Tagungsband VIERTES NATIONALES RESSOURCENFORUM - und 5. März 2021 - Systemiq

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Tagungsband VIERTES NATIONALES RESSOURCENFORUM - und 5. März 2021 - Systemiq
VIERTES NATIONALES
 RESSOURCENFORUM

Tagungsband

               Neustart in eine
  ressourcenschonende Zukunft
             oder zurück in die
               Vergangenheit?

      4. und 5. März 2021

          www.ressourcenforum.at
Tagungsband VIERTES NATIONALES RESSOURCENFORUM - und 5. März 2021 - Systemiq
Foto: Leube

                                          RUDOLF ZROST
                                          PRÄSIDENT
                                          RESSOURCEN FORUM AUSTRIA

              Wertschöpfung und Nachhaltigkeit – eine Vision?

                                                                         Doch ist die Ressourcenübernutzung keineswegs nur ein
              Neustart in eine ressourcenschonende                       ökologisches Problem, sondern auch ein langfristiges
              Zukunft oder zurück in die Vergangenheit?                  Problem für die Wirtschaft. Die Materialkosten in der pro-
                                                                         duzierenden Wirtschaft sind hoch, Preisschwankungen ver-
              Der Titel unseres Programms in diesem Jahr lautete:        mindern Planungssicherheit, Versorgungsunsicherheiten
              „Neustart in eine ressourcenschonende Zukunft oder         und Knappheiten von Rohstoffen führen dazu, dass das
              zurück in die Vergangenheit?“ – Warum? Nun, die letzten    Thema Ressourcenversorgung mittlerweile zu den größten
              Monate waren wirtschaftlich wie gesellschaftlich durch     Herausforderungen für produzierende Betriebe zählt. Die
              die Corona-Pandemie geprägt. Alle Hoffnungen stehen        aktuelle Situation mit großen Lieferengpässen bei Conta-
              auf einer Bewältigung der Pandemie und ihrer Folgen für    inern und Kostensteigerungen um das 10-fache in nur 1
              Gesellschaft und Wirtschaft im Jahr 2021. Doch auch die    Jahr zeigt das deutlich! Für die Landwirtschaft stellen sich
              Klima- und Ressourcenkrise ist nach wie vor ungelöst.      Herausforderungen wie der Verlust von Böden, die Klima-
              Der wirtschaftliche Neustart nach Corona bietet eine       änderung oder die Endlichkeit künstlicher Dünger.
              Chance, auch dieser zweiten großen Krise zu begegnen.
              Gerade Krisen bieten oft auch Chancen, Bestehendes zu
                                                                         Ressourcenwende
              hinterfragen. Wie kann das „Hochfahren“ nun gleichzei-
              tig zu mehr Nachhaltigkeit führen? Denken Sie zurück
                                                                         Deshalb bedarf es sowohl aus ökonomischer wie auch
              an die leeren Städte und Autobahnen im März 2020. Die
                                                                         aus ökologischer Motivation heraus einer Ressourcen-
              Corona-bedingten Einschränkungen zeigten zu Beginn der
                                                                         wende – also einer Wende zu ressourcenschonenderem
              Pandemie einmal mehr die vermeintliche Unvereinbarkeit
                                                                         Wirtschaften mit gleich hoher Wertschöpfung. Um das zu
              wirtschaftlicher Aktivität und dem Schutz der Natur auf.
