Swiss Issues Regionen Der Kanton Genf Struktur und Perspektiven

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Swiss Issues Regionen Der Kanton Genf Struktur und Perspektiven
Economic Research

Swiss Issues Regionen
Der Kanton Genf
Struktur und Perspektiven
Juni 2011
Economic Research

Impressum
Herausgeber
Martin Neff, Head Credit Suisse Economic Research
Uetlibergstrasse 231, CH-8070 Zürich

Kontakt
regionen.economicresearch@credit-suisse.com
Telefon +41 (0)44 334 74 19

Autoren
Dr. Sara Carnazzi Weber
Viktor Holdener
Aline Jörg
Dr. Vivien Kappel
Philippe Kaufmann
Damian Künzi
Johann Sterren
Jonas Stoll

Titelbild
Ompi (Organisation Mondiale de la Propriété Intellectuelle), Genf
Foto: Imagepoint AG, © Casaluna

Redaktionsschluss
8. Juni 2011

Bestellungen
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ist nicht das Ergebnis einer/unserer Finanzanalyse. Daher finden die "Richtlinien zur
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sind diejenigen des Economic Research der Credit Suisse zum Zeitpunkt der Druck-
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                                                                                        Swiss Issues Regionen
Economic Research

Inhalt   Zusammenfassung                                                  4

         1     Regionaler Kontext                                         5

         2     Konjunktur                                                 8
         2.1   Regionale Konjunktur                                       9

         3     Standortqualität                                          13
         3.1   Standortqualität der Schweizer Kantone                    13
         3.2   Standortqualität im regionalen Vergleich                  14
         3.3   Frei verfügbares Einkommen als Parameter der
               finanziellen Wohnattraktivität                            16

         4     Bevölkerung und Einkommen                                 20
         4.1   Bevölkerungsentwicklung                                   20
         4.2   Altersstruktur und Kohortenwachstum                       22
         4.3   Migrationsbewegungen                                      23
         4.4   Einkommen                                                 24

         5     Branchenstruktur und Wertschöpfung                        27
         5.1   Branchenstruktur und -spezialisierung                     27
         5.2   Wandel der Wirtschaftsstruktur                            28
         5.3   Branchenbewertung                                         32
         5.4   Regionale Wettbewerbsfähigkeit im Struktur-
               wandel                                                    33
         5.5   Wachstumspotential der Wertschöpfung                      35

         6     Immobilienmarkt                                           38
         6.1   Wohnflächenmarkt                                          38
         6.2   Büroflächenmarkt                                          43

         7     Grenzübergreifender Arbeitsmarkt:
               Die Rolle der Grenzgänger                                 46
         7.1   Grenzgänger in der Schweiz                                46
         7.2   Die Situation in Genf                                     47

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Economic Research

Zusammenfassung

              Am südwestlichen Rand der Schweiz, eingebettet zwischen dem Genfersee und der Grenze zu
              Frankreich, liegt der Kanton Genf. Während er in Bezug auf seine Fläche zu den kleinsten Kan-
              tonen der Schweiz zählt, gehört er hinsichtlich seiner wirtschaftlichen Dynamik zu den ganz
              grossen hierzulande. Dank seiner hohen Standortattraktivität verzeichnet der Kanton Genf ein
              überdurchschnittliches Bevölkerungswachstum, das in der Vergangenheit wie auch heute noch
              massgeblich durch internationale Zuwanderung begünstigt wurde.

              Neben quantitativ messbaren Standortfaktoren wie der überdurchschnittlichen Verfügbarkeit von
              Hochqualifizierten oder der vergleichsweise hohen verkehrstechnischen Erreichbarkeit profitiert
              der Kanton Genf auch von weichen Faktoren. Die malerische Lage am Genfersee und die Nähe
              zur französischen Grenze tragen gleichermassen zur Attraktivität des Kantons bei wie die Stadt
              Genf, die neben ihrer Rolle als internationale Wirtschaftsmetropole auch mit zahlreichen kulturel-
              len Angeboten aufwartet.

              Seit unserer letzten Studie im Jahr 2008, die sich dem gesamten Metropolitanraum Genf-
              Montreux gewidmet hat, haben im Kanton Genf nennenswerte Entwicklungen stattgefunden.
              Diese sollen in der diesjährigen regionalökonomischen Analyse beleuchtet werden.

              Mit einem Wertschöpfungsbeitrag von 7.6% zum Schweizer Bruttoinlandprodukt generiert der
              Kanton Genf den vierthöchsten Beitrag unter den Kantonen. Der bereits überdurchschnittlich
              ausgeprägte Dienstleistungssektor wächst ungebremst weiter; im Sekundärsektor verlagert sich
              die Beschäftigung zunehmend von der traditionellen in die wertschöpfungsintensive Spitzenin-
              dustrie. Neben dem Vermögensverwaltungsgeschäft hat sich der Bankenplatz Genf in den letz-
              ten Jahren zunehmend auch in der Rohstofffinanzierung etabliert, was auf die Stellung Genfs
              als eine der zentralen Drehscheiben im weltweiten Rohstoffhandel zurückzuführen ist. Die zahl-
              reichen internationalen Organisationen haben der Rhonestadt bereits früh globalen Charakter
              verliehen und dem Kanton so zu einer Magnetwirkung und zur Ansiedlung weltweit tätiger Un-
              ternehmen und Personen aus dem nahen und fernen Ausland verholfen.

              Mit einem Pro-Kopf-Einkommen von rund 46'600 Franken für das Jahr 2007 liegt der Kanton
              Genf leicht unter dem Schweizer Durchschnitt (47'500 CHF), jedoch deutlich hinter den umlie-
              genden Regionen. Dank der überdurchschnittlich vertretenen jungen und einkommensstarken
              Altersklassen prognostizieren wir für den Kanton Genf ein leicht überdurchschnittliches Wachs-
              tum der kantonalen Haushaltseinkommen von rund 1.9% bis 2012.

              Ungeachtet seiner anhaltend überdurchschnittlich hohen Besteuerung konnte der Kanton Genf
              im Klassement der Standortqualität dank Steuersenkungen seit der vorjährigen Berechnung fünf
              Plätze gutmachen und ist so vom neunten auf den vierten Rang vorgerückt. Die hohe Steuerlast
              sowie die – aufgrund der zunehmenden Wohnraumknappheit – drastisch angestiegenen Immo-
              bilienpreise zählen zu den wichtigsten Treibern der interkantonalen Abwanderung, mit der sich
              der Kanton Genf zunehmend konfrontiert sieht.

              Als klassischer Grenzkanton wird Genf auch massgeblich von Entwicklungen im angrenzenden
              Ausland beeinflusst. Diesem Aspekt tragen wir in der diesjährigen Studie in separaten Textbo-
              xen sowie einem fokussierten Kapitel zu demographischen und arbeitsmarktspezifischen Aus-
              wirkungen eines grenzüberschreitenden Agglomerationsraums Rechnung.

                                                                                           Swiss Issues Regionen   4
Economic Research

1       Regionaler Kontext

                                             Fast vollständig von französischem Gebiet umgeben, bildet der Kanton Genf den südwestlichen
                                             Zipfel der Schweiz. Seine Grenze zu Frankreich und dessen Départements Ain und Haute-
                                             Savoie ist 103 km, diejenige zum Kanton Waadt hingegen nur 4.5 km lang. Mit einer Fläche
                                             von 282 km2 gehört Genf zu den kleinsten Kantonen in der Schweiz; mit beinahe einer halben
                                             Million Einwohnern zählt dieser Kanton jedoch nach Basel-Stadt zu den am dichtesten besiedel-
                                             ten Gebieten der Schweiz.

Ein Kanton mit nationaler                    Die Ausstrahlung von Genf geht weit über die kantonalen und nationalen Grenzen hinaus. Als
und internationaler Aus-                     Wohn- und Wirtschaftsstandort mit internationalem Ruf stellt Genf einen wichtigen Motor der
strahlungskraft                              Wachstumsdynamik am Genferseebogen dar, welche in den letzten Jahren diejenige anderer
                                             Metropolitanräume in der Schweiz überschritten hat. Die einzigartige Konzentration internationa-
                                             ler Organisationen und Nichtregierungsorganisationen bestimmt seit jeher das Selbstverständnis
                                             Genfs als internationale Metropole. Diese Internationalität als zentraler Standortfaktor entfaltet
                                             eine hohe Anziehungskraft auf multinationale Unternehmen und ausländische Arbeitskräfte,
                                             welche mittlerweile einen wichtigen Bestandteil der Genfer kosmopolitischen Gesellschaft bil-
                                             den. Die reizvolle Landschaft des Genfersees, die Nähe zu den Alpen und das milde Klima sor-
                                             gen darüber hinaus für eine hohe Lebensqualität.

