Du schaust in den Spiegel - und stehst zwischen zwei Welten - Dialogos
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Inhalt 1. Trägerschaft 2 2. Geschäftsleitung 3 3. Von Klientinnen und Klienten4 • Mirjam – Zwei Welten verbinden 4 • Murphy – Wie Kultur meine Welten prägt 8 4. Organisation12 • Alpakas im Dialogos 12 • Atelier am Park 13 Einblick ins Praktikum von Rebekka 13 Krea-Atelier am Park mit Sonja 14 Eröffnung Leder-Atelier mit Rahel 15 • Einblick in den Ausbildungsalltag von Julia, Melanie und Ciril 18 • Mitarbeitende am 31. Dezember 2020 24 5. Finanzen26 • Statistiken 26 • Jahresrechnung 2020 28 • Revisionsbericht 30 6. Angebotsübersicht31 • Organisationsmatrix 31 Kontaktadressen • Spendenkonto, Kontaktadresse 1
1. Trägerschaft 2. Geschäftsleitung Trägerschaft Bachmann’sche Stiftung Liebe Leserinnen und Leser Das Jahr 2020 hat uns alle vor neue Herausforderungen gestellt. Der Rückblick gibt uns Sehr geehrte Damen und Herren die Gelegenheit, zu würdigen, wie wir diese Zeit mit vereinten Kräften gemeistert haben. Im Januar konnten wir die externe Gesamtretraite durchführen und alle Be Noch befinden wir uns im Griff der Corona oder winden uns mit Impfen und Testen reiche haben Jahresziele erarbeitet und einander vorgestellt. Als Geschäftsleitung allmählich daraus heraus. Der eher melancholische Rückblick der Betriebskommission kommunizierten wir, dass kleine, betreute Wohngemeinschaften dem Bedürfnis der im letzten Jahr kann auch diesmal leider noch nicht in einer von Euphorie geprägten Klient*innen gerecht werden. Wir leben die Haltung, dass Vertrauen im Zusammen Neuauflage erscheinen, darf aber dennoch wachsende Zuversicht verbreiten. Zwar ist wirken ein zentrales Arbeitsinstrument ist. Oft braucht es viel Geduld in der Betreu- unsere Institution bis jetzt glücklicherweise ohne Erkrankungen durch die Pandemie ungsarbeit und den Mut, immer wieder in den Riss zu stehen zwischen den verschie- gekommen, doch hätten wir eigentlich zum Vorteil der uns anvertrauten Menschen denen Erlebniswelten der Klient*innen. gewisse Erneuerungsschritte schon zu Jahresbeginn einleiten wollen. Nun erleiden wir Der Hausdienst und die Verwaltung haben ihre internen Dienstleistungen für alle unvermeidliche Verzögerungen, die es so bald als möglich aufzuholen gilt. Die Arbeit Klient*innen erbracht und dabei in der sich schnell verändernden Zeit, neue Abläufe einer Strategiegruppe mit internen und externen Fachpersonen, die sich im v ergangenen immer wieder zur Routine werden lassen. Wir schätzen die vielfältigen internen Dienst- Jahr intensiv mit der Planung befasst hat, verdient es, auch tatsächlich umgesetzt zu leistungen und den erbrachten Mehraufwand in diesem Jahr ganz besonders. werden. – Wir danken herzlich für diesen Einsatz und bleiben dran! Wenn Sie die Jahresrechnung und die Statistiken lesen, so stellen Sie fest, dass Dia Farbtupfer vergangenes Jahr waren die Alpakas, ursprünglich aus den Anden stam- logos bei unverändertem Tarif die Belegungsziele übertroffen und die Angebote er mende, den Kamelen verwandte Tiere, die rechtzeitig eintrafen, um eine anfangs 2020 weitert hat. Dank einer offenen, flexiblen Haltung und kreativen Lösungen war dies von der Stiftung erworbene Parzelle in Besitz zu nehmen. Diente der Erwerb dieses möglich. Energieraubend war, den Fokus nicht allein auf den um sich greifenden Virus Landstücks anfänglich dazu, dessen Verwendung zu steuern und einer den Z ielen von lenken zu lassen, sondern inmitten dieser Umstände die Handlungs- und Denkfreiheit Dialogos zuwiderlaufenden Nutzung vorzubeugen, so erfreut nun die Gegenwart der zu bewahren. Es galt täglich Prioritäten neu zu setzen und Entscheidungen zu treffen, darauf weidenden, entzückenden Alpakas alle mit Dialogos verbundenen Menschen. aufzuschieben oder gar vorwegzunehmen. Farbe in den Alltag brachte aber auch Frau Aline von Raszweski vom kantonalen Im Juli wurde die neue Lederwerkstatt mit fachkundiger Anleitung einer Sattlerin er- Museumsamt, die sich nicht nur für den Bachmann’schen Nachlass an wertvollen öffnet. Dieses Handwerk ergänzt die Angebote im Atelier am Park. Büchern und Möbeln interessierte, sondern uns auch an den Erinnerungen an die Familie Bachmann, speziell deren Tochter, das «Fräulein Bachmann», Stifterin unserer Von den mittlerweilen sechs Lernenden stellen sich drei in diesem Jahresbericht vor. Institution, in sehr lebendiger Weise teilhaben liess. Traditionsgemäss halten Sie persönliche Erlebnisberichte von zwei Klient*innen in den Dr. iur. René Schwarz Händen. Ihre Welten berühren uns mehr, als unsere Leistungen. Präsident Betriebskommission und Mitglied des Stiftungsrats Viel Freude beim Lesen wünschen Ihnen Maya Da Pozzo und Daniel Neukomm, Geschäftsleitung 2 3