                                                                         erreichen, werden aktuell drei miteinander verbundene
              Doch das war nur ein temporärer Effekt. Und muss das
                                                                         Lösungsansätze diskutiert: Ressourceneffizienz, Kreislauf-
              überhaupt so sein? Sind wirtschaftliche Entwicklung und
                                                                         wirtschaft und Bioökonomie. Ressourcen-Effizienz meint
              Schutz der Lebensgrundlagen unvereinbar? Wir denken,
                                                                         alle Maßnahmen, die einen geringeren Materialeinsatz je
              sie sind vereinbar!
                                                                         produzierter Einheit bringen. Kreislaufwirtschaft meint
                                                                         das Schließen von Material- und Energiekreisläufen durch
              Wertschöpfung und Ressourcenverbrauch                      u.a. Wiederverwendung, Recycling, Überholen bestehender
                                                                         Produkte, Vermeidung von Abfällen, Wiederverwendung
              Gesellschaftliches Handeln und Wertschöpfung stehen fast   als Sekundärrohstoffe. Bioökonomie meint den kontinu-
              immer im Austausch mit der Natur. Ganz ohne Material       ierlichen Ersatz von fossilen Rohstoffen durch nachwach-
              geht es nicht, natürliche Ressourcen sind die Basis von    sende Rohstoffe (zB biobasierte Kunststoffe statt Kunst-
              Wirtschaft und Gesellschaft. Landwirtschaft, Handwerk,     stoffe aus Erdöl). Alle drei Konzepte und ihre Maßnahmen
              Industrie und Dienstleistung schöpfen unterschiedliche     sind miteinander verbunden und voneinander abhängig!
              Werte. Aber so unterschiedlich diese Bereiche auch sein    Gemeinsam haben Sie eines: Die Achtsamkeit gegenüber
              mögen, die meisten haben gemeinsam, dass natürliche        dem Material, das uns die Natur zur Verfügung stellt, um
              Rohstoffe verwendet, verarbeitet, veredelt – eben ver-     unsere Zivilisation in Schwung zu halten. Wie diese außer
              braucht werden.                                            Schwung geraten kann, haben wir in den letzten Monaten
              Unser aller Ressourcenverbrauch ist bei weitem zu hoch     nur allzu heftig präsentiert bekommen. Wir waren gezwun-
              und absolut nicht nachhaltig, weder in Österreich noch     gen unsere Lebens- und Arbeitsweisen anzupassen. Die
              global. Unsere Bedürfnisbefriedigung und die natürliche    Online-Welt des kontaktlosen Handels hat das Verbrau-
              Regenerationsfähigkeit der Natur sind nicht im Einklang.   cherverhalten für immer verändert. Globale Lieferketten
              Die dadurch entstehende Überschreitung ökologischer        sind ins Stocken geraten. Die aufgrund der Globalisierung
              Grenzen resultiert in Instabilitäten und Problemen wie     entstandenen Abhängigkeiten von manchmal weit ent-
              dem Klimawandel und dem Artensterben.                      fernten LieferantInnen wurden teilweise zum Problem.
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Ressourcen-Effizienz und Kreislaufwirtschaft können hier
einen Beitrag leisten, um Unternehmen und Standorte
widerstandsfähiger und unabhängiger zu gestalten.

