einer höheren sicherlich auch von den lokalen Verhältnissen volämie, Perikardtamponade, Lungenembolie). Sterblichkeit. Eine zeitnahe Diagnose einer abhängig. Besonders berücksichtigt werden Trotz Umsetzung der zuvor aufgeführten the- Hyperfibrinolyse und auch der Effektivität sollte neben der Verfügbarkeit der Embolisati- rapeutischen Maßnahmen (zum Beispiel Mini- einer antifibrinolytischen Therapie sind nur on der Umstand, dass während dieses Vorgan- thorakotomie) zur Beseitigung traumaspezi- mittels Thrombelastografie/-metrie möglich. ges keine anderen Maßnahmen an dem Patien- fischer Ursachen des Herzkreislaufstillstandes Die Gabe des Antifibrinolytikums muss in ein ten parallel durchgeführt werden können. kann die kardiopulmonale Reanimation frus- therapeutisches Gesamtkonzept der Therapie tran verlaufen. Lassen sich während der kar- der Koagulopathie einbezogen werden, da es Schlüsselempfehlung 2.88: Reanimation diopulmonalen Reanimation keine reversiblen im Rahmen der Hyperfibrinolyse häufig zu ei- Wird ein Spannungspneumothorax vermutet, Ursachen feststellen oder führt deren Beseiti- nem starken Verbrauch von Fibrinogen bis hin soll bei Patienten mit traumabedingtem Herz- gung nicht zum Wiedereintritt einer spontanen zur vollständigen Defibrinierung des Patienten kreislaufstillstand eine beidseitige Entlastung Kreislauffunktion, dann soll die Reanimation kommen kann. Dieser Fibrinogenmangel muss mittels Minithorakotomie vorgenommen wer- abgebrochen werden. nach Durchbrechen der Hyperfibrinolyse ent- den (GoR GPP, neu 2016). sprechend ausgeglichen werden, das heißt bei Schlüsselempfehlung 2.96: Reanimation vermuteter Hyperfibrinolyse ist das Antifibri- Ein Spannungspneumothorax ist die häufigs- Im Einzelfall kann bei polytraumatisierten Pa- nolytikum vor dem Fibrinogen zu applizieren. te behandelbare Ursache eines traumatisch tienten mit therapierefraktärem Kreislaufstill- Das Antifibrinolytikum Tranexamsäure ist ein bedingten Kreislaufstillstands (TCA) und soll stand eine extrakorporale Zirkulation und Oxy- synthetisches Lysin-Analogon, das die Um- während der kardiopulmonalen Reanimation genierung erwogen werden (GoR 0, neu 2016). wandlung von Plasminogen in Plasmin hemmt, (CPR) ausgeschlossen oder beseitigt werden. indem es die Bindung des Plasminogens an das 13 Prozent der schwerverletzten Patienten mit Studien zeigen an ausgewählten Patienten den Fibrinmolekül blockiert. In diesem Kontext wird Spannungspneumothorax entwickeln im Ver- erfolgreichen Einsatz extrakorporaler Unter- auch der frühzeitige Einsatz viskoelastischer lauf einen traumatisch bedingten Herzkreis- stützungsverfahren (ECLS). Abhängig von der Testverfahren (Thrombelastographie) zur Di- laufstillstand. Die Befunde umfassen Symptome Verletzungsschwere kann das Verfahren bei agnostik und Therapie der traumainduzierten der hämodynamischen Instabilität (Hypotonie, therapierefraktärem Herzkreislaufstillstand Koagulopathie empfohlen. Der Vorteil besteht Kreislaufstillstand) und Hinweise auf einen und/oder pulmonalem Versagen überbrückend darin, dass das Testverfahren ohne Zeitver- Pneumothorax (vorausgegangene Atemnot, Hy- eine geeignete hämodynamische Unterstüt- zögerung bereits