Stickstoff - zu viel des Guten?
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Gießener Universitätsblätter 53 | 2020 Maria Krautzberger, Knut Ehlers „Stickstoff – zu viel des Guten?“ Ich weiß sehr wohl: An der Universität Gießen über Stickstoff in der Landwirtschaft zu sprechen, ist wie Eulen nach Athen zu tragen. Nicht nur ist der Namensgeber der Universität – Justus Liebig – einer der Gründer der modernen Pflanzendüngung, vor allem sind Liebigs geistige Erben auch heute noch an der Universität aktiv, und sie leisten einen wichtigen Beitrag zur richtigen Düngung und damit auch zum Umweltweltschutz. Warum ist Justus Liebig so bedeutsam, wenn In einem Punkt aber irrte Justus Liebig lange man über Stickstoff spricht? Ich lasse ihn das Zeit. Er war der Ansicht, dass Stickstoff bei der gern selbst begründen. Er schrieb in seinem Düngung keine Rolle spielt. Wie kam er zu die- 1840 veröffentlichten Buch „Agriculturche- ser Ansicht? Liebig bezweifelte nicht, dass mie“: „Als Prinzip des Ackerbaus muss ange- Pflanzen den Nährstoff Stickstoff aufnehmen. nommen werden, dass der Boden in vollem Er war aber der Ansicht, dass Stickstoff immer Maße wiedererhalten muss, was ihm genom- und überall in ausreichenden Mengen vorhan- men wird, …”. Darin steckt eine auch heute den ist. Stickstoff konnte somit nach seiner noch zentrale Erkenntnis des Ackerbaus. Pflan- Auffassung nie im Minimum sein. Folglich zen nehmen Nährstoffe auf, die sie zum Wachs- machte es auch keinen Sinn, ihn zu düngen. tum brauchen. Einige entnehmen sie dem Bo- Auf den ersten Blick waren seine Überlegungen den. Und diese Nährstoffe, die die Pflanzen durchaus logisch. Es mangelt weltweit keines- dem Boden entnommen haben, müssen dem falls an Stickstoff – allein die Luft ist voll davon, Boden über Düngungsmaßnahmen wieder zu- sie besteht zu 78 % aus Stickstoff. Doch der rückgegeben werden. Ein nicht gedüngter Bo- Stickstoff in der Luft hat einen Nachteil, der Ju- den verliert sukzessive seine Fruchtbarkeit, er stus von Liebig nicht bekannt war: er kann von laugt aus und die Erträge schrumpfen. den Pflanzen nicht direkt aufgenommen wer- Justus Liebig erkannte auch einen anderen den. Stickstoff in der Luft liegt in Form zweier wichtigen Punkt, der die moderne Düngung stabil miteinander verbundener Atome vor und heute noch prägt: „Der Ertrag eines Feldes wird er kann von den meisten Lebewesen nicht ge- von demjenigen Nährstoff begrenzt, der sich nutzt werden. Bevor der Stickstoff in der Luft im Vergleich zum Bedarf der Pflanzen im Mini- von Pflanzen, Tieren oder Menschen als Nähr- mum befindet.“ stoff verwendet werden kann, muss er erst in Dieses Liebig‘sche „Gesetz des Minimums“ ist reaktiven Stickstoff umgewandelt werden. im Kern allen bekannt: Wenn man Durst hat, Dafür sorgen Mikroorganismen, die frei im Bo- reicht es nicht, viel zu essen. Man braucht et- den, im Wasser oder in Symbiose mit Pflanzen was zu trinken. Wenn ein Nährstoff fehlt, ge- leben. Doch die Mengen, die über diese biolo- nügt es nicht, von den anderen Nährstoffen im gische Stickstofffixierung in reaktiven Stickstoff Überschuss zu haben, denn die anderen Nähr- umgewandelt wurden, sind viel zu gering im stoffe können den fehlenden nicht ersetzen. Es Vergleich zu den Mengen, die die Pflanzen hat insoweit keinen Sinn, die unterschiedlichen brauchen. Stickstoff war also lange Zeit tat- Nährstoffe in beliebigen Mengen zu düngen. sächlich im Minimum, es war der Nährstoff, der Wenn man effizient düngen möchte, müssen am häufigsten die Erträge auf dem Acker be- die Nährstoffe dem Boden in einem ausgewo- grenzte. Die einzige Möglichkeit, ihn dem Bo- genen Verhältnis zugeführt werden. den in nennenswerten Mengen zuzuführen, 31
