"This was always a shabby war" - Deheroisierung und Gender in Troy: Fall of a City

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DOI 10.6094/helden.heroes.heros./2020/01/03

Felix K. Maier                                                                                              21

„This was always a shabby war“ –
Deheroisierung und Gender in Troy: Fall of a City

                         I                            epischen Kyklos – einer Sammlung mehrerer
                                                      Epen, die den troianischen Krieg zum Inhalt ha-
                                                      ben – schon in der Antike vielfach umgestaltet und
Im Februar 2018 startete die Mini-Serie TFC:          modifiziert, nicht nur in der Literatur (Euripides,
Fall of a City (TFC) im britischen Raum auf BBC       Herodot, Dion Chrysostomos), sondern beispiels-
One und parallel dazu in vielen Ländern auf Net-      weise auch auf Vasenmalereien, so dass keine
flix. Das Drehbuch (D. Farr, N. Harris, Regie: O.     einheitliche Erzählung der Eroberung Troias
Harris, M. Brozel) erzählt die Eroberung Troias       existierte (Burgess; Mangold). Die Handlung von
vom schicksalhaften Paris-Urteil bis zum Fall der     TFC stimmt außerdem im Großen und Ganzen
Stadt.1 14 Jahre nach Wolfgang Petersens Film         mit dem Kern des Narrativs überein, welches
Troy wurden die acht Folgen mit Spannung er-          Homer und anderen Autoren der griechischen
wartet, auch weil TFC bereits im Vorfeld viel Auf-    Archaik und Klassik als Grundlage für ihre Bear-
merksamkeit auf sich gezogen hatte, da die Pro-       beitungen des Troia-Mythos gedient hatte.
duzenten die Rolle des Achill und des Zeus mit            Zum anderen möchte die vorliegende Analy-
den dunkelhäutigen Schauspielern David Gyasi          se keineswegs anachronistische Diskrepanzen
und Hakeem Kae-Kazim besetzt hatten. So               thematisieren oder vermeintliche historische
mancher sah darin einen Verrat an unverrück-          ,Schnitzer‘ benennen.4 TFC ist wie jeder andere
baren Fakten wie dem „blonden Achill“ (ξανθός/        Spielfilm über Troia, wie jedes Gemälde, jedes
xanthos, Il. 1, 197) und fürchtete um die Exis-       Theater- oder Musikstück, übrigens auch wie je-
tenz von scheinbar etablierten Heldenimaginati-       des antike Vasenbild, das sich auf Troia bezieht,
onen.2 TFC entpuppte sich aber natürlich nicht in     ein Kunstwerk, dem man nicht vorwerfen sollte,
dieser, sondern in ganz anderer Hinsicht als eine     was es eigentlich gar nicht leisten will und wor-
deheroisierende Interpretation des troianischen       über sich selbst die Forschung nicht einig ist –
Sagenstoffes. Die Serie knüpft an eine vor allem      nämlich die exakte Dokumentation von histori-
in den letzten Jahrzehnten sehr häufig anzutref-      scher Wirklichkeit.
fende Verarbeitung des Troia-Stoffes an, welche           Ich orientiere mich deshalb an den Überle-
– wie schon Euripides’ Troerinnen und auch zum        gungen von Th. Späth und M. Tröhler, die bezüg-
Teil die Ilias – weniger die Kämpfe und archa-        lich der TV-Serie Rome (2005–2007) den Nutzen
ische männliche Heldenvorstellungen, sondern          der sogenannten populären Geschichtskultur, in
mehr die dunklen Seiten des Krieges abseits           Anlehnung an die Gedanken des französischen
des Schlachtfeldes sowie das Leid der Frauen          Philosophen D. S. Milo, darin sahen, sich auf die
in den Mittelpunkt rückt.3 Diese Umsetzung des        Experimentierfreudigkeit einer filmischen Um-
Troia-Stoffes und die implizierte Dekonstruktion      setzung einzulassen, dabei die neuen Assozia-
von Heldenbildern stellt ein überaus reizvolles       tionen, die durch visuelle und auditive Eindrücke
filmisches Ausloten neuer Sichtweisen dar, das        entstehen, weiterzudenken und es zuzulassen,
dem Zuschauer in mehrerlei Hinsicht einiges ab-       dass gängige, eingefahrene Vorstellungen durch
verlangt, aber eine genauere Betrachtung lohnt.       die Konfrontation mit dem Anderen und Unge-
     Vorab sei bemerkt, dass meine Untersuchung       dachten brüchig werden (Späth/Tröhler; Milo).
sich nicht methodisch der Frage widmen wird,          Konkret: Ich betrachte, inwiefern TFC die Pro-
inwiefern TFC von der Ilias Homers oder dem           tagonisten der Troia-Handlung als Helden oder
troianischen Sagenkreis abweicht oder inwiefern       Anti-Helden darstellt, in welcher Hinsicht die
die Serie ,historische Fehler‘ beinhaltet. Für die-   Serie etablierte Deutungen hinterfragt und wie
se Vorgehensweise gibt es Gründe: Zum einen           sich somit bisherige Bewertungsgrundlagen des
wurden die per se bereits variierenden Narra-         Heroischen verschieben. Um nicht in eine vage
tive der Werke Homers und des sogenannten             und wenig aussagekräftige Vergleichsstudie zu

