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Systemisches Denken und Handeln Dozent: Mag. DDr. Günther Bauer (Sozialakademie Wien, FH Linz) „Wenn du etwas wirklich verstehen willst, versuche es zu verändern.“ (Kurt Lewin)
Dozent: Günther Bauer Mag. rer. soc. oec., Dr. jur., Dr. phil., MSc. Ausbildung: Studium der Betriebswirtschaftslehre (1. TA abgeschl. 1979) Studium der Sozialökonomie (abgeschl. 1981) Studium der Rechtswissenschaften (abgeschl. 1985) Doktoratsstudium Organisationsentwicklung (abgeschl. 2009) Berufserfahrung: SZL GmbH Geschäftsführer 2005 bis dato Amt für Soziale Angelegenheiten Amtsleiter(1990-2004) Volkshochschule Linz Fachbereichsleiter für Sozialwissenschaften (1985-1990) Nebenberuflich: Dozent an der FH Linz 2008 - dato Studiengänge Sozialmanagement und Verwaltungsmanagement Lieblingszitat: „Chaotisches Handeln ist geordnetem Nichthandeln vorzuziehen“ (Karl 2
Weiterbildung 2006-09 Nebenberufliches Studium der Organisationsentwicklung am Institut für interdisziplinäre Forschung und Fortbildung, Universität Klagenfurt. (abgeschlossen mit Dr. phil.) 2006-07 Universitätslehrgang Organisationsentwicklung am IFF der Universität Klagenfurt (80 Ausbildungstage), abgeschl. mit MSc. 2006-07 Lehrgang Psychosoziales Gesundheitsmanagement (10 Ausbildungstage) 1995-96 Lehrgang Führungskompetenz des BFI Tirol (28 Ausbildungstage) 1990-92 Supervisionsausbildung am Bundesinstitut für Erwachsenenbildung St. Wolfgang (64 Ausbildungstage) 1988 Gruppendynamiktraining an der FU Berlin (12 Ausbildungstage) Seit1990 Weiterbildungen zum Thema Moderation, Controlling, Qualitätsmanagement, Kommunikation, Konflikt, Mediation, Führung, systemisches Management, Projektmanagement, Wissensmanagement, Balanced Scorecard, etc. 3
Publikationen • High Touch in der Altenpflege Oktober 2009, Carl Auer Verlag, 266 S. • Systemische Organisationsentwicklung und Führung - zwei Seiten einer Medaille, März 2011, in: Grossmann, R./Mayr, K. (Hrsg.): Organisationsentwicklung konkret, Linde Verlag, 20 S. • Einführung in das systemische Sozialmanagement, Sept. 2013, Carl Auer Verlag, 128 S. • Einführung in die systemische Organisationsentwicklung (gemeinsam mit Ralph Grossmann und Klaus Scala) März 2015, Carl Auer Verlag, 126 S. • Einführung in das systemische Controlling, Sept. 2015, Carl Auer Verlag, 127 S. • Artikel Systemisches Controlling, Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Systemisches_Controlling • Systemisches Controlling – Modethema oder Bereicherung? September 2016, in: Controller Magazin September/Oktober 2016, Interview, 5 S. • Die Liebe wachküssen – Glückspotentiale gemeinsam entfalten, Liebesbeziehung aktiv gestalten, Beziehungsfallen vermeiden, 180 S., unveröffentlicht 4
Lehr- und Vortragstätigkeit SS 08 – dato: Lehraufträge Systemische Organisationsentwicklung an der FH Linz, Studiengänge Sozial- und Verwaltungsmanagement 2004 – 2007: Mitarbeit bei der Curriculumsentwicklung für einen Bakkalaureatsstudiengang Sozialmanagement und bei der Entwicklung des Masterstudiums „Services of General Interest“ an der FH Linz/Studiengang Sozialmanagement WS 98 - SS 03: Lehrtätigkeit an der Päd. Akademie des Bundes in den Fächern Sozialökonomie, Führung, Personalmanagement, Sozialrecht und Supervision und Koordinator des Zusatzstudiums Sozialmanagement SS 92: Lehrauftrag an der Johannes Kepler Universität am Institut für Gesellschaftspolitik Seit 1990 fallweise: Vortragstätigkeit bei der OECD, beim Städtebund und bei div. Sozialvereinen bzw. bei Tagungen und Konferenzen Seit 2009 fallweise: Trainings zum Thema Leadership, OE und systemisches Management, teilweise in Masterstudiengängen, z. B. für das IFF der Uni Klagenfurt, die Estonian Business School oder für die Academy of Management Ulaanbaatar/Mongolei Seit 1989 – dato: Moderator der Vortragsreihe „Beziehungsfallen“ der VHS Linz 5