Maria Krautzberger am Rednerpult während ihres Vortrags. (Foto: JLU/Rolf K. Wegst) war entweder über die biologische Stickstofffi- der Grundstein für die Intensivierung der Land- xierung oder indem der reaktive Stickstoff im wirtschaft gelegt. Durch Verwendung von Kreislauf gehalten wurde. Zum Beispiel indem Düngemitteln und den Einsatz der ebenfalls man Gülle und Mist aus den Ställen wieder zu- aufkommenden synthetischen Pflanzen- rück auf den Boden brachte und die Pflanzen schutzmittel sowie durch Verwendung neue- den darin enthaltenen Stickstoff wieder auf- rer ertragsreicher Sorten konnte deutlich mehr nehmen konnten. Die Kreislaufwirtschaft, ins- auf jedem Acker geerntet werden. Die Betriebe besondere die Verbindung von Tierhaltung und begannen sich zu spezialisieren: da die Kunst- Ackerbau, aber auch der stetige Mangel an re- dünger Gülle und Mist ersetzen konnten, aktivem Stickstoff und somit begrenzte Erträge mussten Pflanzenbau und Tierhaltung nicht waren über Jahrtausende prägende Merkmale mehr zwangsläufig gekoppelt werden. Dies der Landwirtschaft. sparte Kosten, machte den Erwerb von Spezial- Dies galt so lange, bis Anfang des 20. Jahrhun- wissen möglich und die Betriebe konnten die derts die Chemiker Fritz Haber und Carl Bosch Stärken ihres jeweiligen Standortes besser aus- das Haber-Bosch-Verfahren entwickelten. Von spielen. nun an war es möglich, den Stickstoff der At- Der Stickstoffdünger trug also maßgeblich da- mosphäre in großen Mengen in reaktiven Stick- zu bei, dass in der Landwirtschaft immer mehr stoff umzuwandeln. Dieser Prozess stellte einen und immer günstiger produziert werden konn- Quantensprung in der landwirtschaftlichen te. So haben sich die Weizenerträge pro Hektar Entwicklung dar. Das, was bisher im Mangel in den letzten hundert Jahren vervierfacht. Zu- gewesen war, gab es nun säckeweise zu kau- gleich wurden die Kosten für unsere Nahrungs- fen. Zusammen mit anderen mineralischen mittel immer geringer. Wurde vor hundert Jah- Düngerkomponenten wie Phosphor und Kali- ren noch rund die Hälfte der Nettoeinkommen um machte dieser neue Mineraldünger auch für Nahrungsmittel ausgegeben, sind es heute Gülle und Mist verzichtbar. Somit war nicht nur nur noch 10 % unserer Konsumausgaben. 32
7000 200 Weltbe völkerung 180 NOx-Emis sione n (Tg N) 6000 Mineraldü ngereins atz (Tg N) 160 gesamter anthropogener Nr (Tg N) Weltbevölkerung (Millionen) 5000 Stickstofffreisetzung (Terragramm) 140 Biologische N Fixierun g in der Lan dwirts chaft (Tg N) 120 4000 100 3000 80 60 2000 40 1000 20 0 0 1900 1920 1940 1960 1980 2000 Quelle: Galloway et al., 2003 Abb. 1: Stickstoffversorgung seit 1900 Mit steigenden Erträgen war es möglich, nicht durch die dunkelgrüne Kurve – stieg folglich mehr primär Nahrungsmittel zum mensch- ebenfalls exponentiell. lichen Verzehr anzubauen. Der Anbau von Fut- Ähnlich sah die Entwicklung der Weltbevölke- termitteln konnte