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     münden, die möglichst alle Varianten des Troia-     unheroisches Verhalten vorwerfen, weil er seine
     Stoffes heranzieht, dient mir vor allem die Ilias   Mitstreiter im Stich ließ. Ebenso kann man den
     von Homer als Referenzwerk. Meine Beobach-          permanenten Nörgler Thersites, der im zweiten
     tungen konzentrieren sich auf zwei wesentliche      Buch der Ilias (212-277) die Menge zur Rück-
     Figuren in TFC, auf Helena und Odysseus. An         kehr nach Griechenland aufstachelt, als Anti-
     ihnen lässt sich die Deheroisierungs-Strategie      Helden sehen, weil er illoyal gegen seine Vor-
     der Serie am eindrucksvollsten nachvollziehen.5     gesetzten intrigiert; oder aber: man sieht in ihm
                                                         denjenigen, der als einziger die Wahrheit über
                                                         Agamemnons widerspruchsvolle Vorgehens-
                                                         weise ausspricht.12
                            II                               Welche Perspektive man auch einnehmen
                                                         mag, die mit dem troianischen Sagenkreis ver-
     Die Ilias spannt mit ihren ganz unterschiedli-      knüpften Protagonisten sind – trotz oder gerade
     chen Figuren ein breites Koordinatensystem          aufgrund veränderter Wertmaßstäbe – in ihrem
     auf, in dem sich sehr heterogene Heldenbilder       Handeln bis in die heutige Zeit ambivalent. Sie
     und -konzepte verorten lassen.6 Homers Hel-         polarisieren und provozieren, als Helden, Gegen-
     den produzieren zum einen – ganz im Sinne           helden, Antihelden, unabhängig von dem zeit-
     von Luhmann – Nachahmungswillen „durch Ab-          lichen Hintergrund, den die Rezipienten ein-
     weichung“, das heißt, sie können als Vorbilder      nehmen. Somit ist es auch legitim, die filmische
     fungieren, die erwartbare Leistungen transgre-      Umsetzung des Troia-Stoffes in TFC aus einer
     dieren: beispielsweise im kriegerischen Bereich     modernen Perspektive zu betrachten, dabei
     (Achill, Diomedes, Aineias), im Hinblick auf ihre   gewisse Akzentverschiebungen im Hinblick auf
     Intelligenz und Ingeniosität (Odysseus) oder be-    die Ilias zu eruieren und – gemäß dem oben
     züglich ihrer beinahe übermenschlichen Über-        skizzierten Interpretationsansatz – danach zu
     windungsstärke (Odysseus, Priamos).7 Dieses         fragen, wie TFC mit den troianischen Helden-
     Konzept von Gegenhelden macht die Ilias auch        figuren umgeht und was uns die Serie damit
     zu einem Werk, das unterschiedliche Adressa-        über den Fall Troias und vielleicht auch über uns
     ten in unterschiedlichen Zeiten anspricht:8 Für     selbst erzählen will.
     Alexander den Großen mögen Achill und Diome-
     des aufgrund ihrer unbändigen Kraft und ihres
     ,Vorwärtsdrängens‘ Vorbilder gewesen sein und
     vielleicht sind sie das auch noch für einen heu-
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     tigen Leser, der auf brutale Schlachtenbeschrei-
     bungen steht.9 Odysseus spricht – damals wie        Zunächst zur Figur der Helena: Gerade in der
     heute – Leser an, welche den Scharfsinn seines      Ilias wird deutlich, dass man diese Protagonis-
     Handelns bewundern und sein Vorgehen in ge-         tin nicht auf ihre sprichwörtliche Schönheit redu-
     wisser Weise als heroischen Gegenentwurf zum        zieren, sondern vor allem ihren vielschichtigen
     brachialen Draufgängertum interpretieren. Pria-     Charakter beachten sollte. Auf der einen Seite
     mos wird wohl nicht nur in heutiger Zeit bewun-     floh sie offensichtlich aus Liebe mit Paris aus
     dert für seine beispiellose Selbsterniedrigung,     Sparta; auf der anderen Seite macht sie sich –
     als er den Leichnam seines Sohnes bei Achill        sogar in Anwesenheit der troianischen Fürsten
     auslöste.10 Frauen wie Andromache, die wäh-         – heftige Vorwürfe und zeiht sich unverantwort-
     rend des Krieges trotz der vielen psychischen       lichen Leichtsinns (Il. 3, 173-175, siehe auch 3,
     und physischen Herausforderungen wichtige           410-412). Helenas Wesen bleibt vielschichtig und
     Begleiterinnen ihrer Ehemänner waren, fungier-      komplex, und gerade deshalb sehr menschlich.
     ten ebenfalls nicht nur heute als herausragende,    Allerdings geht mit dieser Undurchdringlichkeit
     wenngleich tragische Heldinnen, sondern auch        ihres Charakters keine reine Opferrolle einher:
     in der Antike.                                      Gerade aufgrund ihrer klaren Reue gewinnt
         Zum andern können die Hauptprotagonisten        Helena eine gewisse Kontrolle über ihr Leben
     aber auch als Anti-Helden wahrgenommen wer-         zurück, sie ist nicht mehr nur die Getriebene,
     den, oftmals übrigens gleichzeitig zu ihrem Sta-    ein Objekt,13 sie übernimmt Verantwortung für
     tus als Gegenheld, was den dynamischen und          ihr Handeln, obwohl sie eigentlich ein Spielball
     multiperspektivischen Charakter der Helden-         von Aphrodite ist (Fulkerson 119). Ihr selbst-
     zeichnungen Homers zusätzlich unterstreicht.11      kritisches Verhalten steht – gerade angesichts
     Achills Leistungen auf dem Schlachtfeld kon-        ihres Stigmas einer unvernünftigen, von Emo-
     kurrieren mit seinen anderen Verhaltensweisen,      tionen und Affekten getriebenen Person – in
     aber wiederum nur aus einer bestimmten              deutlichem Kontrast zu den männlichen Protago-
     Perspektive: Man kann ihm egoistisches,             nisten wie Agamemnon oder Achill, die eigenes

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Deheroisierung und Gender in Troy: Fall of a City

