50 JAHRE NEUBAU THEATER ULM
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2 THEATER ULM Spielzeit 2019/2020 M I T G U N S T U N D V E R L A U B ! H O C H V E R E H R T E R I C H T F E S T G Ä S T E EIN STOLZES WERK WARD HIER VOLLBRACHT, DAS ALLEN SEHR VIEL MÜH' GEMACHT, DOCH SEI DIE FREUDE NICHT VERGESSEN, DIE IMMER IST DABEIGEWESEN, DIE FREUDE, DASS NACH LANGEM ZAGEN DIE STADTVÄTER ES DOCH NOCH WAGEN, MIT SCHULDEN UND MIT GOTTVERTRAUN EIN NEUES THEATER ZU ERBAUN! A U S Z U G A U S D E M R I C H T S P R U C H — N E U B A U U L M E R T H E AT E R 3 . A P R I L 1 9 6 8 9 GRUS- UND VORWORTE 20 ULRICH KHUON — ERKÄMPFT, ERSTRITTEN UND STÄNDIG NEU VERHANDELT 22 MICHAEL HEINRICH — SPIEL DER HEXAGONE: FORM UND FUNKTION DES ULMER THEATERS 40 MUSIKTHEATER 50 TANZTHEATER 60 SCHAUSPIEL 72 JUNGES THEATER ULM 92 KONZERTE 120 EXTRAS 134 GASTSPIELE 138 ENSEMBLE 148 VORSTELLUNGSTERMINE 156 EINTRITTSPREISE 158 SITZPLÄNE 160 THEATERCARDS UND BESONDERE ANGEBOTE 162 ABONNEMENTS UND BESUCHERRING 178 BARRIEREARMER THEATERBESUCH 183 FREUNDE & FÖRDERER DES ULMER THEATERS E.V. Jasper Brandis (Schauspieldirektor) 184 KONTAKTE UND IMPRESSUM
4 THEATER ULM Spielzeit 2019/2020 THEATER ULM Spielzeit 2019/2020 5 MUSIKTHEATER TANZTHEATER Zum 250. Geburtstag Oper in zwei Aufzügen von Ludwig van Beethoven Faces of Love [12+] Tanztheater in zwei Teilen von Beatrice Panero und Noel Pong von Ludwig van Beethoven Libretto von Joseph Sonnleithner zu Werken von Ludwig van Beethoven u. a. Großes Haus und Georg Friedrich Treitschke URAUFFÜHRUNG Donnerstag, 17. Oktober 2019, 20 Uhr Fidelio [14+] PREMIERE Donnerstag, 26. September 2019, 20 Uhr Ein Sommernachtstraum [12+] Tanztheater von Reiner Feistel nach William Shakespeare zu Musik von Felix Mendelssohn Bartholdy u. a. Cendrillon [8+] Märchenoper in vier Akten von Jules Massenet In Kooperation mit dem Theater Chemnitz Libretto von Henri Cain nach Charles Perrault Aschenputtel in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln ULMER PREMIERE Donnerstag, 2. April 2020, 20 Uhr PREMIERE Donnerstag, 19. Dezember 2019, 20 Uhr Der kleine Prinz [8+] Tanztheater von Reiner Feistel nach der Geschichte von Antoine de Saint-Exupéry Die Csárdásfürstin [12+] Operette in drei Akten von Emmerich Kálmán Großes Haus WIEDERAUFNAHME Samstag, 30. November 2019, 18 Uhr Podium Libretto von Leo Stein und Bela Jenbach PREMIERE Donnerstag, 6. Februar 2020, 20 Uhr Das Schweigen Tanztheater von Reiner Feistel URAUFFÜHRUNG Samstag, 1. Februar 2020, 19.30 Uhr Rigoletto [14+] Melodramma in drei Akten von Giuseppe Verdi der Männer [12+] Libretto von Francesco Maria Piave nach dem Versdrama »Le roi s’amuse« von Victor Hugo in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln SCHAUSPIEL In Kooperation mit dem Oldenburgischen Staatstheater PREMIERE Donnerstag, 19. März 2020, 20 Uhr Zum 250. Geburtstag Variationen über einen Freiheitstraum von Ulf Schmidt Zum 150. Geburtstag Oper in drei Akten von Charles Tournemire von Albrecht Ludwig Berblinger (Auftragswerk des Theaters Ulm) von Charles Tournemire Libretto von Albert Pauphilet Berblinger, Schneider. [14+] URAUFFÜHRUNG Donnerstag, 3. Oktober 2019, 19 Uhr La Légende de Tristan [16+] in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln Großes Haus URAUFFÜHRUNG Donnerstag, 7. Mai 2020, 20 Uhr Eins, zwei, drei [12+] Ein Spiel in einem Akt von Ferenc Molnár PREMIERE Donnerstag, 16. Januar 2020, 20 Uhr In the Penal Colony [14+] Kammeroper in einem Akt von Philip Glass Biedermann Lehrstück ohne Lehre von Max Frisch Libretto von Rudolph Wurlitzer PREMIERE Donnerstag, 27. Februar 2020, 20 Uhr In der Strafkolonie und die Brandstifter [14+] Podium nach der Erzählung von Franz Kafka Deutsche Übersetzung von Cordula Engelbert und Bettina Rohrbeck Der zerbrochne Krug [14+] Lustspiel von Heinrich von Kleist PREMIERE Donnerstag, 23. April 2020, 20 Uhr PREMIERE Freitag, 8. November 2019, 19.30 Uhr Alte Meister [14+] Schauspiel nach dem Roman von Thomas Bernhard PREMIERE Freitag, 4. Oktober 2019, 19.30 Uhr, MUSICAL Museum Ulm/kunsthalle weishaupt Zum 250. Geburtstag Schauspiel von John von Düffel La Cage aux Folles [12+] Musical in zwei Akten von Albrecht Ludwig Berblinger (Auftragswerk des Theaters Ulm) Musik und Gesangstexte von Jerry Herman Ein Käfig voller Narren Buch von Harvey Fierstein Ikarus [14+] URAUFFÜHRUNG Samstag, 5. Oktober 2019, 19.30 Uhr Podium und andere Spielstätten Deutsch von Erika Gesell und Christian Severin Großes Haus PREMIERE Donnerstag, 21. November 2019, 20 Uhr Josef und Maria [14+] Ein Spiel von Peter Turrini PREMIERE Freitag, 22. November 2019, 19.30 Uhr, BoConcept Ulm My Fair Lady [10+] Musical von Frederick Loewe nach George Bernard Shaws »Pygmalion« und dem Film von Gabriel Pascal Buch und Liedtexte von Alan Jay Lerner Benefiz — Jeder rettet Schauspiel von Ingrid Lausund in deutscher Sprache PREMIERE Samstag, 23. November 2019, 19.30 Uhr WIEDERAUFNAHME Donnerstag, 18. Juni 2020, 20 Uhr einen Afrikaner [13+] Sprachlos die Katastrophe Bühnentext für mindestens eine Spielerin und einen Spieler von Henriette Dushe im Bereich der Liebe [16+] URAUFFÜHRUNG Freitag, 10. Januar 2020, 19.30 Uhr Am Königsweg [16+] Schauspiel von Elfriede Jelinek In Kooperation mit der Akademie für Darstellende Kunst Die angegebenen Altersempfehlungen der Theaterpädagogik beziehen sich auf das jeweilige Werk und seine Thematik und nicht auf Baden-Württemberg die Inszenierung, und sind daher nur als Richtwerte zu verstehen. PREMIERE Donnerstag, 9. April 2020, 19.30 Uhr
6 THEATER ULM Spielzeit 2019/2020 THEATER ULM Spielzeit 2019/2020 7 JUNGES THEATER ULM SONDERKONZERTE Peterchens Mondfahrt [5+] Märchen nach dem Kinderbuch Allerheiligen-Konzert Großes Haus von Gerdt von Bassewitz Sonntag, 3. November 2019, 19 Uhr, Pauluskirche PREMIERE Mittwoch, 6. November 2019, 9 Uhr Neujahrskonzert Ab Mittwoch, 1. Januar 2020, 18 Uhr, Großes Haus Der dickste Pinguin Kinderstück von Ulrich Hub Kinderkonzert: Die Prinzessin auf der Erbse [5+] ULMER PREMIERE Sonntag, 29. September 2019, vom Pol [4+] 11 Uhr, Oberes Foyer Ein Orchestermärchen von Andreas N. Tarkmann nach Hans Christian Andersen Ab Samstag, 14. März 2020, 15 Uhr, Podium Auerhaus [14+] Schauspiel nach dem Roman von Bov Bjerg PREMIERE Freitag, 28. Februar 2020, 19.30 Uhr, Podium Ulmer Benefizgala: Richard Wagner — »Die Walküre«, 1. Aufzug u. a. Zugunsten des Mukoviszidose Fördervereins Ulm e. V. und der Stiftung Gänseblümchen Cinderellas Schuhe [4+] Kinderstück von Mike Kenny Freitag, 29. Mai 2020, 20 Uhr, Großes Haus WIEDERAUFNAHME Sonntag, 26. April 2020, 16 Uhr, Oberes Foyer Glaciskonzert Podium / Foyer des Theaters Ulm Mittwoch, 1. Juli 2020, 19 Uhr, Stadtpark Glacis