Zukunft der Gesellschaft

Um unsere VerbraucherInnen-Gesellschaft in eine ressour-
                                                             Inhalt
censchonende Zukunft zu führen, braucht es vor allem
Motivation. Der Schriftsteller und Historiker Philipp Blom
hat vor einiger Zeit sinngemäß gesagt: „Eines der größten     4    Grußworte
Probleme ist es, wenn eine Gesellschaft keine Verbesse-       6    Keynote | Ressourcenproduktivität –
rung mehr in der Zukunft erwartet und deshalb nur will,            Europas nächstes Geschäftsmodell
dass die Gegenwart nicht aufhört.“ Was wir also brauchen
                                                              10   Forum Gemeinden und Regionen
ist: Hoffnung auf Verbesserung in der Zukunft. Deshalb
müssen wir trotz Pandemie und Klimakrise ein positives        14   Forum Wirtschaft
Zukunftsbild entwerfen. Ein Zukunftsbild, in dem ressour-     18   Forum Landwirtschaft
censchonendes Wirtschaften ein Wettbewerbsvorteil ist.
                                                              20   Forum Bildung
Keynote und Programm                                          22   Interview | Aus Wollen Können machen
                                                              24   Zukunftsdialog | Neustart in eine
Ein solches Zukunftsbild für Europa entwarf Keynote-Spea-
                                                                   ressourcenschonende Zukunft oder zurück
ker Martin Stuchtey für uns, als er über Ressourcen-Pro-
                                                                   in die Vergangenheit?
duktivität als Europas zukünftigem Geschäftsmodell
sprach (Eine Zusammenfassung seines Vortrags finden           26   Impuls | Ressourcennutzung in Österreich
Sie ab Seite 6). Außerdem diskutierten am Nationalen          29   Diskussion | Welche Rolle spielen
Ressourcenforum ExpertInnen und PraktikerInnen aus
                                                                   globale Wertschöpfungsketten,
Wirtschaft, Landwirtschaft, Gemeinden und Regionen
                                                                   der Standort und die Finanzmärkte für
sowie Bildung, wie wir die Ressourcenwende in alle Teile
                                                                   einen ressourcenschonenden Neustart?
unserer Gesellschaft tragen können. Denn eines ist klar:
Ressourcen-Schonung geht uns alle an. Nicht nur die Wirt-     32   Plenum | Ökobilanz des täglichen Lebens
schaft, auch alle KonsumentInnen und auch wir selbst als
                                                              33   Interview | Ressourcenschonendes
MultiplikatorInnen im eigenen Umfeld sind gefragt. Nur
                                                                   Bauen und Wohnen – ein Muss!
gemeinsam schaffen wir die Ressourcenwende! Unser Ziel
muss es sein, in der Praxis aufzuzeigen, dass Wohlstand       36   Plenum | „Gesucht: Das Geschäftsmodell
und Entwicklung vom Naturverbrauch erfolgreich ent-                der Zukunft“
koppelt werden können. Dazu muss Kreislaufwirtschaft,         38   Interview | Der Wasser(zähler)kreislauf
Ressourcen-Effizienz und Bioökonomie Teil der Philosophie
von uns allen werden. Und dafür steht das Ressourcen          39   Ausblick
Forum Austria!

Ihr
Rudolf Zrost
Tagungsband VIERTES NATIONALES RESSOURCENFORUM - und 5. März 2021 - Systemiq
Keynote
Ressourcenproduktivität –
Europas nächstes Geschäftsmodell

     „Im Kontext von Green Deal und internationa-                                           kapitalverbrauch. Die Kosten dieses Naturkapitalverlusts werden
     lem Ressourcenwettbewerb rückt eine neue                                               täglich spürbarer: Luftverschmutzung, Flächenzersiedlung, Boden-
