T ierwel t - Zirkus um Wildtierverbot - Viehschauen in der Kritik - Tier im Recht

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T ierwel t - Zirkus um Wildtierverbot - Viehschauen in der Kritik - Tier im Recht
Tierwelt
  MEHR LESESPASS FÜR DIE GANZE FAMILIE       Nr. 22
                                             31. Mai 2018
                                             Fr. 6.–

                                                       NUTZTIERE
                                         Viehschauen
                                         in der Kritik
                                                       HAUSTIERE
                                              Ach du
                                         dicke Katze!

                                                        FOKUS

                          Zirkus um
                      Wildtierverbot
T ierwel t - Zirkus um Wildtierverbot - Viehschauen in der Kritik - Tier im Recht
FOKUS                                                                                                    FOKUS

                                  Streitfall
         Zirkustier
         Der Zirkuselefant ist in der Schweiz wohl bald ein Relikt. Tierschützer
         wollen es aber nicht dabei bewenden lassen und kämpfen dafür, gleich
         alle Wildtiere aus Schweizer Zirkussen zu verbannen. Im Fokus dieser

                                                                                                                    Bild: © Eky Studio / shutterstock.com
         Woche lassen wir zwei Seiten zu Wort kommen, deren Meinungen weit
         auseinanderklaffen. Und wir werfen einen Blick zurück in das, was die
         einen die «Goldene Zeit des Zirkus» nennen und die anderen als Tier-
         quälerei verurteilen. Mittendrin: Tiger, Giraffen – und der Zirkuselefant.

10   TIERWELT 22 | 31. MAI 2018                                                       TIERWELT 22 | 31. MAI 2018   11
T ierwel t - Zirkus um Wildtierverbot - Viehschauen in der Kritik - Tier im Recht
FOKUS                                                                                                                                                                                                                                                                                                                             FOKUS

                      Angriff auf die
                                                                                                                                                                                       doppelte im vergangenen Jahr mit einer Ti-
                                                                                                                                                                                       gernummer nach. Als sie das erfuhren, war
                                                                                                                                                                                       für Gerritsen und ihre Kolleginnen von «Vier
                                                                                                                                                                                       Pfoten» und «Pro Tier» klar: «Wir müssen
                                                                                                                                                                                       wieder mal etwas tun.»

                      Raubtiernummer                                                                                                                                                      «Wieder mal etwas tun» klingt etwas nach
                                                                                                                                                                                       willkürlichem Aktionismus. Doch den Tier-
                                                                                                                                                                                       schützern ist es ernst. Ihre Petition ist deutlich
                                                                                                                                                                                       ausformuliert mit einem ganzen Katalog von
                                                                                                                                                                                       Argumenten gegen die Wildtierhaltung im
                      Eine Gruppe von Tierschutzorganisationen will Zirkussen in der Schweiz verbieten,                                                                                Zirkus. In ihrer Summe sind sie kaum voll-
                      Wildtiere vorzuführen. Ausgerechnet dieses Jahr, wo weder Elefanten noch Tiger noch                                                                              umfänglich zu entkräften. Die Tiere hätten
                                                                                                                                                                                       zu wenig Platz, steht in der Petitionsschrift,
                      Löwen in Schweizer Manegen zu sehen sind. VON MATTHIAS GRÄUB                                                                                                     sie seien unterbeschäftigt, gestresst, unnatür-
                                                                                                                                                                                       lich nah am Menschen, sie würden in der              Vertreterinnen von «Vier Pfoten», «Tier im Recht» und «Pro Tier» reichen die Petition gegen
                                                                                                                                                                                       Manege vermenschlicht, lächerlich gemacht            Wildtiere im Zirkus ein. Mit dabei auch Juristin Vanessa Gerritsen (3. von links).

