Testverfahren zur psychometrischen Leistungsprüfung der Fahreignung - Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Testverfahren zur psychometrischen Leistungsprüfung der Fahreignung Heft M 203 Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Mensch und Sicherheit Heft M 203 ISSN 0943-9315 ISBN 978-3-86509-971-6
Testverfahren zur psychometrischen Leistungsprüfung der Fahreignung von Sebastian Poschadel Michael Falkenstein Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der Technischen Universität Dortmund Preethy Pappachan Eva Poll Klaus Willmes von Hinckeldey Universitätsklinikum Aachen Neurologische Klinik, Lehr- und Forschungsgebiet Neuropsychologie Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Mensch und Sicherheit Heft M 203 Umschlag M203 2 15.02.1906, 16:56 Uhr
Die Bundesanstalt für Straßenwesen veröffentlicht ihre Arbeits- und Forschungs- ergebnisse in der Schriftenreihe Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen. Die Reihe besteht aus folgenden Unterreihen: A -Allgemeines B -Brücken- und Ingenieurbau F -Fahrzeugtechnik M-Mensch und Sicherheit S -Straßenbau V -Verkehrstechnik Es wird darauf hingewiesen, dass die unter dem Namen der Verfasser veröffentlichten Berichte nicht in jedem Fall die Ansicht des Herausgebers wiedergeben. Nachdruck und photomechanische Wieder- gabe, auch auszugsweise, nur mit Genehmi- gung der Bundesanstalt für Straßenwesen, Stabsstelle Presse und Öffentlichkeitsarbeit. Die Hefte der Schriftenreihe Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen können direkt beim Wirtschaftsverlag NW, Verlag für neue Wissenschaft GmbH, Bgm.-Smidt-Str. 74-76, D-27568 Bremerhaven, Telefon: (04 71) 9 45 44 - 0, bezogen werden. Über die Forschungsergebnisse und ihre Veröffentlichungen wird in Kurzform im Informationsdienst BASt-Info berichtet. Dieser Dienst wird kostenlos abgegeben; Interessenten wenden sich bitte an die Bundesanstalt für Straßenwesen, Stabsstelle Presse und Öffentlichkeitsarbeit Impressum Bericht zum Forschungsprojekt 82.291/2005: Testverfahren zur psychometrischen Leistungsprüfung der Fahreignung Projektbetreuung Hardy Holte Herausgeber Bundesanstalt für Straßenwesen Brüderstraße 53, D-51427 Bergisch Gladbach Telefon: (0 22 04) 43 - 0 Telefax: (0 22 04) 43 - 674 Redaktion Stabsstelle Presse und Öffentlichkeitsarbeit Druck und Verlag Wirtschaftsverlag NW Verlag für neue Wissenschaft GmbH Postfach 10 11 10, D-27511 Bremerhaven Telefon: (04 71) 9 45 44 - 0 Telefax: (04 71) 9 45 44 77 Email: vertrieb@nw-verlag.de Internet: www.nw-verlag.de ISSN 0943-9315 ISBN 978-3-86509-971-6 Bergisch Gladbach, Oktober 2009
3 Kurzfassung – Abstract Testverfahren zur psychometrischen grundsätzlichen Eichung eines Testverfahrens ab- Leistungsprüfung der Fahreignung hängt. Computergestützte Leistungstests sollten deshalb in vom Hersteller zugelassenen Computer- Ziel des Forschungsprojektes ist es, die Überprü- umgebungen im Durchschnitt bei unterschiedlichen fung der Fahreignung nach Fahrerlaubnis-Verord- Konfigurationen keinen Messfehler ausweisen, um nung (FeV), Anlage 5, auf eine operationalere Basis einen Nachteil für Führerscheinbewerber auszu- zu stellen, die in der FeV und den Begutachtungs- schließen. Außerdem müssten maximal mögliche Leitlinien Kap. 2.5 genannten Begriffe inhaltlich zu Abweichungen und Konfidenzintervalle für zugelas- schärfen und Vorschläge für einen „Testkanon“ sene Konfigurationen angegeben werden, sowie bzw. für Weiter- und Neuentwicklungen von stan- Normwerttabellen vollständig einsehbar sein. dardisierten Tests zur Begutachtung zu erarbeiten. Bei der Analyse der derzeit eingesetzten Testver- fahren zur Überprüfung der psychometrischen Leis- tungsfähigkeit auf Basis der von der FeV geforder- ten wissenschaftlichen Standardisierung und Vali- dierung zeigt sich, dass erheblicher Optimierungs- Tests for testing the psychometric bedarf besteht, insbesondere bei der Normierung performance of driver aptitude und der Dokumentation der Testgütekriterien. In The goal of the research project is to make sure, Einzelfällen fehlen sogar essenzielle Angaben. Die that testing of the driver aptitude in accordance with Herleitung der zu messenden Konstrukte ist eben- the German Driver’s Licence Ordinance falls oft unzureichend, teilweise gar nicht dokumen- (“Fahrerlaubnis-Verordnung”, FeV), annex 5, is tiert. Die Ergebnisse der kritischen Durchsicht wur- operationalized more specifically. Furthermore, one den auf einem Workshop mit Experten aus Wissen- should sharpen the mentioned terms within the schaft und Praxis diskutiert. Als Ergebnis des For- Germen Driver’s Licence Ordinance and sharpen schungsprojektes lässt sich kurzfristiger und lang- the mentioned terms within the “Guidelines for fristiger Optimierungsbedarf festhalten. Expertise on Driver Aptitude” Chapter 2.5 Kurzfristig sollten die eingesetzten Testverfahren („Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereig- anhand vorher festgelegter Kriterien überarbeitet nung”). Moreover, recommendations should be und an entsprechend großen repräsentativen Stich- made about a precise pool of tests and, if proben geeicht werden. Die Testgütekriterien müs- necessary, recommendations for further sen nachprüfbar angegeben werden. development of these tests for testing the driver aptitude in a standardized manner. Langfristig sollten aus wissenschaftlicher Perspek- tive die in der FeV, Anlage 5, genannten psycholo- In accordance with the requested scientific gischen Konstrukte grundsätzlich überarbeitet wer- “standardisation” and “validation” of the German den. Auch sollten die in der Fahreignungsdiagnostik Driver’s Licence Ordinance an analysis was carried angewendeten Entscheidungskriterien (Prozent- out. The outcome clearly shows, that an extensive ränge) durch absolute Kennwerte ersetzt werden, optimization of the presently used tests for testing die auf dem Wissen über die Zusammenhänge zwi- the psychometric performance of driver aptitude is schen Leistung und Fahreignung basieren. Ein un- necessary. This is especially the case for the abhängiges wissenschaftliches Gremium sollte die standardisation of the examined tests and the Güte und Zulassung der Testverfahren regelmäßig documentation of the test quality factors überprüfen. (“Testgütekriterien”). In a few cases even essential information is missing. In einem Teilprojekt wurde außerdem der Frage nachgegangen, inwieweit unterschiedliche Hard- The scientific definition of the constructs, which ware- und Softwarekonstellationen die Objektivität should be measured, are frequently inadequate and der Reaktionszeitmessungen beeinflussen können. partly not even documented. This outcome was Die Ergebnisse zeigen, dass die zuverlässige Er- discussed by science and practical experts, invited mittlung von Reaktionszeiten in erster Linie von der by the BASt.
4 The experts and researchers came to the conclusion that there is still a great need of short and long term optimization: In the near future tests should be revised on the basic of defined scientific criteria. Following they should be standardized, based on large representative samples. Furthermore, the test quality factors (“Testgütekriterien”) must be described verifiably for every single test. In the long perspective, seen from a scientific point of view, the psychological constructs mentioned in the German Driver’s Licence Ordinance, annex 5, should be fundamentally revised. Moreover, the decision criteria (percent distribution), applied in the “Guidelines for Expertise on Driver Aptitude”, should be replaced by absolute variables based on the knowledge of the real relation between driving performance and driver aptitude. An independent scientific authority (consisting of more than one expert) should certify the quality of the tests (based on the determined scientific criteria) and decide about the general approval in regular time-related intervals. In a subproject the question was raised, to which extend different hard- and software constellations could influence the objectivity of “reaction time” measurements. The results show that the reliable detection of response time depends first of all on the exact calibration of the test system in total. Therefore, computer supported performance tests must not show any errors in measurement on average (for every soft- and hardware configuration, which is allowed by the manufacturer), to avoid a disadvantage of driver licence applicants. In addition, maximal possible errors in measurement must be declared, as well as completed tables of norm values (confident intervals included).
