50 JAHRE NEUBAU THEATER ULM

Die Seite wird erstellt Stefan-Nikolas Koch
 
WEITER LESEN
50 JAHRE NEUBAU THEATER ULM
THEATER ULM Spielzeit 2019/2020

5 0   J A H R E              N E U B A U
  T H E A T E R                      U L M
       1 9 6 9 – 2 0 1 9
50 JAHRE NEUBAU THEATER ULM
2                                        THEATER ULM Spielzeit 2019/2020

M I T     G U N S T            U N D           V E R L A U B !
H O C H V E R E H R T E                     R I C H T F E S T G Ä S T E

EIN STOLZES WERK WARD HIER VOLLBRACHT,
DAS ALLEN SEHR VIEL MÜH' GEMACHT,
DOCH SEI DIE FREUDE NICHT VERGESSEN,
DIE IMMER IST DABEIGEWESEN,
DIE FREUDE, DASS NACH LANGEM ZAGEN
DIE STADTVÄTER ES DOCH NOCH WAGEN,
MIT SCHULDEN UND MIT GOTTVERTRAUN
EIN NEUES THEATER ZU ERBAUN!

A U S Z U G   A U S   D E M   R I C H T S P R U C H    —
N E U B A U   U L M E R   T H E AT E R   3 .    A P R I L   1 9 6 8

                                                                                                                  9    GRUS- UND VORWORTE
                                                                                                                 20    ULRICH KHUON —
                                                                                                                 		    ERKÄMPFT, ERSTRITTEN
                                                                                                                 		    UND STÄNDIG NEU VERHANDELT
                                                                                                                 22    MICHAEL HEINRICH —
                                                                                                                 		    SPIEL DER HEXAGONE: FORM UND
                                                                                                                 		    FUNKTION DES ULMER THEATERS
                                                                                                                 40    MUSIKTHEATER
                                                                                                                 50    TANZTHEATER
                                                                                                                 60    SCHAUSPIEL
                                                                                                                 72    JUNGES THEATER ULM
                                                                                                                 92    KONZERTE
                                                                                                                 120   EXTRAS
                                                                                                                 134   GASTSPIELE
                                                                                                                 138   ENSEMBLE
                                                                                                                 148   VORSTELLUNGSTERMINE
                                                                                                                 156   EINTRITTSPREISE
                                                                                                                 158   SITZPLÄNE
                                                                                                                 160   THEATERCARDS
                                                                                                                 		    UND BESONDERE ANGEBOTE
                                                                                                                 162   ABONNEMENTS UND BESUCHERRING
                                                                                                                 178   BARRIEREARMER THEATERBESUCH
                                                                                                                 183   FREUNDE & FÖRDERER
                                                                                                                 		    DES ULMER THEATERS E.V.
                                                                           Jasper Brandis (Schauspieldirektor)   184   KONTAKTE UND IMPRESSUM
50 JAHRE NEUBAU THEATER ULM
4                                              THEATER ULM Spielzeit 2019/2020                                                                                   THEATER ULM Spielzeit 2019/2020                                              5

MUSIKTHEATER                                                                                                                    TANZTHEATER

              Zum 250. Geburtstag                  Oper in zwei Aufzügen von Ludwig van Beethoven                               Faces of Love [12+]                  Tanztheater in zwei Teilen von Beatrice Panero und Noel Pong
              von Ludwig van Beethoven             Libretto von Joseph Sonnleithner                                                                                  zu Werken von Ludwig van Beethoven u. a.

                                                                                                                                                                                                                                    Großes Haus
                                                   und Georg Friedrich Treitschke                                                                                    URAUFFÜHRUNG Donnerstag, 17. Oktober 2019, 20 Uhr
              Fidelio [14+]                        PREMIERE Donnerstag, 26. September 2019, 20 Uhr
                                                                                                                                Ein Sommernachtstraum [12+]          Tanztheater von Reiner Feistel nach William Shakespeare
                                                                                                                                                                     zu Musik von Felix Mendelssohn Bartholdy u. a.
              Cendrillon [8+]                      Märchenoper in vier Akten von Jules Massenet
                                                                                                                                                                     In Kooperation mit dem Theater Chemnitz
                                                   Libretto von Henri Cain nach Charles Perrault
              Aschenputtel                         in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln
                                                                                                                                                                     ULMER PREMIERE Donnerstag, 2. April 2020, 20 Uhr
                                                   PREMIERE Donnerstag, 19. Dezember 2019, 20 Uhr
                                                                                                                                Der kleine Prinz [8+]                Tanztheater von Reiner Feistel
                                                                                                                                                                     nach der Geschichte von Antoine de Saint-Exupéry
              Die Csárdásfürstin [12+]             Operette in drei Akten von Emmerich Kálmán
Großes Haus

                                                                                                                                                                     WIEDERAUFNAHME Samstag, 30. November 2019, 18 Uhr

                                                                                                                                                                                                                                    Podium
                                                   Libretto von Leo Stein und Bela Jenbach
                                                   PREMIERE Donnerstag, 6. Februar 2020, 20 Uhr
                                                                                                                                Das Schweigen                        Tanztheater von Reiner Feistel
                                                                                                                                                                     URAUFFÜHRUNG Samstag, 1. Februar 2020, 19.30 Uhr
              Rigoletto [14+]                      Melodramma in drei Akten von Giuseppe Verdi                                  der Männer [12+]
                                                   Libretto von Francesco Maria Piave
                                                   nach dem Versdrama »Le roi s’amuse« von Victor Hugo
                                                   in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln                            SCHAUSPIEL
                                                   In Kooperation mit dem Oldenburgischen Staatstheater
                                                   PREMIERE Donnerstag, 19. März 2020, 20 Uhr
                                                                                                                                Zum 250. Geburtstag                  Variationen über einen Freiheitstraum von Ulf Schmidt
              Zum 150. Geburtstag                Oper in drei Akten von Charles Tournemire                                      von Albrecht Ludwig Berblinger       (Auftragswerk des Theaters Ulm)
              von Charles Tournemire             Libretto von Albert Pauphilet                                                  Berblinger, Schneider. [14+]         URAUFFÜHRUNG Donnerstag, 3. Oktober 2019, 19 Uhr

              La Légende de        Tristan [16+] in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

                                                                                                                                                                                                                                    Großes Haus
                                                 URAUFFÜHRUNG Donnerstag, 7. Mai 2020, 20 Uhr                                   Eins, zwei, drei [12+]               Ein Spiel in einem Akt von Ferenc Molnár
                                                                                                                                                                     PREMIERE Donnerstag, 16. Januar 2020, 20 Uhr

              In the Penal Colony [14+]            Kammeroper in einem Akt von Philip Glass
                                                                                                                                Biedermann                           Lehrstück ohne Lehre von Max Frisch
                                                   Libretto von Rudolph Wurlitzer                                                                                    PREMIERE Donnerstag, 27. Februar 2020, 20 Uhr
              In der Strafkolonie                                                                                               und die Brandstifter [14+]
Podium

                                                   nach der Erzählung von Franz Kafka
                                                   Deutsche Übersetzung von Cordula Engelbert
                                                   und Bettina Rohrbeck                                                         Der zerbrochne Krug [14+]            Lustspiel von Heinrich von Kleist
                                                                                                                                                                     PREMIERE Donnerstag, 23. April 2020, 20 Uhr
                                                   PREMIERE Freitag, 8. November 2019, 19.30 Uhr
                                                                                                                                Alte Meister [14+]                   Schauspiel nach dem Roman von Thomas Bernhard
                                                                                                                                                                     PREMIERE Freitag, 4. Oktober 2019, 19.30 Uhr,
  MUSICAL                                                                                                                                                            Museum Ulm/kunsthalle weishaupt

                                                                                                                                Zum 250. Geburtstag                  Schauspiel von John von Düffel
              La Cage aux Folles [12+]             Musical in zwei Akten
                                                                                                                                von Albrecht Ludwig Berblinger       (Auftragswerk des Theaters Ulm)
                                                   Musik und Gesangstexte von Jerry Herman
              Ein Käfig voller Narren              Buch von Harvey Fierstein                                                    Ikarus [14+]                         URAUFFÜHRUNG Samstag, 5. Oktober 2019, 19.30 Uhr

                                                                                                                                                                                                                                    Podium und andere Spielstätten
                                                   Deutsch von Erika Gesell und Christian Severin
Großes Haus

                                                   PREMIERE Donnerstag, 21. November 2019, 20 Uhr                               Josef und Maria [14+]                Ein Spiel von Peter Turrini
                                                                                                                                                                     PREMIERE Freitag, 22. November 2019, 19.30 Uhr,
                                                                                                                                                                     BoConcept Ulm
              My Fair Lady [10+]                   Musical von Frederick Loewe
                                                   nach George Bernard Shaws »Pygmalion«
                                                   und dem Film von Gabriel Pascal
                                                   Buch und Liedtexte von Alan Jay Lerner                                       Benefiz — Jeder rettet               Schauspiel von Ingrid Lausund
                                                   in deutscher Sprache                                                                                              PREMIERE Samstag, 23. November 2019, 19.30 Uhr
                                                   WIEDERAUFNAHME Donnerstag, 18. Juni 2020, 20 Uhr                             einen Afrikaner [13+]
                                                                                                                                Sprachlos die Katastrophe            Bühnentext für mindestens eine Spielerin und einen Spieler
                                                                                                                                                                     von Henriette Dushe
                                                                                                                                im Bereich der Liebe [16+]           URAUFFÜHRUNG Freitag, 10. Januar 2020, 19.30 Uhr