     Kompetenz ins Blickfeld: Wohlstandsgenerie-                                            verlust, Artenschwund und natürlich der Klimawandel. Wir erleben
                                                                                            eine beinahe vollständige Marginalisierung der natürlichen Welt: nur
     rung getrieben durch Dematerialisierung und
                                                                                            mehr 3% aller Wirbeltiere sind Wildtiere, die planetaren Belastungs-
     Dekarbonisierung. In einer solchen Welt wird
                                                                                            grenzen sind weit überzogen, auf 3kg Fisch in den Weltmeeren kom-
     Ressourcenproduktivität zum politischen Leit-
                                                                                            men bereits 1kg Plastik.
     indikator. Ein entkoppeltes Industriemodell er-
     fordert mehr als effizienteres Wirtschaften, es                                        Problemlösung Wachstum?
     erfordert einen systemischen Umbau.“
                                                                                            Bekommt Wachstum diese Probleme langfristig in den Griff, wie uns
                                                                                            die Hypothese von der abnehmenden Umweltbelastung der Um-
Bis Mitte der 80er Jahre entwickelten sich alle Leitindikatoren                             welt-Kuznets-Kurve glauben macht? Ich denke, dieses Verständnis
von Gesellschaft und Wirtschaft parallel und aufwärts. Ab diesem                            von grünen Wachstum irrt. Wie das International Ressource Panel
Zeitpunkt kam es zu einem Bruch, den man als Ausgangspunkt                                  aufzeigt, kommt es trotz zunehmender globaler Tertiärisierung nicht
einer dann einsetzenden „großen Divergenz“ bezeichnen könnte.                               zu einer Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Ressourcen-
Wirtschaftliche Entwicklung und echter Fortschritt, beispiels-                              verbrauch. Die globale Ressourcenproduktivität sank zuletzt, anstatt
weise gemessen durch den Genuine Progress Indicator – gingen                                zuzunehmen.
nicht mehr im Gleichschritt sondern gerieten außer Takt. Seitdem                            Mit unserem herkömmlichen Wachstumsverständnis kommen
wächst zwar nach wie vor die Arbeitsproduktivität, die Wirtschaft                           wir also nicht weiter. Gehen wir aber davon aus, dass sich
und auch die Beschäftigung, doch hinken die durchschnittlichen                              unmittelbar etwas an unserem Hunger nach Ressourcen ändern
Haushaltseinkommen wie insbesondere der gesamtgesellschaft-                                 muss – und diesen Anspruch verfolgt zumindest die europäische
liche Wohlstand hinterher. Ein Riss zwischen dem Nutzen und den                             Politik, indem Sie sich mit dem Green Deal auf anspruchsvolle
Kosten unseres Wachstum ist aufgebrochen. Wir wachsen uns                                   Klimaziele und Ressourcenproduktivität verpflichtet hat – dann
zunehmend arm. Dies resultiert in großen wirtschaftlichen Dispa-                            erleben wir gerade dadurch auch zusätzlich einen sogenannten
ritäten, welche unter anderem das Aufkommen politischer Popu-                               Minsky-Moment und ein Problem der stranded assets. Was
lismen und gesellschaftliche Spannungen zu verantworten haben.                              meine ich damit? Konjunkturzyklen leben von der (überzogenen)
Verbunden ist diese Entwicklung zudem mit einem massiven Natur-                             Zuversicht von Investoren. Minsky, ein amerikanischer Ökonom

