Topophilia - Miriam Walcherberger-Kößler

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Topophilia - Miriam Walcherberger-Kößler
Topophilia

oder die Liebe
zum Raum

eine
Masterarbeit zur
Erlangung des
akademischen
Grades
Master of Arts

                   unter Betreuung von                       Linz,
                   Univ.-Prof. Mag.art.            im Jänner 2018
                   Gilbert Bretterbauer

                   in der Abteilung                         Miriam
                   textil.kunst.design.       Walcherberger-Kößler

                   Kunstuniversität Linz
Topophilia - Miriam Walcherberger-Kößler
Topophilia - Miriam Walcherberger-Kößler
1.     Einleitung                                                      2
1.1.    Abstract                                                       5

2.     Topophilia                                                      8
2.1.    Topophilia – eine Installation                                 8
2.2.    Topophilia – die Definition                                   10
2.3.    Topophilia – die Beschreibung der Arbeit                      11
2.4.    Topophilia – und die Liebe zum Material                       16
2.5.    Topophilia – das Weben als meditativer Prozess                18
2.6.    Topophilia – ein atmosphärischer Raum                         20
2.7.    Topophilia – ein sakraler Raum?                               22
2.8.    Topophilia – das Spiel zwischen Raum schaffen und abgrenzen   25
2.9.    Topophilia – ein Rückschluss                                  27
2.10.   Topophilia – Bildmaterial                                     28

3.     Raumtheorien                                                   32
3.1.    Der mathematische Raumbegriff                                 33
3.2.    Physikalische und metaphysikalische Raumtheorien              34

4.     Künstler und Installation – eine Auswahl                       39
4.1.    Bruce Nauman                                                  40
4.2.    Joseph Beuys                                                  42
4.3.    Ernesto Neto & the Huni Kuin                                  44

5.     Abbildungsverzeichnis                                          46

6.     Literaturverzeichnis                                           47
Topophilia - Miriam Walcherberger-Kößler
1. Einleitung

   Ausgehend vom Interesse, was können Räume sein, was machen
Räume mit Menschen, ist die Arbeit „Topophilia“ entstanden.
   Ausgangspunkt der Arbeit waren diverse Texte in der Raumtheorie,
die weiter unten in einem Abriss zusammengefasst wurden.

   Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit dem zentralen Thema
Raum, dabei handelt es sich bei der Installation um einen aus Leinen
gewebten textilen, weißen Raum. Kern der Arbeit war es, einen sakral
anmutenden Raum zu generieren, der als „Anwesenheitsort höherer
Macht“ fungiert.
„Topophilia“ bedeutet frei übersetzt, die persönliche Beziehung zu einem
geliebten Ort. Es wurde ein Raum geschaffen, der zum Verweilen einlädt
und zum (Er)Fühlen anregt.

       Ein zentrales Thema der Arbeit ist, das Abgrenzen von Raum mit
fragilem Textil, um Raum zu schaffen für etwas Übermenschliches,
vielleicht sogar etwas Paranormales. Im weitesten Sinne kann man
„Topophilia“ auch als eine Art Tempel, einen heiligen Ort, bezeichnen.
       Die Arbeit zielt darauf ab, das relativ Bestimmungslose zu
bestimmen, freien Raum einzugrenzen.

Ein weiterer wichtiger Punkt an der Arbeit ist, da es sich um eine
Installation handelt, den Betrachter in das Raumgefüge eingreifen zu
lassen, und ihn zum Akteur zu transformieren.

                                                                           2
Topophilia - Miriam Walcherberger-Kößler
Grenzen zwischen dem Werk und dem Betrachter sollen verschwimmen
bzw. verschwinden.

Im Gegensatz zur traditionellen Plastik lösen sich die Grenzen zwischen
Werk und Betrachterumfeld auf.

Zusätzlich verschmilzt „Topophilia“ mit dem Umraum zu einem Raum,
ohne dabei an Eigenständigkeit zu verlieren.

            „wenn der schwierige raum keine ausstellung im herkömmlichen
sinn ist, was ist er dann? die sichtbarmachung von acht positionen zu der
vom kunsthaus muerz für ausstellungen zur verfügung gestellten
architektur mithilfe der jeweils gezeigten künstlerischen praxis? … alle
warten auf den kurator, dem projekt sinnhaftigkeit zu geben, und, ganz
seiner absicht entsprechend, ergibt sich diese wie von selbst schon aus
der tatsache, dass kunstwerke beziehungen zu ihrem umraum und
darüber hinaus untereinander herstellen und fragen, die gar nicht gestellt
wurden, auf ganz wundersame weise beantworten.“ 1

Eine grundsätzliche Fragestellung, die mit dieser Arbeit behandelt wurde:
Warum genau einen textilen, weichen Raum schaffen?

Um Spannungen zu erzeugen, die in Haptik und Materialität Irritationen im
Betrachter bzw. Akteur hervorrufen und um mit der Sinneswahrnehmung
deren zu spielen.

