"This was always a shabby war" - Deheroisierung und Gender in Troy: Fall of a City
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
DOI 10.6094/helden.heroes.heros./2020/01/03 Felix K. Maier 21 „This was always a shabby war“ – Deheroisierung und Gender in Troy: Fall of a City I epischen Kyklos – einer Sammlung mehrerer Epen, die den troianischen Krieg zum Inhalt ha- ben – schon in der Antike vielfach umgestaltet und Im Februar 2018 startete die Mini-Serie TFC: modifiziert, nicht nur in der Literatur (Euripides, Fall of a City (TFC) im britischen Raum auf BBC Herodot, Dion Chrysostomos), sondern beispiels- One und parallel dazu in vielen Ländern auf Net- weise auch auf Vasenmalereien, so dass keine flix. Das Drehbuch (D. Farr, N. Harris, Regie: O. einheitliche Erzählung der Eroberung Troias Harris, M. Brozel) erzählt die Eroberung Troias existierte (Burgess; Mangold). Die Handlung von vom schicksalhaften Paris-Urteil bis zum Fall der TFC stimmt außerdem im Großen und Ganzen Stadt.1 14 Jahre nach Wolfgang Petersens Film mit dem Kern des Narrativs überein, welches Troy wurden die acht Folgen mit Spannung er- Homer und anderen Autoren der griechischen wartet, auch weil TFC bereits im Vorfeld viel Auf- Archaik und Klassik als Grundlage für ihre Bear- merksamkeit auf sich gezogen hatte, da die Pro- beitungen des Troia-Mythos gedient hatte. duzenten die Rolle des Achill und des Zeus mit Zum anderen möchte die vorliegende Analy- den dunkelhäutigen Schauspielern David Gyasi se keineswegs anachronistische Diskrepanzen und Hakeem Kae-Kazim besetzt hatten. So thematisieren oder vermeintliche historische mancher sah darin einen Verrat an unverrück- ,Schnitzer‘ benennen.4 TFC ist wie jeder andere baren Fakten wie dem „blonden Achill“ (ξανθός/ Spielfilm über Troia, wie jedes Gemälde, jedes xanthos, Il. 1, 197) und fürchtete um die Exis- Theater- oder Musikstück, übrigens auch wie je- tenz von scheinbar etablierten Heldenimaginati- des antike Vasenbild, das sich auf Troia bezieht, onen.2 TFC entpuppte sich aber natürlich nicht in ein Kunstwerk, dem man nicht vorwerfen sollte, dieser, sondern in ganz anderer Hinsicht als eine was es eigentlich gar nicht leisten will und wor- deheroisierende Interpretation des troianischen über sich selbst die Forschung nicht einig ist – Sagenstoffes. Die Serie knüpft an eine vor allem nämlich die exakte Dokumentation von histori- in den letzten Jahrzehnten sehr häufig anzutref- scher Wirklichkeit. fende Verarbeitung des Troia-Stoffes an, welche Ich orientiere mich deshalb an den Überle- – wie schon Euripides’ Troerinnen und auch zum gungen von Th. Späth und M. Tröhler, die bezüg- Teil die Ilias – weniger die Kämpfe und archa- lich der TV-Serie Rome (2005–2007) den Nutzen ische männliche Heldenvorstellungen, sondern der sogenannten populären Geschichtskultur, in mehr die dunklen Seiten des Krieges abseits Anlehnung an die Gedanken des französischen des Schlachtfeldes sowie das Leid der Frauen Philosophen D. S. Milo, darin sahen, sich auf die in den Mittelpunkt rückt.3 Diese Umsetzung des Experimentierfreudigkeit einer filmischen Um- Troia-Stoffes und die implizierte Dekonstruktion setzung einzulassen, dabei die neuen Assozia- von Heldenbildern stellt ein überaus reizvolles tionen, die durch visuelle und auditive Eindrücke filmisches Ausloten neuer Sichtweisen dar, das entstehen, weiterzudenken und es zuzulassen, dem Zuschauer in mehrerlei Hinsicht einiges ab- dass gängige, eingefahrene Vorstellungen durch verlangt, aber eine genauere Betrachtung lohnt. die Konfrontation mit dem Anderen und Unge- Vorab sei bemerkt, dass meine Untersuchung dachten brüchig werden (Späth/Tröhler; Milo). sich nicht methodisch der Frage widmen wird, Konkret: Ich betrachte, inwiefern TFC die Pro- inwiefern TFC von der Ilias Homers oder dem tagonisten der Troia-Handlung als Helden oder troianischen Sagenkreis abweicht oder inwiefern Anti-Helden darstellt, in welcher Hinsicht die die Serie ,historische Fehler‘ beinhaltet. Für die- Serie etablierte Deutungen hinterfragt und wie se Vorgehensweise gibt es Gründe: Zum einen sich somit bisherige Bewertungsgrundlagen des wurden die per se bereits variierenden Narra- Heroischen verschieben. Um nicht in eine vage tive der Werke Homers und des sogenannten und wenig aussagekräftige Vergleichsstudie zu helden. heroes. héros.