M
           itte März stand ein Löwe vor dem        in Bundesbern versammelten: Die Schachteln         Gerritsen, stellvertretende Geschäftsleiterin                                    und erniedrigt oder würden zu kurz nach
           Bundeshaus. Auf einem Zirkuspo-         beinhalteten die Unterschriften von rund           der Stiftung für das Tier im Recht.                                              ihrer Geburt von der Mutter getrennt.
           dest. Verantwortlich dafür war eine     70 000 Menschen, die mittels Petition (siehe          In Bundesbern geht man offenbar davon                                            Freilich trifft nicht jeder dieser Kritikpunk-
Gruppe von Tierschützerinnen und Tier-             Box Seite 13) vom Bundesrat ein Wildtierver-       aus, dass sich das Problem von selber löst,                                      te auf jedes Wildtier in jedem Zirkus zu. Die        von der Tierhaltung im Circus Royal über-          Wildtiere im Zirkus verbieten, wird immer
schützern, die ebenjenes Bild verbieten möch-      bot in Schweizer Zirkussen fordern.                dass die Schweizer Zirkusse nach und nach                                        Schweizer Zirkusse geben sich in aller Regel         zeugt und sagt, sie habe dort Tiere gesehen,       länger (siehe Karte Seite 14). Italien und Ir-
ten. «Für deinen Spass leide ich ein Leben            Es ist nicht das erste Mal, dass Tierschützer   auch ohne Verbot auf Wildtiere verzichten.                                       grösste Mühe, ihren Tieren so viel Platz wie         die Verhaltensstörungen gezeigt hätten. «Das       land ergänzten im Winter die Liste, die schon
lang», stand in Zirkusschrift neben dem Lö-        dafür kämpfen, Löwen, Tiger & Co. aus der          Die Zeiten der grossen Tiernummern, die                                          möglich zur Verfügung zu stellen. Dies aner-         ist ein deutliches Zeichen, dass den Tieren        mehr als 20 europäische Länder umfasst.
wen – auf der Rückseite von zusammenge-            Manege zu verbannen. Und die Bestrebungen          seien vorbei, dachten sich auch die Tierschüt-                                   kannte auch der Schweizer Tierschutz STS,            etwas fehlt und dass diese Haltung nicht ak-          Die Schweiz dürfte sich nicht dazugesellen.
puzzelten Kartonschachteln.                        schienen zeitweise auch zu fruchten: Nach          zer. Doch 2016 wurden sie bös ernüchtert,                                        der jedes Jahr einen Zirkusbericht veröffent-        zeptabel ist.»                                     Eine Interpellation der grünliberalen Natio-
   In ihnen verbirgt sich der Grund, weshalb       der Saison 2015 etwa hat der Circus Knie sei-      als gleich zwei Zirkusse mit neuen Löwen-                                        licht. Auch die Royal-Tigernummer von 2017               Ein Vorwurf, der Oliver Skreinig auf die       naltärin Isabelle Chevalley hat der Bundesrat
sich die Vertreterinnen von «Vier Pfoten», «Tier   ne Elefanten in den Ruhestand geschickt.           nummern aufwarteten: im Circus Gasser-                                           beurteilte der STS als «aus Tierschutzsicht          Palme bringt. Der Direktor des Circus Royal        Ende 2016 so beantwortet: «Die Schweizer
im Recht» und «Pro Tier» vor zwei Monaten          «Das haben wir sehr begrüsst», sagt Vanessa        Olympia sowie im Circus Royal. Letzterer                                         unproblematisch». Den Tieren seien keine             sagt: «Ich war erschrocken, wie wenig Ah-          Tierschutzgesetzgebung ist weltweit eine der
                                                                                                                                                                                       Kunststücke abverlangt worden und «der Um-           nung diese Organisationen haben.» Er meint         strengsten.» Andere Länder, deren Gesetzge-
                                                                                                                                                                                       gang des Dompteurs mit den Tigern war re-            damit die Vertreter von Vier Pfoten, Tier im       bung nicht so weit gehe, hätten daher ent-
                                                                                                                                                                                       spektvoll».                                          Recht und Pro Tier. «Es fehlt an Grundwissen       sprechende Verbote erlassen müssen. Doch
                                                                                                                                                                                                                                            über Wildtiere und über Tierhaltung im Zir-        hierzulande erachte es der Bundesrat «nicht
                                                                                                                                                                                       Verhaltensstörungen oder nicht?                      kus. Sie hatten ihre auswendig gelernten           als nötig, Wildtierhaltungen zu verbieten».
                                                                                                                                                                                       Und doch beharren der STS und die anderen            Phrasen, aber konnten keine einzige Frage             Für Vanessa Gerritsen ist diese strenge
                                                                                                                                                                                       Tierschutzorganisationen auf ihrer Position:         fundiert beantworten.»                             Gesetzgebung vor allem eine komplizierte
                                                                                                                                                                                       Grosskatzen gehören nicht in den Zirkus.                 Vor einem Jahr haben sich die beiden Par-      Gesetzgebung. «Die Schweiz will nie klare
                                                                                                                                                                                       «Der Platz in einem Zirkus ist nunmal be-            teien zum Gespräch getroffen. Vertreter der        Massnahmen ergreifen, das ist typisch», sagt
                                                                                                                                                                                       grenzt», sagt Vanessa Gerritsen. Sie hat sich        Tierschutzorganisationen waren dabei, Skrei-       sie. «Man will nichts verbieten, sondern kom-
