IGEL - Dauerbrenner Igelfütterung Mit Gärten unsere Städte verändern Meister Reineke - ein schlauer Opportunist - Pro Igel
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IGE L AUSGABE 58 | NOVEMBER 2020 PUBLIKATIONSORGAN DES VEREINS PRO IGEL B U L L E T I N Dauerbrenner Igelfütterung Mit Gärten unsere Städte verändern Meister Reineke – ein schlauer Opportunist
2 Ausgabe 58 | November 2020 INHALT 3 Dauerbrenner Igelfütterung 5 Mit Gärten unsere Städte verändern 9 Igelschutz in den Kantonen 11 Igelstation Hittnau 12 Vereinsnachrichten 13 Meister Reineke - ein schlauer Opportunist IMPRESSUM Abschied von Antje Girlich «Igel Bulletin», offizielle Publikation des Vereins pro Igel. Erscheint in der Regel halbjährlich und wird kostenlos abgegeben. Redaktion pro Igel Layout Die Stimme unserer Igelhotline ist für immenses Wissen kritisch zu hinterfra- Martin Frei, Freiraum Werbeagentur AG immer verstummt, Antje Girlich ist gen und neue Erkenntnisse einzubauen. Mitte Oktober im Alter von 80 Jahren Antje war für den Betrieb einer Igelnot- Druck Mattenbach AG verstorben. Wir beklagen den Verlust fallnummer der absolute Glücksfall. Sie einer grossen Tierfreundin und Igel hatte eine unglaubliche Geduld mit Adresse und Kontakte pro Igel expertin. aufgeregten Igelfindern und sie verlor Kirchgasse 16 auch bei ungehobelten Anrufern nie 8332 Russikon Es fällt mir schwer, diese Zeilen zu das Ziel aus den Augen, eine optimale Telefon 044 767 07 90 E-Mail info@pro-igel.ch schreiben. Antje war für mich viel mehr Lösung für den Igel zu finden. Und sie Website www.pro-igel.ch als eine Arbeitskollegin, eher ein enges war buchstäblich rund um die Uhr er- Postkonto Familienmitglied. Elf Jahre lang begann reichbar, an 365 Tagen im Jahr, auch an 80-68208-7 mein Arbeitstag mit einem Telefonan- Weihnachten und Silvester. Auflage ruf von Antje. Elf Jahre lang bekam ich 16‘400 Exemplare so meine tägliche Ration Informationen Ich bin dankbar, dass ich so viel Zeit zur momentanen Lage der Igelpopulati- mit diesem wunderbar warmherzigen Titelbild Igel im Laub, Adobe Stock on in der Schweiz, zur Situation in den und engagierten Menschen verbringen Igelstationen und alles Neue aus dem durfte. © by pro Igel Für alle Texte und Bilder, wo nichts anderes igelmedizinischen Bereich. Antje Gir- Falls es einen Himmel für Igel gibt, wird vermerkt, Nachdruck nach Rücksprache mit lich hatte einen hellwachen Geist, sie Antje Girlich dort sicher einen Ehren- der Redaktion willkommen. suchte und fand Zusammenhänge, die platz bekommen. nicht gleich offensichtlich waren, und PERFORM ANCE sie hatte überhaupt kein Problem, ihr Bernhard Bader neutral Drucksache No. 01-13-303973 – www.myclimate.org © myclimate – The Climate Protection Partnership
Ausgabe 58 | November 2020 Dauerbrenner Igelfütterung 3 Dauerbrenner Igelfütterung Früher war es eher ein Randthema, heute drehen sich rund die Hälfte aller Anrufe um die F rage, ob und wie Igel zugefüttert werden können. Auslöser für diese Entwicklung ist die massive Zunahme an unterernährten Igeln in den letzten Jahren. Wer je einem abgemagerten stacheligen zen, die der Igel in naturnahen Gärten bei einer Katze und für die Verwertung Häufchen Elend begegnet ist, weiss, dass findet. Mit den Insekten werden auch von tierischem Eiweiss und Fett ausge- es schier unmöglich ist, nicht zu helfen. die Igel verschwinden. legt. Das wurde auch bestätigt durch Was liegt da näher, als eine Schale Fut- die Untersuchung des Mageninhalts von ter hinzustellen? Diese Hilfsmassnahme Die Verdauung des Igels überfahrenen Igeln. Man fand nur ge- kann durchaus nützlich sein und den Igel sind Kleinraubtiere, sie sind ge- ringe Mengen an pflanzlichen Stoffen, menschengemachten Nahrungsmangel fürchtete Jäger im Reich der Insekten. dabei handelte es sich vermutlich um ein bisschen ausgleichen. Es kann aber Das lässt sich am Verdauungsapparat den Mageninhalt der Beutetiere oder niemals die natürliche Nahrung erset- leicht erkennen: Er ist ähnlich kurz wie versehentlich aufgenommenen Beifang. Igel an Wasserstelle Bild: Jacqueline Widmer
4 Dauerbrenner Igelfütterung Ausgabe 58 | November 2020 Welches Futter ist geeignet Weil sie ständig auf der Wanderschaft generell verboten, Wildtiere zu füttern. Ausschlaggebend ist der Gehalt an tie- sind, setzen sie den Kot quasi laufend ab. Ausnahmen sind Sing- und Wasservögel rischem Protein und Fett, deshalb ist Viele Igel an einem Ort produzieren viel und Eichhörnchen. Katzenfutter die beste Wahl. Es ist aber Dreck, der dann ins Futter gelangt und Die obengenannten Probleme mit dem dringend von allen pflanzlichen Nah- bakterielle Infektionen verursacht. Massenandrang können vermieden wer- rungsmitteln abzuraten. Die Liste der Ein wenig beachtetes Problem bei der den, wenn man gezielt und kontrolliert schädlichen Nahrungsmittel, die