Felix K. Maier 22 münden, die möglichst alle Varianten des Troia- unheroisches Verhalten vorwerfen, weil er seine Stoffes heranzieht, dient mir vor allem die Ilias Mitstreiter im Stich ließ. Ebenso kann man den von Homer als Referenzwerk. Meine Beobach- permanenten Nörgler Thersites, der im zweiten tungen konzentrieren sich auf zwei wesentliche Buch der Ilias (212-277) die Menge zur Rück- Figuren in TFC, auf Helena und Odysseus. An kehr nach Griechenland aufstachelt, als Anti- ihnen lässt sich die Deheroisierungs-Strategie Helden sehen, weil er illoyal gegen seine Vor- der Serie am eindrucksvollsten nachvollziehen.5 gesetzten intrigiert; oder aber: man sieht in ihm denjenigen, der als einziger die Wahrheit über Agamemnons widerspruchsvolle Vorgehens- weise ausspricht.12 II Welche Perspektive man auch einnehmen mag, die mit dem troianischen Sagenkreis ver- Die Ilias spannt mit ihren ganz unterschiedli- knüpften Protagonisten sind – trotz oder gerade chen Figuren ein breites Koordinatensystem aufgrund veränderter Wertmaßstäbe – in ihrem auf, in dem sich sehr heterogene Heldenbilder Handeln bis in die heutige Zeit ambivalent. Sie und -konzepte verorten lassen.6 Homers Hel- polarisieren und provozieren, als Helden, Gegen- den produzieren zum einen – ganz im Sinne helden, Antihelden, unabhängig von dem zeit- von Luhmann – Nachahmungswillen „durch Ab- lichen Hintergrund, den die Rezipienten ein- weichung“, das heißt, sie können als Vorbilder nehmen. Somit ist es auch legitim, die filmische fungieren, die erwartbare Leistungen transgre- Umsetzung des Troia-Stoffes in TFC aus einer dieren: beispielsweise im kriegerischen Bereich modernen Perspektive zu betrachten, dabei (Achill, Diomedes, Aineias), im Hinblick auf ihre gewisse Akzentverschiebungen im Hinblick auf Intelligenz und Ingeniosität (Odysseus) oder be- die Ilias zu eruieren und – gemäß dem oben züglich ihrer beinahe übermenschlichen Über- skizzierten Interpretationsansatz – danach zu windungsstärke (Odysseus, Priamos).7 Dieses fragen, wie TFC mit den troianischen Helden- Konzept von Gegenhelden macht die Ilias auch figuren umgeht und was uns die Serie damit zu einem Werk, das unterschiedliche Adressa- über den Fall Troias und vielleicht auch über uns ten in unterschiedlichen Zeiten anspricht:8 Für selbst erzählen will. Alexander den Großen mögen Achill und Diome- des aufgrund ihrer unbändigen Kraft und ihres ,Vorwärtsdrängens‘ Vorbilder gewesen sein und vielleicht sind sie das auch noch für einen heu- III tigen Leser, der auf brutale Schlachtenbeschrei- bungen steht.9 Odysseus spricht – damals wie Zunächst zur Figur der Helena: Gerade in der heute – Leser an, welche den Scharfsinn seines Ilias wird deutlich, dass man diese Protagonis- Handelns bewundern und sein Vorgehen in ge- tin nicht auf ihre sprichwörtliche Schönheit redu- wisser Weise als heroischen Gegenentwurf zum zieren, sondern vor allem ihren vielschichtigen brachialen Draufgängertum interpretieren. Pria- Charakter beachten sollte. Auf der einen Seite mos wird wohl nicht nur in heutiger Zeit bewun- floh sie offensichtlich aus Liebe mit Paris aus dert für seine beispiellose Selbsterniedrigung, Sparta; auf der anderen Seite macht sie sich – als er den Leichnam seines Sohnes bei Achill sogar in Anwesenheit der troianischen Fürsten auslöste.10 Frauen wie Andromache, die wäh- – heftige Vorwürfe und zeiht sich unverantwort- rend des Krieges trotz der vielen psychischen lichen Leichtsinns (Il. 3, 173-175, siehe auch 3, und physischen Herausforderungen wichtige 410-412). Helenas Wesen bleibt vielschichtig und Begleiterinnen ihrer Ehemänner waren, fungier- komplex, und gerade deshalb sehr menschlich. ten ebenfalls nicht nur heute als herausragende, Allerdings geht mit dieser Undurchdringlichkeit wenngleich tragische Heldinnen, sondern auch ihres Charakters keine reine Opferrolle einher: in der Antike. Gerade aufgrund ihrer klaren Reue gewinnt Zum andern können die Hauptprotagonisten Helena eine gewisse Kontrolle über ihr Leben aber auch als Anti-Helden wahrgenommen wer- zurück, sie ist nicht mehr nur die Getriebene, den, oftmals übrigens gleichzeitig zu ihrem Sta- ein Objekt,13 sie übernimmt Verantwortung für tus als Gegenheld, was den dynamischen und ihr Handeln, obwohl sie eigentlich ein Spielball multiperspektivischen Charakter der Helden- von Aphrodite ist (Fulkerson 119). Ihr selbst- zeichnungen Homers zusätzlich unterstreicht.11 kritisches Verhalten steht – gerade angesichts Achills Leistungen auf dem Schlachtfeld kon- ihres Stigmas einer unvernünftigen, von Emo- kurrieren mit seinen anderen Verhaltensweisen, tionen und Affekten getriebenen Person – in aber wiederum nur aus einer bestimmten deutlichem Kontrast zu den männlichen Protago- Perspektive: Man kann ihm egoistisches, nisten wie Agamemnon oder Achill, die eigenes helden. heroes. héros.