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Fehlverhalten auf das Eingreifen der Götter zu-         Homers Ilias in einen modernen Kontext aktua-
rückführen und die eigene Schuld auf andere ab-         lisiert.17
wälzen (z.B. Il. 19, 86-90).                                 Ähnlich wie Helena ist auch Odysseus bereits
    In TFC wird dieser Aspekt im ersten Drittel         in der Ilias eine sehr ambivalente Figur, wenngleich
der Serie stark betont und gegenüber der Ilias          die Vielschichtigkeit seines Charakters noch nicht
noch weiterentwickelt. Als Paris (M. S. Rein-           so breit angelegt ist wie in der Odyssee. Trotzdem
bold) in Sparta weilt und um Helena (B. Dayne)          erweist sich Odysseus während des Krieges um
wirbt, erweist sie sich nicht als willenlose Frau,      Troia als ein exzeptioneller Charakter, der einfach
die lediglich ihrer sexuellen Lust unterliegt. Letzt-   anders ist als die übrigen Helden. Diese Hetero-
endlich zieht sie mit nach Troia, weil Paris – wohl     genität erschöpft sich jedoch nicht in der stereoty-
mit geheimer Unterstützung von Aphrodite – ihr          pen Eigenschaft eines unerreichten Scharfsinns
in Aussicht stellt, ein Leben in Freiheit zu führen     und einer unübertroffenen Redegewandtheit. Ein
und kein Dasein als eingeschlossene Ehefrau             weiteres, oft übersehenes Merkmal ist das emoti-
zu fristen.14 Helenas Flucht aus Sparta wird zur        onslose Agieren des Odysseus: „Tous les grands
Emanzipation einer Frau, die ihr eigenes Leben          héros pleurent dans l’Iliade“ – außer Odysseus.18
leben will.                                             Mit dieser ungerührten Haltung korrespondiert ein
    Als Helena mit Paris in Troia ankommt, nimmt        oftmals geradezu apathischer Gemütszustand,
sie auch dort ihr Schicksal in die eigene Hand,         der beim Leser mögliche Rückschlüsse auf die in-
agiert selbstbewusst und souverän, sie trotzt der       nere Verfasstheit des Helden auslöst: Im Gegen-
fremden Umgebung, trotzt der Feindseligkeit, die        satz zu Agamemnon, Achill oder Ajax lacht Odys-
ihr manchmal heimlich, manchmal offen, entge-           seus nie.19
genschlägt. Während einer Beratung über ihr                  Odysseus steht zudem in einer gewissen Dis-
weiteres Schicksal besteht sie gegenüber Pria-          tanz zu dem kriegerischen Chaos um ihn herum
mos (D. Threlfall) und Hekabe (F. O’Connor) auf         (Pache 20). Dies wird beispielsweise deutlich,
der Anhörung ihrer Meinung mit den Worten: „I           wenn Odysseus, der Konfusion des Krieges
hear […] that, in this city, man and woman are          entrückt, ein Fels in der Brandung, unbeweglich
equal in respect and power“ (Ep. 2, TC 4:26).           stehen bleibt, als die griechische Armee nach
Ihr Mitspracherecht bezieht sie auf eine Gleich-        Agamemnons Test im zweiten Buch sich schrei-
berechtigung, die sie in Troia vorzufinden scheint      end in alle Richtungen auflöst (Il. 2, 170). Sol-
und die TFC auch tatsächlich suggeriert.15 Im           che Beschreibungen zeichnen in der Ilias ein
gleichen Atemzug verweist Helena auf ihre               einprägsames, geradezu plastisches Bild des in
eigene und freie Entscheidung, nach Troia zu            gewisser Weise einsamen Helden, dessen Auf-
kommen, und auf einen für sie wichtigen Aspekt          treten und Handlungen einen Blick in sein In-
ihres Daseins: „I am not a possession. I am a wo-       neres nur andeutungsweise zulassen.20 Ohne
man. I think, I feel, I am here, because I want to      dass der Eindruck entsteht, dass Odysseus die
be.“16 Unterstützt werden diese Worte von einer         Vorgänge vor Troia gänzlich kalt ließen – es wirkt
Kameraführung, die nah auf Helena fokussiert,           eher so, als ob er eine durch und durch nüchterne
ihrer zentrierten und das Bild dominierenden Sil-       und rationale Reaktion auf alle Überforderungen
houette Gewicht verleiht, sie nicht in einem gro-       des Krieges anstrebe –, erscheint Odysseus in
ßen Palastraum optisch klein erscheinen und             der Ilias wie ein Held, der sich seine Emotionen
damit untergehen lässt. Kurze Zeit später zeigt         und seine innere Aufruhr für das aufsparen muss,
sich die nächste Stufe des ,Karrieresprungs‘ von        was seiner noch harren sollte.21
Helena: Im troianischen Thronrat plädiert sie an-            Die Produzenten von TFC haben das facetten-
gesichts der drohenden Hungersnot für eine Öff-         reiche Profil dieser Figur erkannt und das darin
nung der königlichen Kornspeicher und kann sich         angelegte Potential behutsam ausgebaut. Joseph
mit ihrem Vorschlag sogar gegen das etablierte          Mawle stellt mit seiner ganzen Körperhaltung ei-
Factotum Pandaros (A. Lanipekun), eines all-            nen robusten und scheinbar unerschütterlichen
mächtigen Palastdieners, durchsetzen. TFC führt         Odysseus dar. Seine nach hinten gekämm-
somit eine bereits in der Ilias angelegte emanzi-       te Frisur entblößt die hohe Stirn, hinter der der
patorische Lesart der Helena fort und inszeniert        Zuschauer ein geradezu fiebriges Berechnen
sie im Verbund mit anderen wichtigen Frauen in          neuer Lösungen und alternativer Handlungs-
Troia – Hekabe und Andromache (C. Pirrie) – zu          möglichkeiten im Trubel umstürzender Peripetien
einer Vorreiterin weiblicher Unabhängigkeit, bei        während des Krieges erahnen kann, vor allem,
der die Frau nicht Objekt, sondern Subjekt des          da die Kamera immer wieder in kritischen Situa-
Geschehens ist; sie behält die Kontrolle über ihre      tionen einen Kreis um Odysseus beschreibt und
Entscheidungen und über ihr Leben in der Hand           das ,Denken nach allen Seiten‘ des Helden, der
und schlüpft deshalb in die Rolle einer weiblichen      nun den einzigen Fixpunkt symbolisiert, einfängt.
Heldenfigur, weil TFC die Figur der Helena aus          Im ersten Teil der Serie erkennt Odysseus als