den Massenfütterung ist der Umstand, dass zufüttert. Wenn der Igel auftaucht, stellt Igeln von schlecht informierten Tier- die Igel sich nicht nur an der Futterscha- man eine Schale Katzenfutter hin, wenn freunden vorgesetzt werden, ist erschre- le gütlich tun, sie fressen auf dem Hin- er gefressen hat, nimmt man die allfäl- ckend lang: Äpfel, Nüsse, Brot, Datteln, und Rückweg zum Futternapf buchstäb- ligen Futterreste wieder mit. Igel haben Nusstängeli, Milchprodukte, Haferflo- lich die ganze Umgebung leer. Darunter ein ausgeprägtes zeitliches Gedächtnis, cken, Honig, Brot, Sonnenblumenkerne, leiden dann alle anderen insektenfres- nach der ersten Futtergabe werden sie Rosinen usw. senden Tiere. immer wieder zur gleichen Zeit erschei- Generell gilt: Pflanzliche Kost macht die Eine Futterstelle bedeutet auch nicht, nen und auch auf das Futter warten. Igel krank. Getreide, Gemüse und Pflan- dass die Igel dann weniger weit wan- Es ist für eine gesunde Igelpopulation zenfasern sind für die Igel gar nicht oder dern würden und so auch weniger Stras- wichtig, dass zusammengefasst folgen- nur in geringem Umfang verdaubar. Dies sen überqueren müssten. Im Gegenteil, de Punkte beachtet werden: belastet das Verdauungssystem unnötig, es werden auch Igel aus weiter entfernt - nur unterernährte Igel zufüttern behindert die Aufnahme von Nähr- liegenden Revieren angezogen und die - a usschliesslich Katzenfutter und stoffen und führt zu einer unphysio- Wege werden wieder länger, weil die Wasser anbieten. Keine vegetabilen logischen Darmflora. Leichtverdauliche unmittelbare Umgebung des Fressnapfs Lebensmittel! Kohlenhydrate wie Stärke und Zucker leergefressen ist. - n ur gezielt Einzeltiere zufüttern. bewirken eine übermässige Belastung Keine permanenten Futterstellen! der Bauchspeicheldrüse und der Leber. Bitte nur gezielt zufüttern Zucker schädigt zudem das Gebiss. Zum Glück braucht noch nicht jeder Die einzige wirksame und nachhaltige Igel die Unterstützung durch Menschen. Igelhilfe ist und bleibt der naturnahe, Massenfütterung Runde, gutgenährte Igel dürfen nicht insektenreiche Garten mit Blumenwie- Eine muntere Schar von Igeln, die sich gefüttert werden. In den Kantonen Zü- se, Dickicht und einem igelzugänglichen am Futternapf besammeln, mag für na- rich und Baselland ist es per Jagdgesetz Kompost. ive Igelfreunde ein erfreulicher Anblick sein. Leider trügt der Schein, Igelzusam- menkünfte entsprechen weder dem art- typischen Verhalten noch ist es für die Gesundheit der Tiere zuträglich. Igel sind Einzelgänger, die ihr Revier zwar nicht verteidigen, aber den direkten Kontakt mit Artgenossen meiden. Obwohl sie sich in der Regel friedlich verhalten, be- deutet ein gemeinsamer Fressplatz doch eine Ausnahmesituation, und es kommt auch immer wieder zu Beissereien zwi- schen paarungsbereiten Igelmännchen oder im Wettstreit um den besten Platz am Napf. Ein weiteres Argument gegen die Mas- senfütterung ist die Gefahr, dass dort Krankheiten und Parasiten übertragen werden. Igel sind in ihrem Nest sehr rein- lich, auswärts kennen sie keine Hygiene. Ein reich gedeckter Tisch für Igel Bild: pro Igel
Ausgabe 58 | November 2020 Bild: Pixelio Mit Gärten unsere Städte verändern Von Bio bis Biene, von Nachhaltigkeit bis Stadtgarten: Der urbane Siedlungsraum wird immer mehr zum Gemüsegarten. Dank Urban Gardening wachsen vermehrt Tomaten im Balkonkistli und Salate inmitten der Hochhaussiedlung. Denn heute gilt: Die Stadt der Zukunft ist essbar. HELEN WEISS 85 Projekte zur Auswahl – alle unter Gurken, Tomaten, Zucchetti, Bohnen, dem Dach des Vereins «Urban Agricul- Haferwurzel, Erdmandel und Kicher Speisepilze kultiviert auf Kaffeesatz, ture Basel». Die meisten dieser Projekte erbsen. «Wir pflanzen an, worauf wir Hochbeete auf Flachdächern und Ho- setzen auf gemeinschaftliches Gärt- gerade Lust haben», erklärt Dominique nig von Stadtbienen: Was in anderen nern. So etwa auch der Gemeinschafts- Oser, ehemalige Projektleiterin des Ge- europäischen Grossstädten schon kräf- garten Landhof in Basel, in dem ganz meinschaftgartens Landhof. Auch ver- tig floriert, hat auch in der Schweiz zu unterschiedliche Menschen zum Gärt- schiedene Kräuter, Wildkräuter sowie keimen begonnen – Urban Gardening. nern zusammenkommen, um mit ihren zahlreiche Beeren und Feigen können Das Konzept: Es werden überall in den Fähigkeiten und Ideen etwas Positives hier im Frühling und Sommer geern- Städten essbare Pflanzen angebaut und zu gestalten. tet werden. Einige Gemüsearten lässt alltägliche Alternativen für den Le- In dem in der Nähe der Messe ange- Oser versamen: Haferwurzel, aber auch bensmittelkonsum angeboten. Allein im legten Gemeinschaftsgarten gedeihen Nüsslisalat findet man überall im Ge- Kanton Basel-Stadt stehen heute über Kohl, verschiedene Salate, Kohlrabi, meinschaftsgarten.
