IGEL - Dauerbrenner Igelfütterung Mit Gärten unsere Städte verändern Meister Reineke - ein schlauer Opportunist - Pro Igel

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IGEL - Dauerbrenner Igelfütterung Mit Gärten unsere Städte verändern Meister Reineke - ein schlauer Opportunist - Pro Igel
IGE L
                                             AUSGABE 58 | NOVEMBER 2020
                                  PUBLIKATIONSORGAN DES VEREINS PRO IGEL

                B U L L E T I N

Dauerbrenner
Igelfütterung
Mit Gärten unsere
Städte verändern
Meister Reineke –
ein schlauer Opportunist
IGEL - Dauerbrenner Igelfütterung Mit Gärten unsere Städte verändern Meister Reineke - ein schlauer Opportunist - Pro Igel
2                                                                                                                Ausgabe 58 | November 2020

INHALT

    3	Dauerbrenner Igelfütterung
    5	Mit Gärten unsere Städte
       ­verändern
    9               Igelschutz in den Kantonen

 11                 Igelstation Hittnau
12                  Vereinsnachrichten

13	Meister Reineke - ein schlauer
    Opportunist

IMPRESSUM

                                                   Abschied von Antje Girlich
«Igel Bulletin», offizielle Publikation des
Vereins pro Igel. Erscheint in der Regel
­halbjährlich und wird kostenlos abgegeben.

Redaktion
pro Igel

Layout                                             Die Stimme unserer Igelhotline ist für     immenses Wissen kritisch zu hinterfra-
Martin Frei, Freiraum Werbeagentur AG              immer verstummt, Antje Girlich ist         gen und neue Erkenntnisse einzubauen.
                                                   ­Mitte Oktober im Alter von 80 Jahren      Antje war für den Betrieb einer Igelnot-
Druck
Mattenbach AG                                       verstorben. Wir beklagen den Verlust      fallnummer der absolute Glücksfall. Sie
                                                    einer grossen Tierfreundin und Igel­      hatte eine unglaubliche Geduld mit
Adresse und Kontakte
pro Igel                                            expertin.                                 aufgeregten Igelfindern und sie verlor
Kirchgasse 16                                                                                 auch bei ungehobelten Anrufern nie
8332 Russikon
                                                   Es fällt mir schwer, diese Zeilen zu       das Ziel aus den Augen, eine optimale
Telefon 044 767 07 90
E-Mail info@pro-igel.ch                            schreiben. Antje war für mich viel mehr    Lösung für den Igel zu finden. Und sie
Website www.pro-igel.ch                            als eine Arbeitskollegin, eher ein enges   war buchstäblich rund um die Uhr er-
Postkonto                                          Familienmitglied. Elf Jahre lang begann    reichbar, an 365 Tagen im Jahr, auch an
80-68208-7                                         mein Arbeitstag mit einem Telefonan-       Weihnachten und Silvester.
Auflage                                            ruf von Antje. Elf Jahre lang bekam ich
16‘400 Exemplare                                   so meine tägliche Ration Informationen     Ich bin dankbar, dass ich so viel Zeit
                                                   zur momentanen Lage der Igelpopulati-      mit diesem wunderbar warmherzigen
Titelbild
Igel im Laub, Adobe Stock                          on in der Schweiz, zur Situation in den    und engagierten Menschen verbringen
                                                   Igelstationen und alles Neue aus dem       durfte.
© by pro Igel
Für alle Texte und Bilder, wo nichts anderes       igelmedizinischen Bereich. Antje Gir-      Falls es einen Himmel für Igel gibt, wird
vermerkt, Nachdruck nach Rücksprache mit           lich hatte einen hellwachen Geist, sie     Antje Girlich dort sicher einen Ehren-
der Redaktion willkommen.                          suchte und fand Zusammenhänge, die         platz bekommen.
                                                   nicht gleich offensichtlich waren, und
                         PERFORM ANCE
                                                   sie hatte überhaupt kein Problem, ihr      Bernhard Bader
                                neutral
                             Drucksache
No. 01-13-303973 – www.myclimate.org
© myclimate – The Climate Protection Partnership
IGEL - Dauerbrenner Igelfütterung Mit Gärten unsere Städte verändern Meister Reineke - ein schlauer Opportunist - Pro Igel
Ausgabe 58 | November 2020                                                                     Dauerbrenner Igelfütterung           3

Dauerbrenner Igelfütterung
Früher war es eher ein Randthema, heute drehen sich rund die Hälfte aller Anrufe um die F­ rage,
ob und wie Igel zugefüttert werden können. Auslöser für diese Entwicklung ist die massive
­Zunahme an unterernährten Igeln in den letzten Jahren.

Wer je einem abgemagerten stacheligen       zen, die der Igel in naturnahen Gärten     bei einer Katze und für die Verwertung
Häufchen Elend begegnet ist, weiss, dass    findet. Mit den Insekten werden auch       von tierischem Eiweiss und Fett ausge-
es schier unmöglich ist, nicht zu helfen.   die Igel verschwinden.                     legt. Das wurde auch bestätigt durch
Was liegt da näher, als eine Schale Fut-                                               die Untersuchung des Mageninhalts von
ter hinzustellen? Diese Hilfsmassnahme      Die Verdauung des Igels                    überfahrenen Igeln. Man fand nur ge-
kann durchaus nützlich sein und den         Igel sind Kleinraubtiere, sie sind ge-     ringe Mengen an pflanzlichen Stoffen,
menschengemachten Nahrungsmangel            fürchtete Jäger im Reich der Insekten.     dabei handelte es sich vermutlich um
ein bisschen ausgleichen. Es kann aber      Das lässt sich am Verdauungsapparat        den Mageninhalt der Beutetiere oder
niemals die natürliche Nahrung erset-       leicht erkennen: Er ist ähnlich kurz wie   versehentlich aufgenommenen Beifang.

