Stellungnahme der Landesarbeitsgemeinschaft Autonomer Frauenhäuser NRW "Oranje Huis - Auch ein Konzept für NRW?"
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1 Stellungnahme der Landesarbeitsgemeinschaft Autonomer Frauenhäuser NRW „Oranje Huis – Auch ein Konzept für NRW?“ Zuziehung von Sachverständigen durch den Ausschuss für Frauen, Gleichstellung und Emanzipation des Landtags NRW am 11.12.2013 1. Angebote für gewaltbetroffene Frauen in NRW NRW verfügt über eine Infrastruktur von Einrichtungen, die unmittelbar zu Gewalt gegen Frauen und Häuslicher Gewalt arbeiten: Frauenhäuser, Frauenberatungsstellen, Frauennotrufe und Beratungsstellen für Täter. Jugendhilfeeinrichtungen und Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstellen sind ebenfalls mit Häuslicher Gewalt konfrontiert. Eine übergreifende, gar landesweite Konzeption oder Strategie in der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen sowie der Interventionsarbeit fehlt. Daher sind die vorhandenen Angebote nicht systematisch aufeinander abgestimmt, greifen aber gleichwohl wichtige Aspekte der Unterstützung und Intervention auf. Autonome Frauenhäuser bieten gewaltbetroffenen Frauen und ihren Kindern Schutz und Sicherheit, lebenspraktische Unterstützung und Beratung zur Stabilisierung und Aufarbeitung der Gewalterfahrungen an. Die Arbeit mit Mädchen und Jungen, die in 90% der Fälle die Gewalt des Vaters gegen die Mutter miterlebt haben, wenn sie nicht gar selbst Opfer seiner Gewalt wurden, hat in den letzten 20 Jahren einen wichtigen Stellenwert in der Autonomen Frauenhausarbeit bekommen. Allen Einrichtungen, die unmittelbar zu den Themen „Gewalt gegen Frauen“ und „Häusliche Gewalt“ arbeiten, ist gemein, dass sie unzureichend ausgestattet sind. Ihre Finanzierung erlaubt keine Planungssicherheit. Auf dieser Grundlage können nicht alle betroffenen Frauen und Kinder erreicht und angemessen unterstützt werden. Der Zugang zu Frauenhäusern bleibt vielen gewaltbetroffenen Frauen in NRW versperrt. Im Koalitionsvertrag der jetzigen Landesregierung heißt es dazu: „Perspektivisch ist es unser Ziel, jeder von Gewalt betroffenen Frau und jedem ihrer Kinder kostenlose Zuflucht in einem Frauenhaus zu gewährleisten, unabhängig von Herkunft, Wohnort, Einkommen, Aufenthaltsstatus, sexueller Identität oder Behinderung.“ Mit der Frage nach der Einbeziehung eines systemischen Ansatzes in die Frauenhausarbeit nach dem Modell des Oranje Huis wird nun gleichzeitig die Frage nach einer konzeptionellen Veränderung und Erweiterung des Angebotes gestellt. LAG Autonomer Frauenhäuser NRW 09.12.13
2 2. Angebote für gewaltbetroffene Frauen in den Niederlanden im Vergleich In den Niederlanden leben 16,485 Millionen Einwohner/-innen, in NRW 17,546 Millionen. NRW hat somit 1 Million mehr Einwohner/-innen als die Niederlande. Es gibt in NRW 66 Frauenhäuser mit insgesamt 1297 Plätzen für Frauen und deren Kinder, davon ca. 620 Frauenplätze. In den Niederlanden bieten 96 Frauenhäuser mehr als 3000 Plätze für Frauen und Kinder, davon 1608 Frauenplätze an. Die Quote der Frauenhausplätze in Bezug zur EinwohnerInnenzahl liegt in den Niederlanden bei 1:10.251, in NRW bei 1:28.300. Im Jahr 2011 konnten die Häuser in NRW 4254 Frauen Schutz und Unterstützung gewähren, mehr als 5200 Hilfegesuche mussten aufgrund mangelnder Aufnahmekapazität abgelehnt werden. In den niederländischen Frauenhäusern wurden im gleichen Jahr 11000 Frauen aufgenommen. 1 Der Haushaltsetat für den sogenannten „Vrouwenopvang“ allein für Amsterdam übersteigt mit 8,6 Millionen Euro den Gesamtetat des Landes für Frauenhäuser in NRW. Der Etat für die Niederlande insgesamt beträgt 108 Millionen Euro pro Jahr! 2 NRW Niederlande Einwohnerzahl 17,5 Millionen 16,5 Millionen Anzahl Frauenhäuser 66 96 Anzahl Plätze in FH 1.297 >3.000 Frauen und Kinder Anzahl Plätze Frauen 620 1.608 Platz pro Einwohner/-in 1: 28.000 1:10.000 Anzahl aufgenommene 4.254 11.000 Frauen im Jahr 2011 Etat 8 Millionen € 108 Millionen € (Frauenhäuser) (Vrouwenopvang) 1 WAVE Country Report, Violence against women and migrant and minority women, 2012 2 Decentralisatie-uitkering Vrouwenopvang, s. Anhang LAG Autonomer Frauenhäuser NRW 09.12.13