Deheroisierung und Gender in Troy: Fall of a City 23 Fehlverhalten auf das Eingreifen der Götter zu- Homers Ilias in einen modernen Kontext aktua- rückführen und die eigene Schuld auf andere ab- lisiert.17 wälzen (z.B. Il. 19, 86-90). Ähnlich wie Helena ist auch Odysseus bereits In TFC wird dieser Aspekt im ersten Drittel in der Ilias eine sehr ambivalente Figur, wenngleich der Serie stark betont und gegenüber der Ilias die Vielschichtigkeit seines Charakters noch nicht noch weiterentwickelt. Als Paris (M. S. Rein- so breit angelegt ist wie in der Odyssee. Trotzdem bold) in Sparta weilt und um Helena (B. Dayne) erweist sich Odysseus während des Krieges um wirbt, erweist sie sich nicht als willenlose Frau, Troia als ein exzeptioneller Charakter, der einfach die lediglich ihrer sexuellen Lust unterliegt. Letzt- anders ist als die übrigen Helden. Diese Hetero- endlich zieht sie mit nach Troia, weil Paris – wohl genität erschöpft sich jedoch nicht in der stereoty- mit geheimer Unterstützung von Aphrodite – ihr pen Eigenschaft eines unerreichten Scharfsinns in Aussicht stellt, ein Leben in Freiheit zu führen und einer unübertroffenen Redegewandtheit. Ein und kein Dasein als eingeschlossene Ehefrau weiteres, oft übersehenes Merkmal ist das emoti- zu fristen.14 Helenas Flucht aus Sparta wird zur onslose Agieren des Odysseus: „Tous les grands Emanzipation einer Frau, die ihr eigenes Leben héros pleurent dans l’Iliade“ – außer Odysseus.18 leben will. Mit dieser ungerührten Haltung korrespondiert ein Als Helena mit Paris in Troia ankommt, nimmt oftmals geradezu apathischer Gemütszustand, sie auch dort ihr Schicksal in die eigene Hand, der beim Leser mögliche Rückschlüsse auf die in- agiert selbstbewusst und souverän, sie trotzt der nere Verfasstheit des Helden auslöst: Im Gegen- fremden Umgebung, trotzt der Feindseligkeit, die satz zu Agamemnon, Achill oder Ajax lacht Odys- ihr manchmal heimlich, manchmal offen, entge- seus nie.19 genschlägt. Während einer Beratung über ihr Odysseus steht zudem in einer gewissen Dis- weiteres Schicksal besteht sie gegenüber Pria- tanz zu dem kriegerischen Chaos um ihn herum mos (D. Threlfall) und Hekabe (F. O’Connor) auf (Pache 20). Dies wird beispielsweise deutlich, der Anhörung ihrer Meinung mit den Worten: „I wenn Odysseus, der Konfusion des Krieges hear […] that, in this city, man and woman are entrückt, ein Fels in der Brandung, unbeweglich equal in respect and power“ (Ep. 2, TC 4:26). stehen bleibt, als die griechische Armee nach Ihr Mitspracherecht bezieht sie auf eine Gleich- Agamemnons Test im zweiten Buch sich schrei- berechtigung, die sie in Troia vorzufinden scheint end in alle Richtungen auflöst (Il. 2, 170). Sol- und die TFC auch tatsächlich suggeriert.15 Im che Beschreibungen zeichnen in der Ilias ein gleichen Atemzug verweist Helena auf ihre einprägsames, geradezu plastisches Bild des in eigene und freie Entscheidung, nach Troia zu gewisser Weise einsamen Helden, dessen Auf- kommen, und auf einen für sie wichtigen Aspekt treten und Handlungen einen Blick in sein In- ihres Daseins: „I am not a possession. I am a wo- neres nur andeutungsweise zulassen.20 Ohne man. I think, I feel, I am here, because I want to dass der Eindruck entsteht, dass Odysseus die be.“16 Unterstützt werden diese Worte von einer Vorgänge vor Troia gänzlich kalt ließen – es wirkt Kameraführung, die nah auf Helena fokussiert, eher so, als ob er eine durch und durch nüchterne ihrer zentrierten und das Bild dominierenden Sil- und rationale Reaktion auf alle Überforderungen houette Gewicht verleiht, sie nicht in einem gro- des Krieges anstrebe –, erscheint Odysseus in ßen Palastraum optisch klein erscheinen und der Ilias wie ein Held, der sich seine Emotionen damit untergehen lässt. Kurze Zeit später zeigt und seine innere Aufruhr für das aufsparen muss, sich die nächste Stufe des ,Karrieresprungs‘ von was seiner noch harren sollte.21 Helena: Im troianischen Thronrat plädiert sie an- Die Produzenten von TFC haben das facetten- gesichts der drohenden Hungersnot für eine Öff- reiche Profil dieser Figur erkannt und das darin nung der königlichen Kornspeicher und kann sich angelegte Potential behutsam ausgebaut. Joseph mit ihrem Vorschlag sogar gegen das etablierte Mawle stellt mit seiner ganzen Körperhaltung ei- Factotum Pandaros (A. Lanipekun), eines all- nen robusten und scheinbar unerschütterlichen mächtigen Palastdieners, durchsetzen. TFC führt Odysseus dar. Seine nach hinten gekämm- somit eine bereits in der Ilias angelegte emanzi- te Frisur entblößt die hohe Stirn, hinter der der patorische Lesart der Helena fort und inszeniert Zuschauer ein geradezu fiebriges Berechnen sie im Verbund mit anderen wichtigen Frauen in neuer Lösungen und alternativer Handlungs- Troia – Hekabe und Andromache (C. Pirrie) – zu möglichkeiten im Trubel umstürzender Peripetien einer Vorreiterin weiblicher Unabhängigkeit, bei während des Krieges erahnen kann, vor allem, der die Frau nicht Objekt, sondern Subjekt des da die Kamera immer wieder in kritischen Situa- Geschehens ist; sie behält die Kontrolle über ihre tionen einen Kreis um Odysseus beschreibt und Entscheidungen und über ihr Leben in der Hand das ,Denken nach allen Seiten‘ des Helden, der und schlüpft deshalb in die Rolle einer weiblichen nun den einzigen Fixpunkt symbolisiert, einfängt. Heldenfigur, weil TFC die Figur der Helena aus Im ersten Teil der Serie erkennt Odysseus als helden. heroes. héros.
