Stellungnahme zum Grünbuch Arbeitsrecht der EU-Kommission
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CDA Christlich- Demokratische Arbeitnemerschaft Deutschlands BEZIRKSVEBAND MITTELRHEIN Stellungnahme zum Grünbuch Arbeitsrecht der EU-Kommission „Ein modernes Arbeitsrecht für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts“ Brüssel, den 22.11.2006 KOM (2006) 708 endgültig
Köln, den 16. März 2007 Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union haben sich mit dem Beschluss der Lissabon-Strategie im März 2000 das ehrgeizige Ziel gesetzt, die EU innerhalb von zehn Jahren zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen. Ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einem größeren sozialen Zusammenhalt soll erreicht werden. Wie der sog. Kok-Bericht1 und der Bericht der Europäischen Kommission „Jobs und Wachstum – Ein Neubeginn für die Strategie von Lissabon“ aufzeigen, konnten in dieser Hinsicht bislang zwar Fortschritte erzielt werden, nicht aber in dem angestrebten Umfang. Gerade im Vergleich zur führenden Wirtschaftsnation USA hat sich der Wachstumsabstand im Zeitraum 2000 – 2005 sogar noch vergrößert. Um wieder an Fahrt zu gewinnen und in den selbst gesetzten Zeitplan zurückzufinden, will die EU nun verstärkt ihre Reformbestrebungen vorantreiben. Zu diesem Zweck sucht sie über das Grünbuch den offenen Dialog mit den Regierungen der Mitgliedstaaten, den Sozialpartnern und anderen relevanten Dritten. Dabei definiert die EU als die zentrale beschäftigungspolitische Herausforderung und damit den zentralen Diskussionspunkt die Schaffung eines „flexiblen, integrativen Arbeitsmarkts“2. Allerdings wird hier einseitig das Arbeitsrecht unter Rückgriff auf die Idee der Flexicurity als anpassungsbedürftig herausgegriffen. Das Konzept der Flexicurity umfasst jedoch mehr, insbesondere Konzepte des lebenslangen berufsbegleitenden Lernens und Beschäftigungs- und Einkommenssicherheit bei verschiedenen Vertragsformen, aber auch aktive Arbeitsmarktpolitiken. Arbeitsrecht dient dem Ausgleich der unterschiedlichen Interessen im Arbeitsverhältnis und gleicht als Arbeitnehmerschutzrecht die strukturelle Unterlegenheit von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bei der Gestaltung der Arbeitsvertragsbeziehungen aus. Diese Funktion bleibt gerade auch in Veränderungsprozessen in Folge der Globalisierung und dem Wunsch nach mehr Flexibilität bestehen. Zu den im Grünbuch der EU-Kommission gestellten Fragen: 1 Bericht „Jobs, Jobs, Jobs – Mehr Beschäftigung in Europa schaffen“ der Taskforce Beschäftigung unter Vorsitz des ehemaligen niederländischen Premierministers, November 2003. 2 EU-Grünbuch „Ein modernes Arbeitsrecht für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts“, 2006, S. 8. 2
1. Welche Punkte sollten Ihrer Ansicht nach auf der Agenda einer sinnvollen Arbeitsrechtsreform ganz oben stehen? 2. Der Arbeitsmarkt der Zukunft wird maßgeblich durch zwei Faktoren geprägt sein. Zunehmender, nationaler wie internationaler, Wettbewerb auf der einen Seite und eine durch die demographische Entwicklung bedingte Verknappung der Ressource „Qualifizierter Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer“ auf der anderen Seite. Umso wichtiger ist , dass faire und existenzsichernde Arbeitsbedingungen in möglichst unbefristeten Arbeitsverhältnissen unter tarifvertraglichem und mitbestimmtem Schutz geschaffen werden, die zu einer besseren Motivation und Kreativität der Beschäftigten führen