Igel an Wasserstelle                                                                                           Bild: Jacqueline Widmer
IGEL - Dauerbrenner Igelfütterung Mit Gärten unsere Städte verändern Meister Reineke - ein schlauer Opportunist - Pro Igel
4           Dauerbrenner Igelfütterung                                                                       Ausgabe 58 | November 2020

Welches Futter ist geeignet                  Weil sie ständig auf der Wanderschaft        generell verboten, Wildtiere zu füttern.
Ausschlaggebend ist der Gehalt an tie-       sind, setzen sie den Kot quasi laufend ab.   Ausnahmen sind Sing- und Wasservögel
rischem Protein und Fett, deshalb ist        Viele Igel an einem Ort produzieren viel     und Eichhörnchen.
Katzenfutter die beste Wahl. Es ist aber     Dreck, der dann ins Futter gelangt und       Die obengenannten Probleme mit dem
dringend von allen pflanzlichen Nah-         bakterielle Infektionen verursacht.          Massenandrang können vermieden wer-
rungsmitteln abzuraten. Die Liste der        Ein wenig beachtetes Problem bei der         den, wenn man gezielt und kontrolliert
schädlichen Nahrungsmittel, die den          Massenfütterung ist der Umstand, dass        zufüttert. Wenn der Igel auftaucht, stellt
Igeln von schlecht informierten Tier-        die Igel sich nicht nur an der Futterscha-   man eine Schale Katzenfutter hin, wenn
freunden vorgesetzt werden, ist erschre-     le gütlich tun, sie fressen auf dem Hin-     er gefressen hat, nimmt man die allfäl-
ckend lang: Äpfel, Nüsse, Brot, Datteln,     und Rückweg zum Futternapf buchstäb-         ligen Futterreste wieder mit. Igel haben
Nusstängeli, Milchprodukte, Haferflo-        lich die ganze Umgebung leer. Darunter       ein ausgeprägtes zeitliches Gedächtnis,
cken, Honig, Brot, Sonnenblumenkerne,        leiden dann alle anderen insektenfres-       nach der ersten Futtergabe werden sie
Rosinen usw.                                 senden Tiere.                                immer wieder zur gleichen Zeit erschei-
Generell gilt: Pflanzliche Kost macht die    Eine Futterstelle bedeutet auch nicht,       nen und auch auf das Futter warten.
Igel krank. Getreide, Gemüse und Pflan-      dass die Igel dann weniger weit wan-         Es ist für eine gesunde Igelpopulation
zenfasern sind für die Igel gar nicht oder   dern würden und so auch weniger Stras-       wichtig, dass zusammengefasst folgen-
nur in geringem Umfang verdaubar. Dies       sen überqueren müssten. Im Gegenteil,        de Punkte beachtet werden:
belastet das Verdauungssystem unnötig,       es werden auch Igel aus weiter entfernt      - nur unterernährte Igel zufüttern
behindert die Aufnahme von Nähr-             liegenden Revieren angezogen und die         - a usschliesslich Katzenfutter und
stoffen und führt zu einer unphysio-         Wege werden wieder länger, weil die             ­Wasser anbieten. Keine vegetabilen
logischen Darmflora. Leichtverdauliche       unmittelbare Umgebung des Fressnapfs             Lebensmittel!
Kohlenhydrate wie Stärke und Zucker          leergefressen ist.                           - n   ur gezielt Einzeltiere zufüttern.
bewirken eine übermässige Belastung                                                           ­Keine permanenten Futterstellen!
der Bauchspeicheldrüse und der Leber.        Bitte nur gezielt zufüttern
Zucker schädigt zudem das Gebiss.            Zum Glück braucht noch nicht jeder           Die einzige wirksame und nachhaltige
                                             Igel die Unterstützung durch Menschen.       Igelhilfe ist und bleibt der naturnahe,
Massenfütterung                              Runde, gutgenährte Igel dürfen nicht         insektenreiche Garten mit Blumenwie-
Eine muntere Schar von Igeln, die sich       gefüttert werden. In den Kantonen Zü-        se, Dickicht und einem igelzugänglichen
am Futternapf besammeln, mag für na-         rich und Baselland ist es per Jagdgesetz     Kompost.
ive Igelfreunde ein erfreulicher Anblick
sein. Leider trügt der Schein, Igelzusam-
menkünfte entsprechen weder dem art-
typischen Verhalten noch ist es für die
Gesundheit der Tiere zuträglich. Igel sind
Einzelgänger, die ihr Revier zwar nicht
verteidigen, aber den direkten Kontakt
mit Artgenossen meiden. Obwohl sie
sich in der Regel friedlich verhalten, be-
deutet ein gemeinsamer Fressplatz doch
eine Ausnahmesituation, und es kommt
auch immer wieder zu Beissereien zwi-
schen paarungsbereiten Igelmännchen
oder im Wettstreit um den besten Platz
am Napf.
Ein weiteres Argument gegen die Mas-
senfütterung ist die Gefahr, dass dort
Krankheiten und Parasiten übertragen
werden. Igel sind in ihrem Nest sehr rein-
lich, auswärts kennen sie keine Hygiene.     Ein reich gedeckter Tisch für Igel                                           Bild: pro Igel
IGEL - Dauerbrenner Igelfütterung Mit Gärten unsere Städte verändern Meister Reineke - ein schlauer Opportunist - Pro Igel
Ausgabe 58 | November 2020

                                                                                                                 Bild: Pixelio

Mit Gärten
unsere Städte verändern
Von Bio bis Biene, von Nachhaltigkeit bis Stadtgarten: Der urbane Siedlungsraum wird immer
mehr zum Gemüsegarten. Dank Urban Gardening wachsen vermehrt Tomaten im Balkonkistli
und Salate inmitten der Hochhaussiedlung. Denn heute gilt: Die Stadt der Zukunft ist essbar.

HELEN WEISS                                85 Projekte zur Auswahl – alle unter       Gurken, Tomaten, Zucchetti, Bohnen,
                                           dem Dach des Vereins «Urban Agricul-       Haferwurzel, Erdmandel und Kicher­
Speisepilze kultiviert auf Kaffeesatz,     ture Basel». Die meisten dieser Projekte   erbsen. «Wir pflanzen an, worauf wir
Hochbeete auf Flachdächern und Ho-         setzen auf gemeinschaftliches Gärt-        gerade Lust haben», erklärt Dominique
nig von Stadtbienen: Was in anderen        nern. So etwa auch der Gemeinschafts-      Oser, ehemalige Projektleiterin des Ge-
europäischen Grossstädten schon kräf-      garten Landhof in Basel, in dem ganz       meinschaftgartens Landhof. Auch ver-
tig floriert, hat auch in der Schweiz zu   unterschiedliche Menschen zum Gärt-        schiedene Kräuter, Wildkräuter sowie
keimen begonnen – Urban Gardening.         nern zusammenkommen, um mit ihren          zahlreiche Beeren und Feigen können
Das Konzept: Es werden überall in den      Fähigkeiten und Ideen etwas Positives      hier im Frühling und Sommer geern-
Städten essbare Pflanzen angebaut und      zu gestalten.                              tet werden. Einige Gemüsearten lässt
alltägliche Alternativen für den Le-       In dem in der Nähe der Messe ange-         Oser versamen: Haferwurzel, aber auch
bensmittelkonsum angeboten. Allein im      legten Gemeinschaftsgarten gedeihen        Nüsslisalat findet man überall im Ge-
Kanton Basel-Stadt stehen heute über       Kohl, verschiedene Salate, Kohlrabi,       meinschaftsgarten.
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6           Mit Gärten unsere Städte verändern                                                                   Ausgabe 58 | November 2020