Felix K. Maier 24 einziger von allen Protagonisten am deutlichs- findet immer einen Weg, die fatalen und verhee- ten die Macht und Ohnmacht des menschlichen renden Entwicklungen, die durch Agamemnons Daseins und das Ausgeliefertsein an kontingen- kurzsichtiges, impulsives Handeln ausgelöst te Realitäten. Als Agamemnon (J. Harris) in der werden, sanft und ohne große Konflikte in ge- zweiten Folge nach den gescheiterten Verhand- eignete Bahnen zu lenken. Er vermag das lungen den in seiner statischen und naiven Un- Eskalationspotential konfliktträchtiger Interes- beholfenheit kaum zu übertreffenden Kriegsplan senskonstellationen zu prognostizieren und die zur Eroberung Troias wie ein Rezept darlegt oftmals zerstörerische Interaktion sich über- („Tomorrow, at dawn. Outright assault. We start kreuzender, heterogener Intentionen produktiv in at the ridge. Charge the plain. Meet them face- neue Lösungswege umzuleiten. Seine Stressre- to-face. Infantry and horsemen. […] We climb silienz – im Vergleich zu anderen Personen wie the citadel, we take the city, we get Helen back. Agamemnon, Menelaos oder auch Nestor wirkt We take their gold. We take the city. We go Odysseus weitaus weniger angegriffen von den home“; Ep. 2, TC 43:20), antwortet Odysseus Herausforderungen des Feldzuges – wird für den nur lapidar: „We should build ditches. Dig our- Zuschauer auch deshalb immer wieder deutlich, selves in between the plain and the ships, in case weil Odysseus sich der Ohnmacht des eigenen of counter-attack.“ Agamemnon lehnt das ver- Handelns bewusst zu sein scheint und gerade wundert ab („No need. The assault will take one aus dieser Erkenntnis heraus nie in eine gedank- day, no more“), weil sein eingeschränkter Zugang liche Sackgasse gerät. zur Realität kein komplexes Möglichkeitsdenken Während der vierten und der fünften Folge je- zulässt.22 Er geht davon aus, dass das Opfer sei- doch setzt in TFC eine Peripetie ein, welche das ner Tochter Iphigenie einen Sieg garantiere und Handeln beinahe aller Helden, vor allem auch beschäftigt sich nicht mit alternativen Szenarien. von Helena und Odysseus, als ohnmächtiges Zu erkennen, dass in der komplexen Interakti- Getriebensein und als Kapitulation vor der un- on menschlicher und göttlicher Intentionen und aufhaltbaren Dynamik sich verwickelnder Hand- Handlungen vorausgedachte Absichten durch- lungsstränge offenbart, die in manchen Fällen kreuzt werden, ungewollte und unvorhergese- zur Preisgabe sämtlicher Werte und moralischer hene Entwicklungen eintreten und Pläne mögli- Richtlinien führt. TFC bezieht sich dabei auf den cherweise nur von kurzfristiger Dauer sind, ist ihm im Narrativ der Ilias angelegten Wahnwitz des nicht gegeben. Im Gegensatz dazu Odysseus, gesamten Unternehmens, die Grausamkeit des der – wie sich bald herausstellt – nicht nur den Krieges und die Mutation menschlicher Verhaltens- Ausgang der ersten ,Eroberungsschlacht‘ bereits weisen bei einer gewaltsamen Eroberung und im Voraus antizipierte, sondern auch den weite- führt diese Aspekte durch eine dezidierte Demas- ren Verlauf des Krieges: So schleuste er vor dem kierung des Krieges auf mehreren Ebenen vor Krieg den Spion Xanthias (D. Avery) in Troia ein, Augen. der ihm und den Griechen essentielle Informati- Zunächst wird jegliche Form einer ,romanti- onen zuspielte. Als Achill in der dritten Episode schen‘ Sichtweise des Krieges vor Troia auf ver- – noch nicht seelisch belastet vom späteren Bris- schiedenen Ebenen unterminiert. Sinn und Rele- eis-Raub – davon erfährt, spricht er nachdenklich vanz des gesamten Feldzuges erscheinen schon aus: „Typically Odysseus. Always a contingency früh in einem fahlen Licht. Achill, von dem man plan.“ (Ep. 3, TC 22:51) das am wenigsten erwarten würde, fragt Patro- klos zu Beginn des Feldzuges in einer effektvoll inszenierten Szene an der wellenumsäumten Küste von Troia: „What do you think the sea ma- IV kes of it all, Patroclus? We come here, we bleed, patch up, fight again. To us it’s everything, right? Beide Figuren, Helena und Odysseus, erschei- But to the sea?“ (Ep. 3, TC 41:08). nen somit im ersten Drittel der Serie als zwei Symptomatisch ist zudem der Zweikampf zwi- Protagonisten, die trotz widriger Umstände dem schen Achill und Hektor. Dieser zeigt die übliche Geschehensverlauf ihren Stempel aufdrücken. Abfolge von Finten, Ausweichen und Parieren, Helena behauptet sich im fremden Umfeld Troia; idealisiert jedoch das Duell nicht mit einer ästheti- ihr verständiges, demütiges und gleichzeitig sou- schen Kampftechnik. Wenn Achill Hektor schließ- veränes Auftreten erntet großen Respekt bei Pri- lich alle Finger abschlägt und ihm – als sich der amos und Hekabe – weniger bei Andromache schwer verwundete Hektor weigert, auf die Knie – und das Stigma der Ehebrecherin und ,Raben- zu gehen – die Achillessehnen durchschneidet, mutter‘, das ihr seit der Flucht anhaftete, gerät, bleibt von einem heldenhaften Kräftemessen nicht zuletzt aufgrund ihres selbstbewussten nichts mehr übrig. Es waltet nur noch stumpfe, Auftretens, in den Hintergrund. Und Odysseus rohe Gewalt. helden. heroes. héros.