„Wenn Du immer wieder das tust, was Du schon immer getan hast, dann wirst Du immer wieder das bekommen, was Du schon immer bekommen hast. Wenn Du etwas Anderes haben willst, musst Du etwas Anderes tun! Und wenn das, was Du tust, Dich nicht weiterbringt, dann tue etwas völlig Anderes – statt mehr vom gleichen Falschen!“ (Paul Watzlawick) 6
Inhaltsverzeichnis: Teil 1: Was ist ein System? Teil 2: Mechanistisches und systemisches Paradigma Teil 3: Konstruktivismus Teil 4: Soziale Systeme verstehen Teil 5: Soziale Systeme steuern Teil 6: Evolution von Systemen Teil 7: Systemische Grundhaltungen 7
Teil 1: Was ist ein System? • Systembegriff • Autopoiesis • Soziologische Systemtheorie • System und Umwelt • Triviale und nichttriviale Maschine • Nutzen des Systembegriffes 8
Systembegriff (1/4) Kriterien eines Systems: • Komplexität • aus unterschiedlichen Elementen zusammengesetzt • mehr als die Summe der Teile • belebt • (re)produziert seine Teile (und damit sich) selbst • Elemente materiell oder auch immateriell Merke: Wenn wir hier von einem „System“ sprechen, dann meinen wir immer etwas Lebendiges. 9
Systembegriff (2/4) Beispiele für Systeme: • Ein Tier (ein biologisches System) • Ein Mensch (biolog. System) • Ein Rudel (ein soziales System) • Ein Korallenriff (soz. Syst.) • Ein Team (soz. Syst.) • Eine Organisation (soz. Syst.) • Eine Familie (soz. Syst.) • Ein Dorf (soz. Syst.) • Das Wirtschaftssystem(soz. Syst.) • Die Gesellschaft (soz. Syst.) Merke: Ein System ist ein Lebewesen (biologisches System), aber auch eine Einheit, an der mehrere oder sehr viele Lebewesen beteiligt sind. 10
Systembegriff (3/4) Merkmale eines Systems: • Selbstorganisation • Systemleistung: Abgrenzung • Systemziel: Überleben • Betrachtungsfokus: System in seiner Umwelt (Luhmann) • Es besteht aus Systemelementen • Es interagiert mit Systemumwelten Merke: Der Begriff System ist nicht so sehr als fixe materielle Einheit zu betrachten. Es ist vielmehr eine Denkfigur, durch die es möglich wird, mit Einheiten, die Systemcharakter haben, adäquat umzugehen. 11
Systembegriff (4/4) Entstehungsgeschichte des Systembegriffes: • Die chilenischen Biologen • Humberto Maturana (*1928) und Francisco Varela (1946-2001) • Beschrieben typische Eigenschaften von Lebewesen • Prägten den Begriff Autopoiesis • Damit wird die Kerneigenschaft alles Lebendigen bezeichnet, nämlich die Selbsterhaltung und die Selbsterschaffung Merke: Autopoiesis bezeichnet die Fähigkeit von lebendigen Wesen, sich selbst und sein eigenes Verhalten ständig neu zu 12
Autopoiesis (1/9) Autopoiesis ist der Kernbegriff der biologischen Systemtheorie und eine Zusammenfassung der Eigenschaften, durch die ein lebendes System gekennzeichnet ist: • Klare Abgrenzung gegenüber der Umwelt • Das System besteht aus Elementen, die vom System selbst permanent reproduziert werden können. • Die Elemente stehen in Beziehung zueinander • Das Wesen des Systems wird nicht bloß durch die Elemente verkörpert, sondern durch die Beziehungen, welche zwischen den Elementen bestehen • Durch die Veränderung dieser Beziehungen verändert ein System seinen inneren Zustand permanent Merke: Systeme können unterschiedliche innere Zustände haben. 13
Autopoiesis (2/9) Autopoietisches Verhalten: • Damit ist gemeint, dass sich Systeme grundsätzlich autonom verhalten • Und zwar entlang ihrer eigenen Verhaltenslogik • Die Steuerung ist selbstreferentiell • das bedeutet, dass ein System die eigenen Steuerungsentscheidungen aus sich selbst heraus generiert Merke: Das Verhalten autopoietischer Systeme entsteht entlang eigenständiger Selbststeuerungsentscheidungen. 14