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     einziger von allen Protagonisten am deutlichs-        findet immer einen Weg, die fatalen und verhee-
     ten die Macht und Ohnmacht des menschlichen           renden Entwicklungen, die durch Agamemnons
     Daseins und das Ausgeliefertsein an kontingen-        kurzsichtiges, impulsives Handeln ausgelöst
     te Realitäten. Als Agamemnon (J. Harris) in der       werden, sanft und ohne große Konflikte in ge-
     zweiten Folge nach den gescheiterten Verhand-         eignete Bahnen zu lenken. Er vermag das
     lungen den in seiner statischen und naiven Un-        Eskalationspotential konfliktträchtiger Interes-
     beholfenheit kaum zu übertreffenden Kriegsplan        senskonstellationen zu prognostizieren und die
     zur Eroberung Troias wie ein Rezept darlegt           oftmals zerstörerische Interaktion sich über-
     („Tomorrow, at dawn. Outright assault. We start       kreuzender, heterogener Intentionen produktiv in
     at the ridge. Charge the plain. Meet them face-       neue Lösungswege umzuleiten. Seine Stressre-
     to-face. Infantry and horsemen. […] We climb          silienz – im Vergleich zu anderen Personen wie
     the citadel, we take the city, we get Helen back.     Agamemnon, Menelaos oder auch Nestor wirkt
     We take their gold. We take the city. We go           Odysseus weitaus weniger angegriffen von den
     home“; Ep. 2, TC 43:20), antwortet Odysseus           Herausforderungen des Feldzuges – wird für den
     nur lapidar: „We should build ditches. Dig our-       Zuschauer auch deshalb immer wieder deutlich,
     selves in between the plain and the ships, in case    weil Odysseus sich der Ohnmacht des eigenen
     of counter-attack.“ Agamemnon lehnt das ver-          Handelns bewusst zu sein scheint und gerade
     wundert ab („No need. The assault will take one       aus dieser Erkenntnis heraus nie in eine gedank-
     day, no more“), weil sein eingeschränkter Zugang      liche Sackgasse gerät.
     zur Realität kein komplexes Möglichkeitsdenken             Während der vierten und der fünften Folge je-
     zulässt.22 Er geht davon aus, dass das Opfer sei-     doch setzt in TFC eine Peripetie ein, welche das
     ner Tochter Iphigenie einen Sieg garantiere und       Handeln beinahe aller Helden, vor allem auch
     beschäftigt sich nicht mit alternativen Szenarien.    von Helena und Odysseus, als ohnmächtiges
     Zu erkennen, dass in der komplexen Interakti-         Getriebensein und als Kapitulation vor der un-
     on menschlicher und göttlicher Intentionen und        aufhaltbaren Dynamik sich verwickelnder Hand-
     Handlungen vorausgedachte Absichten durch-            lungsstränge offenbart, die in manchen Fällen
     kreuzt werden, ungewollte und unvorhergese-           zur Preisgabe sämtlicher Werte und moralischer
     hene Entwicklungen eintreten und Pläne mögli-         Richtlinien führt. TFC bezieht sich dabei auf den
     cherweise nur von kurzfristiger Dauer sind, ist ihm   im Narrativ der Ilias angelegten Wahnwitz des
     nicht gegeben. Im Gegensatz dazu Odysseus,            gesamten Unternehmens, die Grausamkeit des
     der – wie sich bald herausstellt – nicht nur den      Krieges und die Mutation menschlicher Verhaltens-
     Ausgang der ersten ,Eroberungsschlacht‘ bereits       weisen bei einer gewaltsamen Eroberung und
     im Voraus antizipierte, sondern auch den weite-       führt diese Aspekte durch eine dezidierte Demas-
     ren Verlauf des Krieges: So schleuste er vor dem      kierung des Krieges auf mehreren Ebenen vor
     Krieg den Spion Xanthias (D. Avery) in Troia ein,     Augen.
     der ihm und den Griechen essentielle Informati-            Zunächst wird jegliche Form einer ,romanti-
     onen zuspielte. Als Achill in der dritten Episode     schen‘ Sichtweise des Krieges vor Troia auf ver-
     – noch nicht seelisch belastet vom späteren Bris-     schiedenen Ebenen unterminiert. Sinn und Rele-
     eis-Raub – davon erfährt, spricht er nachdenklich     vanz des gesamten Feldzuges erscheinen schon
     aus: „Typically Odysseus. Always a contingency        früh in einem fahlen Licht. Achill, von dem man
     plan.“ (Ep. 3, TC 22:51)                              das am wenigsten erwarten würde, fragt Patro-
                                                           klos zu Beginn des Feldzuges in einer effektvoll
                                                           inszenierten Szene an der wellenumsäumten
                                                           Küste von Troia: „What do you think the sea ma-
                             IV                            kes of it all, Patroclus? We come here, we bleed,
                                                           patch up, fight again. To us it’s everything, right?
     Beide Figuren, Helena und Odysseus, erschei-          But to the sea?“ (Ep. 3, TC 41:08).
     nen somit im ersten Drittel der Serie als zwei             Symptomatisch ist zudem der Zweikampf zwi-
     Protagonisten, die trotz widriger Umstände dem        schen Achill und Hektor. Dieser zeigt die übliche
     Geschehensverlauf ihren Stempel aufdrücken.           Abfolge von Finten, Ausweichen und Parieren,
     Helena behauptet sich im fremden Umfeld Troia;        idealisiert jedoch das Duell nicht mit einer ästheti-
     ihr verständiges, demütiges und gleichzeitig sou-     schen Kampftechnik. Wenn Achill Hektor schließ-
     veränes Auftreten erntet großen Respekt bei Pri-      lich alle Finger abschlägt und ihm – als sich der
     amos und Hekabe – weniger bei Andromache              schwer verwundete Hektor weigert, auf die Knie
     – und das Stigma der Ehebrecherin und ,Raben-         zu gehen – die Achillessehnen durchschneidet,
     mutter‘, das ihr seit der Flucht anhaftete, gerät,    bleibt von einem heldenhaften Kräftemessen
     nicht zuletzt aufgrund ihres selbstbewussten          nichts mehr übrig. Es waltet nur noch stumpfe,
     Auftretens, in den Hintergrund. Und Odysseus          rohe Gewalt.