 Abbildung 1
 Der Kanton Genf im regionalen Kontext

        Hauptverkehrsstrassen
        Agglomerationen
                                                                                                                     La Broye
        Zentren                                                                      Gros-de-Vaud
        Kanton Genf                                 La Vallée
        Arrondissement                                                                                                          Glâne/Veveyse
        Wirtschaftsregion Genf                                           VD                                                                             FR
                                                                                                      Lausanne
                                                                      Morges/Rolle                Ren en s La us a nne

                                                                                        Mor ges

                                                                                                                                  Vevey/Lavaux
        Saint -Claud e                                                                                                        Ve ve y
                                               Nyon
                                                                                                                                                 Mon tre ux

                                                               Nyon

                                                                                                                                                        Aigle
                                                                                                                                                        Aigle

                          Ge x                                                   Tho non- l e s- Ba ins
                                                 Ve rso ix

                                                                                                                                                Mon the y

                                    Meyrin

                          GE Genève           Genève                                                                                    VS
                                                                                                                                Monthey/St-Maurice

                                                    Ve yrier

                                                                                Bo nnev ille
                          Saint-Julien -e n-G ene vois                                                               0    5             10 km
                                                                                                                                                   Martigny

 Quelle: Credit Suisse Economic Research, Geostat, DDS

                                                                                                                                           Swiss Issues Regionen   5
Economic Research

Raum Franco-Valdo-          Im regionalen Kontext bildet Genf den Pol eines grenzüberschreitenden Raumes, der sicht deut-
Genevois: Eine grenzüber-   lich über die Kantonsgrenzen hinaus erstreckt, im Norden bis in den Kanton Waadt, im Westen
schreitende Realität        bis ins Département Ain und im Süden und Osten bis ins Département Haute-Savoie. Pendler-
                            ströme und wirtschaftliche Verflechtungen mit den Gebieten diesseits und jenseits der Grenze
                            haben zur Entstehung einer grenzüberschreitenden Agglomeration geführt, die mittlerweile
                            802'000 Einwohnern zählt. Zu diesem urbanen Raum gehören der Kanton Genf und der Bezirk
                            Nyon, welche grundsätzlich die Agglomeration Genf auf Schweizer Seite darstellen, sowie das
                            Arbeitseinzugsgebiet von Genf im grenznahen Frankreich, welches 41 Gemeinden des Dépar-
                            tement Ain und 99 Gemeinden aus der Haute-Savoie zählt.

Mehr als nur Grenzgänger    Die Verflechtungen innerhalb dieser grenzüberschreitenden Agglomeration drücken die funktio-
                            nale Teilung zwischen Genf als überregionales Arbeitsmarktzentrum und den umliegenden Ge-
                            bieten im In- und Ausland aus, welche sich als Komplementär- und zunehmend auch als Aus-
                            weichraum zur Genfer Metropole positionieren. Zunehmende Sättigungstendenzen in und um
                            Genf haben in den letzten Jahren zu einer Verstärkung der Migrationsströme von der Schweiz in
                            das grenznahe Frankreich geführt, die mittlerweile ein Gegengewicht zu den traditionellen
                            Grenzgängerströmen zum Genfer Arbeitsmarkt darstellen. Dank einer hohen Verfügbarkeit von
                            erschwinglichem Wohnraum positionieren sich die französischen Gemeinden zunehmend als at-
                            traktiver Wohnort für Schweizer und in Genf erwerbstätige Personen. Ein überdurchschnittlich
                            hohes Bevölkerungswachstum, eine junge Bevölkerung mit einem bedeutenden Familienanteil
                            sowie eine hohe Eigentumsquote in den französischen Gebieten der grenzüberschreitenden Ag-
                            glomeration sind eindeutige Zeichen dieser Entwicklung. Auch die Region Nyon dient zuneh-
                            mend als Ausweichgebiet zum Zentrum Genf. Neben attraktiven Wohnlagen bietet diese Region
                            auch Raum für wirtschaftliche Tätigkeit, der in der Stadt Genf zunehmend knapp und teuer wird.
                            Ein überdurchschnittlich starkes Beschäftigungswachstum in dieser Region unterstreicht diese
                            Positionierung.

                            Die Wechselbeziehungen, die sich zwischen dem Kanton Genf und seinen Nachbarn in wirt-
                            schaftlicher, sozialer und kultureller Hinsicht entwickeln, kommen auf institutioneller Ebene
                            durch die interregionale und grenzüberschreitende Zusammenarbeit zum Ausdruck. Angefangen
                            1973 im Rahmen des sogenannten Comité régional franco-genevois (CRFG), entwickelt sich
                            die grenzüberschreitende Kooperation inzwischen unter anderem im Rahmen des Agglomerati-
                            onsprojekts für den Raum Franco-Valdo-Genevois, das 2007 mit der Unterzeichnung einer ent-
                            sprechenden Absichtserklärung lanciert wurde. Im Verkehrsbereich bringt die geplante Bahn-
                            verbindung Cornavin-Eaux-Vives-Annemasse (CEVA) ebenfalls ein wachsendes Bewusstsein
                            für die Notwendigkeit zum Ausdruck, die Entwicklung der Region aus einer grenzüberschreiten-
                            den Perspektive voranzutreiben.

Demographische und wirt-    Der Vergleich der wichtigsten demographischen und wirtschaftlichen Indikatoren erlaubt eine
schaftliche Indikatoren     Einschätzung der Position des Kantons Genf innerhalb der Schweiz und relativ zu seinen Nach-
                            barn. Abbildung 2 veranschaulicht die wichtigsten Kennzahlen für ausgewählte Kantone und
                            Wirtschaftsregionen. Letztere haben wir auf der Grundlage von ökonomischen Zusammenhän-
                            gen in Anlehnung an die Mobilité-Spatiale-Regionen des Bundesamts für Statistik definiert. Re-
                            gionale Strukturen und Perspektiven lassen sich am besten auf der Ebene dieser Wirtschaftsre-
                            gionen analysieren, deren Abgrenzung sich weniger an politischen Grenzen, sondern vielmehr
                            an wirtschaftlichen Phänomenen, räumlichen Strukturen und Mobilitätsmustern orientiert. Im Fall
                            von Genf entspricht die Wirtschaftsregion den kantonalen Grenzen. Je nach Gebiet können
                            Wirtschaftsregionen jedoch auch kantonsübergreifend sein.

Dominanz des tertiären      Prägende Aspekte für die wirtschaftliche Situation im Kanton Genf sind die Dominanz des ter-
Sektors und hohe Wert-      tiären Sektors und eine hohe Wertschöpfungsintensität. Rund 82% der Beschäftigten im Kan-
schöpfungsintensität        ton arbeiten im Dienstleistungssektor, auf nationaler Ebene sind es rund 68%. Auf dem zweit-
                            grössten Finanzplatz der Schweiz stellt die Bankbranche den wichtigsten Arbeitgeber dar und
                            wird von zahlreichen verbundenen Dienstleistungen unterstützt. Genf hat sich zudem auch zu ei-
                            nem der wichtigsten Handelsplätze für Rohstoffe weltweit entwickelt und übernimmt eine füh-
                            rende Stellung im Grosshandel, auf Kosten des bisherigen Spitzenreiters London. Die hohe
                            Wertschöpfungsintensität, die zweithöchste in der Schweiz nach Basel-Stadt, liegt jedoch nicht
                            nur in der Bedeutung des Dienstleistungssektors begründet. Die Uhrenindustrie stellt ein wichti-
                            ges industrielles Standbein für die Genfer Wirtschaft dar. Mit einem Anteil von 7.6% leistet

                                                                                                        Swiss Issues Regionen   6
Economic Research

                                             Genf insgesamt nach Zürich, Bern und Waadt den grössten Beitrag zur gesamtschweizerischen
                                             Wertschöpfung.

Wachstumsdynamik am                          Das überdurchschnittlich starke Bevölkerungs- und Beschäftigungswachstum im Kanton Genf
Genferseebogen                               ist Ausdruck der ausgeprägten Wachstumsdynamik, die im vergangenen Jahrzehnt die wirt-
                                             schaftliche Entwicklung am Genferseebogen gekennzeichnet hat. Gestützt durch eine bedeu-
                                             tende internationale Zuwanderung, ist die Genfer Bevölkerung trotz Ausweichbewegungen in
                                             die Nachbarregionen diesseits und jenseits der Grenze deutlich stärker gewachsen als im Lan-
                                             desmittel. Einzig in den Kantonen Freiburg und Waadt, welche zahlreiche der Ausweichgebiete
                                             des unter wachsendem Siedlungsdruck leidenden Genferseebogens aufweisen, sowie in den
                                             Kantonen Zug, Schwyz und Zürich ist die Bevölkerung zwischen 1999 und 2009 stärker ge-
                                             wachsen. Als Wirtschaftsstandort hat Genf zudem in der Periode 1995–2008 das stärkste Be-
                                             schäftigungswachstum in der Westschweiz verzeichnet.