Autopoiesis, Beispiele (3/9) Ein Lebewesen • Ein Lebewesen besteht aus Zellen • Es kann diese Zellen reproduzieren • Z.B., wenn die Haut aufgeschürft wird, dann entsteht eine Beule oder eine Kruste und darunter wächst die Haut wieder nach und kann sich nahezu vollständig regenerieren, es bleibt höchstens eine Narbe • Das Phänomen der Autopoiesis sorgt dafür, dass die Zellelemente in der im genetisch vorgesehenen Bauplan festgelegten Beziehung zueinander bleiben • Die Zellen bleiben auch (aber nur kurz) bestehen, wenn das Lebewesen stirbt, aber • Wenn der Prozess des Lebens aufhört, endet auch die Regenerationsfähigkeit des Systems Merke: Nur lebende Systeme können ihre Elemente reproduzieren. 15
Autopoiesis, Beispiele (4/9) Ein Lebewesen • Das Lebewesen ist mehr als die Summe seiner Zellen • Die Beziehung, in der die Elemente zueinander stehen macht die Identität des Lebewesens aus • Es handelt sich um eine Austausch- und Kooperationsbeziehung zwischen den Elementen (Zellen) • Kann dieser Prozess nicht mehr fortgesetzt werden, endet das Leben Merke: Die laufenden Austausch- und Kooperationsbeziehungen der Elemente eines Systems machen das Wesen lebendig. 16
Autopoiesis, Beispiele (5/9) Ein Schwarm oder ein Rudel • Mehrere Tiere, die zueinander in Beziehung stehen • Die Tiere reproduzieren sich auch selbst, indem sie Nachwuchs zeugen und aufziehen • Sie reproduzieren aber auch permanent den Kommunikationsprozess, der sie als Schwarm zusammenhält • Das Verhalten im Schwarm oder im Rudel ist genetisch festgelegt • Dieses Verhalten verbessert die Überlebenschancen des einzelnen Individuums • Es hat sich deshalb als evolutionärer Vorteil in das genetisch festgelegte Verhaltensrepertoire der Tiere eingeprägt Merke: An einem System können auch mehrere Lebewesen beteiligt sein.17
Autopoiesis, Beispiele (6/9) Systeme mit mehr als einem Individuum nennen wir soziale Systeme. Man könnte auch sagen, die Elemente eines sozialen Systems sind nicht die Individuen, sondern die Elemente der Kommunikation, die zwischen den Tieren ständig ausgetauscht werden muss, damit das System „Schwarm“ oder „Rudel“ am Leben bleibt. Denn ohne Kommunikationsprozess zerfällt das Rudel, auch wenn die einzelnen Tiere weiterhin vorhanden sind Merke: Sind mehrere Individuen an einem System beteiligt, dann nennen wir es ein soziales System. 18
Autopoiesis, Beispiele (7/9) Ein Paar, eine Familie, ein Arbeitsteam • Auch Menschen sind oft an einem sozialen System beteiligt • Auch hier gehen wir der Frage nach, inwiefern diese Systeme ihre Elemente selbst reproduzieren • Bei einer Familie könnte man die Individuen noch als Elemente des Systems verstehen, die vom System selbst reproduziert werden: Die Familie erzeugt ihre eigenen Nachkommen. • Bei einem Arbeitsteam passt diese Vorstellung nicht, denn ein Arbeitsteam erzeugt nicht die eigenen Teammitglieder • Als Elemente kommen daher nur die Kommunikations- elemente in Betracht, die permanent neu erzeugt werden Merke: Als Elemente sozialer Systeme wollen wir nicht die beteiligten Individuen ansehen, sondern die Kommunikationselemente. 19
Autopoiesis, Beispiele (8/9) Eine Organisation, Firma, Partei, Gewerkschaft • Das alles sind soziale Systeme • Als ihre Elemente wollen wir nicht die Menschen ansehen, sondern die Kommunikationselemente, die fortwährend neu erzeugt werden • Jede Kommunikation zieht notwendigerweise eine Anschlusskommunikation nach sich und so erzeugt das System sich und seine Elemente laufend selbst Merke: Soziale Systeme erzeugen permanent neue Kommunikationselemente. 20