                                                                                                                                Am Königsweg [16+]                   Schauspiel von Elfriede Jelinek
                                                                                                                                                                     In Kooperation mit der Akademie für Darstellende Kunst
Die angegebenen Altersempfehlungen der Theaterpädagogik beziehen sich auf das jeweilige Werk und seine Thematik und nicht auf                                        Baden-Württemberg
die Inszenierung, und sind daher nur als Richtwerte zu verstehen.                                                                                                    PREMIERE Donnerstag, 9. April 2020, 19.30 Uhr
50 JAHRE NEUBAU THEATER ULM
6                                                                THEATER ULM Spielzeit 2019/2020                                                                                      THEATER ULM Spielzeit 2019/2020        7

       JUNGES THEATER ULM                                                                                                                      SONDERKONZERTE

                                  Peterchens Mondfahrt [5+]                            Märchen nach dem Kinderbuch
                                                                                                                                               Allerheiligen-Konzert
Großes Haus

                                                                                       von Gerdt von Bassewitz
                                                                                                                                               Sonntag, 3. November 2019, 19 Uhr, Pauluskirche
                                                                                       PREMIERE Mittwoch, 6. November 2019, 9 Uhr

                                                                                                                                               Neujahrskonzert
                                                                                                                                               Ab Mittwoch, 1. Januar 2020, 18 Uhr, Großes Haus

                                  Der dickste Pinguin                                  Kinderstück von Ulrich Hub
                                                                                                                                               Kinderkonzert: Die Prinzessin auf der Erbse [5+]
                                                                                       ULMER PREMIERE Sonntag, 29. September 2019,
                                  vom Pol [4+]                                         11 Uhr, Oberes Foyer                                    Ein Orchestermärchen von Andreas N. Tarkmann nach Hans Christian Andersen
                                                                                                                                               Ab Samstag, 14. März 2020, 15 Uhr, Podium
                                  Auerhaus [14+]                                       Schauspiel nach dem Roman von Bov Bjerg
                                                                                       PREMIERE Freitag, 28. Februar 2020, 19.30 Uhr, Podium   Ulmer Benefizgala: Richard Wagner — »Die Walküre«, 1. Aufzug u. a.
                                                                                                                                               Zugunsten des Mukoviszidose Fördervereins Ulm e. V. und der Stiftung Gänseblümchen
                                  Cinderellas Schuhe [4+]                              Kinderstück von Mike Kenny
                                                                                                                                               Freitag, 29. Mai 2020, 20 Uhr, Großes Haus
                                                                                       WIEDERAUFNAHME Sonntag, 26. April 2020, 16 Uhr,
                                                                                       Oberes Foyer
                                                                                                                                               Glaciskonzert
Podium / Foyer des Theaters Ulm

                                                                                                                                               Mittwoch, 1. Juli 2020, 19 Uhr, Stadtpark Glacis Neu-Ulm
                                  Tanz der Tiefseequalle [10+]                         Schauspiel nach dem Roman von Stefanie Höfler
                                                                                       PREMIERE Samstag, 23. Mai 2020, 18 Uhr, Podium
                                                                                                                                               Paradekonzert
                                  räuber|nnen [14+]                                    Collage frei nach Friedrich Schiller                    Sonntag, 5. Juli 2020, 11 Uhr, Marktplatz Ulm
                                  (Arbeitstitel)                                       Eine Produktion der Bürgerbühne Schauspiel 20-99
                                                                                       PREMIERE Freitag, 13. Dezember 2019,                    Schwörkonzert
                                                                                       19.30 Uhr, Podium                                       Samstag, 18. Juli 2020, 19 Uhr, Ulmer Münster

                                  Der satanarchäo-                                     Schauspiel nach dem Roman von Michael Ende
                                                                                                                                               KAMMERKONZERTE
                                                                                       Eine Produktion der Bürgerbühne Schauspiel 10-15
                                  lügenialkohöllische                                  PREMIERE Samstag, 25. April 2020, 19.30 Uhr, Podium
                                  Wunschpunsch [8+]                                                                                            1. Kammerkonzert
                                                                                                                                               Sonntag, 29. September 2019, 19.30 Uhr, Foyer
                                  Bürgerbühne                                          PREMIERE Samstag, 13. Juni 2020, 19.30 Uhr, Podium

                                  Musiktheater 15-25 [12+]                                                                                     2. Kammerkonzert
                                                                                                                                               Sonntag, 27. Oktober 2019, 19.30 Uhr, Foyer
                                  Frühlings Erwachen [14+]                             Stückentwicklung nach dem Text von Frank Wedekind
                                  (Arbeitstitel)                                       Eine Produktion der Bürgerbühne Schauspiel 15-22
                                                                                       PREMIERE N.N.                                           3. Kammerkonzert
                                                                                                                                               Sonntag, 17. November 2019, 19.30 Uhr, Foyer

       PHILHARMONISCHE KONZERTE
                                                                                                                                               4. Kammerkonzert
                                                                                                                                               Sonntag, 15. Dezember 2019, 19.30 Uhr, Stadthaus Ulm
                                  1. Philharmonisches Konzert
                                  Dienstag, 15. Oktober 2019, 20 Uhr                                                                           5. Kammerkonzert
                                                                                                                                               Sonntag, 9. Februar 2020, 11 Uhr, Foyer
                                  2. Philharmonisches Konzert
Congress Centrum Ulm

                                  Dienstag, 26. November 2019, 20 Uhr                                                                          6. Kammerkonzert
                                                                                                                                               Sonntag, 5. April 2020, 11 Uhr, Foyer
                                  3. Philharmonisches Konzert
                                  Dienstag, 25. Februar 2020, 20 Uhr
                                                                                                                                               7. Kammerkonzert
                                                                                                                                               Sonntag, 17. Mai 2020, 11 Uhr, Foyer
                                  4. Philharmonisches Konzert
                                  Dienstag, 12. Mai 2020, 20 Uhr
                                                                                                                                               8. Kammerkonzert
                                                                                                                                               Sonntag, 21. Juni 2020, 11 Uhr, Foyer
                                  5. Philharmonisches Konzert
                                  »Die lange Beethoven-Nacht«
                                  Dienstag, 23. Juni 2020, 20 Uhr / Mittwoch, 24. Juni 2020, 20 Uhr
50 JAHRE NEUBAU THEATER ULM
VORWORT         VORWORT

          50 Jahre Neubau
          Theater Ulm
50 JAHRE NEUBAU THEATER ULM
10                                        50 JAHRE NEUBAU THEATER ULM                                                                                       50 JAHRE NEUBAU THEATER ULM                                          11