Neu-Ulm Tanz der Tiefseequalle [10+] Schauspiel nach dem Roman von Stefanie Höfler PREMIERE Samstag, 23. Mai 2020, 18 Uhr, Podium Paradekonzert räuber|nnen [14+] Collage frei nach Friedrich Schiller Sonntag, 5. Juli 2020, 11 Uhr, Marktplatz Ulm (Arbeitstitel) Eine Produktion der Bürgerbühne Schauspiel 20-99 PREMIERE Freitag, 13. Dezember 2019, Schwörkonzert 19.30 Uhr, Podium Samstag, 18. Juli 2020, 19 Uhr, Ulmer Münster Der satanarchäo- Schauspiel nach dem Roman von Michael Ende KAMMERKONZERTE Eine Produktion der Bürgerbühne Schauspiel 10-15 lügenialkohöllische PREMIERE Samstag, 25. April 2020, 19.30 Uhr, Podium Wunschpunsch [8+] 1. Kammerkonzert Sonntag, 29. September 2019, 19.30 Uhr, Foyer Bürgerbühne PREMIERE Samstag, 13. Juni 2020, 19.30 Uhr, Podium Musiktheater 15-25 [12+] 2. Kammerkonzert Sonntag, 27. Oktober 2019, 19.30 Uhr, Foyer Frühlings Erwachen [14+] Stückentwicklung nach dem Text von Frank Wedekind (Arbeitstitel) Eine Produktion der Bürgerbühne Schauspiel 15-22 PREMIERE N.N. 3. Kammerkonzert Sonntag, 17. November 2019, 19.30 Uhr, Foyer PHILHARMONISCHE KONZERTE 4. Kammerkonzert Sonntag, 15. Dezember 2019, 19.30 Uhr, Stadthaus Ulm 1. Philharmonisches Konzert Dienstag, 15. Oktober 2019, 20 Uhr 5. Kammerkonzert Sonntag, 9. Februar 2020, 11 Uhr, Foyer 2. Philharmonisches Konzert Congress Centrum Ulm Dienstag, 26. November 2019, 20 Uhr 6. Kammerkonzert Sonntag, 5. April 2020, 11 Uhr, Foyer 3. Philharmonisches Konzert Dienstag, 25. Februar 2020, 20 Uhr 7. Kammerkonzert Sonntag, 17. Mai 2020, 11 Uhr, Foyer 4. Philharmonisches Konzert Dienstag, 12. Mai 2020, 20 Uhr 8. Kammerkonzert Sonntag, 21. Juni 2020, 11 Uhr, Foyer 5. Philharmonisches Konzert »Die lange Beethoven-Nacht« Dienstag, 23. Juni 2020, 20 Uhr / Mittwoch, 24. Juni 2020, 20 Uhr
10 50 JAHRE NEUBAU THEATER ULM 50 JAHRE NEUBAU THEATER ULM 11 Das Ulmer Theater ist einer der besten Theater- Dass das von Fritz Schäfer geschaffene Gebäude neubauten des 20. Jahrhunderts. Zum einen ist der am Herbert-von-Karajan-Platz 1 eine gelungene Standort, quasi mitten in der Stadt, außerordentlich Synthese aus architektonischer Form und visionärer günstig. Zum anderen ist der Bau an sich sehr Theatertechnik darstellt, ist hinreichend bekannt. gelungen. Der Zuschauerraum des Großen Hauses Als der Schäfer-Neubau des Ulmer Theaters eröffnet ist geschmackvoll und stellt alle Ansprüche, was Das Podium: Mit seinen Hubpodien wurde es Vorbild wurde, hatte ich gerade mein erstes Engagement als Sicht und Akustik betrifft, zufrieden. Dass der für die Technik der neuen Schaubühne am Lehniner Dramaturg an der Landesbühne Esslingen angetre- eiserne Vorhang vor dem Orchestergraben verläuft, Platz in Berlin. ten. Die »Bühnentechnische Rundschau« publizierte ist nicht nur außergewöhnlich, sondern auch klug. einen ausführlichen Bericht und widmete besonders Denn die Bühnenbilder können bis direkt zur ersten Der Werkstättenbereich: Um den Montagesaal herum dem Podium als einem der modernsten, bestens Zuschauerreihe gebaut werden, ohne Verletzung angeordnet, ermöglicht er einen perfekten Workflow ausgestatteten und vielfältig nutzbaren Theater- feuerpolizeilicher Vorschriften. Die Bühne vergrößert Fritz Schäfers Theaterbau geht wegen seiner bei der Anfertigung der Bühnenbilder. räume Deutschlands große Aufmerksamkeit. Später sich dadurch besonders für das Schauspiel enorm architektonischen Schönheit in die Baugeschichte während meiner Dramaturgen- und Intendantenzeit und ermöglicht einen sehr direkten, unmittelbaren von Ulm ein. Zu meiner Zeit als Intendant hatte ich Die Große Bühne: drei verschiedene Portalstellungen; in Ulm wurde mir das großartige künstlerische Ange- Kontakt zum Publikum. Der Clou des Hauses ist ausführlich mit dem Architekten über seinen Wunsch ein eiserner Vorhang zwischen Orchestergraben und bot dieses Raumes bewusst. Alles ist möglich, alles ist allerdings das Podium. Ich kenne kein Haus, das diskutiert, das Theatercafé, das nachträglich auf Zuschauerraum. beweglich. Die Podesterie fährt nach oben und unten, über eine so variable Spielmöglichkeit verfügt. In der der großzügigen Terrasse unter den wunderbaren mit oder ohne den Zuschauerinnen und Zuschauer auf Schaubühne in Berlin wurde ja ein Raum nach dem Bäumen an der Olgastraße errichtet wurde, wieder zu Das Foyer mit der Gott sei Dank wiederhergestellten den Drehsitzen. Gespielt werden kann mitten unter Vorbild des Ulmer Podiums gebaut. Während meiner entfernen. Wir hatten dort mittlerweile einen zweiten Terrasse. Und und und … den Besucherinnen und Besuchern, das Publikum Intendanz-Zeit in Ulm hatte ich immer wieder große Spielort für das Junge Theater eingerichtet. So hat einkreisend, aufnehmend, konfrontierend, in Blöcke Freude an diesem Haus und erhoffe für den jetzigen es etwas länger gedauert, bis er mich vom Abriss Aber das ist nicht alles. aufteilend. Auf dieser Tastatur kann man künstle- Intendanten Kay Metzger so viel Zufriedenheit, wie überzeugen konnte, doch glücklicherweise steht das risch spielen. Hier kann Bühnenmaschinerie Inhalte ich sie mit den Möglichkeiten des Hauses hatte. Ich Haus jetzt wieder in alter Schönheit. Erwähnenswert Dieses Theater atmet. Es ist durchlässig für die stützen und dient nicht nur ihrer eigenen Demonstra- wünsche dem Ulmer Theater noch viele, viele Jahre bleibt für mich als Regisseur die Tatsache, dass der Geister, die auf der Bühne entstehen und sich nach tion. Dass das Podium später offiziell eine Zeit lang Glück und ein oft ausverkauftes Haus. eiserne Vorhang gerundet vor dem Orchestergraben der Aufführung irgendwo im Haus verstecken, gar nicht mehr existierte, war eine städtische Sünde. angesiedelt ist. Das gibt die Möglichkeit, Plafonds ausruhen können müssen. Voll genutzt wird sein einmaliges Angebot seit Länge- Pavel Fieber zu bauen, die, unter dem Theaterportal über das rem nicht mehr. Kann es auch nicht, da die p ersonelle Intendant von 1985 bis 1991 Orchester ragend, die Stimmen der Sängerinnen und Wie Fledermäuse. Ausstattung hinter den Kulissen nicht mehr ausreicht. Sänger verstärkend in den schönen holzgetäfelten Es gibt Handlungsbedarf. Kreativität und Phantasie Zuschauerraum tragen. Ergänzt durch in zweifache Bis sie am Abend wieder Richtung Bühne sind natürlich gefragt, reichen aber nicht. Ausstat- Richtung klappbare Hubpodien und den vielseitig ausschwärmen dürfen. tung und Technik müssen bedient, Podeste gefahren, einsetzbaren Drehscheibenwagen ist dieses Theater Dekorationen auf- und abgebaut, Ton und Licht bis heute zeitlos modern. Es macht Freude, hier zu Unvorstellbar, der Vorschlag einer Rathausfraktion, eingesetzt werden. Dafür (wieder) die Voraussetzun- inszenieren. Die