1
    http://www.schlebruegge.com/de/content/der-schwierige-raum
                                                                             3
Topophilia - Miriam Walcherberger-Kößler
Ohne diese Weichheit des Raumes, würde der Betrachter nicht
zum Akteur transformiert werden können, und Empfindungen würden im
Betrachter nicht entstehen.
Textiles spricht alle Sinne an, nicht nur den Visuellen.

„Topophilia“ ist eine textile Verräumlichung mit intensiver Formensprache,
es ist ein Raum, der im weitesten Sinne in seinem Format an ein
Kirchenhauptschiff erinnert.

Die Materialität des weißen Leinentextils wurde gewählt, um alle Sinne
anzusprechen, um eine Atmosphäre zu generieren, die Wohlbefinden im
Betrachter auslöst, einen transzendentalen Raum zu schaffen, der zum
Verweilen und Fühlen einlädt.

Der weiße Raum, der durch den manuellen Prozess des Webens
entstanden ist, kann als Metapher für Entschleunigung stehen.
Das Weben des Raumes wird als meditativer Prozess gesehen, eine Art
Auszeit von der Härte gewöhnlicher Räume, die auch auf den Betrachter
übergehen soll.

Letzten Endes entstand ein nahezu architektonischer Raum, der die
Interaktion zwischen den Benutzern fördert und verändert. Der
abgegrenzte Raum soll nicht als Grenze gesehen werden, sondern als ein
Ort der Empfindungen, des Austauschs und der Kontinuität.

„Topophilia“ ist als Ordnung und Kontext zu sehen. Der Raum ist Ortung.
Die Arbeit ist Verortung von Gefühlen in einem weichen Raum.
                                                                             4
Topophilia - Miriam Walcherberger-Kößler
1.1.    Abstract

Based on the interest, what spaces can be, what spaces do to people, the
artwork ‘Topophilia’ was originated.
Starting point of the work, were various texts in the theory of space, which
were summarized below in an outline.

The present work deals with the central theme of space. The artwork is a
linen woven white space, or rather a room. The root of the matter was to
generate a sacral-looking space, that functions as the “present of a higher
power”.

“Topophilia” means, freely translated, the personal relationship between
people and a beloved place. A space has been created that invites you to
linger and inspire.

A central theme of the artwork is the delineation of space with a fragile
textile to make room for something superhuman, maybe even something
paranormal. In the broadest sense, “Topophilia” can also be described as
a kind of temple, a sacred place.
The artwork aims to determine the relatively undetermined, to narrow
space.

Another important aspect of the work, as it is an installation, is to let the
viewer intervene in the spatial structure and transform themselves into
actors.

                                                                                5
Topophilia - Miriam Walcherberger-Kößler
The boundaries between work and the viewer blur or start to disappear, in
contrast to traditional sculptures.

In addition, “Topophilia” merges with the surrounding space into a space
without losing its independence.

A fundamental question that has been dealt with in this work:
Why exactly creating a textile, soft space?

The answer is to create tensions that cause irritation in the viewer or actor
in terms of feel and materiality and to play with their sense of perception.

Without the softness of this work, the viewer would not be transformed into
an actor, and sensations would not arise in the viewer.

“Topophilia” is a textile spatialization with an intense language of forms; it
is a space reminiscent of a nave in its widest sense in its format.

The material linen was chosen to appeal all senses, to create an
atmosphere that evokes well-being in the viewer, to create a
transcendental space that invites one to linger and feel.

The white space created by the manual process of weaving can serve as a
metaphor for deceleration.
The weaving of the space is seen as a meditative process, a kind of break
from the hardness of ordinary spaces, which should also pass to the
viewer.
                                                                                 6
Topophilia - Miriam Walcherberger-Kößler
In the end, an almost architectural space emerged that encourages and
changes the interaction between users.
The deliminated space should not be seen as a border, but as a place of
sensations, of exchange and of continuity.

“Topophilia” is to be seen as order and context.
The artwork is provoking feelings in a soft space.

                                                                          7
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2. Topophilia

       2.1.       Topophilia – eine Installation

       Mittlerweile ist die Installation eine der häufigsten gebrauchten
Kategorisierungen in der Kunst. Der noch recht junge Begriff, seit dem
Minimalismus, umfasst alle Phänomene künstlerischer Arbeiten, die auf
den Raum bezogen sind, oder auf sehr explizite Art und Weise den
Betrachterraum miteinbeziehen. Das bedeutet, im Gegensatz zur
traditionellen Plastik, lösen sich die Grenzen zwischen Werk und
Betrachterumfeld auf. 2

       Die Installation ist ein meist raumübergreifendes, ortsgebundenes
dreidimensionales Kunstwerk, die oft Bezug auf Orte im Innen- und
Außenraum und Situationen nimmt.
In einer Rauminstallation wird der Raum zum vollständigen Bestandteil
des Kunstwerkes, das bedeutet, dass sich der Raum nicht mehr vom
Kunstwerk trennen lässt.3

             Juliane Rebentisch schreibt in ihrer Arbeit „Ästhetik der
Installation“: „Installationen lassen sich als raumgreifende Kunstwerke
bezeichnen, die von Künstler/innen im institutionellen oder öffentlichen
Raum arrangiert werden und im Schlüsselmoment der ästhetischen