6 Mit Gärten unsere Städte verändern Ausgabe 58 | November 2020 Kreisläufe der Natur unterstützen Auch die Beikräuter spriessen kräftig: Auf den Beeten breitet sich das persische Ehrenkraut aus, dazwischen zeigt Lö- wenzahn seine buttergelben Blüten. Was konventionellen Hobbygärtnerinnen und -gärtnern ein Dorn im Auge ist, freut Oser. «Die Beikräuter decken den Boden ab, so lange er nicht genutzt wird», erklärt sie. «Dadurch werden die Bodenlebewesen geschützt und die oberste Bodenschicht bleibt fruchtbar und intakt.» Liege Boden brach, werde er gerne ausgeschwemmt, weshalb die ungenutzten Beete während des Winters mit einer dicken Laubschicht geschützt werden. «Auch Gründüngun- gen mit Ölrettich oder Phacelia dienen Der öffentlich zugängliche Garten beim Landhof wird nicht nur zum gemeinsamen diesem Zweck.» Gärtnern, sondern auch als Erholungsort gerne genutzt. Bild: Dominique Oser Der Gemeinschaftsgarten liegt ge- schützt zwischen Wohnblöcken und am Rand des namengebenden Landhofs, dem ehemaligen Stadion des FC Basel. Gemeinschaftsgarten Landhof ist eines Obwohl der Gemeinschaftsgarten erst Das Areal stand aufgrund einer Umnut- der zahlreichen Projekte, die im Rahmen als Übergangsprojekt geplant war, ist er zung 2011 leer – die Stadt Basel suchte des Vereins entstanden», erklärt Oser. heute ein fester Bestandteil des Quartiers deshalb nach einem möglichen Tem- und ein beliebter Treffpunkt. «Wir haben porärprojekt. Dominique Oser und Basti- Zahlreiche Helferinnen und Helfer regelmässige Helferinnen und Helfer aus aan Frich erhielten den Zuschlag mit ih- Ziel ist, dass die Bevölkerung aktiv am der nahen Nachbarschaft», freut sich rer Idee, einen Gemeinschaftsgarten für Projekt partizipiert und die Koordination Oser. Für die Freiwilligen ist die Mitar- die Quartierbewohnerinnen und -be- übernimmt. «Wir haben jedoch bemerkt, beit weder verpflichtend noch bindend wohner anzulegen. Die beiden Initian- dass es eine verantwortliche Person mit – man hilft, wenn man Lust und Zeit hat. ten sind Mitglieder des gemeinnützigen etwas Fachwissen benötigt, um die Ar- Dies ist aus Sicht Osers auch das Erfolgs- Vereins «Urban Agriculture Basel», wel- beiten zu organisieren», erklärt Oser. Die rezept des Gemeinschaftsgartens. «Der cher die Erzeugung von Lebensmitteln, gelernte biodynamische Landwirtin lei- Garten wird umso vielfältiger, je mehr Kräutern, Blumen, Nutz- und Medizinal- tet deshalb jeweils am Mittwoch- und Menschen zu seinem Erhalt und seiner pflanzen durch die Einwohnerinnen und Samstagnachmittag die Helferinnen Entwicklung beitragen.» Die Fachfrau Einwohner der Stadt Basel fördert. «Der und Helfer im Garten an. freut sich jedes Mal darauf, im Gemein- schaftsgarten zu arbeiten. Die Oase in der Grossstadt sei sehr inspirierend: «Ich kann dadurch vielen Menschen die Natur Literatur und deren Kreisläufe näher bringen.» Urban Gardening Veranda Junkies Mein Garten, mein Reich Gemüse anbauen ohne Urban Gardening auf Balkon Nicht nur in Basel, auch in Zürich, Bern Garten und Terrasse und Luzern hat sich in den letzten Jah- Yohan Hubert Cornel Rüegg und Sabine Reber ren eine junge, aktive Urban Garde- Eugen Ulmer Verlag 2016 AT Verlag 2015 ning-Szene entwickelt. Das Angebot ISBN: 978-3-8001-1267-8 ISBN: 978-3-03800-863-7 für engagierte Hobbygärtnerinnen und 30 Franken 33 Franken -gärtner beschränkt sich dabei nicht auf Gemeinschaftsgärten, sondern beinhal-
Ausgabe 58 | November 2020 Mit Gärten unsere Städte verändern 7 tet auch Gartenkurse, Mietbeete oder errasse oder dem schmalen Balkon – das fülle dienen zwar dem Zweck, sind aber Bienenhaltung. Gemeinsames Lernen, eigene grüne Paradies wird auch an den etwas überholt. Denn das Recyceln und die Vermittlung von Wissen und das unmöglichsten Orten erschaffen. Zweckentfremden ausrangierter Ma- Schaffen von Bewusstsein sind weitere Die roten Geranien weichen dabei Salat, terialien findet heute auch im Garten zentrale Aspekte. Neben der gemein- Kräutern und Tomaten: Die steigende Anklang. Das Gemüse wächst in ausge- samen «Feldarbeit» bieten viele Projek- Popularität für Urban Gardening hängt musterten Plastik-Brotkisten, Kartoffeln te auch ein kulturelles Programm und auch mit dem Wunsch nach Selbstver- spriessen in Reissäcken und Kräuter in verschiedene Workshops an. Was in den sorgung, dem Vegetarismus und Vega- ehemaligen Milchtüten. Und in ausran- letzten Jahrzehnten wieder zu wachsen nismus sowie der erhöhten Sensibilität gierte Einkaufswägeli werden mobile begonnen hat, ist aber keineswegs ein für Umweltbelange zusammen. Kleingärten angelegt: Mit einer durch- neues Konzept: Die Wurzeln des Stadt- Neben dem Selbstversorgungsgedanken lässigen Plastikplane ausschlagen, Erde gärtnerns reichen weit zurück – von gilt es aber auch, die neue Philosophie rein und fertig sind der eigene Gemüse- den hängenden Gärten der Semiramis des «slow living» umzusetzen. Das Kei- garten oder das bunte Blumenbeet. über die Alhambra bis zu den barocken men, Wachsen und Ernten zu erleben, Neben der Selbstversorgung gilt es beim Parkanlagen von Versailles wurden we- zeigt den Menschen in der Hektik des Urban Gardening aber auch, die Na- der Kosten noch Mühen gescheut, um Alltags, dass nicht alles von heute auf tur zurück in die Stadt zu bringen und grüne Paradiese ganz nach eigenen morgen geht und macht sie wieder zu graue Häuser in eine grüne Oase zu ver- Vorstellungen erblühen zu lassen. Da- erdverbundenen Wesen. Urban Garde- wandeln. Schmucklose Fassaden werden ran hat sich auch im dritten Jahrtau- ning ist deshalb sinnstiftende Tätigkeit, mit Kletterpflanzen begrünt. Daneben send nichts geändert: Der Wunsch des umweltschonende Produktion und be- bietet der Fachhandel zahlreiche Syste- Menschen nach einem eigenen Garten wusster Konsum der landwirtschaftli- me, um auch an vertikalen Flächen wie ist im Zeitalter von Social Media unge- chen Erzeugnisse in einem. etwa der Hausmauer Blumen oder Ge- brochen und hat sich von der ländlichen müse anzubauen. In den Ballungszent- Beschaulichkeit nun auch in die hekti- Kräuter im Tetrapack ren wird der Platz für die Natur immer schen Ballungszentren ausgeweitet. Ob Töpfe und Kisten für den Anbau der knapper und indem man auch Mauern im schattigen Hinterhof, auf der Dacht- selbst gezogenen Gemüse- und Früchte- als Anbaufläche nutzt, kann mehr Grün- Bild: Pexels Bild: hew Gemüse und Blumen wachsen auch in ausrangierten Suppenschüsseln, Badezubern oder Einkaufswägeli.