Einmaligkeit des Podiums mit seinen auf die Sanierung des Fritz-Schäfer-Baus zugunsten gen zu schaffen, ist mein Geburtstagswunsch an das Drehstühlen und die Erfindung der Bienenwaben eines Neubaus zu verzichten, wäre mehrheitsfähig Theater und die Stadt: Die Schaffung und Zuordnung als Theaterpodeste im Raumtheater haben geworden. einer kleinen — von der Disposition im Großen Haus Fritz Schäfers Architektur überregional bekannt weitgehend unabhängigen — bühnentechnischen gemacht. Ich wünsche diesem Theaterbau noch Insofern: Happy Birthday und viele gute Jahre! Mannschaft. Das Podium ist keine Nebenspielstätte. viele zukünftige Inszenierungen und ein fasziniertes Dieses Sechseck mit seinen 16 beweglichen Fuß- Publikum. Andreas von Studnitz bodenelementen war eine der ersten bedeutenden Intendant von 2006 bis 2018 Experimentierbühnen der Republik. Eine zentrale Ansgar Haag Herausforderung, Themen und Formen, Akteure und Intendant von 1994 bis 2006 Rezipienten immer wieder neu zu denken. Auch heute. Volkmar Clauß Intendant von 1979 bis 1985
14 50 JAHRE NEUBAU THEATER ULM 50 JAHRE NEUBAU THEATER ULM 15 Oberbürgermeister Gunter Czisch im Gespräch Vor fünfzig Jahren wurde das von Fritz Schäfer entworfene Haben Sie Fritz Schäfer persönlich kennen gelernt? Das Theaterjubiläum trifft in der Spielzeit 2019/2020 auf Berblinger als Experimentator, Beethoven als Komponist Theater eingeweiht. Was bedeutet dieses Jubiläum für die ein anderes markantes stadtgeschichtliches Datum: Der haben Neues und Ungewöhnliches gewagt. Wie weit darf, soll Stadt Ulm? Ich bin ihm einige Male im Rahmen von Veranstaltungen Geburtstag des Innovators und Flugpioniers Albrecht Ihrer Ansicht nach Theaterkunst gehen? begegnet. Es hat mich gefreut, dass er noch miterleben durfte, Ludwig Berblinger jährt sich 2020 zum 250. Mal. Wie ginge Zunächst einmal bedeutete die Inbetriebnahme des Theater dass ›sein‹ Theaterbau 2008 als Baudenkmal g ewürdigt es einem wie Berblinger heute in Ulm? Wie hat’s Ulm mit »Die Kunst muss nichts. Die Kunst darf alles.« Dieses Zitat neubaus an der Olgastraße 1969 das Ende eines mehr als wurde. seinen Visionären? stammt von Ernst Otto Fischer, einem Chemiker und Nobel 20 Jahre dauernden Provisoriums. Ich bin sicher: Auch wenn preisträger. Ich denke, dem könnte ich mich anschließen, die Zeit in der alten Wagnerschule in der Rückschau gern mit Die Stadt Ulm ist glücklicherweise nicht in der Situation, »Der Prophet gilt nichts im eigenen Land«, sagt man gemein denn auch oder gerade Kontroversen können uns weiterbrin einem Hauch »Erinnerungsgold« überzogen wird, waren die über einen Theater-Neubau entscheiden zu müssen, wie vor hin. Für Berblinger stimmt das nicht so ganz — man muss gen, uns nachdenklich machen. Was Theaterkunst dagegen Bedingungen, dort Theater zu machen, für alle Beteiligten am fünfzig Jahren. Aber es bleibt für solch ein großes denkmal nur genau hinsehen. Der Schneidermeister Berblinger, der nicht sein sollte: langweilig, selbstgefällig und immun gegen Rande des Zumutbaren. Chapeau, dass dort trotzdem so viel geschütztes Gebäude ein stetiger Investitionsbedarf, immerhin am Münsterplatz ein eigenes Geschäft betrieb, be über Kritik. Neues gewagt und ausprobiert wurde! Insofern ist der Neubau um es betriebsfähig zu halten. Während andernorts saß anfangs großes Renommee als Erfinder und Flugpionier. von Fritz Schäfer auch programmatisch zu deuten: Der Theatergebäude durch mangelnde Vorausschau über Jahre Warum sonst hätte ihn die Stadt anlässlich des königlichen Obwohl, frei nach Karl Valentin, Prognosen äußerst schwie künstlerische Aufbruch in die Moderne, der auf der B ühne geschlossen und generalsaniert werden müssen, hat die Stadt Antrittsbesuchs so prominent ins Programm nehmen sollen? rig sind, wenn sie die Zukunft betreffen: Wo sehen Sie das stattfand, bekam nun die adäquate äußere Hülle. Ulm diese Herausforderung kontinuierlich angenommen. Erst der tragisch gescheiterte Flugversuch, bei dem Ber Theater Ulm im Jahr 2069? Wie erklären Sie sich dieses besondere Verhältnis der Stadt blinger aus der Sicht des Publikums nicht nur sich, sondern Das Stadtbild zeichnet sich durch eine Vielzahl architek zu ihrer Theaterimmobilie? die ganze Stadt vor den königlichen Gästen blamiert hatte, Fünfzig Jahre in die Zukunft zu blicken, das ist nicht bloß tonisch hochwertiger Gebäude aus. Wie ordnen Sie in diesem änderte alles. Vielleicht sollten wir darum nicht fragen, wie schwierig, das ist unmöglich. Was ich aber hoffe: Dass auch Tableau das Theatergebäude ein, welche Perspektiven gibt es Ich bedanke mich für das Lob, das in Ihrer Frage steckt — wir mit Visionären umgehen, sondern damit, wenn sie an im Jahr 2069 am Theater Ulm immer noch Werke so gezeigt aus Ihrer Sicht für das ›Theaterviertel‹? möchte es aber weitergeben an unseren Gemeinderat. Ich Widrigkeiten scheitern … werden, dass sie das Publikum berühren. würde auch sagen: Der Antrieb war weniger ein ›besonde Unser Theatergebäude ist in seiner Form- und Farbgebung res Verhältnis‹ zu diesem Gebäude, sondern schlicht die In die Spielzeit 2019/2020 fällt auch noch der 250. Geburts eindeutig ein Kind seiner Zeit, der späten 1960er Jahre. Notwendigkeit, fortlaufend zu modernisieren, geänderten tag von Ludwig van Beethoven. Gibt es ein Werk von ihm, das Wie fast jede gute Architektur hat das Gebäude anfangs das technischen Vorschriften gerecht werden zu müssen, in die Sie besonders lieben? Publikum gespalten: zu modern, zu wenig ulmisch. Es gibt Jahre Gekommenes zu sanieren. Ich möchte die Verantwort durchaus Parallelen zur Diskussion um das Stadthaus fünf lichen in anderen Städten, beispielsweise im Ruhrgebiet, Mein Favorit ist die 9. Sinfonie, nicht nur weil sie die undzwanzig Jahre später. auch ein klein wenig in Schutz nehmen: Vielerorts ist es nicht berühmteste und revolutionärste unter den Beethovenschen Unsere Pläne für das Theaterviertel sehen in den kommenden mangelnde Vorausschau, sondern sind es die leeren Kassen, Sinfonien ist. Obwohl ich ihn schon so oft gehört habe, ist be Jahren ein dichtes und urban geprägtes Stadtquartier mit die verhindern, dass rechtzeitig saniert wird. sonders der Schlusschor ein musikalischer Rausch aus Tönen qualitätvollen öffentlichen Freiräumen und einer Mischung und Worten, dem man sich nicht entziehen kann. Emotion aus Wohnen und Arbeiten vor. Das Theater wird, nicht zu pur! Und: Dieses großartige Werk spiegelt einen demokra letzt als ›Namensgeber‹, darin sicher eine herausgehobene tischen Zeitgeist und Werte, die in einer vom Humanismus Position einnehmen — als kultureller Anker und architekto geprägten Gesellschaft bis heute Gültigkeit haben. nischer Akzentpunkt.
