Orakel und Wahrsager in der Odyssee
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Orakel und Wahrsager in der Odyssee Die vorliegende Arbeit habe ich folgendermaßen strukturiert: 1. Aufführung von derjenigen Textstellen in der Odyssee in denen a. Von Omina verschiedenster Art b. Von Weissagungen c. Von Sehern und Weissagern die Rede ist und eine entsprechende Inhaltsangabe/Interpretation 2. eine allgemeine Begriffserklärung zu a. Omen b. Mantik c. Orakel d. Prophezeiungen 1 A. Omina in der Odyssee In der Odyssee werden die verschiedensten Arten von Omina erwähnt, die als Vorzeichen oder Anzeichen für den Willen der Götter interpretiert werden können. Es handelt sich hierbei um Naturereignisse wie Blitz und Donner, um (Opfer-) Tiere wie verschiedene Vogelarten, aber auch um rein zufällige Ereignisse, die als glück- oder unglückverheißende Zeichen gewertet werden. Zunächst seien hier Blitzschlag und Donner aufgeführt. Beides sind Zeichen für Willensäußerungen von Zeus. Sie treten spontan auf, aber auch durch Anforderung von Odysseus und anderen Menschen. 2,146ff: Donner Situation: Versammlung der Freier, Appell von Telemachos an Abzug der Freier, wenn nicht, dann droht ihnen die Rache; Telemachos ruft die Götter an wegen der Bestätigung seiner Worte, was jener mit Donner und der Entsendung zweier Adler (s.u.) auch quittiert: Ob euch nicht endlich einmal Zeus eure Taten bezahle, Daß ihr in unserem Haus auch ohne Vergeltung dahinstürzt! Also sprach er, da sandte der Gott weithallender Donner Ihm zween Adler herab vom hohen Gipfel des Berges. Anfangs schwebten sie sanft einher im Hauche des Windes, Einer nahe dem andern, mit ausgebreiteten Schwingen; Jetzo über der Mitte der stimmenvollen Versammlung, Flogen sie wirbelnd herum, und schlugen stark mit den Schwingen, Andreas A.Noll, Januar 2003 1
Schauten auf aller Scheitel herab, und drohten Verderben, Und zerkratzten sich selbst mit den Klauen die Wangen und Hälse1 ***** Im 20. Gesang treten als Rezipienten der göttlichen Äußerung sowohl Odysseus als auch eine unbeteiligte „neutrale“ Person auf: 20, 103 ff Situation: Vor dem Freiermord; Odysseus bittet Zeus um ein Zeichen um sein geplantes Vorgehen gegen die Freier bestätigt zu erhalten. Offensichtlich um sich der Zustimmung der Götter, bzw. Zeus´definitiv zu versichern, sollte eine neutrale Person, die sich zudem innerhalb des Hauses befindet, die eindeutig das Donnern als Zeichen wahrgenommen hatte, seine Wahrnehmung bestätigen. Diese, eine arme und schwache Müllerin, übernimmt diese Aufgabe und weissagt das Ende der Freier: O so rede nun einer der Wachenden glückliche Worte Hier im Palast, und draußen gescheh ein Zeichen vorn Himmel! Also flehte der Held; den Flehenden hörte Kronion. Und er donnerte schnell vom glanzerhellten Olympos Hoch aus den Wolken herab. Da freute sich herzlich Odysseus. Plötzlich hört' er ein mahlendes Weib, das glückliche Worte Redete, nahe bei ihm, wo die Mühlen des Königes standen. Täglich waren allhier zwölf Müllerinnen beschäftigt, Weizen- und Gerstenmehl, das Mark der Männer, zu mahlen. Aber die übrigen schliefen, nachdem sie den Weizen zermalmet: Sie nur feirte noch nicht, denn sie war von allen die schwächste. Stehen ließ sie die Mühl', und sprach die prophetischen Worte: Vater Zeus, der Götter und sterblichen Menschen Beherrscher, Wahrlich du donnertest laut vom Sternenhimmel, und nirgends Ist ein Gewölk; du sendest gewiß jemandem ein Zeichen. Ach so gewähr' auch jetzo mir armem Weibe die Bitte! Laß die stolzen Freier zum letztenmal heute, zum letzten! Ihren üppigen Schmaus in Odysseus' Hause genießen, Welche mir alle Kraft durch die seelenkränkende Arbeit, Mehl zu bereiten, geraubt! Nun laß sie zum letztenmal schweigen ***** Im 24. Gesang wird Odysseus selber zu einem Adler – einem Vogel, dem ansonsten in der Odyssee nur die Rolle eines Übermittlungsmediums göttlichen Willens zugedacht ist. Zeus stoppt ihn in seinen Rachegelüsten mit einem Blitzstrahl. 1 Übersetzung auch der folgenden Textstellen aus dem Griechischen – wenn nicht ausdrücklich anders erwähnt - von Heinrich Voss Andreas A.Noll, Januar 2003 2
24, 538: Situation: Die Ithaker fliehen wieder in Richtung Stadt, nachdem sie vergeblich versucht hatten, Odysseus´Freiermord zu rächen; Odysseus „duldet“ nicht mehr und wird als vor Wut rasender Adler von Zeus gestoppt und „befriedet“: Und sie wandten sich fliehend zur Stadt, ihr Leben zu retten. Aber fürchterlich schrie der herrliche Dulder Odysseus, Und verfolgte sie rasch, wie ein hochherfliegender Adler. Und nun sandte Kronion den flammenden Strahl vom Olympos, Dieser fiel vor Athene, der Tochter des schrecklichen Vaters. Beobachtung: Verhalten von Opfertieren und von Menschen Eine wichtige Rolle wurde bei der Beobachtung und Interpretation den Verhaltensweisen von Opfertieren und auch von Menschen zugemessen. Hierbei handelt es sich um bewusst herbeigeführte, oder zumindest initierte Veränderungen, aber auch scheinbar zufällige Erscheinungen in Situationen, in denen ein Fingerzeig der Götter nützlich zu sein scheint. ***** Im 10. Gesang wird vor allem die Betonung der schwarzen Frabe als Omen für die bevorstehende Reise Odysseus´in den Hades auffällig und hat die Bedeutung eines Omens. Die zudem am Schiff angebundenen schwarzen Opfertiere sind als solche auf dem schwarzen Untergrund nicht zu erkennen. Dies kann als Hinweis auf die ebenfalls für normale Sterbliche nicht sichtbaren Seelen im Hades (schwarz) interpretiert und als Omen gedeutet werden. 