Die grosse Divergenz       Quelle: Stuchtey, et al (2015), Federal Reserve Bank of St. Louis, Brynjolfsson and McAfee, Kubiszewski et al. (2013)

6		                                                                                             VIERTES NATIONALES RESSOURCENFORUM | Tagungsband
Tagungsband VIERTES NATIONALES RESSOURCENFORUM - und 5. März 2021 - Systemiq
FOTO: MARTIN STUCHTEY/SYSTEMIQ

                                                                      Martin Stuchtey Professor für Ressourcenstrategien und -management an der Universität
                                                                      Innsbruck, Gründer und geschäftsführender Gesellschafter von SYSTEMIQ

                                 beobachtete, dass zu Beginn eines Zyklus sichere Investitionen                         stemische Änderungen, könnte dafür aber gerade in der jetzigen
                                 durchführen, je länger ein Aufschwung andauert, sie zuneh-                             Krisensituation ein wichtiger Baustein eines Konjunktur- und
                                 mend spekulativ handeln, weil sie (zu) große Zuversicht in die                         Zukunftsprogrammes für Europa und Österreich werden. Viel-
                                 herkömmlichen Anlageformen haben. So lange, bis es zu einem                            leicht gerade deshalb findet das Konzept der Circular Economy
                                 Minsky-Moment kommt, also einem Zeitpunkt wo das Vertrauen                             auch zunehmend in Politik und Betrieben Unterstützung. Denn
                                 schlagartig zurückgeht, weil die zugrundeliegenden Produkte                            es verspricht geringere Ressourcenverbräuche und systemische
                                 und Dienstleistungen nicht mehr benötigt werden – sei es durch                         Einsparmöglichkeiten gleichermaßen. Um das zu verstehen,
                                 einen Technologiewandel oder eine Änderung des Konsum-                                 muss man sich die sechs wesentlichen Ressourcenentkopp-
                                 musters. Diese herkömmlichen Anlagen sind im aktuellen Fall                            lungshebel ansehen, die passenderweise das Akronym Resolve
                                 fossile Energieträger und der ressourcenintensive industrielle                         bilden: REgenerate (Die Regneration und Wiederherstellung der
                                 Sektor. Große Öl- und Kohleunternehmen werden in einer                                 Gesundheit der Ökosysteme), Share (Die intensivere Nutzung
                                 solchen Umschwungsphase massiv an Wert verlieren – übrig                               durch Teilen, Wiederverwenden und Instandhalten), Optimise
                                 bleiben dann deren stranded assets: Fördertürme, Flugzeug-                             (Die Erhöhung der Effizienz und Eliminierung von Verschwen-
                                 friedhöfe, Industrieruinen und Geisterökonomien. Auch deshalb                          dung), Loop (Die stoffliche Kreislaufführung), Virtualise (Die
                                 können wir den Übergang zu einem zirkularen regenerativen                              dematerialisierte Befriedigung von Bedürfnissen) und Exchange
                                 Industriesystem nicht mehr ignorieren. Wir brauchen also ein                           (der Einsatz fortschrittlicher Materialien, Technologien, Services
                                 neues Paradigma!                                                                       und Produkte).
                                                                                                                        Verständlicher wird die Logik dieser Hebel, wenn man Sie
                                 Auf der Suche nach einer neuen Logik                                                   auf die großen ressourcenverbrauchenden Bedürfnisse einer
                                                                                                                        Volkswirtschaft, nämlich Mobilität, Lebensmittel und Wohnraum
                                 Und diese Suche nach einem neuen wirtschaftlichen Paradigma                            anlegt und sich die Frage stellt, wie dadurch ein demateria-
                                 und eines alternativen gesellschaftlichen Metabolismus geht                            lisiertes Alternativmodell entstehen kann: Beispielsweise die
                                 jeden an: Jede/n BürgerIn, LandwirtIn, UnternehmerIn und                               Überführung des heutigen Verkehrs in ein Mobilitätssystem, das
                                 PolitikerIn! Jeder steht vor der Herausforderung: Investieren                          verbunden, elektrifiziert, geteilt, autonom und basierend auf
                                 wir im Einzelnen und als Gesellschaft jetzt in die Vergangenheit                       cradle-to-cradle-Prinzipien ausgerichtet ist. Oder die Einführung
                                 oder die Zukunft. Kein Weg führt also mehr an einem zirkulären,                        dematerialisierter Lösungen statt heutigen Wegwerfprodukten:
                                 regenerativen Wertschöpfungssystem vorbei, denn es ist not-                            öffentliche Wasserspender statt verkaufter Plastikflaschen.
                                 wendig, attraktiv, möglich, verlangt von uns zwar deutliche sy-

                                 Die globale Ressourcenproduktivität nimmt ab, nicht zu    Quelle: Global Footprint Network, 2012; UNDP, 2014; Global Resources Outlook 2019, IRP