und dadurch die Produktivität der Unternehmen stärken. Von großer Bedeutung für den CDA-Bezirksverband Mittelrhein ist auf nationaler Ebene zur Zeit das finanzielle Mindestentgelt der Beschäftigten im Inland und derjenigen, die aus dem Ausland nach Deutschland entsandt werden. Hier muss eine Konkurrenz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer untereinander ausgeschlossen Auf europäischer Ebene ist die Festlegung eines europäischen Mindeststandards zur werden. Leiharbeit vordringlich. Aufgrund der Expansion befristeter Arbeitsverhältnisse ist es vordringlich, Brücken aus befristeter Beschäftigung oder auch Teilzeitarbeit in unbefristete Arbeitsverhältnisse zu definieren. 3. Kann eine Anpassung des Arbeitsrechts und der Tarifverträge zur Erhöhung der Flexibilität und der Beschäftigungssicherheit sowie zur Verringerung der Segmentierung des Arbeitsmarktes beitragen? Wenn ja, wie? Im Vergleich zwischen Ländern mit einer überdurchschnittlich starken Segmentierung3 und Ländern mit einer verhältnismäßig geringen Segmentierung des Arbeitsmarktes hat sich gezeigt, dass ein Bezug zwischen der Marktsegmentierung und der Marktregulierung besteht4. Hieraus lässt sich ableiten, dass durch eine Entbürokratisierung des Arbeitsrechts die Segmentierung des Arbeitsmarktes verringert werden kann. Dem europäischen wie nationalen Gesetzgeber ist daher zu raten, bestehende Bürokratien abzubauen und den Aufbau neuer zu vermeiden. Er sollte sich darauf 3 Mit Segmentierung des Arbeitsmarktes ist hier die immer stärker aufkommende Verlagerung weg vom Grundtyp eines unbefristeten Vollzeitarbeitsverhältnis hin zu Nicht-Standardarbeitsverhältnissen wie Teilzeitarbeitsverträgen, Abrufverträge, Null-Stunden-Verträge, Freelance-Verträge, etc. gemeint. 4 Vgl. OECD Employment Outlook July 1999, Paris 1999,'und OECD (Anm. 5); W. Eichhorst/S. Profit/E. Thode (Anm. 1). 3
beschränken, den Unternehmen, den Arbeitnehmern und nicht zuletzt den Tarifpartnern ein nicht zu detailliertes arbeitsrechtliches Grundgerüst zur Verfügung zu stellen und ihnen darüber hinaus einen möglichst weiten Handlungsspielraum belassen. Ein Element eines solchen Grundgerüstes könnte bspw. ein Standardarbeitsvertrag mit weit reichenden, bedürfnisorientierten Arbeitszeitregelungen sein. Ermöglicht der Gesetzgeber dem Arbeitgeber innerhalb eines einfach zu handhabenden Standardbeschäftigungsverhältnisses, flexibel auf kurzfristige Veränderungen am Markt zu reagieren, so reduziert er das Bedürfnis nach anderen Beschäftigungsformen und somit gleichzeitig die Gefahr einer Segmentierung des Arbeitsmarktes erheblich. Schließlich wird auf Nicht-Standardarbeitsverträge zumeist erst dann ausgewichen, wenn die gewünschte Flexibilität im Standardarbeitsverhältnis nicht erreicht werden kann. Dabei führt eine Verringerung der Segmentierung des Arbeitsmarktes zu einer Erhöhung der Beschäftigungssicherheit. In einer Vielzahl von Branchen ist eine Anpassung der Arbeitsgesetze an die individuellen Gegebenheiten notwendig. Hier sind es regelmäßig die Tarif- und Sozialpartner, die diese Anpassungen vornehmen und so für branchen- bzw. betriebsspezifische Lösungen sorgen. Dies ist in der Vergangenheit z.B. bezüglich der Arbeitszeit, der Einkommensabsicherung und im Rahmen von Tarifverträgen bzw. tarifvertraglichen Öffnungsklauseln zur Beschäftigungssicherung erfolgt. Hier bedarf es keiner Änderun- Das Individualrecht trägt aus unserer Sicht nur wenig zur Beschäftigungserhöhung bei. gen. Auf nationaler Ebene wird dies deutlich im Zuge der Entwicklung des gesetzlichen Kündigungsschutzes. Seine Verschlechterungen führten in keiner Weise zu einer Beschäftigungssicherung oder gar einem Beschäftigungsaufbau. Auch die in der jüngsten Vergangenheit gelockerten Befristungsregelungen für Ältere haben zu keiner verbesserten Beschäftigung Älterer geführt. 