                                                          Das Ulmer Theater ist einer der besten Theater-                                                                  Dass das von Fritz Schäfer geschaffene Gebäude
                                                          neubauten des 20. Jahrhunderts. Zum einen ist der                                                                am Herbert-von-Karajan-Platz 1 eine gelungene
                                                          Standort, quasi mitten in der Stadt, außerordentlich                                                             Synthese aus architektonischer Form und visionärer
                                                          günstig. Zum anderen ist der Bau an sich sehr                                                                    Theatertechnik darstellt, ist hinreichend bekannt.
                                                          gelungen. Der Zuschauerraum des Großen Hauses
Als der Schäfer-Neubau des Ulmer Theaters eröffnet        ist geschmackvoll und stellt alle Ansprüche, was                                                                 Das Podium: Mit seinen Hubpodien wurde es Vorbild
wurde, hatte ich gerade mein erstes Engagement als        Sicht und Akustik betrifft, zufrieden. Dass der                                                                  für die Technik der neuen Schaubühne am Lehniner
Dramaturg an der Landesbühne Esslingen angetre-           eiserne Vorhang vor dem Orchestergraben verläuft,                                                                Platz in Berlin.
ten. Die »Bühnentechnische Rundschau« publizierte         ist nicht nur außergewöhnlich, sondern auch klug.
einen ausführlichen Bericht und widmete besonders         Denn die Bühnenbilder können bis direkt zur ersten                                                               Der Werkstättenbereich: Um den Montagesaal herum
dem Podium als einem der modernsten, bestens              Zuschauerreihe gebaut werden, ohne Verletzung                                                                    angeordnet, ermöglicht er einen perfekten Workflow
ausgestatteten und vielfältig nutzbaren Theater-          feuerpolizeilicher Vorschriften. Die Bühne vergrößert    Fritz Schäfers Theaterbau geht wegen seiner             bei der Anfertigung der Bühnenbilder.
räume Deutschlands große Aufmerksamkeit. Später           sich dadurch besonders für das Schauspiel enorm          architektonischen Schönheit in die Baugeschichte
während meiner Dramaturgen- und Intendantenzeit           und ermöglicht einen sehr direkten, unmittelbaren        von Ulm ein. Zu meiner Zeit als Intendant hatte ich     Die Große Bühne: drei verschiedene Portalstellungen;
in Ulm wurde mir das großartige künstlerische Ange-       Kontakt zum Publikum. Der Clou des Hauses ist            ausführlich mit dem Architekten über seinen Wunsch      ein eiserner Vorhang zwischen Orchestergraben und
bot dieses Raumes bewusst. Alles ist möglich, alles ist   allerdings das Podium. Ich kenne kein Haus, das          diskutiert, das Theatercafé, das nachträglich auf       Zuschauerraum.
beweglich. Die Podesterie fährt nach oben und unten,      über eine so variable Spielmöglichkeit verfügt. In der   der großzügigen Terrasse unter den wunderbaren
mit oder ohne den Zuschauerinnen und Zuschauer auf        Schaubühne in Berlin wurde ja ein Raum nach dem          Bäumen an der Olgastraße errichtet wurde, wieder zu     Das Foyer mit der Gott sei Dank wiederhergestellten
den Drehsitzen. Gespielt werden kann mitten unter         Vorbild des Ulmer Podiums gebaut. Während meiner         entfernen. Wir hatten dort mittlerweile einen zweiten   Terrasse. Und und und …
den Besucherinnen und Besuchern, das Publikum             Intendanz-Zeit in Ulm hatte ich immer wieder große       Spielort für das Junge Theater eingerichtet. So hat
einkreisend, aufnehmend, konfrontierend, in Blöcke        Freude an diesem Haus und erhoffe für den jetzigen       es etwas länger gedauert, bis er mich vom Abriss        Aber das ist nicht alles.
aufteilend. Auf dieser Tastatur kann man künstle-         Intendanten Kay Metzger so viel Zufriedenheit, wie       überzeugen konnte, doch glücklicherweise steht das
risch spielen. Hier kann Bühnenmaschinerie Inhalte        ich sie mit den Möglichkeiten des Hauses hatte. Ich      Haus jetzt wieder in alter Schönheit. Erwähnenswert     Dieses Theater atmet. Es ist durchlässig für die
stützen und dient nicht nur ihrer eigenen Demonstra-      wünsche dem Ulmer Theater noch viele, viele Jahre        bleibt für mich als Regisseur die Tatsache, dass der    Geister, die auf der Bühne entstehen und sich nach
tion. Dass das Podium später offiziell eine Zeit lang     Glück und ein oft ausverkauftes Haus.                    eiserne Vorhang gerundet vor dem Orchestergraben        der Aufführung irgendwo im Haus verstecken,
gar nicht mehr existierte, war eine städtische Sünde.                                                              angesiedelt ist. Das gibt die Möglichkeit, Plafonds     ausruhen können müssen.
Voll genutzt wird sein einmaliges Angebot seit Länge-     Pavel Fieber                                             zu bauen, die, unter dem Theaterportal über das
rem nicht mehr. Kann es auch nicht, da die p­ ersonelle   Intendant von 1985 bis 1991                              Orchester ragend, die Stimmen der Sängerinnen und       Wie Fledermäuse.
Ausstattung hinter den Kulissen nicht mehr ausreicht.                                                              Sänger verstärkend in den schönen holzgetäfelten
Es gibt Handlungsbedarf. Kreativität und Phantasie                                                                 Zuschauerraum tragen. Ergänzt durch in zweifache        Bis sie am Abend wieder Richtung Bühne
sind natürlich gefragt, reichen aber nicht. Ausstat-                                                               Richtung klappbare Hubpodien und den vielseitig         ausschwärmen dürfen.
tung und Technik müssen bedient, Podeste gefahren,                                                                 einsetzbaren Drehscheibenwagen ist dieses Theater
Dekorationen auf- und abgebaut, Ton und Licht                                                                      bis heute zeitlos modern. Es macht Freude, hier zu      Unvorstellbar, der Vorschlag einer Rathausfraktion,
eingesetzt werden. Dafür (wieder) die Voraussetzun-                                                                inszenieren. Die Einmaligkeit des Podiums mit seinen    auf die Sanierung des Fritz-Schäfer-Baus zugunsten
gen zu schaffen, ist mein Geburtstagswunsch an das                                                                 Drehstühlen und die Erfindung der Bienenwaben           eines Neubaus zu verzichten, wäre mehrheitsfähig
Theater und die Stadt: Die Schaffung und Zuordnung                                                                 als Theaterpodeste im Raumtheater haben                 geworden.
einer kleinen — von der Disposition im Großen Haus                                                                 Fritz Schäfers Architektur überregional bekannt
weitgehend unabhängigen — bühnentechnischen                                                                        gemacht. Ich wünsche diesem Theaterbau noch             Insofern: Happy Birthday und viele gute Jahre!
Mannschaft. Das Podium ist keine Nebenspielstätte.                                                                 viele zukünftige Inszenierungen und ein fasziniertes
Dieses Sechseck mit seinen 16 ­beweglichen Fuß-                                                                    Publikum.                                               Andreas von Studnitz
bodenelementen war eine der ersten bedeutenden                                                                                                                             Intendant von 2006 bis 2018
Experimentierbühnen der Republik. Eine zentrale                                                                    Ansgar Haag
Herausforderung, Themen und Formen, Akteure und                                                                    Intendant von 1994 bis 2006
Rezipienten immer wieder neu zu denken. Auch heute.

Volkmar Clauß
Intendant von 1979 bis 1985
50 JAHRE NEUBAU THEATER ULM
12   VORWORT   VORWORT   13
50 JAHRE NEUBAU THEATER ULM
14                                             50 JAHRE NEUBAU THEATER ULM                                                                                                       50 JAHRE NEUBAU THEATER ULM                                                  15

Oberbürgermeister
Gunter Czisch im Gespräch

Vor fünfzig Jahren wurde das von Fritz Schäfer ­entworfene     Haben Sie Fritz Schäfer persönlich kennen gelernt?                Das Theaterjubiläum trifft in der Spielzeit 2019/2020 auf         Berblinger als Experimentator, Beethoven als Komponist
Theater eingeweiht. Was bedeutet dieses Jubiläum für die                                                                         ein anderes markantes stadtgeschichtliches Datum: Der             haben Neues und Ungewöhnliches gewagt. Wie weit darf, soll
Stadt Ulm?                                                     Ich bin ihm einige Male im Rahmen von Veranstaltungen            ­Geburtstag des Innovators und Flugpioniers Albrecht               Ihrer Ansicht nach Theaterkunst gehen?
                                                               begegnet. Es hat mich gefreut, dass er noch miterleben durfte,    Ludwig Berblinger jährt sich 2020 zum 250. Mal. Wie ginge
Zunächst einmal bedeutete die Inbetriebnahme des Theater­      dass ›sein‹ Theaterbau 2008 als Baudenkmal g­ ewürdigt            es einem wie Berblinger heute in Ulm? Wie hat’s Ulm mit           »Die Kunst muss nichts. Die Kunst darf alles.« Dieses Zitat
neubaus an der Olgastraße 1969 das Ende eines mehr als         wurde.                                                            seinen Visionären?                                                stammt von Ernst Otto Fischer, einem Chemiker und Nobel­
20 Jahre dauernden Provisoriums. Ich bin sicher: Auch wenn                                                                                                                                         preisträger. Ich denke, dem könnte ich mich anschließen,
die Zeit in der alten Wagnerschule in der Rückschau gern mit   Die Stadt Ulm ist glücklicherweise nicht in der Situation,       »Der Prophet gilt nichts im eigenen Land«, sagt man gemein­        denn auch oder gerade Kontroversen können uns weiterbrin­
einem Hauch »Erinnerungsgold« überzogen wird, waren die        über einen Theater-Neubau entscheiden zu müssen, wie vor         hin. Für Berblinger stimmt das nicht so ganz — man muss            gen, uns nachdenklich machen. Was Theaterkunst dagegen
Bedingungen, dort Theater zu machen, für alle Beteiligten am   fünfzig Jahren. Aber es bleibt für solch ein großes denkmal­     nur genau hinsehen. Der Schneidermeister Berblinger, der           nicht sein sollte: langweilig, selbstgefällig und immun gegen­
Rande des Zumutbaren. Chapeau, dass dort trotzdem so viel      geschütztes Gebäude ein stetiger ­Investitionsbedarf,            immerhin am Münsterplatz ein eigenes Geschäft betrieb, be­         über Kritik.
Neues gewagt und ausprobiert wurde! Insofern ist der ­Neubau   um es betriebsfähig zu halten. Während andernorts                saß anfangs großes Renommee als Erfinder und Flugpionier.
von Fritz Schäfer auch programmatisch zu deuten: Der           ­Theatergebäude durch mangelnde Vorausschau über Jahre           Warum sonst hätte ihn die Stadt anlässlich des königlichen         Obwohl, frei nach Karl Valentin, Prognosen äußerst schwie­
künstlerische Aufbruch in die Moderne, der auf der B
                                                   ­ ühne       geschlossen und generalsaniert werden müssen, hat die Stadt     Antrittsbesuchs so prominent ins Programm nehmen sollen?           rig sind, wenn sie die Zukunft betreffen: Wo sehen Sie das
stattfand, bekam nun die adäquate äußere Hülle.                 Ulm diese Herausforderung kontinuierlich angenommen.            Erst der tragisch gescheiterte Flugversuch, bei dem Ber­           Theater Ulm im Jahr 2069?
                                                                Wie erklären Sie sich dieses besondere Verhältnis der Stadt     blinger aus der Sicht des Publikums nicht nur sich, sondern
Das Stadtbild zeichnet sich durch eine Vielzahl architek­       zu ihrer Theaterimmobilie?                                      die ganze Stadt vor den königlichen Gästen blamiert hatte,         Fünfzig Jahre in die Zukunft zu blicken, das ist nicht bloß
tonisch hochwertiger Gebäude aus. Wie ordnen Sie in diesem                                                                      änderte alles. Vielleicht sollten wir darum nicht fragen, wie      schwierig, das ist unmöglich. Was ich aber hoffe: Dass auch
Tableau das Theatergebäude ein, welche Perspektiven gibt es    Ich bedanke mich für das Lob, das in Ihrer Frage steckt —        wir mit Visionären umgehen, sondern damit, wenn sie an             im Jahr 2069 am Theater Ulm immer noch Werke so gezeigt
aus Ihrer Sicht für das ›Theaterviertel‹?                      möchte es aber weitergeben an unseren Gemeinderat. Ich           Widrigkeiten scheitern …                                           werden, dass sie das Publikum berühren.
                                                               würde auch sagen: Der Antrieb war weniger ein ›besonde­
Unser Theatergebäude ist in seiner Form- und Farbgebung        res Verhältnis‹ zu diesem Gebäude, sondern schlicht die          In die Spielzeit 2019/2020 fällt auch noch der 250. Geburts­
eindeutig ein Kind seiner Zeit, der späten 1960er Jahre.       Notwendigkeit, fortlaufend zu modernisieren, geänderten          tag von Ludwig van Beethoven. Gibt es ein Werk von ihm, das
Wie fast jede gute Architektur hat das Gebäude anfangs das     technischen Vorschriften gerecht werden zu müssen, in die        Sie besonders lieben?
Publikum gespalten: zu modern, zu wenig ulmisch. Es gibt       Jahre Gekommenes zu sanieren. Ich möchte die Verantwort­
durchaus Parallelen zur Diskussion um das Stadthaus fünf­      lichen in anderen Städten, beispielsweise im Ruhrgebiet,         Mein Favorit ist die 9. Sinfonie, nicht nur weil sie die
undzwanzig Jahre später.                                       auch ein klein wenig in Schutz nehmen: Vielerorts ist es nicht   ­berühmteste und revolutionärste unter den Beethovenschen
Unsere Pläne für das Theaterviertel sehen in den kommenden     mangelnde Vorausschau, sondern sind es die leeren Kassen,         Sinfonien ist. Obwohl ich ihn schon so oft gehört habe, ist be­
Jahren ein dichtes und urban geprägtes Stadtquartier mit       die verhindern, dass rechtzeitig saniert wird.                    sonders der Schlusschor ein musikalischer Rausch aus Tönen
qualitätvollen öffentlichen Freiräumen und einer Mischung                                                                        und Worten, dem man sich nicht entziehen kann. Emotion
aus Wohnen und Arbeiten vor. Das Theater wird, nicht zu­                                                                         pur! Und: Dieses großartige Werk spiegelt einen demokra­
letzt als ›Namensgeber‹, darin sicher eine herausgehobene                                                                        tischen Zeitgeist und Werte, die in einer vom Humanismus
Position einnehmen — als kultureller Anker und architekto­                                                                       geprägten Gesellschaft bis heute Gültigkeit haben.
nischer Akzentpunkt.
16                                         JUBILÄUMSSPIELZEIT 2019/2020                                                                                           JUBILÄUMSSPIELZEIT 2019/2020                                          17