 Abbildung 2
 Demographische und wirtschaftliche Indikatoren

                                          Bevölkerung                          Beschäftigung                    Wertschöpfung               Haushalts-
                                             2009                                  2008                             2008                    einkommen
                                                                                                                                               2007
                                     Anzahl          Jährliches     Sektor I      Sektor II    Sektor III   Anteil am   Pro Beschäftig-     Nominal pro
                                    Personen         Wachstum                                               CH-Total      ten, in CHF       Kopf, in CHF
                                                    1999–2009
 Wirtschaftsregionen
 Genève                               453'292              1.2%        1'438        42'461      198'217         7.6%        161'673             46'568
 Nyon                                  73'476              1.8%          719          4'214       18'778        0.7%        157'764             75'323
 Morges/Rolle                          72'837              1.6%        1'698          6'600       19'457        0.8%        139'068             64'113
 Lausanne                             254'840              1.1%          467        21'421      110'800         3.9%        150'682             50'091
 Vevey/Lavaux                          86'649              1.2%          836          4'846       23'188        0.8%        133'957             50'580
 Gros-de-Vaud                          57'431              1.9%        1'700          6'247        9'042        0.4%        135'493             52'514
 Kantone
 GE                                   453'292              1.2%        1'438        42'461      198'217         7.6%        161'673             46'568
 VD                                   701'526              1.3%        9'884        62'932      213'851         8.0%        143'445             52'525
 BE                                   974'235              0.3%       23'184       124'151      294'553        11.9%        137'754             44'223
 FR                                   273'159              1.5%        6'936        31'592        58'334        2.5%        131'791             35'757
 Schweiz                            7'785'806              0.8%      114'222     1'001'183     2'395'732      100.0%        146'021             47'529

 Quelle: Bundesamt für Statistik, Credit Suisse Economic Research

                                                                                                                                Swiss Issues Regionen      7
Economic Research

2      Konjunktur

Weltwirtschaft trotz Schul-    Nach den Extremjahren 2009 und 2010 präsentiert sich das Jahr 2011 mit soliden Aussichten,
denkrise mit positiver         die konjunkturellen Vorlaufindikatoren stehen auf Wachstum. Auch die jüngsten Ausprägungen
Dynamik                        der Schuldenkrise konnten die Erholung der Weltwirtschaft nicht aufhalten. Nachdem die Fi-
                               nanzkrise rund um den Globus eine historisch tiefe Rezession ausgelöst hat, gelang es der Wirt-
                               schaft bereits im darauffolgenden Jahr, die erlittenen Verluste zu grossen Teilen aufzuholen.
                               Das Wachstum war jedoch aufgrund einmaliger fiskal- und geldpolitischer Stimuli, der Wieder-
                               aufstockung der Lager sowie statistischer Basiseffekte nach oben verzerrt. Angesichts der Er-
                               holung der Finanzmärkte erwarten wir für das Jahr 2011 eine Normalisierung der realwirtschaft-
                               lichen Situation. Die Schweizer Wirtschaft hat sich dank einer soliden Ausgangslage im aktuel-
                               len Jahr bereits gut entwickelt. Es wird erwartet, dass die ausländischen Krisenherde sich kaum
                               oder nur schwach auf die Realwirtschaft auswirken werden.

Strukturelle Risiken für die   Während die Auswirkungen der positiven Stimuli sich abschwächen, ist die Weltwirtschaft 2011
Weltwirtschaft bleiben         noch den gleichen Risiken ausgesetzt wie in den Jahren zuvor. Es bestehen weiterhin globale
                               Ungleichgewichte, und die Überschuldung einzelner Länder lastet anhaltend auf dem globalen
                               Wirtschaftsgang. Aufstrebende Volkswirtschaften, namentlich China, wachsen derzeit so dyna-
                               misch, dass eine Überhitzung droht. Gleichzeitig hat die US-Wirtschaft noch nicht zur ehemali-
                               gen Stärke zurückgefunden. Während sich China mit inflationären Preissteigerungen konfron-
                               tiert sieht, kämpft die US-Notenbank gegen Deflation. Ähnliche Ungleichgewichte finden sich
                               auch innerhalb Europas. Die Wachstumsdifferenz reicht von Deutschland bis zu peripheren
                               Staaten, die noch tief in der Rezession stecken. Die unterschiedlichen Risikoaufschläge auf
                               Staatsanleihen rufen wieder ins Bewusstsein, dass die Überschuldungskrise noch nicht abge-
                               schlossen ist. Der Fokus hat sich jedoch auf die Staatsebene verschoben. Die Bedenken hin-
                               sichtlich der Bonität oder des Konsolidierungskurses peripherer europäischer Länder bleiben im
                               Hinterkopf, stets begleitet von Spekulationen über eventuelle Auswirkungen auf einzelne Ban-
                               ken. Angesichts der jüngsten Rettungs- und Fiskalpakete in Europa und den USA hat sich das
                               Risiko von Fehlallokationen weiter erhöht. Darüber hinaus wird – mit fortschreitender konjunktu-
                               reller Erholung und angesichts der immensen Liquiditätsflut – die geldpolitische Gratwanderung
                               zunehmend schwieriger. Das Spannungsfeld zwischen tiefem Zinsniveau auf der einen und stei-
                               gender Inflationsgefahr auf der anderen Seite wird grösser.

                                Abbildung 3
                                Prognosen für die Schweizer Volkswirtschaft
                                Veränderung in Prozent gegenüber dem Vorjahr; p: Prognose
                                                                                              2009          2010    2011p           2012p
                                 Bruttoinlandprodukt, real                                     -1.9          2.6      1.9               2.2
                                  Privater Konsum                                               1.0          1.7      1.7               1.7
                                  Staatlicher Konsum                                            1.6          -1.6     1.5               1.2
                                  Ausrüstungsinvestitionen                                    -10.8          5.7      4.0               3.0
                                  Bauinvestitionen                                              3.0          3.3      2.5               0.0
                                  Exporte (Güter und Dienstleistungen)                         -8.7          9.3      3.5               5.7
                                  Importe (Güter und Dienstleistungen)                         -5.4          6.7      4.5               4.5
                                 Arbeitslosenquote in Prozent                                   3.7          3.9      3.0               2.5
                                 Inflationsrate                                                -0.5          0.7      1.1               1.8

                                Quelle: Credit Suisse Economic Research, Staatssekretariat für Wirtschaft

Gute Ausgangslage für die      Die Schweizer Wirtschaft hat sich im schwierigen makroökonomischen Umfeld der letzten bei-
Schweiz                        den Jahre gut behauptet. Für 2011 veranschlagen wir das Wachstum des Bruttoinlandprodukts
                               auf 1.9% (Abbildung 3). Trotz der Unsicherheiten bezüglich der Staatsfinanzen in der Eurozone
                               und dem gegenüber den Leitwährungen starken Schweizer Franken hat sich der Aussenhandel
                               im letzten Jahr deutlich erholt. Die weltweite Nachfrage nach Schweizer Produkten bleibt auch
                               2011 hoch, was den negativen Preiseffekt des starken Frankens kompensiert. In unserer Pro-

                                                                                                                       Swiss Issues Regionen   8
Economic Research

                             gnose gehen wir davon aus, dass das Exportvolumen im laufenden Jahr um 3.5% zunehmen
                             wird. Parallel dazu werden günstige Finanzierungsbedingungen die Investitionstätigkeit der
                             Schweizer Wirtschaft ankurbeln. Dank der erstaunlich raschen Erholung der Nachfrage sind die
                             Kapazitäten der einheimischen Unternehmen wieder überdurchschnittlich stark ausgelastet. Wir
                             rechnen daher mit einem Wachstum der Ausrüstungsinvestitionen von 4.0%. Auch die Baukon-
                             junktur profitiert in hohem Masse vom niedrigen Zinsniveau, weshalb das Rekordbauvolumen
                             des Jahres 2010 in diesem Jahr sogar übertroffen werden dürfte. Dank der unverändert hohen
                             Migrationsdynamik und der konjunkturellen Erholung wird der Konsum auch 2011 weiterhin be-
                             trächtlich zunehmen. Auf dem Arbeitsmarkt rechnen wir mit einer weiteren Entspannung der
                             Lage. Aufgrund der Frankenstärke wird jedoch ein hoher Anteil der Inlandnachfrage durch ein-
                             geführte Güter befriedigt werden. Wir rechnen daher mit einem Wachstum der Importe von
                             4.5%. Während sich die genannten Risiken für die Weltwirtschaft kaum auf die Schweizer Re-
                             alwirtschaft auswirken sollten, werden sich die gestiegenen Rohstoffpreise in den Konsumen-
                             tenpreisen niederschlagen, wodurch wir mit einem Anstieg der Teuerung auf 1.1% rechnen.