                                                                                          helden. heroes. héros.
Deheroisierung und Gender in Troy: Fall of a City

                                                                                                          25
     Der Zweikampf ist darüber hinaus nicht auf-     kehrbarer Folgenentwicklungen überschreiten
grund des ,Finales‘ der beiden besten Kämpfer        ließ, versetzte ihn geradezu zwangsläufig in
ein dramatischer Höhepunkt, sondern vielmehr         eine solche Konstellation. Obwohl TFC in einer
aufgrund der (mit)leidenden Gesichter der Tro-       etwas losen Art göttliches Walten assoziiert und
ianer auf der Mauer. Diese Szene ist symbolisch      überirdische Entitäten einbindet, deren Spiel
für den ganzen Film: Der Schwerpunkt verla-          mit den Menschen diese von sämtlicher Schuld
gert sich weg von den Kämpfenden hin zu dem          freisprechen könnte, gilt für Agamemnon in dem
Schmerz und dem blanken Entsetzen der be-            Spannungsverhältnis von unabänderlicher göttli-
teiligten Zuschauer, die keine Zuschauer mehr        cher Determination und eigener Schuld trotzdem
sind, sondern Beteiligte, und hin zum Leid all       das, was auch schon Aischylos über den persi-
derjenigen, die nicht zu den Kämpfern gehören.       schen Großkönig Xerxes und seine Niederlage
     Besonderes Augenmerk liegt dabei auf dem        gegen Griechen sagte: „Doch ist einer selbst zu
Los der Frauen. Gerät das Schicksal der beiden       eifrig, trägt ein Gott zum Fall noch bei.“ (Aisch.
Kriegsgefangenen Briseis und Chryseis in der Ili-    Pers. 742)
as angesichts des Streits zwischen Agamemnon
und Achill oft allzu schnell in den Hintergrund,
führt TFC dem Zuschauer sehr deutlich vor Au-
gen, was vor allem die unschuldigen weiblichen
                                                                             V
Opfer zu ertragen hatten. Die spitzen und schril-
len Schreie von Chryseis, die von Agamemnon          Immer wieder realisiert der Zuschauer: Die Er-
vergewaltigt wird, dringen durch Mark und Bein.      oberung Troias war kein ritterlicher Kampf,
Die Kamera richtet sich von außen auf das Zelt       sondern eine Belagerung, die aufgrund ihrer
des griechischen Heerführers, vor dem zwei           zeitlichen Erstreckung alle jene psychischen
griechische Posten mit ihren Fackeln wie eine        Phänomene und Abnutzungserscheinungen bei
Mahnwache aussehen, die nächtliche Stille, in        Belagerungen verstärkte, welche die Geschichte
die Chryseis ihre von blanker Panik gezeichne-       als Beispiele kennt: Wut, Misstrauen, Hinter-
ten Schreie ausstößt, wirkt wie ein Verstärker       list.24 Im Lager der Griechen steigt wegen der
für die kaum mehr menschlichen Laute der Ver-        Briseis-Krise und der begrenzten Sieg-Chancen
gewaltigten. Obwohl man nichts erkennt, sieht        der Grad der Aggression ebenso wie in Tro-
man vor dem eigenen Auge mehr, als man se-           ia der Argwohn und der Verdacht gegen mög-
hen möchte (Ep. 4, TC 18:21). Jegliche – auch        liche Verräter – mit fatalen Konsequenzen für
unfreiwillige, eigentlich ungewollte – Faszination   alle Beteiligten, vor allem aber auch für Helena
für den Krieg weicht zunehmender Beklem-             und Odysseus. Helenas Stellung wird aufgrund
mung.23                                              einer komplizierten Verquickung verschiedener
     Ebenso werden Briseis’ Leiden gezeigt,          Handlungsstränge und durch den Verdacht einer
weil Agamemnon immer mehr zu einem psy-              Kollaboration mit den Griechen schwer beschä-
chischen Wrack wird, der ein Ventil für seine        digt. In dieser Situation trifft sie die – mensch-
eigene Verbitterung nur noch in der rohen Ge-        lich nur allzu verständliche – Entscheidung, den
waltausübung gegenüber unschuldigen Schwä-           durch Odysseus’ Spion hergestellten Kontakt mit
cheren und in der Befriedigung des eigenen Se-       dem griechischen Heer nicht zu erwähnen, um
xualtriebs sieht. Sein Verhalten ist eine ebenso     dem von Andromache geschürten Misstrauen
furchtbare wie ,logische‘ Konsequenz, weil er        gegen sie nicht noch mehr Nahrung zu geben.
seit Beginn des Feldzuges bereits traumatisiert      Obwohl Helenas Motive nicht nur verständlich,
ist: Er hat seine eigene Tochter getötet, um die     sondern auch gerechtfertigt sind – sie hat we-
von den Göttern verhängte Windstille in Aulis        der mit den Griechen kooperiert noch wissent-
zu beenden. Auch für diesen unfassbaren Vor-         lich Geheimnisse verraten – hat Andromache in
fall, der bei Erzählungen über den troianischen      dem von Verdachtsmomenten vibrierenden Tro-
Krieg allzu schnell übergangen wird, nimmt           ia leichtes Spiel, sie des Hochverrats zu bezich-
TFC sich viel Zeit (Ep. 2, TC 24:50-26:50). Und      tigen. Zudem führt Helenas Schweigen dazu,
wenn Agamemnon danach wie ein Wahnsinni-             dass der Berater Pandaros fälschlicherweise
ger zum Himmel brüllt, wird dadurch seine Ent-       der Spionage überführt wird und sterben muss.
scheidung – auch dies ein großes Verdienst der       Helena, die anfangs noch die riesige Heraus-
Serie – nicht entschuldigt, sondern vielmehr in      forderung der Integration in Troia zu bewältigen
der Paradoxie des eigenen Handelns noch un-          schien und die Kontrolle über die sich ihr entge-
entschuldbarer. Agamemnon hätte den Feld-            genstellenden Verhältnisse mit Souveränität und
zug auch nicht durchführen müssen, aber die          Selbstbewusstsein meisterte, kann die von ihr
eigene Gier, die ihn ein großes Aufgebot nach        unabsichtlich ausgelösten Konsequenzen kaum
Aulis befehlen und damit einen Punkt unum-           ertragen, sie geht in dem durch die Belagerung