2
    vgl. Stahl, 2006, S. 123 f.
3
    vgl. Stahl, 2006, S. 124 f.
                                                                               8
Erfahrung auf ein gesellschaftliches oder ortsbezogenes Anliegen
verweisen. Sie können entweder temporär oder permanent konzipiert
sein.“ 4
Nach Juliane Rebentisch ist gerade der „Prozess, der sich (...) zwischen
Subjekt und Objekt abspielt, also das Erfahrungsmoment zwischen
Kunstwerk und Rezipient/in, für die sehr unterschiedlichen Formen der
Installationskunst kennzeichnend, die seit Ende der Siebzigerjahre
entstanden sind.“5
            Weiteres schreibt Rebentisch: „Installationen sind kontextsensibel
nicht nur hinsichtlich des Innen- und Außenraums, in dem sie ausgestellt
sind, sondern auch hinsichtlich der gesellschaftlichen
Rahmenbedingungen, welche die Rezeption von Kunst generell
beeinflussen.“6

4
    Rebentisch, 2014, S. 66 f.
5
    Rebentisch, 2014, S. 67 f.
6
    Rebentisch, 2014, S. 76 f.
                                                                                 9
2.2.      Topophilia – die Definition

Die Definition von Topophilie bedeutet „Ortsliebe“, positive psychische
Ortsverbundenheit. Ursprünglich ein von G. Bachelard für die Poetik des
Raumes eingeführtes Konzept, das die persönliche Beziehung zu einem
geliebten Ort bezeichnet (espace heureux).7 Y.-F. Tuan hat das Konzept in
die Humanistische Geographie eingebracht und Topophilie als positive
psychische Beziehung zur Umwelt in ästhetischer, körperlicher oder
symbolischer Form definiert.

            Die Definition des Raumes (von mhd. rûm „das nicht Ausgefüllte“,
„freier Platz“) ist eine grundlegende Komponente der Wirklichkeit. Raum
definiert sich als Ausdehnung in Höhe, Länge und Breite. Philosophisch
strittig ist, ob der Raum „an sich“, unabhängig von Wahrnehmung und
Vorstellung, existiert oder lediglich eine Anschauungsform des
wahrnehmenden Subjekts ist, ob also mathematischer Raum,
physikalischer Raum und der Raum der Erfahrung zusammenfallen.
Mathematisch wird der Raum in der Geometrie und in
der Topologie behandelt.8

7
    vgl. Bachelard, 2017, S. 104 f.
8
    vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Raum_(Philosophie)
                                                                           10
2.3.      Topophilia – die Beschreibung der Arbeit

            „Topophilia“ ist eine Installation, die einen Raum im Raum
suggeriert.
Die Installation9 ist eine textile Abgrenzung eines Raumes im Raum,
ausgehend von Newtons Definition des absoluten Raumes.
            Ein absoluter Raum ist ein sowohl vom Beobachter als auch von
den darin enthaltenen Objekten unabhängiger physikalischer Raum.
„Topophilia“ ist dieser unabhängige Raum. Er steht in keinem Bezug zum
umgebenden Raum, er kann autark in jeglichem Umfeld funktionieren, wo
der Raum Platz findet.

            Der Betrachter ist der einzige Faktor, der die Arbeit ändern kann,
indem er sich bewegt, setzt, oder steht.
            Die vorliegende Arbeit besteht aus einer Baumwollkette in der ein
Leinenschuss eingetragen wurde.

            Das Format des Raumes beträgt 100x300x500 cm, und besteht
aus drei Teilen.
Die beiden großen Seitenteile des Raumes, die je 300 x 500 cm groß sind,
wurden von einer Leinenweberei bestellt, da es rein technisch nicht
möglich ist, diese großformatigen Teile an der Handschaftmaschine zu
weben.
Der dritte Teil, der 100 x 1200 cm groß ist, wurde in Handarbeit an der 24
schäftigen computerunterstützten Schaftmaschine gewebt.

9
    vgl. DuMonts Begriffslexikon zur zeitgenössischen Kunst, 2006, S. 122 f.
                                                                                 11
Zu allererst wurde ein Modell im Maßstab 1:15 genäht, um die
Funktionsweise der Installation zu überprüfen.

       Die Grundidee war, einen Raum rein aus Leinen zu gestalten, was
sich in der Praxis dann aber als äußerst schwierig herausstellte, da Leinen
als unverarbeitetes Garn sehr brüchig ist und für die Nutzung bzw.
Erfahrung des Raumes durch den Betrachter zu zarter Behandlung bedarf.
Als Kettmaterial wurde daher Baumwolle herangezogen, da diese
wesentlich strapazierfähiger ist.

       Faktisch war es nur möglich, den dritten handgewebten Teil auf
der automatischen Schaftmaschine gewebt werden muss, da diese eine
Schnellschusslade besitzt, und weiteres die Möglichkeit besteht,
verschiedene Musterungen hintereinander zu weben.