3. Von Klientinnen und Klienten (Aus Datenschutzgründen wurden alle Namen geändert.) Wie Mirjam zwei Welten verbindet: lebten, war Mirjam auf einen weiteren der Psychose hätte sie, vor allem während Klinikaufenthalt angewiesen. Die psycho- Klinikaufenthalten, nicht mit dem Perso- «Ich bin in meiner Welt mit den Stimmen und in der Welt mit meinen Mitmenschen». tischen Inhalte und Erlebnisse bedrohten nal geteilt. Das sei notwendig gewesen, konnte mir in keiner Weise vorstellen, dass erneut all das, was sie sich aufgebaut um sich selbst zu schützen. mir irgendjemand helfen kann.» Damals hatte und ihre ganze Selbständigkeit. war wichtig, mit den damit verbundenen Mirjam wünschte eine weitere Stabilisie- 2015 und 2018 kam es jeweils noch ein- allgegenwärtigen Ängsten einen Umgang rungsphase im Dialogos und war sehr mal zu einem Klinikaufenthalt. 2015 riet zu finden. Auch kämpfte sie darum, den dankbar über eine erneute Aufnahme. man Mirjam, ein Medikament abzubauen, Anschluss an ihre Fähigkeiten wie töpfern Den Gedanken, mit ihren Ängsten und welches für einen durchschnittlichen Puls und andere kreative Tätigkeiten, nicht zu ständigen Symptomen allein zu sein, er- von 110, oft jedoch 130 verantwortlich verlieren. Das «Richterhaus» war damals trug sie nicht. Aus dieser Entscheidung war. Da im Dialogos regelmässig der Puls noch leer und das Team bestand nebst wurde ein ganzer Lebensabschnitt eines und der Blutdruck gemessen wird, war der Leitung aus vier Personen. Zwei davon gemeinsamen Weges. Er ist gekennzeich- dem Team dieser Umstand bewusst und arbeiten heute noch im Dialogos. Als ge- net durch einen gegenseitig wertschät- lernte Töpferin mit einem ausgesproche- zenden und freundschaftlichen Umgang. nen Sinn für Ästhetik und Schönheit, sind Eine Verbindung, die von Vertrauen und ihre Schöpfungen ansprechend, schlicht Zuneigung geprägt ist. Mirjam meint da- und modern. Mirjam arbeitete mit Stein- zu: «Nach meinem zweiten Zusammen- zeug, einem edlen Material. Man beachte bruch hatte ich die Kraft nicht mehr, den kostbaren Goldblattrand und die ge- mich wieder selbständig zu orientieren. naue Verzierung der Kugel auf dem Foto. Ich könnte mich auch heute noch nicht jeden Tag selbständig verpflegen und ein- Als ich vor vielen Jahren bei einem Be- kaufen». such bei ihren Eltern war, zeigten sie mir eine Kindergartenzeichnung von Mirjam. Mirjam ist heute 49 Jahre alt und es be- Darauf sah ich Kinder, die einen Reigen Mirjam war die dritte Klientin von Dialo- deutet mir sehr viel, dass ich mit Mirjam tanzen. Im Stillen fragte ich mich, ob ich gos. Sie trat nach einem Klinikaufenthalt dieses Gespräch führen darf. Trotz aller überhaupt je fähig wäre, so ein Werk zu 2003, im Alter von 31 Jahren, ins Dialogos Vorsicht ist mir bewusst, wieviel Kraft sie schaffen. Zwei Jahre nach dem Eintritt ein. Es war ihr erster Aufenthalt in einer dieses Gespräch auch in besten Zeiten konnte Mirjam austreten und fünf Jahre Klinik. Damals wurde festgestellt, dass sie kosten wird. Immer wieder klären wir im wieder selbständig in einer eigenen Woh- an Schizophrenie erkrankt war. Direkt Gespräch gemeinsam, wieviel vom Ab- nung leben. mitgeteilt wurde ihr das nicht. Erst 15 grund der Welt der Stimmen und Sinnes- Jahre später konnte sie sich damit aus- Als 2010 altbekannte Ängste, ein erneuter wahrnehmungen aufgeschrieben werden einandersetzen. Mirjam meint: «Ich habe Verfolgungswahn, bedrohliche Stimmen, darf. Mirjam betont konsequent, dass es das verdrängt, die Angst war zu gross laute Geräusche, Düfte und taktile Hallu- ihr viel besser geht. Sie habe hart ge- auch wollte ich es nicht wahrhaben. Ich zinationen mit spürbaren Schmerzen auf- kämpft und die schwierigsten Inhalte aus 4 5
es schien naheliegend, dies während des oft für mich eingesetzt – ich bin schon schlimmer. Ich hatte grössere Mühe mit Klinikaufenthaltes zu ändern. Auch wenn sechs Mal intern umgezogen und habe Beziehungen umzugehen. Eigentlich ist es sich Mirjam aktiv mit diesen unerwünsch- schon unkonventionelle Lösungen erlebt. lustig, dass ich im Dialogos bin – hier geht ten Wirkungen befasste, lehnte sie die Du hast dich schon mehrmals ins Zeug es ja um den Dialog und um Beziehungen. Medikamentenänderung zu diesem Zeit- gelegt für mich und mir das kreative Ar- Ich hatte damals einen Freund in Amerika punkt noch ab. Sie brachte zu meinem beiten ermöglicht. Auf dem Foto ist eine – er verstarb 2008 an einer Hirnhaut grossen Erstaunen ein Album aus der Klangschale und eine Vase. Auch andere entzündung durch einen Zeckenbiss. Es Klinik mit, das ich bei ihr entdeckte. Wer Sonderregelungen rechne ich dir hoch an würde zu weit führen, hier die ganze wusste davon? Es zeigt Sonnenaufgänge und bin dankbar dafür. Du musst dann Geschichte zu erzählen. Wichtig ist mir, und Sonnenuntergänge über dem Boden- unbedingt schreiben, dass Dialogos wirk- dass ich im Geist weiterhin mit ihm ver- see, den Frieden und die berührende Stille lich gut auf uns schaut.» bunden bin, Kontakt pflege und gewiss der Natur. Enten, die im Schilf schwim- bin, dass er mir täglich auf meinem Weg men. Es sind Bilder, die auf eigenARTige Und ja, es stimmt, es war und ist mir hilft. Ich bin immer im Dialog mit ihm.» Weise alle Sinne einbeziehen und be immer ein besonderes Anliegen, dass rühren. Eine Sehnsucht klingt an, die sich jederzeit verbunden. Ich kann sie jedoch Mirjam und alle anderen ihre Gaben, trotz Am herzlichsten Lachen wir beide, als ich das Herz wünscht, wenn es sich nach zuordnen und sie sind nicht mehr be all ihren Einschränkungen, bestmöglich Mirjam frage, ob sie ihren Anteil an Per- Ruhe sehnt. drohlich. Ich brauche nach wie vor viel leben können. Mirjam weiss, dass sie mit fektionismus auch als Verhängnis sieht. Ruhe, reinige gerne, bin mehrmals täg- all ihren Anliegen zum Pflege- und Be- Sie meint: «Ich bin nur in der Keramik 2018 war Mirjam bereit, auf eine andere lich im Park und bin im Atelier tätig. Im treuungsteam kommen kann. Sie hat die perfektionistisch veranlagt.» Worauf wir Medikation umzustellen. Von einem Tag Lederatelier mache ich ein Portemonnaie Gewissheit, dass ihre Anliegen