TAGUNG Zum Verhältnis von Demokratie und europäischer Integration
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TAGUNG Zum Verhältnis von Demokratie und europäischer Integration Katharina Joho* Die Begrifflichkeiten der Demokratie und der europäischen Integration werden in der Wis- Die EU und Demokratie senschaft kontrovers diskutiert. Was bedeutet Dreiländertagung der Österreichischen Gesell- eigentlich Demokratie und was versteht man schaft für Europaforschung (ECSA-Austria), des unter der europäischen Integration und letzt- Arbeitskreises Europäische Integration e.V. Deutschland (AEI) und der Schweizerischen lich ihrer Finalität? Der Umgang mit diesen Studiengesellschaft für die Europäische Integra- Begrifflichkeiten und ihrem Verhältnis zuein- tion (ECSA Suisse), an der Universität Luzern ander hängt stark davon ab, an welchem Leit- bild man sich orientiert. Entspricht dieses Luzern, 17./18. Oktober 2008 mehr dem Ideal des demokratischen National- Begrüßung staates des 19. Jahrhunderts oder aber einem Prof. Dr. Sandra LAVENEX, Vorsitzende ECSA der vielfältigen postmodernen Konzepte wie Suisse; Universität Luzern zum Beispiel dem der Multi-Level-Gover- nance-Theorie. Auch die Disziplin des for- Demokratie in der EU I schenden Wissenschaftlers spielt eine nicht Vorsitz: Prof. Dr. René SCHWOK, Universität Genf unerhebliche Rolle. Nicht zuletzt deswegen ist die Debatte um die Verbindung von euro- Der Wandel der Vorstellung über das Verhältnis von Integration und Demokratie seit dem Beginn päischer Integration und Demokratie und die der Integration oft geäußerte Prognose eines europäischen Prof. Dr. Heinrich SCHNEIDER, Universität Demokratiedefizits so vielfältig und schwie- Wien rig. Der Reformvertrag und die Demokratie Prof. Dr. Stefan GRILLER, Europainstitut an der Demokratie und Europäische Union so lautete Wirtschaftsuniversität Wien der schlichte Titel der IX. gemeinsamen inter- Institutionelle Ansätze zur Lösung des Demokra- disziplinären Tagung der Schweizerischen tiedefizits Studiengesellschaft für die Europäische Inte- Dr. Stefanie BAILER, Universität Zürich gration (ECSA Suisse), der Österreichischen Gesellschaft für Europaforschung (ECSA- Demokratie in der EU II Austria) und des Arbeitskreises Europäische Vorsitz: Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Peter-Christian MÜLLER-GRAFF, Universität Heidelberg Integration e.V. Deutschland (AEI e.V.). In verschiedenen Beiträgen äußerten sich Poli- Schaffung einer europäischen Öffentlichkeit tikwissenschaftler, Juristen und Ökonomen Prof. Dr. Hans-Jörg TRENZ, ARENA Centre for aus verschiedenen europäischen Ländern zum European Studies, Universität Oslo Zustand der Demokratie in der Europäischen Interaktion von EU und Demokratie im Rahmen Union, möglichen Reformen und ihren Rück- der Theorie über Multilayered Governance wirkungen auf die nationalen Systeme der Prof. Dr. Thomas COTTIER, Universität Bern EU-Mitgliedstaaten sowie auf mit der Euro- * Katharina Joho, Geschäftsführerin des Arbeitskreises Europäische Integration e.V.; Wissenschaftliche Mitar- beiterin, Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft, Freie Universität Berlin. https://doi.org/10.5771/0720-5120-2009-1-90 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 15.10.2021, 14:29:24. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Arbeitskreis Europäische Integration • Tagungen integration – 1/2009 91 päischen Union in Beziehung stehende Dritt- staaten. Auswirkungen der Europäisierung auf die Demokratie in Mitglied- und Nichtmitglied- Zum Verhältnis von Demokratie und europä- staaten Vorsitz: Prof. Dr. Fritz BREUSS, Europainstitut ischer Integration an der Wirtschaftsuniversität Wien Zunächst skizzierte Heinrich Schneider den Mehr Demokratie durch Frühwarnung? allgemeinen Wandel der Vorstellungen von Daniela KIETZ, Stiftung Wissenschaft und Poli- Demokratie im Verlauf der europäischen Inte- tik, Berlin gration. Während sich die europäischen Föde- Lessons the EU could draw from the Swiss case ralisten zu Beginn der europäischen Einigung in order to develop its own public sphere nach dem Zweiten Weltkrieg am Ideal des through legislative referendums föderalen Bundesstaates und damit der etatis- Prof. Dr. René SCHWOK, Universität Genf tischen Version von Demokratie verorteten, Is there a European impact on the domestic bestimmte nach dem Scheitern der Europä- policy process of small states? ischen Politischen Gemeinschaft und der Eu- Prof. Dr. Ioannis PAPADOPOULOS, Alexandre ropäischen Verteidigungsgemeinschaft in den AFONSO, Marie-Christine FONTANA, Univer- 1950er Jahren der Siegeszug der ‚Methode sität Lausanne Monnet‘ die Sicht auf das europäische Kon- strukt. Überlegungen zur Demokratiefähigkeit Externe Demokratieförderung der EU der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Vorsitz: Prof. Dr. Joachim BLATTER, Universi- tät Luzern und vor allem zu ihrer Legitimität rückten in den Hintergrund und das Europäische Parla- Externe Demokratieförderung der EU in der sek- ment fristete ein Schattendasein. toralen Perspektive Prof. Dr. Sandra LAVENEX, Universität Luzern; Erst mit der Aufgabenerweiterung der Euro- Prof. Dr. Frank SCHIMMELFENNIG, ETH päischen Wirtschaftsgemeinschaft in den Zürich; Tina FREYBURG, ETH Zürich 1960er Jahren sei es zu einem Ruf nach mehr Demokratieförderung im Mittelmeerraum demokratischer Legitimation gekommen und Vera van HÜLLEN, Freie Universität Berlin das Demokratiethema damit zum ‚evergreen‘ geworden. Nach Auffassung von Schneider Schlussfazit orientieren sich auch die heutigen Vorschläge noch im Wesentlichen an den Reformideen und Völkerrecht. All diese Rechtsebenen hät- und Leitvorstellungen der 1960er Jahre. ten die Einheit normativer Zielsetzungen ge- Wie sich die Demokratie in der Europäischen meinsam, vergleichbare Grundfunktionen und Union aus der Sicht des relativ jungen soge- würden einen Vertrauensschutz gewährleis- nannten Multi-Layered-Governance-Ansat- ten. Hinsichtlich der Frage nach der Legitimi- zes darstellt, zeigte Thomas Cottier aus tät des Rechts geht Cottier davon aus, dass rechtswissenschaftlicher Perspektive in sei- sich dieses durch verschiedene Komponenten nem Vortrag auf. legitimiere. Die demokratische Legitimation stelle zwar das zentrale Standbein dar, sei Entgegen der strengen traditionellen Tren- aber nicht das einzige. Weitere Komponenten nung zwischen nationalstaatlicher Souveräni- wie die Friedensfunktion, die Menschenrechte tät und anderen Räumen des Rechts müsse und allgemeinen Rechtsgrundsätze sowie die man sich das Verhältnis der verschiedenen Rationalität des Rechts würden miteinander Rechtsebenen als fünfstöckiges Haus vorstel- interagieren. Es sei damit von einer Pluralität len, bestehend aus kommunalen Verfassun- der Legitimationsquellen auszugehen, welche gen, Länderverfassungen, nationalen Verfas- auf den internationalen, europäischen und na- sungen, europäischem Gemeinschaftsrecht tionalen Rechtsebenen in jeweils unterschied- https://doi.org/10.5771/0720-5120-2009-1-90 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 15.10.2021, 14:29:24. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