3 Die Niederlande haben seit vielen Jahren ein umfassendes System differenzierter Unterstützungsangebote für gewaltbetroffene Frauen und Kinder. Die Bekämpfung Häuslicher Gewalt hat in den Niederlanden nationale politische Priorität. Das Justizministerium ist für die Koordination einer umfassenden Strategie verantwortlich, an dem nicht nur die Frauenhäuser, sondern auch soziale Dienste, Gesundheits- und Kindereinrichtungen beteiligt sind. 2.2. Die Blijf Groep und das Oranje Huis Eine der insgesamt 33 niederländischen Trägerorganisationen von Frauenhäusern ist die „Blijf Groep“. Sie hält in Amsterdam und den Provinzen Nordholland und Flevoland insgesamt 155 Frauenplätze in Frauenhäusern vor, bietet - auch für Kinder - ambulante nachgehende Beratung und Unterstützung und professionelle Soforthilfe in Notfällen rund um die Uhr. Zusätzlich zu den Frauenhäusern mit anonymer Adresse unterhält sie auch einige Häuser für besonders gefährdete Frauen mit einem besonders hohen Sicherheitsstandard. Betreute Wohnangebote, Nachbetreuung und Notruf-Schutzprogramme stehen Frauen nach einem Frauenhausaufenthalt zur Verfügung. Das neueste Projekt der Blijf Groep, das Oranje-Huis, wurde 2011 in Alkmaar eröffnet. Im Wesentlichen unterscheidet sich das Oranje Huis von anderen Häusern durch die veröffentlichte Adresse und die sofortige Kontaktaufnahme mit den gewalttätigen Partnern nach Aufnahme der Frauen und Kinder sowie der angebotenen systemischen Familienberatung, die den Partner mit einbezieht. Das Oranje Huis ist das einzige von 96 Häusern in den Niederlanden, welches nach diesem Konzept arbeitet. Eine wissenschaftliche Evaluation der Wirksamkeit und Nachhaltigkeit des Konzeptes liegt bis heute nicht vor. 3 In den Niederlanden hat das Oranje-Huis nicht annähernd so viel Aufmerksamkeit erregt wie in Deutschland. Andere konzeptionelle Neuerungen des Oranje Huises, wie die Unterbringung in kleineren Wohneinheiten, die den betroffenen Frauen und Kindern mehr Privatsphäre ermöglicht, sowie eine partielle Öffnung für BesucherInnen und ambulante Dienste sind in einigen Autonomen Häusern in NRW bereits vor vielen Jahren eingeführt worden. Die meisten Autonomen Häuser aber sind von den räumlichen Voraussetzungen, die diese konzeptionellen Änderungen erfordern, noch sehr weit entfernt. 3. Anmerkungen zu konzeptionellen Aspekten des Oranje Huis Ansatzes 3.1. Zum Umgang mit gewalttätigen Männern Das Oranje-Huis sieht eine unmittelbare Kontaktaufnahme mit dem Gefährder vor. In einem nächsten Schritt werden gemeinsame Gespräche angeboten, um die Anforderungen an die Ausübung der Elternschaft zu verdeutlichen. Hier werden der 3 Aleid van den Brink, Der Amsterdamer Ansatz, in: Tagungsdokumentation, 10 Jahre österreichische Gewaltschutzgesetze, Wien, 2008 LAG Autonomer Frauenhäuser NRW 09.12.13
4 Schutz und die vermeintlichen Bedürfnisse der gemeinsamen Kinder in den Mittelpunkt gestellt. Für die Autonomen Frauenhäuser in NRW würde die Umsetzung dieses Ansatzes neben fachlichen Erwägungen zunächst bedeuten, eine weitere Zielgruppe anzusprechen und in das Angebot einzubeziehen. Auf dem Hintergrund, dass zurzeit nicht einmal die Aufnahme aller Zuflucht suchenden Frauen gewährleistet ist, erscheint dies unter derzeitigen Förderbedingungen nicht realisierbar. Fachlich ließe sich jedoch – bei gleicher Zielrichtung – ein anderer Weg denken, der sich stärker an den tatsächlichen Gegebenheiten in Deutschland und