8 Mit Gärten unsere Städte verändern Ausgabe 58 | November 2020 fläche und somit ein besseres Mikrokli- ma geschaffen werden. Willkommen Herr Igel Die Rückkehr der Natur in die Sied- lungsräume ist jedoch nicht länger nur Pflanzen vorbehalten, sondern schliesst auch Tiere ein. Insektenhotel, Igelhaus oder Nistkasten sind nicht nur Symbole, sie zeigen, dass die Menschen sich auf die Umwelt besinnen und sich selbst als Teil der Ökologie sehen. Damit die tie- rischen Mitbewohner auch genügend Nahrungsquellen und Unterschlüpfe finden, halten immer öfter einheimi- Die Lebensmittelproduktion trägt einen erheblichen Teil zum Klimawandel bei. sche Wildpflanzen Einzug in Gärten Grund genug also, um zu handeln – auch in den Städten, etwa mit Urban Gardening und auf Balkone. Das lohnt sich: For- Projekten. Bild: Pexels schende der Universität Basel konnten in einer aktuellen Studie nachweisen, dass gerade Gärten im Stadtgebiet eine leisten einen Beitrag zur Verbesserung standsfähigkeit» in der Lebensmittel- bemerkenswerte Artenvielfalt beher- der Lebens- und Luftqualität. «Essba- versorgung. Denn das Fehlen regionaler bergen können. In den 35 untersuch- re Stadt» heissen heute jene Ballungs- Versorgungsalternativen, die geringe ten Gärten in der Region Basel wiesen zentren, die ihr öffentliches Grün statt Vorratshaltung im Handel und in pri- sie insgesamt 254 verschiedene Insek- mit Stiefmütterchen und Begonien mit vaten Haushalten hat zu einer starken, tenarten nach. Wer auf seinem Stadt- Gemüse bepflanzen. Die deutsche Stadt einseitigen Abhängigkeit von den kom- balkon und City-Garten ein besonderes Andernach hat die Idee bereits erfolg- merziellen Lieferketten der Supermärkte Augenmerk auf Pflanzen legt, die bei reich umgesetzt: Städtische Grünflächen und Handelskonzerne geführt. Vor die- Insekten beliebt sind, leistet deshalb ei- werden dort seit 2008 für eine urbane sem Hintergrund haben anlässlich der nen wichtigen Beitrag für mehr Natur Landwirtschaft genutzt und die Einwoh- Expo 2015 in Mailand deshalb mehr als im Siedlungsraum. Zusätzlich benötigen nerinnen und Einwohner können bei der 100 Städte weltweit den Milan Urban Schwalbenschwanz, Rosenkäfer und Co. Pflege mitwirken und von der Ernte pro- Food Policy Pact (MUFPP) unterzeichnet, auch Rückzugsmöglichkeiten in Form fitieren. Statt «Betreten verboten» heisst in welchem sie sich zu einer nachhalti- von Stein- oder Asthaufen sowie win- es neu «Pflücken erlaubt!» Auch Schwei- gen und zukunftsfähigen Ernährung be- terliche Strukturen wie stehengelassene zer Städte werden dank privater Initia- kennen. Auch die Schweizer Städte Ba- Pflanzenstängel. Als wichtigster Grund- tiven und der Unterstützung durch die sel, Genf, Lugano und Zürich haben das satz gilt dabei aber: Wer die Insekten Stadtverwaltung immer essbarer. Abkommen unterzeichnet. fördern will, verzichtet auf das Ausbrin- Während das Urban Gardening eher gen von Pestiziden. als eine Form der Selbstversorgung im Privaten verstanden wird, steht bei ess- Links Pflücken erlaubt baren Städten der öffentliche Raum im Nicht zuletzt sind städtische Gärten Vordergrund. Dass sich Städte zukünftig Milan Urban Food Policy Pact auch Mini-Modelle für die Städte der vermehrt an der Lebensmittelprodukti- www.milanurbanfoodpolicypact.org Zukunft, in denen Nahrungsmittelanbau on beteiligen, ist auch ein Anliegen der Verein Urban Agriculture Basel und Stadtleben wieder stärker miteinan- Initiative Milan Urban Food Policy Pact www.urbanagriculturebasel.ch der verwoben werden. Urbane Landwirt- (MUFPP). In Europas Grossstädten dro- schaft schont Umwelt und Ressourcen, hen zwar aktuell weder Versorgungs- Infos zum Urban Gardening in der indem Transportwege für Nahrungsmit- krisen noch Hungersnöte. Expertinnen Schweiz tel eingespart werden und von Grün und Experten raten jedoch auch in un- www.stadtwurzel.ch flächen aufgebrochenen Betonwüsten seren Breiten zu einer stärkeren «Wider-