und Sor- einander ansehen und das Lachen nicht auf den anderen seien ihre Selbstmordge- und in der Krea nähe ich ein Necessaire, gen ernst genommen werden. Das ist für zurückhalten können. «Nein, ich bin wohl danken verschwunden, auch der Puls sei mache mir Schmuck oder habe Steine be- sie eine wesentliche Grundlage für die auch sonst sehr genau.» Dabei erinnere nun wieder komplett normal. Mirjam malt.» psychische Gesundheit und Stabilität, die ich Mirjam an ein Mandala, das sie mir schreibt dies nicht ausschliesslich der sie heute erleben darf. Über manche Jahre schenkte. Sie gestaltete ihre Mandalas Medikation zu, sie erzählt: «Es war mein Ich frage Mirjam, wie sie es geschafft hat, waren Kontakte und Gespräche mit ihr im mit feinsten Mustern selber. Dazu meint Weg und es brauchte diesen Weg. Dass es all die Veränderungen von Dialogos zu Rahmen von fünf bis zehn Minuten mög- sie: «In den dunkelsten Stunden war dies mir besser geht ist ein riesiges Geschenk verkraften und wir denken an viele Men- lich, danach zog sich Mirjam zurück. Sie das Einzige, was ich tun konnte, um mich und harte Arbeit an mir selbst. Als ich schen die in der Zwischenzeit gekommen huschte flink davon, bedankte sich kurz auf etwas anderes als meine Ängste zu mich 2018 erstmals mit der Erkrankung und gegangen sind. Menschen, an die für den Kontakt und signalisierte, dass es fokussieren. Nach 20 Minuten musste ich auseinandersetzte, las ich, dass alle Sinne wir uns gemeinsam erinnern. Mirjam lä- ihr zu anstrengend wurde. Ich frage sie, mich wieder hinlegen. Seit 2018 male ich in der Psychose betroffen sein können, chelt, denkt dann nach und meint: «Ich ob sie ihre Erkrankung zuordnen oder ver- kein Mandala mehr da ich die Ängste dass ich Dinge wahrnehme, die andere bin ein aufgeschlossener und freundlicher stehen kann? «Den wahren Grund für überwinden kann. Mein Ziel ist immer nicht wahrnehmen. Ich kann verstehen, Mensch, das hilft mir mit den Mitmen- meine Psychose kenne ich nicht. Als ich noch, dass ich wieder eine eigene Woh- dass das, was ich erlebte nicht real ist, schen im Dialogos. Trotz aller Verände- erstmals Stimmen hörte, empfand ich es nung haben und mit Spitex leben kann.» für mich jedoch real war. Und doch sind rungen wollte ich nie wechseln. Im Dia nicht als notwendig, jemandem davon die Stimmen bis heute geblieben. Ich bin logos bin ich glücklich. Du hast dich so zu erzählen. Es wurde jedoch immer 6 7
Murphy – zwischen zwei Kulturen müsse sehr jung gewesen sein, als seine «Weisst du, ich wollte auch haben, was älteste Schwester auf die Welt kam. 1999 meine Kollegen hatten. Ich litt seit den Murphy trat im September 2019 ins Dia- sei sie mit dem sechsten Kind schwanger ersten Lebensjahren unter Armut und bei logos in Stettfurt ein. Aktuell lebt er in gewesen. Die jüngste Tochter sei taub und Schulbesuchen hätte ich mir gewünscht, einer betreuten Einzelwohnung in Frauen schwer behindert. Sie sei so geboren und dass meine Mutter auch kommt, da war feld. Er wurde im Februar 1993 im Jemen lebe nun in einer Einrichtung für behin- ich immer alleine. Trotzdem war ich kein geboren, dem Herkunftsland seines Va- derte Menschen. Die Mutter habe ihm die Aussenseiter. Ich konnte nie nein sagen ters. Seine Mutter kommt aus Somalia. Schuld gegeben, da sie das Trauma seines und habe allen geholfen, soviel ich konn- Nach einem schweren Unfall mit drei Jah- Unfalls nicht verkraftet hätte und sich te. Mir selbst konnte ich nicht helfen. ren, bei welchem ihn ein Auto zweimal dies auf die Schwangerschaft ausgewirkt Vielleicht ist aus meinen Mangelerfah- überfuhr, kam er 1999 in die Schweiz. Er habe. Als ältester Sohn wurde von ihm rungen meine spätere Kaufsucht ent war sechs Jahre alt und hatte bereits erwartet, dass er die Rolle des Familien- standen. Ich entdeckte, dass ich auf In- sieben Operationen hinter sich. Er war oberhauptes übernahm und für seine ternetportalen etwas bestellen kann und weiter auf medizinische Behandlung an- Familie sorgte. ich wollte ein vollwertiges Mitglied der gewiesen und kam in Begleitung seiner müde gewesen und hätte diese ganze Gesellschaft sein. Für die Ferienjobs habe Mutter und fünf Geschwister. Seinen Als Murphy ins Dialogos eintrat, pflegte Sache abschliessen wollen. Erst 2017 ich übrigens pro Woche zwischen 700 Vater sah er seither nicht mehr. Murphy er keinen Kontakt mehr mit seiner Familie. hätte die KESB ihn dann aufgefordert, bis 800 Franken verdient. Meine Mutter erzählt mir aus seiner Kultur. Schläge z.B. Er hätte die Forderungen und Selbstver- seine Termine wieder wahrzunehmen. wusste nichts von meinen Jobs. Ich gab würden solange zur Erziehung gehören, ständlichkeiten nicht mehr ausgehalten Im Schulalltag versuchte Murphy den ihr 400 Franken ab und behielt den Rest bis ein Kind einen Stock selber halten, und es sei ihm immer schlechter gegan- Anschluss nicht zu verlieren, obwohl er für mich. Meine Mutter gewöhnte sich bzw. sich wehren könne. Seine Mutter gen. An der letzten Weihnacht hätten sie immer wieder Mühe hatte, sich zu kon- schnell daran, dass ich ihr Geld nach sich wiedergesehen. Seine Mutter habe zentrieren. Hause brachte und forderte dieses ein. Zu schon einige Jahre einen Freund aus der meinem Alltag gehörten auch die Haus Schweiz, sie sehe immer noch jung aus. Um den Erwartungen der grossen Familie arbeiten und Kochen für acht Personen. Murphy hatte aufgrund von Spitalaufent- gerecht zu werden, erzählt