ausgeweitet werden – heute rung aus (hellgrüne Kurve) – diese zwei Ent- werden rund 60 % der deutschen Ackerflä- wicklungen sind sicherlich miteinander in Ver- chen und 1/3 der globalen Ackerflächen dafür bindung zu bringen: Die Ausweitung des Stick- verwendet. Durch die sinkenden Preise wurde stoffeinsatzes vereinfachte das Wachstum der auch Fleisch deutlich billiger – heute kann man Weltbevölkerung, so wie das Wachstum der sich die berühmten Sonntagsbraten jeden Tag Weltbevölkerung den Bedarf an immer mehr leisten. reaktivem Stickstoff steigen ließ. Heute gehen Bis hierhin ist also alles gut und Sie könnten wir davon aus, dass in einer Welt ohne minera- sich fragen, warum sich das Umweltbundes- lische Stickstoffdünger die Erträge auf unseren amt damit beschäftigt. Um es auf den Punkt zu Äckern um etwa die Hälfte geringer ausfallen bringen: Wir haben es ziemlich übertrieben. würden. Die Abbildung 1 zeigt, wie sehr sich unsere Doch die Produktion von Stickstoffdünger ist Welt im Hinblick auf die Stickstoffversorgung energieintensiv und teuer – daher ist die Ver- seit 1900 verändert hat. Die gelbe Linie stellt sorgung mit Stickstoff ausgesprochen ungleich die biologische Stickstofffixierung in der Land- verteilt. wirtschaft dar. Sie stieg, aber nur linear. Anders Die Abbildung 2 zeigt, wie ungleich die Land- ist es bei der hellblauen Linie, die den Stick- wirtschaft global betrachtet mit Stickstoff ver- stoffmineraldüngereinsatz darstellt. Sie steigt sorgt ist. In den orangefarbenen Regionen limi- seit den 1960er Jahren exponentiell. Der ge- tiert die mangelnde Stickstoffversorgung auch samte anthropogene reaktive Stickstoff, also heute noch unsere Ernten – wie in Deutschland der durch Menschen verursachte und von allen um 1900. Dagegen sind die grünen Regionen Lebewesen verwertbare Stickstoff – dargestellt mit Stickstoff überversorgt – das heißt, hier 33
wird mehr gedüngt als von den Pflanzen aufge- Landwirtschaft – hier die Einzelwerte und der nommen wird. gleitende 5-jährige Mittelwert von 1990 bis Und dieser überschüssige Stickstoff ist heu- 2017 (Abbildung 4). Der Indikator wird berech- te eines der größten Umweltprobleme, das net durch das Julius-Kühne-Institut – in Abstim- die Landwirtschaft zu verantworten hat. mung mit Ihrer Universität. Der Überschuss be- Der Stickstoff, der zu viel ausgebracht wird, hat ziffert in Kilogramm Stickstoff pro Hektar land- viele Gesichter, die meisten schaden uns und wirtschaftlicher Nutzfläche – das gesamte Ver- der Umwelt. Zwar bleibt ein Teil im Boden oder lustpotential der Landwirtschaft in Deutsch- geht als elementarer und damit unschädlicher land. Er hat einen rückläufigen Trend, der sich Stickstoff in die Luft. Doch rund 4 % tragen in jedoch in den vergangenen zehn Jahren abge- Form des Treibhausgases Lachgas zum Klima- schwächt hat. Wenn die Entwicklung so weiter- wandel bei, 3 % gehen als Ammoniak in die geht, wird auch das im Jahr 2016 neu festge- Luft und tragen zur gesundheitsschädlichen legte Ziel von 70 Kilogramm Stickstoff pro Hek- Feinstaubbildung bei oder sie reduzieren über tar verfehlt werden – genauso wie das erste Ziel eine Nährstoffanreicherung in unterschied- des Indikators von 80 Kilogramm Stickstoff pro lichen Ökosystemen die Artenvielfalt. Ähn- Hektar bis 2010. Wesentliche Ursachen für den liches gilt für die rund 50 % Stickstoff, die als Rückgang sind ein reduzierter Düngemittelein- Nitrat die Gewässer belasten. Und damit auch satz bei gleichzeitig steigenden Erträgen. Aber unsere wichtigste Trinkwasserquelle, das auch der Abbau der Tierbestände, vor allem in Grundwasser. Oder unsere Bäche, Seen und den neuen Bundesländern seit Anfang der Flüsse, und letztlich auch die Meere. 