Deheroisierung und Gender in Troy: Fall of a City 25 Der Zweikampf ist darüber hinaus nicht auf- kehrbarer Folgenentwicklungen überschreiten grund des ,Finales‘ der beiden besten Kämpfer ließ, versetzte ihn geradezu zwangsläufig in ein dramatischer Höhepunkt, sondern vielmehr eine solche Konstellation. Obwohl TFC in einer aufgrund der (mit)leidenden Gesichter der Tro- etwas losen Art göttliches Walten assoziiert und ianer auf der Mauer. Diese Szene ist symbolisch überirdische Entitäten einbindet, deren Spiel für den ganzen Film: Der Schwerpunkt verla- mit den Menschen diese von sämtlicher Schuld gert sich weg von den Kämpfenden hin zu dem freisprechen könnte, gilt für Agamemnon in dem Schmerz und dem blanken Entsetzen der be- Spannungsverhältnis von unabänderlicher göttli- teiligten Zuschauer, die keine Zuschauer mehr cher Determination und eigener Schuld trotzdem sind, sondern Beteiligte, und hin zum Leid all das, was auch schon Aischylos über den persi- derjenigen, die nicht zu den Kämpfern gehören. schen Großkönig Xerxes und seine Niederlage Besonderes Augenmerk liegt dabei auf dem gegen Griechen sagte: „Doch ist einer selbst zu Los der Frauen. Gerät das Schicksal der beiden eifrig, trägt ein Gott zum Fall noch bei.“ (Aisch. Kriegsgefangenen Briseis und Chryseis in der Ili- Pers. 742) as angesichts des Streits zwischen Agamemnon und Achill oft allzu schnell in den Hintergrund, führt TFC dem Zuschauer sehr deutlich vor Au- gen, was vor allem die unschuldigen weiblichen V Opfer zu ertragen hatten. Die spitzen und schril- len Schreie von Chryseis, die von Agamemnon Immer wieder realisiert der Zuschauer: Die Er- vergewaltigt wird, dringen durch Mark und Bein. oberung Troias war kein ritterlicher Kampf, Die Kamera richtet sich von außen auf das Zelt sondern eine Belagerung, die aufgrund ihrer des griechischen Heerführers, vor dem zwei zeitlichen Erstreckung alle jene psychischen griechische Posten mit ihren Fackeln wie eine Phänomene und Abnutzungserscheinungen bei Mahnwache aussehen, die nächtliche Stille, in Belagerungen verstärkte, welche die Geschichte die Chryseis ihre von blanker Panik gezeichne- als Beispiele kennt: Wut, Misstrauen, Hinter- ten Schreie ausstößt, wirkt wie ein Verstärker list.24 Im Lager der Griechen steigt wegen der für die kaum mehr menschlichen Laute der Ver- Briseis-Krise und der begrenzten Sieg-Chancen gewaltigten. Obwohl man nichts erkennt, sieht der Grad der Aggression ebenso wie in Tro- man vor dem eigenen Auge mehr, als man se- ia der Argwohn und der Verdacht gegen mög- hen möchte (Ep. 4, TC 18:21). Jegliche – auch liche Verräter – mit fatalen Konsequenzen für unfreiwillige, eigentlich ungewollte – Faszination alle Beteiligten, vor allem aber auch für Helena für den Krieg weicht zunehmender Beklem- und Odysseus. Helenas Stellung wird aufgrund mung.23 einer komplizierten Verquickung verschiedener Ebenso werden Briseis’ Leiden gezeigt, Handlungsstränge und durch den Verdacht einer weil Agamemnon immer mehr zu einem psy- Kollaboration mit den Griechen schwer beschä- chischen Wrack wird, der ein Ventil für seine digt. In dieser Situation trifft sie die – mensch- eigene Verbitterung nur noch in der rohen Ge- lich nur allzu verständliche – Entscheidung, den waltausübung gegenüber unschuldigen Schwä- durch Odysseus’ Spion hergestellten Kontakt mit cheren und in der Befriedigung des eigenen Se- dem griechischen Heer nicht zu erwähnen, um xualtriebs sieht. Sein Verhalten ist eine ebenso dem von Andromache geschürten Misstrauen furchtbare wie ,logische‘ Konsequenz, weil er gegen sie nicht noch mehr Nahrung zu geben. seit Beginn des Feldzuges bereits traumatisiert Obwohl Helenas Motive nicht nur verständlich, ist: Er hat seine eigene Tochter getötet, um die sondern auch gerechtfertigt sind – sie hat we- von den Göttern verhängte Windstille in Aulis der mit den Griechen kooperiert noch wissent- zu beenden. Auch für diesen unfassbaren Vor- lich Geheimnisse verraten – hat Andromache in fall, der bei Erzählungen über den troianischen dem von Verdachtsmomenten vibrierenden Tro- Krieg allzu schnell übergangen wird, nimmt ia leichtes Spiel, sie des Hochverrats zu bezich- TFC sich viel Zeit (Ep. 2, TC 24:50-26:50). Und tigen. Zudem führt Helenas Schweigen dazu, wenn Agamemnon danach wie ein Wahnsinni- dass der Berater Pandaros fälschlicherweise ger zum Himmel brüllt, wird dadurch seine Ent- der Spionage überführt wird und sterben muss. scheidung – auch dies ein großes Verdienst der Helena, die anfangs noch die riesige Heraus- Serie – nicht entschuldigt, sondern vielmehr in forderung der Integration in Troia zu bewältigen der Paradoxie des eigenen Handelns noch un- schien und die Kontrolle über die sich ihr entge- entschuldbarer. Agamemnon hätte den Feld- genstellenden Verhältnisse mit Souveränität und zug auch nicht durchführen müssen, aber die Selbstbewusstsein meisterte, kann die von ihr eigene Gier, die ihn ein großes Aufgebot nach unabsichtlich ausgelösten Konsequenzen kaum Aulis befehlen und damit einen Punkt unum- ertragen, sie geht in dem durch die Belagerung helden. heroes. héros.
Felix K. Maier 26 entstandenen Chaos allmählich unter. In der der Griechen nach Troia schaut Odysseus nur Zuspitzung der Krise ist für Ideale, die ihr zuvor noch mit apathischem Blick zu, als Helena un- noch ein gleichberechtigtes Dasein ermöglicht ter Schreien weggeführt wird (Ep. 8, TC 28:28). hatten, kein Platz mehr; der sämtliche Werte Willenlos befolgt er die Befehle von Agamem- zersetzende Krieg ist inzwischen auch in Troia,25 non. Dem apokalyptischen Wahn, der sich nach er löst alles auf und mit Andromache fällt Helena dem Durchbruch der Mauern Bahn bricht, hat er symptomatisch auch noch eine Frau als erste in nichts mehr entgegenzusetzen. den Rücken. Und doch – ganz am Ende ergibt sich für Nachdem die Griechen ihre List mit dem höl- Odysseus nochmals eine Gelegenheit, seinen zernen Pferd durchbringen konnten, will Helena Einfallsreichtum mit den seinem Wesen eige- sich Menelaos ausliefern, um ein Blutvergießen nen moralischen Grundsätzen zu verbinden. zu