Kreisläufe der Natur unterstützen
Auch die Beikräuter spriessen kräftig:
Auf den Beeten breitet sich das persische
Ehrenkraut aus, dazwischen zeigt Lö-
wenzahn seine buttergelben Blüten. Was
konventionellen Hobbygärtnerinnen und
-gärtnern ein Dorn im Auge ist, freut Oser.
«Die Beikräuter decken den Boden ab, so
lange er nicht genutzt wird», erklärt sie.
«Dadurch werden die Bodenlebewesen
geschützt und die oberste Bodenschicht
bleibt fruchtbar und intakt.» Liege Boden
brach, werde er gerne ausgeschwemmt,
weshalb die ungenutzten Beete während
des Winters mit einer dicken Laubschicht
geschützt werden. «Auch Gründüngun-
gen mit Ölrettich oder Phacelia dienen           Der öffentlich zugängliche Garten beim Landhof wird nicht nur zum gemeinsamen
diesem Zweck.»                                   Gärtnern, sondern auch als Erholungsort gerne genutzt.         Bild: Dominique Oser
Der Gemeinschaftsgarten liegt ge-
schützt zwischen Wohnblöcken und am
Rand des namengebenden Landhofs,
dem ehemaligen Stadion des FC Basel.             Gemeinschaftsgarten Landhof ist eines        Obwohl der Gemeinschaftsgarten erst
Das Areal stand aufgrund einer Umnut-            der zahlreichen Projekte, die im Rahmen      als Übergangsprojekt geplant war, ist er
zung 2011 leer – die Stadt Basel suchte          des Vereins entstanden», erklärt Oser.       heute ein fester Bestandteil des Quartiers
deshalb nach einem möglichen Tem-                                                             und ein beliebter Treffpunkt. «Wir haben
porärprojekt. Dominique Oser und Basti-          Zahlreiche Helferinnen und Helfer            regelmässige Helferinnen und Helfer aus
aan Frich erhielten den Zuschlag mit ih-         Ziel ist, dass die Bevölkerung aktiv am      der nahen Nachbarschaft», freut sich
rer Idee, einen Gemeinschaftsgarten für          Projekt partizipiert und die Koordination    Oser. Für die Freiwilligen ist die Mitar-
die Quartierbewohnerinnen und -be-               übernimmt. «Wir haben jedoch bemerkt,        beit weder verpflichtend noch bindend
wohner anzulegen. Die beiden Initian-            dass es eine verantwortliche Person mit      – man hilft, wenn man Lust und Zeit hat.
ten sind Mitglieder des gemeinnützigen           etwas Fachwissen benötigt, um die Ar-        Dies ist aus Sicht Osers auch das Erfolgs-
Vereins «Urban Agriculture Basel», wel-          beiten zu organisieren», erklärt Oser. Die   rezept des Gemeinschaftsgartens. «Der
cher die Erzeugung von Lebensmitteln,            gelernte biodynamische Landwirtin lei-       Garten wird umso vielfältiger, je mehr
Kräutern, Blumen, Nutz- und Medizinal-           tet deshalb jeweils am Mittwoch- und         Menschen zu seinem Erhalt und seiner
pflanzen durch die Einwohnerinnen und            Samstagnachmittag die Helferinnen            Entwicklung beitragen.» Die Fachfrau
Einwohner der Stadt ­Basel fördert. «Der         und Helfer im Garten an.                     freut sich jedes Mal darauf, im Gemein-
                                                                                              schaftsgarten zu arbeiten. Die Oase in
                                                                                              der Grossstadt sei sehr inspirierend: «Ich
                                                                                              kann dadurch vielen Menschen die Natur
    Literatur                                                                                 und deren Kreisläufe näher bringen.»

    Urban Gardening                              Veranda Junkies                              Mein Garten, mein Reich
    Gemüse anbauen ohne                          Urban Gardening auf Balkon                   Nicht nur in Basel, auch in Zürich, Bern
    Garten                                       und Terrasse                                 und Luzern hat sich in den letzten Jah-
    Yohan Hubert                                 Cornel Rüegg und Sabine Reber                ren eine junge, aktive Urban Garde-
    Eugen Ulmer Verlag 2016                      AT Verlag 2015                               ning-Szene entwickelt. Das Angebot
    ISBN: 978-3-8001-1267-8                      ISBN: 978-3-03800-863-7                      für engagierte Hobbygärtnerinnen und
    30 Franken                                   33 Franken                                   -gärtner beschränkt sich dabei nicht auf
                                                                                              Gemeinschaftsgärten, sondern beinhal-
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Ausgabe 58 | November 2020                                                               Mit Gärten unsere Städte verändern           7

tet auch Gartenkurse, Mietbeete oder      errasse oder dem schmalen Balkon – das       fülle dienen zwar dem Zweck, sind aber
Bienenhaltung. Gemeinsames Lernen,        eigene grüne Paradies wird auch an den       etwas überholt. Denn das Recyceln und
die Vermittlung von Wissen und das        unmöglichsten Orten erschaffen.              Zweckentfremden ausrangierter Ma-
Schaffen von Bewusstsein sind weitere     Die roten Geranien weichen dabei Salat,      terialien findet heute auch im Garten
zentrale Aspekte. Neben der gemein-       Kräutern und Tomaten: Die steigende          Anklang. Das Gemüse wächst in ausge-
samen «Feldarbeit» bieten viele Projek-   Popularität für Urban Gardening hängt        musterten Plastik-Brotkisten, Kartoffeln
te auch ein kulturelles Programm und      auch mit dem Wunsch nach Selbstver-          spriessen in Reissäcken und Kräuter in
verschiedene Workshops an. Was in den     sorgung, dem Vegetarismus und Vega-          ehemaligen Milchtüten. Und in ausran-
letzten Jahrzehnten wieder zu wachsen     nismus sowie der erhöhten Sensibilität       gierte Einkaufswägeli werden mobile
begonnen hat, ist aber keineswegs ein     für Umweltbelange zusammen.                  Kleingärten angelegt: Mit einer durch-
neues Konzept: Die Wurzeln des Stadt-     Neben dem Selbstversorgungsgedanken          lässigen Plastikplane ausschlagen, Erde
gärtnerns reichen weit zurück – von       gilt es aber auch, die neue Philosophie      rein und fertig sind der eigene Gemüse-
den hängenden Gärten der Semiramis        des «slow living» umzusetzen. Das Kei-       garten oder das bunte Blumenbeet.
über die Alhambra bis zu den barocken     men, Wachsen und Ernten zu erleben,          Neben der Selbstversorgung gilt es beim
Parkanlagen von Versailles wurden we-     zeigt den Menschen in der Hektik des         Urban Gardening aber auch, die Na-
der Kosten noch Mühen gescheut, um        Alltags, dass nicht alles von heute auf      tur zurück in die Stadt zu bringen und
grüne Paradiese ganz nach eigenen         morgen geht und macht sie wieder zu          graue Häuser in eine grüne Oase zu ver-
Vorstellungen erblühen zu lassen. Da-     erdverbundenen Wesen. Urban Garde-           wandeln. Schmucklose Fassaden werden
ran hat sich auch im dritten Jahrtau-     ning ist deshalb sinnstiftende Tätigkeit,    mit Kletterpflanzen begrünt. Daneben
send nichts geändert: Der Wunsch des      umweltschonende Produktion und be-           bietet der Fachhandel zahlreiche Syste-
Menschen nach einem eigenen Garten        wusster Konsum der landwirtschaftli-         me, um auch an vertikalen Flächen wie
ist im Zeitalter von Social Media unge-   chen Erzeugnisse in einem.                   etwa der Hausmauer Blumen oder Ge-
brochen und hat sich von der ländlichen                                                müse anzubauen. In den Ballungszent-
Beschaulichkeit nun auch in die hekti-    Kräuter im Tetrapack                         ren wird der Platz für die Natur immer
schen Ballungszentren ausgeweitet. Ob     Töpfe und Kisten für den Anbau der           knapper und indem man auch Mauern
im schattigen Hinterhof, auf der Dacht-   selbst gezogenen Gemüse- und Früchte-        als Anbaufläche nutzt, kann mehr Grün-