16 JUBILÄUMSSPIELZEIT 2019/2020 JUBILÄUMSSPIELZEIT 2019/2020 17 Kein Geburtstag wie jeder andere: Vor 50 Jahren wurde Fünf Jahrzehnte runden sich zu einem Jubiläum, das Auf große Resonanz stoßen die zahlreichen Sonderver- der von Architekt Fritz Schäfer entworfene Neubau gefeiert sein will. Wir laden Sie, verehrtes Publikum, anstaltungen in und außerhalb des Theaters: Lesungen, des Ulmer Theaters in der Olgastraße eingeweiht und herzlich zur Jubiläumsspielzeit 2019/2020 ein, die wir »Vis-à-vis«-Gottesdienste, Workshops — um nur einige damit das fast zwanzig Jahre genutzte Provisorium in Ihnen in dieser Broschüre vorstellen. Etwas von der zu nennen. Nicht zu vergessen die profilierten Kam- der Wagnerschule aufgegeben, das nach den Bomben- Feierlaune ist in der Bildserie der Fotografin Kerstin merkonzerte mit Mitgliedern des Philharmonischen angriffen auf die Stadt Ulm und der Zerstörung des his- Schomburg zu spüren, die mit aktuellen Mitarbeite- Orchesters der Stadt Ulm. torischen Theatergebäudes Raum bot, die Theaterarbeit rinnen und Mitarbeitern des Theaters Ulm augenzwin- Theater schafft eine vergängliche Kunst. Es ist die Kunst des ältesten deutschen Stadttheaters erfolgreich, wenn kernd die 1960er-Jahre zitiert. des Augenblicks. Gleichwohl sind 50 Jahre Theater auch unter widrigen Bedingungen, fortzuführen. Kaum künste in jedem Winkel des Theaters spürbar. Für vorzustellen, was der Umzug in das nagelneue moderne Ausgiebig gefeiert werden soll in dieser Jubiläums- mich als achten Intendanten im Fritz-Schäfer-Gebäude Theater für die Theaterbeschäftigten im Sommer 1969 spielzeit auch der 250. Geburtstag von Ludwig van bedeuten diese 50 Jahre eine große Herausforderung bedeutet haben muss. Der konzeptionell sowohl ästhe- Beethoven. Neben vielen Konzerthöhepunkten steht und Verpflichtung, aus der Gegenwart heraus dieses tisch als auch nutzungstechnisch wegweisende Ulmer Beethovens Freiheitsoper »Fidelio« nach vielen Jahren Erbe für die Zukunft zu erneuern. Mein Team und ich Theaterneubau ist für diese Phase der zeitgenössischen wieder auf dem Spielplan. Mit Dietrich W. Hilsdorf und sind dankbar, dass unser eingeschlagener Weg bis dato Architekturgeschichte vorbildlich und setzt einen seinen künstlerischen Partnern Dieter Richter (Bühne) mit Aufgeschlossenheit und Begeisterung von Ihnen, bedeutenden Akzent in der Theaterarchitektur der und Renate Schmitzer (Kostüme) konnte hierfür ein verehrtes Publikum, begleitet wird. deutschen Nachkriegszeit. Mit seiner zweiten Spiel- prominentes Inszenierungsteam gewonnen werden, stätte ist der Ulmer Bau exzeptionell: Das Podium als dessen künstlerische Wurzeln im Theater Ulm liegen. Theater ist ein sozialer Ort, an dem die Beteiligten sechseckig gestalteter Raum mit 18 Metern Durchmes- Eine Entdeckungsreise ganz besonderer Art wagt das ›hautnah‹ aufeinandertreffen und die dazugehörigen ser war eine der ersten Werkstattbühnen überhaupt, mit Das für die Stadt Ulm und die Region bedeutsame Theater Ulm mit der Uraufführung der um 1920 ent- Ereignisse — seien sie nun unterhaltsam, bildend, flexibler Bestuhlung und Hubtechnik wurden ideale Jubiläum der Eröffnung des Ulmer Theaterneubaus standenen Oper »La Légende de Tristan« von Charles anrührend oder aufwühlend — gemeinschaftlich erlebt Voraussetzungen für experimentelle Inszenierungen trifft in der Spielzeit 2019/2020 auf ein markantes Tournemire, die den Tristan-Mythos gänzlich anders werden. Theater bietet Raum, die wesentlichen Fra- und Bühnenbildlösungen geschaffen. Nicht von unge- stadtgeschichtliches Datum: Der Geburtstag des Inno- akzentuiert als Richard Wagner. gen des Lebens zu verhandeln. Ein kostbarer Raum. fähr diente diese Spielstätte als Vorbild für das multi- vators und Flugpioniers Albrecht Ludwig Berblinger Ein Raum für Bürgerinnen und Bürger, zur Selbst- funktionale Theatergebäude der Berliner Schaubühne jährt sich 2020 zum 250. Mal. Aus diesem Anlass hat Das Tanztheater unter Reiner Feistel ist in kürzester Zeit verständigung, Kontroverse, Inspiration. Ulm verfügt am Lehniner Platz. das Theater Ulm zwei Werke in Auftrag gegeben: Ulf zu einer Instanz in Ulm geworden. Mit »Faces of Love« über solch einen Raum ideellen Reichtums. Diesen in Schmidt hat für das Große Haus ausgehend von der stellen sich auf Einladung Feistels zwei profilierte Gast- den letzten 50 Jahren gefördert, erhalten und instand- Biografie Albrecht Ludwig Berblingers einen Text zum choreografinnen vor, bevor er mit »Das Schweigen der gesetzt zu haben, verdanken Publikum und Theater- Thema Erfinder-Drang und -Hybris erarbeitet. John von Männer« und »Ein Sommernachtstraum« wieder eigene schaffende gleichermaßen der Stadt Ulm und ihren Ent- Düffel wiederum greift für das Podium den Mythos von Arbeiten mit seiner Compagnie erarbeitet. scheidungsgremien. Dädalus und Ikarus auf, um eine thematische Verbin- dung zum Ulmer Flugpionier herzustellen und mit die- Ein Schwerpunkt unserer Arbeit sind und bleiben gene- Gute Voraussetzungen für den Blick nach vorn: ser Stoffwahl und –ausgestaltung Bezug auf die antike rationenübergreifende Spielplanangebote: Insbeson- auf die kommenden 50 Jahre! Agora als historisches Vorbild und Basis des aktuellen dere mit den ambitionierten Inszenierungen des Jungen Bühnenraumes zu nehmen. Die Baden-Württemberg- Theaters für Kinder und Jugendliche und den Projekten Stiftung unterstützt großzügig diese ambitionierten der Bürgerbühnen bieten wir kreative Anregungen auch Vorhaben anlässlich des Jubiläums. für das Publikum von morgen. Kay Metzger Intendant