vermeiden. Ihr ehemaliger Gatte schwört „on Als er Andromache in einem Versteck entdeckt, my honor“, auf diesen Deal einzugehen. Doch belässt er ihr Kind Astyanax bei der Amme und im Hintergrund marschiert bereits das griechi- führt die Prinzessin allein aus Troia heraus. Im sche Heer. Es ist dies der vorerst letzte Höhe- letzten Moment, als alle bereits fast die Tore der punkt der Belagerung, die das Inhumane und Burgmauer passieren, hört man aber wieder das das Unaussprechliche zur Normalität werden Schreien des Kindes, das schließlich doch noch lässt und sämtliche Werte unter sich begräbt. mit seiner Amme von einem Griechen beim Grab Helenas ,Emanzipation‘ – so die Botschaft von Hektors entdeckt wurde. Agamemnon, dessen TFC – wird somit von zwei Nebeneffekten des Blutdurst nach dem Massaker an den Troianern Krieges torpediert: von dem Rückfall in archaische noch immer nicht gestillt ist, befiehlt Odysseus, Hierarchiemechanismen, die ein gleichberechtig- um ihn für sein Verschweigen zu bestrafen, das tes Miteinander in der (troianischen) Gesellschaft lebendige Kind von der Mauer zu werfen. Odys- verhindern, und von der Auflösung moralischer seus fleht Agamemnon an, dieser gibt aber nicht Richtlinien. nach und droht, dass er sonst Odysseus’ Nach- Und Odysseus? Auch dieser wird von der Dy- fahren töten würde. Ein völlig desillusionierter namik der Ereignisse überrollt. Zusehends muss Odysseus geht mit mechanischen Schritten zur er erkennen, dass die Geister, die er rief, sich Mauer, die Schreie von Astyanax vermischen verselbständigten. Agamemnon und Menelaos sich mit denen seiner verzweifelten Mutter. Als lassen sich von Achills Aufruf, die zwölftägi- Odysseus die Mauer erklommen hat, die Film- ge Waffenruhe nach Hektors Tod zu beachten, musik aussetzt und ein Moment der völligen Stil- kaum beeindrucken. Stattdessen setzen sie nun le einkehrt, scheint es, als ob Odysseus diese ihrerseits eine Intrige in Gang. Dabei wechseln Schwelle nicht überschreiten möchte oder ihm sie zwar zum ersten Mal von roher Gewalt auf doch noch einmal ein rettender Einfall zu Hilfe List, aber ihr abgefeimtes Vorgehen übersteigt komme. Aber der leere Blick seiner Augen verrät, die Grenzen dessen, was Odysseus getan hätte. was dieser Krieg mit ihm gemacht hat. „Forgive Während der zwölftägigen Waffenpause insze- me“, flüstert Odysseus und lässt das Kind fallen. nieren sie einen Scheinüberfall auf einen Myrmi- Der Zuschauer, dem der Fall in Zeitlupe zuge- donenkrieger Achills, um einen erneuten Angriff mutet wird, wird mit diesem Bild vom Schlacht- auf Troia zu rechtfertigen und Achill wieder in platz entlassen. Kurze Zeit später sieht man in den Kampf zu ziehen. Es ist dies der Moment, da der Schlussszene Odysseus, der am Bug seines auch Odysseus die Handlungsverläufe entglei- Schiffes steht, resigniert, gebrochen, traumati- ten. Die Kamera fokussiert in einem close-up auf siert, sein Blick ist ebenso leer aufs Meer gerich- seinen leeren und gleichzeitig nervösen Blick, tet wie der des Zuschauers auf den Bildschirm. die geweiteten Pupillen verraten den Schrecken, den Odysseus nur mit Mühe unterdrücken kann (Ep. 7, TC 34:30). Er weiß, was kommen wird. Achill fragt Odysseus: „Is this true?“ und Odys- VI seus – im Bewusstsein, dass er nicht mehr zu- rückkann – antwortet kaum vernehmbar: „True.“ TFC konfrontiert mit herausfordernden, unbe- Ab diesem Zeitpunkt läuft Odysseus den Ereig- quemen Eindrücken, mit einer oftmals desillusi- nissen hinterher. Obwohl sein moralischer Kom- onierenden Interpretation des Troia-Stoffes und pass noch immer korrekt ausgerichtet ist – so des Krieges im Allgemeinen. Und doch erscheint hilft er beispielsweise Briseis, Agamemnon zu diese Deutung aus mehreren Gründen lehrreich. entfliehen – entkommt er nicht mehr aus den Mit der gezielten Destruktion von Helden-Erwar- auch von ihm selbst geschaffenen Realitäten, tungen fordert uns TFC auf, den troianischen die ihre eigene Dynamik entwickeln. Nach dem Krieg aus einer ganz anderen Perspektive zu Bau des hölzernen Pferdes und dem Eindringen betrachten und gleichzeitig ähnliche Szenarien helden. heroes. héros.
Deheroisierung und Gender in Troy: Fall of a City 27 in der Vergangenheit und in der Zukunft mitzu- Lebenstrieb ist größer und das ist leider mensch- denken. Das ist unangenehm, bestürzend und licher, als wir es uns zugestehen wollen. Ein erschütternd, aber lohnend. Held ist Odysseus damit nicht mehr, aber auch Vielleicht auch aufgrund der zu oft idealisie- kein Anti-Held, er ist einfach nur – ein Mensch. renden Schlachtenbeschreibungen und filmi- Der troianische Krieg, das zeigt TFC, war schen Adaptionen des Troia-Stoffes (Winkler) kein Nullsummenspiel. Alle waren Verlierer, und wählt TFC einen Blickwinkel, der – unabhängig niemand mehr ein Held. In dieser Botschaft ist vom troianischen Krieg – den Zuschauer dafür TFC wiederum sehr nah an einer heutigen Inter- sensibilisiert, welches Leid im Krieg abseits des pretation des Textes der Ilias Homers, der viel- jeweiligen Schlachtfeldes den Frauen droht. leicht aber schon in der Antike von einem Teil der Das verstörend erzählte Schicksal von Chrys- Leser ähnlich gedeutet wurde (Alexander). „This eis und Briseis steht stellvertretend als Mahn- was always a shabby war!