Strategiepapier der GEWI-Zukunftskommission an der Universität Graz Ideen, Ziele & Maßnahmen (Mai 2021)
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Strategiepapier der GEWI-Zukunftskommission an der Universität Graz Ideen, Ziele & Maßnahmen (Mai 2021) Dem Rektor der Universität Graz, Herrn Ao.Univ.-Prof. Dr. Martin Polaschek, und der Fakultätslei- tung der Geisteswissenschaftlichen Fakultät vorgelegt am 2.6.2021 Übermittelt an alle wissenschaftlichen MitarbeiterInnen und Studierenden der Geisteswissen- schaftlichen Fakultät am 2.6.2021
Strategiepapier der GEWI-Zukunftskommission: Ideen, Ziele & Maßnahmen (Mai 2021) Mitglieder der Zukunftskommission GEWI (von Dezember 2020 bis Mai 2021): Prof. Boban Arsenijevic Institut für Slawistik Prof. Nassim Balestrini Institut für Amerikanistik Prof. Stefan Baumgarten Institut für Theoretische und Angewandte Translationswissenschaft Prof. Christiane Berth Institut für Geschichte Prof. Sabine Flach Institut für Kunstgeschichte Prof. Ursula Gärtner Institut für Antike Prof. Klaus Kastberger Franz-Nabl-Institut für Literaturforschung/Lite- raturhaus Graz Prof. Susanne Kogler Institut für Musikwissenschaft Prof. Ulla Kriebernegg Zentrum für Interdisziplinäre Alterns- und Care- Forschung Prof. Ineke Mennen Institut für Anglistik Vorsitzende, 12/20 – 2/21 Prof. Sarah Mercer Institut für Anglistik Prof. Sonja Rinofner-Kreidl Institut für Philosophie Prof. Steffen Schneider Institut für Romanistik Vorsitzender, 2/21 – 5/21
Strategiepapier der GEWI-Zukunftskommission: Ideen, Ziele & Maßnahmen (Mai 2021) Inhaltsverzeichnis I Einleitung .......................................................................................................................................................... 4 Zur Bedeutung der Geisteswissenschaften ..................................................................................................... 4 Profilierung der Geisteswissenschaften an der Universität Graz .................................................................... 4 Interdisziplinär ausgerichtete Schwerpunkte .................................................................................................. 6 II Schwerpunkte ................................................................................................................................................ 7 1 Dinge und Medien: Materialität, Medialität, Analog/Digital ........................................................................ 7 1.1 Einleitung ................................................................................................................................................ 7 1.2 Beschreibung .......................................................................................................................................... 7 1.3 Vorschläge zu Widmungen bzw. Strukturen ........................................................................................ 12 2 Transformationen: Menschen, Tiere, NaturKultur ...................................................................................... 13 2.1 Einleitung .............................................................................................................................................. 13 2.2 Beschreibung ........................................................................................................................................ 13 2.3 Einbettung in die Forschungsstrategie der Universität Graz .............................................................. 15 2.4 Attraktivität für Studierende ................................................................................................................. 16 2.5 Vorschläge für Widmungen/Empfehlungen zur Umsetzung .............................................................. 16 3. Kommunikation, Kognition, Sprachen und Lernen (KKSL) ....................................................................... 17 3.1 Einleitung .............................................................................................................................................. 17 3.2 Attraktiv für Studierende ...................................................................................................................... 17 3.3 Gesellschaftliche Relevanz - Sichtbarkeit erhöhen ............................................................................ 18 3.4 Internationale Konkurrenzfähigkeit ..................................................................................................... 18 3.5 Unverwechselbares Profil ..................................................................................................................... 19 3.6 Mögliche Strukturen ............................................................................................................................. 19 4. Wissens- & Werte-Kulturen (WWK)............................................................................................................. 20 4.1 Leitgedanken und Ziele ........................................................................................................................ 20 4.2 Beschreibung ........................................................................................................................................ 20 4.3 Motivation, Bedarf und Nutzen ............................................................................................................ 22 4.4 Erwartete Effekte .................................................................................................................................. 23 4.5 Empfehlungen zur Umsetzung und zur Fakultätsentwicklung ........................................................... 24 4.6 Beispiele bestehender Forschungsgebiete, mit denen Überschneidungen vorliegen bzw. sich Anschlussmöglichkeiten anbieten .............................................................................................................. 24 4.7 Anschlussmöglichkeiten an Fakultätseinreichungen (Frühjahr 2021) ............................................. 25 4.8 Interfakultäre und interuniversitäre Kooperationsmöglichkeiten ...................................................... 25 4.9 Synergie mit den anderen Schwerpunkten (s.o. 1.-3.) ....................................................................... 25 III Strukturelle Maßnahmen und weiterführende Empfehlungen ................................................ 27 1. Maßnahmen ................................................................................................................................................ 27 1.1 Struktur ................................................................................................................................................. 27 1.2 Forschung .............................................................................................................................................. 27 1.3 Studium ................................................................................................................................................. 27 1.4 Science to Public .................................................................................................................................. 28 2. Weiterführende Empfehlungen für den Strategieprozess innerhalb der Fakultät .................................. 28