4. Wirken die geltenden Regelungen, seien es Gesetze oder Tarifverträge, hemmend oder fördernd für Unternehmen und Beschäftigte, die die Chancen zur Erhöhung der Produktivität nutzen und sich an die Einführung neuer Technologien und an die mit dem internationalen Wettbewerb verbundenen Veränderungen anpassen wollen? Wie können die für die KMU relevanten Regelungen bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der angestrebten Ziele verbessert werden? 4
Unternehmerische Entscheidungen richten sich nicht nach Arbeitnehmerschutzrechten, sondern folgen einer bestimmten wirtschaftlichen und technischen Entwicklung. Deshalb ist es wichtig, zwischen den Interessen von Unternehmen und Beschäftigten zu unterscheiden. Das Interesse der Beschäftigten besteht in erster Linie an ge- sicherten Arbeitsplätzen zu fairen Bedingungen, während Unternehmen die Gewinnmaximierung in den Vordergrund stellen. Insofern ist die Erhöhung der Produktivität und die Einführung neuer Technologien, insbesondere für Arbeitnehmer kein Selbstzweck, sondern im Zusammenhang mit dieser Grundanforderung zu sehen. Gesetzliche Regelungen eignen sich aus unserer Sicht wenig für die Anpassung an internationalen Wettbewerb oder zur Erhöhung der Produktivität. Ihr Ansatz ist in der Regel ein ganz anderer, im Arbeitsrecht ist es die Funktion als Schutzrecht. Allerdings kritisieren wir das intransparente, aufwändige Verfahren bei der Gründung neuer Unternehmen . Dies schreckt nicht wenige Menschen vom Schritt in die Selbständigkeit ab und bremst den als Wirtschaftsmotor für Deutschland so wichtigen Mittelstand. Entbürokratisierung ist damit auch an dieser Stelle dringend erforderlich. Das europäische Ziel einer „better regulation“ sollte in eine „less regulation“ abgeändert werden. 5. Wie könnte die Aufnahme befristeter oder unbefristeter Arbeitsverhältnisse arbeitsrechtlich oder tarifvertraglich erleichtert werden, so dass im Rahmen der zu Grunde liegenden Arbeitsverträge ein höherer Grad an Flexibilität ermöglicht und gleichzeitig aber auch eine angemessene Beschäftigungssicherheit und ein angemessener sozialer Schutz gewährleistet werden? Die hier aufgeworfene Fragestellung suggeriert einen Zusammenhang zwischen der Bereitschaft der Arbeitgeber, unbefristete Einstellungen vorzunehmen und arbeitsrechtlichen oder tarifvertraglichen Normen. Diesen Zusammenhang sehen wir nicht. Die momentane Entwicklung in Deutschland bestätigt den fehlenden Einfluss dieser Normen auf die Beschäftigung: Obwohl sich arbeitsrechtlich in den letzten Jahren nichts verändert hat, stellen die Unternehmen mehr Personal ein. Das zeigt, dass Unternehmen dann, wenn ein Bedarf an Beschäftigung besteht, neue Einstellungen vornehmen. Die Veränderung arbeitsrechtlicher Normen hat keine Auswirkung auf diese Einstellungsbereitschaft. Würde man beispielsweise die Befristungsmöglichkeiten erweitern oder den Kündigungsschutz abbauen, würde die Einstellungsbereitschaft der Unternehmen nicht 5