im Schockraum durchführt poxie, einseitiges Fehlen von Atemgeräuschen zung darstellen. Ein erfolgreiches ECLS-Pro- werden kann. bei der Auskultation, subkutanes Emphysem) gramm benötigt eine adäquate Struktur und oder eine Mediastinalverlagerung (Tracheade- ein multidisziplinäres Team. Ausrüstung, Perso- Schlüsselempfehlung 2.126: Bildgebung viation und Stauung der Jugularvenen). Wäh- nal und weitere Ressourcen (zum Beispiel aus- Im Rahmen der Diagnostik von Schwerver- rend der CPR sind diese Zeichen nicht immer reichende Verfügbarkeit von Blutprodukten) letzten soll eine zeitnahe Ganzkörper-Compu- klassisch. Bei intubierten Patienten sollte gege- müssen rund um die Uhr gewährleistet sein. tertomografie (Kopf bis einschließlich Becken, benenfalls die Tubuslage bei der Untersuchung Die Entscheidung zur ECLS-Implantation sollte kraniale Computertomografie (CCT) nativ) mit verifiziert werden, um Fehlinterpretationen bei sorgsam unter Berücksichtigung aller Fakten traumaspezifischem Protokoll durchgeführt einseitig tiefer Tubuslage zu vermeiden. Zur geplant werden. Patienten mit intrakranieller werden (GoR A, neu 2016). effektiven Behandlung des Spannungspneu- Blutung (zum Beispiel Blutungszunahme) oder mothorax bei traumatisch bedingtem Kreislauf- Aortendissektion (zum Beispiel Herz-/Gefäß- In einer multizentrischen Analyse von 4.621 Pa- stillstand gehören die endotracheale Intubation, verletzungen) haben ein erhöhtes Risiko bei tienten des TraumaRegisters® DGU konnte 2009 eine Überdruckbeatmung und eine Form von ECLS-Therapie. erstmals gezeigt werden, dass die Durchführung Druckentlastung. Die Inzision und das rasche Er- einer Ganzkörper-Computertomografie (GKCT) öffnen des Pleuraraumes bei überdruckbeatme- Schlüsselempfehlung 2.112: Gerinnung im Rahmen der Schockraumphase einen signi- ten Patienten ist zunächst ausreichend. Da für Bei massiv blutenden Patienten soll möglichst fikant positiven Effekt auf die Überlebenswahr- die Einlage der Thoraxdrainage mehr Material frühzeitig die Gabe von 1 g Tranexamsäu- scheinlichkeit hat. Hieraus errechnet sich eine und Zeit benötigt wird, reicht es, sie erst nach re (TxA) über zehn Minuten, gegebenenfalls „number needed to treat“ oder besser eine „num- der primären Wiederbelebung zu platzieren. Zu- gefolgt von einer Infusion von 1 g über acht ber needed to scan“ von mindestens 32. Das be- dem können Thoraxdrainagen verstopfen (Blut- Stunden, erfolgen (GoR A, neu 2016). deutet, dass jeder 32ste schwerverletzte Patient, gerinnsel, Lungengewebe) oder abknicken. bei dem eine GKCT durchgeführt wird, entgegen Schlüsselempfehlung 2.113: Gerinnung der Prognose überlebt. Im Rahmen einer weite- Schlüsselempfehlung 2.92: Reanimation Bei massiv blutenden Patienten kann die ren Analyse des TraumaRegisters DGU® konnte Vor Abbruch der Reanimationsmaßnahmen prähospitale Gabe von Tranexamsäure sinnvoll im Jahr 2013 an einem Kollektiv von 16.719 Pa- sollen alle potenziell reversiblen Ursachen ei- sein (GoR 0, neu 2016). tienten bestätigt werden, dass schwer verletzte Bayerisches Ärzteblatt 1-2/2017 13
