TAGUNG Zum Verhältnis von Demokratie und europäischer Integration

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TAGUNG

                     Zum Verhältnis von Demokratie und
                         europäischer Integration
                                             Katharina Joho*

Die Begrifflichkeiten der Demokratie und der
europäischen Integration werden in der Wis-                             Die EU und Demokratie
senschaft kontrovers diskutiert. Was bedeutet                   Dreiländertagung der Österreichischen Gesell-
eigentlich Demokratie und was versteht man                    schaft für Europaforschung (ECSA-Austria), des
unter der europäischen Integration und letzt-                     Arbeitskreises Europäische Integration e.V.
                                                                 Deutschland (AEI) und der Schweizerischen
lich ihrer Finalität? Der Umgang mit diesen                    Studiengesellschaft für die Europäische Integra-
Begrifflichkeiten und ihrem Verhältnis zuein-                   tion (ECSA Suisse), an der Universität Luzern
ander hängt stark davon ab, an welchem Leit-
bild man sich orientiert. Entspricht dieses                               Luzern, 17./18. Oktober 2008
mehr dem Ideal des demokratischen National-
                                                              Begrüßung
staates des 19. Jahrhunderts oder aber einem                  Prof. Dr. Sandra LAVENEX, Vorsitzende ECSA
der vielfältigen postmodernen Konzepte wie                    Suisse; Universität Luzern
zum Beispiel dem der Multi-Level-Gover-
nance-Theorie. Auch die Disziplin des for-                    Demokratie in der EU I
schenden Wissenschaftlers spielt eine nicht                   Vorsitz: Prof. Dr. René SCHWOK, Universität
                                                              Genf
unerhebliche Rolle. Nicht zuletzt deswegen
ist die Debatte um die Verbindung von euro-                   Der Wandel der Vorstellung über das Verhältnis
                                                              von Integration und Demokratie seit dem Beginn
päischer Integration und Demokratie und die                   der Integration
oft geäußerte Prognose eines europäischen                     Prof. Dr. Heinrich SCHNEIDER, Universität
Demokratiedefizits so vielfältig und schwie-                  Wien
rig.                                                          Der Reformvertrag und die Demokratie
                                                              Prof. Dr. Stefan GRILLER, Europainstitut an der
Demokratie und Europäische Union so lautete                   Wirtschaftsuniversität Wien
der schlichte Titel der IX. gemeinsamen inter-                Institutionelle Ansätze zur Lösung des Demokra-
disziplinären Tagung der Schweizerischen                      tiedefizits
Studiengesellschaft für die Europäische Inte-                 Dr. Stefanie BAILER, Universität Zürich
gration (ECSA Suisse), der Österreichischen
Gesellschaft für Europaforschung (ECSA-                       Demokratie in der EU II
Austria) und des Arbeitskreises Europäische                   Vorsitz: Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Peter-Christian
                                                              MÜLLER-GRAFF, Universität Heidelberg
Integration e.V. Deutschland (AEI e.V.). In
verschiedenen Beiträgen äußerten sich Poli-                   Schaffung einer europäischen Öffentlichkeit
tikwissenschaftler, Juristen und Ökonomen                     Prof. Dr. Hans-Jörg TRENZ, ARENA Centre for
aus verschiedenen europäischen Ländern zum                    European Studies, Universität Oslo
Zustand der Demokratie in der Europäischen                    Interaktion von EU und Demokratie im Rahmen
Union, möglichen Reformen und ihren Rück-                     der Theorie über Multilayered Governance
wirkungen auf die nationalen Systeme der                      Prof. Dr. Thomas COTTIER, Universität Bern
EU-Mitgliedstaaten sowie auf mit der Euro-

*   Katharina Joho, Geschäftsführerin des Arbeitskreises Europäische Integration e.V.; Wissenschaftliche Mitar-
    beiterin, Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft, Freie Universität Berlin.