                                                                       Bild: Pexels                                         Bild: hew

Gemüse und Blumen wachsen auch in ausrangierten Suppenschüsseln, Badezubern oder Einkaufswägeli.
IGEL - Dauerbrenner Igelfütterung Mit Gärten unsere Städte verändern Meister Reineke - ein schlauer Opportunist - Pro Igel
8           Mit Gärten unsere Städte verändern                                                                  Ausgabe 58 | November 2020

fläche und somit ein besseres Mikrokli-
ma geschaffen werden.

Willkommen Herr Igel
Die Rückkehr der Natur in die Sied-
lungsräume ist jedoch nicht länger nur
Pflanzen vorbehalten, sondern schliesst
auch Tiere ein. Insektenhotel, Igelhaus
oder Nistkasten sind nicht nur Symbole,
sie zeigen, dass die Menschen sich auf
die Umwelt besinnen und sich selbst als
Teil der Ökologie sehen. Damit die tie-
rischen Mitbewohner auch genügend
Nahrungsquellen und Unterschlüpfe
finden, halten immer öfter einheimi-             Die Lebensmittelproduktion trägt einen erheblichen Teil zum Klimawandel bei.
sche Wildpflanzen Einzug in Gärten               Grund genug also, um zu handeln – auch in den Städten, etwa mit Urban Gardening
und auf Balkone. Das lohnt sich: For-            Projekten.                                                            Bild: Pexels
schende der Universität Basel konnten
in einer aktuellen Studie nachweisen,
dass gerade Gärten im Stadtgebiet eine           leisten einen Beitrag zur Verbesserung       standsfähigkeit» in der Lebensmittel-
bemerkenswerte Artenvielfalt beher-              der Lebens- und Luftqualität. «Essba-        versorgung. Denn das Fehlen regionaler
bergen können. In den 35 untersuch-              re Stadt» heissen heute jene Ballungs-       Versorgungsalternativen, die geringe
ten Gärten in der Region Basel wiesen            zentren, die ihr öffentliches Grün statt     Vorratshaltung im Handel und in pri-
sie insgesamt 254 verschiedene Insek-            mit Stiefmütterchen und Begonien mit         vaten Haushalten hat zu einer starken,
tenarten nach. Wer auf seinem Stadt-             Gemüse bepflanzen. Die deutsche Stadt        einseitigen Abhängigkeit von den kom-
balkon und City-Garten ein besonderes            Andernach hat die Idee bereits erfolg-       merziellen Lieferketten der Supermärkte
Augenmerk auf Pflanzen legt, die bei             reich umgesetzt: Städtische Grünflächen      und Handelskonzerne geführt. Vor die-
Insekten beliebt sind, leistet deshalb ei-       werden dort seit 2008 für eine urbane        sem Hintergrund haben anlässlich der
nen wichtigen Beitrag für mehr Natur             Landwirtschaft genutzt und die Einwoh-       Expo 2015 in Mailand deshalb mehr als
im Siedlungsraum. Zusätzlich benötigen           nerinnen und Einwohner können bei der        100 Städte weltweit den Milan Urban
Schwalbenschwanz, Rosenkäfer und Co.             Pflege mitwirken und von der Ernte pro-      Food Policy Pact (MUFPP) unterzeichnet,
auch Rückzugsmöglichkeiten in Form               fitieren. Statt «Betreten verboten» heisst   in welchem sie sich zu einer nachhalti-
von Stein- oder Asthaufen sowie win-             es neu «Pflücken erlaubt!» Auch Schwei-      gen und zukunftsfähigen Ernährung be-
terliche Strukturen wie stehengelassene          zer Städte werden dank privater Initia-      kennen. Auch die Schweizer Städte Ba-
Pflanzenstängel. Als wichtigster Grund-          tiven und der Unterstützung durch die        sel, Genf, Lugano und Zürich haben das
satz gilt dabei aber: Wer die Insekten           Stadtverwaltung immer essbarer.              Abkommen unterzeichnet.
fördern will, verzichtet auf das Ausbrin-        Während das Urban Gardening eher
gen von Pestiziden.                              als eine Form der Selbstversorgung im
                                                 Privaten verstanden wird, steht bei ess-      Links
Pflücken erlaubt                                 baren Städten der öffentliche Raum im
Nicht zuletzt sind städtische Gärten             Vordergrund. Dass sich Städte zukünftig       Milan Urban Food Policy Pact
auch Mini-Modelle für die Städte der             vermehrt an der Lebensmittelprodukti-         www.milanurbanfoodpolicypact.org
Zukunft, in denen Nahrungsmittelanbau            on beteiligen, ist auch ein Anliegen der      Verein Urban Agriculture Basel
und Stadtleben wieder stärker miteinan-          Initiative Milan Urban Food Policy Pact       www.urbanagriculturebasel.ch
der verwoben werden. Urbane Landwirt-            (MUFPP). In Europas Grossstädten dro-
schaft schont Umwelt und Ressourcen,             hen zwar aktuell weder Versorgungs-           Infos zum Urban Gardening in der
indem Transportwege für Nahrungsmit-             krisen noch Hungersnöte. Expertinnen          Schweiz
tel eingespart werden und von Grün­              und Experten raten jedoch auch in un-         www.stadtwurzel.ch
flächen aufgebrochenen Betonwüsten               seren Breiten zu einer stärkeren «Wider-
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Ausgabe 58 | November 2020                                                                        Igelschutz in den Kantonen           9

Igelschutz
in den Kantonen
Anfang Jahr verschickten wir eine Anfrage zum Thema Igelschutz an alle Deutschschweizer
­Kantonsverwaltungen. Die Anfrage und die dahinterliegende Problematik veröffentlichten wir
 schon im Frühjahrsbulletin, weshalb wir uns auf eine Zusammenfassung beschränken.