THEATERBALL 2020 19 15. Februar 2020 DER THEATERBALL ZUM 50. GEBURTSTAG! GENIESEN SIE EINE RAUSCHENDE BALLNACHT UND WERDEN SIE TEIL EINES HERAUSRAGENDEN GESELLSCHAFTLICHEN EREIGNISSES IN IHREM THEATER ULM! Mit den »Drei Ulmer Tenören« und dem Philharmonischen Orchester der Stadt Ulm unter der Leitung von GMD Timo Handschuh! Durch den Abend führt Amelie Fried. Ein Fest der Sinne — kulinarische und künstlerische Im Anschluss an die Operngala können Sie die Bühnen Genüsse sowie ausgelassene Stimmung auf allen des Großen Hauses und des Podiums erobern: Dort Bühnen und an anderen magischen Orten des Theaters spielen Bands für alle Tanzfreudigen mitreißende Songs — das verheißt der Theaterball 2020! Markieren Sie sich und Rhythmen bis zum Morgengrauen — von Swing Samstag, den 15. Februar 2020 am besten schon jetzt in und Soul bis Rock’n’Roll. Ihrem Kalender! In einer großen Operngala servieren Ihnen die »Drei Für vielfältige Abwechslung zwischen den Tanzrunden Ulmer Tenöre« unter der Leitung von GMD Timo sorgt ein u nterhaltsames Rahmenprogramm, das viele Handschuh mit dem Philharmonischen Orchester der Überraschungen für Sie bereithält. Ein reichhaltiges Stadt Ulm musikalische Köstlichkeiten auf höchstem und exquisites kulinarisches Angebot lädt dazu ein, Niveau. Durch den heiteren Abend führt Sie die in Ulm sich zu stärken. geborene Moderatorin und Schriftstellerin Amelie Fried. Luca Scaduto (Tänzer) & Seungah Park (Tänzerin)
20 JUBILÄUMSSPIELZEIT 2019/2020 JUBILÄUMSSPIELZEIT 2019/2020 21 Ulrich Khuon Erkämpft, erstritten und ständig neu verhandelt Nichts ist selbstverständlich. Weder, dass Ulms Neue Die Ausbreitung ökonomischen Denkens in den vergan- Gerade im Bewusstsein einer reichen Vergangenheit Wir spüren, dass unsere Theaterexistenz, aber auch Mitte sich mit seinem historisch gewachsenen Zentrum genen Jahrzehnten hatte zur Folge, dass die Zeitlichkeit sollten wir umso dringlicher einen Blick auf die Zukunft die demokratischen Freiheiten, die offene Gesellschaft so gut ergänzt, dass das umstrittene Richard- Meier- dieses Erzählens an ein Ende kam. Die Frage nach dem des Theaters werfen. und die in der Verfassung garantierte Freiheit der Kunst Stadthaus sich so blendend mit dem gewaltigen goti- richtigen Leben schien beantwortet: Es war ein effizien- nichts Selbstverständliches sind, sondern dass wir uns schen Münster verträgt, noch, dass es seit über dreihun- tes, ein optimiertes Leben. Inzwischen ist auch diese Das Theater der Zukunft wird ein Theater sein, das weiß, dazu verhalten müssen, Gesicht zeigen, im Theater und dert Jahren Theater in Ulm gibt und seit 50 Jahren den Erzählung durch die immer dringlicher werdende Frage aus welcher eigenen und gesellschaftlichen Vergangen- außerhalb. In unserer globalisierten Welt rückt die von Fritz Schäfer entworfenen Theaterneubau. Das alles nach den Folgen des Klimawandels, die Verwerfungen heit es kommt, es wird ein dezidiert gesellschaftlich Frage der Gerechtigkeit mehr und mehr ins Zentrum ist erkämpft, erstritten, also von einer Stadtgesellschaft, der globalen politischen Architektur, die Einsicht in wirksames Theater sein und keines der ausschließlich gesellschaftlicher Wahrnehmung. Die Frage nach Chan- die das gut aushält, ständig neu verhandelt. die Doppelbödigkeit westlicher Politik und die präsen- individuellen Befindlichkeiten. Es wird ein Theater cengleichheit, Bildungs- und Verteilungsgerechtigkeit, ter werdenden Nationalismen unter Druck geraten. Die sein, das politisch, aber nicht parteipolitisch denkt, das nach Geschlechtergerechtigkeit — wir können uns die- Werfen wir einen Blick nach Italien, dort gab es im ökonomische Sicht generiert keinen Sinnhorizont mehr. nicht dogmatisch oder besserwisserisch daherkommt sen Fragen nicht widmen, ohne unser eigenes Verhalten 18. Jahrhundert auch viele Fürstentümer und Grafschaf- und es wird nach wie vor keine Antworten geben, aber und die Strukturen unserer Theater zu betrachten und ten, in denen ähnlich schöne und viele Theater wie hier Theater sind Teil der Erzählung, die die Gesellschaft es wird Fragen so stellen, dass wir ohne eigene Antwort zu überprüfen. Vielleicht ist die gegenwärtige Phase des entstanden. Kaum eines wird heute noch aktiv bespielt, von sich selbst entwirft und in denen sie sich wieder- nicht weiterleben wollen. Und es bezieht die Menschen Theaters Ulm so stabil und gesichert wie selten zuvor. geschweige denn von einem ständigen Ensemble. Wie findet. Sie handeln von der Stadtgesellschaft und gehen ein in die Darstellung. Es ist in seiner Haltung erkenn- Ich habe nicht den Eindruck, dass sich das derzeitige gesagt: Es ist überhaupt nicht selbstverständlich, dass über sie hinaus. Auch die Erzählungen des Theaters bar, lässt aber Fragen zu dieser Haltung zu, ja, es fordert Team darauf ausruhen will. es dieses Theater in Ulm gibt. Was niemand verordnen erschaffen keine Sinnhorizonte, aber sie entwerfen und sie geradezu ein. kann, das haben sich hier die Gemeinderäte, das Land, überprüfen Fragen nach dem Sinn. Diese Erzählungen die Theatermacherinnen und -macher, die Theaterlieb- handeln von konkreten, sinnlich erfahrbaren Welten In der letzten Zeit haben sich viele Theater unter der Ulrich Khuon, am 31. Januar 1951 in Stuttgart geboren, ist haberinnen und -liebhaber und ehrenamtlichen Unter- und sie erzählen vom gestaltbaren und veränderbaren Losung »Gemeinsam grenzenlos« für ein offenes, diver- Dramaturg, Theaterintendant und seit 2017 Präsident des stützerinnen und Unterstützer erkämpft. Ein Theater, Zusammenleben unserer Gesellschaft. ses Land und Theater eingesetzt, das Geflüchtete nicht Deutschen Bühnenvereins. das ansteckend, kreativ, lustvoll und nie verbiestert auf- als Verhängnis und Schicksalsschlag versteht, sondern Khuon studierte Rechtswissenschaft, Theologie und Ger- tritt und von vielen gewollt ist. Jubiläen geben gelegentlich Anlass, sich zurück in die als Herausforderung zu neuem Verstehen und zu neu manistik. 1980 wurde er Chefdramaturg am Theater Kon- Vergangenheit zu wünschen, ja, sie gleichsam wieder gestaltbarer Nähe. stanz, ehe er von 1988 bis 1993 die Intendanz des Hauses Jede Gesellschaft konstituiert sich über die Geschich- bewohnen zu wollen als einen geordneteren, homogene- übernahm. Im Anschluss war er von 1993 bis 2000 Inten- ten, die sie über sich erzählt. Diese Geschichten handeln ren und schöneren Raum, als ihn die Gegenwart anbie- dant am Schauspielhaus Hannover und übernahm zur davon, was uns zusammenhält und auseinandertreibt. tet. Aber wir wissen, auch im Theater, dass das mitnich- Spielzeit 2000/2001 die Leitung des Hamburger Thalia Sie erzählen im Kern von der Frage, wie wir leben wol- ten so ist. Jede Zeit hat ihre eigenen Widersprüche und Theaters. 