Ausgabe 58 | November 2020 Igelschutz in den Kantonen 9 Igelschutz in den Kantonen Anfang Jahr verschickten wir eine Anfrage zum Thema Igelschutz an alle Deutschschweizer Kantonsverwaltungen. Die Anfrage und die dahinterliegende Problematik veröffentlichten wir schon im Frühjahrsbulletin, weshalb wir uns auf eine Zusammenfassung beschränken. Igel leben sehr nah mit dem Menschen zusammen, sie sind ausserordentlich be- liebt und sie verkriechen sich nicht wie andere Wildtiere, wenn sie verletzt oder geschwächt sind. Dementsprechend werden täglich eine mittlere zweistelli- ge Zahl hilfsbedürftiger Igel gefunden. Das Problem ist, dass ohne fachkundi- ge Hilfe die meisten Igel nur zu Tode gepflegt werden und damit das Leiden der Tiere unnötig verlängert wird. Des- halb wollten wir von den kantonalen Verwaltungen wissen, wie mit dieser Problematik im jeweiligen Kanton um- gegangen wird. Grosse Unterschiede zeigten sich erwar- Igel lösen schnell mal den Helferreflex aus Bild: Dieter Kummer tungsgemäss bei den Antworten auf die Frage nach Anlaufstellen und offiziellen Igelstationen. Dass die kleinen Berg- Tierheimen oder vereinzelten Igelstatio- Solothurn und Appenzell. Der Kanton kantone wie Uri, Glarus, Ob- und Nid- nen übernommen wird. Eine Betreuung Glarus zeigte sich sehr interessiert an walden und die beiden Appenzell keine für hilfsbedürftige Igel, die den Namen diesem Thema und hat angekündigt, mit Igelstationen haben, erstaunt nicht. auch verdient, findet sich eigentlich nur dem kantonalen Tierschutzverein eine Man findet keine Igel im Hochgebir- im Kanton Aargau mit vier privat ge- Lösung zu suchen. ge wegen der langen strengen Winter führten Igelstationen. Leider wurde aus unserer Sicht zu häufig und weil sie steil abfallendes Gelände vom Thema abgelenkt und der Schutz nicht schätzen. Für die Tatsache, dass Allgemeiner Eindruck des Igels vom Standpunkt des Arten- der Kanton Baselland mit einer nach- Die Antworten waren hinsichtlich Stil, schutzes her beurteilt. Wir wollen aber gewiesen zahlreichen Igelpopulation Umfang und Inhalt sehr unterschied- ausdrücklich auf das einzigartige Pro- weder Anlaufstelle noch Igelstation hat, lich. Im Kanton Nidwalden war der Igel blem aufmerksam machen, dass der erhält das Baselbiet die rote Laterne. bisher kein Thema und es wurden auch Igel als einziges Wildtier so häufig von Nur unwesentlich besser ist die Situa- keine Anfragen aus der Bevölkerung Tierfreunden aufgenommen und falsch tion in den anderen Flächenkantonen registriert. Ähnliche Antworten erhiel- behandelt werden kann und wird. Wir des Mittellandes, wo diese Aufgabe von ten wir auch aus anderen Kantonen wie bleiben dran.
10 Igelschutz in den Kantonen Ausgabe 58 | November 2020 Kanton Amtsstelle Ort Igelstation AG Departement Bau, Verkehr und Umwelt 4342 Obermumpf Eva Frei Abteilung Landschaft und Gewässer 5036 Oberentfelden Danielle Lenzin 5624 Bünzen Alison Schulz 5703 Seon Stiftung Satis 8905 Arni Lucie Pfister AR Amt für Raum und Wald, Fachstelle Natur und Landschaft keine AI Land- und Forstwirtschaftsdepartement keine Landwirtschaftsamt, Meliorationsamt, Veterinäramt BL Volkswirtschafts- und Gesundheitsdirektion keine Abteilung Natur und Landschaft BS Bau- und Verkehrsdepartement 4052 Basel TBB Tierschutz beider Basel Fachstelle für Natur- und Landschaftsschutz 4058 Basel Regina Tschachtli BE Volkswirtschaftsdirektion des Kantons Bern 2555 Brügg Tierschutzverein Biel-Seeland Abteilung Naturförderung 2710 Tavannes Béatrice Gisiger Bereich Arten und Lebensräume 3123 Belp Dr. R. Willener 3427 Utzenstorf Schweizer Wildstation 3657 Schwanden Tierschutz Region Thun 4923 Wynau Bernadette Meier GL Bau und Umwelt keine Abteilung Umweltschutz und Energie GR Departement für Volkswirtschaft und Soziales 7000 Chur Tierheim Arche Fachstelle Tierschutz Wild- und Heimtiere LU Veterinärdienst Luzern 6030 Ebikon Eveline Noser 6410 Goldau Tierpark Goldau NW Baudirektion keine Fachstelle Natur- und Landschaftsschutz OW Amt für Wald und Landschaft keine Abteilung Wald und Natur SH Baudepartement 8200 Schaffhausen Tierheim Buchbrunnen Planungs- und Naturschutzamt 8222 Beringen Vogel- und Wildtierpflegestation SZ Amt für Natur, Jagd und Fischerei 6410 Goldau Tierpark Goldau SO Amt für Raumplanung 2540 Grenchen Tierheim Aarebrüggli Natur und Landschaft SG Volkswirtschaftsdepartement 8887 Mels SG Pia Albrecht Amt für Natur, Jagd und Fischerei 9650 Nesslau Tierklinik 9200 Gossau Walter Zoo TG Departement für Inneres und Volkswirtschaft 8500 Frauenfeld Igelstation Frauenfeld Jagd- und Fischereiverwaltung UR Amt für Raumentwicklung 6467 Schattdorf Tierschutzverein Uri Abteilung Natur und Landschaft ZG 6319 Allenwinden Tierheim Allenwinden ZH Amt für Landschaft und Natur 8050 Zürich Igelzentrum Zürich Fachstelle Naturschutz 8117 Fällanden Rico Hauser 8335 Hittnau Dieter Kummer 8400 Winterthur Verein Igelhilfe 8805 Richterswil Marie-Claire Lehmann 8933 Maschwanden Barbara Trentini Alle Angaben wurden ungeprüft von den Ämtern übernommen.