10, 573ff Situation: Abfahrt von Kirke Richtung Hades zu Teiresias Herzlich bekümmert gingen, und viele Tränen vergießend; Ging auch Kirke dahin, und band bei dem schwärzlichen Schiffe Einen Bock und ein Schaf von ungezeichneter Schwärze, Leicht uns vorüberschlüpfend. Denn welches Sterblichen Auge Mag des Unsterblichen Gang, der sich verhüllet, entdecken? ***** Andreas A.Noll, Januar 2003 3
Im 11. Gesang erscheint der Seher Teiresias im Hades dem Odysseus. Indem er das in der Erdgrube aufgefangene Blut der Opfertiere trinkt, erlangt er die Fähigkeit, die Zukunft vorauszusagen. Blut ist der „Saft des Lebens“, der die Seele an den Körper bindet. Das Trinken des Opferblutes steht somit für die Wiederherstellung der Verbindung zwischen der im Hades weilenden Seele des Toten und der Realität, bzw. hier sogar der irdischen Zukunft. 11, 90ff Situation: Teiresias kommt nach den anderen Seelen zu Odysseus, der die zwei Schafer geopfert und deren Blut in eine Erdgrube hat fliessen lassen. Er will vom Blut der Opfertiere trinken: Jetzo kam des alten Thebäers Teiresias' Seele. Haltend den goldenen Stab; er kannte mich gleich, und begann so: Edler Laertiad', erfindungsreicher Odysseus, Warum verließest du doch das Licht der Sonne, du Armer, Und kamst hier, die Toten zu schaun und den Ort des Entsetzens? Aber weiche zurück, und wende das Schwert von der Grube, Daß ich trinke des Blutes, und dir dein Schicksal verkünde. ***** Die dann im 12. Gesang geschilderten Ereignisse spiegeln eine nahezu infernalische Häufung bedrohlicher Omina wieder. Der ungeheuerliche Frevel der Gefährten Odysseus´, die unter dem Vorwand eines Opfers alle Warnungen des Teiresias in den Wind schlagen, ist erzählerischer Höhepunkt der Beschreibung von Odysseus´Heimkehr. Mit dem Tod der Gefährten ist Odysseus dann der Einzige, der in seine Heimat zurückkehren kann.Die geschilderte angebliche Opferung der Rinder des Helios wird als offensichtliche Farce dargestellt, indem die grundlegendsten Regeln für Opfergaben (Eichenblätter statt Gerste, Wasser statt Wein, Eingeweide gebraten ) missachtet werden. Die Verwendung von Eichenblättern anstelle von Gerste könnte ein Omen sein für das Orakel des Apoll in Delphi (dessen heiliger Baum die Eiche ist) , bzw. generell für Weissagungen, wie auch die von Teiresias ausgesprochene Warnung vor dieser Freveltat. 12, 394ff Situation: Ausgehungerte Gefährten Odysseus; von Teiresias keine Prophezeiung, sondern Warnung. Inferno der brüllenden Fleischteile als Hinweis für das kommende Schicksal der Gefährten. Als ich jetzo das Schiff und des Meeres Ufer erreichte, Schalt ich die Missetäter vom ersten zum letzten; doch nirgends Fand ich Rettung für uns, die Rinder lagen schon tot da. Bald erschienen darauf die schrecklichen Zeichen der Götter; Ringsum krochen die Häute, es brüllte das Fleisch an den Spießen, Rohes zugleich und gebratnes, und laut wie Rindergebrüll scholl's. Und sechs Tage schwelgten die unglückseligen Freunde Andreas A.Noll, Januar 2003 4
Von den besten Rindern des hohen Sonnenbeherrschers. Als nun der siebente Tag von Zeus Kronion gesandt ward, Siehe da legten sich schnell die reißenden Wirbel der Windsbraut; ***** Im 17. Gesang wird deutlich, dass auch nicht beabsichtigte und schienbar zufällige Ereignisse als Omina angesehen werden, in diesem Fall Niesen als glücksverheißendes Zeichen: 17,539 Also sprach sie; da nieste Telemachos laut, und ringsum Scholl vom Getöse der Saal. Da lächelte Penelopeia, Wandte sich schnell zu Eumäos, und sprach die geflügelten Worte: Gehe mir gleich in den Saal, Eumäos, und rufe den Fremdling! ***** Im 20. Gesang greift Athene direkt ein und initiiert ein unglückverheißendes Omen, indem sie die Gedanken der Freier verwirrt. Durch die Beschreibung der Freier wird das kommende Massaker vorweggenommen. Der Seher Theoklymenos tritt auf als letztes Glied dreier Generationen von Wahrsagern (s.u.) 20, 349ff Situation: kollektive Verwirrung der Freier als „Vision“ des kommenden Massakers. Reaktion auf erneute Mahnung des Telemachos, vorhergesagt dann vom Theoklymenos Also sprach er. Und siehe, ein großes Gelächter erregte Pallas Athene im Saal und verwirrte der Freier Gedanken. Und schon lachten sie alle mit gräßlichverzuckten Gesichtern. Blutbesudeltes Fleisch verschlangen sie jetzo; die Augen Waren mit Tränen erfüllt, und Jammer umschwebte die Seele. ***** Vögel als Omina Im 2. Gesang werden von den Göttern (Zeus, denn die „Begleitmusik“ ist der auf diesen hinweisende Donner) zwei Adler als Bestätigung ihrer Anrufung durch Telemachos entsandt. Sie kündeten den Freiern ihr Verderben an, indem sie auf sie hinabschauen und sich dabei selber zerfleischen. 2,146ff Situation: Versammlung der Freier, Appell an Abzug, wenn nicht, dann Rache; Telemachos ruft Götter: Ob euch nicht endlich einmal Zeus eure Taten bezahle, Daß ihr in unserem Haus auch ohne Vergeltung dahinstürzt! Andreas A.Noll, Januar 2003 5