1997 wurde er zum Professor an der Hochschule len. Sie überführen die Zufälligkeit des Geschehens in Gebrochenheiten. So ist auch die Freude über das Thea- für Musik und Theater Hannover ernannt. Seit 2009 ist er Sinnzusammenhänge und generieren bürgerschaftliche terjubiläum in Ulm vielmehr ein Verweis darauf, dass Intendant des Deutschen Theaters Berlin. Loyalität. Sie sind insofern stabil und instabil, als sie das Ulmer Theater untrennbar mit der Erzählung dieser Khuon ist Mitglied der Deutschen Akademie der Darstel- ständig neu erzählt werden müssen und darin Varia- Stadt verbunden ist. lenden Künste und der Akademie der Künste Berlin. tionen erfahren: abhängig von den Geschehnissen, die integriert werden, abhängig aber auch von denjenigen, Gerade weil es sich verändert hat und weiter verändert. die erzählen, beziehungsweise über den Zugang zu den Dass wir, auch als Gesellschaft, nicht identischer, uns Erzählungen bestimmen. Die Erzählungen einer Gesell- selber ähnlicher werden, sondern die eigene kompli- schaft, die ihr Selbst-Bild formen, sind notwendiger- zierte Aufgeschichtetheit und Zerrissenheit in der Welt weise geschichtlich, weil sie Geschehenes ordnen, und suchen, beobachten und als arbeitsreichen Gewinn sie sind zukünftig, weil sie Material ihrer eigenen Wei- betrachten sollten, all das hat der Philosoph Achill tererzählung sind. Sie sind, im besten Sinne, politisch, Mbebe aus Kamerun so beschrieben: »Das Gemein- weil sie ihre eigene geschichtliche Gewordenheit mit- same beruht nicht auf Ähnlichkeit, sondern kann nur verhandeln, Freiheitsgrade für das Denken und Han- als konstante Verhandlung von Unterschieden verwirk- deln eröffnen und Veränderbarkeit in sich tragen. licht werden, als Prozess der Entähnlichung. Durch das Fremdwerden des Vertrauten.«
22 SPIEL DER HEXAGONE 50 JAHRE NEUBAU THEATER ULM 23 Michael Heinrich Spiel der Hexagone: Form und Erscheinung des Ulmer Theaters Ulm grüßt den Reisenden schon von ferne mit dem hochaufragenden Turm seines Münsters, kühnes und spät vollendetes Denkmal seiner ehemaligen reichsstädtischen Größe. Als höchster Kirchturm der Welt genießt er seit 1890 — Jahr seiner Fertigstellung nach g otischen Vorlagen — weltweite Bekanntheit. Nur wenigen Architekturkennerinnen und -kennern dürfte allerdings bewusst sein, dass Ulm noch über einen zweiten Monu- mentalbau verfügt, n ämlich das von Fritz Schäfer entworfene städtische Theater aus den späten 1960er-Jahren. Geschichte Das massige Gebäude erhebt sich am nördlichen Rand neuer Nachhaltigkeit und programmatischer Unterfüt- der Altstadt, jenseits der verkehrsreichen Olgastraße, terung weiterzuverfolgen und dem Theater in Ulm end- und verrät bei aller Imposanz eine gewisse Nähe zu lich einen festen, angemessenen Rahmen zu verleihen. gigantischen, brutalistischen Strukturen der 1970er- Der Standort des Neuen Hauses entspricht dabei just der Jahre, die nicht selten den Begriff der ›Bausünde‹ auf tradierten Platzierung historistischer Theaterbauten den Plan rufen. Es lässt kaum erahnen, welche alte und in zahllosen Städten des europäischen Kulturkreises, wechselvolle Geschichte die Theatertätigkeit in Ulm nämlich am Rande der ehemaligen Umwallung des hinter sich hatte, bis es endlich zu einem Neubau kam, alten Stadtkerns, die im 19. Jahrhundert meist einer der den Ansprüchen der Bürgerschaft und der Stadt als Ringstraße mit bürgerlichen Repräsentationsbauten kulturellem und wirtschaftlichem Mittelpunkt einer weichen musste. ganzen Region angemessen war. Anders als viele deut- sche und europäische Theaterstätten, die aus ehemali- Die für eine Stadt wie Ulm nicht unbeträchtliche Größe gen Hoftheatern hervorgingen und von Anfang an von des Neuen Hauses mit über 800 Plätzen im Zuschauer- der Renommiersucht, der Experimentierlust und nicht raum sowie weiteren bis zu 200 Plätzen in der Studio- zuletzt von den gefüllten Börsen der Fürsten profitie- bühne ist der Tatsache geschuldet, dass das kulturelle ren konnten, begann das Theater in Ulm als eher karg Einzugsgebiet des Theaterstandorts Ulm außerordentlich finanziertes, jedoch beliebtes und engagiert betriebe- groß ist und vom Bodensee bis Franken, von Ingolstadt nes Laien-und Schultheater. Obwohl der Architektur- bis Baden-Baden reicht. Die aufwendige, traditionelle theoretiker und Stadtbaumeister Josef Furttenbach um Abstecheraktivität des Theaters kann so durch die Fokus- 1640 ein stehendes ›Teatrum‹ nach neuer italienischer sierung auf den zentralen Standort entlastet werden. Manier — mit der Möglichkeit von Wandeldekoratio- nen — etablieren konnte, gelang es nach wechselvollen Raumprogramm und städtebaulicher Kontext Umsiedlungen des Theaters erst im späten 18. Jahrhun- dert, eine feste Theaterstätte zu begründen, die in der Das Raum- und Funktionsprogramm des vom Ulmer Folge häufig erweitert und umgebaut wurde. Dennoch Architekten Fritz Schäfer entwickelten Komplexes ver- blieb die unregelmäßige, temporäre Bespielung durch eint zunächst alle vom traditionellen Theaterbetrieb wandernde Schauspieltruppen und Gastspielproduk- bekannten Funktionen unter einem Dach: Neben dem tionen ein wesentliches Merkmal der Ulmer Theater- Herzstück Bühne, Hinterbühne und Zuschauerraum aktivität bis ins 20. Jahrhundert hinein. Nachdem pom- sind in dem monumentalen Bau auch Kassen- und Gar- pös dimensionierte Baukonzepte während des Dritten derobenfoyer, ein mehrgeschossiges Hauptfoyer, die Reiches Utopie blieben, boten die einschneidenden Verwaltung, Probebühne und Ballettsaal, ein Magazin, Zerstörungen der Ulmer Stadtsubstanz 1944 und die sämtliche Werkstätten (darunter sehr flächenintensive Notwendigkeit neuer städtebaulicher Gestaltung in der wie etwa der Malsaal) und alle weiteren, damit zusam- Rohbau Ende 1967 Nachkriegszeit Gelegenheit, das Thema Theaterbau mit menhängenden Funktionsräume untergebracht.
