Start-ups mehr vom Ende her denken - Gastkommentar - 9. Juli 2021 - Handelsblatt
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Gastkommentar – 9. Juli 2021 Start-ups mehr vom Ende her denken Damit innovative Unternehmen nach erfolgreichem Start nicht im "Tal des Todes" landen, braucht es neue Finanzierungsstrategien. Von Gerhard Cromme Wir benötigen in Deutschland mehr europäisch finanzierte "Mega Rounds" mit einem Volumen von mindestens 100 Millionen Euro. In diesem Zusammenhang ist der fulminante Börsengang von Auto1 eine wichtige Wegmarke bei der Weiterentwicklung des deutschen Start-up-Standorts. Denn mit dem 2012 gegründeten Unternehmen ist es gelungen, eine zukunftsweisende Plattform an einem deutschen Börsenplatz zu platzieren. Allerdings: Ein Teil der Wertschöpfung bei Auto1 fand im außereuropäischen Ausland statt - an den vorbörslichen Finanzierungsrunden waren kaum europäische Investoren beteiligt. Insgesamt dominieren bei den "Mega Rounds" in Deutschland nicht europäische Investoren. Das muss sich ändern. Wir sollten europäische Investoren endlich in die Lage versetzen, sich künftig an solchen Finanzierungsrunden zu beteiligen, damit mehr Wertschöpfung in Europa verbleibt. Das laufende Jahr hat gute Chancen, in Deutschlands Wirtschaftskalender als Jahr der "Einhörner" einzugehen. In den ersten Monaten haben bereits fünf Unternehmen die magische Grenze der Milliardenbewertung übersprungen und damit den begehrten Einhorn-Status erreicht. Mehr als ein Dutzend weitere Unternehmen befindet sich in der Pipeline - gerade angesichts der Corona- Pandemie und des daraus erwachsenden Krisenmodus sind das zuversichtlich stimmende Nachrichten für die wirtschaftliche Erneuerung. Diese Entwicklung ist Ausdruck eines reifenden Start-up-Ökosystems in Deutschland. Es liegt im ureigenen Interesse unserer Volkswirtschaft, hierzulande die bestmöglichen Rahmenbedingungen für Start-ups zu schaffen. Ohne Zweifel müssen etwa wissensbasierte Ausgründungen von universitären Forschungsinstitutionen deutlich gestärkt und vereinfacht werden. Hier gibt es ein großes, noch weitgehend ungehobenes Potenzial. Allgemein brauchen wir eine neue Einstellung zu Gründungen und mehr Anerkennung für das Unternehmertum. Deshalb sollte schon in den Schulen für Entrepreneurship geworben werden, das gilt erst recht für die Universitäten. Mutige Gründerinnen und Gründer müssen durch den Staat
gefördert und nicht durch seine Bürokratie belastet werden. Deutschland sollte internationale Talente wie ein Magnet anziehen. Um unsere Gründungslandschaft nachhaltig zu stärken, dürfen wir den Blick jedoch nicht ausschließlich auf die Gründung und frühe Entwicklungsphase der Unternehmen richten. Wir sollten früh auch schon spätere Entwicklungsphasen und Exit-Möglichkeiten von Start-ups antizipieren. Anders formuliert: Wir müssen, wenn es darum geht, Start-ups stark und groß zu machen, mehr vom "Ende" her denken. Dem liegt die Erkenntnis zugrunde, dass ein Start-up-Standort nur dann wirklich attraktiv ist, wenn er auch in puncto Wachstums- und Skalierungsmöglichkeiten international wettbewerbsfähig erscheint. Das ist, wie der Börsengang von Auto1 zeigt, heute in Deutschland noch nicht der Fall. Wichtiger Erfolgsfaktor für schnelles Wachstum von Start-ups ist ein hinreichendes Angebot an Kapital. Insgesamt hat sich der Wagniskapitalmarkt in den vergangenen Jahren in Deutschland - wenn auch auf vergleichsweise niedrigem Niveau - positiv entwickelt. Trotz des Corona-bedingten leichten Rückgangs wurden 2020 gut fünf Milliarden Euro in Start-ups investiert. Die zunehmende Zahl deutscher "Einhörner" zeigt: Der Aufbau kapitalstarker Unternehmen ist mittlerweile auch hier zu schaffen. Doch die