Strategiepapier der GEWI-Zukunftskommission: Ideen, Ziele & Maßnahmen (Mai 2021) I Einleitung Zur Bedeutung der Geisteswissenschaften Weltweit sehen sich die gegenwärtigen Gesellschaften mit einer stetig wachsenden Komplexität konfrontiert. Diese spiegelt sich in den kommunikativen, wirtschaftlichen und politischen Lebens- verhältnissen, in welchen sich Lokales und Globales in spannungsvoller Weise durchdringt. Kom- plexität prägt nicht nur die kulturellen Lebenswelten im 21. Jahrhundert. Sie findet sich ebenso in den Beziehungsgeflechten zwischen ‚abstrakteren‘ Entitäten wie soziokulturellen Systemen, Wis- sensformen, Wahrnehmungs- und Denkmustern. Was für die Wirtschaft richtig ist, muss nicht un- bedingt für den Bereich der Geisteskultur oder für moralische Werte gelten, und was wir tun kön- nen, ist nicht immer das, was wir auch tun wollen oder sollen. Doch wer ist für die wichtigen Fragen der Vermittlung und Verhandlung differenter Standpunkte, für Kommunikation, Kritik und Bildung zuständig? In wessen Kompetenz liegt die Vermittlung von Wissen über Kulturen und Sprachen und, damit untrennbar verbunden, die Herausbildung professioneller Reflexion? Es sind gerade auch die Geisteswissenschaften, die über ein Wissen verfügen, ohne das die gegenwärtigen Ge- sellschaften in den Strudel bloßer Meinungsmache gezogen werden, wie wir dies derzeit auf Social Media und andernorts erleben. Ohne die Geisteswissenschaften laufen unseren Gesellschaften Gefahr, die Fähigkeit zu verlieren, sich gegenüber den faktischen Entwicklungen kritisch-reflektie- rend zu verhalten. Geisteswissenschaften generieren neues Wissen. Sie sind darüber hinaus da- rauf spezialisiert, Wissen zu hinterfragen, zu vermitteln und zu vernetzen. Da ihre Kernkompeten- zen in Kommunikation, symbolischem Handeln, Reflexion und Kritik bestehen, ist es ihre Aufgabe, Verbindungen zu schaffen. Die Verbindung von Gesellschaft und Wissenschaft, Gesellschaft und Wirtschaft, Gesellschaft und Politik, Gesellschaft und Kunst kann nur mit Hilfe eines soliden Wis- sens um das Funktionieren von Kommunikation und Kultur gelingen. Teil dieser Vermittlungs- und Transferfunktion ist selbstverständlich auch die Ausbildung zukünftiger Lehrerinnen und Lehrer, mit der die Geisteswissenschaften einen wesentlichen gesellschaftlichen Auftrag erfüllen. Was in einer Debatte über die Rolle der Geisteswissenschaften – im Verbund und in Kooperation mit den anderen Fakultäten – auf dem Spiel steht, sind nicht bloß bestimmte Bildungsinhalte und -interessen, sondern Fähigkeiten von allgemein-kultureller Bedeutung, welche maßgebend für die Zukunft unserer Gesellschaft sind. Dies betrifft etwa die Fähigkeit, Informationen nach Relevanz, Sachgehalt, Aussagekraft und Begründungsstatus zu gewichten. Es betrifft ebenso die Fähigkeit, sich in verschiedenen Gegenstandsbereichen und Professionen selbständig Inhalte aneignen und das Handlungspotential des angeeigneten Wissens beurteilen zu können sowie ein Sensorium für die Folgenabschätzung des individuellen und kollektiven Handelns zu entwickeln. Indem diese Fer- tigkeiten des Denkens und Urteilens in ein breites Spektrum professioneller Tätigkeiten einfließen, sind die Geisteswissenschaften ein unverzichtbarer Faktor mit Bezug auf die Entwicklung und kri- tische Selbstbeobachtung gegenwärtiger Gesellschaften. Zugleich bewahren, interpretieren und tradieren sie das kulturelle Erbe in vielfältiger Form (z. B. Sprachenvielfalt, Philologien, Archäologie, Geschichtswissenschaft, Kunst- und Musikwissenschaften, philosophische Begriffs-, Theorie- und Wissenschaftsgeschichte). Profilierung der Geisteswissenschaften an der Universität Graz Die Mitglieder der Zukunftskommission möchten mit dem vorliegenden Entwurf zu einer Strategie- bildung der GEWI-Fakultät einen langfristigen Prozess anstoßen, der die Profilstärkung und Neu- profilierung der geisteswissenschaftlichen Fakultät in den nächsten Jahren interdisziplinär und kol- laborativ vorantreibt. Diese Intention geht über den aktuellen pragmatischen Anlass – die Erstel- lung des Entwicklungsplans – sowie über aktuelle Institutsbedürfnisse hinaus und ist von einer Vision geleitet, die sowohl inhaltliche als auch strukturelle Überlegungen umfasst. Neben strategi- scher Bündelung, Sichtbarmachung und Weiterentwicklung der bestehenden Forschung auf 31.05.2021 [4 / 28]
Strategiepapier der GEWI-Zukunftskommission: Ideen, Ziele & Maßnahmen (Mai 2021) interdisziplinärer Basis soll mit strukturbildenden Maßnahmen eine nachhaltige Umsetzung und langfristige Implementierung der Profilierungsstrategie ermöglicht werden. Die Grazer GEWI-Fakultät zeigt eine beeindruckend vielfältige Forschungslandschaft, welche in vier Wissenschaftszweigen intensiv und international erfolgreich bearbeitet wird. Nachhaltige Reform- und Entwicklungsideen können daher allein aus dem institutionellen Selbstbewusstsein und der Selbstbestimmung der Fakultät erwachsen. Die Grazer Zukunftskommission ist der Auffassung, dass eine Schwächung der geisteswissenschaftlichen Forschung – budgetär, strukturell (stellenbe- zogen) und in ihrer Reputation – auf lange Sicht einen nicht wieder gut zu machenden Schaden am kreativen und innovativen Potential unserer Gesellschaft bedeuten würde. Die Zukunftskommis- sion bekennt sich nachdrücklich zu der Aufforderung, Ideen, Strategien und Visionen für die Grazer Geisteswissenschaften zu entwickeln. Dabei ist die Überzeugung leitend, dass ohne die kritische Kraft der Geisteswissenschaften eine konstruktive Bearbeitung der aktuellen politischen, ökologi- schen, ökonomischen und humanitären Probleme und damit eine zukunftsträchtige Entwicklung der menschlichen Gesellschaften nicht zu bewältigen sein wird. Das vorliegende Konzept versteht sich als ein Vorschlag, wie man Geisteswissenschaften in Zu- kunft betreiben sollte, um innovative Strukturen aufzubauen und bestehende zu ergänzen mit der Zielsetzung, vorhandenes Forschungspotential besser zu nützen, um neue Forschungsfelder zu er- schließen. Auch sollen die Forschungsergebnisse einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht und zu diesem Zweck neue Diskursformate entwickelt werden. Dass die zugrunde liegenden Über- legungen in den Instituten und Zentren unserer Fakultät („bottom up“) verankert sind, verdeutli- chen nicht zuletzt die in hoher Zahl eingegangenen Einreichungen (Vorschläge, Ideensammlungen) von (Gruppen von) Fakultätsmitgliedern, welche der Zukunftskommission im Frühjahr 2021 vorge- legt wurden. Die hohe Anzahl der Einsendungen bezeugt das lebhafte Interesse und die vielfältigen