erhöht. Es käme lediglich zu einem Abbau von Arbeitnehmerrechten und – bei steigendem Bedarf an Arbeitskräften – zu Einstellungen zu verschlechterten Bedingungen. Damit wären Beschäftigungssicherheit und sozialer Schutz gerade nicht mehr gegeben. Allerdings könnten Maßnahmen außerhalb des Arbeitsrechts die individuelle Flexibilität von Beschäftigten sehr wohl erhöhen. Eine deutliche Verbesserung der Kinderbetreuungsangebote, eine bessere Vereinbarkeit von beruflicher Tätigkeit und familiärer Pflege, berufsbegleitende Qualifizierungsmaßnahmen u.ä. könnten hier einen Beitrag leisten. 6. Wäre es hilfreich, über eine Kombination von flexibleren Kündigungsschutzgesetzen und gut durchdachten Unterstützungsleistungen für Arbeitslose nachzudenken, sowohl in Form von Lohnersatzleistungen (d. h. passiver Leistungen der Arbeitsmarktpolitik) als auch von aktiven Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik? Der Kündigungsschutz in Deutschland kann nachweislich nicht in Zusammenhang gebracht werden mit Beschäftigungsaufbau. Von daher ist es folgerichtig, dass seine Verschlechterung auch keine Auswirkungen auf dem Arbeitsmarkt haben wird. 2003 wurde in Deutschland der Kündigungsschutz flexibilisiert, gleichzeitig ist jedoch keine stärkere Absicherung von Arbeitslosigkeit erfolgt. Der Anspruch auf Arbeitslosengeld ist im Gegenteil drastisch gekürzt worden. Aus- und Fortbildungsmaßnahmen, die zu einer kürzeren Verweildauer in Arbeitslosigkeit führen könnten, sind erheblich eingeschränkt worden. Auch Maßnahmen zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit sind ausgeblieben. Im Rahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik sollte aber ein Schwerpunkt auf die Steigerung der öffentlichen Wertschätzung für Tätigkeiten im Dienstleistungssektor gesetzt werden. Denn trotz eines entsprechenden Bedarfs an Arbeitsleistung, gerade im Bereich der gering qualifizierten und bezahlten Tätigkeiten wie Haushaltshilfen, einfachen Gartenarbeiten, etc., weist Deutschland im europäischen Vergleich eine verhältnismäßig geringe Beschäftigtenanzahl im Dienstleistungsbereich auf. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die Beschäftigungssituation in Deutschland lange Zeit durch ein Gleichgewicht hoch qualifizierter Tätigkeiten bei hohen Löhnen geprägt war, wie sie im produzierenden Gewerbe zu finden sind. Tätigkeiten im Dienstleistungsbereich hingegen erfuhren und erfahren immer noch wegen ihrer regelmäßig geringeren Bezahlung und ihrer geringen Qualifikationsvoraussetzungen wenig Wertschätzung in der Öffentlichkeit und auch weniger Zulauf. 6
Gelingt es hier durch gezielte politische und tarifpolitische Maßnahmen die öffentliche Wertschätzung zu steigern, z. B. indem die Beschäftigungssicherheit und Entlohnung stärker in den Fokus gerückt wird – Dienstleistungen werden vor Ort erbracht und können nicht ins Ausland verlagert werden – könnte das große Potential an Dienstleistungs-Arbeitsplätzen in Deutschland erschlossen und so nachhaltig zum Wachstum beigetragen werden. Das Zusammenspiel von Kündigungsschutz, Unterstützungsleistungen und Arbeitsmarktpolitik darf jedoch nicht isoliert betrachtet werden. Es ist maßgeblich von weiteren Größen abhängig, namentlich dem Aufbau und der Ausgestaltung der Sozialsysteme, des Steuerrechts und den gesellschaftlichen Strukturen im jeweiligen Mitgliedstaat. Wegen dieser Abhängigkeit von den nationalen Gegebenheiten sollte auf eine Regelung auf europäischer Ebene verzichtet und die Anpassung von Kündigungsschutzvorschriften und Unterstützungsleistungen sowie die Arbeitsmarktpolitik den Mitgliedstaaten überlassen werden. 