Kein Geburtstag wie jeder andere: Vor 50 Jahren wurde      Fünf Jahrzehnte runden sich zu einem Jubiläum, das                                                                     Auf große Resonanz stoßen die zahlreichen Sonderver-
der von Architekt Fritz Schäfer entworfene Neubau          gefeiert sein will. Wir laden Sie, verehrtes Publikum,                                                                 anstaltungen in und außerhalb des Theaters: Lesungen,
des Ulmer Theaters in der Olgastraße eingeweiht und        herzlich zur Jubiläumsspielzeit 2019/2020 ein, die wir                                                                 »Vis-à-vis«-Gottesdienste, Workshops — um nur einige
damit das fast zwanzig Jahre genutzte Provisorium in       Ihnen in dieser Broschüre vorstellen. Etwas von der                                                                    zu nennen. Nicht zu vergessen die profilierten Kam-
der Wagnerschule aufgegeben, das nach den Bomben-          Feierlaune ist in der Bildserie der Fotografin Kerstin                                                                 merkonzerte mit Mitgliedern des Philharmonischen
angriffen auf die Stadt Ulm und der Zerstörung des his-    Schomburg zu spüren, die mit aktuellen Mitarbeite-                                                                     Orchesters der Stadt Ulm.
torischen Theatergebäudes Raum bot, die Theaterarbeit      rinnen und Mitarbeitern des Theaters Ulm augenzwin-                                                                    Theater schafft eine vergängliche Kunst. Es ist die Kunst
des ältesten deutschen Stadttheaters erfolgreich, wenn     kernd die 1960er-Jahre zitiert.                                                                                        des Augenblicks. Gleichwohl sind 50 Jahre Theater­
auch unter widrigen Bedingungen, fortzuführen. Kaum                                                                                                                               künste in jedem Winkel des Theaters spürbar. Für
vorzustellen, was der Umzug in das nagelneue moderne       Ausgiebig gefeiert werden soll in dieser Jubiläums-                                                                    mich als achten Intendanten im Fritz-Schäfer-Gebäude
Theater für die Theaterbeschäftigten im Sommer 1969        spielzeit auch der 250. Geburtstag von Ludwig van                                                                      bedeuten diese 50 Jahre eine große Herausforderung
bedeutet haben muss. Der konzeptionell sowohl ästhe-       Beethoven. Neben vielen Konzerthöhepunkten steht                                                                       und Verpflichtung, aus der Gegenwart heraus dieses
tisch als auch nutzungstechnisch wegweisende Ulmer         Beethovens Freiheitsoper »Fidelio« nach vielen Jahren                                                                  Erbe für die Zukunft zu erneuern. Mein Team und ich
Theaterneubau ist für diese Phase der zeitgenössischen     wieder auf dem Spielplan. Mit Dietrich W. Hilsdorf und                                                                 sind dankbar, dass unser eingeschlagener Weg bis dato
Architekturgeschichte vorbildlich und setzt einen          seinen künstlerischen Partnern Dieter Richter (Bühne)                                                                  mit Aufgeschlossenheit und Begeisterung von Ihnen,
bedeutenden Akzent in der Theaterarchitektur der           und Renate Schmitzer (Kostüme) konnte hierfür ein                                                                      verehrtes Publikum, begleitet wird.
deutschen Nachkriegszeit. Mit seiner zweiten Spiel-        prominentes Inszenierungsteam gewonnen werden,
                                                           ­
stätte ist der Ulmer Bau exzeptionell: Das Podium als      dessen künstlerische Wurzeln im Theater Ulm liegen.                                                                    Theater ist ein sozialer Ort, an dem die Beteiligten
sechseckig gestalteter Raum mit 18 Metern Durchmes-                                                                  Eine Entdeckungsreise ganz besonderer Art wagt das           ›hautnah‹ aufeinandertreffen und die dazugehörigen
ser war eine der ersten Werkstattbühnen überhaupt, mit     Das für die Stadt Ulm und die Region bedeutsame           Theater Ulm mit der Uraufführung der um 1920 ent-            Ereignisse — seien sie nun unterhaltsam, bildend,
flexibler Bestuhlung und Hubtechnik wurden ideale          Jubiläum der Eröffnung des Ulmer Theaterneubaus           standenen Oper »La Légende de Tristan« von Charles           anrührend oder aufwühlend — gemeinschaftlich erlebt
Voraussetzungen für experimentelle Inszenierungen          trifft in der Spielzeit 2019/2020 auf ein markantes       Tournemire, die den Tristan-Mythos gänzlich anders           werden. Theater bietet Raum, die wesentlichen Fra-
und Bühnenbildlösungen geschaffen. Nicht von unge-         ­stadtgeschichtliches Datum: Der Geburtstag des Inno-     akzentuiert als Richard Wagner.                              gen des Lebens zu verhandeln. Ein kostbarer Raum.
fähr diente diese Spielstätte als Vorbild für das multi-    vators und Flugpioniers Albrecht Ludwig Berblinger                                                                    Ein Raum für Bürgerinnen und Bürger, zur Selbst-
funktionale Theatergebäude der Berliner Schaubühne          jährt sich 2020 zum 250. Mal. Aus diesem Anlass hat      Das Tanztheater unter Reiner Feistel ist in kürzester Zeit   verständigung, Kontroverse, Inspiration. Ulm verfügt
am Lehniner Platz.                                          das Theater Ulm zwei Werke in Auftrag gegeben: Ulf       zu einer Instanz in Ulm geworden. Mit »Faces of Love«        über solch einen Raum ideellen Reichtums. Diesen in
                                                            Schmidt hat für das Große Haus ausgehend von der         stellen sich auf Einladung Feistels zwei profilierte Gast-   den letzten 50 Jahren gefördert, erhalten und instand-
                                                            Biografie Albrecht Ludwig Berblingers einen Text zum     choreografinnen vor, bevor er mit »Das Schweigen der         gesetzt zu haben, verdanken Publikum und Theater-
                                                            Thema Erfinder-Drang und -Hybris erarbeitet. John von    Männer« und »Ein Sommernachtstraum« wieder eigene            schaffende gleichermaßen der Stadt Ulm und ihren Ent-
                                                            Düffel wiederum greift für das Podium den Mythos von     Arbeiten mit seiner Compagnie erarbeitet.                    scheidungsgremien.
                                                            Dädalus und Ikarus auf, um eine thematische Verbin-
                                                            dung zum Ulmer Flugpionier herzustellen und mit die-     Ein Schwerpunkt unserer Arbeit sind und bleiben gene-        Gute Voraussetzungen für den Blick nach vorn:
                                                            ser Stoffwahl und –ausgestaltung Bezug auf die antike    rationenübergreifende Spielplanangebote: Insbeson-           auf die kommenden 50 Jahre!
                                                            Agora als historisches Vorbild und Basis des aktuellen   dere mit den ambitionierten Inszenierungen des Jungen
                                                            Bühnenraumes zu nehmen. Die Baden-­Württemberg-          Theaters für Kinder und Jugendliche und den Projekten
                                                            Stiftung unterstützt großzügig diese ambitionierten      der Bürgerbühnen bieten wir kreative Anregungen auch
                                                            Vorhaben anlässlich des Jubiläums.                       für das Publikum von morgen.