Ideen der Fakultätsmitglieder und macht Mut im Hinblick auf die vor uns liegenden Herausforde- rungen der Stärkung unserer Fakultät und der Steigerung ihrer internationalen Sichtbarkeit. Exemplarisch sei auf das Whitepaper verwiesen, welches grundlegende Überlegungen anstellt, die sich mit dem vorliegenden Vorschlag sowohl in der generellen Stoßrichtung als auch mit Bezug auf Detailvorschläge vielfach überschneiden. (Vgl. Whitepaper: The Value of Humanities, Projektteam ›Advancing the Value of Humanities – in Academia, Society and Industry‹, Johanna Rolshoven et al.) Das Whitepaper wie ebenso andere aus der Fakultät eingegangene Beiträge – z. B. jene, die sich mit kulturgeschichtlichen und gesellschaftskritischen Schwerpunkt-Ideen befassen – sollten in den folgenden Diskussionsprozess (ab Juni 2021) unbedingt Eingang finden. Die geisteswissenschaftliche Forschung an der Universität Graz profiliert sich bereits in einer Viel- zahl unterschiedlicher Forschungsfelder durch die Teilnahme an aktuellen Theoriedebatten, gesell- schaftlichen Diskursen sowie durch die historische Einordnung gegenwärtiger Entwicklungen und die Untersuchung des Etablierten aus innovativem Blickwinkel. Diese doppelte Ausrichtung einer gegenwartsbezogenen Forschung in Richtung Zukunft und Vergangenheit geht mit einem klaren Bekenntnis zu wissenschaftlicher Methodik und Reflexion einher. Mit den im Folgenden vorgeschla- genen Themenschwerpunkten soll diese Positionierung im Spannungsfeld von Geschichte und Ge- genwart, Theorie, Praxis und Kritik gestärkt und nachhaltig sichtbar gemacht werden. Die GEWI- Fakultät soll auch in Zukunft ein Ort bleiben, an dem die Freiheit der Wissenschaften praktiziert wird. Neben den Schwerpunkten leistet die Individualforschung einen wichtigen Beitrag zur Innen- und Außenwahrnehmung. Die Schwerpunkte sollen jedoch die Voraussetzung dafür schaffen, dass die Stärken der Geisteswissenschaften in Graz sich durch vermehrte Zusammenarbeit weiter ent- falten können. Ziel ist eine lebendige und konkret gelebte Interdisziplinarität, die durch die Beteili- gung zahlreicher Forschender und durch unterstützende Strukturen langfristigen Bestand hat. 31.05.2021 [5 / 28]
Strategiepapier der GEWI-Zukunftskommission: Ideen, Ziele & Maßnahmen (Mai 2021) Interdisziplinär ausgerichtete Schwerpunkte Im Zentrum des Vorschlags stehen vier Schwerpunkte, die sich durch Aktualität, profilbildende und integrative Kraft auszeichnen. Sie sollen gemeinsam mit Leben erfüllt, gestaltet und dynamisch weiterentwickelt werden. Die Schwerpunkte basieren einerseits auf an der Fakultät vorhandenen Forschungsverbünden und etablierten Schwerpunkten, andererseits setzen sie durch das Aufgrei- fen aktueller gesellschaftspolitischer und in den Fachwissenschaften diskutierter Themen neue Akzente. Der interdisziplinäre Themencluster Dinge und Medien beispielsweise widmet sich Fragen von Medialität und Materialität nicht nur in den Philologien und Kunstwissenschaften, sondern auch in Geschichts- und Kulturwissenschaften sowie der Didaktik. Der Themenbereich Transforma- tionen setzt sich mit der Zukunft der Menschheit im Zusammenspiel mit anderen Arten und mit der Technik auseinander und verbindet verschiedene theoretische Ansätze wie die Environmental Hu- manities, die Human-Animal-Studies oder Verkörperungstheorien. Mit Kommunikation, Kognition, Sprachen und Lernen wird der Bedeutung der Sprachen und Sprachwissenschaften, der transkul- turellen Kommunikation sowie des Lernens und der Wissensvermittlung in der Fakultät Rechnung getragen. Der Schwerpunkt Wissens- und Wertekulturen mit dem Humanities Lab fungiert als Klam- mer, die die anderen drei Schwerpunkte in ihrer kritischen selbstreflexiven Ausrichtung miteinan- der verbindet, indem alle geisteswissenschaftlichen Disziplinen betreffende grundlegende Frage- stellungen verhandelt und Methoden und Theorien interdisziplinär diskutiert und weiterentwickelt werden. Mittel- bis langfristig ist eine Ergänzung durch weitere Schwerpunkte denkbar. Da die vier vorliegenden Schwerpunkte inhaltlich und strategisch verschiedenen Zuschnitts und überdies work in progress sind, deren vollständige Ausführung und Implementierung nur im Zuge eines längeren Restrukturierungsprozesses erfolgen kann, wurde die Darstellung der Schwerpunkte nicht formal vereinheitlicht. Das vorliegende Papier findet einhellige Zustimmung in der Zukunftskommission, in deren Diskussionen sich die vier Schwerpunkte als spannende und aussichtsreiche Profilierun- gen herauskristallisiert haben. Die Ausarbeitung der Schwerpunkte folgte auftragsgemäß vier zentralen Anforderungsdimensio- nen: Steigerung der internationalen Sichtbarkeit, Gesellschaftsrelevanz, Attraktivität für Studie- rende und profilbildendes Potential. Berücksichtigt werden sollten darüber hinaus die Wandlungs- fähigkeit der Schwerpunkte, die Anschlussfähigkeit an die bestehenden Profilbildenden Bereiche, Forschungsnetzwerke und Doktoratskollegs sowie das fakultäts-, universitäts- und institutionsüber- greifende Potential. Intendiert ist, Forschungsgemeinschaften zu etablieren und gemeinsam Pro- jekte zu realisieren, welche in dieser Größenordnung für einzelne Institute nicht möglich wären. Die enge Vernetzung der Schwerpunkte untereinander, die inner- und interuniversitäre Kooperation sowie die Kooperation mit außeruniversitären Einrichtungen stellen die Methodenpluralität und den kritischen Gesellschaftsbezug ins Zentrum. Die Schwerpunkte verstehen sich zudem als ein Ideenreservoire und als interdisziplinäre Profile, aus denen verschiedene Widmungen von Professuren nahegelegt, motiviert, begründet und herge- leitet werden können. Dabei müssen jedoch auch Bedarf und Leistungsanforderungen in Hinblick auf die gesamte Fakultät Berücksichtigung finden. Die inhaltliche Ausgestaltung der Schwerpunkte, die im Folgenden vorgestellt wird, soll von flankie- renden strukturellen Maßnahmen begleitet werden, welche eine nachhaltige strategische Weiter- entwicklung erst ermöglichen. Sie werden im Anschluss ausgeführt. Darin sind auch zunächst vier Vorschläge für konkrete Widmungen von Professuren enthalten. Diese sind aus den vorgeschlage- nen Schwerpunkten heraus entwickelt. Die Institute sollen sich aktiv einbringen, um darzulegen, ob und wie die von ihnen vertretenen Forschungsgebiete zu den vorgeschlagenen thematischen Schwerpunkten beitragen könnten. Für die Umsetzung der Profilierungsstrategie ist auch die Mit- einbeziehung der weiteren Gestaltung von (zukünftigen) Studien und der Lehre von grundlegender Bedeutung. Hier konnte die Kommission nur einzelne Vorschläge machen. Aufgrund der langfristi- gen Prozesse in diesem Bereich ist diesbezüglich der weitere Diskussions- und Entscheidungspro- zess an der Universität wesentlich. 31.05.2021 [6 / 28]