Also sprach er, da sandte der Gott weithallender Donner Ihm zween Adler herab vom hohen Gipfel des Berges. Anfangs schwebten sie sanft einher im Hauche des Windes, Einer nahe dem andern, mit ausgebreiteten Schwingen; Jetzo über der Mitte der stimmenvollen Versammlung, Flogen sie wirbelnd herum, und schlugen stark mit den Schwingen, Schauten auf aller Scheitel herab, und drohten Verderben, Und zerkratzten sich selbst mit den Klauen die Wangen und Hälse ***** Anders hingegen im folgenden Text. Hier wird das Deuten von glück- oder unglückverheißenden Zeichen – hier der Vögel- in Frage gestellt, wenn Halitherses ob seiner Voraussagen verhöhnt wird. Auch Halitherses selber wird unterstellt, er handele nicht ganz uneigennützig, da er von Odysseus vermutlich (aus ihrer Sicht, aber es entsprach ja auch durchaus den Tatsachen!) mit Versprechen reicher Belohnungen zumindest beeinflusst worden war. 2, 181ff: Situation: Verspottung der Weissagung des Halitherses durch Eurymachos, Drohung, Unterstellung der „Bestechlichkeit“ Deinen Söhnen daheim, daß ihnen kein Übel begegne! Dieses versteh ich selber, und besser als du, zu deuten! Freilich schweben der Vögel genug in den Strahlen der Sonne, Aber nicht alle verkünden ein Schicksal! Wahrlich Odysseus Starb in der Fern'! O wärest auch du mit ihm ins Verderben Und weiter in 2, 201: … Penelopeia zu drängen; denn siehe! wir zittern vor niemand, Selbst vor Telemachos nicht, und wär' er auch noch so gesprächig! Achten auch der Deutungen nicht, die du eben, o Alter, So in den Wind hinschwatzest! Du wirst uns nur immer verhaßter Unser schwelgender Schmaus soll wieder beginnen, und niemals ***** Eindrucksvolle Omina findet man wieder im 15. Gesang, wenn ein Adler mit einer fetten Gans erscheint. Die Gans ist ein Verweis auf die satten Freier, der Adler selbst erscheint dann in diesem Kontext wie oben auch schon nicht nur als Überbringer göttlichen Willens, sondern als Symbol für Odysseus selber. Der Adler fliegt hier rechts herum, wobei die rechte Seite generell schon im Altertum als glücksbringende Seite betrachtet wird. Als Seherin, bzw. Deuterin des Omens tritt eine Unbeteiligte, nämlich Helena in Erscheinung. 15, 160ff Andreas A.Noll, Januar 2003 6
Situation: Odysseus in Sparta bei Menalaos und Helena; Adler mit fettgefressener Gans; Menelaos als Krieger grübelt noch, Helena entpuppt sich als Seherin, Telemachos übernimmt: Dieses alles verkünden, sobald wir kommen. O fänd' ich, Heim gen Ithaka kehrend, auch meinen Vater zu Hause; Daß ich ihm sagte, wie ich von dir so gütig bewirtet Wiederkomm', und so viel, und köstliche Kleinode bringe! Sprach's; und zur Rechten flog ein heilweissagender Adler, 160 Welcher die ungeheure, im Hofe gemästete, weiße Gans in den Klauen trug; mit überlautem Geschreie Folgten ihm Männer und Weiber: er kam in stürmendem Fluge Rechtsher nahe den Rossen der Jünglinge. Als sie ihn sahen, Freuten sie sich, und allen durchglühete Wonne die Herzen. … 170 Aber Helena kam ihm zuvor; so sprach die Geschmückte: Höret; ich will euch jetzt weissagen, wie es die Götter Mir in die Seele gelegt, und wie's wahrscheinlich geschehn wird. Gleichwie der Adler die Gans, die im Hause sich nährte, geraubt hat, Kommend aus dem Gebirge, von seinem Nest' und Geschlechte: Also wird auch Odysseus, nach vielen Leiden und Irren, Endlich zur Heimat kehren und strafen; oder er kehrte Schon, und rüstet sich nun zu aller Freier Verderben. Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen: Also vollend' es Zeus, der donnernde Gatte der Here! O dann werd' ich auch dort, wie eine Göttin, dich anflehn! ***** Im 15. Gesang erscheint ein Habicht. Dieser Vogel ist Zeichen des Apoll, des Gottes des Orakelwesens, und auch dieser wird dem Odysseus gleichgestellt – wie weiter oben auch der Adler als Tier des Zeus´- und rupft die Tauben, d.h. die Freier. Auch der Habicht fliegt rechts herum als Zeichen des Glückes. 15, 525ff Situation: Bei Menelaos bei der Abreise aus Sparta, durch taubenrupfenden Habicht (Apoll) Gewissheit, dass kein anderer herrschen wird auf Ithaka Und er ist auch bei weitem der Edelste, wünscht auch am meisten Meine Mutter zum Weib , und Odysseus' Würde zu erben. Aber das weiß Kronion, der Gott des hohen Olympos, Ob vor der Hochzeit noch der böse Tag sie ereile! Sprach's; und rechtsher flog ein heilweissagender Vogel, Phöbos schneller Gesandte, der Habicht: zwischen den Klauen Hielt er und rupfte die Taub', und goß die Federn zur Erde Andreas A.Noll, Januar 2003 7