                                    https://doi.org/10.5771/0720-5120-2009-1-90
                             Generiert durch IP '46.4.80.155', am 15.10.2021, 14:29:24.
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Arbeitskreis Europäische Integration • Tagungen                                          integration – 1/2009   91

päischen Union in Beziehung stehende Dritt-
staaten.                                                        Auswirkungen der Europäisierung auf die
                                                                Demokratie in Mitglied- und Nichtmitglied-
Zum Verhältnis von Demokratie und europä-                       staaten
                                                                Vorsitz: Prof. Dr. Fritz BREUSS, Europainstitut
ischer Integration
                                                                an der Wirtschaftsuniversität Wien
Zunächst skizzierte Heinrich Schneider den                      Mehr Demokratie durch Frühwarnung?
allgemeinen Wandel der Vorstellungen von                        Daniela KIETZ, Stiftung Wissenschaft und Poli-
Demokratie im Verlauf der europäischen Inte-                    tik, Berlin
gration. Während sich die europäischen Föde-                    Lessons the EU could draw from the Swiss case
ralisten zu Beginn der europäischen Einigung                    in order to develop its own public sphere
nach dem Zweiten Weltkrieg am Ideal des                         through legislative referendums
föderalen Bundesstaates und damit der etatis-                   Prof. Dr. René SCHWOK, Universität Genf
tischen Version von Demokratie verorteten,                      Is there a European impact on the domestic
bestimmte nach dem Scheitern der Europä-                        policy process of small states?
ischen Politischen Gemeinschaft und der Eu-                     Prof. Dr. Ioannis PAPADOPOULOS, Alexandre
ropäischen Verteidigungsgemeinschaft in den                     AFONSO, Marie-Christine FONTANA, Univer-
1950er Jahren der Siegeszug der ‚Methode                        sität Lausanne
Monnet‘ die Sicht auf das europäische Kon-
strukt. Überlegungen zur Demokratiefähigkeit                    Externe Demokratieförderung der EU
der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft                        Vorsitz: Prof. Dr. Joachim BLATTER, Universi-
                                                                tät Luzern
und vor allem zu ihrer Legitimität rückten in
den Hintergrund und das Europäische Parla-                      Externe Demokratieförderung der EU in der sek-
ment fristete ein Schattendasein.                               toralen Perspektive
                                                                Prof. Dr. Sandra LAVENEX, Universität Luzern;
Erst mit der Aufgabenerweiterung der Euro-                      Prof. Dr. Frank SCHIMMELFENNIG, ETH
päischen Wirtschaftsgemeinschaft in den                         Zürich; Tina FREYBURG, ETH Zürich
1960er Jahren sei es zu einem Ruf nach mehr                     Demokratieförderung im Mittelmeerraum
demokratischer Legitimation gekommen und                        Vera van HÜLLEN, Freie Universität Berlin
das Demokratiethema damit zum ‚evergreen‘
geworden. Nach Auffassung von Schneider                         Schlussfazit
orientieren sich auch die heutigen Vorschläge
noch im Wesentlichen an den Reformideen
                                                               und Völkerrecht. All diese Rechtsebenen hät-
und Leitvorstellungen der 1960er Jahre.
                                                               ten die Einheit normativer Zielsetzungen ge-
Wie sich die Demokratie in der Europäischen                    meinsam, vergleichbare Grundfunktionen und
Union aus der Sicht des relativ jungen soge-                   würden einen Vertrauensschutz gewährleis-
nannten Multi-Layered-Governance-Ansat-                        ten. Hinsichtlich der Frage nach der Legitimi-
zes darstellt, zeigte Thomas Cottier aus                       tät des Rechts geht Cottier davon aus, dass
rechtswissenschaftlicher Perspektive in sei-                   sich dieses durch verschiedene Komponenten
nem Vortrag auf.                                               legitimiere. Die demokratische Legitimation
                                                               stelle zwar das zentrale Standbein dar, sei
Entgegen der strengen traditionellen Tren-                     aber nicht das einzige. Weitere Komponenten
nung zwischen nationalstaatlicher Souveräni-                   wie die Friedensfunktion, die Menschenrechte
tät und anderen Räumen des Rechts müsse                        und allgemeinen Rechtsgrundsätze sowie die
man sich das Verhältnis der verschiedenen                      Rationalität des Rechts würden miteinander
Rechtsebenen als fünfstöckiges Haus vorstel-                   interagieren. Es sei damit von einer Pluralität
len, bestehend aus kommunalen Verfassun-                       der Legitimationsquellen auszugehen, welche
gen, Länderverfassungen, nationalen Verfas-                    auf den internationalen, europäischen und na-
sungen, europäischem Gemeinschaftsrecht                        tionalen Rechtsebenen in jeweils unterschied-