Autopoiesis, Beispiele (9/9) Biologische Systeme erzeugen die Elemente, aus denen sie bestehen (= Körperzellen) fortwährend selbst Soziale Systeme erzeugen die Elemente, aus denen sie bestehen (= Kommunikationselemente) auch fortwährend selbst. Mit der Denkfigur, die in einem sozialen System handelnden Individuen nicht als Teil des Systems anzusehen, schaffen wir eine Analogie zwischen biologischer und soziologischer Systemtheorie. Diese Überlegungen verdanken wir dem Begründer der soziologischen Systemtheorie, Niklas Luhmann. Merke: Aus den Erkenntnissen der biologischen Systemtheorie ist die soziologische Systemtheorie hervorgegangen. 21
Soziologische Systemtheorie (1/3) Der deutsche Soziologe Niklas Luhmann (1927-1998) hat versucht, die Erkenntnisse der biologischen Systemtheorie von Maturana/Varela auf sein Wissenschaftsgebiet anzuwenden: die Gesellschaft. Wir sprechen von der soziologischen Systemtheorie, wenn es sich um menschliche soziale Systeme handelt. Die Analogie, Kommunikation als Elemente eines Systems zu konzipieren, verdanken wir Niklas Luhmann. Merke: Niklas Luhmann gilt als Begründer der soziologischen Systemtheorie. 22
Soziologische Systemtheorie (2/3) • Soziale Systeme im Mikrobereich : z.B. ein Liebespaar, eine Familie • Soziale Systeme im Makrobereich: Die Gesellschaft, gesellschaftliche Subsysteme, wie das Wirtschaftssystem, das Sozialsystem, das Gesundheitssystem • Dazwischen: Firmen, Organisationen, Vereine, Kammern, NGOs, NPOs • Das alles sind soziale Systeme • Sie haben eine klare Grenze zu ihrer Umwelt, bestehen aus Kommunikationselementen und erzeugen ständig Anschlusskommunikation • Und zwar so lange, solange das System lebt Merke: Ein soziales System ist eine Einheit, die sich gegen die Umwelt abgrenzt und in der laufend Kommunikation stattfindet. 23
Soziologische Systemtheorie (3/3) Luhmann geht davon aus, dass die Beobachtungsperspektive für ein System immer das System in seiner Umwelt sein muss. Denn System und Umwelt beeinflussen sich wechselseitig. Ein System in/mit seiner Umwelt und Da Systeme im Austausch mit den umgebenden ihrer Umwelt sind, reagieren sie Systemen auf Veränderungen in dieser Umwelt. Merke: Luhmanns Beobachtungsperspektive ist das System in seiner Umwelt. 24
System und Umwelt (1/6) • Systeme sind eingebettet in unterschiedliche Umwelten mit denen sie in Beziehung stehen, interagieren und mit denen sie sich austauschen • Sie verhalten sich einerseits eigenständig, reagieren aber auf für sie relevante Veränderungen in der Umwelt • Um ihr Ziel (Überleben auf möglichst hohem Niveau) zu erreichen müssen sie sich adaptiv verhalten • Das bedeutet, wenn in der Umwelt eine Veränderung sattfindet, die das Überleben beeinträchtigen würde, dann muss das System sich so gut wie möglich anpassen, damit es weiterhin einen optimalen Nutzen aus dem Austausch mit der Umwelt ziehen kann. Merke: Systeme reagieren adaptiv auf Veränderungen in der Umwelt. 25
System und Umwelt (2/6) Es macht keinen Sinn, ein System für sich allein zu betrachten. Der Fokus sollte daher immer auf das System in seiner jeweiligen Umwelt gerichtet sein. Nur durch die Einbeziehung der Umwelt in die Betrachtung kann das Verhalten eines Systems erklärt werden. Das Verhalten eines Systems ist immer eine Funktion des inneren Zustandes des Systems UND der Umwelt. Merke: Ein System muss immer unter Einbezie- hung seiner jeweiligen Umwelt betrachtet werden. 26
System und Umwelt (3/6) System und Umwelt stellen eine gemeinsame Überlebenseinheit dar: Ein System, das seine relevanten Umwelten schädigt, schädigt sich selbst, die Überlebensfähigkeit wird eingeschränkt Beispiele: Werden zu tiefe Brunnen gegraben und wird zu viel Wasser entnommen, stirbt die gesamte Vegetation ab. Wer seine Kunden übervorteilt, verliert Glaubwürdigkeit und der Umsatz bricht ein. Merke: Ein System stellt mit seiner jeweiligen Umwelt eine Überlebenseinheit dar. 27