                             2.1      Regionale Konjunktur

Ein Barometer zur            Da keine offiziellen Daten über das kantonale Bruttoinlandprodukt vorliegen, muss die Beurtei-
Beurteilung der              lung der regionalen Konjunktur auf indirektem Weg erfolgen. Dazu haben wir für die Schweizer
regionalen Konjunktur        Kantone ein System von vierteljährlichen Konjunkturindikatoren entwickelt. Die Analyse beruht
                             auf folgenden Grössen: gemeldete offene Stellen, Importe, Exporte, Logiernächte, Neuzulas-
                             sungen von Fahrzeugen sowie Baubewilligungen und Baugesuche im Hochbau. Der Sammelin-
                             dex, der aus diesen Indikatoren abgeleitet wird, ermöglicht es, die konjunkturelle Entwicklung
                             eines Kantons darzustellen. Das Konjunkturbarometer stellt Tendenz und Wendepunkte der
                             wirtschaftlichen Aktivität dar. Es ermöglicht jedoch nicht, Schlüsse über das Niveau der Wirt-
                             schaftstätigkeit zu ziehen oder genaue Prognosen zu erstellen. Demnach signalisiert eine Ab-
                             nahme des Indikators eine Wachstumsverlangsamung, aber nicht zwangsläufig eine Rezession.
                             Den aktuellen Rand des Konjunkturbarometers bildet das 1. Quartal 2011. Da dieses Barome-
                             ter einen Vorlauf von einem Quartal besitzt, sind Prognosen bis zum 2. Quartal 2011 möglich.

                              Abbildung 4
                              Regionales Konjunkturbarometer
                              Synthetischer Indikator

                                4
                                                                                                   GE        CH
                                3

                                2

                                1

                                0

                               -1

                               -2

                               -3

                               -4

                               -5
                                   1996 I       1998 I         2000 I   2002 I   2004 I   2006 I        2008 I       2010 I

                              Quelle: Credit Suisse Economic Research

Regionale Konjunktur: Mehr   Abbildung 4 zeigt die Entwicklung des regionalen Konjunkturbarometers für Genf im Vergleich
als erholt                   zur Schweiz. Die Genfer Konjunktur folgt während des betrachteten Zeitraums weitgehend den
                             gesamtschweizerischen Tendenzen. 2002 konnte die Westschweiz – darunter insbesondere der
                             Kanton Genf – besser von den ersten Impulsen aus dem Ausland profitieren, was in der Export-
                             dynamik deutlich zum Ausdruck kommt. Ähnlich wie für die gesamte Schweiz war der Rückgang

                                                                                                           Swiss Issues Regionen   9
Economic Research

                                              der Exporte in der jüngsten Rezession auch im Kanton Genf von historischem Ausmass, mit
                                              Tiefstwerten im 1. Quartal 2009. Nach einer vergleichsweise raschen und steil verlaufenden Er-
                                              holungsphase erreichte Genf im vergangenen Jahr bereits im 2. Quartal Werte, die nicht nur
                                              über Vorkrisenniveau lagen, sondern auch nahe an die historischen Rekordwerte des Jahres
                                              2002 heranreichen. Nach der intensiven Erholungsphase zeigt sich am aktuellen Rand nun eine
                                              leichte Abkühlung.

Anhaltend hohe Arbeits-                       In Abbildung 5 sind die Komponenten des Konjunkturbarometers für die letzten fünf Quartale
losigkeit                                     dargestellt. Im Vergleich zur gesamten Schweiz verzeichnet Genf eine weit volatilere Konjunk-
                                              turentwicklung. Der Schweizer Arbeitsmarkt hat sich schweizweit vergleichsweise schnell von
                                              der Rezession erholt. Im Kanton Genf hingegen verharrt die Arbeitslosenquote trotz deutlichem
                                              Rückgang seit dem Höhepunkt zu Beginn 2010 auf hohem Niveau und weit über dem Schwei-
                                              zer Durchschnitt. Die Exporte brachen in Folge der jüngsten Rezession im Kanton Genf über-
                                              durchschnittlich stark ein, was unter anderem auf die ausgeprägte Stellung der Uhrenindustrie
                                              zurückgeführt werden kann. Dank der weltweit vergleichsweise raschen Erholung der Konjunk-
                                              tur und der wiedererstarkten Nachfrage auch nach Luxusgütern verzeichneten die Exporte in
                                              Genf jedoch schnell wieder ein überdurchschnittliches Wachstum.

                                              Im Schweizer Durchschnitt zeigt sich die konjunkturelle Erholung in einer insgesamt ansteigen-
                                              den Investitionstätigkeit, wie die Zahlen zu Projektierungen und Bewilligungen beweisen. Die ra-
                                              sche Erholung der Konsumentenstimmung kommt in der Entwicklung der Logiernächte sowie
                                              der neuzugelassenen Fahrzeuge sowohl für den Kanton Genf als auch für die gesamte Schweiz
                                              deutlich zum Ausdruck.

 Abbildung 5
 Regionale Konjunkturindikatoren
 Durchschnitt der letzten vier Quartale, Wachstum gegenüber Vorjahresperiode in Prozent, Arbeitslosenquote in Prozent
                                                                 Kanton Genf                                                              Schweiz
                                         2009 IV        2010 I       2010 II      2010 III     2010 IV          2009 IV       2010 I       2010 II       2010 III     2010 IV
 Offene Stellen                           12.8%        28.7%         39.2%        34.8%         25.7%            -7.8%         0.7%        13.9%         22.5%         29.8%
 Arbeitslosenquote                         7.1%         7.3%          7.1%         6.8%         6.8%             4.2%          4.4%         3.8%          3.6%         3.6%
 Exporte von Waren                        -19.1%       -12.6%         2.5%        16.2%         24.3%           -11.6%        -6.3%         1.6%          7.1%         9.5%
 Importe von Waren                        -7.4%         -3.7%         6.6%        14.0%         12.8%            -4.9%        -4.0%         1.9%          5.2%         7.3%
 Baubewilligungen Hochbau                 77.2%        16.9%         34.5%         5.6%        -24.1%            -8.9%       -12.7%         -9.3%         2.8%         9.9%
 Baugesuche Hochbau                        8.8%        -23.8%       -18.1%        -15.0%       -35.7%            -7.4%        -6.1%         3.4%          5.5%         9.6%
 Logiernächte in der Hotellerie           -7.8%         -4.0%         1.4%         5.6%         5.3%             -4.7%        -1.8%         0.0%          1.7%         2.0%
 Neuzulassungen Fahrzeuge                 -10.4%        -5.1%         0.2%         3.0%         6.7%             -7.6%        -3.0%         2.1%          5.1%         6.9%

 Quelle: Bundesamt für Statistik, Staatssekretariat für Wirtschaft, Eidgenössische Zollverwaltung, Schweizer Baublatt, Credit Suisse Economic Research

                                              Eine prospektive Einschätzung der Entwicklung im Aussenhandel erlaubt unser Exportbarometer
                                              (Abbildung 6). Das Exportbarometer beruht auf wichtigen Vorlaufindikatoren (namentlich Ein-
                                              kaufsmanagerindizes) für die Industrie in den 26 wichtigsten Abnehmerländern der Schweiz. Sie
                                              werden monatlich ermittelt und geben den Verlauf der Industriekonjunktur mit einem Prognose-
                                              horizont von ungefähr einem halben Jahr an. Die Werte dieser Vorlaufindikatoren werden stan-
                                              dardisiert, mit dem Exportanteil des jeweiligen Landes gewichtet und zum Exportbarometer zu-
                                              sammengefasst. Am aktuellen Rand erlaubt das Barometer damit einen Ausblick auf die nähere
                                              Zukunft. Die Werte des Exportbarometers sind in der Abbildung um 6 Monate zurückversetzt,
                                              so dass die Korrelation mit den tatsächlichen Exportwerten sichtbar ist. Damit lässt sich die
                                              Prognosequalität des Indikators zeigen.

Überdurchschnittliche Er-                     Aufgrund rückläufiger Nachfrage in den wichtigsten Abnehmerländern hat das Exportbarometer
holung der Exporte in Genf                    Mitte 2008 einen drastischen Einbruch erfahren. Dieser geht den tatsächlichen Rückgängen im
                                              Aussenhandel voraus. Mitte 2009 hat sich das Blatt gewendet, und die Exportaussichten haben
                                              einen steilen Erholungspfad eingeschlagen. Seit Anfang 2010 befindet sich der Indikator unun-
                                              terbrochen oberhalb der Wachstumsschwelle. Während die Exporte bereits für die gesamte
                                              Schweiz auf eine deutliche Erholung hinweisen, ist das Bild für den Kanton Genf noch akzentu-
                                              ierter. Nach dem starken Einbruch haben die Exporte im Verlauf des vergangenen Jahres nicht
                                              nur auf Vorkrisenniveau zurückgefunden, sondern dieses auch weit übertroffen und schliesslich

                                                                                                                                                         Swiss Issues Regionen   10
Economic Research

                                           neue Rekordwerte erreicht. Am aktuellen Rand haben sich die Wachstumsperspektiven leicht
                                           eingetrübt; weiterhin rechnen wir jedoch mit einer zunehmenden Exporttätigkeit. Die Stärke des
                                           Schweizer Frankens gegenüber dem Euro und dem US-Dollar hat den Höhenflug der Exporte
                                           nicht beenden können. Dies lässt sich damit erklären, dass der Aussenhandel noch immer
                                           hauptsächlich von der ausländischen Nachfrage bestimmt wird und Währungsdifferenzen eine
                                           geringere Rolle spielen. Darüber hinaus nimmt auch der Anteil wenig preissensitiver Produkte
                                           zu.