Ausgabe 58 | November 2020 Igelstation Hittnau 11 Igelstation Hittnau Die Region Zürcher Oberland mit den angrenzenden Gebieten ist geprägt von vielen Wohnsiedlungen und beherbergt viele Igel. Man könnte in diesem Einzugsgebiet fünf Igel stationen betreiben und es hätte auch dann noch zuwenig Pflegeplätze. Seit einigen Jahren gibt es aber gar kei- ne Igelstation mehr in dieser Region. Wir sind deshalb überglücklich, dass sich Dieter Kummer aus Hittnau entschlos- sen hat, eine Igelstation aufzubauen und zu betreuen. Er ist ein Igelliebhaber der ersten Stunde und widmet sich seit Jahrzehnten der Pflege von hilfsbedürf- tigen Igeln. Bisher war er aber räum- lich und zeitlich zu limitiert, um mehr als vier Igel aufzunehmen und deshalb ein Geheimtipp für Hilfesuchende in der näheren Umgebung. Trotzdem entging auch ihm nicht die Zunahme an hilsbe- dürftigen Igeln seit letztem Sommer. Als er nun diesen Spätsommer die Bemer- kung fallen liess, er würde gerne seine Station vergrössern und einen professi- Einer von Dieter Kummers zahlreichen Patienten Bild: Dieter Kummer onellen Betrieb aufziehen, ergriff ich die Gelegenheit und bot ihm an, mitzuhel- fen und einen dazupassenden Träger- verein zu gründen. Die meisten privaten ell gegründet. Für pro Igel ist die Mitar- rüstung wie jede andere Tierklinik. Es Igelstationen in der Schweiz werden beit an diesem Projekt ein Novum und braucht Behälter für die Aufbewah- von Einzelkämpferinnen betrieben, die entspricht eigentlich nicht dem Grund- rung der Tiere, Behandlungstische und neben der Arbeit auch einen grossen satz, auf eine eigene Igelstation zu ver- Schränke, eine Waage, medizinisches finanziellen Aufwand zu tragen haben. zichten. Deshalb beschränkt sich unsere Material und Medikamente. Da kom- Mit einem Verein als Basis für die Igel- Mitarbeit auf die Bereiche, die einen men schnell mal 8000 - 10 000 Franken station lässt sich zumindest die finanzi- erfolgreichen Start ermöglichen. Wir zusammen. Damit die Station mög- elle Seite des Betriebs abdecken, Spen- haben die Statuten und das Gründungs- lichst schnell den Betrieb aufnehmen den können von den Steuern abgezogen protokoll aufgesetzt, wir kümmern uns kann, unterstützen wir den neuen Ver- werden und es lassen sich auch eher um die Anerkennung als steuerbefreite ein mit einem zinslosen Darlehen. Wir Helfer finden, weil man eine öffentliche gemeinnützige Organisation und wir sind überzeugt, dass der Verein in Kürze Institution ist. übernehmen auch die Pressearbeit und finanziell selbsttragend sein wird und Mitte Oktober war es dann soweit, der das Fundraising. damit ein erfolgreicher Betrieb sicher- Verein Igelstation Hittnau wurde offizi- Eine Igelstation benötigt eine Aus- gestellt ist.
12 Vereinsnachrichten Ausgabe 58 | November 2020 Generalversammlung 2020 Nachdem die fertig geplante GV im Frühling nicht stattfinden konnte, stehen wir nun pünktlich zur zweiten Pandemiewelle wieder vor dem gleichen Problem. Deshalb verzichten wir für einmal auf eine physische Zusammenkunft und richten unsere Generalversammlung im virtuellen Raum aus. Wir laden Sie herzlich ein zu unserer Generalversammlung am 12.12.2020 um 11:00 Uhr auf der Internetplattform Zoom. Traktandenliste: 1. Begrüssung durch den Präsidenten Nach Erhalt Ihrer Anmeldung schicken – Maja Widler 2. Wahl des Stimmenzählers, wir Ihnen gerne den weblink für die 8805 Richterswil, bisher der Stimmenzählerin Teilnahme und alle Dokumente für die – Dr. Robert Zingg 3. Protokoll der letztjährigen GV Generalversammlung per Post/Email zu. 8044 Zürich, bisher 4. Jahresbericht 2019 – Dr. med. vet. Isabelle Zulauf 5. Jahresrechnung 2019, Bericht Für die Wahl in den Vorstand haben sich 6331 Hünenberg, bisher der Revisionsstelle zur Verfügung gestellt: 6. Wahlen – Lorenz Hirni 7. Varia 3011 Bern, Präsident, bisher Anmeldungen nehmen wir gerne entgegen unter 044 767 07 90 oder info@pro-igel.ch. Anmeldeschluss ist der 4.12.2020. Notfallnummer Wir müssen nach vorne blicken und so schnell wie mög- Mitbringen müssten Sie: lich unsere Notfallnummer wieder in Betrieb nehmen. Es - Die Bereitschaft, abends und am Wochenende Einsatz besteht ein grosses Bedürfnis nach kompetenter Hilfe für zu leisten notleidende Igel. Vor allem am Abend und am Wochen- - Freude am Telefonieren. Viel Geduld mit aufgeregten ende ist es unglaublich schwierig, fachkundigen Rat und Menschen. Hilfe zu erhalten. - Gute geografische Kenntnisse der Deutschschweiz und/ oder Erfahrung bei der Bedienung von Routenplanern Wir suchen deshalb IgelfreundInnen für eine nicht ganz alltägliche Aufgabe. Igelspezifisches Wissen und tiermedizinische Erfahrung sind von Vorteil. Bezüglich Pensum und Vergütung sind wir flexibel. Interessiert? Melden Sie sich bei Bernhard Bader, 044 767 07 90
Ausgabe 58 | November 2020 Meister Reineke - ein schlauer Opportunist 13 Meister Reineke – ein schlauer Opportunist «Fuchs, du hast die Gans gestohlen, gib sie wieder her, sonst kommt der Jäger dich holen mit dem Schiessgewehr.» Dieses Kinderlied dürfte den meisten von uns bekannt sein. Meister Reineke, wie der Fuchs in Fabeln oft genannt wird, hat als Kulturfolger einen prominenten Platz in Kinderreimen, Redewendungen und Geschichten. Ausgefuchst wie er ist, übertölpelt er in diesen Erzählungen mit seiner List jeweils die anderen Tiere. Bild: iStockphoto