5 Inhalt 4.4 Diskussion der Ergebnisse in einer moderierten Expertengruppe . . . . . . . . 18 4.5 Empfehlungen zur Anwendung der Begutachtungs-Leitlinien unter 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 methodischen und neuropsycholo- gischen Aspekten/Zusammenstel- 2 Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 lung angemessener Testverfahren . . . . 18 3 Stand der empirischen Forschung 5 Befragung von akkreditierten zur Kriteriumsvalidität von Ver- Begutachtungsstellen und ärzt- fahren zur psychometrischen lichen Gutachtern . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Leistungsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . 11 5.1 Fragebogenentwicklung . . . . . . . . . . . . 18 3.1 Allgemeine Literatur/Studien zur 5.2 Durchführung der schriftlichen Fahreignungsüberprüfung . . . . . . . . . . 11 Befragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 3.1.1 Eingesetzte Testverfahren . . . . . . . . . . 11 5.3 Rücklaufquote und Stichproben- 3.1.2 Verwendete Methoden . . . . . . . . . . . . . 12 beschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 3.1.3 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 5.4 Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 3.1.4 Fazit – Forschungsergebnisse . . . . . . . 14 5.4.1 Von den akkreditierten Begutach- tungsstellen eingesetzte Verfahren . . . 20 3.2 Angaben der Testhersteller zur Kriteriumsvalidität in den Test- 5.4.2 Von Ärzten eingesetzte psycho- manualen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 metrische Begutachtungsverfahren . . . 20 5.4.3 Offene Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 3.2.1 ART 2020 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 5.4.4 Zusammenfassung der Auswertung . . . 20 3.2.2 Expertensystem Verkehr . . . . . . . . . . . 15 3.2.3 TAP-M . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 6 Beurteilung psychometrischer 3.2.4 Corporal-A . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Tests zur Prüfung der Fahr- eignung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 3.2.5 d2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 6.1 Entwicklung einer Kriterienliste 3.2.6 Konzentrations-Leistungs-Test . . . . . . . 15 zur Beurteilung einzelner Tests . . . . . . 21 3.2.7 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . 15 6.2 Anmerkungen zur Reliabilitäts- 3.3 Vergleich der Ergebnisse der schätzung bei computergestütz- empirischen Forschung und der ten Reaktionstests . . . . . . . . . . . . . . . . 22 Angaben der Testhersteller . . . . . . . . . . 16 6.3 Vorgehensweise bei der Testanalyse . . . 22 3.4 Exkurs: das Kriterium der Fahrprobe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 7 Ergebnis der Testanalysen . . . . . . . . 23 3.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . 17 7.1 Beschaffung der Testmanuale . . . . . . . 23 7.2 Testsystem A . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 4 Methodisches Vorgehen . . . . . . . . . . 17 7.3 Testsystem B . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 4.1 Schriftliche Befragung von Gut- 7.4 Testsystem C . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 achtern über die in der Praxis ein- gesetzten Tests . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 7.5 Testsystem D . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 4.2 Auswertung der Testmanuale der 7.6 Test E . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 erfragten und recherchierten Tests 7.7 Test F . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 hinsichtlich Standardisierung . . . . . . . . 17 7.8 Interpretation der Anforderungs- 4.3 Einteilung der Tests in drei bereiche in der Praxis durch ver- Kategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 schiedene Testautoren . . . . . . . . . . . . . 29
6 7.9 Einteilung der Tests in drei 10.3 Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 Kategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 10.4 Methodisches Vorgehen/Unter- 7.10 Fazit der Testanalysen . . . . . . . . . . . . . 30 suchungsdesign . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 10.4.1 Hardware . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 8 Expertentreffen: Protokoll des 10.4.2 Software . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 Expertengesprächs zu den An- forderungen der Testverfahren 10.4.3 Forschungsdesignplan . . . . . . . . . . . . 43 zur psychometrischen Leistungs- 10.5 Versuchsaufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 prüfung der Fahreignung . . . . . . . . . . 30 10.6 Versuchsdurchführung . . . . . . . . . . . . 45 8.1 Teilnehmerübersicht . . . . . . . . . . . . . . . 30 10.7 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 8.2 Begrüßung und Vorstellungsrunde . . . . 31 10.7.1 Ergebnisse im Detail . . . . . . . . . . . . . . 45 8.3 Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 10.7.2 Einfluss der Einzelkomponenten . . . . 46 8.3.1 Vorgeschichte des Projekts . . . . . . . . . 31 10.7.3 Wechselwirkungen der Kompo- 8.3.2 Zielsetzung des Projekts . . . . . . . . . . . 31 nenten untereinander . . . . . . . . . . . . . 47 8.4 Präsentation der Projekt- 10.8 Ermittlung der Normwerttabellen Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 zur Überprüfung der Bedeutsam- 8.5 Diskussion der Ergebnisse . . . . . . . . . . 32 keit der festgestellten Mittelwert- abweichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 8.6 Optimierungsbedarf . . . . . . . . . . . . . . . 36 10.8.1 Versuchsbeschreibung zur Ermitt- 8.6.1 Kurzfristige Strategie . . . . . . . . . . . . . . 36 lung der dem untersuchten Test- 8.6.2 Langfristige Strategie . . . . . . . . . . . . . . 37 verfahren zu Grunde liegenden Normwerttabellen . . . . . . . . . . . . . . . . 48 9 Die Anforderungsbereiche der 10.8.2 Ergebnisse zur Ermittlung der FeV unter neueren wissenschaft- dem Test zu Grunde liegenden lichen aufmerksamkeitstheore- Normwerttabellen . . . . . . . . . . . . . . . . 48 tischen Aspekten . . . . . . . . . . . . . . . . 37 10.9 Abschließende Beurteilung des 9.1 Aktuelle Aufmerksamkeitstheorien . . . . 37 Einflusses unterschiedlicher 9.2 Welche Aufmerksamkeitsaspekte Computerkonfigurationen auf die sind aus empirischer Sicht wichtig Reaktionszeitmessung . . . . . . . . . . . . 50 für die Fahreignung? . . . . . . . . . . . . . . 38 10.9.1 Grundsätzliche Eichung des 9.3 Zuordnung der kriteriumsvalidierten Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 Testverfahren zu den Anforderungs- 10.9.2 Einfluss unterschiedlicher Hardware-/ bereichen der FeV . . . . . . . . . . . . . . . . 38 und Softwarekonstellationen auf 9.4 Vorschlag zur Schärfung der derzeit die Messung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 bestehenden Anforderungs- 10.9.3 Angabe von Prozentrangwerten bereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 und Konfidenzintervallen für die 9.5 Vorschlag einer Testbatterie zur Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 Fahreignungsprüfung . . . . . . . . . . . . . . 39 11 Zusammenfassung und 10 Überprüfung der Reaktionszeit- Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 messung eines computerge- stützten psychometrischen 12 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 Testverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 12.1 Ergänzende Literatur „psychome- 10.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 trische Leistungstests zur Fahreig- 10.2 Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 nung und Fahrprobe“ . . . . . . . . . . . . . 58