                                 VIERTES NATIONALES RESSOURCENFORUM | Tagungsband                                                                                                            7
Tagungsband VIERTES NATIONALES RESSOURCENFORUM - und 5. März 2021 - Systemiq
Dabei orientieren sich die AkteurInnen einer Kreislaufwirtschaft     petenz ins Blickfeld: Wohlstandsgenerierung getrieben durch
zunehmend weniger an Produkten und ihren Kosten, sondern             Dematerialisierung und Dekarbonisierung. In einer solchen Welt
an deren Nutzen und den konkreten Dienstleistungen. Statt des        wird Ressourcenproduktivität zum politischen Leitindikator. Ein
Verkaufs von Autos, stehen die Personenkilometer im Mittelpunkt      entkoppeltes Industriemodell erfordert mehr als effizienteres
oder eben die Kalorie gesunde Ernährung. Circular Economy            Wirtschaften, es erfordert einen systemischen Umbau.
bietet also nicht nur eine Möglichkeit, um Ressourcen zu sparen
und das Klima zu schützen, sondern auch ein enormes Einspa-          Dreifache Entkopplung als Geschäftsmodell
rungspotenzial. Es stellt somit ein Instrument dar, um unsere
Lebenshaltungskosten günstiger zu machen. Und die so erhöhte         In der Vergangenheit ging es darum, möglichst viel wirtschaft-
Ressourcenproduktivität wirkt als wirtschaftlicher Stimulus. Das     liche Aktivität zu generieren (Wirtschaftswachstum). In der
lässt sich auch bereits empirisch zeigen, denn je ressourcenpro-     Zukunft sind massive Entkopplungen das Ziel. Wir müssen das
duktiver ein Land, desto reicher ist es. Je mehr Wohlstand aus       Wohlbefinden des Menschen entkoppeln von seiner wirtschaft-
einer Ressource geschöpft werden kann, desto erfolgreicher ist       lichen Aktivität, die wirtschaftlichen Aktivitäten vom Ressour-
ein Land. Dies ist die Wohlstandsformel der Zukunft.                 cenverbrauch und den Ressourcenverbrauch wiederum von den
                                                                     Umweltauswirkungen. Diese dreifache Entkopplung muss das
                                                                     neue Geschäftsmodell Europas und der Welt werden. Dafür
Dematerialisierung als neues Wachstumsmodell –
                                                                     brauchen wir geänderte Rahmenbedingungen. Der Green New
„Kapitalismus ohne Kapital“
                                                                     Deal ist dabei der erste Schritt, da er erstmals das Soziale,
Und Circular Economy ist deswegen auch attraktiv, weil es eine       das Ökologische und das Wirtschaftliche in einer Zielfunktion
neue Technologieoption – die Dematerialisierung der industri-        zusammenführt. Realistisch ist er nur, wenn wir geänderte
ellen Produktion - aufgreift. Auch ganz ohne Ressourcen- und         systemische Voraussetzungen schaffen. Dafür haben wir den
Klimadebatte stellen wir fest, dass industrielle Wertschöpfung       System Change Compass entwickelt, der als Navigationsinstru-
zunehmend dematerialisiert. Bis zu dem Punkt, wo sich Indus-         ment für politische Maßnahmen verwendet werden kann und
triegesellschaften die Frage stellen, ob wir mit einer klassischen   dazu führt, dass wir das System neugestalten und neu abbilden,
Ausstattung industrieller Produktionsinfrastrukturen für die Zu-     Interventionen entwerfen und implementieren sowie Akteu-
kunft gewappnet sind. Deshalb rückt Im Kontext des Green Deal,       rInnen mobilisieren und befähigen.
des internationalen Ressourcenwettbewerbs, eine neue Kom-

Dreifache Entkopplung als Geschäftsmodell                           Quelle: IRP (2019). Global Resources Outlook 2019