       Der handgewebte dritte Teil besteht aus vier Musterungen. Zum
einen eine Leinwandbindung, zur Darstellung der Wände, zum anderen
der Boden, der aus einer Art Fliesenmusterung besteht, die im weitesten
Sinn an maurische Muster erinnert, zum dritten eine Musterung, die ein
Kelim - Teppich sein könnte, und zu Letzt eine florale Musterung, die als
Deckenmalerei des textilen Raumes fungiert.

       Alle vier Musterungen sind zuerst skizziert, und dann in
Bindungspatronen umgewandelt worden.

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Beispiel:

                                      Abb. 1 Musterentwurf - Bindungspatrone

        Da der ganze Teil in einem Stück durchgewebt wurde, sind vier
verschiedene Musterungen nötig, um den Unterschied der einzelnen Teile
des Raumes erkennbar zu machen.

                                                                               13
Im Folgenden werden die aufwendigeren drei Musterungen kurz in
Bindungspatronen dargestellt:

   a) Wand, die Leinwandbindung
   b) Boden, die Fliesenmusterung

                       Abb. 2 Bindungspatrone

   c) Teppich, der vorgelagerte Raum

                       Abb. 3 Bindungspatrone

                                                                 14
d) Decke, das florale Muster

                  Abb. 4 Bindungspatrone

                               Abb. 5 Bindung gewebt

                                                       15
2.4.    Topophilia – und die Liebe zum Material

„Topophilia“ ist ein Leinenraum.
Leinen ist ein Material, das sich sowohl im Griff als auch im Geruch, immer
„schön“ anfühlt.
Das ist auch der Grund, warum Leinen zum Einsatz kam.

        „Topophilia“ besteht zum größten Teil aus gebleichtem Leinen, die
Kette des handgewebten Teils besteht allerdings aus gebleichter
Baumwolle, weil diese aufgrund der Länge besonders strapazierfähig sein
muss.

        Das Kettmaterial ist jedoch nebensächlich, da dieses im Gewebe
kaum sichtbar ist.

Zu Beginn der Arbeit wurden mehrere Materialien ausprobiert, bis
entschieden wurde, dass Leinen die schönste Ästhetik und die
angenehmsten Eigenschaften mit sich bringt.

        Leinen wurde für den Schuss verwendet, da Leinenfasern
Faserverdickungen aufweisen, und so dem Gewebe mehr Struktur
verleihen. Weiteres hat Leinen die Eigenschaft, dass es kühl wirkt und sich
auch so anfühlt.

        Leinen wird aus den Stängeln der Flachspflanze gewonnen. Die
Leinenfasern bilden Bündel, im Gegensatz zu Samenfasern wie
Baumwolle, die aus unverbundenen Einzelfasern bestehen. Die mit einer
                                                                         16
Stapellänge von 2,5 – 6 cm langen Elementarfasern aus Zellulose werden
durch Pektine zu 50 bis 90 cm langen Faserbündeln verbunden.

        Eine Eigenschaft, die für die Installation „Topophilia“ zu Nutze
gemacht wurde, ist, dass Leinen nach der Verarbeitung relativ steif ist. Es
besitzt eine geringe Dehnung und Elastizität und ist aus diesem Grund
dauerhaft nicht formbar, sehr knitteranfällig und muss deshalb gebügelt
werden.

        Auf Grund seiner Verarbeitung ist Leinen ein relativ teures
Material, weswegen es für den „heiligen Raum“ genutzt wurde.

        Der charakteristische Schimmer des Leinens beruht auf einem
leichten natürlichen Wachsüberzug der Leinenfaser und deren glatter
Oberfläche. Dadurch wird das Licht ungebrochen reflektiert und die
Gewebeoberfläche zeigt den typischen Leinenlüster.
Diese Eigenschaften werden durch das Bleichen des Materials noch
zusätzlich verstärkt,
was „Topophilia“ zu einem strahlenden Raum macht.

Dieser besagte Leinenlüster, der durch das Bleichen noch verstärkt wurde,
lässt Transluzenz anmuten, die ein Insignium sakraler Kultur ist.

                                                                           17
2.5.    Topophilia – das Weben als meditativer Prozess

       Ein wichtiger Bestandteil der Arbeit war der Prozess des
Entstehens eines Raumes. Neben den zwei in Auftrag gegebenen Teilen
war besonders die Produktion des Mittelteils für die Arbeit essentiell.

       Das Handweben des 18 Meter langen Mittelteils gleicht einem
meditativen Prozess. Der monotone repetitive Schusseintrag, das Sausen
der Schiffchen, das Klicken der Schaftmaschine ist Mantras
gleichzusetzen.

       Es wurde bewusst davon abgesehen, Farbverflechtungen
einzuarbeiten, da das die meditative Arbeit unterbrechen würde. Die
Websessions wurden so intensiv und lange wie möglich gehalten, um in
eine Art Mediation zu verfallen.

       Wichtig war es, diese Stoffbahn mit der automatischen
Schaftmaschine zu weben, da diese computerunterstützt ist, und man
mehrere verschiedene Bindungen hintereinander weben kann, ohne dass
man den Webstuhl neu einziehen muss. Umprogrammieren reicht aus, um
zu einer neuen Bindung zu gelangen.