Igel leben sehr nah mit dem Menschen
zusammen, sie sind ausserordentlich be-
liebt und sie verkriechen sich nicht wie
andere Wildtiere, wenn sie verletzt oder
geschwächt sind. Dementsprechend
werden täglich eine mittlere zweistelli-
ge Zahl hilfsbedürftiger Igel gefunden.
Das Problem ist, dass ohne fachkundi-
ge Hilfe die meisten Igel nur zu Tode
gepflegt werden und damit das Leiden
der Tiere unnötig verlängert wird. Des-
halb wollten wir von den kantonalen
Verwaltungen wissen, wie mit dieser
Problematik im jeweiligen Kanton um-
gegangen wird.
Grosse Unterschiede zeigten sich erwar-    Igel lösen schnell mal den Helferreflex aus                                Bild: Dieter Kummer
tungsgemäss bei den Antworten auf die
Frage nach Anlaufstellen und offiziellen
Igelstationen. Dass die kleinen Berg-      Tierheimen oder vereinzelten Igelstatio-       Solothurn und Appenzell. Der Kanton
kantone wie Uri, Glarus, Ob- und Nid-      nen übernommen wird. Eine Betreuung            Glarus zeigte sich sehr interessiert an
walden und die beiden Appenzell keine      für hilfsbedürftige Igel, die den Namen        diesem Thema und hat angekündigt, mit
Igelstationen haben, erstaunt nicht.       auch verdient, findet sich eigentlich nur      dem kantonalen Tierschutzverein eine
Man findet keine Igel im Hochgebir-        im Kanton Aargau mit vier privat ge-           Lösung zu suchen.
ge wegen der langen strengen Winter        führten Igelstationen.                         Leider wurde aus unserer Sicht zu häufig
und weil sie steil abfallendes Gelände                                                    vom Thema abgelenkt und der Schutz
nicht schätzen. Für die Tatsache, dass     Allgemeiner Eindruck                           des Igels vom Standpunkt des Arten-
der Kanton Baselland mit einer nach-       Die Antworten waren hinsichtlich Stil,         schutzes her beurteilt. Wir wollen aber
gewiesen zahlreichen Igelpopulation        Umfang und Inhalt sehr unterschied-            ausdrücklich auf das einzigartige Pro-
weder Anlaufstelle noch Igelstation hat,   lich. Im Kanton Nidwalden war der Igel         blem aufmerksam machen, dass der
erhält das Baselbiet die rote Laterne.     bisher kein Thema und es wurden auch           Igel als einziges Wildtier so häufig von
Nur unwesentlich besser ist die Situa-     keine Anfragen aus der Bevölkerung             Tierfreunden aufgenommen und falsch
tion in den anderen Flächenkantonen        registriert. Ähnliche Antworten erhiel-        behandelt werden kann und wird. Wir
des Mittellandes, wo diese Aufgabe von     ten wir auch aus anderen Kantonen wie          bleiben dran.
IGEL - Dauerbrenner Igelfütterung Mit Gärten unsere Städte verändern Meister Reineke - ein schlauer Opportunist - Pro Igel
10           Igelschutz in den Kantonen                                                                    Ausgabe 58 | November 2020

Kanton        Amtsstelle                                               Ort                  Igelstation
AG            Departement Bau, Verkehr und Umwelt                      4342 Obermumpf       Eva Frei
              Abteilung Landschaft und Gewässer                        5036 Oberentfelden   Danielle Lenzin
                                                                       5624 Bünzen          Alison Schulz
                                                                       5703 Seon            Stiftung Satis
                                                                       8905 Arni            Lucie Pfister
AR            Amt für Raum und Wald, Fachstelle Natur und Landschaft   keine
AI            Land- und Forstwirtschaftsdepartement                    keine
              Landwirtschaftsamt, Meliorationsamt, Veterinäramt
BL            Volkswirtschafts- und Gesundheitsdirektion               keine
              Abteilung Natur und Landschaft
BS            Bau- und Verkehrsdepartement                             4052 Basel           TBB Tierschutz beider Basel
              Fachstelle für Natur- und Landschaftsschutz              4058 Basel           Regina Tschachtli
BE            Volkswirtschaftsdirektion des Kantons Bern               2555 Brügg           Tierschutzverein Biel-Seeland
              Abteilung ­Naturförderung                                2710 Tavannes        Béatrice Gisiger
              Bereich Arten und Lebensräume                            3123 Belp            Dr. R. Willener
                                                                       3427 Utzenstorf      Schweizer Wildstation
                                                                       3657 Schwanden       Tierschutz Region Thun
                                                                       4923 Wynau           Bernadette Meier
GL            Bau und Umwelt                                           keine
              Abteilung Umweltschutz und Energie
GR            Departement für Volkswirtschaft und Soziales             7000 Chur            Tierheim Arche
              Fachstelle Tierschutz Wild- und Heimtiere
LU            Veterinärdienst Luzern                                   6030 Ebikon          Eveline Noser
                                                                       6410 Goldau          Tierpark Goldau
NW            Baudirektion                                             keine
              Fachstelle Natur- und Landschaftsschutz
OW            Amt für Wald und Landschaft                              keine
              Abteilung Wald und Natur
SH            Baudepartement                                           8200 Schaffhausen    Tierheim Buchbrunnen
              Planungs- und Naturschutzamt                             8222 Beringen        Vogel- und Wildtierpflegestation
SZ            Amt für Natur, Jagd und Fischerei                        6410 Goldau          Tierpark Goldau

SO            Amt für Raumplanung                                      2540 Grenchen        Tierheim Aarebrüggli
              Natur und Landschaft
SG            Volkswirtschaftsdepartement                              8887 Mels SG         Pia Albrecht
              Amt für Natur, Jagd und Fischerei                        9650 Nesslau         Tierklinik
                                                                       9200 Gossau          Walter Zoo
TG            Departement für Inneres und Volkswirtschaft              8500 Frauenfeld      Igelstation Frauenfeld
              Jagd- und Fischereiverwaltung
UR            Amt für Raumentwicklung                                  6467 Schattdorf      Tierschutzverein Uri
              Abteilung Natur und Landschaft
ZG                                                                     6319 Allenwinden     Tierheim Allenwinden

ZH            Amt für Landschaft und Natur                             8050 Zürich          Igelzentrum Zürich
              Fachstelle Naturschutz                                   8117 Fällanden       Rico Hauser
                                                                       8335 Hittnau         Dieter Kummer
                                                                       8400 Winterthur      Verein Igelhilfe
                                                                       8805 Richterswil     Marie-Claire Lehmann
                                                                       8933 Maschwanden     Barbara Trentini

Alle Angaben wurden ungeprüft von den Ämtern übernommen.
Ausgabe 58 | November 2020                                                                               Igelstation Hittnau        11

Igelstation Hittnau
Die Region Zürcher Oberland mit den angrenzenden Gebieten ist geprägt von vielen
­Wohnsiedlungen und beherbergt viele Igel. Man könnte in diesem Einzugsgebiet fünf Igel­
 stationen betreiben und es hätte auch dann noch zuwenig Pflegeplätze.