“ sagt deshalb pas- mal für die Verrohung menschlicher Verhal- senderweise der sterbende Achill in TFC. Und tensformen und die animalische Behandlung am Schluss schaut auch noch Zeus ratlos drein. Unschuldiger. Gleichzeitig ist es aber auch eine An Helden denkt zu diesem Zeitpunkt niemand Aufforderung, die vergessenen Geschichten mehr, auch nicht der Zuschauer. der Opfer zu erzählen und die Stimmen wieder zu erwecken, die von den Siegern zum Ver- Felix K. Maier studierte Geschichte, Latein und stummen gebracht wurden. Griechisch auf Lehramt in Eichstätt, Freiburg Die detaillierte Darstellung der Opferung der und Oxford. Er wurde mit einer Arbeit zum grie- Iphigenie – mit einem weinenden Agamemnon – chischen Historiker Polybios promoviert und führt den Wahnwitz und die Absurdität mensch- habilitierte sich mit einer Untersuchung zu den licher Entscheidungen vor Augen, wenn sich in Repräsentationsstrategien der Kaiser im 4. Jahr- der Extremsituation Krieg auf einmal alle Orien- hundert n. Chr. Seit dem 1. April 2018 bekleidet tierungsmaßstäbe auflösen und der moralische Felix K. Maier eine Heisenberg-Stelle an der Kompass entmagnetisiert wird. Der Zuschauer Universität Würzburg. realisiert, wie sich Männer im Krieg, den sie selbst angefangen haben, entmenschlichen. 1 Entsprechend wird im Vorspann sowohl auf Homers Ili- as, die nur einen Ausschnitt aus dem zehnten Kriegsjahr be- TFC zeigt auch, dass auf dem Nährboden schreibt, als auch auf den troianischen Sagenkreis („Inspired militärischer Konflikte Ideale der Gleichberech- by Homer and Greek Myths“) verwiesen. tigung keine Chance haben. Mag die Verkörpe- 2 In der hitzigen Debatte, die sehr schnell in nationalisti- rung heutiger Vorstellungen von der Stellung sche und rassistische Kommentare abdriftete, bezogen auch der Frau durch Helena in TFC an manchen Altertumswissenschaftler wie T. Whitmarsh Stellung, um die Stellen im griechisch-archaischen Kontext et- Diskussion wieder zu versachlichen und die Aufregung so- wohl mit Blick auf die Quellen als auch im Hinblick auf die was anachronistisch wirken, so bleibt die damit künstlerische Freiheit zu entschärfen, 17. April 2020 . os hinwegspült. Anhand von Helenas Deheroi- 3 Siehe stellvertretend den Roman The Silence of Girls sierung stellt TFC auch die Frage, ob unsere (2018) von Pat Barker, Madeline Millers The Song of Achilles (2011) oder Inge Merkels Eine ganz gewöhnliche Ehe. Odys- Gesellschaft nicht schon weiter wäre, wenn sie seus und Penelope (1987). nicht über Jahrtausende immer wieder Krieg 4 Eine solche Liste – zum Beispiel, ob Paris am Beginn der geführt hätte. Serie als Hirte wirklich Pferde reiten durfte – findet sich bei An der Figur des Odysseus arbeitet TFC Josho Brouwers, 17. April 2020 . na wird er zum Sinnbild der Ohnmacht des 5 Man könnte auch andere Figuren, beispielsweise Paris, Menschen. Dafür braucht es (noch) nicht ein- der vielleicht am meisten im Mittelpunkt der Serie steht, be- trachten. Meiner Meinung nach zeigt sich jedoch der von mir mal die Götter, Odysseus wird zum Opfer der konstatierte Befund besonders eindrucksvoll an den beiden von ihm selbst geschaffenen Umstände. Zieht Figuren von Helena und Odysseus. Odysseus zu Beginn der Belagerung noch 6 Umfänglich zu diesem Aspekt siehe Tilg/von den Hoff heimlich die Fäden im Hintergrund, so ent- und Horn. zieht sich der Ereignisverlauf alsbald seinem 7 Luhmann 86. Zum Transgression-Merkmal des antiken Einflussbereich. Odysseus wird vom Helden Helden, auch in negativer Hinsicht, siehe von den Hoff. zum Mitläufer, der seine eigenen Ideale ver- 8 Für Gegenhelden verwende ich die Definition von Bröck- rät, er verliert jeden heroischen Glanz. Symp- ling 3: „Gegenhelden konkurrieren mit den Helden auf einem tomatisch dafür ist das Ende: Odysseus kann antagonistischen Feld konträrer Wertordnungen und Hand- und will das Kind, das er auf seinen Armen lungsorientierungen; sie sind die Identifikationsfiguren der einen Seite im Falle widerstrebiger Heroisierungen.“ auf die Zinnen Troias trägt, nicht retten. Sein helden. heroes. héros.
Felix K. Maier 28 9 Zu Alexander, vgl. Arrian 7, 14, 4.Tatsächlich wurden die männlichen Protagonisten feststellen konnte, vgl. Odysseus’ Protagonisten der Ilias bis weit in das 20. Jahrhundert hinein ersten Auftritt und seine Tränen in Od. 5, 80-85. vor allem wegen ihrer kriegerischen Leistungen als Helden 22 Auf Odysseus’ Frage: „How can you be sure?“ antwortet bewertet, siehe Vandiver. Agamemnon: „The gods have guaranteed it.“ 10 Die Art, wie Homer diese Szene beschreibt, und die Tat- 23 Zur – oftmals paradoxen – menschlichen Faszination sache, dass Priamos’ Besuch bei Achill das letzte Buch der des Krieges siehe Hillman. Ilias dominiert, unterstreicht, dass Homer der Aktion des tro- ianischen Königs ebenfalls eine heroische Reverenz erweist, 24 Reeder 109-152 mit zahlreichen Beispielen aus der An- die sicherlich etliche Leser in der Antike, auch wenn sie kon- tike. Dieser Umschwung wird bereits in der dritten Episode trär zu vielen Aktionen in der Ilias angelegt ist, beeindruckt deutlich, wenn Priamos die Troianer im Thronrat auf die hat. nächsten Monate einstimmt, die zu Jahren werden sollten (TC 1:58): „The glory of war is over. The hard graft starts 11 Unter Anti-Helden verstehe ich Helden, die gegen heroi- now.“ Selbst Achill, ein Anhänger des Kampfes Mann gegen sche Verhaltensmuster und -codices opponieren, wenn sie Mann, wirft Odysseus, Agamemnon und Menelaos vor (Ep. ausgerechnet das tun, was Helden angesichts dieser Erwar- 7, TC 16:50): „Strategy. Trickery. Guile. Is that what war is? tungen niemals tun würden, und das unterlassen, was man Is that all we are?“ traditionellerweise von einem Helden erwartet, siehe Bröckling. 