       Der Prozess des Webens wurde mit Hilfe eines Diktiergerätes
aufgezeichnet, um ihn vielleicht für die spätere Installation nutzen zu
können, um den Meditationsprozess zu unterstreichen. Hervorzuheben
dabei ist die Rhythmik und Arhythmie des Schusseintrags.

                                                                          18
Dieser, einer Meditation gleichzusetzende Prozess, wird somit auf
den geschaffenen Raum übertragen und durch die verschiedenen
Bindungen sichtbar gemacht.

                              Abb. 6 Am Webstuhl

                                                                       19
2.6.      Topophilia – ein atmosphärischer Raum

            Erika Fischer Lichte schreibt in ihrem Buch „Ästhetik des
Performativen“, dass jeder performative Raum zugleich auch immer ein
atmosphärischer ist. „Räumlichkeit entsteht nicht nur durch die spezifische
Verwendung, welche Akteure und Zuschauer vom Raum machen, sondern
auch durch die besondere Atmosphäre, die er auszustrahlen scheint.“10

            Die Installation soll einen heiligen Ort generieren. Durch Material-
und Farbwahl soll dies zum Vorschein getragen werden. Um alle Sinne
anzusprechen, wurden textile Materialien herangezogen.

            Laut Newton besteht rein physikalisch ein absoluter Raum aus vier
Seitenteilen, einem Boden und einer Decke. Dieser Raum ist per Definition
mit Materie gefüllt.11
            Aus dieser Definition heraus entstand „Topophilia“. Ein
rechteckiger, hoher textiler Raum, der das Unbegrenzte begrenzt, das
relativ Bestimmungslose zu bestimmen scheint.

            Es sollte ein Raum erschaffen werden, der etwas atmosphärisch
Sakrales an sich hat.
Der hohe, aber dennoch schmale Raum soll im weitesten Sinne an das
Hauptschiff einer Kirche erinnern, der trotz der weißen Farbgebung zum
Betreten und Verweilen einlädt.

10
     Fischer-Lichte, 2014, S. 187 f.
11
     vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Raum_(Physik)
                                                                                   20
Als Material wurde, wie bereits erwähnt, weißes gebleichtes Leinen
gewählt, um dem Raum eine leichte Transparenz und Strahlkraft zu
verleihen, aber dennoch durch die kühlende Eigenschaft des Leinens, das
Gefühl des Betrachters unterstrichen werden, sich in einem sakralen
Raum zu befinden.12

             Die Farbe Weiß wurde gewählt, weil Weiß durch seine starke
Metaphorik Ebenen hervorkehrt, die Erfahrungen des Raumes auslösen:
Transparenz, Leichtigkeit, Immaterialität, Unbestimmtheit, und letztendlich
Auflösung. Weiß besetzt kein Gebiet, es ist nicht Ausdruck eines Inhaltes,
Weiß verweist vielmehr auf „das Andere“.

             Die Ästhetik eines weißen textilen Raumes zielt in dieser Arbeit
allerdings nicht auf den White Cube ab. Sie ist vielmehr eine
Ausdrucksform des „Schönen“, des positiven Gefühls, das der Raum im
Betrachter hervorruft.

12
     vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Tempel
                                                                                21
2.7.     Topophilia – ein sakraler Raum?

       „Topophilia“ soll im weitesten Sinne an ein Kirchenhauptschiff
erinnern, und somit die Assoziation mit einem Sakralbau hervorrufen.

       Sakralbauten sind Bauwerke, die für sakrale, rituelle oder kultische
Handlungen wie beispielsweise Gottesdienste oder Meditationen durch
religiöse Gemeinschaften genutzt werden.
Sakralbauten werden als Anwesenheitsorte höherer Macht interpretiert.
Wichtigster Bautypus der Sakralarchitektur ist der Tempel.

       Aber nicht nur Farbgebung und Format von „Topophilia“ sollen an
einen sakralen Bau erinnern, auch die Materialwahl ist bewusst: Leinen.
Durch seine Eigenschaft, kühl zu wirken, wird die Tempel - Assoziation
noch verstärkt.

       Ein weiterer Punkt, der an einen sakralen Bau erinnert, sind die
Musterungen des Bodens. Oft werden an heiligen Orten ornamentale und
florale Muster benutzt um den Raum prunkvoll zu gestalten. In Moscheen
ist der ganze Boden mit einem Teppich ausgekleidet, der oft schon
außerhalb des heiligen Gebetsraumes beginnt, um die Schuhe
auszuziehen und das Waschritual auszuführen. Dies wurde in „Topophilia“
eingebaut. Dem Raum ist eine Fläche, die in seiner Musterung an einen
Kelim erinnert, vorgelagert. Sie soll dazu einladen, die Schuhe
auszuziehen, und den Raum im Besten Fall barfuß zu erfühlen und
erfassen.