mir Murphy, 2008 begann ich als DJ und legte in Clubs halten im Kinderspital, im Unispital und welche Jobs er mit 13 Jahren fand. Er Musik, in denen man volljährig sein müss- im KSW häufig Schulabsenzen. Er kämpf- wollte seinen Beitrag für den Unterhalt te. Es war nicht schwer, in diese Szene te mit seiner angeschlagenen Gesundheit leisten. Begonnen hätte es mit Ferienjobs hineinzukommen. Zur gleichen Zeit be- und hat bis heute Eingriffe und Kontrol- bei einer Druckerei, im Schützenhaus oder gann meine erste Ausbildung. Ich kam in len, die ihm immer wieder zu schaffen in der Spitalküche. Darauf hingewiesen, eine Jugend-WG und erlebte eine neue machen. Einige Eingriffe hätten seine dass es nicht üblich ist, dass ein Kind in Welt. Die Last meiner Rolle fiel von mir gesundheitliche Situation verschlimmert, diesem Alter «erwerbstätig» ist, winkt ab, auch der ganze Lärm mit dem ich ge- er versuche klarzukommen und damit Murphy ab und ignoriert meinen Einwand. lebt hatte. Ich begann als Autolackierer umzugehen, lehne aber weitere Behand- Schmunzelnd ergänzt er noch, dass er und mein Chef war mit meinen Leistun- lungen ab. Zwischen 2007 und 2017 habe sich einmal eine Playstation gekauft gen sehr zufrieden. Leider hatte ich beim er die Untersuchungen ignoriert. Er sei es habe. Dann erzählt er: Go-Kart fahren einen Unfall und brach 8 9
mir die Nase. Als ich mit einem Arzt Clienia Littenheid AG. Der Aufenthalt auf sichtlich Freude seine Hausaufgaben zu zeugnis auftauchte, wurde das Lehrver- der Therapiestation Pünt Nord hat mir machen. Was er neu gelernt hat, wendet hältnis am gleichen Tag beendet, da mein sehr gut getan, denn ich hatte mich sozial Murphy an. Wie z. B. Backwaren herzu- Lehrmeister die Krankenabsenz von fünf zurückgezogen und litt wieder unter stellen und Kostproben zu verteilen. Es Tagen nicht tolerierte. Er zerriss das Depressionen und Alpträumen. Ich trank erfüllt ihn mit Stolz und Freude, wenn er Zeugnis vor meinen Augen. Die Jugend- vermehrt grössere Mengen Alkohol und positive Feedbacks erhält. Dass er seit WG musste ich wieder verlassen, da dort konnte dem Druck der IV-Beratung nicht dem Oktober 2020 in einer betreuten nur junge Menschen wohnten, die in einer mehr standhalten. In der Klinik lernte ich Einzelwohnung lebt, war für ihn ein wei- Ausbildung sind. Ich vermute, dass ich viel über mich und wurde auf meine terer Meilenstein. im Herbst 2009 meine erste Depression Schutzmauern aufmerksam gemacht. Es hatte. Ich hoffte, dass ich sterben würde, wurde eine Posttraumatische Belastungs- Murphy führt einen tadellosen Haushalt habe mit der Luft gesprochen und in die störung diagnostiziert.» und kocht leidenschaftlich gerne. Sein Leere gestarrt. Ich begann mit Alkohol ausgesprochenes Flair für’s Einrichten ist trinken, um meine Sorgen zu vergessen. Nach der Klinik lebte Murphy nochmals auffallend, auch sein Sinn für Ordnung Es wurde jedoch schlimmer und half gar wenige Monate in der eigenen Wohnung und Sauberkeit. Seine freundliche, hilfs- nicht. Wenigstens konnte ich eine halbe und trat im Juli 2019 ins Dialogos ein. bereite Art und sein lebendiges und hu- Stunde schlafen. Ich lebte wieder bei der Trotz aller Niederlagen, entschloss er sich, morvolles Wesen sind ansteckend. Dass er Familie. Meine Mutter verlangte Geld und mich auf, dass ich einen Beistand bekom- 13 Jahre nach dem ersten Anlauf, noch- seine Schwachstellen benennen kann und drohte mir, dass ich sonst raus müsse. So men würde und was dies bedeutete. mals eine Lehre in Angriff zu nehmen. an seinen bestehenden Schwierigkeiten versuchte ich wieder Musik aufzulegen Davon hatte ich noch nie gehört. Ich Im März 2020 konnte er in einer zwei arbeiten möchte ist für die Zusammenar- und zu jobben. In den nächsten dreiein- staunte, dass es so etwas gibt in der wöchigen Schnupperlehre im Restaurant beit eine wertvolle Grundlage. Die halb Jahren war ich Barkeeper und ar Schweiz. Woher wusste sie denn, dass La Terrasse vom Stift Höfli in Frauenfeld Auswirkungen seines kulturellen Hinter- beitete bis zu 14 Stunden pro Tag. Danach ich das brauche? Es war als würde ein einen guten Einblick gewinnen. Er über- grundes und seines Flüchtlingsstatus arbeitete ich in einem Steakhouse. Ich Wunder geschehen. So ging ich also zum wand seine Unsicherheit und bewarb werden ihm mit jedem Jahr bewusster. gab die Hoffnung auf eine Ausbildung Termin. Ich hatte erste Termine beim Psy- sich, nach ermutigenden Worten von der Zum Abschluss sagt Murphy: «Beziehun- auf. 2016 wurde die KESB durch eine chiater und konnte ein Belastungstraining Teamleitung, um einen Ausbildungsplatz. gen und Vertrauen sind sehr wichtig für heimliche Meldung meiner Mutter, auf machen in Zusammenarbeit mit der IV. Dies setzte er selbständig und zielstrebig mich. Ich brauche ehrliche Menschen. meine Vernachlässigung aufmerksam ge- Ich durfte anschliessend noch zweimal in um. Er koordinierte sein Anliegen erneut Manchmal habe ich einfach Geschichten macht. einer betreuten WG leben, wollte mich mit der IV und mit seinem Beistand. Da er erzählt, um von unangenehmen Themen aber im März 2018 wieder ablösen und beim Schnuppern einen guten Eindruck abzulenken. Ich wollte sozusagen eine Entweder hat sie sich Sorgen gemacht ganz selbständig leben. Wenn ich mit hinterliess, wurde ihm die Lehre zum falsche Fährte legen. Das wurde mir erst oder wollte, dass ich wieder funktioniere Menschen nicht klarkomme, möchte ich Praktiker PrA Restauration zugesagt. Im langsam bewusst. Wenn man Fehler und mehr Geld heimbringe. Den ersten alleine sein. Wenn ich alleine bin, wird es August 2020 konnte er nach einem Prak- macht, braucht es Entschuldigungen». KESB–Termin liess ich verstreichen, ich zu ruhig und ich fühle mich einsam. Ende tikum mit der Lehre beginnen und zeigte wusste nicht, was da auf mich zukam. 2018 trat ich erstmals in die Klinik ein. von Anfang an grosses Interesse und Dann rief die Chefin selbst an und klärte Ich war in Kilchberg und danach in der Engagement für diesen Beruf. Er hat 10 11