                                        https://doi.org/10.5771/0720-5120-2009-1-90
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licher Ausprägung – mal mehr mal weniger –                    Instrument der europäischen Bürgerinitiative
zur Geltung kämen und in einem System der                     hin. Zweitens, konstatierte er, seien im Ver-
‚checks and balances‘ miteinander reagierten.                 trag von Lissabon hinsichtlich der Stärkung
Letzteres sei besonders wichtig, da jede                      des Europäischen Parlaments hin zu einem
Ebene versagen könne, durch das Verhältnis                    dem Rat gleichberechtigten Partner bedeut-
der Gemeinwesen zueinander aber ein                           same Schritte verwirklicht worden. Ferner
Rechtsschutz gewährt werde. Cottier nennt                     nannte er das dem Vertrag angehängte soge-
hier das Beispiel der Solange-Rechtspre-                      nannte Subsidiaritätsprotokoll,3 das der Stär-
chung1 des deutschen Bundesverfassungs-                       kung der nationalen Parlamente dienen solle.
gerichts, welches sich in der Grundrecht-                     Vor allem die ersten beiden Elemente stellen
sprechung einen Souveränitätsvorbehalt ge-                    für Griller einen bemerkenswerten, wenn
schaffen habe, und damit einen absoluten                      auch nicht revolutionären Fortschritt in Rich-
Vorrang europäischen Gemeinschaftsrechts                      tung einer besseren Legitimierung europä-
verhindere. Cottier schloss mit der Frage, ob                 ischer Rechtsakte dar.
hinsichtlich seiner Thesen dann eine Auswei-
tung der Mehrheitsentscheidungen auf der eu-                  Mit dem dritten Element, dem Subsidiaritäts-
ropäischen Ebene – wie häufig vorgeschlagen                   protokoll für die nationalen Parlamente, und
– überhaupt noch die Antwort auf das ‚Demo-                   damit der Einführung eines sogenannten Sub-
kratieproblem‘ sein könne.                                    sidiaritäts-Frühwarnsystems, befasste sich
                                                              Kietz in ihrem Vortrag und analysierte, ob
Reformansätze für mehr Demokratie im Ver-                     dieser Mechanismus dem System der Europä-
trag von Lissabon: Europäischer oder natio-                   ischen Union wirklich mehr Demokratie
naler Parlamentarismus?                                       bringe. Nach allgemeiner Auffassung gebe es
                                                              zwei Wege, die Mitwirkung der nationalen
Inwiefern der Vertrag von Lissabon eine Ant-                  Parlamente an der europäischen Gesetzge-
wort auf das Demokratieproblem darstellen                     bung auszuweiten. Erstens könnten die natio-
könnte erläuterten aus rechtswissenschaft-                    nalen Parlamente auf nationaler Ebene ge-
licher Perspektive Stefan Griller und aus poli-               stärkt werden und damit indirekt über ihre
tikwissenschaftlicher Sicht Daniela Kietz und                 nationalen Regierungen mehr an der europä-
beleuchteten die Rolle des Europäischen Par-                  ischen Gesetzgebung beteiligt werden. Zwei-
laments und der nationalen Parlamente.                        tens könnte ihre Beteiligung über die Veran-
                                                              kerung neuer Mitwirkungsrechte in den
So stellte zunächst Griller die Frage, ob –                   europäischen Verträgen ausgeweitet werden.
sollte der Vertrag von Lissabon in Kraft treten               Während nach Auffassung von Kietz ein
– er das vielerorts kritisierte Demokratiedefi-               Konsens darüber herrsche, dass Ersteres Sa-
zit lösen könne. Er betonte dabei die große                   che der Nationalstaaten sei, gäbe es keine ein-
Bedeutung der Stärkung des Europäischen                       heitliche Meinung darüber, ob eine direkte
Parlaments für die demokratische Legitima-                    Beteiligung der nationalen Parlamente über-
tion europäischer Rechtsakte und zeigte drei                  haupt erwünscht sei und, wenn ja, in welcher
Reformelemente des Vertrags von Lissabon                      Weise. So berge insbesondere das sogenannte
auf, die dem Legitimationsanliegen Rechnung                   Subsidiaritäts-Frühwarnsystem einige Pro-
trügen. Er wies erstens auf die in Titel II des               bleme. Dieses verfolge ein seinem Zweck –
Vertrags über die Europäische Union2 ge-                      der Überprüfung der Subsidiarität der europä-
nannten demokratischen Grundsätze und das                     ischen Gesetzesvorhaben – gegensätzliches

1    Zum Solange I-Urteil siehe BVerfGE 37, 271 und zum Solange II-Urteil siehe BVerfGE 73, 339.
2    Vertrag über die Europäische Union in der konsolidierten Fassung des Lissabonner Vertrages, in: Amtsblatt
     der EU, Nr. C 115 vom 9. Mai 2008.
3    Protokoll (Nr. 2) über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit, in: Amts-
     blatt der EU, Nr. C 115 vom 9. Mai 2008, S. 206-209.