7 1 Einleitung pensierbarkeit bei Unterschreiten der festgelegten Mindestanforderungen genau überprüft werden Die Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV), Anlage 5, legt soll, bleibt offen und wird der Entscheidung des je- Rahmenbedingungen für die Begutachtung von Be- weiligen Gutachters überlassen: Es muss lediglich werbern um die Erteilung oder Verlängerung der gewährleistet sein, dass zu jedem der begutachte- Führerscheinklassen D, D1, DE, DE1 sowie einer ten Bereiche wissenschaftliche, nachprüfbare Ver- Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung fest. Wört- fahren eingesetzt werden, die „unter Aspekten der lich heißt es in Anlage 5 der FeV: Verkehrssicherheit validiert sein“ müssen. Darüber hinaus muss die Begutachtung nach der FeV von „1. Bewerber um die Erteilung oder Verlängerung einem Betriebsarzt, einem Arzt für Arbeitsmedizin einer Fahrerlaubnis der Klassen C, C1, CE, C1E, D, oder einer amtlich anerkannten Begutachtungsstel- D1, DE, D1E sowie der Fahrerlaubnis zur Fahr- le für Fahreignung durchgeführt werden (FeV, Anla- gastbeförderung müssen sich untersuchen lassen, ge 5, Abs. 2.). ob Erkrankungen vorliegen, die die Eignung oder die bedingte Eignung ausschließen. Sie haben Ziel des Forschungsprojektes ist es, die Überprü- hierüber einen Nachweis gemäß dem Muster die- fung der Fahreignung nach FeV, Anlage 5, auf eine ser Anlage vorzulegen. operationalere Basis zu stellen, die in der FeV und den Begutachtungs-Leitlinien genannten Begriffe 2. Bewerber um die Erteilung oder Verlängerung inhaltlich zu schärfen und Vorschläge für einen einer Fahrerlaubnis der Klassen D, D1, DE, D1E „Testkanon“ bzw. für Weiter- und Neuentwicklungen sowie einer Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung von standardisierten Tests zur Begutachtung zu er- müssen außerdem besondere Anforderungen hin- arbeiten. sichtlich: Das Forschungsprojekt wurde gemeinsam vom In- a. Belastbarkeit, stitut für Arbeitsphysiologie an der Universität Dort- b. Orientierungsleistung, mund (IfADo), Projektgruppe „Altern und ZNS-Ver- änderungen“, und dem Universitätsklinikum Aa- c. Konzentrationsleistung, chen, Neurologische Klinik, Lehr- und Forschungs- d. Aufmerksamkeitsleistung, gebiet Neuropsychologie durchgeführt. e. Reaktionsfähigkeit erfüllen. 2 Problemstellung Die zur Untersuchung dieser Merkmale eingesetz- Die Anlage 5 der Fahrerlaubnisverordnung (FeV) ten Verfahren müssen nach dem Stand der Wis- nennt 5 Anforderungen an die psychische Leis- senschaft standardisiert und unter Aspekten der tungsfähigkeit: Es sind dies (a) Belastbarkeit, (b) Verkehrssicherheit validiert sein.“ Orientierungsleistung, (c) Konzentrationsleistung, Derzeit fehlen konkrete Bestimmungen, welche (d) Aufmerksamkeitsleistung und (e) Reaktions- psychometrischen Verfahren – und in welchem Um- fähigkeit. Diese Anforderungsbereiche bezeichnen fang – Bestandteil der Begutachtung nach § 11, unterschiedliche kognitive Bereiche, sind jedoch Abs. 9 und § 48 Abs. 4 und 5 FeV sein sollen. nicht ausreichend theoretisch basiert und entspre- chen nicht neueren kognitiven Modellen (GOLZ, Auch der Begriff der „wissenschaftlichen Standardi- HUCHLER, JÖRG & KÜST, 2004). sierung“ und „Validierung unter Aspekten der Ver- kehrssicherheit“ wird in der FeV, Anlage 5, nicht Übliche Aufmerksamkeitstaxonomien unterschei- weitergehend definiert. Festgelegt werden allein die den Aspekte der Intensität und Selektivität. Inten- Bereiche, die begutachtet werden sollen. Das sind sität wird hierbei unterteilt in Alertness (allgemeine „Belastbarkeit“, „Orientierungsleistung“, „Konzen- Reaktionsbereitschaft und deren kurzfristige Stei- trationsleistung“, „Aufmerksamkeitsleistung“ und gerung nach einem Warnreiz), intraindividuelle Auf- „Reaktionsfähigkeit“. In den „Begutachtungs-Leitli- merksamkeitsschwankungen sowie längerfristige nien zur Kraftfahrereignung" werden für die Begut- Aufmerksamkeitszuwendung. Der Selektivitäts- achtung von Bewerbern zwar Prozentränge für ein- aspekt umfasst fokussierte (nicht-räumliche) Auf- zelne Untertests festgelegt, doch welche Tests zu merksamkeit, geteilte Aufmerksamkeit und die Aus- berücksichtigen sind oder wie eine mögliche Kom- richtung der Aufmerksamkeit im Raum (van ZOME-
8 REN & BROUWER, 1994). Zusätzlich wird eine be- Diese drei Netzwerke stellen jedoch ebenfalls le- reichsübergreifende Funktion, das Supervisory At- diglich eine vereinfachte Konzeption der Aufmerk- tentional System (SHALLICE, 1988), angenom- samkeit dar, die gemäß aktueller Befunde als vor- men. Diese beinhaltet die Unteraspekte Strategie läufig betrachtet werden muss. So betrachten und Flexibilität (ZIMMERMANN & LECLERCQ, NOBRE et al. (NOBRE, 2004; NOBRE, 2001) die 2002). Fokussierung als zentralen Aufmerksamkeitsa- spekt, der eine Ausrichtung auf zeitliche, räumliche Es konnte in funktionell-bildgebenden Untersu- oder auch objektspezifische Merkmale beinhaltet. chungen wiederholt gezeigt werden, dass diese Hierbei muss zusätzlich nach der Verarbeitungsmo- verschiedenen Aufmerksamkeitsaspekte spezifi- dalität (visuell, auditiv, taktil) unterschieden werden, sche und unterscheidbare funktionell-neuroanato- da gezeigt werden konnte, dass modalitätsspezifi- mische Repräsentationen haben (GITELMAN et al., sche Aufmerksamkeitsbeeinträchtigungen bei zere- 1999). So sind z. B. Intensitätsaspekte (Alertness, braler Läsion auftreten können (OLSON, STARK & allgemeine Reaktionsbereitschaft) vor allem mit CHATTERJEE, 2003). Innerhalb jeder Modalität rechtshemisphärischen und Hirnstamm-Strukturen sind Aspekte der Aufmerksamkeitsintensität, der (FERNANDEZ-DUQUE & POSNER, 2001; STURM Fokussierung, der Inhibition sowie der räumlichen et al., 1999; STURM & WILLMES, 2001), Aspekte Aufmerksamkeitsausrichtung wirksam. Ein weiterer der Aufmerksamkeitsausrichtung mit (vor allem Bereich, der für unser Alltagsverhalten essenziell ist rechts-)parietalen Strukturen (CORBETTA, KINCA- und vor allem in den letzten Jahren intensiver un- DE, OLLINGER, MCAVOY & SHULMAN, 2000; GI- tersucht und als eigene Aufmerksamkeitskompo- TELMAN, PARRISH, FRISTON & MESULAM, nente betrachtet wird, ist die crossmodale Interak- 2002) sowie selektive nicht-räumliche Aufmerksam- tion und Integration (SPENCE & DRIVER, 2004). keitskomponenten mit dem anterioren Gyrus Hiermit sind der Abgleich und die Integration von In- cinguli und dorsolateralen präfrontalen Arealen formationen aus unterschiedlichen Sinneskanälen (MILHAM et al., 2002; POSNER & RAICHLE, 1994) (z. B. visuell und auditiv) gemeint. So kann z. B. ein assoziiert. Dabei zeigte sich, dass der anteriore akustischer Reiz im Straßenverkehr zu einer plötz- Gyrus cinguli in erster Linie mit Inhibition oder Fas- lichen Blickwendung (und möglicherweise zu einer zilitierung von Reaktionen, der dorsolaterale Ablenkung vom Verkehrsgeschehen) führen. präfrontale Kortex hingegen mit allgemeiner Auf- merksamkeitskontrolle (d. h. Zuweisung von Auf- Dem Netzwerk der exekutiven Aufmerksamkeit wird merksamkeitskapazität, Fähigkeit, die Aufmerk- auch die Fähigkeit, die Aufmerksamkeit für ver- samkeit aufzuteilen, „Top-down-Kontrolle“) ver- schiedene Aufgaben zu teilen, zugerechnet. Diese knüpft ist (KONDO, OSAKA & OSAKA, 2004; wird also als eine zentrale Fähigkeit bei der Hand- MILHAM, BANICH, CLAUS & COHEN, 2003). lungsregulation und Steuerung im Alltag und im Straßenverkehr betrachtet (BROUWER, 2002). Durch diese physiologischen Grundlagen, bei denen bestimmte kognitive Funktionen bestimmten Weiterhin zeigen Querschnittsuntersuchungen zur Hirnarealen zugeordnet werden können, lassen Altersabhängigkeit verschiedener Aufmerksamkeit- sich auch die verschiedenen Einzelaspekte der saspekte ein lineares Ansteigen der Bearbeitungs- Kognition besser voneinander separieren. zeit und der intra- und individuellen Reaktionsvaria- blilität mit zunehmendem Alter, das besonders bei Derzeit werden auf Basis dieser Befunde drei neu- visuell-räumlichen sowie Prozessen, die andere ronale Aufmerksamkeitsnetzwerke postuliert: das Prozesse steuern (exekutive Aufmerksamkeitsfunk- Alertness-Netzwerk, das Orientierungsnetzwerk tionen), ausgeprägt ist (ZIMMERMANN & FIMM, und das Netzwerk der exekutiven Aufmerksamkeit 2002a; ZIMMERMANN & FIMM, 2002b). Dies ließ (CALLEJAS, LUPIANEZ & TUDELA, 2004; FAN, sich sowohl in Verhaltensexperimenten (HASHER, McCANDLISS, SOMMER, RAZ & POSNER, STOLTZFUS, ZACKS & RYPMA, 1991; HOMMEL, 2002). Klinische Studien konnten nachweisen, dass LI & LI, 2004; TSANG & SHANER, 1998; UTTL & diese Aufmerksamkeitskomponenten bzw. -netz- PILKENTON-TAYLOR, 2001) als auch mittels funk- werke nach einer Hirnschädigung selektiv beein- tioneller Bildgebung (HEIN & SCHUBERT, 2004; trächtigt sein können (FIMM et al., 2001; HILDE- MILHAM et al., 2002) bestätigen. BRANDT, GIESSELMANN & SACHSENHEIMER, 1999; KARNATH, FERBER & HIMMELBACH, Die Anforderungsbereiche der FeV, Anlage 5, er- 2001). weisen sich unter diesen Voraussetzungen als un-
9 scharf und teilweise redundant (z. B. Aufmerksam- wirkungen zuordnen. Zudem ist der Begriff „Auf- keitsleistung, Konzentrationsleistung) und nicht merksamkeit“ als eigentlicher Oberbegriff der ver- operationalisiert. schiedenen Aufmerksamkeitskomponenten hier wenig aussagekräftig und möglicherweise eher in Zwar beschreiben die Begutachtungs-Leitlinien Bezug auf Aufmerksamkeitsverteilung bzw. exekuti- mögliche Auswirkungen psychischer Leistungs- ve Aufmerksamkeit gemeint. mängel als Erläuterung der 5 o. g. Anforderungsbe- reiche, diese lassen sich jedoch nur eingeschränkt Die im Rahmen der Fahreignungsuntersuchungen mit aktuellen Modellen der Aufmerksamkeit (und eingesetzten psychometrischen Testverfahren prü- den zugrunde liegenden neuronalen Repräsenta- fen unterschiedliche der in Tabelle 1 genannten tionen) in Einklang bringen und mit den 5 Anforde- Aufmerksamkeitsaspekte, häufig mehrere gleich- rungsbereichen verknüpfen. zeitig. Sie liefern in der Regel auch mehrere Norm- werte, die unter Umständen unterschiedliche Anfor- Tabelle 1 enthält den Versuch einer Zuordnung der derungen (z. B. Geschwindigkeit/Reaktionsfähig- 5 Anforderungsbereiche nach FeV zu den in den keit vs. Sorgfaltsleistung) repräsentieren. Weiterhin Begutachtungs-Leitlinien genannten Verhaltens- sind die Testverfahren hinsichtlich ihrer Darbie- auswirkungen und den aus den oben aufgeführten tungsform (Papier- und Bleistiftverfahren, apparati- aktuellen Modellen abgeleiteten Aufmerksamkeits- ve und computergestützte Testverfahren), ihrer An- funktionen durch die Autoren. Vor allem die Anfor- forderungen an das visuelle Diskriminationsvermö- derungsbereiche „Reaktionsfähigkeit“ und „Kon- gen (durch die Größe und den Kontrast der ver- zentrationsfähigkeit“ lassen sich mehreren Auf- wendeten Stimuli bedingt), der geprüften sensori- merksamkeitskomponenten sowie Verhaltensaus- schen Modalität (visuell, akustisch, visuell-akus- Anforderungsbereich Verhaltensauswirkung (Leitlinien, Kap. 2.5) Aufmerksamkeitsfunktion (FeV) Visuelle Wahrnehmung; 1 Optische Informationen werden in ihrem Bedeutungsge- Alertness; allgemeine Reaktionsbereit- Reaktionsfähigkeit halt nicht ausreichend schnell und sicher wahrgenom- schaft sowie darüber hinaus allgemeine men. sensorische Verarbeitung Orientierung 2 Die Zielorientierung im jeweiligen optischen Umfeld, d. Selektive, visuell-räumliche Aufmerksam- h. im Verkehrsraum, gelingt nicht oder nicht sicher oder keit, d. h. Verschiebung des räumlichen nur mit einem so deutlich erhöhten Zeitaufwand, dass Aufmerksamkeitsfokus daraus in der konkreten Verkehrssituation eine Gefähr- dung entstehen würde. Konzentrationsfähigkeit 3 Die Konzentration ist zeitweilig oder dauernd gestört in Selektive nicht-räumliche Aufmerksam- der Weise, dass die jeweils anstehende Fahraufgabe keit; Interferenzanfälligkeit; Ausblenden ir- aufgrund von Abgelenktsein oder Fehldeutungen ver- relevanter Informationen kannt oder fehlerhaft gelöst wird. Aufmerksamkeit 4 Die Aufmerksamkeitsverteilung ist unzulänglich, weil nur Exekutive Aufmerksamkeit (geteilte Auf- ein Teilbereich der für den Kraftfahrer bedeutsamen In- merksamkeit; Umstellungsfähigkeit) formationen erfasst wird und/oder bei Situationswech- sel, z. B. nach einer Phase der Monotonie, neue Infor- mationen der Aufmerksamkeit entgehen. Belastbarkeit 5 Die Aufmerksamkeitsbelastung ist zu gering, weil es Aufmerksamkeitsintensität (längerfristige unter Stress oder nach länger andauernder Beanspru- Aufmerksamkeitszuwendung) chung zu fehlerhaften Wahrnehmungen, Interpretatio- nen oder Reaktionen kommt. Reaktionsfähigkeit 6 Notwendige motorische Reaktionen setzen zu spät ein Alertness (allgemeine Reaktionsbereit- und/oder werden stark verzögert ausgeführt. schaft) Reaktionsfähigkeit; Kon- 7 Reaktionen erfolgen unsicher, eventuell vorschnell und Selektive nicht-räumliche Aufmerksam- zentrationsfähigkeit situationsunangemessen oder werden unpräzise, moto- keit; Inhibition unerwünschter Reaktionen; risch ungeschickt, „überschießend“ oder überhastet Reaktionsselektion; motorische Präzision ausgeführt. Konzentrationsfähigkeit 8 Die psychischen Leistungen sind instabil in dem Sinne, Selektive Aufmerksamkeit; speed-accu- dass die erforderliche Ausgewogenheit zwischen racy trade-off (Balance zwischen Ge- Schnelligkeit und Sorgfaltsleistung fehlt. schwindigkeit und Sorgfalt) Tab. 1: Mögliche Zuordnung der in den Begutachtungs-Leitlinien (BASt, 2000) genannten psychischen Verhaltensauswirkungen zu aktuellen Modellen der Aufmerksamkeit durch die Autoren