                                                                                                                                                                                  Kay Metzger
                                                                                                                                                                                  Intendant
THEATERBALL 2020                                             19

                                                                                        15. Februar 2020

                                                           DER THEATERBALL
                                                                  ZUM
                                                            50. GEBURTSTAG!
                                                                  GENIESEN SIE EINE RAUSCHENDE BALLNACHT UND
                                                                       WERDEN SIE TEIL EINES HERAUSRAGENDEN
                                                                             GESELLSCHAFTLICHEN EREIGNISSES
                                                                                      IN IHREM THEATER ULM!

                                                             Mit den »Drei Ulmer Tenören« und dem Philharmonischen Orchester
                                                                 der Stadt Ulm unter der Leitung von GMD Timo Handschuh!
                                                                            Durch den Abend führt Amelie Fried.

                                                  Ein Fest der Sinne — kulinarische und künstlerische       Im Anschluss an die Operngala können Sie die Bühnen
                                                  Genüsse sowie ausgelassene Stimmung auf allen
                                                  ­                                                         des Großen Hauses und des Podiums erobern: Dort
                                                  Bühnen und an anderen magischen Orten des Theaters        spielen Bands für alle Tanzfreudigen mitreißende Songs
                                                  — das verheißt der Theaterball 2020! Markieren Sie sich   und Rhythmen bis zum Morgengrauen — von Swing
                                                  Samstag, den 15. Februar 2020 am besten schon jetzt in    und Soul bis Rock’n’Roll.
                                                  Ihrem Kalender!
                                                  In einer großen Operngala servieren Ihnen die »Drei       Für vielfältige Abwechslung zwischen den Tanzrunden
                                                  Ulmer Tenöre« unter der Leitung von GMD Timo              sorgt ein u
                                                                                                                      ­ nterhaltsames Rahmenprogramm, das viele
                                                  Handschuh mit dem Philharmonischen Orchester der          Überraschungen für Sie bereithält. Ein reichhaltiges
                                                  Stadt Ulm musikalische Köstlichkeiten auf höchstem        und exquisites kulinarisches Angebot lädt dazu ein,
                                                  Niveau. Durch den heiteren Abend führt Sie die in Ulm     sich zu stärken.
                                                  geborene Moderatorin und Schriftstellerin Amelie Fried.

Luca Scaduto (Tänzer) & Seungah Park (Tänzerin)
20                                            JUBILÄUMSSPIELZEIT 2019/2020                                                                                             JUBILÄUMSSPIELZEIT 2019/2020                                           21

Ulrich Khuon

Erkämpft, erstritten
und ständig neu verhandelt

Nichts ist selbstverständlich. Weder, dass Ulms Neue          Die Ausbreitung ökonomischen Denkens in den vergan-        Gerade im Bewusstsein einer reichen Vergangenheit             Wir spüren, dass unsere Theaterexistenz, aber auch
Mitte sich mit seinem historisch gewachsenen Zentrum          genen Jahrzehnten hatte zur Folge, dass die Zeitlichkeit   sollten wir umso dringlicher einen Blick auf die Zukunft      die demokratischen Freiheiten, die offene Gesellschaft
so gut ergänzt, dass das umstrittene Richard-­      Meier-    dieses Erzählens an ein Ende kam. Die Frage nach dem       des Theaters werfen.                                          und die in der Verfassung garantierte Freiheit der Kunst
Stadthaus sich so blendend mit dem gewaltigen goti-           richtigen Leben schien beantwortet: Es war ein effizien-                                                                 nichts Selbstverständliches sind, sondern dass wir uns
schen Münster verträgt, noch, dass es seit über dreihun-      tes, ein optimiertes Leben. Inzwischen ist auch diese      Das Theater der Zukunft wird ein Theater sein, das weiß,      dazu verhalten müssen, Gesicht zeigen, im Theater und
dert Jahren Theater in Ulm gibt und seit 50 Jahren den        Erzählung durch die immer dringlicher werdende Frage       aus welcher eigenen und gesellschaftlichen Vergangen-         außerhalb. In unserer globalisierten Welt rückt die
von Fritz Schäfer entworfenen Theaterneubau. Das alles        nach den Folgen des Klimawandels, die Verwerfungen         heit es kommt, es wird ein dezidiert gesellschaftlich         Frage der Gerechtigkeit mehr und mehr ins Zentrum
ist erkämpft, erstritten, also von einer Stadtgesellschaft,   der globalen politischen Architektur, die Einsicht in      wirksames Theater sein und keines der ausschließlich          gesellschaftlicher Wahrnehmung. Die Frage nach Chan-
die das gut aushält, ständig neu verhandelt.                  die Doppelbödigkeit westlicher Politik und die präsen-     individuellen Befindlichkeiten. Es wird ein Theater           cengleichheit, Bildungs- und Verteilungsgerechtigkeit,
                                                              ter werdenden Nationalismen unter Druck geraten. Die       sein, das politisch, aber nicht parteipolitisch denkt, das    nach Geschlechtergerechtigkeit — wir können uns die-
Werfen wir einen Blick nach Italien, dort gab es im           ökonomische Sicht generiert keinen Sinnhorizont mehr.      nicht dogmatisch oder besserwisserisch daherkommt             sen Fragen nicht widmen, ohne unser eigenes Verhalten
18. Jahrhundert auch viele Fürstentümer und Grafschaf-                                                                   und es wird nach wie vor keine Antworten geben, aber          und die Strukturen unserer Theater zu betrachten und
ten, in denen ähnlich schöne und viele Theater wie hier       Theater sind Teil der Erzählung, die die Gesellschaft      es wird Fragen so stellen, dass wir ohne eigene Antwort       zu überprüfen. Vielleicht ist die gegenwärtige Phase des
entstanden. Kaum eines wird heute noch aktiv bespielt,        von sich selbst entwirft und in denen sie sich wieder-     nicht weiterleben wollen. Und es bezieht die Menschen         Theaters Ulm so stabil und gesichert wie selten zuvor.
geschweige denn von einem ständigen Ensemble. Wie             findet. Sie handeln von der Stadtgesellschaft und gehen    ein in die Darstellung. Es ist in seiner Haltung erkenn-      Ich habe nicht den Eindruck, dass sich das derzeitige
gesagt: Es ist überhaupt nicht selbstverständlich, dass       über sie hinaus. Auch die Erzählungen des Theaters         bar, lässt aber Fragen zu dieser Haltung zu, ja, es fordert   Team darauf ausruhen will.
es dieses Theater in Ulm gibt. Was niemand verordnen          erschaffen keine Sinnhorizonte, aber sie entwerfen und     sie geradezu ein.
kann, das haben sich hier die Gemeinderäte, das Land,         überprüfen Fragen nach dem Sinn. Diese Erzählungen
die Theatermacherinnen und -macher, die Theaterlieb-          handeln von konkreten, sinnlich erfahrbaren Welten         In der letzten Zeit haben sich viele Theater unter der        Ulrich Khuon, am 31. Januar 1951 in Stuttgart geboren, ist
haberinnen und -liebhaber und ehrenamtlichen Unter-           und sie erzählen vom gestaltbaren und veränderbaren        Losung »Gemeinsam grenzenlos« für ein offenes, diver-         Dramaturg, Theaterintendant und seit 2017 Präsident des
stützerinnen und Unterstützer erkämpft. Ein Theater,          Zusammenleben unserer Gesellschaft.                        ses Land und Theater eingesetzt, das Geflüchtete nicht        Deutschen Bühnenvereins.
das ansteckend, kreativ, lustvoll und nie verbiestert auf-                                                               als Verhängnis und Schicksalsschlag versteht, sondern         Khuon studierte Rechtswissenschaft, Theologie und Ger-
tritt und von vielen gewollt ist.                             Jubiläen geben gelegentlich Anlass, sich zurück in die     als Herausforderung zu neuem Verstehen und zu neu             manistik. 1980 wurde er Chefdramaturg am Theater Kon-
                                                              Vergangenheit zu wünschen, ja, sie gleichsam wieder        gestaltbarer Nähe.                                            stanz, ehe er von 1988 bis 1993 die Intendanz des Hauses
Jede Gesellschaft konstituiert sich über die Geschich-        bewohnen zu wollen als einen geordneteren, homogene-                                                                     übernahm. Im Anschluss war er von 1993 bis 2000 Inten-
ten, die sie über sich erzählt. Diese Geschichten handeln     ren und schöneren Raum, als ihn die Gegenwart anbie-                                                                     dant am Schauspielhaus Hannover und übernahm zur
davon, was uns zusammenhält und auseinandertreibt.            tet. Aber wir wissen, auch im Theater, dass das mitnich-                                                                 Spielzeit 2000/2001 die Leitung des Hamburger Thalia
Sie erzählen im Kern von der Frage, wie wir leben wol-        ten so ist. Jede Zeit hat ihre eigenen Widersprüche und                                                                  Theaters. 1997 wurde er zum Professor an der Hochschule
len. Sie überführen die Zufälligkeit des Geschehens in        Gebrochenheiten. So ist auch die Freude über das Thea-                                                                   für Musik und Theater Hannover ernannt. Seit 2009 ist er
Sinnzusammenhänge und generieren bürgerschaftliche            terjubiläum in Ulm vielmehr ein Verweis darauf, dass                                                                     Intendant des Deutschen Theaters Berlin.
Loyalität. Sie sind insofern stabil und instabil, als sie     das Ulmer Theater untrennbar mit der Erzählung dieser                                                                    Khuon ist Mitglied der Deutschen Akademie der Darstel-
ständig neu erzählt werden müssen und darin Varia-            Stadt verbunden ist.                                                                                                     lenden Künste und der Akademie der Künste Berlin.
tionen erfahren: abhängig von den Geschehnissen, die
integriert werden, abhängig aber auch von denjenigen,         Gerade weil es sich verändert hat und weiter verändert.
die erzählen, beziehungsweise über den Zugang zu den          Dass wir, auch als Gesellschaft, nicht identischer, uns
Erzählungen bestimmen. Die Erzählungen einer Gesell-          selber ähnlicher werden, sondern die eigene kompli-
schaft, die ihr Selbst-Bild formen, sind notwendiger-         zierte Aufgeschichtetheit und Zerrissenheit in der Welt
weise geschichtlich, weil sie Geschehenes ordnen, und         suchen, beobachten und als arbeitsreichen Gewinn
sie sind zukünftig, weil sie Material ihrer eigenen Wei-      betrachten sollten, all das hat der Philosoph Achill
tererzählung sind. Sie sind, im besten Sinne, politisch,      Mbebe aus Kamerun so beschrieben: »Das Gemein-
weil sie ihre eigene geschichtliche Gewordenheit mit-         same beruht nicht auf Ähnlichkeit, sondern kann nur
verhandeln, Freiheitsgrade für das Denken und Han-            als konstante Verhandlung von Unterschieden verwirk-
deln eröffnen und Veränderbarkeit in sich tragen.             licht werden, als Prozess der Entähnlichung. Durch das
                                                              Fremdwerden des Vertrauten.«
22   SPIEL DER HEXAGONE                                                                50 JAHRE NEUBAU THEATER ULM                                          23