92 integration – 1/2009 Arbeitskreis Europäische Integration • Tagungen licher Ausprägung – mal mehr mal weniger – Instrument der europäischen Bürgerinitiative zur Geltung kämen und in einem System der hin. Zweitens, konstatierte er, seien im Ver- ‚checks and balances‘ miteinander reagierten. trag von Lissabon hinsichtlich der Stärkung Letzteres sei besonders wichtig, da jede des Europäischen Parlaments hin zu einem Ebene versagen könne, durch das Verhältnis dem Rat gleichberechtigten Partner bedeut- der Gemeinwesen zueinander aber ein same Schritte verwirklicht worden. Ferner Rechtsschutz gewährt werde. Cottier nennt nannte er das dem Vertrag angehängte soge- hier das Beispiel der Solange-Rechtspre- nannte Subsidiaritätsprotokoll,3 das der Stär- chung1 des deutschen Bundesverfassungs- kung der nationalen Parlamente dienen solle. gerichts, welches sich in der Grundrecht- Vor allem die ersten beiden Elemente stellen sprechung einen Souveränitätsvorbehalt ge- für Griller einen bemerkenswerten, wenn schaffen habe, und damit einen absoluten auch nicht revolutionären Fortschritt in Rich- Vorrang europäischen Gemeinschaftsrechts tung einer besseren Legitimierung europä- verhindere. Cottier schloss mit der Frage, ob ischer Rechtsakte dar. hinsichtlich seiner Thesen dann eine Auswei- tung der Mehrheitsentscheidungen auf der eu- Mit dem dritten Element, dem Subsidiaritäts- ropäischen Ebene – wie häufig vorgeschlagen protokoll für die nationalen Parlamente, und – überhaupt noch die Antwort auf das ‚Demo- damit der Einführung eines sogenannten Sub- kratieproblem‘ sein könne. sidiaritäts-Frühwarnsystems, befasste sich Kietz in ihrem Vortrag und analysierte, ob Reformansätze für mehr Demokratie im Ver- dieser Mechanismus dem System der Europä- trag von Lissabon: Europäischer oder natio- ischen Union wirklich mehr Demokratie naler Parlamentarismus? bringe. Nach allgemeiner Auffassung gebe es zwei Wege, die Mitwirkung der nationalen Inwiefern der Vertrag von Lissabon eine Ant- Parlamente an der europäischen Gesetzge- wort auf das Demokratieproblem darstellen bung auszuweiten. Erstens könnten die natio- könnte erläuterten aus rechtswissenschaft- nalen Parlamente auf nationaler Ebene ge- licher Perspektive Stefan Griller und aus poli- stärkt werden und damit indirekt über ihre tikwissenschaftlicher Sicht Daniela Kietz und nationalen Regierungen mehr an der europä- beleuchteten die Rolle des Europäischen Par- ischen Gesetzgebung beteiligt werden. Zwei- laments und der nationalen Parlamente. tens könnte ihre Beteiligung über die Veran- kerung neuer Mitwirkungsrechte in den So stellte zunächst Griller die Frage, ob – europäischen Verträgen ausgeweitet werden. sollte der Vertrag von Lissabon in Kraft treten Während nach Auffassung von Kietz ein – er das vielerorts kritisierte Demokratiedefi- Konsens darüber herrsche, dass Ersteres Sa- zit lösen könne. Er betonte dabei die große che der Nationalstaaten sei, gäbe es keine ein- Bedeutung der Stärkung des Europäischen heitliche Meinung darüber, ob eine direkte Parlaments für die demokratische Legitima- Beteiligung der nationalen Parlamente über- tion europäischer Rechtsakte und zeigte drei haupt erwünscht sei und, wenn ja, in welcher Reformelemente des Vertrags von Lissabon Weise. So berge insbesondere das sogenannte auf, die dem Legitimationsanliegen Rechnung Subsidiaritäts-Frühwarnsystem einige Pro- trügen. Er wies erstens auf die in Titel II des bleme. Dieses verfolge ein seinem Zweck – Vertrags über die Europäische Union2 ge- der Überprüfung der Subsidiarität der europä- nannten demokratischen Grundsätze und das ischen Gesetzesvorhaben – gegensätzliches 1 Zum Solange I-Urteil siehe BVerfGE 37, 271 und zum Solange II-Urteil siehe BVerfGE 73, 339. 2 Vertrag über die Europäische Union in der konsolidierten Fassung des Lissabonner Vertrages, in: Amtsblatt der EU, Nr. C 115 vom 9. Mai 2008. 