4. Organisation Alpakas im Dialogos Atelier am Park Im Mai sind vier Alpakas in das Ökonomiegebäude eingezogen. Seither unternehmen Einblick ins Praktikum von Rebekka Idefix, Mailo, Maximilian und Beny regelmässig Spaziergänge durch das Dorf. Bei Be- gegnungen entdeckt man ein heiteres Schmunzeln auf den Gesichtern. Rebekka Schai bewirbt sich als Prakti kantin und bereichert Dialogos im Atelier für ein halbes Jahr mit einem Pensum von 20%. Die restliche Zeit widmet sie dem Studium (Erziehungswissenschaften). Als Abschiedsgeschenk hinterlässt sie das Titelbild für den Jahresbericht, sowie die nachfolgenden Beiträge zum Atelier am Park. Der Kräutergarten wurde von ihr gestaltet und die Personalgeschenke konnten erstmals mit selber hergestellten kamen. Mit einigen habe ich in meiner Produkten ergänzt und im Atelier am Park Praktikums-Zeit eine wirklich tolle und verpackt werden. einzigartige Beziehung entwickelt. Viele haben am Abend die Krea mit guter Laune Feedback von Rebekka: verlassen, auch wenn jemand einen «Ich konnte viele gute Erfahrungen bei schlechten Tag hatte und nicht reden der Arbeit mit den Klient*innen sammeln. wollte. Es war stets jeder willkommen und Überrascht haben mich die Kreativität konnte einfach ein bisschen für sich sein und Motivation der Leute, die bei mir in und sich beschäftigen. Die Zeit im Dia die Krea gekommen sind. Wir hatten logos hat mich geprägt und ich konnte immer sehr tolle, interessante und vor einiges über mich selbst lernen. Ich stellte allem lustige Gespräche! Beim wöchent fest, dass meine Stärke in den Gesprä- lichen Spaziergang konnten wir neue chen liegt. Auch wenn ich nicht die b esten Wege entdecken, haben Foto-Shootings Aktivierungstalente habe, gelang es mir gemacht (siehe Titelbild) oder einfach nur doch sehr oft, die Klient*innen durch die zusammen die Aussicht genossen. In der Gespräche abzuholen. Einige berichteten Krea konnten wir uns gegenseitig Dinge mir von ihrer Geschichte, ihren Träumen beibringen, Lieblingsmusik austauschen oder auch ihren Ängsten. Daraus ent und Kunstwerke kreieren. Auch hatte ich standen berührende und einzig artige die Möglichkeit, viele der Klient*innen Momente, in denen ich sehr glücklich besser kennen zu lernen. Ich freute mich war, ein Teil der Dialogos-Familie sein zu immer sehr, wenn sie spontan vorbei dürfen». 12 13
Krea-Atelier am Park stalten mit verschiedensten Materialien vom Alltag und ein Schutzraum. Jede/r ihrer Kreativität freien Lauf lassen. soll willkommen sein. Sei es, um aktiv und Im September 2019 wurde das Atelier am Tag für Tag entstehen einzigartige Kunst- kreativ zu sein oder um einen Besuch zu Park mit grosser Vorfreude eröffnet. Seit werke und Prachtstücke durch die kreati- machen und zu plaudern.» der Eröffnung hat sich einiges getan. Das ven Hände der Klient*innen und unter Kreativ-Atelier dient als Ort des freien Ge- Statements von Klient*innen zum Atelier Anleitung von Lya Berger und Sonja Ei- staltens verschiedener Projekte und Haus- am Park: senhut. dekorationen sowie der Gemeinschaft. «Die Krea hat ein sehr grosses Angebot Klient*innen können nebst Bewegungs- Sonja übernimmt das Atelier als Vertre- an verschiedensten Aktivitäten aber man Aktivitäten auch beim Malen oder Ge- tung für einen Mutterschaftsurlaub und kann auch selbst Ideen bringen und diese erzählt: selbstständig erarbeiten» (Sven). «Mich hat die persönliche und unkompli- «Wenn man Hilfe braucht, dann kann zierte Atmosphäre im Dialogos sehr ange- man auch mit persönlichen Dingen vor- sprochen. Ich hatte schon beim Vorstel- bringen. Immer wieder bin ich begeistert beikommen, wie Weihnachtsgeschenke lungsgespräch das Gefühl, ich werde als mit Menschen in Beziehung zu sein. Ge- einpacken oder Englisch-Hausaufgaben Mensch wahrgenommen und nicht nur meinsam etwas gestalten, ohne mit vielen erle digen. Man muss nichts aber kann als eine anonyme Kandidatin. Ich habe Worten zu kommunizieren, ist sehr wohl- sehr viel!» (Maria) schnell gemerkt, dass eine sehr offene, tuend und beliebt.» ehrliche aber auch vor allem wertschät- Für andere dient die Arbeit im Atelier als zende Grundhaltung den Mitarbeitenden Die Klient*innen fühlen sich durch die of- gute Übung um die Konzentration zu (und natürlich den Klient*innen) gegen- fene und fröhliche Art von Sonja will stärken oder um zur Ruhe zu kommen. über da ist. Schnell fühlte ich mich wohl kommen. «Mir ist es wichtig, dass die Krea Wieder andere nutzen den Ort als Treff- in meiner neuen Rolle. Ich konnte in der eine Oase sein kann, eine Abwechslung punkt für den Austausch. Weihnachtszeit beginnen und hatte einen adventlichen Einstieg. Guetzlen, Advents- kalender für die Klient*innen gestalten, Eröffnung Lederatelier am Park erzählt sie: «Als Kind betreute ich einen Kerzen ziehen und Christbaum schmü- Esel, dessen Lederausrüstung nicht pass- cken. Die