10 tisch), der motorischen Anforderungen (durchstrei- rüber, welcher Anforderungsbereich mit welchen chen, Tastendruck, Fußpedal etc.) und der Komple- Tests am besten erfasst werden kann. xität der Testinstruktion sehr heterogen. Erschwe- 2. Aufgrund der unterschiedlichen funktionalen rend kommt hinzu, dass sich die Tests hinsichtlich Spezifität der psychometrischen Tests ergibt der verwendeten Normstichproben (Größe, Alter sich eine möglicherweise unterschiedliche Rele- und Relevanz für die Fahreignungsprüfung) sowie vanz der Verfahren zur Vorhersage der Fahreig- im Ausmaß vorliegender Validierungsuntersuchun- nung. Diese hängt davon ab, welche Aufmerk- gen in Bezug auf Fahrtauglichkeit unterscheiden. samkeitskomponenten jeweils in die Testleis- Zudem konnte gezeigt werden, dass häufig ver- tung eingehen und wie valide diese Komponen- wendete Testverfahren eine z. T. nur mäßige vor- ten unter Aspekten der Verkehrssicherheit sind. hersagende Validität gemessen an einem globalen In diesem Zusammenhang plädiert BROUWER Verhaltensrating nach einer Fahrprobe aufweisen (BROUWER, 2002) u. a. für die Verwendung (HANNEN, HARTJE & SKRECZEK, 1998). von Aufgaben zur geteilten Aufmerksamkeit bei Schon die kleine Auswahl an Testverfahren in Ta- der Fahreignungsprüfung. belle 2 und deren mögliche Einordnung bzgl. FeV- Anforderungsbereich machen deutlich, dass eine 3. Je breiter das Anforderungsprofil eines Tests, eindeutige Zuordnung der Tests zu den Anforde- desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass rungsbereichen nur in Ansätzen möglich ist (für den spezifische Defizite innerhalb des Verfahrens Corporal-A konnte nach Meinung der Autoren kompensiert werden können (z. B. ein sehr nied- wegen mangelnder theoretischer Einbettung im riger Prozentrang in Parameter 1 durch einen Testmanual keine zuverlässige Zuordnung erfol- hohen Prozentrang in Parameter 2). gen). Vielmehr vereinen einige Tests mehrere un- Diese Aspekte haben direkte Auswirkungen auf die terschiedliche Anforderungen (z. B. Wiener Deter- Gewichtung und Interpretation der Ergebnisse minationstest), andere wiederum weisen ein relativ einer Fahreignungsprüfung im Einzelfall. spezifisches Aufmerksamkeitsprofil auf (z. B. Wie- ner Reaktionstest/Licht). Dies führt zu folgenden Für das methodische Vorgehen im Forschungspro- Überlegungen: jekt bei der Untersuchung den bestehenden Test- verfahren bedeutet dies: 1. Die in der FeV genannten 5 Anforderungsberei- che sollten inhaltlich präzisiert werden im Hin- 1. Neben der inhaltlichen Analyse der zur Fahreig- blick auf darunter subsumierte, empirisch expe- nung eingesetzten Testverfahren zur Beurtei- rimentell und funktionell-bildgebend nachgewie- lung der daran beteiligten Aufmerksamkeitskom- sene Aufmerksamkeitsfunktionen. Dies ermög- ponenten sind Analysen der Interkorrelationen licht in der Folge eine präzisere Aussage da- dieser Verfahren (sofern publiziert) relevant, um Anforderungsbereich Aufmerksamkeitsfunktion Computergestütze /apparative Papier- und Bleistifttests Tests Belastbarkeit Längerfristige Aufmerksamkeit Wiener Determinationsgerät, Wie- bei hoher Beanspruchung ner Testsystem – Daueraufmerk- samkeit Orientierung Visuell-räumliche Aufmerksamkeit Linienverfolgungstest, TAPK-Visu- Zahlenverbindungstest (ZVT) ohne bzw. mit Blickbewegungen elles Scanning, ART-2020, TAVT 2, Wiener Determinationsgerät Konzentration Selektive, visuelle, nicht-räumli- Wiener Testsysteme – Cognitrone, Aufmerksamkeits-Belastungstest che Aufmerksamkeit Wiener Reaktionstest (Ton bzw. d2 nach BRICKENKAMP, Frank- Licht) furter Aufmerksamkeitsinventar (FAIR), Farbe-Wort-Interferenztest Aufmerksamkeit Geteilte Aufmerksamkeit Umstel- TAVT, 2 TAPK-Geteilte Aufmerk- lungsfähigkeit samkeit, TAPK-Reaktionswechsel Reaktionsfähigkeit Alertness (allgemeine Reaktions- Wiener Reaktionsgerät (Ton bzw. bereitschaft), Sicherheit und Prä- Licht), Wiener Determinationstest zision motorischer Reaktionen Tab. 2: Mögliche Zuordnung ausgewählter psychometrischer Fahreignungstests zu den 5 Anforderungsbereichen der FeV sowie zu Aufmerksamkeitsfunktionen durch die Autoren
11 Hinweise zu deren inhaltlicher (Aufmerksam- Scholar“ durchgeführt. Eingeschlossen wurden alle keits-)Spezifität sowie möglicher Redundanz zu Veröffentlichungen, die bis Mitte Juni 2007 in die erhalten. Datenbanken eingegangen sind. Über diese Re- cherche konnten insgesamt 167 Artikel identifiziert 2. In einem weiteren Schritt ist die Analyse der Va- werden, die für die neuropsychologische Bewer- lidität der Testverfahren unter Aspekten der Ver- tung der Fahreignung von Interesse sind. Eine Liste kehrssicherheit – d. h. der Kriteriumsvalidität im der Literatur findet sich im Kapitel 12.1 „Ergänzen- Hinblick auf reales Fahrverhalten (z. B. Gesamt- de Literatur“ am Ende des Berichtes. Von diesen urteil, Verhalten in spezifischen Verkehrssitua- Artikeln behandeln 19 die praktische Fahrprüfung tionen) bzw. anderer objektiver Informationen als Gegenstand der Fahreignung, hiervon 9 aus (z. B. Unfallhäufigkeit) – von besonderer Rele- Deutschland, Österreich und Belgien (AKINWUN- vanz. Dies ermöglicht schließlich die Aussage TAN et al., 2006; AKINWUNTAN et al., 2002; BU- darüber, welche Aufmerksamkeitskomponenten in welchem Ausmaß zur Vorhersage der Fahr- KASA & PIRINGER, 2001; BUKASA, CHRIST, PO- eignung beitragen. NOCNY-SELIGER, SMUC & WENNINGER, 2003B; De RAEDT & PONJAERT-KRISTOFFER- 3. Dieses Vorgehen soll dann schließlich zu einer SEN, 2000; HANNEN et al., 1998; HELD, LAM- inhaltlichen Schärfung der Anforderungsberei- BERTI & KUBITZKI, 1993; KROLL et al., 2003; che und einer Präzisierung diagnostischer Krite- SOMMER & HÄUSLER, 2006). Eine Studie (KAR- rien führen. NER & BIEHL, 2001) verglich im Sinne einer Kreuz- validierung Testsysteme untereinander, sie wird daher zusätzlich aufgeführt. Im Folgenden wird ein 3 Stand der empirischen For- Überblick gegeben über die eingesetzten Testver- fahren, statistischen Methoden und die Ergebnisse schung zur Kriteriumsvalidität der Studien. von Verfahren zur psychome- trischen