Zwischen Telemachos nieder und seinem schwärzlichen Schiffe. Eilend rief Theoklymenos ihn von den Freunden besonders, Faßte des Jünglings Hand, und erhub die Stimme der Weisheit: 530 Jüngling, nicht ohne Gott flog dir zur Rechten der Vogel; Denn ich erkenn' an ihm die heilweissagenden Zeichen! Außer eurem Geschlecht erhebt sich nimmer ein König In der Ithaker Volk; auf euch ruht ewig die Herrschaft! ***** Einen einfachen Verweis auf die Bedeutung des Fluges von Vögeln als Omina findet man im 17. Gesang: 17, 160 Situation: Theoklymenos berichtet Penelope von seiner Weissagung und bereitet sie so auf die Ankunft Odysseus´vor. Dieses ersah ich, sitzend im schöngebordeten Schiffe, Aus des Vogels Fluge, und sagt' es Telemachos heimlich. Ihm antwortete drauf die kluge Penelopeia: Fremdling, erfülleten doch die Götter, was du geweissagt! Dann erkenntest du bald an vielen und großen Geschenken ***** Ein linksherum fliegender und somit Unglück verheißender Adler erscheint im 20. Gesang und bestätigt die Befürchtungen des Amphinomos (dessen Name an sich eigentlich schon als ein Omen für die in ihm offenbar werdenden widersprüchlichen Gedanken einiger Freier zu sehen ist). Er plädiert daraufhin dafür, lieber weiter zu schwelgen. 20, 242ff Situation: Planung des Mordes an Telemachos durch die Freier Also besprachen diese sich jetzo untereinander. Und die Freier beschlossen, Telemachos heimlich zu töten. Aber linksher kam ein unglückdrohender Vogel, Ein hochfliegender Adler, und hielt die bebende Taube. Als ihn Amphinomos sahe, da sprach er zu der Versammlung: ***** Im 24. Gesang tauchen in der von Odysseus für seinen Vater erfundenen Geschichte ebenfalls die „heilweissagenden“ Vögel auf: 24, 311 Andreas A.Noll, Januar 2003 8
Situation: Erfundene Geschichte Odysseus vor der Offenbarung gegenüber seinem Vater Armer Freund! Und ihm flogen doch heilweissagende Vögel, Als er zu Schiffe ging: drum sah ich freudig ihn scheiden, Und er freute sich auch; denn wir hofften, einer den andern Künftig noch oft zu bewirten, und schöne Geschenke zu wechseln Ortsgebundene Omina Lediglich einmal, im 19. Gesang findet man einen Hinweis auf ortegebundene Orakelstätten, das Zeus-Orakel von Dodona und die dortigen heiligen Eichenhaine: 19, 296 Situation: Andeutung seiner eigenen Ankunft gegenüber Penelope, erneuter Verweis auf ein (angebliches?) Orakel in Dodona: Solch ein unendlicher Schatz lag dort im Hause des Königs! Jener war, wie es hieß, nach Dodona gegangen, aus Gottes Hochgewipfelter Eiche Kronions Willen zu hören: Wie er in Ithaka ihm, nach seiner langen Entfernung, Heimzukehren beföhle, ob öffentlich oder verborgen. B. Weissagungen Den ersten Hinweis in der Odyssee auf Weissagungen finden wir im 1. Gesang in der Empfehlung Athenes an Odysseus, auf selbige im Verlauf seiner Reise zu achten. Hiermit wird dem Leser auch ein Hinweis auf den besonderen Stellenwert der Orakel und Weissagungen zu achten, denn sie ermöglichen eine Verknüpfung und „Vernetzung“ der gesamten Odysse: es wird vor- und zurückgegriffen, immer wieder Bezug genommen zu Weissagungen und deren Erfüllung. So erhält die gesamte Odyssee ihren erzählerischen Zusammenhang und eine kontinuierlich aufgefrischte Spannung. Die erwähnte „ossa“, auf die Odysseus zu achten hat, ist das „Gerücht“, das „Hörensagen“, wird aber auch „Prophezeiung“ oder „göttliche Stimme“ übersetzt. l,282 Situation: Empfehlung Athenes an Telemachos zum weiteren Procedere Rüste das trefflichste Schiff mit zwanzig Gefährten, und eile, Kundschaft dir zu erforschen vom langabwesenden Vater; Ob dir's einer verkünde der Sterblichen, oder du Ossa, Zeus' Gesandte, vernehmest, die viele Gerüchte verbreitet. Erstlich fahre gen Pylos, und frage den göttlichen Nestor, ***** Andreas A.Noll, Januar 2003 9
Im 3. Gesang wird in der Erzählung Nestors, des Mitstreiters Odysseus´in Troja eher unspezifisch von „Zeichen der Göttern“ gesprochen: 3, 173f Situation: Nestor berichtet von seiner glücklichen Heimkehr aus Troja, nachdem sie Poseidon geopfert haben: Ob wir oberhalb der bergichten Chios die Heimfahrt Lenkten auf Psyria zu, und jene zur Linken behielten; Oder unter Chios, am Fuße des stürmischen Mimas. Und wir baten den Gott, uns ein Zeichen zu geben; und dieser Deutete uns, und befahl, gerade durchs Meer nach Euböa Hinzusteuern, damit wir nur schnell dem Verderben entflöhen. ***** Ebenfalls an dieser Stelle wird der Stellenwert potentieller göttlicher Omina und Weissagungen für das Verhalten der Bevölkerung Ithakas hervorgehoben: 3, 215/ 16, 96 Situation: Nestor fragt Telemachos, warum er das Verhalten der Freier toleriert. Etwa aufgrund einer göttlichen Weisung? Sprich, erträgst du das Joch freiwillig, oder verabscheun Dich die Völker des Landes, gewarnt durch göttlichen Ausspruch? Aber wer weiß, ob jener nicht einst, ein Rächer des Aufruhrs, ***** Während in der eigentlichen Irrfahrt des Odysseus nur einmal das (Zeus-)Orakel von Dodona erwähnt wird, erfolgt in der Rückschau des Sängers bei den Phäaken auf das Geschehen vor Troja ein Verweis auf das Apollon-Orakel von Delphi. 