Klient*innen schätzten, dass in Im 1. OG entstand im Juli 2020 eine ein- te. Ich häkelte mit Garn Halfter und der «dunklen» Jahreszeit verschiedenes zigartige Lederwerkstatt geleitet durch Zaumzeug. Schon damals wusste ich, angeboten wurde. die Sattlerin Rahel Trüb. Rahel bringt ihr wenn ich gross bin lerne ich, wie man das Das gegenseitige Kennenlernen war un- Fachwissen und ihre Expertise mit in die alles aus Leder herstellen kann. So wurde kompliziert und die meisten Klient*innen gemütlichen Stunden in der Lederwerk- ich Sattlerin.» waren offen und zum Teil auch ein biss- statt. Sie führt die Klient*innen mit einer Rahel arbeitet seit vielen Jahren selbst- chen neugierig. Ich habe viel Mitsprache sehr angenehmen und offenen Art in ihr ständig in ihrem «Atelier cuire». Mit der bei der Wahl der Angebote und kann langjähriges Handwerk ein. Auf die Frage, Betreuung des Leder-Ateliers im Dialogos meine eigenen Begabungen sehr gut ein- wie sie auf diesen Beruf gekommen ist, kann sie ihre Leidenschaft teilen. 14 15
meiner Lederwerkstatt. Da haben die Leder-Ateliers im Dialogos bereits die Teilnehmer*innen die Möglichkeit einen Runde gemacht. Ledergürtel für sich herzustellen. Mich Das Atelier bietet viel Potenzial. Ob die motiviert an der Zusammenarbeit mit Möglichkeit, Gurtkurse für Stettfurterin- dem Dialogos, dass es Freude macht, nen und Stettfurter anzubieten entsteht, Menschen zu ermutigen und mit den wird sich in Zukunft zeigen. Was noch Händen etwas Schönes herzustellen. nicht ist, kann im bescheidenen Rahmen Spannend finde ich die Möglichkeit, dass noch werden. Zuerst werden nun die ich kleine Serienarbeiten aus meinem Alpakas mit Tragetaschen ausgerüstet – Atelier mitnehmen kann und die mit hochwertigem Material aus dem Klient*innen so an Waren für den Arbeits- Murghof in Frauenfeld. markt arbeiten können. Noch mehr Spass machen uns natürlich die Aufträge, die Statement eines Klienten: hier vor Ort bestellt werden (Gürtel, Hundeleinen, Reparaturen).» Rahel kann rückblickend auf die letzten Die Arbeit in der Gurtwerkstatt erfordert Monate bereits jetzt von einigen positi- teilweise grosse Konzentration, da die ven Erfahrungen im Atelier-Alltag berich- Materialien teuer sind und man nichts ten: «Es freut mich, wie die Klient*innen falsch machen möchte. Mir tut das sehr regelmässig da sind und richtig gute gut, mich auf meine Arbeit zu fokussieren Lederhandwerker und Handwerkerinnen und das rund herum zu vergessen» werden. Ich habe immer für jeden etwas bereit zum Auswählen. Manchmal darf es etwas ganz Kniffliges sein, manchmal «Mein Atelier besteht seit 15 Jahren. etwas eher Einfaches, das ohne viel Kon- Auf einem Eselspaziergang mit Maya Da zentration funktioniert. Es gefällt mir Pozzo hörte ich vom neu eröffneten sehr gut, mit unterschiedlichen Men- Krea-Bereich im Dialogos. Mehr im Spass schen zu arbeiten und diese so zu fördern, erwähnte ich, dass ich immer nur in mei- dass die Arbeit gelingt und wir diese nem Atelier-Keller arbeite und gerne mal Kunstwerke mit Stolz verkaufen können. etwas mehr rauskäme. So ergab sich aus Mir ist besonders wichtig, dass die Freude dieser Bemerkung eine Festanstellung. am Handwerk auflebt. Es ist schön zu Sozusagen der Aufstieg, vom Keller ins sehen was man gemacht hat. Es erfüllt 1. OG». einem mit Stolz, wenn da ein unschein Doch Rahel’s Arbeit im Dialogos besteht bares Lederstück liegt und später dar- schon seit einigen Jahren: «Ich bin seit aus ein «Schmuckstück» entsteht». Auch ca. 8 Jahren jedes Jahr einen Tag hier mit in Stettfurt hat die Neueröffnung des 16 17
Einblick in den Ausbildungsalltag ich noch ruhiger als am Arbeitsplatz, dort fühle. Mein Arbeitsort gefällt mir. Sogar wurde ich auch schon gefragt, ob ich für nach aussergewöhnlichen Situationen Julia, 1. Lehrjahr FaGe, Stettfurt suchte ich im Internet weiter und kam auf meine Tätigkeit nicht kommunikativer kann ich zu Hause abschalten und fühle das Thema Psychiatrie. Ich fand auf die- sein müsste. Man könnte sagen, ich lebe mich nicht belastet. Meine Mutter fragt sem Weg die freie Lehrstelle im Dialogos. in verschiedenen Welten, werde unter- nach, wie es mir im Berufsalltag geht. Ich kannte die Psychiatrie nicht und hatte schiedlich wahrgenommen und bin doch Meine Familie gibt mir seit meiner Kind- einige wohl übliche Vorurteile, dass es an allen Orten mich selbst. Wie stark heit durch ein intaktes Umfeld und Zu- mit diesen Menschen dann schwierig sein mein Temperament und meine kommuni- hause viel Stabilität. Für mich steht fest, könnte. Das ist so nicht eingetroffen, im kative Seite zum Tragen kommt, hängt dass ich auch in Zukunft im Gesundheits- Gegenteil, ich war erfreut über die sym- davon ab, ob ich mich sicher und wohl oder Sozialbereich tätig bleiben werde.» pathischen und liebenswerten Menschen, die im Dialogos leben. Auch das coole Team hat mich während der Schnupper- woche überzeugt. Als Persönlichkeit bin ich eher ruhig und auf den ersten Ein- druck scheu. Wenn ich mich wohl fühle, werde ich offener. Ausschlaggebend für meine Entscheidung, meine Ausbildung in der Sozialpsychiatrie zu absolvieren, war unter anderem auch, dass ich hier mit jüngeren und älteren Menschen arbeite. Menschen, mit denen ich über eine län gere Zeit in Beziehung sein kann. Meine Entscheidung, hier die Ausbildung zu machen, hat sich auf jeden Fall bestätigt. Ich fühle mich – wie beim Schnuppern– sicher und wohl und kann auf die Men- schen zugehen. Ich darf meinen Humor «Ich werde in zwei Monaten siebzehn gezielt einsetzen und nehme wahr, bei Jahre alt und habe mich schon immer für wem eine lustige Äusserung gut an- einen Beruf im Sozial- oder Gesundheits- kommt. Bereits im ersten Lehrjahr haben bereich interessiert. So kam es, dass ich von meiner Klasse von 20 Lernenden sowohl im Altersheim, im Spital, im Heim sechs Mitschüler*innen die Lehre abge- mit geistig behinderten Menschen und in brochen. An was das liegt, ist nicht bei einer Tagesstätte für Kinder schnupperte. allen bekannt. Nun ist die Klasse auf 14 Auch wenn mir alles gefallen hat, so Personen geschrumpft. In der Schule bin 18 19