Strategiepapier der GEWI-Zukunftskommission: Ideen, Ziele & Maßnahmen (Mai 2021) II Schwerpunkte 1 Dinge und Medien: Materialität, Medialität, Analog/Digital 1.1 Einleitung Der Titel dieses Themenbereiches verdankt sich einer pionierhaften Forschungsleistung der Uni- versität Graz. Fritz Heider, der letzte Doktorand des Philosophen Alexius Meinong, hat im Jahr 1926 einen Aufsatz mit dem Titel Ding und Medium (Fritz Heider: Ding und Medium. Mit einem Vorwort von Dirk Baeker. Berlin: Kadmos 2005.) veröffentlicht. Diese kleine Schrift blieb lange unentdeckt, gilt aber heute als einer der Kerntexte einer systemorientierten Auffassung medialer Zusammen- hänge. Die besondere Leistung von Fritz Heider besteht darin, das Zusammenspiel von Materialität und Medialität noch vor dem Aufkommen der modernen Massenmedien beschrieben zu haben: Dinge waren und sind ohne Medien nicht wahrnehmbar und Medien ohne Dinge nicht funktionabel. Vor dem Hintergrund dieses erweiterten Medienbegriffs und seiner Implikationen spannt sich der Themenbereich auf. 1.2 Beschreibung 1.2.1 Begriffsbestimmungen Der Begriff Materialität bezieht sich auf Seinsformen in der realen Welt sowie auf Kontexte, in de- nen sie entstehen und wahrgenommen werden. Die Bezugnahme auf die Kontexte als vielschich- tige Bedeutungsträger gibt dem Begriff somit eine Stoßrichtung, die das Gegensatzpaar materi- ell/immateriell dadurch ersetzt, dass die gegenseitige Durchdringung von physischen und nicht- physischen – d.h. kognitiv konstruierten und dadurch kulturell eingebetteten – Elementen betont. Medialität meint hier nicht moderne Massenmedien bzw. moderne Kommunikationstechnologie, sondern bezeichnet das Wissen darum, dass Inhalte und Bedeutungen nicht direkt zugänglich sind. Kommunikation beruht vielmehr darauf, dass Vermittlungsformen ausgewählt und gezielt einge- setzt werden. Diese Formen sprechen unterschiedliche Sinne an (Wort/Schrift, Visualität, Klang, Bewegung und dergleichen mehr). Die Begriffe Analog/Digital werden mit dem Schrägstrich ge- trennt/verbunden, da es als Teil des Verständnisses von Medialität wichtig ist, diese scheinbare Dichotomie in ihren Erscheinungsformen, in ihrer Aussagekraft als künstlerisches und kommuni- katives Element und in ihren kulturell verankerten Wahrnehmungspraxen zu ergründen. Im Gegen- satz zur Auflösung unterschiedlicher Medialitäten und Materialitäten in der angeblichen Konver- genz aller analogen Formen im Digitalen untersucht die interdisziplinäre Forschung zu analogen und digitalen Phänomenen gerade die konkurrierenden Konzeptualisierungen von Ausdrucksfor- men, ihren ästhetischen Varianten, translationalen Transformationen und soziopolitischen Impli- kationen. 1.2.2 Motivation, Bedarf und Nutzen Durch die Entwicklung von Theorien und Methoden zum tiefgreifenden und detaillierten Verstehen der allumfassenden Kommunikation, die auf interlingualen, intralingualen und intersemiotischen Translationsformen beruht, leistet geisteswissenschaftliche Forschung die notwendigen Vorausset- zungen für systematische, historisch fundierte, gegenwartsbezogene und zukunftsorientierte kriti- sche Analysen. In unterschiedlichen Fachwissenschaften werden Erkenntnisse über die in be- stimmten ästhetischen Formen, medialen Vermittlungsstrukturen und materiellen Kontexten ver- ankerten Steuerungsmechanismen der Wahrnehmung und den immer wieder neu auszuhandeln- den Bedeutungskonstitutionen gewonnen. Besonders offensichtlich wird der Beitrag der verschiedenen Fachwissenschaften und Wissen- schaftszweige zu dieser gesellschaftlich relevanten geisteswissenschaftlichen Forschung, wenn man sich vor Augen führt, dass sie zahlreiche Bereiche des bewussten Umgangs mit unterschiedli- chen Vermittlungs- und Translationsformen sowie deren Kontexten berührt. Hierzu gehören neben der Fähigkeit, die Semiotik und Struktur künstlerischer Werke zu entschlüsseln, die eben solche Ansätze erfordernde Analyse der Präsentationsformen und Inhalte, die in den Massenmedien, in der Geschichtsschreibung und in anderen (zunehmend multilingualen) Kommunikationskontexten 31.05.2021 [7 / 28]
Strategiepapier der GEWI-Zukunftskommission: Ideen, Ziele & Maßnahmen (Mai 2021) vorliegen. Gleichzeitig spielt wissenschaftlich fundiertes Forschen über Medialitäten und Materia- litäten eine zentrale Rolle sowohl in der Fachdidaktik als auch in der Beschäftigung mit Interkultu- ralität und mit Intergenerationalität – um nur einige zu nennen. Interdisziplinär vielversprechend ist hier im Besonderen die ebenso differenzierte Auseinandersetzung mit der Erfahrbarkeit und dem Erleben von Vermittlungsstrukturen, die in manchen Fachwissenschaften eher mit theoreti- schen, in anderen mit empirischen Mitteln erfolgt. Der Mehrwert fächerübergreifender Kooperation liegt darin, dass einerseits die Theorie- und Methodenentwicklung der einzelnen Fächer aus ihren Forschungsgegenständen/-materialien erwächst und dass andererseits in der Folge eine fundierte Auseinandersetzung mit zielführenden interdisziplinären Methoden möglich ist. Alle vier Wissenschaftszweige können sich an diesem Forschungsbereich beteiligen. Die lange Tra- dition der Auseinandersetzung mit Medialität macht die Teilnahme der „Sprachen und Literaturen“ sowie der Translationswissenschaft naheliegend. Zudem entstand die Intermedialitätstheorie aus der Literaturwissenschaft und wird an unserer Universität prominent vertreten am Centre for Inter- mediality Studies in Graz (CIMIG) und durch Individualforschung von Kolleginnen und Kollegen an den Instituten für Amerikanistik, für Anglistik, für Germanistik, für Romanistik, für Slawistik, am Zentrum für Antike, am Franz-Nabl-Institut für Literaturforschung und am Zentrum für Kulturwis- senschaften. In diesem Rahmen wird auch an zukunftsorientierter Theorie- und Methodenbildung zu analogen und digitalen Vermittlungsformen gearbeitet. Die „Kunstwissenschaften“ sind ebenso zentral für die Erforschung von Fragen zur Analog/Digital-Differenz in der visuellen und bildenden Kunst sowie in der Musik und darüber hinaus für die Untersuchung ästhetischer Erfahrung und intermedialer Verbindungen zur Literatur. Die graduelle Aufweichung der Analog/Digital-Dichotomie lässt sich zudem hervorragend aus transkultureller Perspektive beforschen, beispielsweise mit Blick auf neue mehrsprachige Kommunikationsformen, den zunehmend digitalisierten literari- schen Kulturaustausch oder die sich rapide verbessernden, auf neuronalen Netzwerken basieren- den Maschinenübersetzungen. Der Wissenschaftszweig „Philosophie“ ließe sich einflechten z.B. über die Bereiche der Wahrnehmungs- und Erkenntnistheorien sowie über die Auseinandersetzung mit Begrifflichkeiten. Die „Geschichte“ wäre u.a. vertreten über die bereits interdisziplinären For- schungen zu Künsten und Materialitäten in der Antike, das Centrum für Jüdische Studien, die kul- turanthropologische und ethnologische Auseinandersetzung mit Orten, in denen intermediale Phä- nomene rezipiert werden, und die Untersuchung intermedialer Repräsentationen aus Sicht der vi- suellen Kulturen und – im weiteren Sinne – der „sensory history“. Schließlich