System und Umwelt (4/6) • Um auf Veränderungen in der Umwelt reagieren zu können braucht ein System Informationen über den Zustand seiner Umwelt und über die Vorgänge in dieser Umwelt. • Jedes System verfügt daher über Mechanismen mit denen es eine innere Repräsentanz dieser Umwelt erzeugen kann. • Je nach Qualität dieser inneren Repräsentanz kann es bessere oder weniger gute Entscheidungen über das eigene Verhalten treffen. • Beispielsweise können Tiere, die sehr gut sehen, besser ihre Beute erspähen oder früher vor Fressfeinden flüchten. • Das bedeutet, dass ein System umso erfolgreicher ist, je zuverlässiger ihm sein Kognitionssystem ein funktional brauchbares Bild seiner Umwelt vermittelt. Merke: Systeme brauchen um erfolgreich zu sein ein passendes Bild ihrer Umwelt. 28
System und Umwelt (5/6) Die kognitiven Fähigkeiten sind für Systeme erfolgsrelevant. Deshalb beschäftigt sich die Systemtheorie auch ganz besonders mit der Frage, wie ein System zu einem brauchbaren Bild seiner Umwelt kommt. Da kein System seine äußerst komplexe Umwelt vollständig und absolut realistisch abbilden kann, müssen einlangende Reize interpretiert und mit Sinnzusammenhängen belegt werden. Merke: Ein System interpretiert Vorgänge in der Umwelt, die als Nervenreize, in das Innere des Systems aufgenommen werden. 29
System und Umwelt (6/6) Die zur Systemtheorie passende Kognitionstheorie ist der Konstruktivismus. Der Konstruktivismus geht davon aus, dass wir mit unseren Sinnesorganen nur einen kleinen Ausschnitt der äußeren Wirklichkeit im Inneren abbilden können. Da dies aber der einzige Eindruck der äußeren Realität ist, den wir haben können, erachten wir das Bild, das wir gewinnen als eine vollständige und objektive Realität. Wir merken nicht, dass wir die Leerstellen und unklaren Eindrücke erst unbewusst im Gehirn zu einem ganzheitlichen Bild zusammensetzen indem wir die fehlenden oder unklaren Eindrücke durch unsere Phantasie, unsere Erfahrung und aufgrund unserer aktuellen Gefühlslage in einer uns plausibel erscheinenden Weise ergänzen. Merke: Systeme konstruieren sich ein passendes Bild ihrer Umwelt. 30
Triviale und nichttriviale Maschine (1/8) Der Österreicher Heinz von Foerster (1911-2002) hat versucht, den Unterschied zwischen einem System und einer Maschine mit den Adverbien trivial und nichttrivial deutlich zu machen. „Trivial“ bedeutet einfach oder gewöhnlich, „nichttrivial“ ungewöhnlich. Den Vergleich mit einer Maschine verwendet er deshalb, weil wir dazu neigen, lebende Systeme vor dem Hintergrund einer Maschinenmetapher zu beurteilen und zu behandeln. Wenn Systeme behandelt werden, wie Maschinen, dann sind in der Regel keine wünschenswerten Ergebnisse zu erwarten. Merke: Heinz von Foerster unterscheidet triviale und nichttriviale Maschinen. 31
Triviale und nichttriviale Maschine (2/8) • Unter einer trivialen Maschine versteht man eine typische Maschine, die von Menschen gebaut ist. • Sie ist unbelebt, kann ohne Schaden in seine Einzelteile zerlegt und wieder zusammengebaut werden, sie ist kompliziert, aber verstehbar und durchschaubar. • Sie funktioniert vorhersehbar, reagiert auf denselben Input immer erwartbar gleich. • Wenn eine triviale Maschine nicht funktioniert, dann kann sie repariert werden und dann funktioniert sie wieder genau vorhersehbar. Merke: Eine herkömmliche Maschine bezeichnet Heinz von Foerster als triviale Maschine. 32
Triviale und nichttriviale Maschine (3/8) Im Gegensatz zu einer herkömmlichen trivialen Maschine ist ein System (hier z. B. ein Paar) eine sogenannte „nichttriviale“ Maschine. • Es ist lebendig • Man kann es nicht zerlegen und zusammenbauen • Es ist nicht durchschaubar und nicht verstehbar • Es reagiert nicht vorhersehbar (auf den gleichen Input oft ganz unterschiedlich) • Es ist nicht kompliziert, sondern komplex Merke: Ein lebendes System bezeichnet Heinz von Foerster als nichttriviale Maschine. 33