speziell in NRW orientiert. Hier wäre konzeptionell eine engere Zusammenarbeit zwischen Täterarbeitseinrichtungen und Frauenhäusern sowie Frauenberatungsstellen zu diskutieren. Aber auch diese engere Zusammenarbeit basiert auf bisher nicht realisierten Voraussetzungen: Eine engere und ggf. sogar fallbezogene Kooperation ist zeitintensiv und nicht nebenbei zu schaffen. Hierfür fehlen den Einrichtungen verlässliche und ausreichende Ressourcen. Eine Kooperation zwischen Täterarbeit und Frauenunterstützung erfordert klare Zieldefinitionen, muss datenschutzrechtliche Aspekte berücksichtigen und konzeptionell die Interessen der Mädchen und Jungen einbeziehen. Eine solche Kooperation kann auch nur wirksam werden, wenn angrenzende Systeme - wie Polizei, Justiz, Jugendhilfe, Familiengerichte - entsprechend agieren und reagieren. Sie müssten demnach an einem Gesamtkonzept aktiv mitwirken. 3.2. Zum systemischen Ansatz Die Einbeziehung von Männern könnte unter den oben genannten Voraussetzungen also sinnvoll sein, soweit gewaltbetroffene Frauen dies wünschen und eine Gefährdung ausgeschlossen werden kann. Gewalt gegen Frauen ist aber nicht auf ein Interaktionsproblem zwischen Beziehungspartnern zu reduzieren. Das Oranje Huis konzentriert sich auf die Fallarbeit und hier auf die Beziehungsebene innerhalb der betroffenen Familien. Für die Autonomen Frauenhäuser ist Gewalt gegen Frauen und Kinder immer auch Ausdruck von gesellschaftlicher Benachteiligung, Machtmissbrauch und geschlechtsspezifischem Rollenverhalten. Darauf basieren die Beratungsarbeit, die Lobbyarbeit und die Öffentlichkeitsarbeit der Autonomen Häuser. Die Arbeit zielt sowohl auf die individuelle Stärkung und den Schutz vor Gewalt wie auch auf die Erweiterung der Lebens- und Handlungsspielräume der betroffenen Frauen und Kinder im gesellschaftlichen Kontext. Gesellschaftspolitische Arbeit gegen Gewalt an Frauen ist ein wichtiger Bestandteil der Arbeit Autonomer Frauenhäuser. Ehe- und Familienberatungsstellen arbeiten in Deutschland seit Jahrzehnten mit dem systemischen Ansatz, der somit nicht neu und innovativ ist. Frauenhäuser verweisen Frauen, die ihre Partnerschaft aufrechterhalten wollen und eine gemeinsame Beratung wünschen, meist an diese Beratungsstellen oder an PaartherapeutInnen. LAG Autonomer Frauenhäuser NRW 09.12.13
5 Auch hier stellt sich also die Frage nach sinnvollen Kooperationen und nach Verankerung des Themas „Häusliche Gewalt“ in die die Aus- und Fortbildung der MitarbeiterInnen der genannten Beratungsstellen sowie in die Therapieausbildung. 3.3. Zum Sicherheitsaspekt Voraussetzung für eine gemeinsame Beratung von gewaltbetroffenen Frauen und ihren gewalttätigen Partnern, ist eine abgestimmte Gefährdungsanalyse, insbesondere in der ersten Phase der Trennung. Hier hat eine Studie von Prof. Dr. Luise Greuel für NRW ergeben, dass die vorhandenen Instrumente nicht geeignet sind, das Risiko für Tötungsdelikte zu erkennen. 4 Ihre Untersuchung bestätigt, dass die Zeit, die auf die Trennung folgt, die gefährlichste Zeit für eine Frau ist – ganz unabhängig davon, ob der (Ex-)Partner vorher zunehmend gewalttätig wurde oder nicht. Daraus folgt für uns, dass jede Frau, die sich auf Grund von Bedrohung und/oder Misshandlung trennt und Zuflucht im Frauenhaus sucht, bestmöglich geschützt werden muss. Die hierfür notwendigen Instrumente zur Risikoanalyse sind in NRW bisher allerdings nicht systematisch mit allen Beteiligten (Frauenhäuser, Frauenberatungsstellen, Frauennotrufe, Polizei, Justiz, Jugendhilfe) abgestimmt. Frauenhäuser müssten demnach dem unterschiedlichen Sicherheitsbedarf gerecht werden, der sich aus einer differenzierten Risikoanalyse ergibt. Die Einrichtung unterschiedlicher Sicherheitsbereiche in Frauenhäusern bzw. unterschiedlicher Sicherheitskonzepte von Frauenhäusern