                                                                          22
So schreibt Mircea Eliade13 in seinem Text „Der heilige Raum“,
„Weisen wir darauf hin, daß die religiöse Erfahrung der Inhomogenität des
Raums eine Urerfahrung darstellt, die wir einer >>Weltergründung
Eine weitere Erfahrung, die der Betrachter im Raum macht, ist trotz
der Enge des Raumes, ein Gefühl von Freiheit aufkommt, da das Textil mit
dem Betrachter mitschwingt.

            Sobald der Betrachter den Raum betritt, beginnt der Leinenraum
sich zu bewegen. Luftzüge, die durch Bewegungen entstehen, lassen das
zarte Material schwingen, leichte Geräusche sind zu hören. Der Betrachter
wird zum Akteur.

            Im weitesten Sinne wird in „Topophilia“ der Akteur zur Materie. Er
ist die Materie, laut Newton, die den Raum füllt, diesem Leben einhaucht.

            „Topophilia“ ist demnach auch laut Uexküll als Strukturelement
unserer Seele zu sehen.15
Der Raum fungiert als Ergebnis sozialer Beziehungen.

            Wichtig an „Topophilia“ ist ebenso der Geruch des Raumes
welcher Leinen ihm verleiht. Allgemein assoziiert man mit dem Geruch des
Leines Stroh, welches in jedem etwas Wohliges hervorruft, da es immer
ein wenig an zu Hause Sein erinnert.

15
     vgl. Uexküll, 2015, S. 86 f.
                                                                                 24
2.8.    Topophilia – das Spiel zwischen Raum schaffen und
            abgrenzen

        „Topophilia“, ein Raum im Raum, soll auf möglichst viele Räume
anwendbar sein, die groß genug sind, diesen Raum zu beherbergen.

        Das absurde Format „Topophilia“ geht Hand in Hand mit der
absurden Materialität des Raumes, nämlich dem Textilen. Architektonisch
gesehen werden Textilien eher in der Innenraumgestaltung verwendet und
nicht als „Baumaterial“, außer es handelt sich zum Beispiel um ein Zelt.

        Ohne einen Raum kann „Topophilia“ nicht funktionieren, und ist
deshalb nicht zu vergleichen mit einer Herberge für Menschen.
        Durch das Format des Raumes entsteht eine Spannung zwischen
der Enge des Raumes und Weite, die durch das weiche Textile assoziiert
wird.

        Damit der textile Raum als Raum funktioniert, ist es nötig, diesen
zu stabilisieren.
Dazu gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder man nimmt Stangen, ein
Gerüst, ein Gitter zu Hilfe, um einen stabilen Korpus zu schaffen, was aber
dem Textilen das Weiche und Zarte nehmen würde. Oder man hängt ihn
mit Hilfe von Silk - Fäden, die dem Raum die Eigenschaften verleiht, die er
braucht: eine besagte Weichheit des Textils, die Weite verkörpert und
Wohlbefinden hervorruft. Diese Variante wurde für die Präsentation von
„Topophilia“ gewählt, um den Raum zu formen.

                                                                             25
Theoretisch gesehen kann der Raum an sich durch den Betrachter
formal verändert bzw. verformt werden. Dies macht den Betrachter zum
Akteur im Raum.

       Die Zartheit des Raumes stellt sich auch dadurch dar, dass der
Raum schnell durch äußere Einflüsse temporär deformiert werden kann:
durch taktile Handlungen des Akteurs, oder durch Windstöße.

       Ein weiterer wichtiger Punkt sind die Lichtverhältnisse im Raum, in
dem „Topophilia“ installiert wird, damit das Weiß auch als Weiß erscheint.

                                                                         26
2.9.    Topophilia – ein Rückschluss

Wenn also „Topophilia“ eine textile Verräumlichung ist, dann stellt sich die
Frage, warum muss der Raum textil, also weich sein?

Der Raum muss weich sein, weil materialspezifische Kontexte und eine
unaufdringliche Form der Verräumlichung nur als Textil wirken können.

Wäre der Raum aus einem harten Material, würde die Metapher der
Entschleunigung, des Wohlbefindens, des Transzendentalens nicht
funktionieren.

Die Auszeit, von der Härte gewöhnlicher Räume, würde nicht sichtbar
gemacht werden können.

„Topophilia“ ist eine Art Verortung von Gefühlen, die im Betrachter bzw.
Akteur hervorgerufen werden.
Die Enge des Raumes veranlasst aber nicht nur Wohlbefinden in jedem,
es kann auch zu einem beklemmenden Gefühl führen, in jedem Fall
jedoch führt „Topophilia“ zu einem Gefühl.
Der „heilige Ort“ ist nicht als Grenze zu sehen, er ist als eine Ordnung
bzw. Verortung von Irritation im visuellen bzw. haptischen Sinn zu sehen.

                                                                           27
2.10.   Topophilia – Bildmaterial

                   Abb. 7 Skizze zum Raum

                        Abb. 8 Muster Wand

                                             28
Abb. 9 Muster vorgelagerter Raum

           Abb. 10 Muster Decke

           Abb. 11 Muster Boden

                                   29
Abb. 12 Topophilia

                     30
Abb. 13 Topophilia

                     31
3. Raumtheorien

        Um zu erfahren, was ein Raum ist und ein Raum sein kann, bzw.
braucht um zum Raum zu werden, sind im Folgenden einige Ansätze
aufgeführt, die in das Werk eingeflossen sind.