1990er Jahre. Womit auch schon die wesent- Die bekannte Abbildung 3 zeigt, in welchen lichen Treiber von hohen Stickstoffüberschüs- Bereichen die planetaren Grenzen durch sen genannt wären. menschliches Handeln bereits überschritten Wie ein Blick auf die Verteilung der Überschüs- sind. Neben dem Verlust an genetischer Diver- se in Deutschland zeigt (Abbildung 5), fallen sität, haben insbesondere die Stickstoffflüsse diese keinesfalls gleichmäßig an. Deutlich zu er- die Belastungsgrenzen der Erde schon weit kennen sind die Regionen im Nordwesten und überschritten und gefährden damit die Lebens- Südosten mit deutlich erhöhten Überschüssen. grundlagen der Menschheit. Dies sind Regionen mit teilweise sehr hohen Auch in Deutschland haben wir das Problem er- Viehbesatzdichten, in denen große Mengen an kannt und beschrieben. Zugleich wurden viel- Gülle und Gärresten anfallen, die den Bedarf fältige Umweltziele definiert, teilweise gesetz- der Pflanzen zum Teil deutlich übersteigen. Des- lich verbindlich, um zu einem nachhaltigen Um- halb müssen sie schon in angrenzende Regi- gang mit dem Stickstoff zurückzufinden. Die onen transportiert werden. Dadurch kommt es meisten dieser Ziele wurden zudem in die Nach- in der Folge auch dort zu einem Anstieg der haltigkeitsstrategie der Bundesregierung über- Überschüsse, da die Düngung mit organischen nommen, mit der die 2030-Agenda für nach- Düngemitteln wie Gülle immer auch mit Ver- haltige Entwicklung der UN in Deutschland um- lusten verbunden ist. Dies ist auch der Grund, gesetzt werden soll. Neben einem konkreten warum in reinen Ackerbauregionen wie in Mit- Ziel für die „gesamten landwirtschaftlichen teldeutschland die Stickstoffüberschüsse ver- Stickstoffüberschüsse“ werden hier auch Ziele gleichsweise moderat sind. Denn hier wird für die einzelnen reaktiven Stickstoffverbin- hauptsächlich mit mineralischen Düngemitteln dungen und für Stickstoffeinträge in aquatische gedüngt, die effizienter angewendet werden und terrestrische Ökosysteme festgelegt. Im können – und auch müssen –, da sie Geld ko- Folgenden möchte ich kurz auf ausgewählte In- sten. Dennoch sind organische Dünger wie Gül- dikatoren und Umweltziele eingehen. le und Gärreste wertvolle und wichtige Dünge- Als übergreifender Indikator für die landwirt- mittel, da durch sie die Nährstoffkreisläufe wie- schaftlichen Stickstoffverluste dient der Über- der geschlossen werden können und sie sich schuss aus der Gesamtbilanz der deutschen positiv auf die Bodenfruchtbarkeit auswirken. 35
80 Quelle: Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) 2019; Berechnet durch JKI und Uni Gießen Abb. 4: Stickstoffüberschuss der Landwirtschaft in Deutschland Stickstoff Flächenbilanzüberschuss (Ø 2014 – 2016) Quelle: Häußermann, Bach, Klement, Breuer (2019) Quelle: UBA (2017) Umweltschutz in der Landwirtschaft Abb. 5: Regionale Verteilung der Stickstoffüberschüsse 36