scheitert jedoch an den räumlichen Bedingungen und an den hohen Folgekosten. In jedem Falle müsste nach wie vor in jeder Region mindestens ein Frauenhaus mit hohen Sicherheitsstandards verfügbar sein. 4.Handlungsbedarf in NRW 4.1. Ausbau der Frauenunterstützungseinrichtungen Wenn wir uns die Entwicklung des Unterstützungssystems in den Niederlanden ansehen, wird auch ohne vorherige Bedarfsanalyse deutlich, was wir in NRW vorrangig brauchen: Einen quantitativen und qualitativen Ausbau der bereits bestehenden Unterstützungseinrichtungen. Die fachliche Weiterentwicklung der Angebote der Frauenhäuser muss unseres Erachtens in die Richtung gehen, dass Frauenhäuser räumlich und personell in die Lage versetzt werden, verschiedenen Bedarfen gewaltbetroffener Frauen und ihrer Kinder gerecht zu werden. So sollten Frauenhäuser finanziell so ausgestattet werden, dass sie konzeptionelle Zugangsbeschränkungen abbauen und sich für alle gewaltbetroffene Frauen und deren Kinder, die bei ihnen Zuflucht suchen, öffnen können. Dazu gehören auch Frauen, denen es heute kaum möglich ist, einen Platz im Frauenhaus zu finden wie Frauen mit Behinderungen oder Beeinträchtigungen, psychiatrieerfahrene Frauen, Frauen mit Suchterkrankungen, Frauen mit ungesichertem Aufenthaltsstatus. 4 Prof. Dr. Luise Greuel, Evaluation von Maßnahmen zur Verhinderung von Gewalteskalationen in Paarbeziehungen bis hin zu Tötungsdelikten und vergleichbaren Bedrohungsdelikten, IPoS, März 2010 LAG Autonomer Frauenhäuser NRW 09.12.13
6 4.2. Schwere Wege leicht machen Seit Einführung des Gewaltschutzgesetztes und der Änderung des Polizeirechts in NRW haben die meisten Frauenhausbewohnerinnen zum Zeitpunkt der Aufnahme den Wunsch, sich vom gewalttätigen Partner oder der gewalttätigen Familie zu trennen. Frauen, die sich nicht trennen wollen, suchen in der Regel eher die Frauenberatungsstellen auf. Trotzdem liegt die Rückkehrquote bei den Frauenhausbewohnerinnen durchschnittlich bei 25%. Das führt offenbar dazu, die Wirksamkeit der derzeitigen Frauenhauskonzepte anzuzweifeln und alternative Konzepte einzufordern. Neben den individuellen emotionalen Ambivalenzen haben viele weitere Faktoren Einfluss darauf, ob sich der Trennungswunsch realisieren lässt. Die Ergebnisse der Befragung zur Zufriedenheit von Bewohnerinnen der Autonomen Frauenhäuser NRW belegen, dass die Chance zur Entwicklung einer alternativen gewaltfreien Lebensperspektive mit der Dauer des Frauenhausaufenthaltes erheblich steigt. Frauen und Kinder in Lebenskrisen brauchen Zeit, um zur Ruhe zu kommen und sich zu stabilisieren. 5 Kontraproduktiv ist der zunehmende Druck von Sozialleistungsträgern auf die betroffenen Frauen, so schnell wie möglich eine eigene Wohnung zu beziehen. Hier könnte die Landesregierung auch im Vorfeld eines Frauenhausfinanzierungsgesetzes schon Einfluss ausüben, um die Rückkehrquote zu verringern. Ob Frauen den Frauenhausaufenthalt im Hinblick auf die Trennung für sich nutzen können, hängt weiterhin von der räumlichen und personellen Ausstattung der Frauenhäuser ab. Überfüllte Frauenhäuser, in denen sich bis zu vier Frauen ein Zimmer teilen müssen, keine Frau ein eigenes Bad/WC hat und Rückzugsmöglichkeiten für Frauen und Kinder weitgehend fehlen, sind unzumutbar. Auch hier besteht eindeutig Handlungsbedarf, um Frauen und ihren Kindern den Weg aus der Gewalt zu erleichtern. Jugendämter, Verfahrensbeistände für Kinder und Familiengerichte tragen ebenfalls dazu bei, dass Frauen keine sichere Perspektive ohne Gewalt entwickeln können. Sie entscheiden nicht nur, ob ein Frauenhaus ein angemessener Aufenthaltsort für Kinder ist, sondern sie beeinflussen auch, ob und wann gewaltbetroffene Frauen und ihre Kinder sich im Rahmen von Umgangsregelungen mit dem gewalttätigen Partner konfrontieren lassen müssen. Hier fehlt eine abgestimmte Strategie, die verhindert, dass die Beteiligten gegeneinander arbeiten. Frauen sind in krisenhaften Lebenssituationen frühzeitig sich widersprechenden Erwartungen ausgesetzt und geraten nicht selten dadurch zusätzlich in Gefahr. Hier kann das Land NRW in Zusammenarbeit mit der GFMK stärker als bisher darauf hinwirken, dass in familienrechtlichen Verfahren die Sicherheit von Frauen und Kindern Vorrang hat vor dem Recht des gewalttätigen Vaters auf Umgang. 