Leistungsprüfung 3.1.1 Eingesetzte Testverfahren Aufbauend auf einer Sichtung der aktuellen Litera- tur wurde ein Überblick zum Thema „Kriteriumsvali- Bei den Testverfahren ist erwartungsgemäß eine dität von Testverfahren zur psychometrischen Leis- deutliche Unterscheidung zwischen Studien aus tungsprüfung“ erstellt. Die Ergebnisse der Recher- dem deutschen Sprachraum und internationalen che werden in diesem Kapitel dargestellt. Es wird Studien zu treffen. In Deutschland und Österreich ausdrücklich darauf hingewiesen, dass bei dieser wurden vor allem die Verfahren Expertensystem Darstellung kein Anspruch auf Vollständigkeit erho- Verkehr (sowie die Vorgänger Wiener Determina- ben werden kann. Es wird Bezug auf Veröffentli- tionsgerät und Wiener Reaktionsgerät), ART 90 und chungen genommen, die in den unten genannten 2020, Tachistoskopischer Verkehrsauffassungstest Datenbanken gefunden wurden und zugänglich (TAVT), Aufmerksamkeits-Belastungs-Test d2, Test- waren, sowie auf die in den Testmanualen der Her- batterie zur Aufmerksamkeitsprüfung zur Überprü- steller genannten Informationen. fung der Fahrtauglichkeit (TAP-M, zum Teil nur Un- tertests), aber auch Linien-Verfolgungs-Test (LVT) In einem Exkurs wird ferner darauf eingegangen, und Trailmaking-Test (TMT) in Untersuchungen wie das Kriterium der Fahrprobe in aktuellen Stu- berücksichtigt. In internationalen Studien wurden dien definiert wird und mit welchen Herausforde- besonders der TMT, das UFOV (Useful Field Of rungen die Festlegung der Bedingungen einer View) und die Rey-Osterrieth-Figur eingesetzt, da- Fahrprobe einhergeht. neben aber auch unterschiedlichste Verfahren zu Merkfähigkeit, Intelligenz, Aufmerksamkeit und De- menzdiagnostik. 3.1 Allgemeine Literatur/Studien zur Fahreignungsüberprüfung Die Auswahl der gewählten Testverfahren erfolgte in den meisten Studien nicht theoriegeleitet, son- Zur Überblicksgewinnung über den aktuellen Stand dern richtete sich vor allem nach dem gängigen der Forschung wurde eine Literaturrecherche in Einsatz dieser Testverfahren in der Aufmerksam- den Datenbanken PubMed, PsycINFO und PSYN- keits- und auch Fahreignungsdiagnostik bezie- DEX sowie im Internet über den Dienst „Google hungsweise bei Patientenstichproben (z. B. Schä-
12 del-Hirn-Trauma, Demenz, Parkinson) nach für lichen Aussagen gelangen, können für den Raum diese Patientengruppen etablierten Verfahren. Deutschland/Österreich/Belgien folgende Tests po- sitive Zusammenhänge zwischen den Werten im 3.1.2 Verwendete Methoden psychometrischen Leistungstest mit in einer Fahr- probe erbrachten Leistungen verzeichnen: Exper- Die Studien unterscheiden sich nicht nur in der Aus- tensystem Verkehr und Vorgänger Wiener Determi- wahl der verwendeten psychometrischen Testver- nationsgerät (WDG) und Wiener Reaktionsgerät fahren, sondern auch im Hinblick auf die eingesetz- (WRG) (HANNEN et al., 1998; HELD et al., 1993; ten statistischen Methoden zur Vorhersage der KROLL et al., 2003; SOMMER et al., 2006), ART Fahreignung bzw. zur Analyse des Zusammen- 2020 (BUKASA et al., 2003a; BUKASA et al., hangs zwischen Testleistung und realer Fahrleis- 2001), TAP-M (AKINWUNTAN et al., 2006; AKIN- tung in der Fahrprobe. Häufig werden Korrelationen WUNTAN et al., 2002; De RAEDT et al., 2000; zwischen einzelnen Tests und der Fahrprobe und HELD et al., 1993) und die Rey-Osterreith-Figur Gruppenvergleiche (ANOVA, t-Test, U-Test) einge- (AKINWUNTAN et al., 2006; AKINWUNTAN et al., setzt. Zusätzlich kommen Regressionsanalysen 2002). Im Einzelnen ergab sich für diese Verfahren (z. B. KROLL et al., 2003), Diskriminanzanalysen folgendes Bild: (HANNEN, HARTJE & SKRECZEK, 1998; SINGH, PENTLAND, HUNTER & PROVAN, 2007), Pfada- Expertensystem Verkehr nalysen (BUKASA, CHRIST, PONOCNY-SELIGER, SMUC & WENNINGER, 2003a) und künstliche In einer einzelnen Studie mit 222 Teilnehmern in neuronale Netze (SOMMER, ARENDASY, SCHUH- Wien und Bad Tölz wurden ausgewählte Variablen FRIED & LITZENBERGER, 2006) zur Anwendung, der Testbatterie Expertensystem Verkehr mittels allerdings – bis auf zwei Ausnahmen – nur in Studi- Fahrprobe und der Methode künstlicher neuronaler en aus Deutschland und Österreich. Die im Einzel- Netze untersucht (Variablen: Überblicksgewinnung nen verwendeten Methoden werden in den folgen- aus dem TAVT, Allgemeine Intelligenz aus dem Ad- den Kapiteln angegeben. aptiven Matrizen-Test Form S2, die Variable Richti- ge aus dem Determinationstest Form S1, Motori- Zu den beschriebenen Methoden muss kritisch an- sche Zeit und Reaktionszeit des Reaktionstests gemerkt werden, dass in der Praxis nur solche Ver- Form S3, die Mittlere Zeit korrekter Zurückweisung fahren sinnvoll einzusetzen sind, die dem Anwender im Cognitrone Form S1 sowie das Gesichtsfeld und eine direkte Aussage über die psychometrische in der Version 'Plus' die Trackingabweichung aus Leistungsfähigkeit bezogen auf die Fahreignung des Probanden ermöglichen. Der bloße statistische Zu- der Peripheren Wahrnehmung), (SOMMER et al., sammenhang eines Testverfahrens zur psychome- 2006). Mit Hilfe der Testbatterie Standard werden trischen Leistungsprüfung der Fahreignung reicht 73,13 Prozent der in der standardisierten Fahrprobe zur Beurteilung in der Praxis nicht aus: Vielmehr positiv bewerteten Personen anhand ihrer Tester- muss die Beurteilung der Fahreignung über Cut-offs gebnisse mit einer Wahrscheinlichkeit ≥ 0,70 dieser oder andere dichotome oder künstlich dichotomisie- Gruppe zugeordnet. 13,63 Prozent der in der stan- rende Variablen ermöglicht werden. Studien, in dardisierten Fahrprobe negativ bewerteten Perso- denen beispielsweise mit Korrelationen gearbeitet nen wird mit einer Wahrscheinlichkeit ≥ 0,70 fälsch- wird, haben daher nur eine begrenzte Aussagekraft lich ein hinreichend sicheres Fahrverhalten unter- hinsichtlich dieses Unterscheidungsmerkmals. stellt. Im Falle der Testbatterie Plus werden 76,87 Prozent der tatsächlich positiv bewerteten Personen Die Methode des Extremgruppenvergleichs ist mit einer Wahrscheinlichkeit ≥ 0,70 dieser Gruppe ebenfalls problembehaftet, da hiermit – durch ein zugeordnet, während 10,20 Prozent der tatsächlich Ausklammern des mittleren Bereichs der Varia- negativ Beurteilten fälschlicherweise mit einer blenausprägung – in der Regel die Bedeutung der Wahrscheinlichkeit ≥ 0,70 dieser Gruppe zugeord- untersuchten Zusammenhänge überschätzt wird net werden (SOMMER et al., 2006). (BORTZ & DÖRING, 2003). Zu den Ergebnissen der Validierung der Vorgänger- versionen „Wiener Determinationsgerät“ und „Wie- 3.1.3 Ergebnisse ner Reaktionsgerät“ sei auf die Literatur verwiesen Obwohl die Studien sogar bei gleichen psychome- (HANNEN et al., 1998; HELD et al., 1993; KROLL trischen Testverfahren im Ergebnis zu unterschied- et al., 2003).