7. Welche Rolle könnten Gesetze und/oder von den Sozialpartnern ausgehandelte Tarifverträge spielen im Hinblick auf die Förderung des Zugangs zur Ausbildung und die Erleichterung von Übergängen zwischen verschiedenen Vertragsformen mit dem Ziel, eine zunehmend bessere Beschäftigungssituation im Laufe eines durchgehend aktiven Berufslebens zu erlangen? Das Ziel der Förderung des Zugangs zur Ausbildung lässt sich am besten durch eine Steigerung der Ausbildungsfähigkeit der Bewerber verwirklichen. Gerade im Bereich der gewerblichen Berufe bleiben Ausbildungsplätze nicht selten unbesetzt, da den Bewerbern die notwendigen Grundvoraussetzungen für eine Ausbildung fehlen. Ein Mangel, der in den letzten Jahren verstärkt zu beobachten ist. Hier ist der Gesetzgeber gefragt, Abhilfe zu schaffen. In Deutschland fehlen jedoch auch Ausbildungsplätze. Tarifvertragliche Umlagesysteme gibt es z.B. im Baubereich. Desweiteren gibt es tarifvertragliche Vereinbarungen in der chemischen Industrie oder für private und öffentliche Banken, um die Anzahl der Ausbildungsplätze zu erhöhen. Die Mehrzahl der tariflichen Vereinbarungen hat aber lediglich appellativen Charakter. Die Frage der gesetzlichen Umlagefinanzierung muss aus unserer Sicht deshalb neu gestellt werden. 7
8. Ist bei den in den Mitgliedstaaten geltenden juristischen Definitionen von Beschäftigung und Selbstständigkeit größere Klarheit erforderlich, um "bona- fide"-Übergänge zwischen Beschäftigung und Selbstständigkeit und umgekehrt zu erleichtern? Zumindest in Deutschland ist eine größere Klarheit bei den geltenden juristischen Definitionen von Beschäftigung und Selbständigkeit nicht erforderlich. In den vergangenen Jahrzehnten hat vor allem die Rechtsprechung einen sehr umfangreichen Katalog von Kriterien zur Abgrenzung abhängiger von nicht abhängiger Beschäftigung bzw. Selbständigkeit entwickelt. Dieser Katalog hat sich in der Praxis bewährt und ist erfasst die verschiedensten Fallkonstellationen. Bei einer gesetzlichen Fixierung des gewachsenen Richterrechts steht aufgrund der Fülle der Abgrenzungskriterien der Verlust einzelner Merkmale zu befürchten. Dies führt zwangsläufig zu Auslegungsstreitigkeiten und damit zu Unsicherheiten in der Gesetzesanwendung. Das Ziel „Mehr an Klarheit“ würde in jedem Fall verfehlt. 9. Braucht man einen Grundstock an Vorschriften, welche die Beschäftigungsbedingungen aller Beschäftigten, unabhängig von der Form ihres Vertrags, regeln? Wie würden sich derartige Mindesterfordernisse Ihrer Ansicht nach auf die Schaffung von Arbeitsplätzen und auf den Schutz der Beschäftigten auswirken? Die Einführung eines Grundstocks an Vorschriften, welche die Beschäftigungsbedingungen aller Beschäftigten europaweit regeln, ist nicht unproblematisch. Prinzipiell könnte eine solche Regelung auf zwei Arten erfolgen: Zum einen könnte man die verschiedenen Regelungen der einzelnen Mitgliedsstaaten nach ihrem kleinsten gemeinsamen Nenner durchsuchen und diesen festschreiben. Da dem kleinsten gemeinsamen Nenner jedoch immanent ist, dass er in allen sich auf ihn beziehenden Regelungen bereits enthalten ist, brächte ein derartiges Gesetz keine Verbesserung für die Schutzrechte der Beschäftigten mit sich. Zum anderen ließe sich ein Grundstock an Vorschriften festschreiben, der über den kleinsten gemeinsamen Nenner hinausgeht. Dies birgt aufgrund der zum Teil gänzlich unterschiedlichen sozialen Systeme von Beschäftigung und Beschäftigtenschutz in den einzelnen Mitgliedsstaaten die Gefahr, dass Elemente fremder Rechtssysteme in das 8