positiven Entwicklungen können über bestehende Defizite nicht hinwegtäuschen. Ein signifikanter Anteil der Investitionen in deutsche Start-ups stammt eben nicht aus Europa, das gilt besonders für die Wachstumsphase. Ein Teil der Wertschöpfung findet also außerhalb des "alten Kontinents" statt. Europäische Investoren stellen bei kleineren Finanzierungsrunden von bis zu zehn Millionen Euro noch einen Anteil von mehr als 70 Prozent; doch schon bei Finanzierungen von über 50 Millionen Euro bilden außereuropäische Investments die Mehrheit. Die Investitionen aus Deutschland belaufen sich hier auf lediglich 15 Prozent. Die Ursache liegt auf der Hand: Es gibt in Europa sehr wenige Investoren, die in der Lage sind, große Finanzierungsrunden zu stemmen. Mit der Auflage des "Zukunftsfonds" in Höhe von zehn Milliarden Euro hat die Bundesregierung beachtliche Anstrengungen unternommen, Wagniskapital und die Start-up-Finanzierung zu stärken. Der Fonds wird dazu beitragen, das oft bemühte "Tal des Todes" - Start-ups stehen nach gelungenem Start wegen mangelnder Anschlussfinanzierung vor dem Aus - zu überwinden. Doch gleichzeitig ist der Fonds mit zehn verschiedenen Modulen und einer Laufzeit von zehn Jahren so konstruiert, dass er nur die ersten Finanzierungsrunden eines Start-ups abdeckt. Deshalb 2
lässt sich jetzt schon absehen: Dieses Instrument wird nicht ausreichen, die Herausforderungen der Start-up-Finanzierung in Deutschland langfristig zu bewältigen. Mit dem Zukunftsfonds in seiner jetzigen Architektur allein dürfte es nicht gelingen, dass Mega Rounds von einem europäischen Investor angeführt werden. Was die Start-up-Szene braucht, ist ein neues europäisches Fonds-Konstrukt, einen European Next Generations Funds (ENGF). Damit könnte insbesondere bei Mega Rounds die Wettbewerbssituation Europas gestärkt werden. Bisher gibt es in Europa kein vergleichbares Vehikel, das solche Finanzierungsrunden stemmen könnte. Der ENGF könnte vor allem Start-ups in der Phase vor einem Börsengang stabilisieren. Genau in dieser Phase findet nämlich bislang die Abwanderung von Wertschöpfung in Richtung USA, Asien und arabischen Staaten statt. Die neue Bundesregierung sollte einen Schritt nach vorn wagen und sich neben Frankreich als Initiator und Ankerinvestor dieses europäischen Projekts positionieren. Die Vision für ein solch ambitioniertes, neuartiges Vehikel muss grundlegenden und marktüblichen Fondskonstruktionslogiken folgen, um im globalen Wettbewerb bestehen zu können. Es müsste also zum Beispiel ein diversifiziertes Portfolio von 15 bis 25 Firmen aufgebaut werden, um eine bestmögliche risikobereinigte Rendite zu erreichen. Bei durchschnittlichen "Ticketgrößen", das heißt einzelnen Investments in Venture-Capital-Fonds, von rund 500 Millionen Euro ergäbe das eine Fondsgröße von etwa zehn Milliarden Euro. Das Konstrukt sollte einen Schulterschluss zwischen europäischen Nationalstaaten, institutionellen Investoren, der etablierten Wirtschaft und Gründerteams erfolgreicher Start-ups herstellen. Damit würde ein Innovationskreislauf mit europäischen Vorzeichen entstehen. Auch weitere EU- Mitgliedstaaten sollten die Möglichkeit bekommen, sich daran zu beteiligen. Wenn Deutschland als größte Volkswirtschaft der Europäischen Union in künftigen Mega Rounds eine entscheidende Rolle spielen will, ist es jetzt an der Zeit zu handeln - damit viel mehr Wertschöpfung von Firmen wie Auto1 künftig in Europa bleibt. Der Autor Gerhard Cromme ist Aufsichtsratsvorsitzender der Auto1 Group sowie Mitglied des Kuratoriums des Bundesverbands Deutsche Startups. Zuvor war er viele Jahre als Aufsichtsratsvorsitzender großer Konzerne tätig. 3
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