                                                                                                                                                                                       letztes Jahr mit ihrer Organisation persönlich       nig ebenfalls. Dazu der bekannte Tierlehrer        plexe Gesetze entwickeln, die schwierig zu
                                                                                                                                                                                                                                            Martin Lacey, dessen Grosskatzen jeweils im        kontrollieren sind. Ein Verbot wäre klarer und
                                                                                                                                                                                                                                            Circus Royal zu Gast sind, sowie eine Wild-        einfacher durchzusetzen.»
                                                                                                                                                                                                                                            katzenspezialistin, die ein Gutachten über die
                                                                                                                                                                                       DIE PETITION                                         Tigerhaltung erstellt hatte. Laut Skreinig eins,   Die Krux mit den Mindestmassen
                                                                                                                                                                                                                                            das dem Zirkus Bestnoten bescheinigte und          Es geht dabei weniger um die Tiernummern
                                                                                                                                                                                       Die Petition ist ein politisches                     in dem von Verhaltensstörungen nicht die           selber als um die Tierhaltung im Zirkus. Die
                                                                                                                                                                                       Mittel, sich Gehör zu verschaffen.                   Rede war. «Und dann massen sich diese Leu-         ist nämlich streng geregelt. Aber das Tier-
                                                                                                                                                                                       Jede Person hat das Recht, sie                       te an, zu sagen: ‹Für Sie mag das so sein, aber    schutzgesetz lässt eine Menge Spielraum für
                                                                                                                                                                                       schriftlich ans Parlament, an den                    für uns ist das eine Verhaltensstörung›», regt     Ausnahmen. «Die Minimalbedingungen sind
                                                                                                                                                                                       Bundesrat oder an eine andere                        sich Skreinig über die Tierschützer auf.           sowieso schon problematisch», sagt Ger-
                                                                                                                                                                                       eidgenössische Behörde zu richten.                                                                      ritsen, «und die dürfen im Zirkus noch unter-
                                                                                                                                                                                       Anders als etwa bei einer Volks-                     Europaweit spriessen die Verbote                   schritten werden.»
                                                                                                                                                                                       initiative braucht es dafür keine                    Oliver Skreinig ist der wohl letzte lautstarke         Auf dem Papier hat die Juristin recht. Die
                                                                                                                                                                                       vorgeschriebene Anzahl Unter-                        Verfechter der grossen Tiernummern im              Tierschutzverordnung listet in einer langen
                                                                                                                                                                                       schriften; diese können lediglich                    Schweizer Zirkus. Der Nationalzirkus Knie          Tabelle jedes erdenkliche Wildtier auf und
                                                                                                                                                                                       dafür sorgen, das das Anliegen                       setzt in der Manege hauptsächlich auf Pferde,      daneben den minimalen Platz, der ihm zur
                                                                                                                                                                                       wichtiger oder dringlicher er-                       seit die Elefanten im Ruhestand sind. Der          Verfügung gestellt werden muss. Die Tabelle
                                                                                                                                                                                       scheint. Die angeschriebene                          Circus Gasser Olympia, 2016 noch mit Raub-         gilt für private Wildtierhalter, für Zoos, aber
                                                                                                                                                                                       Behörde hat die Forderung                            katzen unterwegs, tourt dieses Jahr mit Büsi –     auch für Zirkusse. Fünf Tiger zum Beispiel,
                                                                                                                                                       Bilder: © imago-stock.de; zVg