                                             Michael Heinrich

                                             Spiel der Hexagone:
                                             Form und Erscheinung
                                             des Ulmer Theaters
                                             Ulm grüßt den Reisenden schon von ferne mit dem hochaufragenden Turm seines
                                             ­Münsters, kühnes und spät vollendetes Denkmal seiner ehemaligen reichsstädtischen
                                              Größe. Als ­höchster Kirchturm der Welt genießt er seit 1890 — Jahr seiner Fertigstellung
                                              nach g­ otischen Vorlagen — weltweite Bekanntheit. Nur wenigen Architekturkennerinnen
                                              und -kennern dürfte allerdings bewusst sein, dass Ulm noch über einen zweiten Monu-
                                              mentalbau verfügt, n ­ ämlich das von Fritz Schäfer entworfene städtische Theater aus den
                                              ­späten 1960er-Jahren.

                                             Geschichte

                                             Das massige Gebäude erhebt sich am nördlichen Rand        neuer Nachhaltigkeit und programmatischer Unterfüt-
                                             der Altstadt, jenseits der verkehrsreichen Olgastraße,    terung weiterzuverfolgen und dem Theater in Ulm end-
                                             und verrät bei aller Imposanz eine gewisse Nähe zu        lich einen festen, angemessenen Rahmen zu verleihen.
                                             gigantischen, brutalistischen Strukturen der 1970er-      Der Standort des Neuen Hauses entspricht dabei just der
                                             Jahre, die nicht selten den Begriff der ›Bausünde‹ auf    tradierten Platzierung historistischer ­
                                                                                                                                              Theaterbauten
                                             den Plan rufen. Es lässt kaum erahnen, welche alte und    in zahllosen Städten des europäischen Kulturkreises,
                                             wechselvolle Geschichte die Theatertätigkeit in Ulm       nämlich am Rande der ehemaligen Umwallung des
                                             hinter sich hatte, bis es endlich zu einem Neubau kam,    alten Stadtkerns, die im 19. Jahrhundert meist einer
                                             der den Ansprüchen der Bürgerschaft und der Stadt als     Ringstraße mit bürgerlichen Repräsentationsbauten
                                             kulturellem und wirtschaftlichem Mittelpunkt einer        weichen musste.
                                             ganzen Region angemessen war. Anders als viele deut-
                                             sche und europäische Theaterstätten, die aus ehemali-     Die für eine Stadt wie Ulm nicht unbeträchtliche Größe
                                             gen Hoftheatern hervorgingen und von Anfang an von        des Neuen Hauses mit über 800 Plätzen im Zuschauer-
                                             der Renommiersucht, der Experimentierlust und nicht       raum sowie weiteren bis zu 200 Plätzen in der Studio-
                                             zuletzt von den gefüllten Börsen der Fürsten profitie-    bühne ist der Tatsache geschuldet, dass das kulturelle
                                             ren konnten, begann das Theater in Ulm als eher karg      Einzugsgebiet des Theaterstandorts Ulm außerordentlich
                                             finanziertes, jedoch beliebtes und engagiert betriebe-    groß ist und vom Bodensee bis Franken, von Ingolstadt
                                             nes Laien-­und Schultheater. Obwohl der Architektur-      bis Baden-Baden reicht. Die aufwendige, traditionelle
                                             theoretiker und Stadtbaumeister Josef Furttenbach um      Abstecheraktivität des Theaters kann so durch die Fokus-
                                             1640 ein stehendes ›Teatrum‹ nach neuer italienischer     sierung auf den zentralen Standort entlastet werden.
                                             Manier — mit der Möglichkeit von Wandeldekoratio-
                                             nen — etablieren konnte, gelang es nach wechselvollen     Raumprogramm und städtebaulicher Kontext
                                             Umsiedlungen des Theaters erst im späten 18. Jahrhun-
                                             dert, eine feste Theaterstätte zu begründen, die in der   Das Raum- und Funktionsprogramm des vom Ulmer
                                             Folge häufig erweitert und umgebaut wurde. Dennoch        Architekten Fritz Schäfer entwickelten Komplexes ver-
                                             blieb die unregelmäßige, temporäre Bespielung durch       eint zunächst alle vom traditionellen Theaterbetrieb
                                             wandernde Schauspieltruppen und Gastspielproduk-          bekannten Funktionen unter einem Dach: Neben dem
                                             tionen ein wesentliches Merkmal der Ulmer Theater-        Herzstück Bühne, Hinterbühne und Zuschauerraum
                                             aktivität bis ins 20. Jahrhundert hinein. Nachdem pom-    sind in dem monumentalen Bau auch Kassen- und Gar-
                                             pös dimensionierte Baukonzepte während des Dritten        derobenfoyer, ein mehrgeschossiges Hauptfoyer, die
                                             Reiches Utopie blieben, boten die einschneidenden         Verwaltung, Probebühne und Ballettsaal, ein Magazin,
                                             Zerstörungen der Ulmer Stadtsubstanz 1944 und die         sämtliche Werkstätten (darunter sehr flächenintensive
                                             Notwendigkeit neuer städtebaulicher Gestaltung in der     wie etwa der Malsaal) und alle weiteren, damit zusam-
                          Rohbau Ende 1967   Nachkriegszeit Gelegenheit, das Thema Theaterbau mit      menhängenden Funktionsräume untergebracht.
24                                            SPIEL DER HEXAGONE                                                                                               50 JAHRE NEUBAU THEATER ULM                                          25