Und durch eine bedarfsgerechte und emissions- bestimmte Luftschadstoffe das Ziel gesetzt, die arme Ausbringung lassen sich die Verluste in die Emissionen bis 2030 um 29 % gegenüber Umwelt auf ein Mindestmaß reduzieren. 2005 zu reduzieren. Dies setzt jedoch weitrei- Einer der wichtigsten umweltrelevanten Stick- chende technische und organisatorische An- stoffverluste ist die Auswaschung von Nitrat in passungen voraus. Durch die bisher ergriffenen das Grundwasser. Bei stark belastetem Trink- Maßnahmen ist noch keine Wirkung zu erken- wasser kann es zu negativen Auswirkungen auf nen. Auch wenn einige der noch frischen Maß- die Gesundheit kommen, und da Grundwasser nahmen sich in den Werten noch nicht abbil- die Hauptressource für unser Trinkwasser ist, den, so ist doch klar, dass weiterhin großer gilt der Schwellenwert von 50 Milligramm Handlungsbedarf besteht. Nitrat pro Liter für Trinkwasser wie auch für Dies gilt auch bei einer anderen reaktiven Stick- Grundwasser. stoffverbindung, die wie das Ammoniak zum Der Anteil der Grundwassermessstellen in weitaus größten Teil aus der Landwirtschaft Deutschland, an denen der Schwellenwert kommt: dem Lachgas oder N2O, das gasförmig überschritten wird, ist auf Abbildung 6 zu se- aus landwirtschaftlich genutzten Böden ent- hen. Als Ziel gilt, bis 2030 diesen Schwellenwert weicht und ausgesprochen klimaschädlich ist. an allen Messstellen einzuhalten. Seit 2008 Auf einen Wirkzeitraum von 100 Jahren be- wird der Wert jedoch jedes Jahr an nahezu jeder trachtet ist ein Molekül Lachgas etwa 265-mal fünften Messstelle überschritten. Eine signifi- klimaschädlicher als Kohlenstoffdioxid. Es trägt kante Entwicklung ist trotz zahlreicher Maß- weltweit zu rund 6 % der Treibhausgasemissi- nahmen zur Reduzierung der Nitrateinträge onen bei. In Deutschland stammen mittlerweile nicht zu erkennen. Dies liegt vor allem daran, 80 % des Lachgases aus der Landwirtschaft dass unsere Gesetzgebung dafür nicht ausrei- (Abbildung 8). Die Emissionen aus der Industrie chend Sorge getragen hat. Modellrechnungen sind mittlerweile stark zurück gegangen, wäh- zeigen, dass knapp 90 % der Nitratauswa- rend die landwirtschaftlichen Emissionen nahe- schung aus Landwirtschaftsflächen stammt, zu konstant geblieben sind. Die Lachgasemissi- weshalb hier der größte Handlungsbedarf be- onen machen über 40 % der Treibhausgase- steht. Neben den Verlusten von Nitrat in das missionen der Landwirtschaft aus. Dies ist von Grundwasser landen die Stickstoffüberschüsse großer Relevanz für den Klimaschutz und da- auch zu einem großen Teil in der Atmosphäre, her hat sich die Bundesregierung im Klima- in Form von Ammoniak in die Atmosphäre. schutzplan 2050 das Ziel gesetzt, die Treib- Die reaktive Stickstoffverbindung Ammoniak hausgasemissionen der Landwirtschaft bis entweicht als Gas in die Atmosphäre und hat – 2030 um mehr als 30 % gegenüber 2005 zu abhängig von der Konzentration – eine direkte senken. Wenn wir dies erreichen wollen, muss toxische Wirkung auf Blattorgane. Ammoniak insbesondere bei den Stickstoffüberschüssen ist auch indirekt umweltschädlich durch Nähr- angesetzt werden. Sie sind wesentliche Treiber stoffanreicherung in Ökosystemen und Versau- für die Lachgasemissionen. erung. Und es trägt zur Feinstaubbildung bei. Ein Sondergutachten des Sachverständigenrats