24 SPIEL DER HEXAGONE 50 JAHRE NEUBAU THEATER ULM 25 Podium Zuschauerhaus Ende Juni 67 — Aufnahmen vom Kran nismus tragen: Die Opéra Garnier in Paris etwa insze- Gebirgs- oder Eismassen auf, die gewaltigen geodyna- niert den Kulturtempel bereits als reibungslose, autarke mischen Prozessen folgen und sich den dinglich und Funktionsmaschine und als monumentales Insignium zeitlich kleinteiligen Strukturen der Menschenwelt ent- ordnungspolitischer Souveränität. ziehen. Durch diesen analogischen Übertrag gewinnt Systemintern, nämlich auf der Ebene praktischer, all- der programmatische Inhalt des Baues, nämlich die täglicher Arbeitsabläufe, ist freilich eine solche Zusam- Kunst (genauer: die Musik und die Darstellende Kunst), menlegung operativ vernetzter Prozesse und Funk- den Nimbus des Übermenschlichen in einer der Men- tionen tatsächlich hilfreich und ressourcenschonend, schenwelt enthobenen Sphäre und beschwört, vielleicht auch wenn die entstehende Autarkie zu einer weitge- ohne es zu wollen, eine Mainstream-Sichtweise des Podium und Zuschauerhaus Ende Juni 67 — Aufnahmen vom Kran henden sozialräumlichen Isolierung vom städtischen 19. Jahrhunderts, die die Kunst nicht zuletzt als Domäne Umfeld führt. zeitloser, ewiger und daher absoluter Klassizität defi- nierte. Erst die nordwestlichen Partien der Anlage, die Zusätzlich trägt eine räumlich überraschend variable, sischen Städtebau der 1960er- und 1970er-Jahre in Äußere Gestalt und innerer Deutungsgehalt den hexagonalen Kristall des zentralen Gefüges wie zur Entstehungszeit sehr innovative Studiobühne auch Deutschland weithin prägte und das unter anderem ein Mantel einfassen und Verwaltungsräumlichkeiten der Notwendigkeit Rechnung, tradierte Theaterformen eine Entmischung und Konzentrierung der verschie- Umrundet man das Ulmer Theatergebäude aufmerk- beherbergen, offenbaren eine funktionsmaßstäbliche, experimentell weiterzuentwickeln und neue Interak- denen urbanen Nutzungstypen unter dem Primat der sam, bemerkt man, dass der vielfach gebrochene Verlauf eher horizontale Geschossteilung und differenzieren tionsformen zwischen Akteuren und Publikum zu rea- autogerechten Stadt forderte. Dieses vordergründig von horizontalen und vertikalen Gebäudelinien — beab- sich auch in ihrer Betonfarbigkeit, profiliert-rauhen lisieren. ökonomisch rationale Neuordnungsbedürfnis schuf sichtigterweise! — eine allzu monolithische Erschei- Oberflächenstruktur und architektonisch motivierten Da der städtebauliche Standort nur eine begrenzte Aus- landauf, landab ›Zentren‹ aller möglichen Widmungen: nung des Baues verhindert. Er enthüllt vielmehr als Rastergliederung vom weißen, skulptural abstrahierten dehnung in der Fläche erlaubte und die Höhe nach oben Einkaufszentren, Universitätskomplexe auf der grünen Gesamtgestalt von jedem Betrachtungswinkel aus neue Hauptkomplex. wiederum durch die traditionell dominierende Höhe Wiese, K linikumskomplexe, Hochhauswohnkomplexe Silhouettenbildungen und plastische Zugeordnetheiten Jedoch kann auch eine noch so radikale Skulpturali- des Bühnenturmes (samt den dadurch bedingten, auch und natürlich Kulturkomplexe. Dass gerade eine Misch- der ineinander verschnittenen Teilvolumen. sierung der zentralen Gebäudevolumen natürlich nicht städtebaulich opportun erscheinenden niedrigeren Ab- nutzung den feingliedrigen Zusammenhalt der Stadt Die skulpturale, polygonal gebrochene Gestalt des auf Lichteinfallsmöglichkeiten und auf Sichtbezüge staffelungen angrenzender Gebäudepartien) ebenfalls als sozialen Lebensraum ursächlich mitbedingt, eine Außenbaues samt seiner Abstaffelungen präsentiert von Innen- zu Außenraum verzichten, insbesondere begrenzend vorgegeben war, greift das Bauvolumen des zu rigide Funktionentrennung daher die gesellschaft- sich mit seiner Hauptansicht in Richtung Altstadt als bei Funktionen, die eine Übergangszone zwischen dem Komplexes tief in den Untergrund ein und ist dort mit liche Kohärenz beschädige, war auch damals schon maßstabsloses, vermeintlich kristallin gewachsenes Alltagsraum der Stadt und dem eigentlichen Theater- mehreren Untergeschossen entsprechend ausgiebig Gegenstand heftiger Kritik, die etwa die neue »Unwirt- Gebilde: Kein Geschoss- oder Achsenrhythmus, keine erlebnis markieren, nämlich das Kassen-, Gardero- dimensioniert. lichkeit unserer Städte« (Alexander Mitscherlich, 1965) tradierten Einzelöffnungsformen, keine gewohnten ben- und Hauptfoyer. Nach außen hin tritt diese Raum- und den Verlust an lebendiger Urbanität artikulierte. Architekturelemente erinnern daran, dass wir es mit gruppe prominent als Vorderansicht des Komplexes in Mit seiner Zentralisierung von Funktionen folgt das Im Falle des Theaterbaus freilich gibt es für eine sol- Architektur für menschliche Dimensionen zu tun Erscheinung und ummantelt, im Grundriss betrach- Neue Haus ganz der »Rationalität«, einem Erbe der che Funktionsballung deutlich ältere Vorbilder, die haben. Die im Grundriss aus ineinandergeschachtelten tet, als größtes Hexagon der Schauseite die inneren klassischen Bauhaus-Moderne, das den zeitgenös- allerdings ebenfalls Züge des kulturellen Interventio- Hexagonen aufgebaute Komposition ruft Analogien zu Kerne des Auditoriums und des Bühnenhauses. Die
26 50 JAHRE NEUBAU THEATER ULM 27 Das Hexagon als Leitmotiv Wie konsequent und überlegt Fritz Schäfer dennoch die Form des Hexagons am Theater Ulm eingesetzt hat, enthüllt sich stufenweise im Inneren des Gebäudes, spä- testens nach einem Blick auf die Pläne oder das ausge- stellte Architekturmodell. Durch die modulare Fügung von Hexagonen unterschiedlicher Größe ergeben sich höchst spannungsvolle Sichtachsenbrechungen, die zu einer anregenden visuell-leiblichen Erkundung der öffentlichen Bereiche sowohl in horizontaler als auch in vertikaler Gerichtetheit einladen. Die Übergänge der Einzelräume sind dabei fließend gestaltet und folgen einer Dramaturgie der stufenweisen Enthüllung von Raumvolumen und Raumdifferenzierungen. Die Ver- meidung des rechten Winkels enthebt die Raumwahr- nehmung der meist streng orthogonalen Orientierung alltagsräumlicher Zweckstrukturen und unterstützt die eher kontinuierlichen Bewegungstrajektorien explorie- render leibräumlicher Interaktion. Obwohl eine mittlere Längsachse als Rückgrat des Gebäudes unübersehbar ist, gelingt es durch einen Diagonalversatz der Hexa- gone im Grundriss, den Eindruck einer spannungsvol- len, quasi ›natürlichen‹ Clusterung der geometrischen Einheiten hervorzurufen. Ebenso passend erscheint das Hexagon als Grundriss- figur des im Herzen der Struktur eingebetteten Audito- Linke Treppe vom Garderobenfoyer September 67 riums: Neben seiner akustischen Eignung bewegt sich Binder vom Zuschauerhaus der hexagonale Raum in perfekter Balance zwischen punktsymmetrischer Zentralisierung und achsensym- Belichtung wird hier durch horizontale Einschnitte Analogie der Gebäudeskulptur zu mineralisch-kristal- metrischer dynamischer Gerichtetheit und bricht damit emplar variabler Theaterarchitektur. Diese Variabilität an der Basis sowie ein Geschoss höher bewerkstelligt, linen Strukturen beinhaltet ohnehin eine Konnotation die traditionelle strenge Axialität des höfisch-bürger- ist wichtiger denn je, sieht sich doch das Theaterwesen die durch ihren Rücksprung als dunkle, höhlenartige von Gewichtigkeit, die gegenläufige entmaterialisie- lichen Guckkastentheaters behutsam auf, ohne dessen einer explosiv zunehmenden Heterogenisierung von Schlitze figurieren. Das Gebäudevolumen büßt also an rende Tendenzen als selbstnegierend erscheinen lassen. Wahrnehmungskonventionen gänzlich preiszugeben, Zielgruppen, deren Bildungshorizont und deren Wahr- dieser wichtigen Stelle seine materielle Erdung ein und Interessant an dieser Öffnungsanordnung ist jedoch ein denn in der Gegenüberstellung von