                                                                                                                   Podium Zuschauerhaus Ende Juni 67 — Aufnahmen vom Kran

                                                                                                                   nismus tragen: Die Opéra Garnier in Paris etwa insze-       Gebirgs- oder Eismassen auf, die gewaltigen geodyna-
                                                                                                                   niert den Kulturtempel bereits als reibungslose, autarke    mischen Prozessen folgen und sich den dinglich und
                                                                                                                   Funktions­maschine und als monumentales Insignium           zeitlich kleinteiligen Strukturen der Menschenwelt ent-
                                                                                                                   ordnungspolitischer Souveränität.                           ziehen. Durch diesen analogischen Übertrag gewinnt
                                                                                                                   Systemintern, nämlich auf der Ebene praktischer, all-       der programmatische Inhalt des Baues, nämlich die
                                                                                                                   täglicher Arbeitsabläufe, ist freilich eine solche Zusam-   Kunst (genauer: die Musik und die Darstellende Kunst),
                                                                                                                   menlegung operativ vernetzter Prozesse und Funk-            den Nimbus des Übermenschlichen in einer der Men-
                                                                                                                   tionen tatsächlich hilfreich und ressourcenschonend,        schenwelt enthobenen Sphäre und beschwört, vielleicht
                                                                                                                   auch wenn die entstehende Autarkie zu einer weitge-         ohne es zu wollen, eine Mainstream-Sichtweise des
Podium und Zuschauerhaus Ende Juni 67 — Aufnahmen vom Kran                                                         henden sozialräumlichen Isolierung vom städtischen          19. Jahrhunderts, die die Kunst nicht zuletzt als Domäne
                                                                                                                   Umfeld führt.                                               zeitloser, ewiger und daher absoluter Klassizität defi-
                                                                                                                                                                               nierte. Erst die nordwestlichen Partien der Anlage, die
Zusätzlich trägt eine räumlich überraschend variable,    sischen Städtebau der 1960er- und 1970er-Jahre in         Äußere Gestalt und innerer Deutungsgehalt                   den hexagonalen Kristall des zentralen Gefüges wie
zur Entstehungszeit sehr innovative Studiobühne auch     Deutschland weithin prägte und das unter anderem                                                                      ein Mantel einfassen und Verwaltungsräumlichkeiten
der Notwendigkeit Rechnung, tradierte Theaterformen      eine Entmischung und Konzentrierung der verschie-         Umrundet man das Ulmer Theatergebäude aufmerk-              beherbergen, offenbaren eine funktionsmaßstäbliche,
experimentell weiterzuentwickeln und neue Interak-       denen urbanen Nutzungstypen unter dem Primat der          sam, bemerkt man, dass der vielfach gebrochene Verlauf      eher horizontale Geschossteilung und differenzieren
tionsformen zwischen Akteuren und Publikum zu rea-       autogerechten Stadt forderte. Dieses vordergründig        von horizontalen und vertikalen Gebäudelinien — beab-       sich auch in ihrer Betonfarbigkeit, profiliert-rauhen
lisieren.                                                ökonomisch rationale Neuordnungsbedürfnis schuf           sichtigterweise! — eine allzu monolithische Erschei-        Oberflächenstruktur und architektonisch motivierten
Da der städtebauliche Standort nur eine begrenzte Aus-   landauf, landab ›Zentren‹ aller möglichen Widmungen:      nung des Baues verhindert. Er enthüllt vielmehr als         Rastergliederung vom weißen, skulptural abstrahierten
dehnung in der Fläche erlaubte und die Höhe nach oben    Einkaufszentren, Universitätskomplexe auf der grünen      Gesamtgestalt von jedem Betrachtungswinkel aus neue         Hauptkomplex.
wiederum durch die traditionell dominierende Höhe        Wiese, ­K linikumskomplexe, Hochhauswohnkomplexe          Silhouettenbildungen und plastische Zugeordnetheiten        Jedoch kann auch eine noch so radikale Skulpturali-
des Bühnenturmes (samt den dadurch bedingten, auch       und natürlich Kulturkomplexe. Dass gerade eine Misch-     der ineinander verschnittenen Teilvolumen.                  sierung der zentralen Gebäudevolumen natürlich nicht
städtebaulich opportun erscheinenden niedrigeren Ab-     nutzung den feingliedrigen Zusammenhalt der Stadt         Die skulpturale, polygonal gebrochene Gestalt des           auf Lichteinfallsmöglichkeiten und auf Sichtbezüge
staffelungen angrenzender Gebäudepartien) ebenfalls      als sozialen Lebensraum ursächlich mitbedingt, eine       Außenbaues samt seiner Abstaffelungen präsentiert           von Innen- zu Außenraum verzichten, insbesondere
begrenzend vorgegeben war, greift das Bauvolumen des     zu rigide Funktionentrennung daher die gesellschaft-      sich mit seiner Hauptansicht in Richtung Altstadt als       bei Funktionen, die eine Übergangszone zwischen dem
Komplexes tief in den Untergrund ein und ist dort mit    liche Kohärenz beschädige, war auch damals schon          maßstabsloses, vermeintlich kristallin gewachsenes          Alltagsraum der Stadt und dem eigentlichen Theater-
mehreren Untergeschossen entsprechend ausgiebig          Gegenstand heftiger Kritik, die etwa die neue »Unwirt-    Gebilde: Kein Geschoss- oder Achsenrhythmus, keine          erlebnis markieren, nämlich das Kassen-, Gardero-
dimensioniert.                                           lichkeit unserer Städte« (Alexander Mitscherlich, 1965)   tradierten Einzelöffnungsformen, keine gewohnten            ben- und Hauptfoyer. Nach außen hin tritt diese Raum-
                                                         und den Verlust an lebendiger Urbanität artikulierte.     Architekturelemente erinnern daran, dass wir es mit         gruppe prominent als Vorderansicht des Komplexes in
Mit seiner Zentralisierung von Funktionen folgt das      Im Falle des Theaterbaus freilich gibt es für eine sol-   Architektur für menschliche Dimensionen zu tun              Erscheinung und ummantelt, im Grundriss betrach-
Neue Haus ganz der »Rationalität«, einem Erbe der        che Funktionsballung deutlich ältere Vorbilder, die       haben. Die im Grundriss aus ineinandergeschachtelten        tet, als größtes Hexagon der Schauseite die inneren
klassischen Bauhaus-Moderne, das den zeitgenös-          allerdings ebenfalls Züge des kulturellen Interventio-    Hexagonen aufgebaute Komposition ruft Analogien zu          Kerne des Auditoriums und des Bühnenhauses. Die
26                                                                                                                                                                  50 JAHRE NEUBAU THEATER ULM                                          27