helden. heroes. héros.
Felix K. Maier

26
     entstandenen Chaos allmählich unter. In der          der Griechen nach Troia schaut Odysseus nur
     Zuspitzung der Krise ist für Ideale, die ihr zuvor   noch mit apathischem Blick zu, als Helena un-
     noch ein gleichberechtigtes Dasein ermöglicht        ter Schreien weggeführt wird (Ep. 8, TC 28:28).
     hatten, kein Platz mehr; der sämtliche Werte         Willenlos befolgt er die Befehle von Agamem-
     zersetzende Krieg ist inzwischen auch in Troia,25    non. Dem apokalyptischen Wahn, der sich nach
     er löst alles auf und mit Andromache fällt Helena    dem Durchbruch der Mauern Bahn bricht, hat er
     symptomatisch auch noch eine Frau als erste in       nichts mehr entgegenzusetzen.
     den Rücken.                                              Und doch – ganz am Ende ergibt sich für
          Nachdem die Griechen ihre List mit dem höl-     Odysseus nochmals eine Gelegenheit, seinen
     zernen Pferd durchbringen konnten, will Helena       Einfallsreichtum mit den seinem Wesen eige-
     sich Menelaos ausliefern, um ein Blutvergießen       nen moralischen Grundsätzen zu verbinden.
     zu vermeiden. Ihr ehemaliger Gatte schwört „on       Als er Andromache in einem Versteck entdeckt,
     my honor“, auf diesen Deal einzugehen. Doch          belässt er ihr Kind Astyanax bei der Amme und
     im Hintergrund marschiert bereits das griechi-       führt die Prinzessin allein aus Troia heraus. Im
     sche Heer. Es ist dies der vorerst letzte Höhe-      letzten Moment, als alle bereits fast die Tore der
     punkt der Belagerung, die das Inhumane und           Burgmauer passieren, hört man aber wieder das
     das Unaussprechliche zur Normalität werden           Schreien des Kindes, das schließlich doch noch
     lässt und sämtliche Werte unter sich begräbt.        mit seiner Amme von einem Griechen beim Grab
     Helenas ,Emanzipation‘ – so die Botschaft von        Hektors entdeckt wurde. Agamemnon, dessen
     TFC – wird somit von zwei Nebeneffekten des          Blutdurst nach dem Massaker an den Troianern
     Krieges torpediert: von dem Rückfall in archaische   noch immer nicht gestillt ist, befiehlt Odysseus,
     Hierarchiemechanismen, die ein gleichberechtig-      um ihn für sein Verschweigen zu bestrafen, das
     tes Miteinander in der (troianischen) Gesellschaft   lebendige Kind von der Mauer zu werfen. Odys-
     verhindern, und von der Auflösung moralischer        seus fleht Agamemnon an, dieser gibt aber nicht
     Richtlinien.                                         nach und droht, dass er sonst Odysseus’ Nach-
          Und Odysseus? Auch dieser wird von der Dy-      fahren töten würde. Ein völlig desillusionierter
     namik der Ereignisse überrollt. Zusehends muss       Odysseus geht mit mechanischen Schritten zur
     er erkennen, dass die Geister, die er rief, sich     Mauer, die Schreie von Astyanax vermischen
     verselbständigten. Agamemnon und Menelaos            sich mit denen seiner verzweifelten Mutter. Als
     lassen sich von Achills Aufruf, die zwölftägi-       Odysseus die Mauer erklommen hat, die Film-
     ge Waffenruhe nach Hektors Tod zu beachten,          musik aussetzt und ein Moment der völligen Stil-
     kaum beeindrucken. Stattdessen setzen sie nun        le einkehrt, scheint es, als ob Odysseus diese
     ihrerseits eine Intrige in Gang. Dabei wechseln      Schwelle nicht überschreiten möchte oder ihm
     sie zwar zum ersten Mal von roher Gewalt auf         doch noch einmal ein rettender Einfall zu Hilfe
     List, aber ihr abgefeimtes Vorgehen übersteigt       komme. Aber der leere Blick seiner Augen verrät,
     die Grenzen dessen, was Odysseus getan hätte.        was dieser Krieg mit ihm gemacht hat. „Forgive
     Während der zwölftägigen Waffenpause insze-          me“, flüstert Odysseus und lässt das Kind fallen.
     nieren sie einen Scheinüberfall auf einen Myrmi-     Der Zuschauer, dem der Fall in Zeitlupe zuge-
     donenkrieger Achills, um einen erneuten Angriff      mutet wird, wird mit diesem Bild vom Schlacht-
     auf Troia zu rechtfertigen und Achill wieder in      platz entlassen. Kurze Zeit später sieht man in
     den Kampf zu ziehen. Es ist dies der Moment, da      der Schlussszene Odysseus, der am Bug seines
     auch Odysseus die Handlungsverläufe entglei-         Schiffes steht, resigniert, gebrochen, traumati-
     ten. Die Kamera fokussiert in einem close-up auf     siert, sein Blick ist ebenso leer aufs Meer gerich-
     seinen leeren und gleichzeitig nervösen Blick,       tet wie der des Zuschauers auf den Bildschirm.
     die geweiteten Pupillen verraten den Schrecken,
     den Odysseus nur mit Mühe unterdrücken kann
     (Ep. 7, TC 34:30). Er weiß, was kommen wird.
     Achill fragt Odysseus: „Is this true?“ und Odys-
                                                                                  VI
     seus – im Bewusstsein, dass er nicht mehr zu-
     rückkann – antwortet kaum vernehmbar: „True.“        TFC konfrontiert mit herausfordernden, unbe-
     Ab diesem Zeitpunkt läuft Odysseus den Ereig-        quemen Eindrücken, mit einer oftmals desillusi-
     nissen hinterher. Obwohl sein moralischer Kom-       onierenden Interpretation des Troia-Stoffes und
     pass noch immer korrekt ausgerichtet ist – so        des Krieges im Allgemeinen. Und doch erscheint
     hilft er beispielsweise Briseis, Agamemnon zu        diese Deutung aus mehreren Gründen lehrreich.
     entfliehen – entkommt er nicht mehr aus den          Mit der gezielten Destruktion von Helden-Erwar-
     auch von ihm selbst geschaffenen Realitäten,         tungen fordert uns TFC auf, den troianischen
     die ihre eigene Dynamik entwickeln. Nach dem         Krieg aus einer ganz anderen Perspektive zu
     Bau des hölzernen Pferdes und dem Eindringen         betrachten und gleichzeitig ähnliche Szenarien