Titelthema Patienten, bei denen initial eine GKCT durchge- bei den Patienten ohne GKCT (p < 0,001). Es Leider musste sich der Überarbeitungsprozess führt wurde, eine Letalität von 17,4 Prozent auf- wird darauf hingewiesen, dass möglicher- auch der Realität wirtschaftlicher Zwänge wiesen verglichen mit 21,4 Prozent bei Patien- weise gerade Patienten im Schock von einer unterwerfen. In der Konsequenz wurde zwar ten, bei denen keine GKCT durchgeführt wurde GKCT profitieren, da hierdurch die Ursache des für die Kapitel „Massenanfall von Verletz- (p < 0,001). Schocks schneller und umfassender detektiert ten (MANV)“, „Schockraum – personelle und werden kann. Daraus können dann rationale apparative Voraussetzungen“ und „Hand“ Schlüsselempfehlung 2.128: Bildgebung Therapiekonzepte, beispielsweise für oder auch im Abschnitt „Erste operative Phase“ von Der Computertomograf (CT) sollte im oder na- gegen eine bestimmte Notfalloperation, abge- der Leitliniengruppe ebenfalls ein Aktuali- he am Schockraum lokalisiert sein (GoR B, neu leitet werden. Es wird jedoch explizit darauf sierungsbedarf angemeldet, jedoch konnte 2016). hingewiesen, dass eine derartige Diagnostik bei für diese Kapitel angesichts der schwinden- instabilen Patienten nur unter der Vorausset- den Finanzmittel und des durch die AWMF Anhand einer Analyse von 8.004 Patien- zung eines gut organisierten Traumateams und auferlegten Zeitplanes keine der Methodik ten des TraumaRegisters DGU® und der einer entsprechend guten Infrastruktur mit genügenden Literaturbewertungen mehr TraumaNetzwerk-DGU®-Datenbank konnte kurzen Wegen durchgeführt werden sollte. vorgenommen werden. Hier wurden – ohne nachgewiesen werden, dass die CT-Lokalisation Anspruch auf Vollständigkeit – nur die Hin- einen signifikanten Effekt auf die Mortalität tergrundtexte bearbeitet. Die Aktualisierung Polytraumatisierter hat. Je näher das CT im Bewertung der S3-Leitlinie dieser Kapitel muss daher bis zum 30. Juni bzw. am Schockraum (< 50 m) lokalisiert ist, 2021, dem Tag des Ablaufs der Gültigkeit der umso günstiger ist dieser Effekt. Die Lokali- Die Überarbeitung der S3-Leitlinie Polytrau- aktuellen S3-Leitlinie, zurückgestellt werden. sation > 50 m Entfernung zum Schockraum ma/Schwerverletztenversorung hat dazu ge- Für die nächste Überarbeitung ist außerdem hatte einen signifikant ungünstigen Effekt führt, dass über 90 Prozent der bisherigen die thematische Berücksichtigung der Kapitel auf das Outcome. Im Rahmen von Neu- bzw. Ausgaben dem aktuellen Stand der Wissen- „Analgesie“, „Damage Control Gefäße“ und Umbauten von Notaufnahmen sollte das CT im schaft angepasst und aktualisiert wurden. ein gesondertes Kapitel zum Thema „Ausbil- oder baulich so nahe wie möglich ( 50 m) am Die S3-Leitlinie erfüllt damit die Vorausset- dung (Hard & Soft Skills)“ geplant. Schockraum positioniert werden. zungen, ein Instrument zur Verbesserung der Versorgung von Polytrauma-Patienten bzw. Das Literaturverzeichnis kann im Internet Schlüsselempfehlung 2.129: Bildgebung Schwerverletzten zu sein, Empfehlungen zur unter www.bayerisches- ärzteblatt.de Bei hämodynamisch instabilen Schwerverletz- Optimierung der Struktur- und Prozessquali- (Aktuelles Heft) abgerufen werden. ten kann unter bestimmten Voraussetzungen tät in den Kliniken sowie in der präklinischen (hoher Organisationsgrad