3 Protokoll (Nr. 2) über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit, in: Amts- blatt der EU, Nr. C 115 vom 9. Mai 2008, S. 206-209. https://doi.org/10.5771/0720-5120-2009-1-90 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 15.10.2021, 14:29:24. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Arbeitskreis Europäische Integration • Tagungen integration – 1/2009 93 Ziel, nämlich die Stärkung der nationalen Par- Parlaments, zweitens die Formalisierung der lamente. So könnte bei der Anwendung des Entscheidungsprozesse und drittens die Adap- Protokolls die Überprüfung der Subsidiarität tation der neuen Parlamentarier an die schon leicht zur Nebensache, die Überprüfung des im Europäischen Parlament praktizierten Ent- Inhalts der Gesetzesvorhaben zur Hauptsache scheidungsprozesse. Weder für die Oligarchi- werden und damit zum möglichen Instrument sierung noch für die Formalisierung gäbe es der nationalen Parlamente, vor allem aber bisher viel Evidenz, denn das Abstimmungs- auch ihrer nationalen Regierungen und der verhalten der EU-Parlamentarier habe sich Opposition, um ungewollte europäische Ge- nicht wesentlich geändert und auch die Frakti- setzgebungsvorhaben zu hemmen. onsdisziplin scheine überraschenderweise nicht beeinträchtigt. Als Erklärung hierfür Neben der Gefahr der Instrumentalisierung nannte sie das letzte Szenario, die Adaptation, der nationalen Parlamente über das Subsidia- gepaart mit einer gesteigerten Integrations- ritätsprotokoll sei aber auch auf die verschie- leistung der Fraktionsvorstände. Diese beiden denen, den nationalen Parlamenten zur Verfü- Faktoren seien auch schon bei vorhergehen- gung stehenden Ressourcen zu verweisen. So den Erweiterungen zu beobachten gewesen. könnten die als stark zu qualifizierenden Par- lamente das Subsidiaritätsprotokoll zwar zur Von der europäischen Öffentlichkeit zur Ausweitung ihrer Mitspracherechte nutzen, Schaffung direktdemokratischer Elemente seien aber eigentlich nicht darauf angewiesen, während die schwachen Parlamente es zwar Mit dem Zusammenhang von europäischer benötigten, aber aufgrund ihrer beschränkten Öffentlichkeit und Demokratie befassten sich Ressourcen kaum nutzen könnten. Damit – so ebenfalls aus politikwissenschaftlicher Pers- Kietz – überwögen die negativen Folgen, wie pektive Hans-Jörg Trenz und René Schwok. die der Gefahr der Instrumentalisierung und des negativen Diskurses über die europäische Einig waren sich beide Wissenschaftler in der Gesetzgebung, die positiven Folgen. Das Feststellung, dass von einer europäischen Öf- Frühwarnsystem sei für das Ziel der Auswei- fentlichkeit oder gar einem europäischen De- tung der demokratischen Beteiligung der nati- mos noch lange nicht gesprochen werden onalen Parlamente als nicht effizient zu quali- könne. Sie zeigten verschiedene Strategien fizieren. Der bessere Weg führe über die zur Schaffung einer europäischen Öffentlich- indirekte Stärkung der nationalen Parlamente keit und ihre Auswirkungen auf. innerhalb der nationalen Systeme und die oh- nehin nicht aufzuhaltende und in weiten Tei- So äußerte sich zunächst Trenz kritisch über len schon verwirklichte Vernetzung der natio- den Kausalzusammenhang zwischen der nalen Parlamente in der Konferenz der Schaffung von Öffentlichkeit und Demokra- Ausschüsse für Gemeinschafts- und Euro- tie, der durchaus zweischneidig sei, und paangelegenheiten der nationalen Parlamente fragte, inwiefern das Fehlen von intermediä- in der Europäischen Union (COSAC). ren Strukturen überhaupt ein Hindernis für die Demokratie in der Europäischen Union sei Auch die Politikwissenschaftlerin Stefanie