Triviale und nichttriviale Maschine (4/8) • Eine triviale Maschine befindet sich in einem stabilen inneren Zustand. Das bedeutet, dass sie auf Inputs von Außen immer gleich reagiert. • Man könnte auch sagen: Das Verhalten einer Maschine ist eine Funktion der Umwelt. • Wenn ich als Umwelt der Maschine einen Knopf drücke, reagiert die Maschine immer in der gleichen, durch die Bauart der Maschine festgelegten Weise. Die Maschine selbst nimmt keinen Einfluss darauf, wie sie reagiert. Merke: Eine herkömmliche Maschine hat nur EINEN stabilen inneren Zustand. 34
Triviale und nichttriviale Maschine (5/8) Im Gegensatz zu einer herkömmlichen trivialen Maschine kann ein System (hier z. B. ein Team) unendlich viele innere Zustände aufweisen. • Es kann motiviert sein, oder frustriert • Sachorientiert oder beziehungsorientiert • Leistungsfähig oder erschöpft • Kooperativ oder egoistisch Und das alles in unterschiedlichen Ausprägungen. Je nach innerem Zustand reagiert das System anders. Das Verhalten eines Systems ist eine Funktion von System und Umwelt. Merke: Ein lebendes System kann unendlich viele innere Zustände aufweisen. 35
Triviale und nichttriviale Maschine (6/8) Hier zur Erklärung eine sehr einfache nichttriviale Maschine. Sie hat nur 2 innere Zustände: Gutmütig (1) und bockig (2). Sie hat 3 Knöpfe und 3 Lampen, rot, gelb und grün. Sie funktioniert wie eine Ampel. Drückt man grün, wechselt sie in den Zustand 1, drückt man rot, wechselt sie in den Zustand 2. Drückt man gelb, wechselt sie den Zustand nicht. Im gutmütigen Zustand leuchtet bei Drücken eines Knopfes die jeweils farblich passende Lampe. Im bockigen Zustand leuchtet beim Druck auf den grünen Knopf rot, beim Druck auf den gelben Knopf grün und beim Druck auf den roten Knopf die gelbe Lampe. 36
Triviale und nichttriviale Maschine (7/8) Stellen Sie sich die Maschine ohne die vorangegangene bzw. hier grafisch dargestellte Erklärung vor. Ein ahnungsloser Forscher müsste wohl sehr lange herumdrücken und ausprobieren, bis er die Wirkungsweise dieser sehr einfachen „nichttrivialen“ Maschine durchschaut hätte. 37
Triviale und nichttriviale Maschine (8/8) Genau genommen ist diese „nichttriviale“ Maschine mit 2 inneren Zuständen keine wirkliche nichttriviale Maschine, weil drei mögliche Inputs und zwei innere Zustände durchaus durchschaubar sind (zumindest nach der Erklärung). Eine richtige nichttriviale Maschine mit unendlich vielen inneren Zuständen wird niemals verstanden werden können. Eine triviale Maschine ist kompliziert, eine nichttriviale Maschine ist komplex. Merke: Eine Maschine ist kompliziert, ein lebendiges System ist komplex. 38
Nutzen des Systembegriffes (1/2) Die Unterscheidung in triviale und nichttriviale Maschinen, also in richtige Maschinen und lebendige Systeme ist von großer Bedeutung, weil leblose Maschinen und lebendige Systeme sich wesentlich voneinander unterscheiden. Wir sind es gewohnt, auch auf den Umgang mit lebenden Systemen eine Art Maschinenmetapher anzuwenden. Das heißt, wir tun so, als ob das Verhalten eines lebenden Systems durchschaubar, vorhersehbar oder steuerbar wäre. Merke: Ein lebendes System ist im Gegensatz zu einer Maschine nicht durchschaubar, vorhersehbar oder steuerbar. 39
Nutzen des Systembegriffes (2/2) Das ist aber nicht der Fall. Daher ist unser Umgang mit lebenden Systemen vielfach ineffizient. Wenn wir mit lebenden Systemen vor dem Hintergrund einer Maschinenmetapher umgehen, erreichen wir meistens nicht das, was wir wollen. Für einen passenden Umgang mit lebendigen Systemen brauchen wir eine andere Vorstellung, ein anderes Bild, ein anderes mentales Modell, einen anderen Begriff für alles, was lebt: Ein System. Merke: Für einen effizienten Umgang mit lebenden Systemen ist systemisches Denken erforderlich. 40