sind die „Fachdidak- tiken“ eingebunden z.B. durch die Forschung zur Aneignung von Medienkompetenz für angehende Lehrkräfte und zur fachdidaktischen Verwendung unterschiedlicher Medien. Besondere Akzente wurden an der GEWI-Fakultät in den letzten Jahren im Bereich der Digital Hu- manities gesetzt. Mit dem Zentrum für Informationsmodellierung (ZIM) verfügt die Fakultät über ein ausgesprochen drittmittelstarkes Institut, das mit zahlreichen anderen Einrichtungen der geis- teswissenschaftlichen Forschung in- und außerhalb der Grazer GEWI kooperiert und über die Platt- form GAMS einer Vielzahl von Projekten aus unterschiedlichen Fachwissenschaften die nötige Inf- rastruktur zur Verfügung stellt. Pionierhaft sind die Forschungsleistungen des Instituts, die Etablie- rung eines fakultätsweiten Basismoduls „Digitale Geisteswissenschaft“ sowie die Besetzung der ersten österreichischen Professur für Digital Humanities u.a. auch im Rahmen von Kooperationen mit der Universität Wien und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Nicht allein die Digitalisierung und ihre Möglichkeiten, sondern vor allem auch die Reflexion auf die digitalen Ver- änderungen und ein kritischer Blick auf den Raum zwischen analog und digital sind Themen, die am ZIM verhandelt werden. Auch am Zentrum für Interdisziplinäre Alterns- und Care-Forschung (CIRAC) entsteht derzeit ein Schwerpunkt im Bereich der „Gerontechnology“ und „Aging in Data“. Von hier aus ergeben sich zahlreiche Kooperationsmöglichkeiten und Gesprächsebenen mit dem gegenständlichen Themenbereich. Diese knappe Skizze zeigt, dass der Schwerpunkt zur Profilbildung im Sinne des Entwicklungsplans beitragen wird; bereits vorhandene Forschungsansätze und -ausrichtungen werden aufgegriffen und durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit im gesamten Fächerspektrum der GEWI erweitert und gestärkt. Das Thema ruft zum einen Fragestellungen auf, die auch für eine breite Öffentlichkeit von unmittelbarer Bedeutung sind, zum anderen hebt sich die Ausrichtung von anderen vergleich- baren geisteswissenschaftlichen Schwerpunkten ab, sodass ein Alleinstellungsmerkmal gegeben ist. 31.05.2021 [8 / 28]
Strategiepapier der GEWI-Zukunftskommission: Ideen, Ziele & Maßnahmen (Mai 2021) Zahlreiche Grazer Einzelforschungen aus dem Bereich sind bereits international anerkannt. Durch die Stärkung und Vernetzung – auch innerhalb der existierenden internationalen Netzwerke (z.B. ARQUS, ELAN, Erasmus, Fulbright) – trägt der neue Schwerpunkt zur besseren internationalen Sichtbarkeit bei. In einem Zeitalter der Informationsüberflutung in unterschiedlichsten Formen stellt das Hinterfra- gen und Verstehen der allgegenwärtigen Kommunikation ein Forschungsfeld dar, das im neuen Schwerpunkt durch seine Interdisziplinarität und seinen Methodenreichtum besondere Attraktivität für Studierende bieten wird. In gleicher Weise belegt ein solcher Schwerpunkt die Gesellschaftsrelevanz der Geisteswissen- schaften, da mit der Reflexion über alle Formen und Implikationen der Vermittlung zum einen zent- rale Themen der gesellschaftlichen Diskurse aufgegriffen und verhandelt werden, zum anderen die relevanten Methoden- und Theoriedebatten selbst in die Öffentlichkeit ‚vermittelt‘ werden, um z.B. einen informierten Umgang mit medialen Formen und Wirkungsmechanismen zu fördern. 1.2.3 Themenfelder Im Folgenden werden mögliche Themenfelder vorgestellt, und zwar zum Einstieg zunächst abstrakt und tabellarisch; die hier angeführten Bereiche sind ausbaubar und ergänzbar. Es schließen sich dann konkrete Beispiele aus verschiedensten Fachbereichen an. 1.2.3.1 Themenfelder (abstrakt) BEREICH 1: MATERIALITÄT UND MEDIALITÄT • Definitionen von Medialität und Materialität • Theorien und Methoden zu Materialität und Medialität • Ineinandergreifen intrinsischer und extrinsischer Elemente (z.B. wo/wie/von und für wen wird Kunst/Literatur/Musik produziert und konsumiert) • Diachrone und synchrone Erforschung von Kontexten, in denen Medialität und Materialität definiert und als solche wahrgenommen werden • Diskussionen über Post-Medialität (z.B. Auseinandersetzung mit Konvergenztheorien, mit Mediengrenzen, mit Medienspezifizität als Teil der Wahrnehmung und der Bedeutungskon- stitution) • Medialität als technischer Kanal, als semiotisch-ästhetisches Mittel künstlerischen Aus- drucks und als kulturgeschichtlich definiertes Phänomen • Mobilität und Medialität als Nexus kultureller und sozialer Formationen BEREICH 2: FORMEN UND WAHRNEHMUNGEN DES ANALOGEN UND DES DIGITALEN • Medialität und Materialität im Wandel der Zeit • Differenzierung der technischen, semiotischen und kulturellen Vorstellungen des Analogen und des Digitalen • Dialog mit nicht-geisteswissenschaftlicher Forschung zu kognitiven Prozessen (Wahrneh- mung, Affekt) • analog/digital als ästhetischer Effekt (unabhängig von der Technologie, mit der man auf das Werk zugreift; Untersuchung derselben als Konventionen, die die Wahrnehmung und Interpretation beeinflussen) • Reflexion über die gesellschaftlichen Konsequenzen von Digitalisierung • Akzeptanz und Wahrnehmung sprachlicher und kultureller Vermittlungs- und Transforma- tionsformen im Zeitalter der Digitalität • Zusammenhang von Translation, medialer (Re)produktion und digitalen Technologien • Mediatisierung und Digitalisierung transkultureller Kommunikation • (Digitale) Verhandelbarkeit kultureller, semiotischer und sprachlicher Grenzüberschreitun- gen in (post)nationalen Kontexten • Einfluss der Formate sozialer Medien auf die Neuentwicklung und Veränderung von Genres bzw. Aufnahme dezidiert prä-digitaler Genre-Elemente in digitale Kontexte 31.05.2021 [9 / 28]
Strategiepapier der GEWI-Zukunftskommission: Ideen, Ziele & Maßnahmen (Mai 2021) BEREICH 3: INTER- UND TRANSMEDIALITÄT • Funktionen von Grenzen zwischen künstlerischen Medien/medialen Formen und Verfahren sowie Verständnis von Medienspezifizität • Grenzüberschreitungen, deren ästhetischen Funktionen, deren Wahrnehmung usw. (im Ggs. zu Konvergenzideen, die Grenzen negieren) • Ästhetische Vermittlung und Wahrnehmung/Erleben konstitutiver Elemente der Künste an- hand unterschiedlicher Formen von Medialität und Materialität • Transmedial vergleichende Erforschung der Elemente künstlerischen Ausdrucks und der Kommunikation (z.B. Narrativität, Subjektivität) 1.2.3.2 Themenfelder (Konkrete Beispiele) Diese müssen sich nicht einem bestimmten Themenbereich oder Unterpunkt zuordnen lassen, son- dern können auch querliegend und überschneidend sein. Sie sind hier bewusst in unterschiedli- chem Maße konkret, und die Reihenfolge ist keine Rangfolge. 