8, 79 Situation: Retrospektive durch Sänger bei den Phäaken: Agamemnon erfährt in Delphi den Beschluss der Götter, Troja fallen zu lassen Wählt' er Odysseus' Zank und des Peleiden Achilleus: Wie sie einst miteinander am festlichen Mahle der Götter Heftig stritten, und sich der Führer des Heers Agamemnon Herzlich freute beim Zwiste der tapfersten Helden Achaias. Denn dies Zeichen war ihm von Phöbos Apollon geweissagt, In der heiligen Pytho, da er die steinerne Schwelle Forschend betrat; denn damals entsprang die Quelle der Trübsal Für die Achaier und Troer, durch Zeus des Unendlichen Ratschluß. Andreas A.Noll, Januar 2003 10
***** Auf die wahrsagerischen Fähigkeiten des Sehers Teiresias wird von Athene im 10. Gesang verwiesen. Teiresias hat durch die Gattin des Hades, Persephone, selbst in der Unterwelt die Gabe behalten, die Zukunft vorauszusagen. Allerdings- so wird später in der Odyssee deutlich- kann er dieses nur, wenn er Blut getrunken hat. 10, 492ff Situation: Athene gibt Weisungen an Odysseus und Kirke, Teiresias aufzusuchen im Hades Aber ihr müßt zuvor noch eine Reise vollenden, Hin zu Aïdes' Reich und der strengen Persephoneia, Um des thebäischen Greises Teiresias' Seele zu fragen, Jenes blinden Propheten, mit ungeschwächtem Verstande. Ihm gab Persephoneia im Tode selber Erkenntnis; Und er allein ist weise: die andern sind flatternde Schatten. ……… 535 Aber du reiße schnell das geschliffene Schwert von der Hüfte, Setze dich hin, und laß die Luftgebilde der Toten Sich dem Blute nicht nahn, bevor du Teiresias ratfragst. Und bald wird der Prophet herwandeln, o Führer der Völker Daß er dir weissage den Weg und die Mittel der Reise ***** Im 14. Gesang klagt der Sauhirte über das Verhalten der Freier, sie handeln gegen die Weisungen der Götter. Der Verweis auf ein „schlechtes Gewissen“ in der Übersetzung von Heinrich Voß – ist als eine aus dem christlichen Denken kolportierte Überinterpretation zu betrachten. In der Übersetzung von Weiher (1961) heißt es dagegen: „ Deren Gedanken befällt wohl kräftige Furcht vor Entdeckung“ statt „Fühlen dennoch im Herzen die Macht des empörten Gewissens!“. 14, 89 Situation: Odysseus beim Sauhirten; jeder Räuber müsste eigentlich ein schlechtes Gewissen haben, anders die Freier… Selbst die barbarischen Räuber, die durch Kronions Verhängnis An ein fremdes Gestad' anlandeten, Beute gewannen, Und mit beladenen Schiffen die Heimat glücklich erreichten, Fühlen dennoch im Herzen die Macht des empörten Gewissens! Aber diesen entdeckte vielleicht die Stimme der Götter Jenes traurigen Tod, da sie nicht werben, wie recht ist, Und zu dem Ihrigen nicht heimkehren; sondern in Ruhe Fremdes Gut unmäßig und ohne Schonen verprassen. Alle Tag' und Nächte, die Zeus den Sterblichen sendet, Opfern die Üppigen stets, und nicht ein Opfer, noch zwei bloß! Andreas A.Noll, Januar 2003 11
Ebenfalls im 14. Gesang wird Zeus selber die Gabe der Vorsehung zugeschrieben. Dieses ist insofern von Wichtigkeit, als die Götter somit nicht uneingeschränkt in der Lage waren, das Schicksal zu bestimmen, sondern auch Moira unterworfen waren. 14, 237 Situation: Lügengeschichte des Odysseus an den Sauhirten über Kriegszug eines Kreters nach Troja. Aber da Zeus' Vorsehung die jammerbringende Kriegsfahrt Ordnete, welche das Leben so vieler Männer geraubt hat; Da befahlen sie mir, mit Idomeneus, unserm Beherrscher, Führer der Schiffe zu sein gen Ilios; alle Versuche Mich zu befrein mißlangen; mich schreckte der Tadel des Volkes. ***** Der 16. Gesang mit der Versammlung der Freier verweist ebenfalls auf die Möglichkeit, eine Entscheidungshilfe durch Befragung der Götter zu bekommen. 16, 402 Situation: Amphinomos verweist auf Hinweis der Götter, ob die Freier Telemachos töten sollen. Lieben, ich wünschte nicht, daß wir Telemachos heimlich Töteten; fürchterlich ist es, ein Königsgeschlecht zu ermorden! Aber laßt uns zuvor der Götter Willen erforschen. Wann der ewige Rat des großen Kronions es billigt, Dann ermord' ich ihn selber, und rat' es jedem der andern: ***** Im 18. Gesang sieht Amphinomos – oder ahnt zumindest- sein Schicksal voraus. 18, 153f; Situation: Amphinomos ahnt, was geschieht, nachdem Odysseus ihn auf das Gesetzlose verwiesen hat 150 Also sprach er, und goß des süßen Weines den Göttern, Trank, und reichte den Becher zurück dem Führer der Völker. Dieser ging durch den Saal mit tiefverwundeter Seele, Und mit gesunkenem Haupt; denn er ahnete Böses im Herzen. Dennoch entrann er nicht dem Verderben; ihn fesselt' Athene, 155 Daß ihn Telemachos' Hand mit der Todeslanze vertilgte. Und er setzte sich nieder auf seinen verlassenen Sessel. Andreas A.Noll, Januar 2003 12