Literaturempfehlung (1/8) • Argyris, C. u. D. A. Schön (1999): Die lernende Organisation. Grundlagen, Methode, Praxis. Stuttgart (Klett-Cotta), dritte Auflage 2006. • Bateson, G. (1979): Geist und Natur. Eine notwendige Einheit. Suhrkamp, Frankfurt • Bateson, G. (1985): Ökologie des Geistes. Anthropologische, psychologische, biologische und epistemologische Perspektiven. Suhrkamp, Frankfurt • Bauer, G. (2013): Einführung in das systemische Sozialmanagement. Heidelberg (Carl Auer). • Bruch, H. u. B. Vogel (2005): Organisationale Energie. Wie Sie das Potential Ihrer Organisation ausschöpfen. Wiesbaden (Gabler). • Bruch, H. a. B. Vogel (2011): Fully charged: How great leaders boost their organization’s energy and ignite high performance. Boston (Harvard Business Review Press) • Bruch, H., B. Vogel und E. Morhart (2006): Organisationale Energie: Messen, Nutzen und Erhalten der produktiven Kraft von Unternehmen. Zeitschrift Führung + Organisation, Nr. 1, Jg. 75, S. 4-10. 41
Literaturempfehlung (2/8) • Brunsson, N. (2007): The consequences of decision-making. New York (Oxford University Press) Brunsson, N. (2002): The Organisation of Hypocrisy: Talk, Decisions and Actions in Organizations. 2nd ed., Abstrakt Liber, Oslo • Ciompi, L. (1997): Die emotionalen Grundlagen des Denkens. Entwurf einer fraktalen Affektlogik. 3. Auflage, 2005, Vandenhoeck &Ruprecht, Göttingen • Ciompi, L. (2002): Symbolische Affektkanalisation - eine therapeutische Grundfunktion von Ritualen. In: Rosmarie Welter-Enderlin, Bruno Hildenbrand (Hrsg.) (2002) Rituale - Vielfalt in Alltag und Therapie. Carl Auer Systeme Verlag, Heidelberg, S. 54-70 • Cummings, T. G., Worley, Ch. G., (2001): Essentials of Organization Development and Change. South-Western College Publishing, Cincinnati • De Shazer, S. u. Y. Dolan (2008): Mehr als ein Wunder. Lösungsfokussierte Kurztherapie heute. Heidelberg (Carl-Auer). • Drucker, P. (2002): Was ist Management? Das Beste aus 50 Jahren. 4. Auflage, 2005, Ullstein, Berlin 42
Literaturempfehlung (3/8) • Foerster, H. von (1990): Ethik und Kybernetik zweiter Ordnung. Vortrag, gehalten auf dem internationalen Kongress Systeme et therapie familiale in Paris am 4. Oktober 1990 • Foerster, H. v. (1998): Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners. Gespräche für Skeptiker. Heidelberg (Carl-Auer), 7. Aufl. 2006. • Gegen, K. J. u. M. Gergen (2009): Einführung in den sozialen Konstruktionismus. Heidelberg (Carl- Auer). • Hüther, G. (2011): Was wir sind und was wir sein könnten. Ein neurobiologischer Mutmacher. Frankfurt a. M. (S. Fischer), 10. Aufl. 2012. • Kahnemann, D. (2011): Schnelles Denken, langsames Denken. München (Siedler), 11. Aufl. • Kelley, H. a. J. Thibaut (1969): Group problem solving. In: Lindzey, G. a. E. Aronds (Eds.): The Handbook of Social Psychology Bd. 4, Reading MA (Addison-Wesley), S. 1-101. • König, O. u. K. Schattenhofer (2006): Einführung in die Gruppendynamik. Heidelberg (Carl-Auer), 2. Aufl. 2007. • Königswieser, R., Hillebrand, M. (2004): Einführung in die systemische Organisationsberatung. 2. Auflage, 2005, Carl Auer Systeme Verlag, Heidelberg 43