Publikum und nehmungskonventionen konfrontiert, die eine Zukunft leugnet, wie dies ja auch die Fensterbänderungen der anderer analogischer Querbezug, nämlich das Asso- Bühne verbleibt die Funktionsanordnung im klassi- bestehender Theaterstrukturen von einem intensiven klassischen Moderne gerne inszenieren, die altherge- ziationsfeld Hexagon-Wabe-Bienenstock-Einflugschlitz, schen Rahmen. Jedoch erlauben es die geschrägten Sei- experimentellen Erkenntnisgewinn abhängig machen brachte architektonische Darstellung von Stütze- und welches im Kontext der Widmung des Gebäudes kohä- ten des Hexagons, einerseits den Übergang des Portal- könnte. Last-Verhältnissen, die sich etwa mittels Pfeiler- oder rent erscheint: Der kulturelle Dialog, der im Inneren des bereichs ins Auditorium hinein fließender zu gestalten, Achsrhythmen und entsprechenden Öffnungsanord- Gebäudes gepflegt wird, wäre aus dieser Sicht ein ideel- andererseits den Zuschauerraum zu weiten, ohne seit- Angesichts der überaus geschickten Adaption des Hexa- nungen artikuliert. Schon in der klassischen Moderne ler Honig, von fleißigen Mitgliedern eines Staates zum lich des Portals tote Ecken in Kauf nehmen zu müssen. gons für unterschiedliche Zielsetzungen innerhalb der ergab sich hier ein gewisser Widerspruch zwischen Wohle nachfolgender Generationen produziert und von Zusätzlich ermöglicht der zentralräumliche Aspekt gesamten Struktur des Ulmer Theaterbaues kann leicht dem Anspruch von Struktur- und Materialauthentizität soliden Waben geschützt. Ob man nun diese Metapher des Auditoriums eine bewusste Selbstwahrnehmung in Vergessenheit geraten, dass diese faszinierende geo- einerseits und der Spaltung zwischen Tragstruktur und unterstützt oder nicht, es wäre ihr eine gewisse Konse- des Publikums und unterstützt auf diese Weise den metrische Form nicht nur auf eine lange Geschichte in Haut andererseits. Ein weiteres Dilemma einiger Schu- quenz in der ästhetischen Umsetzung kaum abzuspre- Anspruch des modernen Theaters, nicht nur eine opti- Architektur und Kunst (vom barocken Festungsgrund- len der Moderne bildet sich ebenfalls in solchem Arran- chen. male Rezeption und Reflexion des gebotenen Stoffes zu riss bis zum modernen Flughafen, von der gotischen gement ab: Der Wunsch, durch die Eliminierung sicht- Innerhalb des baulichen Gefüges kommunizieren also ermöglichen, sondern auch eine Reflexion des Wahr- Fensterrose zum islamischen Ornament, vom römi- barer Stütze-Last-Verhältnisse einem Gebäudevolumen verschiedene Assoziationsfelder auf nicht ganz wider- nehmungsvorgangs an sich und seiner Bedingtheit von schen Tempel bis Frank Lloyd Wright) zurückblicken schwebende Leichtigkeit zu verleihen, wird ja wahr- spruchsfreie Weise mit Architekturtraditionen. Das sozialen Rollenbildern und anderen Kontextfaktoren zu kann, sondern im Laufe dieser Geschichte einige nehmungspsychologisch schon dadurch konterkariert, Assoziationsfeld Kristall/Fels/Eis kollidiert mit der unterstützen. bedeutende Symbolwerte übertragen bekam: die All- dass ein angeborenes und verleiblichtes Schwerkraft- klassisch-modernen Tradition der Entmaterialisierung Im Podiumstheater des Untergeschosses werden hin- macht Gottes, Feuer und Wasser, das Männliche und empfinden Situationen meidet, in denen phänomenal der Außenhaut durch Stützenverlagerung ins Innere; gegen die Möglichkeiten des Hexagons, unterschied das Weibliche, die Alchemie, der Stein der Weisen, als massige Volumen ungenügend abgestützt erscheinen — die Verwurzelung des Hexagons in organisch-ökologi- liche Funktionsanordnungen von Publikum und Bühne Davidsstern die Schilde Davids und damit Gottes Hilfe, was evolutionsbiologisch natürlich höchst sinnvoll ist. schen Traditionssträngen innerhalb der Architektur auszubilden, gänzlich ausgeschöpft. Seitenparallel das Siegel Salomos. Das Bestreben nach ästhetischer Leichtigkeit kann sich kollidiert mit der Maschinen- und Ozeandampfermeta- geführte Unterteilungen des Bodens in Podiumsberei- Als geometrische Teilungsstruktur von Flächen bietet also, wie vielleicht auch in diesem Fall, leicht ins Gegen- pher einer klassisch-modernen Architektursprache, wie che erlauben eine Vielzahl unterschiedlicher Arrange- das Hexagon einen minimalen Aufwand von Grenz- teil verkehren, dahingehend nämlich, dass die Schwere sie sich in den stützenfreien Öffnungsbändern oder der ments mit den jeweils benötigten Höhendifferenzierun- flächen im Verhältnis zum Inhalt bei hoher Fügungs- von nicht visuell abgefangenen Volumen als doppelt Gliederung des rückwärtigen Traktes wiederfindet. gen und machen das Podiumstheater zu einem damals stabilität und dreiseitiger Ausrichtungsmöglichkeit, schwer, nämlich als drückend empfunden wird. Die innovativen, heute noch beispielgebenden Musterex- eine Eigenschaft, die — in der Natur — das Hexagon
28 SPIEL DER HEXAGONE Zuschauerhaus Ende 68 etwa als Baustruktur für Bienenwaben prädestiniert schiedliche Funktionen eines Theaterorganismus glei- und — in der Technologieentwicklung — zu einem chermaßen elegant zu unterstützen, sondern auch auf wichtigen Konstruktionsprinzip der modernen Bionik ästhetischer Ebene durch die Selbstähnlichkeit alle und des Ingenieurswesens geadelt hat. Als Matrix von sich entw ickelnden Differenzierungen miteinander zu Molekülstrukturen und Kristallbildungen (man denke verklammern. Der Monumentalbau des Ulmer Theaters etwa an Schneeflocken oder an den nordirischen Giant’s beantwortet also die alte philosophische Frage nach Causeway, eine beeindruckende Lavastruktur aus hexa- dem dialektischen Verhältnis von Einheit und Mannig- gonalen Basaltsäulen) erweist sich das Hexagon als ein faltigkeit auf eine Weise und in einer Qualität, die den grundlegendes Formprinzip der Materie. ersten Eindruck des Gebäudekomplexes deutlich modi- Das Neue Haus des Ulmer Theaters führt vor, welche fizieren kann und uns bewusst macht, wie eng und vari- Qualitäten aus der Natur entlehnte Formprinzipien abel Wahrnehmung, Bedeutungsgebung, Wissen und auf formaler wie auf struktureller Ebene entfalten emotionale Bewertung miteinander verknüpft sind. können. Dem Prinzip des Hexagons — in Verbindung mit Fritz Schäfers Talent — gelingt es nicht nur, unter- Dr. Michael Heinrich ist Professor im Fachbereich Innenarchitektur an der Fakultät Design der Hochschule Coburg und Studiendekan der Fakultät. Nach Studium der Bühnen- und Kostümgestaltung in Salzburg war er zunächst als Designer im Bereich Film- und Innenarchitektur und langjährig als Bühnen- und Kostümbildner für verschiedene Theater und Opernhäuser in Deutschland, Österreich und im europäischen Ausland tätig mit Arbeiten u. a. für das Staatstheater Wiesbaden, das Nationaltheater Mannheim, die Wiener Festwochen, das Aalto-Theater Essen, die Hamburgische Staats- oper und das Staatstheater Darmstadt. Zudem erarbeitete er Entwürfe für mehrere umfangreiche Bauvorhaben, u. a. das Coburger Kultur- und Gesellschaftshaus »LEISE am Markt« und promovierte über »Psychologische Ästhetik« an der Medizinischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München. 2006 wurde Heinrich auf den Lehrstuhl für Dar- stellen und Visuelle Kommunikation an der Hochschule Coburg berufen, deren Vizepräsident er von 2009 bis 2014 war. Mit Kay Metzger verbindet ihn eine langjährige Arbeitsbeziehung bei gemeinsamen Inszenierungen an unterschiedlichen T heatern. In der Jubiläumsspielzeit übernimmt er die Ausstattung bei der Uraufführung von Charles Tournemires »La Légende de Tristan«. Der Aufsatz zu Fritz Schäfers Theatergebäude entstand für diese Spielzeitvorschau. Für die Überlassung des historischen Bildmaterials bedanken wir uns recht herzlich bei den ehemaligen Mitarbeitern von Fritz Schäfer, Heinz Schoger und Günter Bäumler.
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