1. ANALOG/DIGITAL-DIFFERENZ IM LICHTE KÜNSTLERISCHER UND MEDIALER PRAXIS Sowohl in den Künsten und Medien als auch in der heutigen Lebenswelt sind digitale und analoge Formen bzw. Formen, die als analog und/oder digital wahrgenommen werden, allgegenwärtig. Diese Ubiquität evoziert die Frage, wie die Zuordnung zum Analogen oder Digitalen unsere intellek- tuelle und emotionale Verarbeitung des Wahrgenommenen sowie unsere Lesart desselben beein- flusst. Gegenstände der Forschung sind z.B. mediale Grenzen und deren Überschreitung, Multime- dialität, die Entwicklung hybrider Formen, Genres und Stile in unterschiedlichen Epochen. Digitali- tät soll somit nicht einfach als progressiv-zeitgenössisch oder als ein einer strikt linearen Chrono- logie unterworfenes Phänomen untersucht werden. Ziel ist vielmehr, das Begriffspaar analog/digi- tal durch interdisziplinäre Forschung auszudifferenzieren und eine Präzisierung des Umgangs mit den beiden Begriffen innerhalb spezifischer Zusammenhänge, wissenschaftlicher Blickwinkel und künstlerischer Praktiken zu erreichen. Der heuristische Ausgangspunkt ist hierbei die insbeson- dere innerhalb der Literaturwissenschaft, den Visuellen Kulturen und den Medienwissenschaften etablierte Intermedialitätstheorie. Diese Forschung eignet sich zur Science-to-Public-Kommunika- tion darüber, wie eine Binarität von Begriffen wie analog und digital durch komplexere Lesarten künstlerischer und medialer Praxis ersetzt werden muss, will man einem oberflächlichen Umgang mit Medien und Künsten wirksam entgegentreten, einen informierten Umgang mit medialen For- men und Wirkungsmechanismen fördern und damit die Relevanz eines solchen Verständnisses für die komplexen Gesellschaften des 21. Jahrhunderts unterstreichen. 2. MATERIALITÄTEN UND MEDIALITÄTEN IN DER LITERATUR (HANDSCHRIFT, BUCH, ARCHIV) Materialität und Medialität zeigen spezifische Zusammenhänge, auf deren Basis eine Beschrei- bung langer historischer Entwicklungen, aber auch synchroner Zustände möglich ist. In Medien- wechseln (Oralität-Handschrift-Buch) zeichnen sich beispielsweise ganze Geschichten von Litera- turen nach. Nicht allein die bisherigen Ergebnisse der Schreibprozessforschung zeigen, dass ein Wechselspiel zwischen Materialität und Medialität auch die künstlerische Produktion dominiert. Das betrifft auch das gegenwärtige Schreiben, dem eine ganze Klaviatur medialer Materialität zur Hand ist: Von der handschriftlichen Notiz und der bildhaften Skizze über Manuskripte und Typo- skripte bis hin zum Fahnenabzug und dessen Korrekturen. Während die literarische Produktion nach wie vor auf das klassische Medium Buch hin diffundiert, hat das rein Digitale längst in den Schreibprozess Eingang gefunden. Weitere Forschungsfelder des Gegenstandsbereiches bildet eine Untersuchung von analog-digitaler Synchronität in den Bereich von Edition und Rezeption. Auch das (literarische) Archiv könnte in diesem Zusammenhang als ein Medium gesehen werden, in dem sich das Analoge und das Digitale kreuzen. Eine solche Art von Schreibforschung bietet Möglichkeiten der Interdisziplinarität für alle Philologien sowie die Kulturwissenschaften der Fakul- tät und möglicherweise auch Anknüpfungspunkte für nichttextuelle Künste. 31.05.2021 [10 / 28]
Strategiepapier der GEWI-Zukunftskommission: Ideen, Ziele & Maßnahmen (Mai 2021) 3. NARRATIVITÄT ALS TRANSMEDIALES PHÄNOMEN Während die Intermedialität sich mit Grenzüberschreitungen zwischen medialen Formen (z.B. Wort, Bild, Klang) befasst, untersucht die Transmedialität in unterschiedlichen Medien und Künsten vor- liegende Phänomene (z.B. Perspektive, Charakterisierung, Handlung), die jedoch medien- und gen- respezifisch unterschiedlich ausgeprägt und anderen Gegebenheiten unterworfen sind. Transme- diale Fragestellungen über Narrativität ermöglichen interdisziplinäre Forschung, die die ursprüng- lich literaturwissenschaftliche Narratologie mit dem Phänomen des Erzählens z.B. im Film, in den visuellen Künsten, in den sozialen Medien, in der Geschichtsschreibung und in anderen Kontexten fördert. Die Anschlussmöglichkeiten für diese Forschung über die GEWI-Fakultät hinaus sind viel- fältig und eröffnen weitere Möglichkeiten der Sichtbarmachung sowie der Interdisziplinarität geis- teswissenschaftlicher Forschung. Zu klärende Grundfragen sind: Wie wird Narrativität in verschie- denen Disziplinen definiert? Wie kann das Erzählen als die Disziplinen verbindendes Moment nutz- bar gemacht werden? Welche Begriffsverwendungen liegen vor? Welche Vorstellungen von ästhe- tischen Elementen kommen zum Tragen bei denjenigen, die Narrativität schaffen, zugänglich ma- chen und rezipieren? Welche Erkenntnisinteressen liegen vor, und (wie) können diese sinnvoll in Dialog gesetzt werden? Wie wird das Narrative wahrgenommen, erlebt, verarbeitet und interpre- tiert? Die transmediale Theoriebildung verdeutlicht, dass kulturgeschichtliche und gegenwartskul- turelle Dimensionen deutlicher als bisher ins Gewicht fallen müssen, um über die engen Grenzen westlicher narratologischer Typologien hinauszugehen. Kulturwissenschaftliche Ansätze und kul- turhistorische Fragen offerieren hier komplementäre Theorie- und Methodenmodelle. 4. FORMEN DER ERFAHRUNG IN UND MIT DEN KÜNSTEN Das multimediale Zusammenspiel der Künste hat im Laufe der Geschichte immer wieder neue Formen und Erfahrungswelten hervorgebracht. Mit der Auflösung traditioneller Ordnungssysteme in der Kunst des 20. Jahrhunderts wurde die Frage nach dem künstlerischen Material für die Äs- thetik zentral. Ausgehend von der Erforschung und kritischen Reflexion von aktueller Kunst, ihrer Kreation und Perzeption, kann Wissen über die materiale bzw. mediale Bedingtheit unterschiedli- cher Erfahrungs- und Wahrnehmungsformen gewonnen und eine Geschichte der Erfahrung ge- schrieben werden. Das Spektrum der hierbei relevanten Phänomene reicht vom Gesamtkunstwerk in Geschichte und Gegenwart einschließlich Oper, Musiktheater und Film über neue Ordnungskon- zepte, elektronische und digitale Kunstformen, hybride Performances und avantgardistische Mate- rialerweiterung, wenn Sprache, körperlicher Ausdruck, Gestik, Visuelles und alles Akustische ein- schließlich der Stille als künstlerisches Material behandelt und „komponiert“ werden, bis hin zur Entgrenzung und Auflösung des Kunstbegriffs. Mögliche Fragestellungen betreffen u.a. Verhaltens- weisen im Umgang mit dem Material, dessen Geschichtlichkeit, die Subjektivität, Objektivität und Gesellschaftsrelevanz von Kunst, aktuelle Entmaterialisierungstendenzen sowie die Verschmel- zung von Realität und Imagination im digitalen Kontext. Im Spannungsfeld von Sinn und Sinnlich- keit, begrifflicher Reflexion und ästhetischer Wahrnehmung, von visuellen, auditiven und narrativen Ausdrucks- und Perzeptionsmustern generiert struktureller, formaler und material-medialer Wan- del neue Zeit- und Raumkonzepte, die mit veränderten Selbst- und Welterfahrungen korrespondie- ren. 5. INTER- UND TRANSMEDIALITÄT IN DER ANTIKE Dass die in diesem Schwerpunkt behandelten Fragen nicht nur Phänomene der Moderne betreffen, zeigen vielfältige, vor allem interdisziplinäre Forschungsprojekte aus den Bereichen der Archäolo- gie, Klassischen Philologie und Alten Geschichte. Dabei wird z.B. versucht, wichtige Einzelbilder und Bildprogramme oder ganze Bauten als bildsprachliche Monumente zu begreifen und die innere Verbindung mit literarischen Werken herauszuarbeiten. Größere Zusammenhänge werden betrach- tet, wenn es um das Zusammenspiel von Institutionen, Rezeptionsbedingungen und Künsten geht; hier lässt sich fragen, welcher gesellschaftliche Diskurs durch und über welche Medien entsteht oder wie in der Antike ausgeformte ‚Bilder‘ Europa prägen. Ein literaturwissenschaftliches Projekt lässt sich z.B. unter dem Titel ‚Ekphrastisches Erzählen‘ subsumieren. Dabei geht es um ein be- sonderes narratives Gestaltungselement, nämlich die Betonung des Visuellen. Der Begriff ‚Ekphrastisches Erzählen‘ ist als Arbeitsbegriff gemeint, der auch über Ekphraseis im engeren Sinne als Beschreibungen von Kunstwerken u.ä. hinausgeht; er soll die Passagen miteinschließen, in denen zwar nicht Ekphraseis im obigen Sinne vorliegen, wo jedoch der narrative Anteil hinter 31.05.2021 [11 / 28]