        Die Frage „Was ist Raum?“ ist wahrscheinlich so alt wie die
Wissenschaft selbst. Schon in der Antike ist der Raum Thema. Nicht nur in
der Mathematik, sondern auch in der Philosophie begegnet man der
Auseinandersetzung mit dem Thema „Raum“.

        Zu allererst wird versucht den Raum durch einen mathematischen
Abriss zu erläutern.
Dann folgen physikalische und metaphysikalische Theorien über den
Raum.

                                                                        32
3.1.      Der mathematische Raumbegriff

            In der Mathematik ist der euklidische Raum zunächst der „Raum
unserer Anschauung“, wie er in Euklids Elementen durch Axiome und
Postulate beschrieben wird.16

            Bis ins 19. Jahrhundert wurde davon ausgegangen, dass damit der
uns umgebene physikalische Raum beschrieben wird. Der Zusatz
„euklidisch“ wurde nötig, nachdem in der Mathematik allgemeinere
Raumkonzepte, wie zum Beispiel der hyperbolische Raum oder die
riemannsche Mannigfaltigkeiten, entwickelt wurden. Im Rahmen der
allgemeinen Relativitätstheorie zeigte sich, dass zur Beschreibung des
Raums in der Physik andere Raumbegriffe benötigt werden.17

            Den zweidimensionalen euklidischen Raum nennt man auch
euklidische Ebene. Mehrere euklidische Ebenen lassen sich wiederum zu
einem euklidischen Körper zusammenfassen. Der euklidische Raum lässt
das Messen von Winkeln und Längen zu.18

            Topologische Begriffe sind auf natürliche Weise in jedem
euklidischen Raum definiert. Mit anderen Worten ist jeder euklidische
Raum auch ein topologischer Raum. Nach dem französischen
Mathematiker Kollektiv Nicolas Bourbaki ist die Struktur „topologischer
Raum“ eine zugrundeliegende Struktur von „euklidischer Raum“.

16
     vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Raum_(Mathematik)
17
     vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Raum_(Mathematik)
18
     vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Raum_(Mathematik)
                                                                            33
3.2.      Physikalische und metaphysikalische Raumtheorien

            Der Raum ist, physikalisch gesehen, eine Art „Behälter“ für Materie
und Felder, in dem sich physikalische Vorgänge abspielen.

            Rein von der menschlichen Erfahrung her dehnt sich ein Raum
orthogonal in die Dimension der Höhe, Breite und Tiefe aus. Raum
ermöglicht allen materiellen Objekten eine Ausdehnung, er selbst existiert
nicht als grundlegendes Ordnungsmodell „a priori von den darin
vorhandenen Objekten“19, nach heutigem Verständnis aber nur in Relation
zu ihnen.

            Wenn man davon ausgeht, gibt es keinen „leeren“ Raum.20 Man
kann nur Räume vermessen, deren Grenzen man kennt. Nimmt man die
Grenzenlosigkeit bzw. die Unendlichkeit des Weltraums an, ist mit großer
Wahrscheinlichkeit vorhersehbar, dass die jeweils gegebenen Mittel zur
Vermessung nicht ausreichend sind. Gleiches muss unter Wahrung der
wissenschaftlichen Vorsicht für die eventuelle Entdeckung immer kleinerer
Elementarteilchen und ihrer Zwischenräume angenommen werden.

            Metaphysikalisch hingegen gesehen, stellt René Descartes die
These auf, dass die Natur eines Körpers nicht in Schwere, Härte Farbe
oder dergleichen besteht, sondern allein in der Ausdehnung.

19
     Descartes, 2015, S. 44 f.
20
     Descartes, 2015, S. 44 f.
                                                                             34
Das bedeutet, dass Länge, Breite und Höhe ein ausgedehntes
Objekt ausmachen.
Was die Härte betrifft, so zeigt unsere Sinnlichkeit nichts über sie, als dass
Stücke harter Körper der Bewegung unserer Hände widerstehen, wenn
unsere Hände sie berühren.
Die wahre Natur des Körpers liegt allein in der Ausdehnung. Ein leerer
Raum ist das pure Nichts. Verdünnung und Verdickung muss demnach
bedeuten, dass sich die Gestalt des Raumes ändert. Würde der Substanz
auch nur das geringste entzogen, würde ebenso viel von der Quantität der
Ausdehnung weggenommen.

            Die Bezeichnung des Ortes und des Raumes unterscheiden sich
aber insofern, als der Ort ausdrücklich eher die Lage als die Größe oder
Gestalt bezeichnet, während wir, wenn wir Letzteres meinen, eher vom
Raum sprechen.
            Und schließlich ist ein Raum „leer“, in dem nichts sinnlich
Wahrnehmbares ist, obwohl er mit geschaffener und durch sich selbst
bestehender Materie angefüllt ist. Wir sind nämlich laut Descartes
gewöhnt, nichts zu bedenken, außer jenen Dingen, die uns durch Sinne
anrühren.