14 Meister Reineke - ein schlauer Opportunist Ausgabe 58 | November 2020 SHIRINE BOCKHORN vom Menschen profitieren und sich in Ein scheues Tier ihrer Nähe aufhalten. Die in der Schweiz heimischen Rotfüch- So auch in der Fabel mit dem Raben, Eines der prominentesten Beispiele eines se sind äusserst anpassungsfähige Tiere. dem er ein Stück Käse abschwatzt, in- Kulturfolgers ist nun eben der Fuchs. Sie sind deshalb auch das weltweit am dem er die Schönheit des Raben lobt und Auch wenn die meisten von uns keine meisten verbreitete Raubtier. Ausser in ihn bittet auch seine sicher wunderbare Hühner mehr halten, die er erbeuten Südamerika findet man sie auf allen Stimme erklingen zu lassen. Der Rabe, könnte, so tut er sich doch sehr gerne an Kontinenten. In Australien, wo sie aus- geschmeichelt, öffnet den Schnabel und unseren Abfällen gütlich. Der Lebens- gesetzt wurden, um die ebenfalls ein- krächzt, worauf ihm das Stück Käse aus raum Stadt bietet Füchsen genug Nah- geschleppten Kaninchen einzudämmen, dem Schnabel fällt und der Fuchs sich rung, um sich dauerhaft anzusiedeln. haben sie sich mittlerweile zur Plage dieses schnell schnappt. Während der Die Fuchsdichte in der Stadt Zürich ist entwickelt. Sämtliche Versuche sie dort Fuchs für List steht, wird dem Raben sogar zehnmal höher als auf dem Land wieder auszurotten, sind bisher an der in Fabeln oft die Rolle des Diebischen und dreiviertel der Nahrung der Stadt- Schläue der Füchse gescheitert. Obwohl zugewiesen. Die Gans wiederum ist ge- füchse stammt vom Menschen. Bis zu sie Waldgebiete mit viel Deckung vor- schwätzig, der Bär gutmütig und der Esel 500 Tiere leben dauerhaft in Zürich hat ziehen, nehmen sie mit so gut wie jedem eigensinnig. So entsteht ein ganzer Kos- ein Biologenteam 2001 herausgefunden. Gelände vorlieb. Ihre Aktivitätsphasen mos von Tiergestalten, die verschiedene Diese unterscheiden sich offensichtlich passen sie dabei an den Menschen an. In Eigenschaften des Menschen darstellen auch genetisch von ihren Verwandten dicht besiedelten Gebieten verlassen sie und im Rahmen einer Geschichte mo- auf dem Land. Trotz dieser grossen An- ihren Bau nur nachts, wo es genug De- ralische Grundsätze transportieren wol- zahl werden nur selten Füchse in Wohn- ckung und wenige Menschen gibt, sind len. Was auffällig ist: Die meisten Tiere, gebieten gesichtet, wenn, dann trifft sie auch tagsüber anzutreffen. die in Fabeln, Erzählungen oder Mythen man eher auf ihre Spuren, wie aufge- Lange glaubte man, Rotfüchse seien vorkommen, sind entweder Haus- und rissene Abfallsäcke. Das liegt an der Le- Einzelgänger. Mittlerweile weiss man Nutztiere oder sie sind Kulturfolger, die bensweise des Fuchses. aber, dass sie in sozialen Familienver- bänden zusammenleben. Fuchs und Füchsin leben zumindest für ein Jahr in monogamen Beziehungen und ziehen gemeinsam ihre Welpen gross. Schutz vor Feinden suchen sie in einem Bau, den sie, sofern es sich vermeiden lässt, nicht selbst graben. Eher wird ein bereits existierender Kaninchenbau ausgebaut oder eine verlassene Dachshöhle bezo- gen, oder sogar noch ein bewohnter. Da Dachse ihr Zuhause stets weiter in die Tiefe ausbauen, um im Winter wär- mer zu haben, hinterlassen sie oft un- genutzte Hohlräume, die näher an der Erdoberfläche liegen. In diese ziehen nun oft Füchse, aber auch andere Tie- re ein. So entstehen seltsam anmutende Wohngemeinschaften von Dachs, Fuchs und Kaninchen, aber auch Iltissen und Brandenten in einem Bau. Man sollte meinen, die Wildkaninchen oder Bran- denten müssten dabei um ihr Leben bangen, gehören sie doch auf den Spei- sezettel ihrer Mitbewohner, speziell des Der Lebensraum Stadt bietet Füchsen Nahrung Bild: iStockphoto Rotfuchses. Innerhalb des Baus herrscht
Ausgabe 58 | November 2020 Rubriktitel 15 Die Paarungszeit der Füchse fällt in den tiefsten Winter Bild: iStockphoto aber ein sogenannter Burgfrieden: Die Jedes Fuchspaar hat ihr eigenes Revier, Körpersprache ähnelt sich in vielerlei Beutetiere werden von den Raubtie- dessen Grösse vom Nahrungsangebot Hinsicht. Neben Markierungen mittels ren in Ruhe gelassen. Was nicht heisst, abhängt. In Städten verfügen Füch- Duftsekreten kommunizieren Füchse dass die Kaninchen und Brandenten sich se manchmal über nicht mehr als ei- auch akustisch. Sie beherrschen eine nicht vorsehen müssten, sobald sie ihren nen Viertel Quadratkilometer Revier, Vielzahl verschiedener Laute: Bellen, Mitbewohnern ausserhalb der eigenen andernorts kann dieses bis zu 40 Qua- Knurren, Winseln und Keckern in ver- vier Wände begegnen. Der Frieden gilt dratkilometer betragen. Die Grenzen schiedenen Tonhöhen und Lautfolgen. nur innerhalb des eigenen Zuhauses. ihres Territoriums markieren Füchse mit So ist das «Ranzbellen», also ihr Paa- Der Grund für dieses Verhalten ist noch Kot oder einem Sekret. In nahrungsrei- rungsruf eine charakteristische Abfolge nicht abschliessend geklärt, eine Vermu- chen Regionen scheinen sich die Reviere von sechs Lauten. tung ist, dass Füchse ungern in der Nähe verschiedener Fuchspaare teilweise auch ihres Baus jagen. Blut- oder Fellreste zu überlappen. Grundsätzlich muss ein Gemeinsame Aufzucht der Jungen könnten potenzielle Feinde auf ihr Zu- Jungfuchs