Strategiepapier der GEWI-Zukunftskommission: Ideen, Ziele & Maßnahmen (Mai 2021) einem bildhaften zurückzutreten scheint, d.h. wo das Visuelle in der Darstellung überwiegt. Es han- delt sich dabei insbesondere um Passagen, in denen die Intermedialität selbst reflektiert bzw. the- matisiert zu werden scheint, d.h. die Grenzüberschreitungen und ästhetischen Funktionen spiele- risch vorgeführt werden. 6. MEDIENKOMPETENZ („MEDIA LITERACY“) LERNEN UND LEHREN Forschung zur Aneignung von Medienkompetenz für angehende Lehrkräfte und zur fachdidakti- schen Verwendung unterschiedlicher Medien ist ein zentrales Anliegen der GEWI-Fakultät, ermög- licht jedoch auch Projekte und Lehre mit Fachdidaktiken anderer Fakultäten. Medienkompetenz soll hier gemeinsam mit kritischem Denken und digitalen Kompetenzen untersucht und entspre- chend gelehrt werden. Weiße Flecken in der Forschung gibt es beispielweise zu Fragen, wie solche transversalen Kompetenzen an angehende Lehrerinnen und Lehrer vermittelt werden und wie die- ser Personenkreis im nächsten Schritt dieselben Fertigkeiten im jeweiligen Kontext ihrer Fächer in der Schule lehren werden. Wie kann also Medienkompetenz nachhaltig und effizient in die Vermitt- lung von Fachwissen integriert werden? Wie lassen sich didaktische Modelle entwickeln, die diese Integration von Medienkompetenz und Fachwissen ermöglichen? Fakultätsintern und instituts- übergreifend bieten sich z.B. folgende Schwerpunkte an: Zusammenarbeit zwischen Literatur- und Mediendidaktik (besonders im Hinblick auf Forschung zu Literatur im öffentlichen Raum, zu Litera- tur und Gesellschaft) sowie zwischen Sprachdidaktik und Sprachwissenschaft (besonders im Hin- blick auf Mehrsprachigkeit, Erst- und Zweitsprachenerwerb und Psycholinguistik). 7. DIGITALE TRANSFORMATION UND INTERMEDIALITÄT IN GESCHICHTSWISSENSCHAFT UND GE- SCHICHTSVERMITTLUNG Digitale Transformationsprozesse bergen für Geschichtswissenschaft und Geschichtsvermittlung mehrere Herausforderungen: Erstens muss sich die historische Forschung mit der Digitalisierung von analogen Quellen, neuen, digitalen Quellen sowie den digital "wiedergeborenen" Quellen aus- einandersetzen, also jenen digitalen Quellen, die durch ihren Archivierungsprozess erneut verän- dert worden sind. Deshalb stehen HistorikerInnen vor der methodischen Herausforderung, neue Analysemethoden zu entwickeln und sich die dafür notwendigen technischen Kompetenzen anzu- eignen. Zweitens befasst sich die technik- und mediengeschichtliche Forschung mit historischen Kombinationen aus analogen und digitalen Elementen. Oft sind dabei keine eindeutigen analogen von digitalen Phasen abgrenzbar. Vielmehr gibt es eine Parallelexistenz und einen Austausch. Ein Beispiel wäre die Nutzung analoger Telefonleitungen durch die frühe Hackerszene, um Computer- spiele zu transferieren. Für die Mediengeschichte sind Intermedialitätstheorien wichtig, gab es doch oft eine Phase der spontanen Intermedialität, wenn neue Medien entstanden. Die digitale Transformation führte dazu, dass sich Geräte, Nutzungspraktiken, Märkte und Ästhetik einst sepa- rater Medien enger miteinander verwoben haben. Drittens findet Geschichtsvermittlung zuneh- mend in neuen, durch Intermedialität geprägten Formaten statt, wie etwa in digitalen Spielen oder YouTube-Kanälen. Auch historische Dokumentarfilme haben sich durch intermediale Elemente stark verändert. Dies hat Rückwirkungen auf die Erinnerungskultur und Geschichtsdebatten. Gleichzeitig werden im Schulunterricht viele neue Vermittlungsformate genutzt, so dass sich hier Anknüpfungspunkte zur geschichtsdidaktischen Forschung bieten. 1.3 Vorschläge zu Widmungen bzw. Strukturen Zur Umsetzung insgesamt s. III. • Professur mit der Widmung „Materialität und Medialität“ • Prae- und Postdoc-Stelle • Diese Stellen werden der oben genannten Professur zugeordnet und unterstützen diese. • Interdisziplinäres Doktoratsprogramm • MA-Studium • Vorbereitung eines Spezialforschungsbereichs (SFB Programm des FWF) 31.05.2021 [12 / 28]
Strategiepapier der GEWI-Zukunftskommission: Ideen, Ziele & Maßnahmen (Mai 2021) 2 Transformationen: Menschen, Tiere, NaturKultur 2.1 Einleitung Seit Jahrzehnten gibt es lebhafte Debatten, die um Klimawandel, Ökologie, Post- und Transhuma- nismus, Tierrechte oder das Anthropozän kreisen und die das Verhältnis der menschlichen Spezies zur Natur sowie zu anderen Arten betreffen. Trotz der gemeinsamen Frage nach der Beziehung von Mensch-Tier-Natur/Kultur berühren sich diese Debatten nicht immer, weil sie aus verschiedenen Diskurstraditionen stammen: die Ökologiebewegung hat andere Wurzeln als die philosophische Tierrechtsdiskussion, der aus Poststrukturalismus und Feminismus sich speisende Diskurs des Post- und Transhumanismus bewertet die Rolle des Menschen anders als die TheoretikerInnen des Anthropozäns, die die Spezies des homo sapiens kritisch in den Mittelpunkt stellen. Ohne die Dif- ferenzen glätten zu wollen, wird man konstatieren können, dass es eine gemeinsame Beunruhi- gung gibt: Es besteht kein Zweifel daran, dass das Handeln der Menschen den Fortbestand der Arten, darunter auch der menschlichen, gefährdet. Es muss dringend eine tiefgreifende Transfor- mation des Fühlens, Handelns und Denkens eingeleitet werden, die über ein Um-„Denken“ hinaus- geht. Aus diesem Grund ist es erforderlich, andere Dimensionen des Humanen als nur das Denken – der mit der gesamten Natur verbundene Körper, die mit den anderen Lebewesen geteilte Emp- findungsfähigkeit – zu betonen und über eine grundlegende Neukonzeption der mit anderen Lebe- wesen geteilten Welt nachzudenken. Eine solche Neukonzeption erfordert eine gemeinsame Anstrengung verschiedener Wissenschafts- kulturen, der Künste, aber auch der Gesamtgesellschaft. Die Geisteswissenschaftliche Fakultät bündelt in allen ihren Bereichen viele Kompetenzen, um durch die kritische Reflexion der Bezie- hungen zwischen Menschen und Tieren sowie des Verhältnisses von Natur und Kultur neue Werte zu setzen. 