                                             Abbildung 6
                                             Exportbarometer Kanton Genf
                                             In Standardabweichungen; Exporte als gleitender 6-Monate-Durchschnitt

                                               3.0

                                               2.0

                                               1.0

                                                 0

                                              -1.0
                                                                                               Wachstumsschwelle
                                              -2.0

                                              -3.0
                                                            GE Exporte             GE Barometer
                                              -4.0
                                                  2000      2001     2002      2003     2004      2005     2006      2007   2008     2009      2010      2011

                                             Quelle: OECD, Eidgenössische Zollverwaltung, Credit Suisse Economic Research

Ein Indikator für die Lage                 Zukünftiges Lohnwachstum hängt von der heutigen Lage auf dem Arbeitsmarkt ab. Für die
auf dem Arbeitsmarkt                       Schweiz kann empirisch gezeigt werden, dass der wichtigste Einflussfaktor der Löhne des Fol-
                                           gejahres die diesjährige Arbeitsmarktanspannung ist.1 Diese beschreibt, wie schwierig es für
                                           Unternehmen ist, zu einem gegebenen Zeitpunkt Mitarbeiter zu finden. Die Arbeitsmarktan-
                                           spannung ist definiert als logarithmierter Quotient aus der Anzahl offener Stellen und der Anzahl
                                           Arbeitsloser. Eine hohe Anspannung (hohe Anzahl offener Stellen und tiefe Anzahl Arbeitsloser)
                                           begünstigt die Arbeitnehmer. Lohnempfänger und Stellensuchende sind auf der vorteilhaften
                                           Marktseite für Lohnerhöhungen oder neue Arbeitsstellen. Eine tiefe Arbeitsmarktanspannung
                                           begünstigt die Arbeitgeber. Die Auswahl geeigneter Mitarbeiter ist einfacher, und es besteht
                                           weniger Druck für Lohnerhöhungen.

Personenfreizügigkeit                      Die Arbeitsmarktanspannung im Kanton Genf weist das typische zyklische Muster auf, das sich
reduziert Personal-                        auch für die Schweiz als Ganzes beobachten lässt (Abbildung 7). Um die Jahrtausendwende ist
knappheit                                  der Indikator steil angestiegen, offene Stellen konnten nur schwer besetzt werden. Im Konjunk-
                                           turaufschwung ab 2006 verlief der Anstieg weniger steil, was unter anderem auf die erleichter-
                                           ten Rekrutierungsmöglichkeiten in den Nachbarländern im Zusammenhang mit der Personen-
                                           freizügigkeit mit der EU zurückgeführt werden kann, was die Knappheit auf dem Arbeitsmarkt
                                           deutlich reduziert hat.

Beharrlich tiefe Arbeits-                  Seit 2005 bewegt sich die Arbeitsmarktanspannung im Kanton Genf auf tiefem Niveau und
marktanspannung                            deutlich unter dem Schweizer Durchschnitt. Dies deutet darauf hin, dass Arbeitnehmer im Kan-
                                           ton Genf im Vergleich zum durchschnittlichen Schweizer Arbeitnehmer über deutlich weniger
                                           Verhandlungsmacht verfügen. Dies kann teilweise mit der Verfügbarkeit ausländischer Arbeits-
                                           kräfte bzw. Grenzgänger erklärt werden. Durch das Arbeitsangebot ausländischer Arbeitskräfte
                                           sind Arbeitnehmer in Genf auf dem Arbeitsmarkt einer erhöhten Konkurrenz ausgesetzt. Ein
                                           Blick auf die Arbeitslosenquote lässt ähnliche Schlüsse zu. Zum einen lag die Arbeitslosenquote

1   Das Konzept der Arbeitsmarktanspannung wird im Artikel "Der Zuwachs in der Lohntüte wird von der Lage auf dem Arbeitsmarkt im Vorjahr bestimmt" von Dr. Tobias
    Bauer beschrieben (Die Volkswirtschaft, Dezember 2007).

                                                                                                                                            Swiss Issues Regionen    11
Economic Research

im Kanton Genf zwischen 1990 und 2011 kontinuierlich weit über dem Schweizer Durchschnitt.
Darüber hinaus zeigt sich, dass die Differenz zum Schweizer Mittel im betrachteten Zeitraum
auch deutlich zugenommen hat, was auf eine Verschärfung der Situation im Kanton Genf hin-
deutet. Die im Zusammenhang mit der Einführung der Personenfreizügigkeit erleichterten Rek-
rutierungsmöglichkeiten hingegen haben nicht zu einer Verschärfung der Situation geführt. Ge-
mäss den aktuellsten Daten ist die Anzahl der Arbeitslosen in Genf zwischen Februar und März
von etwas über 15'000 auf rund 14'500 gesunken. Trotz der gleichzeitig leicht rückläufigen
Zahl der offenen Stellen lassen die Zahlen vermuten, dass die moderat ansteigende Arbeits-
marktanspannung auch in den Folgeperioden weiter zunehmen und so eine gewisse Entspan-
nung für Stellensuchende bringen wird.

 Abbildung 7
 Arbeitsmarktanspannung im Kanton Genf
 Logarithmierter Quotient aus der Anzahl offener Stellen und Arbeitsloser, gleitender Durchschnitt über 12 Monate

  -1.0

                                                                                                       GE           CH

  -1.5

  -2.0

  -2.5

  -3.0

  -3.5
     1998/1            2000/1             2002/1            2004/1           2006/1         2008/1           2010/1

 Quelle: Staatssekretariat für Wirtschaft, Credit Suisse Economic Research

                                                                                                   Swiss Issues Regionen   12
Economic Research

3     Standortqualität

                             Länder, Regionen oder Gemeinden konkurrieren in einem an Intensität zunehmenden Standort-
                             wettbewerb um Investoren, Arbeitsplätze und vor allem um das entsprechende Steueraufkom-
                             men. Vor dem Hintergrund eines ausgeprägten Strukturwandels und einer spürbaren Verschär-
                             fung des globalen Wettbewerbs sind es zunehmend die regionalen Standortfaktoren, welche
                             nachhaltige Wettbewerbsvorteile verschaffen. Der Pflege dieser Standortfaktoren ist daher auf-
                             grund der gestiegenen Konkurrenz zwischen den Regionen Aufmerksamkeit zu schenken.

                             3.1       Standortqualität der Schweizer Kantone

Fünf Faktoren zur Beurtei-   Um die Standortqualität von Schweizer Kantonen und Regionen zu messen und miteinander zu
lung der Standortqualität    vergleichen, haben wir einen Standortqualitätsindikator (SQI) entwickelt. Dieser Indikator beruht
                             auf folgenden fünf Faktoren: der Steuerbelastung sowohl von natürlichen als auch juristischen
                             Personen, dem Ausbildungsstand der Bevölkerung, der Verfügbarkeit von Hochqualifizierten
                             sowie der verkehrstechnischen Erreichbarkeit. Qualitative Standortfaktoren sind zwar von Be-
                             deutung, sind aber nicht oder nur schwer zu quantifizieren und unterliegen zumeist einem Wert-
                             urteil, was deren Vergleichbarkeit erschwert. Aus diesem Grund werden sie in diesem Indikator
                             bewusst nicht berücksichtigt. Im Fall von Standorten mit ausgeprägter touristischer Ausrichtung
                             ist jedoch festzuhalten, dass qualitativen Faktoren einen nicht unwesentlichen Teil von deren At-
                             traktivität ausmachen.

                              Abbildung 8
                              Standortqualität der Schweizer Kantone 2011
                              Synthetischer Indikator, CH = 0, Steuerbelastung für das Jahr 2010

                                2.5
                                       ZG
                                2.0
                                            ZH
                                1.5

                                                 AG GE
                                1.0
                                                         BS NW SZ
                                                                        SH TG OW
                                                                                   BL AR
                                0.5
                                                                                           SO LU SG
                                   0
                                                                                                      AI VD BE
                               -0.5
                                                                                                                 GL GR
                                                                                                                         TI FR UR
                               -1.0
                                                                                                                                    VS NE
                               -1.5                                                                                                          JU

                              Quelle: Credit Suisse Economic Research

                             Für die Steuerbelastung der natürlichen Personen werden sowohl das Niveau als auch die Pro-
                             gression der Einkommens- und Vermögenssteuern berücksichtigt. Die Steuerbelastung von
                             juristischen Personen beruht auf einer Auswertung der Reingewinn- und Kapitalsteuern. Der
                             Ausbildungsstand der Bevölkerung wird durch den Anteil der Personen an der Bevölkerung im
                             Alter zwischen 19 und 69 Jahren gemessen, welche mindestens eine abgeschlossene Berufs-
                             lehre aufweisen. Für die Verfügbarkeit von hochqualifizierten Arbeitskräften wird der Anteil der
                             Bevölkerung zwischen 25 und 69 Jahren berücksichtigt, der über eine Ausbildung auf Tertiär-
                             stufe verfügt. Die verkehrstechnische Erreichbarkeit wird für den motorisierten Individualverkehr
                             und für den öffentlichen Verkehr berechnet. Neben den Fahrzeiten zwischen den einzelnen
                             Gemeinden bzw. Verkehrsknoten wird dabei auch das zugehörige Potential an Einwohnern und

                                                                                                                         Swiss Issues Regionen   13
Economic Research

                               Arbeitsplätzen berücksichtigt. Beim Standortqualitätsindikator handelt es sich um einen relativen
                               Index, bei welchem der Wert für die ganze Schweiz bei Null liegt. Positive Werte des Indikators
                               weisen auf eine höhere, negative Werte auf eine tiefere Standortqualität im Vergleich zum ge-
                               samtschweizerischen Durchschnitt hin.