                                                                                                                                                                                       lediglich zur Kenntnis zu nehmen,                    genau, mit Hauskatzen. Und der Circus Mon-         wie sie der Circus Royal vergangenes Jahr hat-
                                                                                                                                                                                       unternehmen muss sie nichts. In                      ti hat schon 2011 den Entschluss gefasst, ganz     te, benötigen 140 Quadratmeter Aussengehe-
                                                                                                                                                                                       der Praxis erfolgt aber in der Regel                 ohne Tiere auf Tour zu gehen.                      ge und 75 Quadratmeter Innenraum.
Ob Tiger im Zirkus leiden oder sich wohlfühlen,                                                                                                                                        mindestens eine Antwort an die                           Auch international steht Skreinig zuneh-           Nun dürfen Zirkusse Tieren, die «regelmäs-
daran scheiden sich die Geister.                                                                                                                                                       Petitionssteller.                                    mend alleine da. Die Liste der Länder, die         sig in der Manege trainiert und vorgeführt

12   TIERWELT 22 | 31. MAI 2018                                                                                                                                                                                                                                                                              TIERWELT 22 | 31. MAI 2018    13
T ierwel t - Zirkus um Wildtierverbot - Viehschauen in der Kritik - Tier im Recht
FOKUS

werden», mit Ausnahmebewilligungen weni-          «Die Bedürftnisse solcher Tiere können wir              UMFRAGE
ger Platz zur Verfügung stellen. Ganze 30 Pro-    im Zirkus einfach nicht erfüllen.»
zent weniger. Und wenn dann immer noch               Und die pensionierten Knie-Elefanten?                Sind Sie für ein Wildtierverbot
zu wenig Platz ist, darf das Aussengehege         deren letzter Auftritt könnte auch das Ende             im Zirkus?
ausnahmsweise die Grösse des Innengeheges         einer Ära bedeuten. «Das wird sich in den
haben. Statt 140 Quadratmeter, wie eigent-        nächsten paar Jahrzehnten von selber erle-              > Ja, das ist Tierquälerei und nicht
lich vorgeschrieben, dürften die Tiere also       digen», sagt Skreinig. Es gibt nämlich ein                mehr zeitgemäss.
ausnahmsweise auf rund 50 Quadratmeter            Importverbot von Elefanten für Showzwe-                 > Nicht für ein generelles, aber
gehalten werden. Für Gerritsen unhaltbar.         cke. «Die letzten Zirkuselefanten sind Ende               gewisse Tiere haben im Zirkus
Und ihrer Meinung nach «ohne sachliche Be-        der Achtzigerjahre in die Schweiz gekom-                  nichts zu suchen.
gründung, sondern nur aus wirtschaftlichem        men.» Anders als bei den Grosskatzen hat es             > Nein, eine tolle Raubtiernummer
Entgegenkommen».                                  bei ihnen kaum je eine nennenswerte Nach-                 gehört zum Zirkuserlebnis.
   Oliver Skreinig nimmt dieses Entgegen-         zucht gegeben, also schlussfolgert Skreinig:
kommen nicht in Anspruch. Er sagt: «Ich habe      «Die Zirkuselefanten werden von selber aus-                    Stimmen Sie ab:
davon noch nie Gebrauch gemacht.» Sein            sterben.»                                                      www.tierwelt.ch
Zirkus überschreite jeweils die Mindestanfor-
derungen des Bundes. Er verteidigt die Tier-
haltung im Zirkus vehement und bläst seiner-
seits zur verbalen Gegenattacke: «Es wird
immer das Bild vermittelt, Zirkusse kaufen in
Afrika eingefangene Tiere, stecken die in ei-
nen Käfig und prügeln sie durch die Manege.
Aber das stimmt einfach nicht!»
   Im Gegenteil seien die Löwen und Tiger
seit mehr als zwanzig Generationen in
menschlicher Obhut und würden aufs
Strengste kontrolliert. «Und im Zirkus gibt es
kaum je Verstösse gegen das Tierschutzge-
setz. Wieso stelle ich diese Tierhaltung an den
Pranger und eine Haustierhaltung nicht?» Er
beantwortet seine Frage gleich selber: «Weil
es genau diese Leute sind, die die Tierschutz-
organisationen finanzieren.»