25 „But the war isn’t just outside these walls – it is in here. 12 Beide Verhaltensweisen – bei Achill wie auch bei Thersi- It is in here. It is with us, it is in the streets, in the houses, tes – können aber wiederum umgekehrt ausgelegt werden: in the shadows“, formuliert ein sichtlich gezeichneter und Achill kann für sein Rückgrat und seine konsequente Beharr- ausgebrannter Priamos, Ep. 6, TC 7:18. Helena gelingt es lichkeit gelobt werden, Agamemnon nicht alles durchgehen auch nicht, die barbarische Auspeitschung des gefangen zu lassen. Thersites kann als ,Held der kleinen Leute‘ gefei- genommenen griechischen Spions zu stoppen. Selbst Paris, ert werden, der den Kampf gegen die Mächtigen führt und der ihre wichtigste Bezugsperson ist, kennt bald nur noch ein außerdem eine wichtige Wahrheit ausspricht, nämlich dass eindimensionales „wir“ und „sie“, das auch seinen Blick zum der troianische Krieg nur wegen der Gier Agamemnons ge- Negativen hin verschleiert. führt werde, Il. 2, 225-229, Versangaben nach der Überset- zung von Schadewaldt. 13 In der Ilias sprechen manche der männlichen Personen wie Menelaos, Hektor oder der Erzähler davon, dass Paris Helena nach Troia ,gebracht‘/,weggenommen‘/,weggezog Literatur en‘ habe (3, 48; 6, 292; 13, 627; 22,115-116), weitere Bei- spiele bei Blondell. Alexander, Caroline. The War That Killed Achilles. New York: 14 Ep. 1, TC 44:54, in Antwort auf Helenas erste zurückwei- Penguin, 2010. sende Formulierung: „I am a woman. We don’t get to select Blondell, Ruby. „‚Bitch that I Am‘. Self-Blame and Self-Asser- our fate“. tion in the Iliad.” TAPhA 140 (2010): 1-32. 15 Beispielsweise nehmen Hekabe und Andromache ver- Bröckling, Ulrich. „Antihelden.“ Compendium heroicum, mehrt am Thronrat teil, bei dem sie ganz selbstverständlich 2018. DOI 10.6094/heroicum/ahd1.0. gegenüber den zahlreichen anwesenden männlichen Alpha- tieren ihre Meinung kundtun. Burgess, Jonathan S. The Tradition of the Trojan War in Homer and the Epic Cycle. Baltimore: The Johns Hopkins UP, 2004. 16 Ep. 2, TC 5:00: „I do choose to be with your son“. Fulkerson, Laurel. „Helen as Vixen, Helen as Victim: Remorse 17 Man kann ein solches Vorgehen sicherlich als anachro- and the Opacity of Female Desire.“ Emotion, Genre and nistisch bezeichnen. Auf der anderen Seite ist diese Aktua- Gender in Classical Antiquity. Hg. Dana LaCourse Muntea- lisierung in TFC deshalb legitim, weil sie auf Kernelemente nu. London: Bristol Classical Press, 2011. in der Ilias aufbaut. Ein Beispiel: In einer Szene steigt Hele- na zu Paris in die Badewanne. Paris kokettiert: „Looks like I Hillman, James. A Terrible Love of War. New York: Penguin, 2004. have dragged you into the dirt with me“ (als Anspielung auf von den Hoff, Ralf. „Achill, das Vieh? Zur Problematisierung das dreckige Wasser und auf die prekäre Situation in Troia, transgressiver Gewalt in klassischen Vasenbildern.“ Die Ep. 3 TC 6:22). Helena antwortet darauf: „Oh no, I chose to andere Seite der Klassik: Gewalt im 5. und 4. Jahrhundert. come“. In Il. 3, 444 spricht Paris davon, Helena „geraubt“ v. Chr. Hg. Susanne Moraw und Günter Fischer. Stuttgart: (ἁρπάξας) zu haben, als er sie aus Sparta mitnahm. Aller- Franz Steiner Verlag, 2005: 225-246. dings wird direkt danach darauf angespielt (3.446), dass Paris ein Opfer der Liebe (ἔρως) und somit kein kontrollie- Horn, Fabian. Held und Heldentum bei Homer: Das home- rendes Subjekt, sondern ein willenloses Objekt war. rische Heldenkonzept und seine poetische Verwendung. Tübingen: Narr, 2014. 18 Monsacré 139, selbst Agamemnon, Ajax und Achill, Il. 4, 153; 17, 648; 24, 510-511. Luhmann, Niklas. Die Autopoiesis des Bewußtseins. So- ziologische Aufklärung 6. Die Soziologie und der Mensch. 19 Agamemnon (4, 356), Achill (23, 786), Ajax (7, 212), Wiesbaden: Springer, 2008. Paris (11, 378), Hektor (6, 471). Einzige Ausnahme ist das spöttische Lächeln des Odysseus bei der Befragung des Ge- Mangold, M. Kassandra in Athen. Die Eroberung Trojas auf fangenen Dolon, Il. 10, 400. attischen Vasenbildern. München: Reimer, 2000. 20 Darüber hinaus ist Odysseus in der Ilias stets von einer Milo, Daniel S. „Pour une histoire expérimentale, ou le gai gewissen Einsamkeit umgeben: Im Gegensatz zu Achill, Pri- savoir. Alter Histoire. Essais d’histoire expérimentale.“ Al- amos oder Andromache agiert Odysseus völlig allein an der ter Histoire. Essais d’histoire expérimentale. Hg. Daniel S. troianischen Küste und er hat auch niemanden, mit dem er Milo und Alain Boureau. Paris: Les Belles Lettres, 1991. seine Gefühle oder Emotionen teilen kann, vgl. Hektor und Monsacré, H. Les larmes d’Achilles. Paris: Du Felin, 1984. Adromache, Il. 6, 471, Priamos und Achilles Il. 24, 510-511, sowie viele andere Beispiele, bei denen Griechen und Tro- Pache, Corinne O. War Games. Odysseus at Troy. HSCPh ianer ihr Lachen und Weinen miteinander teilen, während 100 (2000): 15-23. Odysseus separat bleibt. Reeder, Caryn A. Gendering War and Peace in the Gospel of 21 Tatsächlich zeigt Odysseus in der Odyssee dann die Luke. Cambridge: Cambridge UP, 2019. Emotionen, die man zuvor in der Ilias auch bei allen anderen helden. heroes. héros.
Deheroisierung und Gender in Troy: Fall of a City Späth, Thomas und Margit Tröhler. „Die TV-Serie Rome 29 als experimentelle Geschichtsschreibung.“ Saeculum 62 (2012): 267-302. Tilg, Stefan und Ralf von den Hoff. „Homerische Helden.“ Compendium heroicum, 2018. DOI 10.6094/heroicum/ homhd2.0. Vandiver, Elisabeth. „Stand in the Trench, Achilles.“ Classi- cal Receptions in British Poetry of the Great War. Oxford: Oxford Press, 2010. Winkler, Martin M. „The Iliad and the Cinema.“ Troy. From Homer’s Iliad to Hollywood Epic. Hg. Martin M. Winkler. London: Blackwell, 2007: 43-67. helden. heroes. héros.
Sie können auch lesen