Wie der Abbildung 7 zu entnehmen ist, stam- für Umweltfragen aus dem Jahr 1985 mit dem men 95 % der Ammoniakemissionen in Titel „Umweltprobleme der Landwirtschaft“ Deutschland aus der Landwirtschaft – ungefähr hat die Situation und die geschilderten Pro- 60 % davon sind direkt an die Tierhaltung ge- bleme schon vor mehr als 30 Jahren beschrie- koppelt. Dies sind Emissionen aus dem Stall und ben. Dieses Gutachten ist leider immer noch aus der Lagerung und Ausbringung von Gülle sehr aktuell. und Gärresten. An einem Wissensdefizit kann es also nicht lie- Die Bundesregierung hat sich sowohl in der gen. Nachhaltigkeitsstrategie als auch rechtlich bin- Wir haben 2015 eine Bilanz zu dem Gutachten dend im Rahmen der „Europäischen Richtlinie von 1985 erstellen lassen (Abbildung 9). Wir zu nationalen Emissionshöchstmengen“ für wollten wissen: Wie stellt sich die Situation 37
Abb. 6: Nitrat im Grundwasser Ammoniak-Emissionen in Deutschland Schwerpunkt landwirtschaftliche Emissionen und Zielerreichung Abb. 7: Ammoniakemissionen in Deutschland 38
heute dar und was ist seit 1985 geschehen, um handele, um die Ziele der Nitratrichtlinie zu er- die Probleme zu beseitigen? Die Bilanz ist sehr reichen. Nachdem die Bundesregierung hierauf ernüchternd. Insgesamt haben die Belastungen unzureichend reagierte, verklagte die EU-Kom- durch die Landwirtschaft nicht abgenommen. mission Deutschland 2016 vor dem Europä- Und dies, obwohl die Politik durchaus eine Rei- ischen Gerichtshof. Erst auf diesen massiven he von Empfehlungen umgesetzt hat. Warum Druck von außen, und weil absehbar war, dass also ist das Problem nicht gelöst? die Klage Erfolg haben würde, reagierte Nun: Die landwirtschaftliche Entwicklung ist seit Deutschland und verschärfte 2017 seine Dün- 1985 nicht stehen geblieben. Die Intensivierung geverordnung. Doch auch dies geschah wiede- und Spezialisierung landwirtschaftlicher Be- rum sehr vorsichtig und zögerlich. So war be- triebe hat kontinuierlich zugenommen. Am Bei- reits 2017 absehbar, dass die neue Düngege- spiel der Fleischproduktion kann man das sehr setzgebung ebenfalls nicht den Anforderungen gut veranschaulichen. Deutschland war lange gerecht werden würde. 2018 gab der Europä- Zeit Nettoimporteur von Fleisch. Wir haben ische Gerichtshof der Europäischen Kommission mehr Fleisch verbraucht, als wir selber in Recht: Deutschland wurde wegen Verstoßes ge- Deutschland herstellen konnten. Die Nachfrage gen die Nitratrichtlinie verurteilt. Anhand der nach Fleisch blieb weitestgehend stabil, wäh- Urteilsbegründung konnte jeder, der wollte, rend die Produktion weiter anstieg. So sind wir nachvollziehen, dass auch die Düngeverord- seit 2007 Nettoexporteur von Fleisch. Heute nung von 2017 den Anforderungen nicht genü- liegt unser Selbstversorgungsgrad bei 115 %. gen kann. So steht Deutschland heute in einem Diese Entwicklung, die für die Umwelt hochpro- wirklichen Dilemma. Zwei Jahre, nachdem die blematisch ist, wurde durch die Agrarumwelt- Düngegesetzgebung auf externen Druck hin politik eher gefördert. Steuernd entgegenge- angepasst wurde, und sich die Landwirtschaft wirkt wurde ihr nicht. Erst jetzt findet sehr lang- darauf ausgerichtet hat, muss die Verordnung sam ein Umdenken statt. Viele haben erkannt, abermals überarbeitet und verschärft werden. dass diese