Zirkuselefanten sterben aus
Dieses Jahr ist der Circus Royal ohne Raub-
katzen auf Tournee. «Wir können dem Pub-
likum nicht jedes Jahr dasselbe Programm
bieten», begründet Skreinig den Entscheid.
Mit der Petition der Tierschützerinnen habe
das nichts zu tun. «Im Gegenteil, eigentlich
hätten wir erst recht auf unserer Position be-
harren müssen.»
   Auf der anderen Seite klingt es ähnlich. Es
sei nicht etwa unglücklich gelaufen, dass die
Petition ausgerechnet in einem Jahr einge-
reicht werde, in dem keine Raubtiernummern
in Schweizer Zirkussen zu sehen seien. «Man
hätte das sogar als Erfolg verbuchen können»,
sagt Vanessa Gerritsen. «Es ist gut möglich,
dass sich das Problem von selber löst. Wir
rechnen aber damit, dass Royal bald wieder
Wildtiere im Zirkus haben wird.» Eine Be-
fürchtung, die Oliver Skreinig bestätigen
kann. «Nächstes Jahr haben wir wieder Lö-                                WILDTIERVERBOTE IN EUROPAS ZIRKUSSEN
wen im Programm.»
   Ob die Schweiz nun irgendwann ein Wild-                               In mehr als zwei Dutzend europäischer Länder ist schon ein Wild-
                                                                                                                                                 Karte: © 3RUS / shutterstock.com

tierverbot im Zirkus erlässt oder nicht, es ist                          tierverbot im Zirkus beschlossen oder in Kraft. Die rot eingefärbten
damit zu rechnen, dass sich das Zirkustier-                              Staaten kennen ein absolutes, die orange eingefärbten ein teil-
Repertoire künftig auf einige wenige Arten                               weises Verbot. In Polen, Ungarn oder Estland sind etwa Tiere
beschränken wird. Wir werden kaum so bald                                verboten, die in freier Wildbahn gefangen wurden. In Finnland,
wieder Giraffen, Gorillas oder Schimpansen                               Schweden und Tschechien existiert ein Katalog von verbotenen
im Zirkus sehen, das will auch Skreinig nicht:                           Tierarten, während es in Portugal ein Fortpflanzungsverbot gibt.

14   TIERWELT 22 | 31. MAI 2018
T ierwel t - Zirkus um Wildtierverbot - Viehschauen in der Kritik - Tier im Recht
FOKUS                                                                                                                                                                                                                               FOKUS

Der Ritt auf der Giraffe
                     Die Faszination für exotische Tiere reicht von der Antike bis ins
                     20. Jahrhundert. Auch in Schweizer Zirkussen staunte das Publikum
                     über Riesenschlangen, Krokodile und Pinguine. VON LARS LEPPERHOFF