c. Seher in der Odyssee Die in der Odyssee erwähnten Seher Teiresias, Halitherses sowie Oikles mit seinen Vorfahren und Nachkommen sind als historische Vorläufer des Priestertums zu betrachten. Sie hatten neben ihren besonderen Fähigkeiten der Weissagung die Aufgabe, Opfergaben und –kulte festzulegen. Dieses wurde möglich, weil sie auf Grund ihrer eigenen Geschichte eine besondere Beziehung zu den Göttern errichten konnten. Besonders auf Teiresias trifft dieses zu, bei der Seherfamilie des Oikles lässt der Wahnsinn des Familiengründers Melampus den Schluß zu, dass wie bei Schamanen eine zeitweise pathologische Realitätsferne im Sinne von „Verrücktheitszuständen“ eine aussschlaggebende Rolle gespielt hat.2 Siehe hierzu auch die später folgenden Begriffsdefinitionen. Teiresias Der Name des Teiresias selber weist schon auf seine Fähigkeiten hin: teiros bedeutet „himmlische Konstellationen, Zeichen“. Teiresias stammt aus Theben und hat die Familie des Ödipus beratend begleitet, aber auch viele Generationen seiner Herrscherfamilie mehr. Teiresias war blind, und über die Entstehung seiner Blindheit existieren verschiedene Mythen. So war seine Mutter eine Freundin der Athene. Als Halbwüchsiger (mit „Bartpflaum“) hat er nun einmal seiner Mutter und Athene beim Baden zu gesehen. Er sah etwas, was er nicht sehen durfte – und wurde mit Blindheit von Athene bestraft. Ebenso wie Ödipus sich selber blendete, nachdem er das Verbotene gesehen und erkannt hatte. Eine andere Geschichte berichtet, dass Teiresias zwei Schlangen beim Kopulieren zugesehen und sie anschließend getötet hatte. Auch dieses Zuschauen war offensichtlich etwas Verbotenes, denn daraufhin wurde er in für 7 Jahre in ein Schlangenweibchen verwandelt. Danach wieder zum Menschen geworden, geschah dasselbe noch einmal, und dieses Mal wurde er für 7 Jahre in ein Schlangenmännchen verwandelt. In einer Diskussion zwischen Zeus und Hera ging es dann um die Frage, ob er als Frau oder als Mann mehr Freude bei der Liebe verspürt hatte. Als Teiresias betonte, er habe als Frau weitaus mehr Freude gehabt, bestrafte ihn die empörte Hera für diese Aussage mit Blindheit, Zeus wiederum gab ihm eine relative Unsterblichkeit für 7 Generationen. Auch in der Unterwelt durfte er durch die Vermittlung Persephones die Sehergabe behalten und nach dem Genuss von Opferblut auch Odysseus gegenüber benutzen. Im 10. Gesang (10.492, siehe oben) der Odyssee wird Teiresias erstmailug von Athene erwähnt. Er hat im Folgenden eine entscheidende Rolle inne bei der Rückkkehr des Odysseus ebenso wie in dieser zentralen Stelle der Erzählung. Später (10.542ff) wird in der Weisung Athenes beschrieben, wie Odysseus sich zu verhalten habe, damit Teiresias allein vor den anderen Seelen im Hades in den Genuss des Opferblutes kommen kann, um den weiteren Verlauf der Reise und mögliche Gefahren vorauszusagen. 2 Man verzeihe mir die Analogie und vielleicht die Überinterpretation. Andreas A.Noll, Januar 2003 13
Im 11. Gesang (11.90 ff) schließlich im Hades antwortet Teiresias auf die Fragen Odysseus. Er wird beschrieben mit dem goldenen Stab aus Kornelkirschenholz, den ihm Athene zum Ausgleich für seine Blindheit (s.o.) ebenso wie seine Sehergabe gegeben hatte. Jetzo kam des alten Thebäers Teiresias’ Seele. Haltend den goldenen Stab; er kannte mich gleich, und begann so: Edler Laertiad’, erfindungsreicher Odysseus, Warum verließest du doch das Licht der Sonne, du Armer, Und kamst hier, die Toten zu schaun und den Ort des Entsetzens? 95 Aber weiche zurück, und wende das Schwert von der Grube, Daß ich trinke des Blutes, und dir dein Schicksal verkünde. Also sprach er; ich wich, und steckte das silberbeschlagene Schwert in die Scheid’. Und sobald er des schwarzen Blutes getrunken, Da begann er und sprach, der hocherleuchtete Seher: Neben den Vorhersagen gibt Teiresias im Hades dem Odysseus aber auch eindeutige Warnungen und Empfehlungen. Die Schlachtung der Rinder des Helios (12.267 ff) geschah trotz der eindringlichen Mahnung des Teiresias und auch der Kirke. 265 Hört’ ich schon das Gebrüll der eingeschlossenen Rinder, Und der Schafe Geblök. Da erwacht’ in meinen Gedanken Jenes thebäischen Sehers, des blinden Teiresias’ Warnung, Und der ääischen Kirke, die mir aufs Strengste befohlen, Ja die Insel zu meiden der menschenerfreuenden Sonne. 270 Und mit trauriger Seele begann ich zu meinen Gefährten: Höret meine Worte, ihr teuren Genossen im Unglück, Daß ich euch sage, was mir Teiresias’ Seele geweissagt, Und die ääische Kirke, die mir aufs Strengste befohlen, Ja die Insel zu meiden der menschenerfreuenden Sonne; Halitherses Halitherses erscheint im 2. Gesang bei der Versammlung der Freier als offensichtlicher Spezialist für Vogelflüge und Vorhersagen. Beschrieben wird er lediglich als Sohn des Mastor und als alter Freund des Odysseus (17,68). Unter ihnen begann der graue Held Halitherses, Mastors Sohn, berühmt vor allen Genossen des Alters, 160 Vögelflüge zu deuten, und künftige Dinge zu reden; Andreas A.Noll, Januar 2003 14