                                     https://doi.org/10.5771/0720-5120-2009-1-90
                              Generiert durch IP '46.4.80.155', am 15.10.2021, 14:29:24.
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Arbeitskreis Europäische Integration • Tagungen                                          integration – 1/2009   93

Ziel, nämlich die Stärkung der nationalen Par-                 Parlaments, zweitens die Formalisierung der
lamente. So könnte bei der Anwendung des                       Entscheidungsprozesse und drittens die Adap-
Protokolls die Überprüfung der Subsidiarität                   tation der neuen Parlamentarier an die schon
leicht zur Nebensache, die Überprüfung des                     im Europäischen Parlament praktizierten Ent-
Inhalts der Gesetzesvorhaben zur Hauptsache                    scheidungsprozesse. Weder für die Oligarchi-
werden und damit zum möglichen Instrument                      sierung noch für die Formalisierung gäbe es
der nationalen Parlamente, vor allem aber                      bisher viel Evidenz, denn das Abstimmungs-
auch ihrer nationalen Regierungen und der                      verhalten der EU-Parlamentarier habe sich
Opposition, um ungewollte europäische Ge-                      nicht wesentlich geändert und auch die Frakti-
setzgebungsvorhaben zu hemmen.                                 onsdisziplin scheine überraschenderweise
                                                               nicht beeinträchtigt. Als Erklärung hierfür
Neben der Gefahr der Instrumentalisierung                      nannte sie das letzte Szenario, die Adaptation,
der nationalen Parlamente über das Subsidia-                   gepaart mit einer gesteigerten Integrations-
ritätsprotokoll sei aber auch auf die verschie-                leistung der Fraktionsvorstände. Diese beiden
denen, den nationalen Parlamenten zur Verfü-                   Faktoren seien auch schon bei vorhergehen-
gung stehenden Ressourcen zu verweisen. So                     den Erweiterungen zu beobachten gewesen.
könnten die als stark zu qualifizierenden Par-
lamente das Subsidiaritätsprotokoll zwar zur                   Von der europäischen Öffentlichkeit zur
Ausweitung ihrer Mitspracherechte nutzen,                      Schaffung direktdemokratischer Elemente
seien aber eigentlich nicht darauf angewiesen,
während die schwachen Parlamente es zwar                       Mit dem Zusammenhang von europäischer
benötigten, aber aufgrund ihrer beschränkten                   Öffentlichkeit und Demokratie befassten sich
Ressourcen kaum nutzen könnten. Damit – so                     ebenfalls aus politikwissenschaftlicher Pers-
Kietz – überwögen die negativen Folgen, wie                    pektive Hans-Jörg Trenz und René Schwok.
die der Gefahr der Instrumentalisierung und
des negativen Diskurses über die europäische                   Einig waren sich beide Wissenschaftler in der
Gesetzgebung, die positiven Folgen. Das                        Feststellung, dass von einer europäischen Öf-
Frühwarnsystem sei für das Ziel der Auswei-                    fentlichkeit oder gar einem europäischen De-
tung der demokratischen Beteiligung der nati-                  mos noch lange nicht gesprochen werden
onalen Parlamente als nicht effizient zu quali-                könne. Sie zeigten verschiedene Strategien
fizieren. Der bessere Weg führe über die                       zur Schaffung einer europäischen Öffentlich-
indirekte Stärkung der nationalen Parlamente                   keit und ihre Auswirkungen auf.
innerhalb der nationalen Systeme und die oh-
nehin nicht aufzuhaltende und in weiten Tei-                   So äußerte sich zunächst Trenz kritisch über
len schon verwirklichte Vernetzung der natio-                  den Kausalzusammenhang zwischen der
nalen Parlamente in der Konferenz der                          Schaffung von Öffentlichkeit und Demokra-
Ausschüsse für Gemeinschafts- und Euro-                        tie, der durchaus zweischneidig sei, und
paangelegenheiten der nationalen Parlamente                    fragte, inwiefern das Fehlen von intermediä-
in der Europäischen Union (COSAC).                             ren Strukturen überhaupt ein Hindernis für die
                                                               Demokratie in der Europäischen Union sei
Auch die Politikwissenschaftlerin Stefanie                     und ob die Schaffung einer europäischen Öf-
Bailer befasste sich mit dem europäischen                      fentlichkeit möglich sei. Deren Fehlen sei in
Parlamentarismus und fragte, ob die Oster-                     der Vergangenheit vor allem von den euro-
weiterung zu einer Verlangsamung der euro-                     päischen Eliten als Problem prognostiziert
päischen Entscheidungsprozesse oder gar                        worden, eine Mobilisierung von unten, also
Verschiebung der Machtverhältnisse inner-                      ausgehend vom Volk fehle aber noch weitest-
halb des Europäischen Parlaments geführt                       gehend. Insbesondere die Möglichkeit der
habe. Sie skizzierte drei mögliche Szenarien:                  Schaffung einer europäischen Öffentlichkeit
erstens die Oligarchisierung des Europäischen                  über den Prozess einer europäischen Verfas-