Seit einigen Jahren gibt es aber gar kei-
ne Igelstation mehr in dieser Region.
Wir sind deshalb überglücklich, dass sich
Dieter Kummer aus Hittnau entschlos-
sen hat, eine Igelstation aufzubauen
und zu betreuen. Er ist ein Igelliebhaber
der ersten Stunde und widmet sich seit
Jahrzehnten der Pflege von hilfsbedürf-
tigen Igeln. Bisher war er aber räum-
lich und zeitlich zu limitiert, um mehr
als vier Igel aufzunehmen und deshalb
ein Geheimtipp für Hilfesuchende in der
näheren Umgebung. Trotzdem entging
auch ihm nicht die Zunahme an hilsbe-
dürftigen Igeln seit letztem Sommer. Als
er nun diesen Spätsommer die Bemer-
kung fallen liess, er würde gerne seine
Station vergrössern und einen professi-      Einer von Dieter Kummers zahlreichen Patienten                           Bild: Dieter Kummer
onellen Betrieb aufziehen, ergriff ich die
Gelegenheit und bot ihm an, mitzuhel-
fen und einen dazupassenden Träger-
verein zu gründen. Die meisten privaten      ell gegründet. Für pro Igel ist die Mitar-   rüstung wie jede andere Tierklinik. Es
Igelstationen in der Schweiz werden          beit an diesem Projekt ein Novum und         braucht Behälter für die Aufbewah-
von Einzelkämpferinnen betrieben, die        entspricht eigentlich nicht dem Grund-       rung der Tiere, Behandlungstische und
neben der Arbeit auch einen grossen          satz, auf eine eigene Igelstation zu ver-    Schränke, eine Waage, medizinisches
finanziellen Aufwand zu tragen haben.        zichten. Deshalb beschränkt sich unsere      Material und Medikamente. Da kom-
Mit einem Verein als Basis für die Igel-     Mitarbeit auf die Bereiche, die einen        men schnell mal 8000 - 10 000 Franken
station lässt sich zumindest die finanzi-    erfolgreichen Start ermöglichen. Wir         zusammen. Damit die Station mög-
elle Seite des Betriebs abdecken, Spen-      haben die Statuten und das Gründungs-        lichst schnell den Betrieb aufnehmen
den können von den Steuern abgezogen         protokoll aufgesetzt, wir kümmern uns        kann, unterstützen wir den neuen Ver-
werden und es lassen sich auch eher          um die Anerkennung als steuerbefreite        ein mit einem zinslosen Darlehen. Wir
Helfer finden, weil man eine öffentliche     gemeinnützige Organisation und wir           sind überzeugt, dass der Verein in Kürze
Institution ist.                             übernehmen auch die Pressearbeit und         finanziell selbsttragend sein wird und
Mitte Oktober war es dann soweit, der        das Fundraising.                             damit ein erfolgreicher Betrieb sicher-
Verein Igelstation Hittnau wurde offizi-     Eine Igelstation benötigt eine Aus-          gestellt ist.
12         Vereinsnachrichten                                                                          Ausgabe 58 | November 2020

Generalversammlung 2020
Nachdem die fertig geplante GV im Frühling nicht stattfinden konnte, stehen wir nun
pünktlich zur zweiten Pandemiewelle wieder vor dem gleichen Problem. Deshalb verzichten wir
für einmal auf eine physische Zusammenkunft und richten unsere Generalversammlung im
virtuellen Raum aus.

Wir laden Sie herzlich ein zu unserer Generalversammlung am 12.12.2020 um 11:00 Uhr
auf der Internetplattform Zoom.

Traktandenliste:
1. Begrüssung durch den Präsidenten     Nach Erhalt Ihrer Anmeldung schicken      – Maja Widler
2. Wahl des Stimmenzählers,             wir Ihnen gerne den weblink für die          8805 Richterswil, bisher
    der Stimmenzählerin                  Teilnahme und alle Dokumente für die      – Dr. Robert Zingg
3. Protokoll der letztjährigen GV        Generalversammlung per Post/Email zu.        8044 Zürich, bisher
4. Jahresbericht 2019                                                              – Dr. med. vet. Isabelle Zulauf
5. Jahresrechnung 2019, Bericht         Für die Wahl in den Vorstand haben sich      6331 Hünenberg, bisher
    der Revisionsstelle                  zur Verfügung gestellt:
6. Wahlen                                – Lorenz Hirni
7. Varia                                    3011 Bern, Präsident, bisher

Anmeldungen nehmen wir gerne entgegen unter 044 767 07 90 oder info@pro-igel.ch. Anmeldeschluss ist der 4.12.2020.

  Notfallnummer
  Wir müssen nach vorne blicken und so schnell wie mög-       Mitbringen müssten Sie:
  lich unsere Notfallnummer wieder in Betrieb nehmen. Es      - Die Bereitschaft, abends und am Wochenende Einsatz
  besteht ein grosses Bedürfnis nach kompetenter Hilfe für       zu leisten
  notleidende Igel. Vor allem am Abend und am Wochen-         - Freude am Telefonieren. Viel Geduld mit aufgeregten
  ende ist es unglaublich schwierig, fachkundigen Rat und        Menschen.
  Hilfe zu erhalten.                                          - Gute geografische Kenntnisse der Deutschschweiz und/
                                                                 oder Erfahrung bei der Bedienung von Routenplanern
  Wir suchen deshalb IgelfreundInnen für eine nicht ganz
  alltägliche Aufgabe.                                        Igelspezifisches Wissen und tiermedizinische Erfahrung
                                                              sind von Vorteil.
                                                              Bezüglich Pensum und Vergütung sind wir flexibel.

  Interessiert? Melden Sie sich bei Bernhard Bader, 044 767 07 90
Ausgabe 58 | November 2020                                        Meister Reineke - ein schlauer Opportunist         13

Meister Reineke –
ein schlauer Opportunist
«Fuchs, du hast die Gans gestohlen, gib sie wieder her, sonst kommt der Jäger dich holen mit dem
Schiessgewehr.» Dieses Kinderlied dürfte den meisten von uns bekannt sein. Meister Reineke, wie
der Fuchs in Fabeln oft genannt wird, hat als Kulturfolger einen prominenten Platz in Kinderreimen,
Redewendungen und Geschichten. Ausgefuchst wie er ist, übertölpelt er in diesen Erzählungen mit
seiner List jeweils die anderen Tiere.