des Traumateams Versorgung auszusprechen und als Hilfsmittel Die Autoren erklären, dass sie keine finan- und entsprechende Infrastruktur) unmittelbar für die Entscheidungsfindung in spezifischen ziellen oder persönlichen Beziehungen zu ein Ganzkörper-CT (GKCT) mit Kontrastmittel Situationen und aus interdisziplinärer Sicht zu Dritten haben, deren Interessen vom Ma- durchgeführt werden (Kopf bis einschließlich dienen. Es ist nun an allen an der Versorgung nuskript positiv oder negativ betroffen sein Becken, CCT nativ); (GoR 0, neu 2016). polytraumatisierter oder schwerverletzter Pa- könnten. tienten beteiligten Ärztinnen und Ärzte sowie Es konnte auch nachgewiesen werden, dass die an allen anderen an der Versorgung betei- Durchführung einer GKCT bei hämodynamisch ligten medizinischen Berufsgruppen, die Im- instabilen Traumapatienten, also bei Patienten plementierung der Kernempfehlungen in die im Schock, sicher durchführbar ist. Die Überle- Versorgungspraxis voranzutreiben und ihren bensrate der Patienten im schweren Kreislauf- Beitrag zu leisten, die Versorgungsqualität der schock mit einem Blutdruck bei Klinikaufnah- Versorgung von Polytrauma/Schwerverletzten Autoren me von < 90 mmHg war bei den Patienten mit weiter zu verbessern und diesen Anspruch zu GKCT 42,1 Prozent verglichen mit 54,9 Prozent überprüfen. Korrespondierender Autor: Dr. Heiko Trentzsch, Institut für Notfallmedizin und Medizinma- nagement (INM), Klinikum der Universität Das Wichtigste in Kürze München, Ludwig-Maximilians-Universität München, Schillerstraße 53, 80336 München, Die vorgestellte S3-Leitlinie stellt die weltweit in dieser Form einzigartige und wissenschaftlich auf Tel. 089 4400-57101, Fax: 089 4400-57102, höchster Stufe (S3) stehende Leitlinie zum interdisziplinären Komplex-Thema „Polytrauma/Schwer- E-Mail: heiko.trentzsch@med.uni- verletzten-Behandlung“ dar. muenchen.de, Internet: www.inm-online.de Sie gibt auf 446 Seiten insgesamt 307 von 20 Fachgesellschaften konsentierte Schlüsselempfehlun- Professor Dr. Stefan Huber-Wagner, gen zu den Bereichen Präklinik (Atemwegsmanagement, Beatmung und Notfallnarkose, Volumen- Stellvertretender Klinikdirektor, Leitender therapie, Thorax, Schädel-Hirn-Trauma, Wirbelsäule, Extremitäten, Urogenitaltrakt, Transport und Oberarzt, Klinikum rechts der Isar, Zielklinik, Massenanfall von Verletzten), Schockraum (personelle und apparative Voraussetzungen, Klinik und Poliklinik für Unfallchirurgie, Kriterien Schockraumaktivierung, Thorax, Abdomen, Schädel-Hirn-Trauma, Becken, Urogenitaltrakt, Technische Universität München, Wirbelsäule, Extremitäten, Hand, Fuß, Unterkiefer und Mittelgesicht, Hals, Reanimation, Gerin- Ismaninger Straße 22, 81675 München, nungssystem, Interventionelle Blutungskontrolle, Bildgebung) und erste OP-Phase (Thorax, Zwerch- Tel. 089 4140-5029, Fax: 089 4140-6043, fell, Abdomen, Schädel-Hirn-Trauma, Urogenitaltrakt, Wirbelsäule, Obere Extremität, Hand, untere E-Mail: huber-wagner@mri.tum.de, Extremität, Fuß, Unterkiefer und Mittelgesicht, Hals, thermische Hautverletzung und Verbrennung). Internet: www.unfallchirurgie.mri.tum.de 14 Bayerisches Ärzteblatt 1-2/2017
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