                                                                                        helden. heroes. héros.
Deheroisierung und Gender in Troy: Fall of a City

                                                                                                                       27
in der Vergangenheit und in der Zukunft mitzu-       Lebenstrieb ist größer und das ist leider mensch-
denken. Das ist unangenehm, bestürzend und           licher, als wir es uns zugestehen wollen. Ein
erschütternd, aber lohnend.                          Held ist Odysseus damit nicht mehr, aber auch
    Vielleicht auch aufgrund der zu oft idealisie-   kein Anti-Held, er ist einfach nur – ein Mensch.
renden Schlachtenbeschreibungen und filmi-               Der troianische Krieg, das zeigt TFC, war
schen Adaptionen des Troia-Stoffes (Winkler)         kein Nullsummenspiel. Alle waren Verlierer, und
wählt TFC einen Blickwinkel, der – unabhängig        niemand mehr ein Held. In dieser Botschaft ist
vom troianischen Krieg – den Zuschauer dafür         TFC wiederum sehr nah an einer heutigen Inter-
sensibilisiert, welches Leid im Krieg abseits des    pretation des Textes der Ilias Homers, der viel-
jeweiligen Schlachtfeldes den Frauen droht.          leicht aber schon in der Antike von einem Teil der
Das verstörend erzählte Schicksal von Chrys-         Leser ähnlich gedeutet wurde (Alexander). „This
eis und Briseis steht stellvertretend als Mahn-      was always a shabby war!“ sagt deshalb pas-
mal für die Verrohung menschlicher Verhal-           senderweise der sterbende Achill in TFC. Und
tensformen und die animalische Behandlung            am Schluss schaut auch noch Zeus ratlos drein.
Unschuldiger. Gleichzeitig ist es aber auch eine     An Helden denkt zu diesem Zeitpunkt niemand
Aufforderung, die vergessenen Geschichten            mehr, auch nicht der Zuschauer.
der Opfer zu erzählen und die Stimmen wieder
zu erwecken, die von den Siegern zum Ver-            Felix K. Maier studierte Geschichte, Latein und
stummen gebracht wurden.                             Griechisch auf Lehramt in Eichstätt, Freiburg
    Die detaillierte Darstellung der Opferung der    und Oxford. Er wurde mit einer Arbeit zum grie-
Iphigenie – mit einem weinenden Agamemnon –          chischen Historiker Polybios promoviert und
führt den Wahnwitz und die Absurdität mensch-        habilitierte sich mit einer Untersuchung zu den
licher Entscheidungen vor Augen, wenn sich in        Repräsentationsstrategien der Kaiser im 4. Jahr-
der Extremsituation Krieg auf einmal alle Orien-     hundert n. Chr. Seit dem 1. April 2018 bekleidet
tierungsmaßstäbe auflösen und der moralische         Felix K. Maier eine Heisenberg-Stelle an der
Kompass entmagnetisiert wird. Der Zuschauer          Universität Würzburg.
realisiert, wie sich Männer im Krieg, den sie
selbst angefangen haben, entmenschlichen.            1 Entsprechend wird im Vorspann sowohl auf Homers Ili-
                                                     as, die nur einen Ausschnitt aus dem zehnten Kriegsjahr be-
    TFC zeigt auch, dass auf dem Nährboden           schreibt, als auch auf den troianischen Sagenkreis („Inspired
militärischer Konflikte Ideale der Gleichberech-     by Homer and Greek Myths“) verwiesen.
tigung keine Chance haben. Mag die Verkörpe-         2 In der hitzigen Debatte, die sehr schnell in nationalisti-
rung heutiger Vorstellungen von der Stellung         sche und rassistische Kommentare abdriftete, bezogen auch
der Frau durch Helena in TFC an manchen              Altertumswissenschaftler wie T. Whitmarsh Stellung, um die
Stellen im griechisch-archaischen Kontext et-        Diskussion wieder zu versachlichen und die Aufregung so-
                                                     wohl mit Blick auf die Quellen als auch im Hinblick auf die
was anachronistisch wirken, so bleibt die damit      künstlerische Freiheit zu entschärfen, 17. April 2020 .
os hinwegspült. Anhand von Helenas Deheroi-          3 Siehe stellvertretend den Roman The Silence of Girls
sierung stellt TFC auch die Frage, ob unsere         (2018) von Pat Barker, Madeline Millers The Song of Achilles
                                                     (2011) oder Inge Merkels Eine ganz gewöhnliche Ehe. Odys-
Gesellschaft nicht schon weiter wäre, wenn sie       seus und Penelope (1987).
nicht über Jahrtausende immer wieder Krieg
                                                     4 Eine solche Liste – zum Beispiel, ob Paris am Beginn der
geführt hätte.                                       Serie als Hirte wirklich Pferde reiten durfte – findet sich bei
    An der Figur des Odysseus arbeitet TFC           Josho Brouwers, 17. April 2020 .
na wird er zum Sinnbild der Ohnmacht des             5 Man könnte auch andere Figuren, beispielsweise Paris,
Menschen. Dafür braucht es (noch) nicht ein-         der vielleicht am meisten im Mittelpunkt der Serie steht, be-
                                                     trachten. Meiner Meinung nach zeigt sich jedoch der von mir
mal die Götter, Odysseus wird zum Opfer der
                                                     konstatierte Befund besonders eindrucksvoll an den beiden
von ihm selbst geschaffenen Umstände. Zieht          Figuren von Helena und Odysseus.
Odysseus zu Beginn der Belagerung noch               6 Umfänglich zu diesem Aspekt siehe Tilg/von den Hoff
heimlich die Fäden im Hintergrund, so ent-           und Horn.
zieht sich der Ereignisverlauf alsbald seinem        7 Luhmann 86. Zum Transgression-Merkmal des antiken
Einflussbereich. Odysseus wird vom Helden            Helden, auch in negativer Hinsicht, siehe von den Hoff.
zum Mitläufer, der seine eigenen Ideale ver-         8 Für Gegenhelden verwende ich die Definition von Bröck-
rät, er verliert jeden heroischen Glanz. Symp-       ling 3: „Gegenhelden konkurrieren mit den Helden auf einem
tomatisch dafür ist das Ende: Odysseus kann          antagonistischen Feld konträrer Wertordnungen und Hand-
und will das Kind, das er auf seinen Armen           lungsorientierungen; sie sind die Identifikationsfiguren der
                                                     einen Seite im Falle widerstrebiger Heroisierungen.“
auf die Zinnen Troias trägt, nicht retten. Sein