Entwicklung so nicht weitergehen Sie soll im kommenden Jahr in Kraft treten. So kann. Aber dieses Beispiel steht dafür, dass un- sehr ich eine Verschärfung unserer Düngege- sere Agrarumweltpolitik mit den landwirtschaft- setzgebung für nötig erachte, so sehr kann ich lichen Trends nicht Schritt gehalten hat. Der Ver- auch die Landwirte verstehen, die sich über die- lust der Kulturartenvielfalt oder der Pflanzen- ses planlose Vorgehen der Politik beklagen. Kla- schutzmitteleinsatz sind weitere Beispiele dafür. re und verlässliche Vorgaben, seien sie auch Die Agrarumweltpolitik reagierte oft zögerlich streng, helfen den Landwirten wahrscheinlich und abwartend, sie war auch nicht in der Lage, mehr als dieser politische Zickzack. wichtige Entwicklungen vorwegzunehmen. Sie Meine Kritik geht aber noch weiter: das deut- hat vor allem auch keine erkennbar langfristige sche Stickstoffproblem hat letztlich agrarstruk- und nachhaltige Strategie für die Landwirt- turelle Ursachen. Bei der gegenwärtigen Art schaft entwickelt. und Weise, und auch der Menge der landwirt- Ich möchte dies an einem Beispiel deutlich ma- schaftlichen Produktion in Deutschland wird es chen: Seit Jahrzehnten wissen wir, dass wir ein unmöglich sein, das vielschichtige Stickstoffpro- Problem mit Nitrat im Grundwasser haben. Seit blem aufzulösen. Niedrigschwellige und tech- 1991 gibt es die Nitratrichtlinie der EU. Sie hat nische Anpassungen werden nichts ausrichten. zum Ziel, die Verunreinigung der Gewässer mit Der Zufluss von Stickstoff in das System, insbe- Nitrat – vor allem verursacht durch die landwirt- sondere durch die Mineraldüngerproduktion schaftliche Düngung – zu verringern. Diese und die Futtermittelimporte, sowie die unglei- Richtlinie wurde 1996, also mit fünfjähriger Ver- che Verteilung der Tierbestände in Deutschland spätung, in Deutschland umgesetzt – die deut- sind die wesentlichen Erschwernisse, den Stick- sche Düngeverordnung war geboren. 2013 stoffkreislauf stärker zu schließen. mahnte die EU-Kommission, dass Deutschland Wir brauchen dringend eine Debatte darüber, aus ihrer Sicht immer noch nicht ausreichend wie wir die gewachsenen Agrarstrukturen so 39
Lachgas-Emissionen in Deutschland* 300 250 N2O Emission [kt/a] 200 150 100 50 0 1990 1995 2000 2005 2010 2015 Landwirtschaft Energie Industrie Abfall und Abwasser * Emissionen ohne Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft Quelle: Umweltbundesamt, Nationale Trendtabellen für die deutsche Berichterstattung atmosphärischer Emissionen, Emissionsentwicklung 1990 bis 2017 (Endstand 02/2019) Abb. 8: Lachgasemissionen in Deutschland Abb. 9: SRU-Sondergutachten: Das Problem ist lange bekannt. 40
verändern, dass der Tierbestand in Deutsch- falsch und ungerecht, den Großteil der Geld- land auf ein nachhaltiges Maß reduziert und er an die Betriebe zu verteilen, die die meiste die Stickstoffkreisläufe auf regionaler Ebene Fläche bewirtschaften. geschlossen werden können. Dies kann nicht Ich komme am Schluss noch zu uns, den Kon- kurzfristig erfolgen, sondern wir benötigen sumenten. Wir waren die Nutznießer der bis- eine Strategie. Diese muss langfristig und vo- herigen Entwicklung, weil wir Nahrungsmittel rausschauend sein, und sie muss darlegen, zu extrem günstigen Preisen kaufen und un- wie wir unsere landwirtschaftliche