                                                                                                         Bild: iStockphoto
14          Meister Reineke - ein schlauer Opportunist                                                                  Ausgabe 58 | November 2020

SHIRINE BOCKHORN                                         vom Menschen profitieren und sich in        Ein scheues Tier
                                                         ihrer Nähe aufhalten.                       Die in der Schweiz heimischen Rotfüch-
So auch in der Fabel mit dem Raben,                      Eines der prominentesten Beispiele eines    se sind äusserst anpassungsfähige Tiere.
dem er ein Stück Käse abschwatzt, in-                    Kulturfolgers ist nun eben der Fuchs.       Sie sind deshalb auch das weltweit am
dem er die Schönheit des Raben lobt und                  Auch wenn die meisten von uns keine         meisten verbreitete Raubtier. Ausser in
ihn bittet auch seine sicher wunderbare                  Hühner mehr halten, die er erbeuten         Südamerika findet man sie auf allen
Stimme erklingen zu lassen. Der Rabe,                    könnte, so tut er sich doch sehr gerne an   Kontinenten. In Australien, wo sie aus-
geschmeichelt, öffnet den Schnabel und                   unseren Abfällen gütlich. Der Lebens-       gesetzt wurden, um die ebenfalls ein-
krächzt, worauf ihm das Stück Käse aus                   raum Stadt bietet Füchsen genug Nah-        geschleppten Kaninchen einzudämmen,
dem Schnabel fällt und der Fuchs sich                    rung, um sich dauerhaft anzusiedeln.        haben sie sich mittlerweile zur Plage
dieses schnell schnappt. Während der                     Die Fuchsdichte in der Stadt Zürich ist     entwickelt. Sämtliche Versuche sie dort
Fuchs für List steht, wird dem Raben                     sogar zehnmal höher als auf dem Land        wieder auszurotten, sind bisher an der
in Fabeln oft die Rolle des Diebischen                   und dreiviertel der Nahrung der Stadt-      Schläue der Füchse gescheitert. Obwohl
zugewiesen. Die Gans wiederum ist ge-                    füchse stammt vom Menschen. Bis zu          sie Waldgebiete mit viel Deckung vor-
schwätzig, der Bär gutmütig und der Esel                 500 Tiere leben dauerhaft in Zürich hat     ziehen, nehmen sie mit so gut wie jedem
eigensinnig. So entsteht ein ganzer Kos-                 ein Biologenteam 2001 herausgefunden.       Gelände vorlieb. Ihre Aktivitätsphasen
mos von Tiergestalten, die verschiedene                  Diese unterscheiden sich offensichtlich     passen sie dabei an den Menschen an. In
Eigenschaften des Menschen darstellen                    auch genetisch von ihren Verwandten         dicht besiedelten Gebieten verlassen sie
und im Rahmen einer Geschichte mo-                       auf dem Land. Trotz dieser grossen An-      ihren Bau nur nachts, wo es genug De-
ralische Grundsätze transportieren wol-                  zahl werden nur selten Füchse in Wohn-      ckung und wenige Menschen gibt, sind
len. Was auffällig ist: Die meisten Tiere,               gebieten gesichtet, wenn, dann trifft       sie auch tagsüber anzutreffen.
die in Fabeln, Erzählungen oder Mythen                   man eher auf ihre Spuren, wie aufge-        Lange glaubte man, Rotfüchse seien
vorkommen, sind entweder Haus- und                       rissene Abfallsäcke. Das liegt an der Le-   Einzelgänger. Mittlerweile weiss man
Nutztiere oder sie sind Kulturfolger, die                bensweise des Fuchses.                      aber, dass sie in sozialen Familienver-
                                                                                                     bänden zusammenleben. Fuchs und
                                                                                                     Füchsin leben zumindest für ein Jahr in
                                                                                                     monogamen Beziehungen und ziehen
                                                                                                     gemeinsam ihre Welpen gross. Schutz
                                                                                                     vor Feinden suchen sie in einem Bau,
                                                                                                     den sie, sofern es sich vermeiden lässt,
                                                                                                     nicht selbst graben. Eher wird ein bereits
                                                                                                     existierender Kaninchenbau ausgebaut
                                                                                                     oder eine verlassene Dachshöhle bezo-
                                                                                                     gen, oder sogar noch ein bewohnter.
                                                                                                     Da Dachse ihr Zuhause stets weiter in
                                                                                                     die Tiefe ausbauen, um im Winter wär-
                                                                                                     mer zu haben, hinterlassen sie oft un-
                                                                                                     genutzte Hohlräume, die näher an der
                                                                                                     Erdoberfläche liegen. In diese ziehen
                                                                                                     nun oft Füchse, aber auch andere Tie-
                                                                                                     re ein. So entstehen seltsam anmutende
                                                                                                     Wohngemeinschaften von Dachs, Fuchs
                                                                                                     und Kaninchen, aber auch Iltissen und
                                                                                                     Brandenten in einem Bau. Man sollte
                                                                                                     meinen, die Wildkaninchen oder Bran-
                                                                                                     denten müssten dabei um ihr Leben
                                                                                                     bangen, gehören sie doch auf den Spei-
                                                                                                     sezettel ihrer Mitbewohner, speziell des
Der Lebensraum Stadt bietet Füchsen Nahrung                        Bild: iStockphoto                Rotfuchses. Innerhalb des Baus herrscht
Ausgabe 58 | November 2020                                                                                     Rubriktitel         15

Die Paarungszeit der Füchse fällt in den tiefsten Winter                                                               Bild: iStockphoto