helden. heroes. héros.
Felix K. Maier

28   9 Zu Alexander, vgl. Arrian 7, 14, 4.Tatsächlich wurden die       männlichen Protagonisten feststellen konnte, vgl. Odysseus’
     Protagonisten der Ilias bis weit in das 20. Jahrhundert hinein    ersten Auftritt und seine Tränen in Od. 5, 80-85.
     vor allem wegen ihrer kriegerischen Leistungen als Helden
                                                                       22 Auf Odysseus’ Frage: „How can you be sure?“ antwortet
     bewertet, siehe Vandiver.
                                                                       Agamemnon: „The gods have guaranteed it.“
     10 Die Art, wie Homer diese Szene beschreibt, und die Tat-
                                                                       23 Zur – oftmals paradoxen – menschlichen Faszination
     sache, dass Priamos’ Besuch bei Achill das letzte Buch der
                                                                       des Krieges siehe Hillman.
     Ilias dominiert, unterstreicht, dass Homer der Aktion des tro-
     ianischen Königs ebenfalls eine heroische Reverenz erweist,       24 Reeder 109-152 mit zahlreichen Beispielen aus der An-
     die sicherlich etliche Leser in der Antike, auch wenn sie kon-    tike. Dieser Umschwung wird bereits in der dritten Episode
     trär zu vielen Aktionen in der Ilias angelegt ist, beeindruckt    deutlich, wenn Priamos die Troianer im Thronrat auf die
     hat.                                                              nächsten Monate einstimmt, die zu Jahren werden sollten
                                                                       (TC 1:58): „The glory of war is over. The hard graft starts
     11 Unter Anti-Helden verstehe ich Helden, die gegen heroi-
                                                                       now.“ Selbst Achill, ein Anhänger des Kampfes Mann gegen
     sche Verhaltensmuster und -codices opponieren, wenn sie
                                                                       Mann, wirft Odysseus, Agamemnon und Menelaos vor (Ep.
     ausgerechnet das tun, was Helden angesichts dieser Erwar-
                                                                       7, TC 16:50): „Strategy. Trickery. Guile. Is that what war is?
     tungen niemals tun würden, und das unterlassen, was man
                                                                       Is that all we are?“
     traditionellerweise von einem Helden erwartet, siehe Bröckling.
                                                                       25 „But the war isn’t just outside these walls – it is in here.
     12 Beide Verhaltensweisen – bei Achill wie auch bei Thersi-
                                                                       It is in here. It is with us, it is in the streets, in the houses,
     tes – können aber wiederum umgekehrt ausgelegt werden:
                                                                       in the shadows“, formuliert ein sichtlich gezeichneter und
     Achill kann für sein Rückgrat und seine konsequente Beharr-
                                                                       ausgebrannter Priamos, Ep. 6, TC 7:18. Helena gelingt es
     lichkeit gelobt werden, Agamemnon nicht alles durchgehen
                                                                       auch nicht, die barbarische Auspeitschung des gefangen
     zu lassen. Thersites kann als ,Held der kleinen Leute‘ gefei-
                                                                       genommenen griechischen Spions zu stoppen. Selbst Paris,
     ert werden, der den Kampf gegen die Mächtigen führt und
                                                                       der ihre wichtigste Bezugsperson ist, kennt bald nur noch ein
     außerdem eine wichtige Wahrheit ausspricht, nämlich dass
                                                                       eindimensionales „wir“ und „sie“, das auch seinen Blick zum
     der troianische Krieg nur wegen der Gier Agamemnons ge-
                                                                       Negativen hin verschleiert.
     führt werde, Il. 2, 225-229, Versangaben nach der Überset-
     zung von Schadewaldt.
     13 In der Ilias sprechen manche der männlichen Personen
     wie Menelaos, Hektor oder der Erzähler davon, dass Paris
     Helena nach Troia ,gebracht‘/,weggenommen‘/,weggezog              Literatur
     en‘ habe (3, 48; 6, 292; 13, 627; 22,115-116), weitere Bei-
     spiele bei Blondell.                                              Alexander, Caroline. The War That Killed Achilles. New York:
     14 Ep. 1, TC 44:54, in Antwort auf Helenas erste zurückwei-        Penguin, 2010.
     sende Formulierung: „I am a woman. We don’t get to select         Blondell, Ruby. „‚Bitch that I Am‘. Self-Blame and Self-Asser-
     our fate“.                                                         tion in the Iliad.” TAPhA 140 (2010): 1-32.
     15 Beispielsweise nehmen Hekabe und Andromache ver-               Bröckling, Ulrich. „Antihelden.“ Compendium heroicum,
     mehrt am Thronrat teil, bei dem sie ganz selbstverständlich        2018. DOI 10.6094/heroicum/ahd1.0.
     gegenüber den zahlreichen anwesenden männlichen Alpha-
     tieren ihre Meinung kundtun.                                      Burgess, Jonathan S. The Tradition of the Trojan War in Homer
                                                                        and the Epic Cycle. Baltimore: The Johns Hopkins UP, 2004.
     16 Ep. 2, TC 5:00: „I do choose to be with your son“.
                                                                       Fulkerson, Laurel. „Helen as Vixen, Helen as Victim: Remorse
     17 Man kann ein solches Vorgehen sicherlich als anachro-           and the Opacity of Female Desire.“ Emotion, Genre and
     nistisch bezeichnen. Auf der anderen Seite ist diese Aktua-        Gender in Classical Antiquity. Hg. Dana LaCourse Muntea-
     lisierung in TFC deshalb legitim, weil sie auf Kernelemente        nu. London: Bristol Classical Press, 2011.
     in der Ilias aufbaut. Ein Beispiel: In einer Szene steigt Hele-
     na zu Paris in die Badewanne. Paris kokettiert: „Looks like I     Hillman, James. A Terrible Love of War. New York: Penguin, 2004.
     have dragged you into the dirt with me“ (als Anspielung auf       von den Hoff, Ralf. „Achill, das Vieh? Zur Problematisierung
     das dreckige Wasser und auf die prekäre Situation in Troia,        transgressiver Gewalt in klassischen Vasenbildern.“ Die
     Ep. 3 TC 6:22). Helena antwortet darauf: „Oh no, I chose to        andere Seite der Klassik: Gewalt im 5. und 4. Jahrhundert.
     come“. In Il. 3, 444 spricht Paris davon, Helena „geraubt“         v. Chr. Hg. Susanne Moraw und Günter Fischer. Stuttgart:
     (ἁρπάξας) zu haben, als er sie aus Sparta mitnahm. Aller-          Franz Steiner Verlag, 2005: 225-246.
     dings wird direkt danach darauf angespielt (3.446), dass
     Paris ein Opfer der Liebe (ἔρως) und somit kein kontrollie-       Horn, Fabian. Held und Heldentum bei Homer: Das home-
     rendes Subjekt, sondern ein willenloses Objekt war.                rische Heldenkonzept und seine poetische Verwendung.
                                                                        Tübingen: Narr, 2014.
     18 Monsacré 139, selbst Agamemnon, Ajax und Achill, Il. 4,
     153; 17, 648; 24, 510-511.                                        Luhmann, Niklas. Die Autopoiesis des Bewußtseins. So-
                                                                        ziologische Aufklärung 6. Die Soziologie und der Mensch.
     19 Agamemnon (4, 356), Achill (23, 786), Ajax (7, 212),            Wiesbaden: Springer, 2008.
     Paris (11, 378), Hektor (6, 471). Einzige Ausnahme ist das
     spöttische Lächeln des Odysseus bei der Befragung des Ge-         Mangold, M. Kassandra in Athen. Die Eroberung Trojas auf
     fangenen Dolon, Il. 10, 400.                                       attischen Vasenbildern. München: Reimer, 2000.

     20 Darüber hinaus ist Odysseus in der Ilias stets von einer       Milo, Daniel S. „Pour une histoire expérimentale, ou le gai
     gewissen Einsamkeit umgeben: Im Gegensatz zu Achill, Pri-          savoir. Alter Histoire. Essais d’histoire expérimentale.“ Al-
     amos oder Andromache agiert Odysseus völlig allein an der          ter Histoire. Essais d’histoire expérimentale. Hg. Daniel S.
     troianischen Küste und er hat auch niemanden, mit dem er           Milo und Alain Boureau. Paris: Les Belles Lettres, 1991.
     seine Gefühle oder Emotionen teilen kann, vgl. Hektor und         Monsacré, H. Les larmes d’Achilles. Paris: Du Felin, 1984.
     Adromache, Il. 6, 471, Priamos und Achilles Il. 24, 510-511,
     sowie viele andere Beispiele, bei denen Griechen und Tro-         Pache, Corinne O. War Games. Odysseus at Troy. HSCPh
     ianer ihr Lachen und Weinen miteinander teilen, während            100 (2000): 15-23.
     Odysseus separat bleibt.                                          Reeder, Caryn A. Gendering War and Peace in the Gospel of
     21 Tatsächlich zeigt Odysseus in der Odyssee dann die              Luke. Cambridge: Cambridge UP, 2019.
     Emotionen, die man zuvor in der Ilias auch bei allen anderen

                                                                                                              helden. heroes. héros.
Deheroisierung und Gender in Troy: Fall of a City

Späth, Thomas und Margit Tröhler. „Die TV-Serie Rome            29
 als experimentelle Geschichtsschreibung.“ Saeculum 62
 (2012): 267-302.
Tilg, Stefan und Ralf von den Hoff. „Homerische Helden.“
 Compendium heroicum, 2018. DOI 10.6094/heroicum/
 homhd2.0.
Vandiver, Elisabeth. „Stand in the Trench, Achilles.“ Classi-
 cal Receptions in British Poetry of the Great War. Oxford:
 Oxford Press, 2010.
Winkler, Martin M. „The Iliad and the Cinema.“ Troy. From
 Homer’s Iliad to Hollywood Epic. Hg. Martin M. Winkler.
 London: Blackwell, 2007: 43-67.

helden. heroes. héros.
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