Praxis seren Hunger zu vermeintlich geringen Ko- strukturell verbessern können: für die Land- sten stillen konnten. Heute wissen wir sehr wirtschaft selbst und für die Umwelt. Statt- gut, dass diese Kosten nur auf den ersten dessen wird aber heute eher kurzfristig de- Blick niedrig sind – Umwelt und das Tierwohl battiert und gehandelt; mit der Überarbei- zahlen einen hohen Preis. Jede landwirt- tung und Verschärfung der Düngeverord- schaftliche Produktion kann letzten Endes nur nung über eine untergesetzliche Regelung so nachhaltig sein, wie es der Konsum auf der wird Agrarstrukturpolitik durch die Hintertür Nachfrageseite zulässt. Indem wir die Ökoef- gemacht. Das stößt zu Recht auf Kritik. fizienz steigern, also die Umweltwirkungen Es muss im Diskurs mit der Agrarseite und pro produziertem Kilogramm Weizen oder Umweltseite gelingen, eine Vision zu entwi- pro Ei reduzieren, erhöhen wir zwar den Frei- ckeln, wie der Teufelskreis vom „immer mehr heitsgrad auf Nachfrageseite, doch den zu immer geringeren Preisen“ durchbrochen grundsätzlichen Zusammenhang können wir werden kann. Wir brauchen so dringend eine nicht auflösen. Indem wir landwirtschaftliche Produktion, die nicht nur • den Konsum tierischer Nahrungsmittel re- maximiert, sondern ökologisch optimiert. Di- duzieren, es würde langfristig Planungssicherheit ge- • weniger Nahrungsmittel wegwerfen und ben und es ermöglichen, für die Betriebe • bereit sind, für umweltfreundlich hergestell- neue Perspektiven zu entwickeln. te Produkte wie zum Beispiel Bioprodukte Letztlich ist die Landwirtschaft heute die lo- auch einen höheren Preis zu zahlen gische Folge eines jahrzehntelangen Anpas- können wir unseren Beitrag leisten für eine sungsprozesses an politische, ökonomische nachhaltige Landwirtschaft. Und das trägt und gesellschaftliche Rahmenbedingungen. letztlich zur Schließung des Stickstoffkreis- Dieser Prozess muss neu aufgestellt werden. laufes bei. Dies kann nicht alleine über das Ordnungs- Ich habe am Anfang von Justus Liebig gespro- recht erfolgen. Vor allem geht es darum, dass chen. Sein Ziel war es, die Landwirtschaft zu die Gelder, die wir im Rahmen der Agrarsub- verändern. Sie besser zu machen. Auch heute ventionen verteilen, anders eingesetzt wer- wird in Gießen noch daran gearbeitet. Gera- den. Diese Finanzmittel machen immerhin de weil ich vor allem über Stickstoff gespro- rund die Hälfte der durchschnittlichen Be- chen habe, möchte ich nicht unerwähnt las- triebseinkommen aus und haben eine große sen, dass viele der gezeigten Daten und Kar- steuernde Wirkung. Die Einkommen in der ten auf die Arbeiten der Professur für Land- Landwirtschaft werden zu rund 50 % aus schafts-, Wasser- und Stoffhaushalt zurück- Steuergeldern finanziert. Das ist nicht per se gehen. Die Mitarbeitenden beraten das UBA verkehrt, sondern kann sogar wirtschaftlich seit Jahrzehnten, ihr Know-how ist sehr ge- und gesellschaftlich richtig sein. Doch wenn schätzt. Ihre Arbeit ist gesellschaftlich hochre- das so ist, dann müssen diese Mittel so einge- levant. setzt werden, dass diejenigen Betriebe am stärksten gefördert werden, die am meisten Daher danke ich Ihnen sehr herzlich für ihr für die Umwelt und das Tierwohl leisten. Es ist Engagement in diesem Bereich. 41
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