5 Ruth Becker, Das Leben im Frauenhaus, Ergebnisse einer Befragung der Zufriedenheit von Bewohnerinnen der Autonomen Frauenhäuser in NRW, S. 57 ff LAG Autonomer Frauenhäuser NRW 09.12.13
7 4.3. Entwicklung eines Gesamtkonzepts Im Gegensatz zur Situation in den Niederlanden fehlt in Nordrhein-Westfalen – wie auch in den meisten anderen Bundesländern – eine Gesamtstrategie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Häuslicher Gewalt. Einzelne Förderprogramme und Finanzierungsmodelle sind weitgehend unabhängig voneinander. Allen ist gemeinsam, dass sie unzureichend und unsicher sind und oft zu Lasten der gewaltbetroffenen Frauen und ihrer Kinder gehen. Der Etat, den das Land NRW zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen zur Verfügung stellt, beträgt mit knapp 15,7 Mio. € einen Bruchteil der Mittel, die in den Niederlanden für den „Vrouwenopvang“ zur Verfügung stehen (108 Mio. €) – selbst wenn kommunale Mittel in gleicher Höhe dazu gezählt werden. Die fehlende Steuerung durch das Land lässt sich gut an dem Flickenteppich höchst unterschiedlicher kommunaler Konzepte und Prioritäten in Bezug auf die Themen „Gewalt gegen Frauen und Häusliche Gewalt“ ablesen. Es lassen sich regional unterschiedliche Entwicklungen ausmachen, die nicht etwa von strategischen Überlegungen abhängig sind, sondern von Finanzkraft, vorhandener Infrastruktur, Ausstattung und davon, welche Defizite und Ziele in der jeweiligen Region als vorrangig wahrgenommen und definiert werden. Die Steuerungskompetenz des Landes NRW sollte unseres Erachtens in der Weise ausgeübt werden, dass ein Gesamtkonzept zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Häuslicher Gewalt entwickelt wird – so wie es z.B. im Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (CETS 210, sog. "Istanbul-Konvention") formuliert ist. Dazu ist es notwendig, Gewalt gegen Frauen als Menschenrechtsverletzung und als Frage der inneren Sicherheit eines Staates zu betrachten und alle Ministerien (v.a. Inneres, Justiz, Gesundheit+Emanzipation, Familie+Jugend, Bildung, Finanzen, Wirtschaft) sowie die Unterstützungseinrichtungen an einem untereinander abgestimmten Konzept zu beteiligen. Dabei kann eine wirksame Gesamtstrategie nicht kostenneutral sein, sondern es muss bei den politisch Verantwortlichen der Wille vorhanden sein, die dafür erforderlichen finanziellen Mittel in die Hand zu nehmen. "Die politische Brisanz des Themas "Häusliche Gewalt" wird zu schnell durch allerlei rhetorische Ablenkungsmanöver unsichtbar gemacht. Wen der Verweis auf "Sachzwänge" und die angeblich "leeren Kassen" nicht überzeugt, zeigt eigentlich nur, dass seine bzw. ihre Urteilskraft noch funktioniert...Solange die Frauen, die im gegenwärtigen politischen Betrieb auf Bundes- und Landesebene Verantwortung tragen, das Thema nicht zur "Chefinnen-Sache" machen (z.B. als Kanzlerin, als Ministerpräsidentin, als Ministerin), solange wird sich substantiell nichts ändern." 6 6 Stephan Rixen, Häusliche Gewalt gegen Frauen und ihre Kinder: Probleme der Finanzierung von Unterstützungsangeboten und aktuelle Lösungsvorschläge, in: Häusliche Gewalt gegen Frauen: Lücken im Hilfesystem, Archiv für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit 4/2013, S. 31 ff LAG Autonomer Frauenhäuser NRW 09.12.13
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