Melanie, 2. Lehrjahr FaGe, Stettfurt Coiffeuse und als tiermedizinische Praxis wenn mein Durchsetzungsvermögen ge- ich Feedbacks und werde geschätzt für assistentin habe ich Schnuppertage er- fragt ist, da ich die Konfrontation nicht meine Zuverlässigkeit, meine Offenheit lebt. Weiter habe ich Berufe wie Floristin suche und kompromissbereit bin. Wenn und mein Lachen. Ich kann mich selb- und FaBe in einer Kindertagesstätte und etwas nicht geht und meine Anwesenheit ständig organisieren und habe eigene FaGe im Altersheim und im Spital ge- abgelehnt wird, dann versuche ich es eine Ideen, wie z.B. ein «Beauty-day» gestal- schnuppert. Die Psychiatrie kam am Stunde später wieder. Ich versuche immer, tet werden kann. Leider wurde dieser Schluss dazu. In der Klinik Münsterlingen Aufgaben auf das Wesentliche zu redu- dann nicht besucht, aber die Begleitung und in der Clienia Littenheid AG habe ich zieren. Die Stimmung kann innerhalb kur- der Sportgruppe (vor Corona) ist gelun- gemerkt, dass mir dies sehr gut gefällt. Es zer Zeit wieder ändern. Wie stark ich mich gen, da konnte ich Klient*innen zur Teil- ging nicht in erster Linie um die Körper- durchsetze, ist abhängig von der Person nahme motivieren. Als Erfolg erlebe ich, pflege sondern um den Kontakt mit Men- und von der Situation. Die Klient*innen wenn jemand selber wieder mehr über- schen. Es interessiert mich, wie Betroffe- wissen, dass ich auf sie eingehe und ihnen nimmt und dadurch weniger Unterstüt- ne mit sich selbst und anderen umgehen. zuhöre. Ich möchte verstehen, was sie zung braucht. Die Klienten*innen sollen Ich möchte wissen, wie ich sie im All- brauchen. Manchmal warte ich besser im Alltag Freude erleben, sei es im Kon- tag und im Umgang mit den Auswirkun- einen Tag und oft gelingt dann ein kleiner takt, bei der Alltagsbegleitung, bei einem gen ihrer Beeinträchtigung unterstützen Anfang einer Tätigkeit. Im Team erhalte Spaziergang oder beim Spiel.» kann. Ich bin unvoreingenommen und er- lebe das als gute Grundlage für die Bezie- hung. Bei manchen Personen nehme ich im ersten Moment keine Probleme wahr, erst wenn es darum geht, dass sie Tätig- keiten verrichten, wie z. B. Wäsche wa- schen, zeigt sich Unterstützungsbedarf. Die Selbst- und Fremdwahrnehmung könnte manchmal als «zwei Welten» be- zeichnet werden. Es kann sein, dass je- Sie wird bald 19 Jahre alt und nimmt sich mand andere im Vorbeigehen anrempelt vor der Büro- und Materialbestellung Zeit und dies nicht merkt. Oder dass es Zeit ist, für ein Gespräch. sich zu duschen oder frische Kleider an- «Ich wusste lange nicht welchen Beruf zuziehen. Das betrifft natürlich nicht alle. ich wählen soll. Aus diesem Grund habe Einige begleite ich zu Terminen und ernte ich das 10. Schuljahr gemacht und mir danach viel Dankbarkeit und die Rück- Zeit genommen, verschiedene Berufe an- meldung, dass er/sie nun weniger Angst zuschauen. Ich habe als Detailhandels- hatte. Es ist mir wichtig, fröhlich und aus- fachfrau in einer Bäckerei und in einem geglichen zu sein und gleichzeitig ein Ziel Kleidergeschäft geschnuppert. Auch als zu verfolgen. Am meisten fordert mich, 20 21
Ciril, 3. Lehrjahr, Frauenfeld dass er soeben die Zusage des Aus bin ich belastbarer geworden. Der Verlust nere ihn wohl nicht an seine Eltern. An bildungsplatzes zum Pflegefachmann HF meines Vaters vor fünf Jahren war sehr leiten und weitergeben macht mir ganz erhalten habe. Dies kurz vor seiner prakti- einschneidend und es dauerte zwei, drei besonders Spass. So bin ich wohl auch schen Lehrabschlussprüfung im Dialogos. Jahre, bis ich damit klargekommen bin. zum typischen «Oberstift» geworden. Die Er habe beim Bewertungsraster die maxi Ich habe viel gelernt. Für den Berufsalltag anderen Lernenden kommen auf mich male Punktzahl erhalten. Es könnte nicht weiss ich, wie es ist, einen Umgang mit zu und stellen Fragen zu Theorie und besser laufen. Doch werfen wir einen schweren Situationen zu finden. Beson- Praxis. Ich habe zwei grosse Ziele, die Blick in den «Rückspiegel» Ciril war nicht ders zu einem jungen Klienten habe ich HF-Ausbildung und danach den Berufs- immer so – was ist passiert? eine unkomplizierte Beziehung aufge- bildner. Auf jeden Fall würde ich meine baut. Er stellt mir Fragen und bedankt Ausbildung wieder im Dialogos machen. «Ich begann meine Lehre als Carrosse- sich für meine Unterstützung. Er ist in der Auch wenn ich natürlich nicht weiss, was rielackierer. Ich habe schnell gemerkt, Ausbildung zum Koch und möchte mich in den kommen Jahren passiert, so kann dass es nicht das Richtige ist. Danach und Saphira einladen und bekochen. Es ich mir doch vorstellen, dass ich nach habe ich ein Praktikum im Spital gemacht fällt ihm leichter, von mir Hilfe anzu der HF-Ausbildung wieder zurückkommen und fand im Internet