W
          ie ein Sonnenstrahl, der durch die     Brothers, die Schimpansen als Schleuder-          brachte er bei seiner Rückkehr zahlreiche
          Wolkendecke bricht, leuchten die       brett-Akrobaten zeigten.                          exotische Tiere mit nach Rom. Darunter war
          Scheinwerfer auf die Manege. Auf          Daneben wurden Pinguine in Wasser-             auch eine Giraffe. 1486 und erst wieder 1826
den Stirnen des Publikums zeichnen sich          shows gezeigt nebst Krokodilen und Riesen-        gelangten zwei weitere Langhälse nach Eu-
Runzeln ab, Gesichter mit fragenden Zügen        schlangen. Das sei in den Jahren 1952, 1969       ropa. Mit der Entdeckung neuer Erdteile und
leuchten fahl aus dem Dunkel. Das Gitter, das    und 1989 gewesen, erinnert sich Fredy Knie        der Kolonialisierung der Länder des Südens
die Requisiteure aufgestellt haben, lässt        jun. Es habe sich aber mehr um eine Präsen-       wurden immer mehr exotische Tiere nach
Raubtiere erahnen, doch wo bleiben die Po-       tation als um eine Dressur gehandelt. Zudem       Europa geliefert. Schausteller zogen mit Me-
deste Ein einzelnes, aches, grosses steht in     zeigte die Artistin Rositta Rayas 1979 bei Knie   nagerien durch weite Teile Europas. Für vie-
der Mitte. Und nun die Überraschung: Ein         verschiedene Riesenschlangen.                     le Menschen war das die einzige Möglichkeit,
Breitmaulnashorn trottet in die Manege. Wa-         Auch beim Circus Nock wurden bis Anfang        fremdländische Tiere zu sehen, denn zuvor
rum also das Gitter? Gleich wird es dem er-      des 21. Jahrhunderts exotische Tiere vorge-       wurden sie verborgen in den Palastgärten von
staunten Publikum klar, als ein Tiger folgt,     führt. Ab 1955 präsentierte Franz Nock erst-      Königen und Fürsten gehalten.
der sogar auf den Rücken des grossen Afri-       mals selber Lamas und Zebras. Die Tiere              Auch die Gründung bürgerlicher Zoos im
kaners springt und dort majestätisch posiert.    seien wegen ihrer Exotik ausgewählt worden.       19. Jahrhundert ermöglichte es einer breiten
   Die Szene spielt sich 1972 im Circus Knie     Auch die Lernfähigkeit spielte eine Rolle.        Schicht, exotische Tiere zu bestaunen. Wäh-
ab. Fredy Knie jun. zeigte die Nummer mit        «Man wägte ab, was beim Publikum ankam»,          rend Schausteller Tiere lediglich präsentier-
zwei exotischen Tieren. «Der Tiger wurde im      sagt Andrea Weiss, Medienbeauftragte des          ten und die meisten Zoos sie in Gehegen
Alter von sechs Monaten an das Breitmaul-        Circus Nock. Asiatische Elefanten und Raub-       zeigten, gingen einige oologische Gärten wie
nashorn gewöhnt», erinnert sich Knie. 1982       tiernummern waren ebenfalls Bestandteile          beispielsweise Hagenbeck in Hamburg dazu
war diese verblüffende Tiernummer noch-          des Programms. «Besonders bei den Raub-           über, Tiere auch zu dressieren. Hagenbeck
mals in Knies Programm zu sehen.                 tiernummern spürte man die Faszination der        entstand aus einem Tierhandelsbetrieb, des-
   Das Breitmaulnashorn Ceyla wurde einst        Zuschauer förmlich», sagt Weiss. In diesem        sen Besitzer und Angestellte exotische Tiere
im afrikanischen Busch gefangen und von          Jahr sind mit Pferden, Esel, Kamelen und          dressierten, um sie dann auch in Zoogehegen
Fredy Knie sen. erworben. Knie und später        Lamas domestizierte Tiere im Programm.            permanent zu zeigen. Erst später nahmen
sein Sohn führten es lediglich mit ihrer Stim-                                                     Zirkusse wie Nock und Knie, die mit Artisten
me und mit einem fingerdicken Stäbchen in        Auswahl aufgrund der Exotik                       durch das Land zogen, exotische Tiere ins
der Manege und sogar durch verkehrsreiche        Die Zirkusse erwarben Tiere meistens von          Programm auf.
Schweizer Stadtstrassen.                         Tierhändlern oder Zoos. So traf beispielswei-
                                                 se am 10. Juni 1938 die Asiatische Elefanten-
Fliegende Schimpansen                            kuh Sandri per Bahn vom Zoo Hagenbeck aus
Fredy Knie jun. erarbeitete eine weitere Num-    Hamburg beim Circus Knie in Thun ein. Sie                  ZIRKUSTIERE IN DER
mer mit einem Steppenbewohner: Er ritt auf       wurde vom tschechischen Tiertrainer Franz
einer Giraffe. «Sie hiess Lucky und lebte ab     Kraml begleitet und war mehrere Jahrzehnte
                                                                                                            WISSENSCHAFT
1960 bis zu ihrem Tod bei uns. Ich hatte von     bei Knie. Wie Sandri waren auch die anderen                Der Schweizer Zoodirektor,
Anfang an ein gutes Verhältnis zu ihr und        Tiere bereits an den Menschen gewöhnt. «Wir                Professor und Begründer der
konnte ohne Probleme auf ihr sitzen», sagt er.   bauen ein Vertrauensverhältnis auf, indem                  Tiergartenbiologie, Heini Hediger,
   Fredy Knie jun. trainierte auch Zebras, ein   wir uns systematisch mit ihnen beschäftigen»,              führte 1944 an den Knie-Elefanten
Flusspferd, Guanakos und Papageien. Es sei       sagt Fredy Knie jun. Tierlehrer unterstützen               Studien zum Schlafverhalten
jedes Mal eine neue Herausforderung gewe-        die Wildtiere in ihren natürlichen Verhaltens-             durch. Die Zirkuselefanten waren
sen, mit exotischen Tieren zu arbeiten, sagt     weisen und fördern Eigenheiten. Durch ihre                 an Betrieb gewöhnt und schliefen
er. «Das Besondere der Dressur ist, den Kon-     Präsenz und Stimme geben sie ihnen Sicher-                 auch ruhig, wenn er in ihrem Zelt
                                                                                                                                                   Bilder: Archiv Circus Knie; © Lightix / shutterstock.com