jeweilige nationale Recht eingeführt werden und so das soziale System der Mitgliedsstaaten gestört würde. Rechtsunsicherheit statt Sicherheit wäre die Folge. Die Schaffung neuer Arbeitsplätze würde zumindest nicht gefördert. Auf einem Grundstock an Vorschriften, welche die Beschäftigungsbedingungen aller Beschäftigten, unabhängig von der Form ihres Vertrags, regeln, ist daher zu verzichten. 10. Sollten Ihrer Ansicht nach die Verantwortlichkeiten der einzelnen Parteien in mehrseitigen Beschäftigungsbeziehungen eindeutiger geregelt werden, um festzulegen, wer für die Einhaltung von Beschäftigtenrechten verantwortlich ist? Wäre die Anordnung einer nachrangigen Haftung eine wirksame und praktikable Möglichkeit, um diese Verantwortlichkeiten bei der Einbeziehung von Subunternehmern sicherzustellen? Wenn nein, sehen Sie andere Möglichkeiten, einen angemessenen Arbeitnehmerschutz in „dreiseitigen Arbeitsverhältnissen“ zu gewährleisten? In Deutschland besteht ein derartiger Bedarf nach eindeutigeren gesetzlichen Regelungen nicht. Die Verantwortlichkeiten der einzelnen Parteien in mehrseitigen Beschäftigungsbeziehungen, wie Zeit- und Leiharbeitsverhältnissen, sind in Deutschland klar zugewiesen. Der Zeit- bzw. Leiharbeitnehmer hat einen Arbeitsvertrag mit dem Verleihunternehmen, welches eindeutig sein Arbeitgeber ist. Da er seine Tätigkeit im Entleihunternehmen ausübt, obliegen auch dem Entleiher einzelne Pflichten im Verhältnis zum Arbeitnehmer, insbesondere im Bereich des Arbeitnehmerschutzes. Flankierend kommen das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz und das „Equal Pay“-Prinzip hinzu. Gemeinsam führt dies zu einem hohen Schutzniveau von Zeit- bzw. Leiharbeitnehmern in Deutschland. Auch beim Einsatz von Subunternehmern gibt es in Deutschland klare Verantwortungen und einen ausreichenden sozialen Schutz. Hier darf es nicht zu einer zusätzlichen, nachrangigen Haftung des Bestellers kommen. Diese würde den Besteller über Gebühr belasten, schließlich fehlt es ihm in aller Regel an der Möglichkeit Einsicht in die betrieblichen Abläufe von Subunternehmern zu nehmen und damit an der Möglichkeit, steuernd einzugreifen. 9
11. Halten Sie es für notwendig, den Beschäftigungsstatus von Leiharbeitnehmern zu klären? Eine Klärung des Beschäftigungsstatus von Leiharbeitnehmer halten wir für nicht erforderlich. Wie unter Punkt 9 dargetan, sind in Deutschland die Geschäftsbeziehungen zwischen den an einem dreiseitigen Leiharbeitsverhältnis beteiligten Personen - Verleiher, Entleiher und Leiharbeitnehmer – hinreichend ge- regelt. 12. Wie könnten Mindestanforderungen im Zusammenhang mit der Organisation der Arbeitszeit so geändert werden, dass sie sowohl zu mehr Flexibilität für Arbeitgeber und für Arbeitnehmer führen, als auch zu einem höheren Schutzniveau für die Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer? Mit welchen Aspekten der Arbeitszeitorganisation sollte die Gemeinschaft sich vorrangig be- fassen? Flexible Arbeitszeiten sind ein wichtiger Faktor zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und damit zur Sicherung der Beschäftigung in den Unternehmen. Mit flexibler Arbeitszeitgestaltung lassen sich saisonale und konjunkturelle Schwankungen bedarfsgerecht ausgleichen und personelle Ressourcen im Unternehmen sichern. Aus Sicht der Beschäftigten fördern flexible Arbeitszeiten, die zeitlichen Freiraum schaffen, die Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben und reduzieren den Zeitdruck. Sie tragen so zu einem höheren Schutzniveau für die Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer bei. Beim Ausbau flexibler Arbeitszeitregelungen muss allerdings darauf geachtet werden, dass es nicht zu einer unangemessenen Verschiebung des Beschäftigungsrisikos weg vom Arbeitgeber und hin zum Arbeitnehmer kommen. Das Beschäftigungsrisiko ist Teil des unternehmerischen Risikos und damit naturgemäß vom Unternehmer zu tragen. Arbeitsvertragsgestaltungen, wie „Null-Stunden-Verträge“, die dem Arbeitgeber einseitig das Recht zur Bestimmung des Arbeitszeitvolumens einräumen, verstoßen gegen diesen Grundsatz und sind daher – auch aus Gründen des Arbeitnehmerschutzes -abzulehnen. 13. Wie können die Beschäftigtenrechte von Beschäftigten, die in einem grenzüberschreitenden Bezug arbeiten, insbesondere von Grenzgängern, überall in der Gemeinschaft gewährleistet werden? Besteht Ihrer Ansicht nach Bedarf an einer einheitlicheren Definition des Begriffs „Arbeitnehmer“ in den EU- Richtlinien, um sicherzustellen, dass diese Beschäftigten ihre 10
Beschäftigungsrechte unabhängig davon wahrnehmen können, in welchem Mitgliedstaat sie arbeiten? Oder sind Sie der Ansicht, dass der Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten in dieser Frage nicht beschränkt werden sollte? Durch die europäische Entsenderichtlinie und die entsprechenden nationalen Umsetzungsgesetze sind die grundlegenden Rechte grenzüberschreitender Beschäftigter hinreichend geschützt. Bedarf an einer EU-weiten, einheitlichen Definition des Begriffs „Arbeitnehmer“ besteht darüber hinaus nicht. Hierbei ist auch zu beachten, dass die Beschäftigtenrechte zwingend im Zusammenhang mit den jeweiligen Sozialsystemen der Mitgliedsstaaten zu betrachten sind. Die Definition des Begriffes „Arbeitnehmer“ ist daher vom jeweiligen Mitgliedstaat für sich vorzunehmen. 14. Halten Sie eine verstärkte Verwaltungszusammenarbeit zwischen den zuständigen Behörden für erforderlich, um das gemeinschaftliche Arbeitsrecht wirksamer durchsetzen zu können? Können Ihrer Ansicht nach die Sozialpartner bei dieser Zusammenarbeit eine Rolle spielen? Eine verstärkte Verwaltungszusammenarbeit zwischen den zuständigen Behörden kommt allenfalls zur effektiven Eindämmung der Schwarzarbeit in Frage. In jeden Fall ist die Schaffung weiterer Verwaltungsapparate und weiteren Verwaltungsaufwandes zu vermeiden. 15. Bedarf es Ihrer Auffassung nach auf EU-Ebene weiterer Maßnahmen, um die Mitgliedstaaten bei der Bekämpfung der Schwarzarbeit zu unterstützen? Die Bekämpfung der Schwarzarbeit muss auf zwei Ebenen erfolgen. Erstens auf der legislativen Ebene, auf der der Schattenwirtschaft der existenzielle Boden – hohe Kosten für die sozialen Sicherungsverhältnisse im legalen Arbeitsverhältnis und hoher Bürokratieaufwand - entzogen werden muss. Zweitens muss der Kampf gegen die Schwarzarbeit „vor Ort“, d. h. dort wo sie begangen wird, und damit in den Mitgliedstaaten stattfinden. Auf dieser zweiten Ebene könnte z. B. durch Regelungen, die den EU-weiten Austausch von Daten verbessern, ein wichtiger Unterstützungsbeitrag zur Bekämpfung der Schwarzarbeit auf EU-Ebene erbracht werden. Denn ein entscheidender Faktor für den Erfolg von Maßnahmen gegen die Schwarzarbeit ist dabei effektive Kontrolle, die ihrerseits voraussetzt, dass die ermittelnden Behörden möglichst umfassend und frühzeitig informiert sind. 11
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