den Ausbildungs- nehmen, als von den Teamern. Ich erin möchte.» platz von Dialogos. Das Leitbild hat mich angesprochen und ich bewarb mich. An- Impression zum Sunny Mountain Grass Festival im September fangs war ich zurückhaltend und schüch- Dieses fand in reduziertem Rahmen im Dialogos-Park statt. tern, mit wenig Selbstbewusstsein. Bea (Berufsbildnerin) hat mir geholfen. Sie hat mit mir über meine Themen gespro- chen, mich ermutigt, mir etwas zugetraut und gesagt, dass ich etwas kann. Heute fällt mir die Kontaktaufnahme mit ande- ren leicht. In der Schule hatte ich anfangs Mühe, auch litt ich unter meiner Le Vor mir sitzt ein selbstbewusster, junger gasthenie. Interessanterweise konnte ich Mann. Er verrichtet noch zügig eine mich auch diesbezüglich sehr verbessern. Tätigkeit, gibt mir einen Block und geht Bei der Arbeit habe ich immer ein Vorbild. vor mir in ein Gesprächszimmer. Er ist Das Wissen von Bärbel (Teamleitung) nicht wiederzuerkennen. Ich erinnere fasziniert mich. Ich bewundere ihre Er- mich, wie Daniel Neukomm seine Be fahrung und wie sie ihr Wissen umsetzt. werbung studierte und mir nach dem Bereits die wenigen Inhalte in der FaGe Vorstellungsgespräch von ihm erzählte. Er Ausbildung zu den Krankheitsbildern der war entschlossen, ihm diese Lehrstelle zu Psychiatrie haben mein Interesse noch vergeben. Als Einstieg erzählt mir Ciril, mehr geweckt. Seit ich im Dialogos bin, 22 23
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Stand 31. Dezember 2020 Stiftungsrat und Betriebskommision Geschäftsleitung Bereich Pflege und Betreuung Von links nach rechts: • Maya Da Pozzo Stadtwohnungen Dr. Heinz Külling, Mitglied Stiftungsrat, Präsidium • Daniel Neukomm Dr. iur. René Schwarz, Mitglied Stiftungsrat und • Bärbel De Stefani (Teamleitung) • Bea Berger Mitglied Betriebskommission, Präsident Zentrale Dienste • David Berlinger Dr. iur. René Schwarzmann, Mitglied Stiftungsrat • Ingrid von Känel • Monika Graf und Mitglied Betriebskommission, Finanzen • Kathrin Küng • Christoph Grossglauser Jacques Jud, Mitglied Betriebskommission, • Beatrice Meile Klient*innen und Aktuar Bereich Pflege und Betreuung • Jeannine Schumann Ueli Bachofen Mitglied Betriebskommission, Bau und Immobilien Wohnheim • Philipp Zürcher • Ciril Fluor (FaGe in Ausbildung) Christa Lanzicher, Mitglied Betriebskommission, • Cornelia Goersmeyer (Teamleitung) Pflege und Personal • Nicolas Alfaro Musso • Saphira Heid (FaGe in Ausbildung) • Lydia Dörig • Jonathan Lämmle (FaGe in Ausbildung) • Laura Fröhlich • Sabrina Lindner • Brigitte Richter Hausdienst/Tagesstruktur • Bärbel Schmeling • Heidi Erni (Hauswirtschaft) • Mario Tonina • Therese Spycher (Hauswirtschaft) • Flavia Orlandi (FaGe in Ausbildung) • Tobias Ziltener (Hauswart) • Melanie Villalba (FaGe in Ausbildung) • Martin Desait (Hauswart) • Julia Wiedmer (FaGe in Ausbildung) • Lutz Kinzel (Küche) • Inga-Britt Wallig (Küche) • Lya Hählen (Atelier am Park) Nachtwache • Sonja Eisenhut (Atelier am Park) • Daniel Ender • Rebekka Schai (Atelier am Park) • Dennis Engelhardt • Rahel Trüb (Leder-Atelier) • Elisabeth Kaiser • Omondi Omollo • Sandro Rechsteiner Externe Ärzte Dialogos • Dr. med. Gabriele Lämmlein (Psych. Konsiliarärztin) • Dr. med. Andreas Schneider (Hausarzt) Der Teich nach der Sanierung im Juni 2020 24 25
5. Finanzen Belegung nach Geschlecht Altersstruktur Klient*innen 59 % ■ 18–29 Jahre 41% ■ Belegungstage Männer ■ 30–39 Jahre ■ Belegungstage Frauen ■ 40–49 Jahre ■ über 50 Jahren Belegung nach Herkunft Finanzierung 2020 32% ■ Invalidenrente 68% ■ Belegungstage Wohnsitz Thurgau ■ Sozialhilfe ■ Belegungstage andere Kantone ■ Justizvollzug 26 27
Jahresrechnung 2020 Erfolgsrechnung 1.1.–31.12.2020 Bilanz 31.12.202031.12.2019 Ertrag 20202019 CHFCHF CHFCHF Aktiven 90’502.19 218’365.27 Ertrag Wohnen mit Beschäftigung 3’571’510.28 3’233’54 4.34 Flüssige Mittel 285’526 .10 365’656.15 Übrige Erträge 7’337.98 12’875.90 Forderungen Transitorische Aktiven 23’883.18 0.00 Betriebsertrag 3’578’848.263’246’420.24 Kautionen 69’060.0 0 73’580.0 0 468’971.47584’021.42 Aufwand Umlaufvermögen Personalaufwand 2’389’653.202’124’305.05 Immobilien 10’151.0 0 15’228.0 0 Medizinischer Bedarf 3’680.00 3’580.63 Mobilien 50’632.0 0 36’119.0 0 Aufwand Covid-19 43’838.01 0.00 Fahrzeuge 37’943.0 04’831.00 Lebensmittel 234’530.48222’802.75 IT-Hardware 8’934.00 43’369.0 0 Haushaltaufwand 51’451.04 67’741.68 Unterhalt/Reparaturen 123’559.10106’886.14 Anlagevermögen 107’660.00173’127.00 Anlagennutzung 481’172.35457’742.15 Energie/ Wasser 31’396.70 30’574.66 Total Aktiven 576’631.47 757’148.42 Schul- und Ausbildungsmaterial 24’582.42 43’484.66 Büro und Verwaltung 113’713.09 103’877.23 Übriger Sachauf wand 15’157.30 20’093.91 Passiven Finanzaufwand 316.10516.31 Verbindlichkeiten 132’410.87124’373.41 Abschreibungen 65’883.55 64’814.01 Passive Rechnungsabgrenzung 11’880.56 109’514.60 Kontokorrent mit Stiftung 432’340.04 432’425.12 Gesamtaufwand 3’578’933.343’246’419.18 Gewinnvortrag 0.00 90’835.29 Gewinn – 85.08 1.06 Total Passiven 576’631.47 757’148.42 28 29
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Spenden-Konto CH72 8080 8004 2463 2706 8 Raiffeisenbank Wängi-Matzingen Bachmann’sche Stiftung Hauptstrasse 26 9507 Stettfurt 32
Sozialpsychiatrisches Zentrum Hauptstrasse 26 9507 Stettfurt TG Telefon 052 369 33 33 Telefax 052 369 33 99 E-Mail info@dialogos.ch Internet www.dialogos.ch
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