Dieser erhub im Volk die Stimme der Weisheit, und sagte: Höret mich jetzt, ihr Männer von Ithaka, was ich euch sage! Aber vor allen gilt die Freier meine Verkündung! Ihre Häupter umschwebt ein schreckenvolles Verhängnis! 17,65 Um ihn versammelten sich die übermütigen Freier, Die viel Gutes ihm sagten, und Böses im Herzen gedachten. Aber Telemachos mied der Heuchler dichtes Gedränge, Und ging hin zu Mentor und Antiphos und Halitherses, Welche von Anbeginn des Vaters Freunde gewesen, ***** Im 24. Gesang appelliert Halithereses, nachdem er auf seine Vorhersagen verwiesen hat, an die Bevölkerung Ithakas, nicht dem Odysseus nachzustellen. Unter ihnen begann der graue Held Halitherses, Mastors Sohn, der allein Zukunft und Vergangenes wahrnahm; Dieser erhub im Volke die Stimme der Weisheit, und sagte: Höret mich an, ihr Männer von Ithaka, was ich euch sage! Eurer Trägheit halben, ihr Freund’, ist dieses geschehen! 455 Denn ihr gehorchtet mir nicht, noch Mentor dem Hirten der Völker, Daß ihr eurer Söhn’ unbändige Herzen bezähmtet, Welche mit Unverstand die entsetzlichen Greuel verübten, Da sie die Güter verschwelgten, und selbst die Gemahlin entehrten Jenes trefflichen Manns, und wähnten, er kehre nicht wieder. 460 Nun ist dieses mein Rat; gehorcht mir, wie ich euch sage: Eilt ihm nicht nach, dass keiner sich selbst das Verderben bereite! Andreas A.Noll, Januar 2003 15
Melampus, Oikles Melampus („Schwarzfuss“) stammte aus Pylos und wurde von den Rachegöttinnen Erinnyen mit Wahnsinn bedacht, nachdem er für seinen Bruder um die Tochter des Neleus geworben hatte. Der Sage nach wurde er zum Seher, nachdem ihm Schlangen in die Ohren gekrochen waren. Seither konnte er die Sprache der Tiere verstehen und den Vogelflug beurteilen. Im Folgenden seine Genealogie: – Söhne: Antiphates, Mantios Sohn des Antiphates: Oikles – Sohn des Oikles: Amphiaraos, vor Theben durch Frau umgebracht Söhne des Mantios: Polypheides, Kleitos Kleitos von Eos entführt wg. Schönheit zum Sitz der Götter – Polypheidos: Seher nach Tod des Amphiaraos, Streit mit Vater, nach Hyperesia gezogen Sohn: Theoklymenos, zunächst als Fremdling auf Odysseus´Schiff, aus Argos geflohen, nachdem er dort jemanden getötet hatte Bei der Abfahrt nach Ithaka taucht Theoklymenos bei Odysseus auf und möchte auf dessen Schiff mitgenommen werden. Im folgenden wird das Sehergeschlecht detailliert beschrieben: 15, 220 Stiegen eilend ins Schiff, und setzten sich hin auf die Bänke. Also besorgt’ er dieses, und opferte Pallas Athenen Flehend hinten am Schiff. Und siehe, ein eilender Fremdling Nahte sich ihm, der aus Argos entfloh, wo er jemand getötet. Dieser war ein Prophet, und stammte vom alten Melampus, 225 Welcher vor langer Zeit in der schafegebärenden Pylos Wohnete, mächtig im Volk, und prächtige Häuser beherrschte. Aber sein Vaterland verließ er, und floh in die Fremde, Vor dem gewaltigen Neleus, dem Stolzesten aller die lebten, Welcher ein ganzes Jahr mit Gewalt sein großes Vermögen 230 Vorenthielt; indes lag jener in Phylakos Wohnung, Hartgefesselt mit Banden, und schwere Leiden erduldend, Wegen der Tochter Neleus’, und seines rasenden Wahnsinns, Welchen ihm die Erinnys, die schreckliche Göttin, gesendet. Dennoch entfloh er dem Tod’, und trieb aus Phylakes Auen 235 Heim die brüllenden Rinder gen Pylos, strafte den Hochmut Neleus’ des Göttergleichen, und führte dem Bruder zur Gattin Seine Tochter ins Haus. Er aber zog in die ferne Andreas A.Noll, Januar 2003 16
Rossenährende Argos; denn dort bestimmte das Schicksal Ihm forthin zu wohnen, ein Herrscher vieler Argeier. 240 Allda nahm er ein Weib, und baute die prächtige Wohnung, Zeugte Antiphates dann und Mantios, tapfere Söhne! Aber Antiphates zeugte den großgesinnten Oikles, Und Oikles den Völkererhalter Amphiaraos. Diesen liebte der Donnerer Zeus und Phöbos Apollon 245 Mit allwaltender Huld; doch erreicht’ er die Schwelle des Alters Nicht; er starb vor Thebä, durch seines Weibes Geschenke. Seine Söhne waren Amphilochos und Alkmäon. Aber Mantios zeugte den Polypheides und Kleitos. Diesen Kleitos entführte die goldenthronende Eos, 250 Seiner Schönheit halben, zum Sitz der unsterblichen Götter. Aber auf Polypheides, dem Hocherleuchteten, ruhte Phöbos’ prophetischer Geist, nach dem Tode des Amphiaraos. Zürnend dem Vater, zog er gen Hyperesia, wohnte Und weissagete dort den Sterblichen allen ihr Schicksal. 255 Dessen Sohn, genannt Theoklymenos, nahte sich jetzo, Trat zu Telemachos hin, der dort vor Pallas Athene Heiligen Wein ausgoß und betete, neben dem Schiffe; Und er redet’ ihn an, und sprach die geflügelten Worte: Lieber, weil ich allhier beim heiligen Opfer dich finde; 260 Siehe, so fleh’ ich dich an, beim Opfer und bei der Gottheit, Deinem eigenen Heil’, und der Freunde, welche dir folgen: Sage mir Fragendem treulich und unverhohlen die Wahrheit! Wer, wes Volkes bist du? Und wo ist deine Geburtstadt? Andreas A.Noll, Januar 2003 17