aber ein sogenannter Burgfrieden: Die          Jedes Fuchspaar hat ihr eigenes Revier,     Körpersprache ähnelt sich in vielerlei
Beutetiere werden von den Raubtie-             dessen Grösse vom Nahrungsangebot           Hinsicht. Neben Markierungen mittels
ren in Ruhe gelassen. Was nicht heisst,        abhängt. In Städten verfügen Füch-          Duftsekreten kommunizieren Füchse
dass die Kaninchen und Brandenten sich         se manchmal über nicht mehr als ei-         auch akustisch. Sie beherrschen eine
nicht vorsehen müssten, sobald sie ihren       nen Viertel Quadratkilometer Revier,        Vielzahl verschiedener Laute: Bellen,
Mitbewohnern ausserhalb der eigenen            andern­orts kann dieses bis zu 40 Qua-      Knurren, Winseln und Keckern in ver-
vier Wände begegnen. Der Frieden gilt          dratkilometer betragen. Die Grenzen         schiedenen Tonhöhen und Lautfolgen.
nur innerhalb des eigenen Zuhauses.            ihres Territoriums markieren Füchse mit     So ist das «Ranzbellen», also ihr Paa-
Der Grund für dieses Verhalten ist noch        Kot oder einem Sekret. In nahrungsrei-      rungsruf eine charakteristische Abfolge
nicht abschliessend geklärt, eine Vermu-       chen Regionen scheinen sich die Reviere     von sechs Lauten.
tung ist, dass Füchse ungern in der Nähe       verschiedener Fuchspaare teilweise auch
ihres Baus jagen. Blut- oder Fellreste         zu überlappen. Grundsätzlich muss ein       Gemeinsame Aufzucht der Jungen
könnten potenzielle Feinde auf ihr Zu-         Jungfuchs nach dem Verlassen des elter-     Die Paarungszeit der Füchse fällt in den
hause aufmerksam machen.                       lichen Baus sich aber sein eigenes Terri-   tiefsten Winter. Von Ende Dezember bis
                                               torium erkämpfen, indem er einen Re-        Ende Januar wirbt der sogenannte Rüde
Der Fuchs: ein Opportunist                     vierbesitzer herausfordert und besiegt.     um sein Weibchen, die Fähe. Die Paarung
Der Speiseplan des Fuchses ist vielfältig.     Dabei verletzen sich die Tiere selten. Es   ähnelt jener der Hunde. Auch Füchse
Er ernährt sich hauptsächlich von Mäu-         geht eher darum durch Grösse Eindruck       hängen für bis zu einer halben Stunde
sen, aber auch von Jungwild, zum Beispiel      zu machen und den Gegner auf den Rü-        nach dem Akt aneinander, weil der Pe-
Junghasen oder Rehkitzen. Ebenso gerne         cken zu schubsen. Der Verlierer wird mit    nis des Rüden im unteren Teil zu einem
frisst er Insekten, Jungvögel oder Eier. Als   Nachdruck aus dem Revier verjagt.           Knoten anschwillt. Während dieser Zeit
Aufräumtrupp im Wald verschmäht er             Füchse verfügen über verschiedene Ar-       ist das Fuchspaar äusserst verwundbar,
aber auch Aas nicht und je nach Saison         ten der Kommunikation. Sie können sich      da es sich kaum wehren kann. Die Paa-
stehen zusätzlich Beeren oder Früchte          über die Körpersprache verständigen.        rung findet deshalb auch oft im Bau
auf dem Speisezettel. Als Kulturfolger         So signalisieren zum Beispiel ein erho-     statt. Danach vergehen sechs bis acht
in den Städten frisst der Fuchs vor allem      bener Schwanz und aufgestellte Ohren        Wochen, bis die Fähe vier bis maximal
was im Angebot ist, das heisst, was unser      Dominanz, ein eingekniffener Schwanz        acht Welpen zur Welt bringt. Die Baby-
Abfall so hergibt. Der Fuchs ist also nicht    zusammen mit einer geduckten Haltung        füchse sind bei der Geburt zwischen 80
angewiesen auf eine spezifische Nah-           wiederum Unterwerfung. Füchse gehö-         und 120 Gramm schwer und blind und
rungsquelle, das erlaubt ihm auch in ver-      ren zu den Hundeartigen, sind also mit      taub. Die ersten Wochen verbringen sie
schiedenen Lebensräumen zu bestehen.           unseren Haushunden verwandt und ihre        deshalb im schützenden Bau. Sie werden
Im Alter von sechs Monaten werden die Jungfüchse selbstständig und müssen sich ihr eigenes Revier suchen             Bild: iStockphoto

von der Mutter gesäugt, der Vater un-        bei ist nicht wie bei vielen anderen Tie-     Schaden anrichten, führen andere dazu,
terstützt die Aufzucht der Jungen indem      ren das Nahrungsangebot entscheidend,         dass Wildtiere falsch behandelt werden.
er Futter beschafft. Nach ca. zwei Wo-       sondern wie stark sie bejagt werden. Je       Noch immer werden Äpfel an Igel ver-
chen öffnen sich Augen und Ohren und         grösser die Sterberate in einer Populati-     füttert. Die Vorstellung dass die stach-
nach weiteren zwei Wochen verlassen          on umso grösser fällt der Wurf aus. Dazu      ligen Insektenfresser Früchte als Futter
die Welpen zum ersten Mal zusammen           kommt ihre Flexibilität bezüglich Nah-        mögen, geht auf das Mittelalter zurück.
mit der Mutter den Bau. Ihr Fell ist an-     rung, Lebensraum und Aktivitätsphasen.        Damals ging man davon aus, dass Igel
fangs noch graubraun, erst mit der Zeit      Kein Wunder wird dem Fuchs in Fabeln          Trauben oder Äpfel stehlen, indem sie
verfärbt es sich fuchsrot. Im Alter von      die Rolle des Listigen und Schlauen zu-       sie mit ihren Stacheln aufspiessen und
sechs Monaten werden die Jungfüchse          gewiesen.                                     so davontragen.
selbstständig und müssen sich ihr eige-                                                    Wildtiere sind faszinierend, das beweisen
nes Revier suchen. In stabilen Populatio-    Zuschreibungen und                            all die Mythen und Erzählungen über sie.
nen kann es vorkommen, dass weibliche        Fehlinformationen                             Gerade heute, wo Naturerlebnisse rar
Jungfüchse bei der Mutter verbleiben         Das Bild, das vom Fuchs in Fabeln gezeich-    geworden sind ist die Versuchung gross,
und ihr bei der Aufzucht der Jungen im       net wird, mag passend erscheinen. Durch       aktiv zu werden, wenn man den Eindruck
nächsten Jahr helfen.                        Erzählungen, Bilder und Mythen halten         hat, dass es einem Tier nicht gut geht.
Füchse können ihr Verhalten hochgradig       sich bis heute aber immer wieder falsche      Um keinen Schaden anzurichten ist es
den vorhandenen Lebensbedingungen            Beschreibungen und Informationen über         unerlässlich, sich bei einer Fachperson
anpassen. Wo sie wenig bejagt werden,        Wildtiere, speziell über Kulturfolger, die    zu informieren, ob und wie man einem
leben sie zum Beispiel oft in diesen grös-   in der Nähe des Menschen leben. So wird       Wildtier helfen kann. Sonst könnte der
seren Familienverbänden zusammen,            ein Fuchs kaum eine Gans erjagen, die ist     Schuss nach hinten losgehen und man
wo Töchter bei der Aufzucht helfen,          als Beutetier für ihn viel zu gross. Ebenso   schadet mehr als man nützt. Apropos
aber selbst keine Jungen bekommen.           wenig stehlen Elstern glänzende Gegen-        Schuss: Füchse sollten unter keinen Um-
Ein Fuchspaar tut sich dann oft für den      stände. Bei Versuchen reagierten sie sogar    ständen gefüttert werden. Wenn sie sich
Rest ihres Lebens zusammen und zieht         eher ängstlich darauf.                        zu sehr an menschliche Nähe gewöhnt
jedes Jahr gemeinsam die Welpen gross.       Während manche dieser Volksweisheiten         haben, droht ihnen auch heute noch der
Auch die Wurfgrösse passt sich an. Da-       bezüglich Wildtieren keinen grösseren         Jäger mit dem Schiessgewehr.
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