und ob die Schaffung einer europäischen Öf- Bailer befasste sich mit dem europäischen fentlichkeit möglich sei. Deren Fehlen sei in Parlamentarismus und fragte, ob die Oster- der Vergangenheit vor allem von den euro- weiterung zu einer Verlangsamung der euro- päischen Eliten als Problem prognostiziert päischen Entscheidungsprozesse oder gar worden, eine Mobilisierung von unten, also Verschiebung der Machtverhältnisse inner- ausgehend vom Volk fehle aber noch weitest- halb des Europäischen Parlaments geführt gehend. Insbesondere die Möglichkeit der habe. Sie skizzierte drei mögliche Szenarien: Schaffung einer europäischen Öffentlichkeit erstens die Oligarchisierung des Europäischen über den Prozess einer europäischen Verfas- https://doi.org/10.5771/0720-5120-2009-1-90 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 15.10.2021, 14:29:24. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
94 integration – 1/2009 Arbeitskreis Europäische Integration • Tagungen sungsgebung wird von Trenz äußerst kritisch nis Papadopoulos, Marie-Christine Fontana gesehen. So hätten sich die Eliten mittlerweile und Alexandre Afonso; Sandra Lavenex, mehr und mehr in ihr eigenes Demokratiever- Frank Schimmelfennig und Tina Freyburg so- sprechen verstrickt und damit unrealistische wie Vera van Hüllen. Reformerwartungen bei den europäischen Bürgern geweckt. Diese hätten wiederum zu Zunächst stellten Papadopoulos, Fontana und negativen Diskursen über die Europäische Afonso ihr Forschungsprojekt über den Ein- Union und ihre weitere Konstitutionalisierung fluss der europäischen Integration auf die na- geführt. Eine europäische Öffentlichkeit sei tionalen politischen Entscheidungsprozesse demnach keine Konsensmaschine und führe kleiner Staaten vor. Konkreter Untersu- möglicherweise zu anderen Ergebnissen, als chungsgegenstand war hier die Auswirkung von den Eliten erwartet. Sie könne gar zu ei- der Europäisierung auf die Beziehungen zwi- ner Ablehnung der europäischen Integration schen Exekutive und Legislative und die Ent- führen. scheidungsfindung im Hinblick auf die Betei- ligung korporatistischer Strukturen in der Schwok sprach sich im Gegensatz zu Trenz Schweiz, Österreich, Belgien und Irland an- eindeutig für die Schaffung einer europä- hand von fünf Politikbereichen. Betrachtet ischen Öffentlichkeit aus. Seiner Ansicht nach wurden die Politikbereiche Pensionen, Ar- kann die Einführung direktdemokratischer beitslosigkeit, Freizügigkeit, Wettbewerb und Elemente im politischen Entscheidungssys- Liberalisierung des Elektrizitätssektors. tem der Europäischen Union zur Schaffung eines europäischen Raumes für die verschie- Vor allem hinsichtlich der Schweiz präsen- denen Völker Europas, damit zu einem besse- tierten sie schon erste Ergebnisse. Obwohl de- ren Identitätsgefühl und schlussendlich zu ren Nicht-Mitgliedschaft die Gefahr eines no- mehr Legitimität beitragen. Dies habe das torischen Demokratieverlustes im Fall von Beispiel der Schweiz gezeigt. Konkret for- autonomem Nachvollzug des EU-Rechts derte Schwok die Einführung eines optionalen berge, zeige ihre vergleichende Studie, dass legislativen Referendums auf EU-Ebene mit die Europäisierung nicht generell zu einem einfacher Mehrheit ohne Quorum. Dieses Erstarken der Exekutive vis-à-vis der Legisla- könne sich allerdings nur auf diejenige euro- tive und den zivilgesellschaftlichen Akteuren päische Gesetzgebung beziehen, die bereits führe, sondern dass letztere unter manchen vom Rat und vom Europäischen Parlament Umständen sogar gestärkt aus dem Europäi- beschlossen worden sei und müsse einen sierungsprozess hervorgingen. rechtsverbindlichen Charakter haben. Dieses