                                        https://doi.org/10.5771/0720-5120-2009-1-90
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sungsgebung wird von Trenz äußerst kritisch                  nis Papadopoulos, Marie-Christine Fontana
gesehen. So hätten sich die Eliten mittlerweile              und Alexandre Afonso; Sandra Lavenex,
mehr und mehr in ihr eigenes Demokratiever-                  Frank Schimmelfennig und Tina Freyburg so-
sprechen verstrickt und damit unrealistische                 wie Vera van Hüllen.
Reformerwartungen bei den europäischen
Bürgern geweckt. Diese hätten wiederum zu                    Zunächst stellten Papadopoulos, Fontana und
negativen Diskursen über die Europäische                     Afonso ihr Forschungsprojekt über den Ein-
Union und ihre weitere Konstitutionalisierung                fluss der europäischen Integration auf die na-
geführt. Eine europäische Öffentlichkeit sei                 tionalen politischen Entscheidungsprozesse
demnach keine Konsensmaschine und führe                      kleiner Staaten vor. Konkreter Untersu-
möglicherweise zu anderen Ergebnissen, als                   chungsgegenstand war hier die Auswirkung
von den Eliten erwartet. Sie könne gar zu ei-                der Europäisierung auf die Beziehungen zwi-
ner Ablehnung der europäischen Integration                   schen Exekutive und Legislative und die Ent-
führen.                                                      scheidungsfindung im Hinblick auf die Betei-
                                                             ligung korporatistischer Strukturen in der
Schwok sprach sich im Gegensatz zu Trenz                     Schweiz, Österreich, Belgien und Irland an-
eindeutig für die Schaffung einer europä-                    hand von fünf Politikbereichen. Betrachtet
ischen Öffentlichkeit aus. Seiner Ansicht nach               wurden die Politikbereiche Pensionen, Ar-
kann die Einführung direktdemokratischer                     beitslosigkeit, Freizügigkeit, Wettbewerb und
Elemente im politischen Entscheidungssys-                    Liberalisierung des Elektrizitätssektors.
tem der Europäischen Union zur Schaffung
eines europäischen Raumes für die verschie-                  Vor allem hinsichtlich der Schweiz präsen-
denen Völker Europas, damit zu einem besse-                  tierten sie schon erste Ergebnisse. Obwohl de-
ren Identitätsgefühl und schlussendlich zu                   ren Nicht-Mitgliedschaft die Gefahr eines no-
mehr Legitimität beitragen. Dies habe das                    torischen Demokratieverlustes im Fall von
Beispiel der Schweiz gezeigt. Konkret for-                   autonomem Nachvollzug des EU-Rechts
derte Schwok die Einführung eines optionalen                 berge, zeige ihre vergleichende Studie, dass
legislativen Referendums auf EU-Ebene mit                    die Europäisierung nicht generell zu einem
einfacher Mehrheit ohne Quorum. Dieses                       Erstarken der Exekutive vis-à-vis der Legisla-
könne sich allerdings nur auf diejenige euro-                tive und den zivilgesellschaftlichen Akteuren
päische Gesetzgebung beziehen, die bereits                   führe, sondern dass letztere unter manchen
vom Rat und vom Europäischen Parlament                       Umständen sogar gestärkt aus dem Europäi-
beschlossen worden sei und müsse einen                       sierungsprozess hervorgingen.
rechtsverbindlichen Charakter haben. Dieses
                                                             Bezüglich der Rolle des europäischen Integra-
Referendum mit seiner einfachen Mehrheit
                                                             tionsprozesses bei der Konsolidierung neuer
könnte dabei helfen, das Interesse der Men-
                                                             Demokratien zeigte Freyburg anschließend –
schen an der europäischen Integration zu we-
                                                             unterstützt von Lavenex und Schimmelfennig
cken, ihre Partizipation am Entscheidungspro-
                                                             – in ihrem Vortrag zwei verschiedene Mecha-
zess zu motivieren, und damit zur Schaffung
                                                             nismen auf, durch die die Europäische Union
einer europäischen Öffentlichkeit beitragen.
                                                             über den Kreis der Beitrittskandidaten hinaus
Wechselwirkungen europäischer Integration                    Demokratie fördere. Dies sei erstens der soge-
mit nationalen Regierungssystemen                            nannte Leverage-Ansatz, wie er auch hin-
                                                             sichtlich der Erweiterungspolitik zum Tragen
Was das europäische System und seine Impli-                  komme, und zweitens der Linkage-Ansatz im
kationen für die nationalen demokratischen                   Sinne der Förderung transnationaler Aus-
Systeme bedeutet und inwiefern die Europä-                   tauschprozesse mit den jeweiligen Zivilge-
ische Union als ‚Demokratisator‘ in Drittlän-                sellschaften. Lavenex, Schimmelfennig und
dern wirken kann, damit befassten sich Ioan-                 Freyburg untersuchten den Einfluss dieser