13 ART 2020 erlaubte. Der Autor betont zusätzlich, dass Patien- ten, die möglicherweise zurzeit noch nicht fahrtüch- Das ART-2020-Testsystem wurde in umfangreichen tig sind, in neuropsychologischen Testverfahren Messungen mit 120 (BUKASA et al., 2001) bezie- unauffällig abschneiden können, sich im Stra- hungsweise 123 Teilnehmern (BUKASA et al., ßenverkehr dann aber durch fehlende Kompensati- 2003a) in Wien untersucht. In der Fahrprobe kam onsmöglichkeiten als schlechte Fahrer herausstel- das System zur Analyse des Fahrverhaltens (SAF) len. zum Einsatz, neben dem Fahrlehrer war ein unab- hängiger Bewerter bei der Fahrt anwesend. Das SAF (SMUC, CHRIST & GATSCHA, 2006) erfasst Weitere Verfahren per Kameraaufzeichnungen Fahrer, Fahrstrecke Der UFOV hat bei zwei unterschiedlichen Studien und Pedalbereich des Kfz, es speichert Fahrge- desselben Autors unter gleichen Outcome-Varia- schwindigkeit, Beschleunigungen und Kfz-Status- blen und vergleichbaren Stichproben einmal einen signale. Der Beobachter gibt während dieser Auf- Vorhersagewert zur Fahrprobe gehabt, in der Fol- zeichnung über eine Tastatur Beobachtungsvaria- gestudie jedoch nicht. In der ersten Untersuchung blen wie zum Beispiel Spurhalten, Abstandhalten zeigte sich eine Korrelation von -.38 zur Fahrprobe etc. ein. Diese Bewertungen können dann der zu und von -.43 zur Gruppenentscheidung zur Fahr- dem Zeitpunkt aufgezeichneten Fahrsituation zuge- eignung (dichotomes Urteil, vor allem die Leistung ordnet werden. In der Studie von 2001 wurden Kor- in der Fahrprobe war ausschlaggebend für die relationen der Fahrprobevariablen mit den Tester- gebnissen berechnet sowie Extremgruppenverglei- Gruppenentscheidung (AKINWUNTAN et al., che durchgeführt. In der Studie von 2003 wurden 2002)). In der Folgestudie konnte sich dieser Zu- zuerst Faktorenanalysen berechnet (zum einen sammenhang nicht bestätigen (weder für die Grup- über die Fahrleistungsvariablen, zum anderen über penentscheidung noch für die Fahrprobe: (AKIN- die Testvariablen), hiernach wurde eine Pfadanaly- WUNTAN et al., 2006)). In einer Studie von De se zur Vorhersage der Fahrfaktoren durch die Test- RAEDT hatte der UFOV gute Vorhersageeigen- faktoren erstellt, zusätzlich wurde versucht, über schaften (Korrelation UFOV zu Fahrprobe r = -.66 eine Regression die Fahreignung vorherzusagen. (De RAEDT et al., 2000)). Im multivariaten Kontext konnten bei den Regres- Die Rey-Osterrieth-Figur wurde nur von AKINWUN- sionsanalysen 67 % der Varianz der gewichteten/ TAN in zwei Studien eingesetzt (AKINWUNTAN et ungewichteten Summe der Fahrverhaltensfehler al., 2006; AKINWUNTAN et al., 2002). Während sie durch die Leistungstestvariablen erklärt werden. in der ersten Studie die höchsten Korrelationen zu Die Pfadanalysen nach Durchführung der Fakto- Fahrprobe (r = .48) und Gesamtbewertung (r = .42) renanalysen lieferten mit normierten Fit-Indices aufwies, zeigte sich in der zweiten Studie nur noch zwischen 0,93 und 0,96 gute Erklärungsmodelle ein Zusammenhang zur Gesamtbewertung (r = des multivariaten Bedingungsgefüges. Es wurden -.40), aber nicht mehr zur Fahrprobe (r = .19). keine Aussagen über „falsch-positive“ oder „falsch- negative“ Einordnungen gemacht. Der Linienverfolgungstest (LVT) und der Tachistos- kopische Verkehrsauffassungstest (TAVT) zeigten TAP-M sich nicht prädiktiv für die Fahrprobe (HANNEN et al., 1998; HELD et al., 1993). Der TMT wurde nur in Die Untertests der TAP-M wurden vor allem von einer Studie in Deutschland/Österreich/Belgien ein- AKINWUNTAN überprüft (AKINWUNTAN et al., gesetzt (KROLL et al., 2003). Dort korrelierte er mit 2006: 68 Patienten nach Schlaganfall; AKINWUN- der Fahrnote, lieferte aber in einer Regression kei- TAN et al., 2002: 104 Patienten nach Schlaganfall), nen signifikanten Beitrag. Der d2 wurde in zwei andere Autoren verwendeten nur einzelne Unter- deutschen Studien zur Vorhersage der Leistung in tests (De RAEDT et al., 2000: Inkompatibilität; einer Fahrprobe eingesetzt, in beiden Studien hatte HELD et al., 1993: geteilte Aufmerksamkeit). AKIN- das Testverfahren keinen Vorhersagewert (HAN- WUNTAN (AKINWUNTAN et al., 2002) konnte für NEN et al., 1998; HELD et al., 1993). alle Untertests Korrelationen zur Fahrprobe fest- stellen, in der Folgestudie 2006 wurde jedoch der KARNER et al. (2001) haben in einer Untersuchung Untertest Flexibilität nicht mehr überprüft, da er in mit 127 Teilnehmern die Verfahren Expertensystem der Studie 2002 nur eine grenzwertige Vorhersage Verkehr, ART 90, WDG und WRG miteinander ver- der Entscheidung fahrgeeignet/nicht fahrgeeignet glichen. Hierbei konnten sie gute Interkorrelationen
14 der einander entsprechenden Untertests belegen, 3.2 Angaben der Testhersteller zur was für eine weitgehende Äquivalenz der Testver- Kriteriumsvalidität in den Test- fahren beziehungsweise der damit gemessenen manualen Konstrukte spricht. Neben den in unabhängigen Fachzeitschriften pub- In internationalen Studien zeigte sich, dass vor lizierten Forschungsergebnissen geben die allem der TMT B eine gute Vorhersage der Fahr- Testhersteller in den Testmanualen oftmals weitere probe liefern konnte (GRACE et al., 2005; NOVACK Validierungsstudien an. Zum Teil werden jedoch et al., 2006; REGER et al., 2004). Ebenso konnten auch Studien angegeben, die ebenfalls in Fachzeit- die Rey-Osterrieth-Figur und der UFOV in Studien schriften veröffentlicht wurden, es kann also im Fol- überzeugen (GRACE et al., 2005; MARSHALL et genden zu Überschneidungen mit vorher darge- al., 2007; NOVACK et al., 2006). Bei Patienten- stellten Ergebnisse kommen. gruppen (Demenz, Parkinson) konnte die Mini- mental State Examination (MMSE) in Metaanaly- sen und in Originalbeiträgen zum Teil zur Vorhersa- 3.2.1 ART 2020 ge der Fahreignung beitragen (ANSTEY, WOOD, Zum ART 2020 bestehen umfangreiche Validie- LORD & WALKER, 2005; SINGH et al., 2007), zum rungsstudien, die auch separat veröffentlicht (BU- Teil jedoch nicht (REGER et al., 2004). KASA et al., 2003a; BUKASA et al., 2001; BUKASA et al., 2003b) und daher bereits unter Kapitel 3.1.3 Unterschiede zwischen internationalen Studien und benannt wurden. In der letzten Validierungsstudie den Studien aus Deutschland/Österreich/Belgien von 2003 wurden die Daten von 123 Probanden können nicht nur davon