Bezüglich der Rolle des europäischen Integra- Referendum mit seiner einfachen Mehrheit tionsprozesses bei der Konsolidierung neuer könnte dabei helfen, das Interesse der Men- Demokratien zeigte Freyburg anschließend – schen an der europäischen Integration zu we- unterstützt von Lavenex und Schimmelfennig cken, ihre Partizipation am Entscheidungspro- – in ihrem Vortrag zwei verschiedene Mecha- zess zu motivieren, und damit zur Schaffung nismen auf, durch die die Europäische Union einer europäischen Öffentlichkeit beitragen. über den Kreis der Beitrittskandidaten hinaus Wechselwirkungen europäischer Integration Demokratie fördere. Dies sei erstens der soge- mit nationalen Regierungssystemen nannte Leverage-Ansatz, wie er auch hin- sichtlich der Erweiterungspolitik zum Tragen Was das europäische System und seine Impli- komme, und zweitens der Linkage-Ansatz im kationen für die nationalen demokratischen Sinne der Förderung transnationaler Aus- Systeme bedeutet und inwiefern die Europä- tauschprozesse mit den jeweiligen Zivilge- ische Union als ‚Demokratisator‘ in Drittlän- sellschaften. Lavenex, Schimmelfennig und dern wirken kann, damit befassten sich Ioan- Freyburg untersuchten den Einfluss dieser https://doi.org/10.5771/0720-5120-2009-1-90 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 15.10.2021, 14:29:24. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Arbeitskreis Europäische Integration • Tagungen integration – 1/2009 95 Mechanismen und ihrer Vor- und Nachteile Debatte hierüber ist und wie kontrovers sie anhand von drei Länderbeispielen, nämlich vor allem im interdisziplinären Rahmen Marokko, Moldau und der Ukraine. bleibt. Van Hüllen beschäftigte sich abschließend Zwar war der Großteil der beteiligten Wissen- mit der Thematik der Demokratieförderung schaftler und Wissenschaftlerinnen sich da- im Mittelmeerraum und setzte sich mit der hingehend einig, dass die Europäische Union Frage auseinander, wie autoritäre Regime auf hinsichtlich ihrer Demokratiefähigkeit noch die Demokratisierungsansätze der Europä- fehlerhaft sei. Schon hinsichtlich der ersten ischen Union reagieren und welche Anreize Lösungsansätze ergaben sich aber große Dif- sie überhaupt dazu bringen, sich darauf ein- ferenzen, die – so die allgemeine Auffassung zulassen. Aus der Präsentation der ersten Er- – vor allem in den Begrifflichkeiten und den gebnisse ging hervor, dass die untersuchten damit verbundenen Herangehensweisen der Staaten unterschiedlich auf die EU-Demokra- verschiedenen Disziplinen zu suchen sind. tisierungspolitik reagierten und dies auf das Zusammenspiel dreier Faktoren zurückzufüh- So bleibt zu konstatieren, dass ohne die inter- ren sei, nämlich Kosten-Nutzen-Kalküle, Ad- disziplinäre Definition von Schlüsselbegriffen aptationsfähigkeit und die Passfähigkeit zwi- einer fachübergreifenden Europawissen- schen den nationalstaatlichen und den schaft ein kohärenter Umgang mit den euro- europäischen Normen. päischen Problemen nur schwer zu bewerk- Schlussbemerkung stelligen ist. Bevor nicht das Verständnis von Demokratie und europäischer Integration so- Das Verhältnis von Demokratie und europä- wie ihr Verhältnis zueinander einer interdiszi- ischer Integration wurde auf der Tagung aus plinären Klärung unterworfen werden, wird verschiedenen Blickwinkeln heraus erläutert. das europäische Demokratieproblem wohl un- Es ist deutlich geworden, wie vielfältig die gelöst bleiben. Feb_j_a\[bZ[h_c;K#C[^h[X[d[dioij[c ?dijhkc[dj[kdZIjhWj[]_[d[khef_iY^[dH[]_[h[di >[hWki][][X[dledFhe\$:h$>kX[hj>[_d[bjkdZ Fhe\$:h$C_Y^b[AdeZj (&&."))*I$"XheiY^$"(/"ÅÐ"?I8D/-.#)#.)(/#((-)#)
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