                                                                                                                          Das Hexagon als Leitmotiv

                                                                                                                          Wie konsequent und überlegt Fritz Schäfer dennoch
                                                                                                                          die Form des Hexagons am Theater Ulm eingesetzt hat,
                                                                                                                          enthüllt sich stufenweise im Inneren des Gebäudes, spä-
                                                                                                                          testens nach einem Blick auf die Pläne oder das ausge-
                                                                                                                          stellte Architekturmodell. Durch die modulare Fügung
                                                                                                                          von Hexagonen unterschiedlicher Größe ergeben sich
                                                                                                                          höchst spannungsvolle Sichtachsenbrechungen, die
                                                                                                                          zu einer anregenden visuell-leiblichen Erkundung der
                                                                                                                          öffentlichen Bereiche sowohl in horizontaler als auch
                                                                                                                          in vertikaler Gerichtetheit einladen. Die Übergänge der
                                                                                                                          Einzelräume sind dabei fließend gestaltet und folgen
                                                                                                                          einer Dramaturgie der stufenweisen Enthüllung von
                                                                                                                          Raumvolumen und Raumdifferenzierungen. Die Ver-
                                                                                                                          meidung des rechten Winkels enthebt die Raumwahr-
                                                                                                                          nehmung der meist streng orthogonalen Orientierung
                                                                                                                          alltagsräumlicher Zweckstrukturen und unterstützt die
                                                                                                                          eher kontinuierlichen Bewegungstrajektorien explorie-
                                                                                                                          render leibräumlicher Interaktion. Obwohl eine mittlere
                                                                                                                          Längsachse als Rückgrat des Gebäudes unübersehbar
                                                                                                                          ist, gelingt es durch einen Diagonalversatz der Hexa-
                                                                                                                          gone im Grundriss, den Eindruck einer spannungsvol-
                                                                                                                          len, quasi ›natürlichen‹ Clusterung der geometrischen
                                                                                                                          Einheiten hervorzurufen.
                                                                                                                          Ebenso passend erscheint das Hexagon als Grundriss-
                                                                                                                          figur des im Herzen der Struktur eingebetteten Audito-
Linke Treppe vom Garderobenfoyer September 67                                                                             riums: Neben seiner akustischen Eignung bewegt sich       Binder vom Zuschauerhaus
                                                                                                                          der hexagonale Raum in perfekter Balance zwischen
                                                                                                                          punktsymmetrischer Zentralisierung und achsensym-
Belichtung wird hier durch horizontale Einschnitte            Analogie der Gebäudeskulptur zu mineralisch-kristal-        metrischer dynamischer Gerichtetheit und bricht damit     emplar varia­bler Theaterarchitektur. Diese Variabilität
an der Basis sowie ein Geschoss höher bewerkstelligt,         linen Strukturen beinhaltet ohnehin eine Konnotation        die traditionelle strenge Axialität des höfisch-bürger-   ist wichtiger denn je, sieht sich doch das Theaterwesen
die durch ihren Rücksprung als dunkle, höhlenartige           von Gewichtigkeit, die gegenläufige entmaterialisie-        lichen Guckkastentheaters behutsam auf, ohne dessen       einer explosiv zunehmenden Heterogenisierung von
Schlitze figurieren. Das Gebäudevolumen büßt also an          rende Tendenzen als selbstnegierend erscheinen lassen.      Wahrnehmungskonventionen gänzlich preiszugeben,           Zielgruppen, deren Bildungshorizont und deren Wahr-
dieser wichtigen Stelle seine materielle Erdung ein und       Interessant an dieser Öffnungsanordnung ist jedoch ein      denn in der Gegenüberstellung von Publikum und            nehmungskonventionen konfrontiert, die eine Zukunft
leugnet, wie dies ja auch die Fensterbänderungen der          anderer analogischer Querbezug, nämlich das Asso-           Bühne verbleibt die Funktionsanordnung im klassi-         bestehender Theaterstrukturen von einem intensiven
klassischen Moderne gerne inszenieren, die altherge-          ziationsfeld Hexagon-Wabe-Bienenstock-Einflugschlitz,       schen Rahmen. Jedoch erlauben es die geschrägten Sei-     experimentellen Erkenntnisgewinn abhängig machen
brachte architektonische Darstellung von Stütze- und          welches im Kontext der Widmung des Gebäudes kohä-           ten des Hexagons, einerseits den Übergang des Portal-     könnte.
Last-Verhältnissen, die sich etwa mittels Pfeiler- oder       rent erscheint: Der kulturelle Dialog, der im Inneren des   bereichs ins Auditorium hinein fließender zu gestalten,
Achsrhythmen und entsprechenden Öffnungsanord-                Gebäudes gepflegt wird, wäre aus dieser Sicht ein ideel-    andererseits den Zuschauerraum zu weiten, ohne seit-      Angesichts der überaus geschickten Adaption des Hexa-
nungen artikuliert. Schon in der klassischen Moderne          ler Honig, von fleißigen Mitgliedern eines Staates zum      lich des Portals tote Ecken in Kauf nehmen zu müssen.     gons für unterschiedliche Zielsetzungen innerhalb der
ergab sich hier ein gewisser Widerspruch zwischen             Wohle nachfolgender Generationen produziert und von         Zusätzlich ermöglicht der zentralräumliche Aspekt         gesamten Struktur des Ulmer Theaterbaues kann leicht
dem Anspruch von Struktur- und Materialauthentizität          soliden Waben geschützt. Ob man nun diese Metapher          des Auditoriums eine bewusste Selbstwahrnehmung           in Vergessenheit geraten, dass diese faszinierende geo-
einerseits und der Spaltung zwischen Tragstruktur und         unterstützt oder nicht, es wäre ihr eine gewisse Konse-     des Publikums und unterstützt auf diese Weise den         metrische Form nicht nur auf eine lange Geschichte in
Haut andererseits. Ein weiteres Dilemma einiger Schu-         quenz in der ästhetischen Umsetzung kaum abzuspre-          Anspruch des modernen Theaters, nicht nur eine opti-      Architektur und Kunst (vom barocken Festungsgrund-
len der Moderne bildet sich ebenfalls in solchem Arran-       chen.                                                       male Rezeption und Reflexion des gebotenen Stoffes zu     riss bis zum modernen Flughafen, von der gotischen
gement ab: Der Wunsch, durch die Eliminierung sicht-          Innerhalb des baulichen Gefüges kommunizieren also          ermöglichen, sondern auch eine Reflexion des Wahr-        Fensterrose zum islamischen Ornament, vom römi-
barer Stütze-Last-Verhältnisse einem Gebäudevolumen           verschiedene Assoziationsfelder auf nicht ganz wider-       nehmungsvorgangs an sich und seiner Bedingtheit von       schen Tempel bis Frank Lloyd Wright) zurück­blicken
schwebende Leichtigkeit zu verleihen, wird ja wahr-           spruchsfreie Weise mit Architekturtraditionen. Das          sozialen Rollenbildern und anderen Kontextfaktoren zu     kann, sondern im Laufe dieser Geschichte einige
nehmungspsychologisch schon dadurch konterkariert,            Assoziationsfeld Kristall/Fels/Eis kollidiert mit der       unterstützen.                                             bedeutende Symbolwerte übertragen bekam: die All-
dass ein angeborenes und verleiblichtes Schwerkraft-          klassisch-modernen Tradition der Entmaterialisierung        Im Podiumstheater des Untergeschosses werden hin-         macht Gottes, Feuer und Wasser, das Männliche und
empfinden Situationen meidet, in denen phänomenal             der Außenhaut durch Stützenverlagerung ins Innere;          gegen die Möglichkeiten des Hexagons, unterschied­        das Weibliche, die Alchemie, der Stein der Weisen, als
massige Volumen ungenügend abgestützt erscheinen —            die Verwurzelung des Hexagons in organisch-ökologi-         liche Funktionsanordnungen von Publikum und Bühne         Davidsstern die Schilde Davids und damit Gottes Hilfe,
was evolutionsbiologisch natürlich höchst sinnvoll ist.       schen Traditionssträngen innerhalb der Architektur          auszubilden, gänzlich ausgeschöpft. Seitenparallel        das Siegel Salomos.
Das Bestreben nach ästhetischer Leichtigkeit kann sich        kollidiert mit der Maschinen- und Ozeandampfermeta-         geführte Unterteilungen des Bodens in Podiumsberei-       Als geometrische Teilungsstruktur von Flächen bietet
also, wie vielleicht auch in diesem Fall, leicht ins Gegen-   pher einer klassisch-modernen Architektursprache, wie       che erlauben eine Vielzahl unterschiedlicher Arrange-     das Hexagon einen minimalen Aufwand von Grenz-
teil verkehren, dahingehend nämlich, dass die Schwere         sie sich in den stützenfreien Öffnungsbändern oder der      ments mit den jeweils benötigten Höhendifferenzierun-     flächen im Verhältnis zum Inhalt bei hoher Fügungs-
von nicht visuell abgefangenen Volumen als doppelt            Gliederung des rückwärtigen Traktes wiederfindet.           gen und machen das Podiumstheater zu einem damals         stabilität und dreiseitiger Ausrichtungsmöglichkeit,
schwer, nämlich als drückend empfunden wird. Die                                                                          innovativen, heute noch beispielgebenden Musterex-        eine Eigenschaft, die — in der Natur — das Hexagon
28                                                                  SPIEL DER HEXAGONE

Zuschauerhaus Ende 68

etwa als Baustruktur für Bienenwaben prädestiniert                                   schiedliche Funktionen eines Theaterorganismus glei-
und — in der Technologieentwicklung — zu einem                                       chermaßen elegant zu unterstützen, sondern auch auf
wichtigen Konstruktionsprinzip der modernen Bionik                                   ästhetischer Ebene durch die Selbstähnlichkeit alle
und des Ingenieurswesens geadelt hat. Als Matrix von                                 sich ent­w ickelnden Differenzierungen miteinander zu
Molekülstrukturen und Kristallbildungen (man denke                                   verklammern. Der Monumentalbau des Ulmer Theaters
etwa an Schneeflocken oder an den nordirischen Giant’s                               beantwortet also die alte philosophische Frage nach
­Causeway, eine beeindruckende Lavastruktur aus hexa-                                dem dialektischen Verhältnis von Einheit und Mannig-
 gonalen Basaltsäulen) erweist sich das Hexagon als ein                              faltigkeit auf eine Weise und in einer Qualität, die den
 grundlegendes Formprinzip der Materie.                                              ersten Eindruck des Gebäudekomplexes deutlich modi-
 Das Neue Haus des Ulmer Theaters führt vor, welche                                  fizieren kann und uns bewusst macht, wie eng und vari-
 Qualitäten aus der Natur entlehnte Formprinzipien                                   abel Wahrnehmung, Bedeutungsgebung, Wissen und
 auf formaler wie auf struktureller Ebene entfalten                                  emotionale Bewertung miteinander verknüpft sind.
 können. Dem Prinzip des Hexagons — in Verbindung
 mit Fritz Schäfers Talent — gelingt es nicht nur, unter-

Dr. Michael Heinrich ist Professor im Fachbereich Innenarchitektur an der Fakultät Design der Hochschule Coburg und
­Studiendekan der Fakultät. Nach Studium der Bühnen- und Kostümgestaltung in Salzburg war er zunächst als Designer
 im Bereich Film- und Innenarchitektur und langjährig als Bühnen- und Kostümbildner für verschiedene Theater und
 Opernhäuser in Deutschland, Österreich und im europäischen Ausland tätig mit Arbeiten u. a. für das Staatstheater
 Wiesbaden, das Nationaltheater Mannheim, die Wiener Festwochen, das Aalto-Theater Essen, die Hamburgische Staats-
 oper und das Staatstheater Darmstadt. Zudem erarbeitete er Entwürfe für mehrere umfangreiche Bauvorhaben, u. a.
 das Coburger Kultur- und Gesellschaftshaus »LEISE am Markt« und promovierte über »Psychologische Ästhetik« an der
 Medizinischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München. 2006 wurde Heinrich auf den Lehrstuhl für Dar-
 stellen und Visuelle Kommunikation an der Hochschule Coburg berufen, deren Vizepräsident er von 2009 bis 2014 war.
 Mit Kay Metzger verbindet ihn eine langjährige Arbeitsbeziehung bei gemeinsamen Inszenierungen an unterschiedlichen
 ­T heatern. In der Jubiläumsspielzeit übernimmt er die Ausstattung bei der Uraufführung von Charles Tournemires »La
  Légende de Tristan«.

Der Aufsatz zu Fritz Schäfers Theatergebäude entstand für diese Spielzeitvorschau.

Für die Überlassung des historischen Bildmaterials bedanken wir uns recht herzlich bei den ehemaligen Mitarbeitern von Fritz Schäfer, Heinz Schoger und Günter Bäumler.
Sie können auch lesen