2.2 Beschreibung 2.2.1 Definitionen, Grenzüberschreitungen, Relationen und Interaktionen Aufgrund der ökologischen Konsequenzen menschlichen Handelns, die die Natur tiefgreifend ver- ändert haben, verändert sich auch die Beziehung von Natur zu Kultur. Der von ForscherInnen wie Donna Haraway, Philippe Descola oder Bruno Latour geprägte Begriff „NaturKultur“ verdeutlicht, dass Natur und Kultur eine in sich ausdifferenzierte, komplexe Wirklichkeit bilden, die auch durch technische Eingriffe, wie etwa (genetisch) verändertes Saatgut, transformiert wird. Daraus ergeben sich weitergehende Fragen nach den Relationen zwischen den verkörperten Lebensformen und ihrer Interaktion mit ihren Umwelten. Welche Formen des Zusammenlebens und Miteinander-Agie- rens zwischen verschiedenen Lebensformen soll es geben, könnte es geben, hat es gegeben? Wie können sie sich die gemeinsame Welt nutzbar machen? Welche Rolle können dabei ästhetische Praktiken und unterschiedliche Formen der Kommunikation spielen? Welche Ressourcen stellen uns bei der Beantwortung dieser Frage die Vergangenheit und verschiedene Kulturen zur Verfü- gung? Es geht dabei also um Fragen der Gerechtigkeit, der Verantwortung, der Partizipation sowie der Autonomie und Relationalität, aber auch um ein kritisches Bewusstsein für die Kontingenz und Problematik von Grenzziehungen. Vor diesem Hintergrund zeichnet sich ab, worin die geisteswis- senschaftliche Kompetenz besteht: Sie ist in der Lage, die bisherigen Definitionen und Grenzzie- hungen zu hinterfragen, zu kritisieren und gegebenenfalls Alternativen zu entwickeln. 2.2.2 Denk- und Handlungsräume als Laboratorien für (soziokulturelle) Innovation Wir schlagen vor, den Schwerpunkt anhand von „Denkräumen“ (Aby Warburg) zu strukturieren, die einen interdisziplinären Austausch ermöglichen und als 'kommunizierende Gefäße' wirken können. Diese Denk- und Handlungsräume eröffnen Möglichkeiten, transversale Fragen zu erörtern und disziplinenübergreifend Denkfiguren zu entwickeln. Transversale Fragen könnten etwa sein: Wel- che Darstellungen und Interpretationen des Verhältnisses von Mensch, Tier und Natur ergeben sich in einer interdisziplinären Zusammenschau? Wie werden diese Verhältnisse in den verschiedenen Künsten und allgemein in textbasierten Wissenschaften repräsentiert? Wie beeinflussen tech- nisch-medial vermittelte Darstellungen die Naturwahrnehmung? Welche Legitimationen und 31.05.2021 [13 / 28]
Strategiepapier der GEWI-Zukunftskommission: Ideen, Ziele & Maßnahmen (Mai 2021) dahinterliegenden Grenzziehungen zwischen Mensch, Tier, Natur, Kultur ergeben sich und werden durch diese Repräsentationen sichtbar? Welche Verflechtungen von Natur und Kultur, von Mensch, Tier und Technik manifestieren sich in Bildern und Klängen digital transformierter Lebensformen? Jeder dieser Denkräume ist für alle Interessierten offen und zugänglich. Die behandelten Probleme werden aus verschiedenen Blickwinkeln bearbeitet und diskutiert. Das ermöglicht sowohl interdis- ziplinären Austausch als auch gemeinsame Projekte und Veranstaltungen mit einer breiteren Öf- fentlichkeit. Diese Struktur erlaubt eine Zusammenarbeit von Wissenschaft und Praxis auf Augen- höhe. Zudem wünschen wir uns globalen Austausch in diesen Denkräumen. Als Denk- und Handlungsräume schlagen wir (mit ausdrücklichem Hinweis auf die Erweiterbarkeit!) folgende Beispiele vor: GENEALOGIEN Der Denkraum befasst sich mit der Entstehung und Entwicklung des anthropozentrischen Den- kens, den verschiedenen Erscheinungsformen von Menschen, Tieren und NaturKultur in den Küns- ten. Dabei nehmen wir lange Zeiträume und globale Prozesse in den Blick. Der Raum dient aber auch der Reflexion über Begriffsgeschichte(n) und die Genealogien neuer Forschungsansätze (Ecocriticism, Aging and Care Studies, Verkörperungsansätze). Er widmet sich der Vergangenheit, aber mit der Perspektive auf die Bedürfnisse der Gegenwart, bzw. untersucht die Gegenwart mit dem methodischen Verfahren des „Perlentauchens“, d.h. es werden „heiße Zonen“ untersucht, die die Gegenwart erklären helfen. Er soll Möglichkeiten eröffnen, um über alternative Blickwinkel in den Künsten, den Philologien, der Geschichte und der Philosophie nachzudenken. In Zusammen- arbeit mit dem Humanities Lab können aus den Diskussionen neue Konzepte entstehen. Der Denk- raum fragt aber auch, wie gesellschaftliche und künstlerische Utopien bzw. Dystopien zu Transfor- mationen des Denkens und Handelns beitragen können. RESSOURCEN Ein solcher Denk- und Handlungsraum reicht von Materialität über Wissen bis hin zu sozialer und transkultureller Kommunikation, ökologischen und ökonomischen Aspekten. Er beschäftigt sich mit Ressourcenkonflikten sowie deren Aushandlung auf globaler, regionaler und lokaler Ebene. Ex- pertInnen und ihr Wissen spielen in diesen Konflikten oft eine zentrale Rolle, die der Denkraum kritisch beleuchtet. GRENZÜBERSCHREITUNGEN Was einst durch den Menschen in klare Kategorien eingeteilt worden war, ist längst zu einem gro- ßen Konglomerat vernetzter Beziehungen zwischen Mensch, Tier, Natur und Technik geworden. Nicht immer findet die Interaktion direkt statt, vielfach steht ein technisches Objekt dazwischen. Oft ist die Technik inzwischen direkt eingeschrieben, wie etwa im Falle von (genetisch) verändertem Saatgut oder implantierten Chips zur Kennzeichnung von Tieren. Inzwischen gibt es ein reichhalti- ges Arsenal neuer Konzepte und Forschungsrichtungen, wie etwa der Human Animal Studies, die die scharfen Gegensätze aufbrechen und die menschliche Agency nur noch als eine unter vielen wahrnehmen. Methodisch bietet das Thema eine Chance, neue Konzepte an diesen verschwim- menden Grenzen zu entwickeln und zu testen. Dabei überschreiten wir auch die Grenzen der GEWI- Fakultät und diskutieren mit Sozial-, Umwelt- oder Naturwissenschaften. ÖKOLOGIEN DER SORGE / ECOLOGIES OF CARE Im Lichte der aktuell zu beobachtenden gesellschaftlichen Ohnmacht im Umgang mit den komple- xen ökologischen, sozialen und ökonomischen Herausforderungen wird deutlich, dass die anthro- pozentrische Wachstums- und Machbarkeitsideologie der Moderne an ihre Grenzen gestoßen ist. Dieser Denk- und Handlungsraum beschäftigt sich mit der Für/Sorge für den Planeten und seine BewohnerInnen sowie deren Zusammenleben in Zeiten umfassender Unsicherheit. Die mehrdeu- tige Lesart von „Ecologies“ thematisiert die vielfältigen Interaktionsformen von sozialen Beziehun- gen. Im Fokus steht daher auch die Interrelationalität und die sorgenden Beziehungen, die notwen- dig sind, um diese Ökologien aufrecht zu erhalten. Dieses umfassende Verständnis von Caring nimmt auch Bezug auf die Entwicklung einer nachhaltigen Gesellschaft und die intergenerationelle Verantwortung für die Umwelt. Der Denkraum bezieht sich damit auf Konzeptionen von „Care“ als Aktivität, die alles umfasst, was wir tun, um unsere Welt zu erhalten, fortbestehen zu lassen und 31.05.2021 [14 / 28]
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