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Der System Change Compass als                                        Vorweg, es würde deutlich an Attraktivität gewinnen, wenn Öster-
Navigationsinstrument                                                reich
                                                                     1.	seine politischen Entscheidungen jährlich auf einen echten
Darüber hinaus geht es nicht nur darum, mit diesem Kompass                Fortschrittsindikator ausrichtet, so wie es das deutlich kleinere
die alte bestehende Industrielandschaft zu transformieren und             Neuseeland tut – und nicht länger nur nach dem BIP,
in die Zukunft zu bringen, sondern das Zielsystem ausgehend          2.	durch die Umschichtung von Arbeits- auf Ressourcensteuern
von den Bedürfnissen rückwärts zu denken. Dazu müssen wir                 zum Wegbereiter für ein wirtschafts- und arbeitnehmerfreundli-
auch über die politische Konstitution in der Breite nachden-              cheres Steuersystem wird (wie in Schweden erstmals auspro-
ken und nicht nur neue techno-industrielle Systeme schaffen               biert),
und auf erneuerbare Energien und Wasserstoff setzen. Die             3.	einen Transformations- und Innovationsfonds aufsetzt (wie das
systemischen Voraussetzungen können wir nur schaffen, wenn                viel kleinere Finnland),
wir folgende zehn Punkte verwirklichen: Wir müssen erstens           4.	eine nationale Klimakommission einrichtet (wie Großbri-
Wohlstand neu definieren und dabei auf mehr soziale Fairness              tannien) sowie einen BürgerInnenrat (wie in Frankreich) um
setzen, denn wir können Klimaneutralität und Kreislaufwirtschaft          Langfristigkeit und Akzeptanz der Klimapolitik zu sichern
nicht realisieren, wenn unser Wirtschafts- und Gesellschaftssystem   5.	die Landwirtschaft im Sinne der Bauern und Konsumenten
zu viele Verlierer erzeugt. Wir müssen zweitens Ressourcennutzung         nach regenerativen Prinzipien neu ausrichtet,
neu definieren und damit Wohlstand von der Nutzung natürlicher       6.	das Corona-Konjunkturpaket nutzt, um den Finanzplatz Wien
Ressourcen entkoppeln. Wir müssen drittens ein neues Fortschritts-        zu einem Leitstandort für nachhaltige Finanzierung zu machen,
verständnis entwickeln, welches die Erfüllung gesellschaftlicher     7.	sich als Zentrum einer neuen Bauhausbewegung für nach-
Bedürfnisse wieder in den Mittelpunkt unserer wirtschaftlichen            haltiges Bauen und Stadtentwicklung etabliert, basierend auf
Ökosysteme stellt. Viertens müssen wir die bestehenden Metriken           (österreichischem) Holzbau und ökologischen Materialien,
zur Messung von Wohlstand neu definieren. Fünftens müssen wir        8.	die Märkte durch intelligente Regeln nutzt, um grünen Strom,
Digitalisierung und intelligenten Wohlstand als Kern europäischer         Rezyklate, organische Lebensmittel oder Ökosystemleistungen
Wettbewerbsfähigkeit verstehen. Sechstens müssen wir ein System           zu produzieren,
aus Anreizen schaffen, die den wahren Wert von Sozial- und Na-       9.	einen Digitalcluster „Industrie 5.0“ für die Entwicklung ressour-
turkapital berücksichtigen. Siebtens müssen wir unsere Konsum-            censchonender Produktionsmethoden und Geschäftsmodelle
muster fundamental ändern und diese viel stärker am Nutzen und            schafft und
nicht am Besitzen ausrichten. Achtens müssen wir das Finanz-         10.	den Aufbau einer Circular Economy mit weitgehendem Ersatz
system zu einem Katalysator der Transformation umgestalten.               von Primärrohstoffen durch Sekundärrohstoffe zur langfristigen
Neuntens müssen wir die Governance unserer Gesellschaft auf ein           Absicherung der Petro- und Metallindustrie des Landes voran-
neues systematisches und wissensbasiertes Fundament stellen und           treibt.
zu guter Letzt zehntens einen neuen Generationenvertrag durch
neue Formen der Führung errichten.                                   Ob diese Vorschläge Gehör finden? Ich weiß es nicht. Aber es gibt
                                                                     Augenblicke, in denen sich alle in den Dienst einer großen Sache
Chance für Österreich? Aktuelle Krise?                               der Zukunft stellen sollten und die vor uns liegende Transformation
                                                                     ist ein solcher Augenblick! Nie war der Zeitpunkt so gut wie jetzt!
Das hört sich alles komplex und theoretisch an? Erlauben Sie mir
Ihnen am Beispiel Österreichs aufzuzeigen, welche konkreten syste-
mischen Schritte möglich und nötig wären, um aus Österreich ein
ressourcenproduktiveres und umweltgerechteres Land zu machen.

                                                                        Die Aufnahme der Keynote zur Nachschaue finden Sie
                                                                                  unter: https://www.ressourcenforum.at/
                                                                         nachschau-viertes-nationales-ressourcenforum//

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Ressourcen Forum Austria
                                                                   Schwarzstraße 19
                                                                   A-5020 Salzburg
                                                                   T +43 662 870571 205
                                                                   M info@ressourcenforum.at

Diese Veranstaltung ist nur mit zahlreichen Unterstützern und Förderern möglich geworden und wir
bedanken uns an dieser Stelle sehr herzlich bei folgenden Unternehmen und Institutionen:
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