Genf: Aufsteiger des Jahres    Abbildung 8 zeigt die Werte des Standortqualitätsindikators der Schweizer Kantone für das Jahr
                               2011. Ein Wert in der Bandbreite zwischen +0.3 und -0.3 kann als im Schweizer Mittel liegend
                               interpretiert werden. Der Kanton Genf konnte dank Steuersenkungen seit der vorjährigen Be-
                               rechnung fünf Ränge gutmachen und schneidet damit nur knapp hinter dem drittplatzierten Aar-
                               gau ab. Der grosse Sprung nach vorne ist insofern zu relativieren, als die Indikatorwerte im brei-
                               ten Mittelfeld dicht beieinander liegen und Ranggewinne somit dort einfacher zu realisieren sind
                               als an den Enden der Verteilung. Neben dem Kanton Genf verbesserten sich zudem die Kanto-
                               ne Graubünden, Luzern, Schwyz, Freiburg, Basel-Landschaft und Thurgau um einen bezie-
                               hungsweise zwei Plätze. Angeführt wird das Klassement nach wie vor mit deutlichem Vorsprung
                               von den beiden Kantonen Zug und Zürich, welche ihre Positionen seit 2004 – dem Jahr der
                               erstmaligen Berechnung des Standortqualitätsindikators in der aktuellen Form – halten konnten.

                               3.2       Standortqualität im regionalen Vergleich

                               Im Genferseeraum weisen einzig der Kanton Genf, die Wirtschaftsregionen Nyon und – auf et-
                               was tieferem Niveau – die Wirtschaftsregion Lausanne überdurchschnittliche Werte der Stand-
                               ortqualität auf (Abbildung 9). Von den übrigen Vergleichsregionen können die Werte von Mor-
                               ges/Rolle, Vevey/Lavaux, Gros-de-Vaud und des Kantons Waadt als Ganzes als im Schweizer
                               Mittel betrachtet werden, während die restlichen Regionen signifikant unterdurchschnittlich ab-
                               schneiden.

                                Abbildung 9
                                Standortqualität ausgewählter Regionen 2011
                                Synthetischer Indikator, CH = 0, Steuerbelastung für das Jahr 2010

                                  1.5
                                          Nyon

                                                                                                                                            Monthey/St-Maurice
                                                                     Morges/Rolle

                                  1.0
                                                  GE

                                                                                    Vevey/Lavaux
                                                          Lausanne

                                                                                                                                                                           Glâne/Veveyse
                                                                                                        Gros-de-Vaud

                                                                                                                                                                                                         La Gruyère
                                  0.5
                                                                                                                                 La Broye

                                                                                                                                                                                             La Vallée
                                                                                                                       Yverdon

                                                                                                                                                                 Aigle
                                                                                                   VD

                                     0

                                 -0.5

                                 -1.0

                                 -1.5

                                Quelle: Credit Suisse Economic Research

Verfügbarkeit von Hoch-        Die Komponenten der Standortqualität des Kantons Genf sowie ausgewählter Vergleichsregio-
qualifizierten als zentraler   nen sind in Abbildung 10 dargestellt. Anhand dieser Darstellung lässt sich die individuelle Posi-
Standortfaktor                 tionierung näher erläutern. Grösster Trumpf des Kantons Genf ist die Verfügbarkeit von Hoch-
                               qualifizierten. Mit deutlichem Abstand vor Zug und Basel-Stadt liegt Genf diesbezüglich an der
                               Spitze der Schweizer Kantone, was auf eine hohe Attraktivität des Genfer Arbeitsmarkts für
                               Hochqualifizierte hindeutet. Auf Stufe Wirtschaftsregionen belegt Genf hinter Nyon den zweiten
                               Rang. Ebenfalls über dem Landesmittel liegt der Kanton bei der verkehrstechnischen Erreich-
                               barkeit. Hier profitiert Genf von seiner Funktion als Zentrum und der Nähe zum dicht besiedel-
                               ten rechten Genferseeufer. Eine weitere Verbesserung der verkehrstechnischen Anbindung soll

                                                                                                                                                                         Swiss Issues Regionen                        14
Economic Research

                              die Umsetzung des Projekts Réseau Express Régional (RER) Franco-Valdo-Genevois der Kan-
                              tone Genf und Waadt sowie der französischen Region Rhône-Alpes bringen. Mit dem Projekt
                              wird eine Harmonisierung des grenzübergreifenden öffentlichen Verkehrsnetzes im Genfersee-
                              bassin angestrebt. In Bezug auf den Ausbildungsstand der Bevölkerung liegt der Kanton im
                              Schweizer Mittel. Insgesamt ist der Kanton Genf somit bei den schwer beeinflussbaren Faktoren
                              günstig positioniert.

                               Abbildung 10
                               Komponenten der Standortqualität 2011
                               Synthetische Indikatoren, CH = 0, Steuerbelastung für das Jahr 2010

                                 2.5
                                         GE     VD    Nyon     Morges/Rolle        Lausanne   Vevey/Lavaux
                                 2.0

                                 1.5

                                                                                                                                                    Stärke
                                 1.0

                                 0.5

                                                                                                                                                    CH-Mittel
                                   0

                                -0.5

                                                                                                                                                    Schwäche
                                -1.0

                                -1.5
                                        Steuerbelastung        Steuerbelastung         Ausbildungsstand    Verfügbarkeit       Verkehrstechnische
                                         der natürlichen        der juristischen              der               von              Erreichbarkeit
                                           Personen               Personen               Bevölkerung      Hochqualifizierten

                               Quelle: Credit Suisse Economic Research

                               Bahnverbindung Cornavin–Eaux-Vives–Annemasse (CEVA)
                               Die Fertigstellung der bereits im 19. Jahrhundert geplanten Linie zwischen Cornavin und An-
                               nemasse (F) soll die beiden bestehenden Verbindungen Cornavin–La Praille und Eaux-Vives–
                               Annemasse zusammenführen. Ziel ist eine bessere verkehrstechnische Erschliessung des
                               grenzübergreifenden Zentrums Genf im Rahmen des Projekts RER Franco-Valdo-Genevois.
                               Neben dem Bau des bis anhin fehlenden Verbindungsstücks zwischen Carouge-Bachet und
                               Eaux-Vives sind ein umfangreicher Ausbau der bereits vorhandenen Teilstrecken sowie die
                               Errichtung fünf neuer Bahnhöfe vorgesehen. Insgesamt wurden die Kosten auf rund 1.5 Mrd.
                               CHF budgetiert, wovon 57% vom Bund getragen werden. Eine erste Inbetriebnahme war im
                               Jahr 2014 vorgesehen. Die Bautätigkeiten werden jedoch zurzeit von 22 Einsprachen auf-
                               gehalten, über die das Bundesverwaltungsgericht voraussichtlich Anfang Sommer 2011 ent-
                               scheiden wird.

Steuern belasten die Stand-   Beeinträchtigt wird die gute Ausgangslage des Kanton Genfs durch eine hohe Steuerbelastung
ortattraktivität von Genf     von natürlichen und juristischen Personen (Abbildung 10). Daran vermochten auch die Erneue-
                              rung des Gesetzes über die Besteuerung von natürlichen Personen sowie die geringfügige Ent-
                              lastung juristischer Personen nichts zu ändern. Bei der Besteuerung von natürlichen Personen
                              weisen einzig die Kantone Neuenburg und Jura, bei den juristischen Personen der Kanton Ba-
                              sel-Stadt eine noch höhere Steuerbelastung auf. Betrachtet man hingegen die Steuerbelastung
                              im regionalen Kontext, so schneidet der Kanton Genf nicht markant über dem Schnitt der um-
                              liegenden Wirtschaftsregionen ab, denn die steuergünstigen Kantone befinden sich ausschliess-
                              lich in der östlichen Hälfte der Schweiz. In der westlichen Hälfte fällt die Besteuerung von Un-
                              ternehmen und natürlichen Personen hingegen vergleichsweise hoch aus. Einschneidende
                              Steuersenkungen würden die Standortattraktivität des Kantons Genf massgeblich steigern. Die
                              hohe Verschuldung schränkt den Handlungsspielraum des Kantons jedoch ein.