nach dem Verlassen des elter- Die Paarungszeit der Füchse fällt in den hause aufmerksam machen. lichen Baus sich aber sein eigenes Terri- tiefsten Winter. Von Ende Dezember bis torium erkämpfen, indem er einen Re- Ende Januar wirbt der sogenannte Rüde Der Fuchs: ein Opportunist vierbesitzer herausfordert und besiegt. um sein Weibchen, die Fähe. Die Paarung Der Speiseplan des Fuchses ist vielfältig. Dabei verletzen sich die Tiere selten. Es ähnelt jener der Hunde. Auch Füchse Er ernährt sich hauptsächlich von Mäu- geht eher darum durch Grösse Eindruck hängen für bis zu einer halben Stunde sen, aber auch von Jungwild, zum Beispiel zu machen und den Gegner auf den Rü- nach dem Akt aneinander, weil der Pe- Junghasen oder Rehkitzen. Ebenso gerne cken zu schubsen. Der Verlierer wird mit nis des Rüden im unteren Teil zu einem frisst er Insekten, Jungvögel oder Eier. Als Nachdruck aus dem Revier verjagt. Knoten anschwillt. Während dieser Zeit Aufräumtrupp im Wald verschmäht er Füchse verfügen über verschiedene Ar- ist das Fuchspaar äusserst verwundbar, aber auch Aas nicht und je nach Saison ten der Kommunikation. Sie können sich da es sich kaum wehren kann. Die Paa- stehen zusätzlich Beeren oder Früchte über die Körpersprache verständigen. rung findet deshalb auch oft im Bau auf dem Speisezettel. Als Kulturfolger So signalisieren zum Beispiel ein erho- statt. Danach vergehen sechs bis acht in den Städten frisst der Fuchs vor allem bener Schwanz und aufgestellte Ohren Wochen, bis die Fähe vier bis maximal was im Angebot ist, das heisst, was unser Dominanz, ein eingekniffener Schwanz acht Welpen zur Welt bringt. Die Baby- Abfall so hergibt. Der Fuchs ist also nicht zusammen mit einer geduckten Haltung füchse sind bei der Geburt zwischen 80 angewiesen auf eine spezifische Nah- wiederum Unterwerfung. Füchse gehö- und 120 Gramm schwer und blind und rungsquelle, das erlaubt ihm auch in ver- ren zu den Hundeartigen, sind also mit taub. Die ersten Wochen verbringen sie schiedenen Lebensräumen zu bestehen. unseren Haushunden verwandt und ihre deshalb im schützenden Bau. Sie werden
Im Alter von sechs Monaten werden die Jungfüchse selbstständig und müssen sich ihr eigenes Revier suchen Bild: iStockphoto von der Mutter gesäugt, der Vater un- bei ist nicht wie bei vielen anderen Tie- Schaden anrichten, führen andere dazu, terstützt die Aufzucht der Jungen indem ren das Nahrungsangebot entscheidend, dass Wildtiere falsch behandelt werden. er Futter beschafft. Nach ca. zwei Wo- sondern wie stark sie bejagt werden. Je Noch immer werden Äpfel an Igel ver- chen öffnen sich Augen und Ohren und grösser die Sterberate in einer Populati- füttert. Die Vorstellung dass die stach- nach weiteren zwei Wochen verlassen on umso grösser fällt der Wurf aus. Dazu ligen Insektenfresser Früchte als Futter die Welpen zum ersten Mal zusammen kommt ihre Flexibilität bezüglich Nah- mögen, geht auf das Mittelalter zurück. mit der Mutter den Bau. Ihr Fell ist an- rung, Lebensraum und Aktivitätsphasen. Damals ging man davon aus, dass Igel fangs noch graubraun, erst mit der Zeit Kein Wunder wird dem Fuchs in Fabeln Trauben oder Äpfel stehlen, indem sie verfärbt es sich fuchsrot. Im Alter von die Rolle des Listigen und Schlauen zu- sie mit ihren Stacheln aufspiessen und sechs Monaten werden die Jungfüchse gewiesen. so davontragen. selbstständig und müssen sich ihr eige- Wildtiere sind faszinierend, das beweisen nes Revier suchen. In stabilen Populatio- Zuschreibungen und all die Mythen und Erzählungen über sie. nen kann es vorkommen, dass weibliche Fehlinformationen Gerade heute, wo Naturerlebnisse rar Jungfüchse bei der Mutter verbleiben Das Bild, das vom Fuchs in Fabeln gezeich- geworden sind ist die Versuchung gross, und ihr bei der Aufzucht der Jungen im net wird, mag passend erscheinen. Durch aktiv zu werden, wenn man den Eindruck nächsten Jahr helfen. Erzählungen, Bilder und Mythen halten hat, dass es einem Tier nicht gut geht. Füchse können ihr Verhalten hochgradig sich bis heute aber immer wieder falsche Um keinen Schaden anzurichten ist es den vorhandenen Lebensbedingungen Beschreibungen und Informationen über unerlässlich, sich bei einer Fachperson anpassen. Wo sie wenig bejagt werden, Wildtiere, speziell über Kulturfolger, die zu informieren, ob und wie man einem leben sie zum Beispiel oft in diesen grös- in der Nähe des Menschen leben. So wird Wildtier helfen kann. Sonst könnte der seren Familienverbänden zusammen, ein Fuchs kaum eine Gans erjagen, die ist Schuss nach hinten losgehen und man wo Töchter bei der Aufzucht helfen, als Beutetier für ihn viel zu gross. Ebenso schadet mehr als man nützt. Apropos aber selbst keine Jungen bekommen. wenig stehlen Elstern glänzende Gegen- Schuss: Füchse sollten unter keinen Um- Ein Fuchspaar tut sich dann oft für den stände. Bei Versuchen reagierten sie sogar ständen gefüttert werden. Wenn sie sich Rest ihres Lebens zusammen und zieht eher ängstlich darauf. zu sehr an menschliche Nähe gewöhnt jedes Jahr gemeinsam die Welpen gross. Während manche dieser Volksweisheiten haben, droht ihnen auch heute noch der Auch die Wurfgrösse passt sich an. Da- bezüglich Wildtieren keinen grösseren Jäger mit dem Schiessgewehr.
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