herrühren, dass die in ausgewertet. Die Werte der einzelnen Testverfah- Deutschland zugelassenen Systeme nicht interna- ren wurden faktorenanalytisch untersucht (6 Fakto- tional eingesetzt werden, sondern können auch von ren), ebenso die Einzelbewertungen des Fahrver- methodischen Unterschieden stammen (siehe haltens (4 Faktoren). oben: Beispiel TMT). Die sechs Testverfahrensfaktoren beinhalten: In einer Studie wurden die Testverfahren Experten- system Verkehr, ART 90, WDG und WRG unterei- 1. (22 % erklärte Varianz) unterschiedliche Aspek- nander verglichen (KARNER et al., 2001). Die Au- te der Informationsverarbeitungsgeschwindig- toren kamen zu dem Schluss, dass die einander keit in ihrer negativen Ausprägung, erfasst bei entsprechenden (Unter-)Tests unabhängig von der den wesentlichsten Testverfahren der Fahreig- Präsentation dasselbe messen. Ob diese Verfahren nungsdiagnostik (RST3, LL5, DR2, PVT, SET3, einen Vorhersagewert zur Fahreignung liefern, Q1, TT15). wurde jedoch von den Autoren nicht untersucht. 2. (11 % erklärte Varianz) sensomotorische Koordi- nation, auch in Verbindung mit der peripheren 3.1.4 Fazit – Forschungsergebnisse Wahrnehmung. Der Faktor besteht aus den Auch bei der spärlichen Datenlage in der For- großen Fehlern im SENSO. schung kann davon ausgegangen werden, dass die 3. (9 % erklärte Varianz) Fehlervariablen unter in Deutschland gängigen Verfahren wie ART 2020, erhöhter Belastung bzw. Mehrfachanforderun- Expertensystem Verkehr (bzw. Wiener Determinati- gen. Hier gehen Fehler im RST3, PVT und MAT onsgerät und Wiener Reaktionsgerät) und TAP-M ein. Aussagen über einen gewissen Zusammenhang mit der Fahreignung erlauben. Eine Standardisie- 4. (7 % erklärte Varianz) kleine Fehler im SENSO. rung der eingesetzten Methoden sowie der Fahr- Dieser auf die kleinen Fehler eingeschränkte probe (siehe hierzu auch Kapitel 3.4) ist jedoch Fehlerfaktor dokumentiert, dass es einen quali- dringend angezeigt, um die Ergebnisse vergleich- tativen Unterschied hinsichtlich Fein- und Grob- bar zu machen und zu wissenschaftlich abgesi- motorik gibt. cherten Ergebnissen zu kommen. 5. (7 % erklärte Varianz) Überforderung in der Grobmotorik. Anzahl und Dauer „großer“ Fehler sowie die Gegenlenkbewegungen bei erhöhtem festgesetzten Tempo im SENSO bestimmt.
15 6. (5 % erklärte Varianz) Fehlervariablen aus dem Fahrprobe finden (HANNEN et al., 1998:, HELD et reaktiven, perzeptiven, konzentrativen Intelli- al., 1993), die in dem Manual angegebenen Studi- genz- und Gedächtnisbereich. en konnten jedoch solche Zusammenhänge bele- gen. Die vier Fahrverhaltensfaktoren sind: 1. (27 % erklärte Varianz) Gefährdungsaspekte im 3.2.3 TAP-M Fahrverhalten. Im Manual des Herstellers werden verschiedene 2. (15 % erklärte Varianz) Defizite in der Schnellig- Studien angeführt, die an einer Fahrprobe validiert keit verkehrsbezogener Informationsaufnahme wurden. Hierbei wurden in der Regel nicht nur die und in der Genauigkeit der Informationsumset- Einzelfaktoren der Tests mit der Fahreignung (er- zung sowie Interaktionsprobleme mit nicht-mo- mittelt über verschiedene Testprotokolle, aber torisierten Verkehrsteilnehmern. immer über eine Fahrprobe) korreliert, sondern auch Faktoren über die Einzelleistungen gebildet, 3. (13,5 % erklärte Varianz) Schwierigkeiten beim die dann ihrerseits mit der Leistung in der Fahrpro- Verlassen der eigenen Fahrbahn und Einordnen be korreliert wurden. Hier zeigten sich vor allem in die neue Fahrspur zum passenden Zeitpunkt, einheitlich gute Zusammenhangswerte für den Un- Mängel beim rechtzeitigen Signalisieren von tertest Visuelles Scannen, bei den ermittelten Fak- Richtungsänderungen. toren waren vor allem Faktoren, die visuell-räumli- 4. (12,9 % erklärte Varianz) Seitenabstand zu ge- che Aufmerksamkeit bei Beteiligung von Augenbe- ring. wegungen zusammenfassten, aussagekräftig. Da auch in diesem Manual nur korrelative Zusammen- Mit Hilfe einer Pfadanalyse konnten die Fahrverhal- hänge berichtet werden, kann keine Aussage zur tensfaktoren durch die Testfaktoren vorhergesagt Güte der Klassifikation fahrgeeignet/nicht fahrge- werden. Per Pfadanalyse haben die Autoren ein eignet gemacht werden. Modell erstellen können mit einem normierten Fit- Index von 0,93 bzw. einem relativen Fit-Index von 3.2.4 Corporal-A 0,80. Der Median der Residuen liegt mit 0,087 unter der obligaten 10 % Schranke, d. h. es bleibt in etwa Im Testmanual werden keine Studien angegeben, nur 9 % Residualvarianz unerklärt (BUKASA et al., die an einer Fahrprobe validiert wurden. 2003a). 3.2.5 d2 3.2.2 Expertensystem Verkehr Im Testmanual werden keine Studien angegeben, In den Untertests des Expertensystems Verkehr be- die an einer Fahrprobe validiert wurden. stehen leichte Unterschiede in der Art der Validie- rung. Das Außenkriterium der Fahrprobe wurde bei 3.2.6 Konzentrations-Leistungs-Test folgenden Untertests eingesetzt: 2-Hand-Koordina- tion, Adaptiver Matritzen-Test, Determinationstest, Im Testmanual werden keine Studien angegeben, Periphere Wahrnehmung, Linienverfolgungstest, die an einer Fahrprobe validiert wurden. Reaktionstest und dem Tachistoskopischen Ver- kehrsauffassungstest. Bei den genannten Verfah- 3.2.7 Zusammenfassung ren zeigten sich durchweg signifikante korrelative Zusammenhänge zur Fahrprobe. Da keine Anga- Gerade bei den Testverfahren, die nicht explizit zur Beurteilung der Fahreignung entwickelt wurden oder ben zu Cut-offs gemacht wurden und sich die ge- deren Einsatz zu diesem Zweck im Manual empfoh- machten Aussagen nur auf korrelative Zusammen- len wird, fehlen Angaben zur Validierung am Außen- hänge stützen, können keine Angaben zur korrek- kriterium der Fahrprobe. Bei den anderen Verfahren ten/inkorrekten Klassifikation von Probanden in (ART 2020, Expertensystem Verkehr und TAP-M) fahrgeeignet/nicht fahrgeeignet gemacht werden. werden – mit Ausnahme des Corporal-A – entspre- Die Ergebnisse der Vorhersage der Leistung in der chende Ergebnisse vorgelegt. Diese beziehen sich Fahrprobe schwanken hierbei. So konnten bei- jedoch im Einzelfall nicht immer auf alle Untertests spielsweise einige unabhängige Studien keine Zu- (Expertensystem Verkehr). Des Weiteren werden sammenhänge zwischen dem TAVT und einer keine Angaben zur Klassifikation der Testperson in
Sie können auch lesen