                                                                                                                               Swiss Issues Regionen            15
Economic Research

                           Vereinheitlichung und Senkung der Unternehmenssteuern im Kanton Genf
                           Bis anhin sind Holdings im Kanton Genf von der Gewinnsteuer befreit und geniessen einen
                           Vorzugssatz bei der Kapitalsteuer. Zudem wird auf das im Ausland generierte Einkommen von
                           Domizilgesellschaften ein Steuerrabatt gewährt. Im Zuge des Steuerstreits zwischen der
                           Schweiz und der EU sieht sich der Kanton Genf vermehrt unter Druck, die ungleiche Besteu-
                           erung anzupassen. Um einer Abwanderungswelle unter den begünstigten Unternehmen vor-
                           zubeugen, plant der Kanton, die Steuerbelastung für alle juristischen Personen zu vereinheitli-
                           chen und den Gesamtsteuersatz deutlich zu reduzieren. Zwei Szenarien werden dabei in Be-
                           tracht gezogen. In einer ersten Variante würde die Gewinnsteuer von heute rund 24% auf
                           15% gesenkt. Die Reduktion würde Steuerausfälle in der Höhe von 600 Mio. CHF verursa-
                           chen. Das kantonale Finanzdepartement vermutet jedoch, dass eine Senkung auf 15% den
                           Wegzug von Holdings und Domizilgesellschaften nicht verhindert. In einer zweiten Variante
                           würde daher die Gewinnsteuer auf zwischen 12% und 13% gekürzt, was einem Einnahme-
                           verlust von ungefähr 1 Mrd. CHF entspräche. Steuerausfälle in dieser Dimension wären für
                           die ohnehin schon stark angeschlagenen Genfer Finanzen jedoch undenkbar, weshalb der
                           Kanton Unterstützung des Bundes in der Form einer Reduktion der direkten Bundessteuer
                           fordert. In jedem Fall wäre der Handlungsspielraum bei den Kantonsfinanzen über die kom-
                           menden Jahre stark eingeschränkt.

                          3.3     Frei verfügbares Einkommen als Parameter der finanziellen Wohnattraktivität

                          Nicht überall ist das Leben gleich teuer. Neben den Unterschieden in der Steuerbelastung wird
                          die finanzielle Wohnattraktivität einer Gemeinde durch zusätzliche Faktoren bestimmt. Unter-
                          schiedliche Immobilienpreise, Krankenversicherungsprämien, Familienzulagen sowie weitere
                          Faktoren ergeben in der Summe erhebliche Differenzen zwischen den Wohnorten. Die finanziel-
                          le Wohnattraktivität einer Gemeinde wird durch das frei verfügbare Einkommen umfassend aus-
                          gedrückt. Es stellt denjenigen Betrag dar, welcher einem Haushalt nach Abzug sämtlicher
                          Zwangsabgaben und Fixkosten zur Verfügung steht. Um das frei verfügbare Einkommen für ei-
                          nen breiten Mittelstand auszudrücken, haben wir den RDI-Indikator (Regional Disposable Inco-
                          me) berechnet.

                           Abbildung 11
                           Frei verfügbares Einkommen in den Schweizer Kantonen (RDI-Indikator) 2011
                           Ohne Pendelkosten; synthetischer Indikator, CH = 0

                             3
                                 UR
                                      GL
                             2
                                           AI OW TG AR
                                                       SH SG NW
                                                                GR SZ SO LU AG JU
                                                                                  VS FR
                             1
                                                                                           TI
                                                                                                ZG BE
                             0
                                                                                                        NE
                                                                                                             ZH BL
                            -1
                                                                                                                     VD BS
                            -2

                            -3

                            -4
                                                                                                                             GE
                           Quelle: Credit Suisse Economic Research

Genf: Schlusslicht beim   Abbildung 11 zeigt die Indikatorwerte der Schweizer Kantone für das Jahr 2011. Am günstigs-
verfügbaren Einkommen     ten lebt der Durchschnittshaushalt in den Kantonen Uri und Glarus. Die restlichen Kantone be-
                          wegen sich zwischen den Werten 1.5 und -1.3 mit Ausnahme des Kantons Genf, der mit einer

                                                                                                        Swiss Issues Regionen     16
Economic Research

                          Ausprägung von knapp -4.0 der teuerste Kanton der Schweiz ist. Auch in den Kantonen Basel-
                          Stadt und Waadt muss der Durchschnittshaushalt tief in die Tasche greifen.

Hohe Steuern und hohe     Abbildung 12 beleuchtet die Hintergründe der kantonalen RDI-Werte. Auf der horizontalen Ach-
Immobilienpreise machen   se ist die standardisierte Summe der obligatorischen Abgaben abgetragen, welche die Belas-
das Leben teuer           tung der Haushalte des breit definierten Mittelstandes im jeweiligen Wohnkanton aufzeigen. Die
                          Vertikale stellt die standardisierte Summe der wohnortsgebundenen Fixkosten dar. Im Kanton
                          Genf führt die Kombination einer sehr hohen Steuerbelastung mit sehr hohen Immobilienpreisen
                          zur mit Abstand tiefsten finanziellen Wohnattraktivität unter den Schweizer Kantonen. Dabei
                          weisen bei den obligatorischen Abgaben die Kantone Bern, Waadt, Jura und Neuenburg eine
                          ähnlich oder gar höhere Belastung als der Kanton Genf auf. Bei den Fixkosten hingegen be-
                          steht ein grosser Unterschied zwischen Genf und dem zweitteuersten Kanton Zug.

                           Abbildung 12
                           Bedeutung der Ausgabenkomponenten in den Schweizer Kantonen 2011
                           Obligatorische Abgaben: Einkommens- und Vermögenssteuern, Sozialabgaben, obligatorische Krankenversicherung
                           Fixkosten: Wohnkosten, Nebenkosten, Energiekosten; standardisierte Werte, CH = 0

                                  Hohe Fixkosten                                                                                    Doppelte Nachteile

                                                                                        Fixkosten
                                                                                                                         GE
                             kompensieren Steuervorteile

                               ZG

                                                                      ZH
                                                                                                              BS

                                      SZ                                   CH-Mittel                                     VD
                                                NW                                                        BL                   Obligatorische Abgaben

                                                                 GR
                                                       OW                  LU          TI
                                                                                AG                                  BE
                                                                     AI         SG
                                                     UR                                SH                      FR
                                                                                                    SO                                      NE
                                                                          GL TG AR                       VS

                                                                                                                                       Asymmetrische
                              Kombinierte Vorteile
                                                                                                                               JU      Positionierung

                           Quelle: Credit Suisse Economic Research

Erhebliche Unterschiede   Die Gemeinden als unterste Verwaltungsstufe der Schweizer Staatsordnung sind als Betrach-
auf kleinstem Raum        tungsebene für das frei verfügbare Einkommen optimal geeignet. Die meisten Komponenten
                          der finanziellen Wohnattraktivität sind entweder von lokal administrierten Preisen tangiert oder
                          stellen Güter lokal abgegrenzter Märkte dar. Aus diesem Grund vergleichen wir die finanzielle
                          Wohnattraktivität der Genfer Gemeinden mit derjenigen von Vergleichsgemeinden im Kanton
                          Waadt. Neben dem RDI-Indikator und dem Grenzeinkommen betrachten wir das frei verfügbare
                          Einkommen für vier Referenzhaushalte. Zusätzlich zu den Komponenten des frei verfügbaren
                          Einkommens in den Kantonen werden bei den Gemeinden die Kosten des Pendelns berück-
                          sichtigt (Abbildung 13 und Abbildung 14).