Literaturempfehlung (4/8) • Krainz, E. E. (2005): Erfahrungslernen in Laboratoriumssettings: Gruppendynamik und Organisationsentwicklung. In: Falk, G., Heintel, P., Krainz, E., (HRSG.) (2005): Handbuch Mediation und Konfliktmanagement, Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, S. 211-326 • Kübler-Ross, E. (1969): Interviews mit Sterbenden, 22. Auflage 1999, Kreuz Verlag, Stuttgart • Lohmer, M. (2000): Das Unbewusste im Unternehmen: Konzepte und Praxis psychodynamischer Organisationsberatung. In: Lohmer, M. (Hrsg.): Psychodynamische Organisationsberatung. Konflikte und Potentiale in Veränderungsprozessen. Stuttgart (Klett-Cotta), 2. Aufl. 2004, S. 18-39 • March, J. G. (1971): Die Technologie der Torheit. In: March, J. G., (1990): Entscheidung und Organisation, Gabler, Wiesbaden, S.281-296 • March, J. G., Simon, H. A. (1976): Organisation und Individuum. Menschliches Verhalten in Organisationen. Gabler, Wiesbaden 44
Literaturempfehlung (5/8) • Maturana, H. R. u. F. J. Varela (1987): Der Baum der Erkenntnis. Die biologischen Wurzeln menschlichen Erkennens. München (Goldmann), 12. Aufl. • Maywald, F. (2001): Der Narr und das Management, 2. Auflage, Gerling Akademie Verlag, München. • Pechtl, W. (1995): Zwischen Organismus und Organisation: Wegweiser und Modelle für Berater und Führungskräfte. Veritas, Linz • Riemann, F. (1990): Grundformen der Angst, 36. Auflage, 2006, Ernst-Reinhardt- Verlag, München • Schmidbauer, W. (1978): Die hilflosen Helfer: Über die seelische Problematik der helfenden Berufe. Rowohlt, Reinbek • Schmidbauer, W. (2007): Das Helfersyndrom. Hilfe für Helfer. Rowohlt, Reinbek • Schulz von Thun, F. (1981): Miteinander reden Störungen und Klärungen. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 45
Literaturempfehlung (6/8) • Senge, P. M. (2006): The Fifth Discipline. The Art & Practice of the Learning Organization, Doubleday, Random House, New York • Siegrist, J. (1996): Soziale Krisen und Gesundheit. Göttingen (Hogrefe). • Simon, F. B. u. CONECTA (1992): „Radikale“ Marktwirtschaft. Grundlagen der systemischen Managements. Heidelberg (Carl-Auer), 5. Aufl. 2005. • Simon, F. B. (2004): Gemeinsam sind wir blöd? Die Intelligenz von Unternehmen, Managern und Märkten, 2. Auflage, 2006, Carl Auer Systeme Verlag, Heidelberg • Simon, F. B. (2006): Einführung in Systemtheorie und Konstruktivismus. Heidelberg (Carl-Auer), 3. Aufl. 2008 • Simon, F. B. (2007): Die Kunst, nicht zu lernen und andere Paradoxien in Psychotherapie, Management und Politik …, 4. Auflage, Carl Auer Systeme Verlag, Heidelberg 46
Literaturempfehlung (7/8) • Simon, F. B. (2007): Einführung in die systemische Organisationstheorie. Heidelberg (Carl-Auer). • Simon, H. A. (1957): Administrative behaviour. New York (Free Press), 4. ed., 1997. • Sprenger, R. K. (1991): Mythos Motivation. Wege aus einer Sackgasse, 15. Auflage, Campus, Frankfurt New York • Steinkellner, P. (2005): systemische Intervention in der Mitarbeiterführung. Heidelberg (Carl Auer). • Stokes, J. (2000): The unconscious at work in groups and teams. Contributions from the work of Wilfred Bion. In: Obholzer, A. a. V. Z. Roberts (Eds.): The unconscious at work. Individual and organizational Stress in the human services. London/New York (Routledge), 12. Auflage, 2009, S. 19-27 • Watzlawick, P. (1976): Wie wirklich ist die Wirklichkeit? Wahn, Täuschung, Verstehen. München (Piper). 47
Literaturempfehlung (8/8) • Watzlawick, P. (1985): Die erfundene Wirklichkeit. Wie wissen wir, was wir zu wissen glauben. Beiträge zum Konstruktivismus 4. Auflage, 2005, Piper, München/Zürich • Weick, K. E. (1985): Der Prozess des Organisierens. Frankfurt a. M. (Suhrkamp). • Weick, K. E. (1995): Sensemaking in Organisations. Thousand Oaks (Sage). • Willke, H. (2006): Systemtheorie I: Grundlagen. Stuttgart 7. Auflage (Lucius & Lucius). • Willke, H. (2005): Systemtheorie II: Interventionstheorie: Stuttgart 4. Auflage (Lucius & Lucius). • Willke, H. (2014): Systemtheorie III: Steuerungstheorie. Stuttgart 4. Auflage (Lucius & Lucius). 48
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