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Mechanismen und ihrer Vor- und Nachteile                       Debatte hierüber ist und wie kontrovers sie
anhand von drei Länderbeispielen, nämlich                      vor allem im interdisziplinären Rahmen
Marokko, Moldau und der Ukraine.                               bleibt.

Van Hüllen beschäftigte sich abschließend                      Zwar war der Großteil der beteiligten Wissen-
mit der Thematik der Demokratieförderung                       schaftler und Wissenschaftlerinnen sich da-
im Mittelmeerraum und setzte sich mit der                      hingehend einig, dass die Europäische Union
Frage auseinander, wie autoritäre Regime auf                   hinsichtlich ihrer Demokratiefähigkeit noch
die Demokratisierungsansätze der Europä-                       fehlerhaft sei. Schon hinsichtlich der ersten
ischen Union reagieren und welche Anreize                      Lösungsansätze ergaben sich aber große Dif-
sie überhaupt dazu bringen, sich darauf ein-                   ferenzen, die – so die allgemeine Auffassung
zulassen. Aus der Präsentation der ersten Er-                  – vor allem in den Begrifflichkeiten und den
gebnisse ging hervor, dass die untersuchten                    damit verbundenen Herangehensweisen der
Staaten unterschiedlich auf die EU-Demokra-
                                                               verschiedenen Disziplinen zu suchen sind.
tisierungspolitik reagierten und dies auf das
Zusammenspiel dreier Faktoren zurückzufüh-                     So bleibt zu konstatieren, dass ohne die inter-
ren sei, nämlich Kosten-Nutzen-Kalküle, Ad-                    disziplinäre Definition von Schlüsselbegriffen
aptationsfähigkeit und die Passfähigkeit zwi-                  einer fachübergreifenden Europawissen-
schen den nationalstaatlichen und den                          schaft ein kohärenter Umgang mit den euro-
europäischen Normen.                                           päischen Problemen nur schwer zu bewerk-
Schlussbemerkung                                               stelligen ist. Bevor nicht das Verständnis von
                                                               Demokratie und europäischer Integration so-
Das Verhältnis von Demokratie und europä-                      wie ihr Verhältnis zueinander einer interdiszi-
ischer Integration wurde auf der Tagung aus                    plinären Klärung unterworfen werden, wird
verschiedenen Blickwinkeln heraus erläutert.                   das europäische Demokratieproblem wohl un-
Es ist deutlich geworden, wie vielfältig die                   gelöst bleiben.

                                               Feb_j_a\[bZ[h_c;K#C[^h[X[d[dioij[c
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