                                                                                                                              Swiss Issues Regionen     17
Economic Research

Abbildung 13
Frei verfügbares Einkommen in den Gemeinden, Kanton Genf
Ausgewählte Gemeinden, Referenzhaushalte gemäss Angaben
                                          Mit Pendelkosten ins nächste Zentrum                                     Ohne Pendelkosten
                                RDI Indikator          Single       Ehepaar           Familie          Single         Ehepaar           Familie     Rentnerpaar
Erwerbstätigkeit                                     1 Person     2 Personen         1 Person        1 Person      2 Personen         1 Person Im Ruhestand
Einkommen                                             75'000        250'000          150'000           75'000         250'000          150'000           80'000
Vermögen                                              50'000        600'000          300'000           50'000         600'000          300'000          300'000
Wohnsituation                                     Mietwohnung     EFH hoher      Mietwohnung     Mietwohnung        EFH hoher     Mietwohnung       Mietwohnung
                                                        60m2       Standard           150 m2           60m2          Standard          150 m2            100m2
Kanton Genf
Bernex (GE)                               -4.33       25'000         45'300           51'800           27'100          50'700           53'000           32'800
Carouge (GE)                              -4.62       25'800         30'800           51'500           26'600          32'900           51'500           31'500
Chêne-Bougeries (GE)                      -4.54       25'800         26'600           51'900           26'900          29'500           52'100           31'800
Chêne-Bourg (GE)                          -3.96       27'100         40'700           55'600           28'200          43'800           55'900           34'700
Collonge-Bellerive (GE)                   -4.90       25'900         29'700           52'300           27'300          33'400           52'900           32'300
Cologny (GE)                              -4.35       25'000         19'500           49'600           26'000          22'100           49'800           30'200
Confignon (GE)                            -4.98       24'900         39'300           51'200           26'800          43'400           52'200           32'200
Genève (GE)                               -5.20       24'900         17'900           49'600           25'700          20'100           49'500           30'400
Le Grand-Saconnex (GE)                    -3.93       26'900         39'800           55'000           28'000          42'700           55'200           34'100
Lancy (GE)                                -4.06       26'800         44'700           54'400           27'600          46'200           54'400           33'700
Meyrin (GE)                               -3.57       27'700         52'000           57'500           29'100          55'500           57'900           36'000
Onex (GE)                                 -3.65       27'600         50'200           57'000           28'700          53'200           57'200           35'700
Plan-les-Ouates (GE)                      -3.98       26'700         49'400           54'600           28'000          52'700           55'000           33'900
Pregny-Chambésy (GE)                      -4.31       25'400         41'300           50'900           26'600          44'400           51'300           31'200
Satigny (GE)                              -3.29       26'800         50'700           55'700           28'700          55'700           56'800           35'100
Thônex (GE)                               -3.92       27'100         46'400           55'700           28'400          49'100           56'100           34'800
Vernier (GE)                              -3.54       27'200         58'300           56'400           28'600          61'800           56'900           35'400
Versoix (GE)                              -4.17       25'600         45'700           53'000           27'400          50'600           54'000           33'500
Veyrier (GE)                              -4.82       25'200         31'800           51'300           26'800          36'000           52'000           31'900
Kanton Waadt
Bogis-Bossey (VD)                         -2.28       26'800         77'500           56'300           29'800          83'900           58'800           34'600
Chavannes-des-Bois (VD)                   -1.74       27'600         79'300           57'900           30'200          84'900           60'000           35'500
Coppet (VD)                               -3.54       25'500         50'700           52'500           28'000          56'800           54'500           31'800
Founex (VD)                               -3.56       24'100         55'500           49'300           26'700          62'000           51'400           29'800
Nyon (VD)                                 -3.01       26'300         58'900           56'300           30'000          66'800           59'500           35'000
Der RDI-Indikator (Regional Disposable Income) bringt die frei verfügbaren Einkommen für eine grosse Bandbreite von Haushalten zum Ausdruck. Er nimmt für die
Schweiz den Wert 0 an. Pendelkosten: Durchschnitt von ÖV und MIV Kosten. Es werden ausschliesslich Gemeinden mit mehr als 500 Einwohnern betrachtet. Der Ge-
meindebestand entspricht demjenigen von 2008 (2'706 Gemeinden).

Quelle: Credit Suisse Economic Research

                                                                                                                                       Swiss Issues Regionen      18
Economic Research

Abbildung 14
Informationen zum Pendelverkehr
Jährliche Kosten pro Pendler in CHF; Zeit pro Weg in Minuten
                                                               Genf                               Lausanne
                                            MIV                           ÖV               MIV                     ÖV
                                       Dauer           Kosten         Dauer    Kosten   Dauer    Kosten        Dauer           Kosten
Kanton Genf
Bernex (GE)                                15           3'847           28       650      54     10'148           68            3'300
Carouge (GE)                               10           1'231           14       650      54     10'148           57            3'300
Chêne-Bougeries (GE)                       10           1'810           17       650      57     10'513           57            3'300
Chêne-Bourg (GE)                           10           1'970           29       650      55     10'270           83            3'300
Collonge-Bellerive (GE)                    10           2'387           22       650      55     10'270           67            3'300
Cologny (GE)                               10           1'551           17       650      52      9'901           73            3'300
Confignon (GE)                             12           3'360           24       650      52      9'901           69            3'300
Genève (GE)                                10           1'217           10       650      48      9'400           33            2'385
Le Grand-Saconnex (GE)                     10           1'742           17       650      44      8'887           58            3'300
Lancy (GE)                                 10           1'308           15       650      53     10'025           53            2'448
Meyrin (GE)                                10           2'286           26       650      49      9'526           53            2'511
Onex (GE)                                  12           1'917           19       650      54     10'148           63            3'300
Plan-les-Ouates (GE)                       10           2'099           21       650      52      9'901           66            3'300
Pregny-Chambésy (GE)                       10           1'935           14       650      46      9'145           61            3'300
Satigny (GE)                               15           3'454           25       650      54     10'148           51            2'574
Thônex (GE)                                12           2'185           18       650      58     10'634           68            3'300
Vernier (GE)                               10           2'268           16       650      50      9'652           51            2'511
Versoix (GE)                               14           3'389           21       650      45      9'016           51            2'511
Veyrier (GE)                               13           2'812           21       650      60     10'875           62            3'300
Kanton Waadt
Bogis-Bossey (VD)                          17           5'051           44     1'400      36      7'864           51            2'300
Chavannes-des-Bois (VD)                    19           4'343           39     1'400      39      8'276           56            2'300
Coppet (VD)                                15           4'224           22     1'200      38      8'140           40            2'300
Founex (VD)                                18           4'591           35     1'200      37      8'003           52            2'300
Nyon (VD)                                  24           6'506           29     1'449      33      7'438           28            2'300

Quelle: TCS, SBB, Credit Suisse Economic Research

                                                                                                             Swiss Issues Regionen   19
Economic Research

4     Bevölkerung und Einkommen

                          Bevölkerungsstruktur und -entwicklung sind wichtige Aspekte regionaler Entwicklung. Die in der
                          Schweiz sowie in anderen Industrieländern zunehmend stagnierenden Geburtenraten führen zu
                          einem Rückgang des natürlichen Bevölkerungswachstums. Dadurch hat die Migration für die
                          Bevölkerungsentwicklung an Bedeutung gewonnen. Insbesondere in der Schweiz ist die Zu-
                          wanderung schon lange ein wesentlicher Einflussfaktor der Bevölkerungsentwicklung. In den
                          letzten Jahren hat sich dieser Trend infolge der günstigen Konjunkturlage und der Einführung
                          der Personenfreizügigkeit mit der EU weiter verstärkt. Für die regionale Entwicklung ist neben
                          der quantitativen Bevölkerungsdynamik auch die Veränderung der Bevölkerungsstruktur von
                          Bedeutung. Ausbildung, Berufsstand und Haushaltsstruktur zuziehender oder abwandernder
                          Bevölkerungsgruppen beeinflussen die Entwicklung des Steuersubstrats und des Arbeitsmarkt-
                          potentials. Auch Veränderungen der Nachfrage in bestimmten Immobiliensegmenten sind Folge
                          selektiver Migrationsbewegungen.

                          4.1      Bevölkerungsentwicklung

                          Die Bevölkerung der Schweiz ist in den vergangenen 10 Jahren um durchschnittlich 0.8% pro
                          Jahr gewachsen. Insbesondere nach der Jahrtausendwende hat die demographische Entwick-
                          lung – gestützt durch eine erhöhte Zuwanderung – an Dynamik gewonnen. 2008 wurde sogar
                          ein Wachstum von 1.4% verzeichnet. Damit ist die Schweiz 2008 so stark gewachsen wie seit
                          den Sechzigerjahren nicht mehr. Diese Zunahme ist zu 90% auf den Wanderungssaldo von
                          rund 98'200 Personen zurückzuführen – seit 1961 der höchste Wert in der Geschichte der
                          Demographie der Schweiz. Hinter dieser Dynamik verbergen sich allerdings erhebliche regionale
                          Unterschiede. Wachsenden Zentren und Agglomerationen stehen periphere Regionen mit Ab-
                          wanderungstendenzen gegenüber.

                           Abbildung 15
                           Bevölkerungsentwicklung 1999–2009
                           Index, 1999 = 100

                            122
                                            GE
                            120
                                            Nyon
                            118
                                            Morges/Rolle
                            116             Lausanne
                                            Gros-de-Vaud
                            114
                                            Vevey/Lavaux
                            112
                                            CH
                            110

                            108

                            106

                            104

                            102

                            100

                             98
                                     1999        2000        2001   2002   2003   2004   2005   2006   2007    2008      2009

                           Quelle: Bundesamt für Statistik

Genf unter den Spitzen-   Mit einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate von 1.2% während der vergangenen
reitern                   zehn Jahre verzeichnet Genf ein deutlich höheres Bevölkerungswachstum als der Schweizer
                          Durchschnitt (0.8%) und gehört zu den Spitzenreitern unter den Kantonen. Von den West-

                                                                                                         Swiss Issues Regionen   20
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