II. Begriffsbestimmungen Die folgenden Ausführungen sollten dazu dienen, die im Sprachgebrauch benutzen Begriffe für den gesamten Bereich Wahrsagerei-Prophetie zumindest ansatzweise zu klären. Bei der Abfassung der Arbeit stellte sich heraus, dass dieses kein so einfaches Unterfangen ist, wie es anfangs schien. Der Sprachgebrauch scheint sehr wenig einheitlich zu sein, vielerorts verschwimmen die Begriffe und werden auch synonym gebraucht. Dennoch- ein Versuch: Omen „Omen“ ist ein mehr oder weniger beliebiges Phänomen, das zur Erklärung des Willens der Götter herangezogen werden kann. Es beruht auf der Grundannahme des Parallelismus aller Dinge. Das heißt, dass Vorgänge auf der Erde auf ebensolche Geschehnisse und Prozesse im Himmel und somit auf den Willen und das Verhalten der Götter hinweisen. Dieser Parallelismus ist „automatisch“ und immer vorhanden. Er kann vom betrachtenden Menschen zufällig entdeckt oder bewusst herbeigeführt werden. Die folgenden Omina sind –nicht nur im antiken Griechenland- hervorzuheben: Erdbeben Blitzschlag, Unwetter, Donner – gerade Blitz und Donner waren Omina, die den Willen von Zeus kundtaten Überschwemmungen Kometen, Meteore Träume, Heilschlaf – auch die im Heilschlaf (Delphi, Epidauros u.a.) aufgetretenen Träume wurden als Omina herangezogen Opferbeschau (Verhalten der Opfertiere, Eingeweide, Leber) – im Zusammenhang mit der Odyssee sei hier auch das frevelhafte Opfer der Rinder des Helios erwähnt Verhaltensweisen von Menschen und Tieren – auch zufällige Verhaltensäußerungen, wie beispielsweise das Niesen des Telemachos Feuer und Rauch bei Opfern Vögel, Bienen – in der Odyssee sehr häufige Omina (s.o.) Ortsgebunden (heiliger Baum, Losorakel, Opferflamme, Befragung, Heilschlaf)- nahezu alle Tempel in der griechischen Antike wurden für das Orakelwesen und die Deutung von Omina benutzt; erwähnt werden explizit in der Odyssee die Orakel von Delphi und Dodona. Orakel Als „Orakel“ wird sowohl das Orakelwesen („Orakel von Delphi“) als auch der Orakelspruch bezeichnet. Ein Orakel setzt umfangreiches Wissen über die Deutung von Omina und den oben aufgeführten Parallelismus voraus. In den Mythen wurde dieses Wissen häufig erlangt durch den Kontakt mit den Göttern (z.B. Teiresias). Ziel des Orakels ist die Erkundung des Künftigen, Entfernten und somit des Willens der Götter. In Rom kam der ethymologisch verwandte Begriff des „Numen“ (lat. Nuo, sich neigen) auf. Ein Andreas A.Noll, Januar 2003 18
Numen ist der einem Phänomen zugrunde liegende religiöse Sinn. Durch Deutung von Omina ist es möglich, im Orakel zu erfahren, ob die Gottheit „geneigt“ ist. Ein Orakel ist darüber hinaus an festgelegte Orte und Termine gebunden. Es wird durch Seher ausgesprochen, ggf. auf Grundlage einer Fragestellung. Spenden sind durchaus möglich an den Seher, aber es leitet sich daraus kein Anspruch auf das Orakel ab. Mantik Der Begriff „Mantik“ stammt etymologisch von gr. mainomai-rasen ab und findet sich heute beispielsweise im Begriff „Manie“ als Bezeichnung für einen Zustand agitierter Raserei wieder. Er setzt die Teilhabe an göttlichem Wissen voraus, also eine angeborene oder erworbene Fähigkeit, Zugang zu dem Willen der Götter erlangen zu können. In Differenzierung zum Orakelwesen handelt es sich bei der Mantik eher um eine Technik. Die Trennung von Körper und Seele, herbeigeführt durch Rauschmittel, Schlaf oder psychische Alterationen wurde zur Ermittlung eines göttlichen Willens genutzt. Die Mantik ist das Ritual der kultischen Feststellung des Willens der Götter insgesamt, vor allem aber von Zeus und Apoll, der als Gott der Orakel besonders für Entsühnung und Reinigung zuständig war. Auf zwei Wegen konnten so Hinweise auf den Willen der Götter mittels der Mantik gewonnen werden: Intuitiv – Träume und Visionen ergaben spontane Hinweise und Omina Induktiv – Gezielte Suche nach Omina und – die Bescheide aus Opferschau nach konkreter Fragestellung etc. Prophezeiungen Prophezeiungen hingegen sind im Allgemeinen weniger als Interpretationen eines göttlichen Willens, sondern als Vorhersagen von zukünftigen Ereignissen definiert. Sie setzen beim Propheten in der Regel ein Sendungsbewusstsein voraus, nicht selten auch ekstatische Zustände, wie sie aber auch in der Mantik genutzt oder hervorgerufen werden. Visuelle oder akustische Wahrnehmungen – auch hier ist die Abgrenzung zu den erstgenannten Begriffen sehr schwierig- dienen dem „Blick in die Zukunft“. Literatur: I. Odyssee, Übersetzung von Anton Weiher, Heimeran-Verlag, 1961 Odyssee, Übersetzung von Heinrich Voß, Insel-Verlag, 1990 II. Bertholet, Wörterbuch der Religionen, Kröner-Verlag, Stuttgart 1985 Kerenyi, Die Mythologie der Griechen, DTV, München 1966 Andreas A.Noll, Januar 2003 19
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