takt mit dem Tier aufzubauen.»                   heit, die Longe ist ein verlängerter Arm, der              war. Schlich er sich aber des Nachts
   Der Circus Knie ist bekannt für seine Tier-   die Tiere lediglich touchiert. Nur wenn sie                ins Elefantenhaus des Basler Zoos,
nummern. Das war nicht immer so. Erst seit       sich sicher fühlen in der Manege, zeigen sie               standen die Tiere sofort wieder auf.
1919 sind Tiere im Programm. Ein Jahr später     auch ihr natürliches Verhalten, sind nicht                 1936 führte Hediger Verhaltens-
wurden die ersten Wildtiere präsentiert; es      gestresst und machen gerne mit. Knie wählte                studien an den Tigern des tschechi-
waren Asiatische Elefanten. 1956 dann wie-       seine Tiere stets aufgrund ihrer Exotik aus,               schen Dompteurs Vojtech Trubka                                                                    Fredy Knie auf Lucky, der
der eine Elefantenpremiere bei Knie: Rolf        ihre Lernfähigkeit war verschieden.                        durch. Aus Hedigers Untersuchun-                                                                  einzigen Giraffe, die geritten
Knie sen. präsentierte sieben Afrikanische          Exotische Tiere ziehen Menschen seit der                gen resultierte 1961 das Buch                                                                     werden konnte.
Elefanten in der Manege. Ungewöhnlich war        Antike in ihren Bann. Als Julius Caesar 46 vor             «Tierpsychologie im Zoo und
1979 auch die Nummer der Great Niccolini         Christus seinen Sieg über Ägypten feierte,                 im Zirkus».

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