            Immanuel Kant21 hingegen behauptet, dass der Begriff des
Raumes nicht von äußeren Empfindungen abgezogen wird. Die
Möglichkeit äußerer Wahrnehmung, als solche, setzt den Begriff des
Raumes voraus, schafft ihn jedoch nicht.

21
     Kant, 2015, S. 75 f.
                                                                            35
Das bedeutet, dass der Begriff des Raumes reine Anschauung ist.
Ein Raum wird nicht durch Empfindungen, sondern ist die Grundform aller
äußeren Empfindungen. Der Raum ist demnach etwas Subjektives,
Ideales. Der Begriff des Raumes in Bezug auf alles Sensible, nicht allein
ganz wahr, sondern auch die Grundlagen aller Wahrheit in der äußeren
Sinnlichkeit.
             Kant hat uns gelehrt, dass unsere Seele ein immaterieller
Organismus ist, der materielle Einwirkungen verarbeitet.
Der Raum existiert vom Verhältnis der Körper her unabhängig. Die
Erfahrbarkeit des Raumes ist an das Subjekt angebunden.

             Jakob Johann von Uexküll22, ein estnischer Biologe und Philosoph
hingegen war der Meinung, dass der Raum als Strukturelement unserer
Seele fungiert. Die produktive Einbildungskraft vereinigt sich durch diese
Empfindungen, wie etwa alle Sinnesempfindungen, nach einer sehr
allgemeinen Regel zu einer neuen Einheit, die kein Gegenstand ist, weil
jeder Gegenstand eine Umgrenzung verlangt. Das bedeutet, dass jede
Anschauung mit objektiver Realität ein Raum sein muss.
Eindrücke und Sinnesempfindungen bilden Elemente. Aus diesen werden
Gegenstände zusammengesetzt. Die Bildungskraft formt also
Sinnesempfindungen zu einer neuen Einheit. Diese Formung erfolgt nach
innen feststehenden Regeln, Teilen der Seele, und vergleichbar zu
Strukturteilen materieller Organismen. Diese Bildungsregeln zielen rein auf
räumliche Empfindungen ab. Es gibt drei Richtungen: hinter-vor, links-
rechts und unter-über. Diese zielen allerdings nicht auf einen Gegenstand

22
     vgl. Uexküll, 2015 S. 86 f.
                                                                             36
ab, denn ein Gegenstand benötigt Umgrenzung. Im Endeffekt sagt
Uexküll, dass ein Raum ein Raum ist, wenn man ihn mit objektiver Realität
betrachtet.

            Der deutsche Philosoph Martin Heidegger23 hingegen behauptet,
dass Raumstrukturen nicht einfach gegeben sind. Sie entstehen erst in der
medialen Schematisierung eines offenen Raumes. Der Raum entsteht als
Effekt der Medien. Das bedeutet, dass das Sein des Raumes sich von der
Seinsart des Daseins unterscheidet. Daraus, dass das Sein des Raumes
selbst nicht in der Seinsart der res extensa (physische Gegenstände)
werden kann, folgt weder, dass er ontologisch als Phänomen bestimmt
werden muss, noch, dass das Sein Sein dem der res cogitans (mentale
Gegenstände) gleichgesetzt und bloß als „Subjektives“ begriffen werden
könnte. Heidegger stellt das Sein des Subjekts ganz in Frage.
Im Phänomen des Raumes kann weder die einzige noch die unter
anderen primäre ontologische Bestimmtheit des Seins den innerweltlichen
Seienden gefunden werden. Noch weniger konstituiert er das Phänomen
der Welt. Der Raum wird nicht allein erst durch die Entweltlichung der
Umwelt zugänglich, Räumlichkeit ist überhaupt nur auf dem Grunde von
Welt entdeckbar. Der Raum konstruiert die Welt noch mit, so dass die
Grundverfassung des In-der-Welt-Seins abhängig von der Räumlichkeit
des Daseins selbst ist.

23
     vgl. Heidegger, 2015, S. 145 f.
                                                                            37
Auch Leibniz24 rückt alles Seiende unter den einen Gesichtspunkt
der Substanz; und alle metaphysische Wirklichkeit löst sich ihm in einem
Inbegriff, in eine unendliche Vielfalt von individuellen Substanzen auf. Die
Widersprüche, die sich aus Newtons Begriff des absoluten Raumes und
der absoluten Zeit ergeben hatten, werden von Leibniz dadurch beseitigt,
dass er beide statt zu Dingen, vielmehr zu Ordnungen macht.
            Raum und Zeit sind nach Leibniz demnach keine Substanzen,
sondern vielmehr >reale RelationenWahrheit der Beziehungenneben< dem Sein der Materie als körperliche Masse bloss
nachträglich eintritt. Der Raum hört auf, ein >Ding unter Dingen< zu sein;
Es wird ihm der letzte Rest physikalischer Gegenständlichkeit geraubt. Die
Welt wird nicht als ein Ganzes von Körpern im Raume, noch als
Geschehen in der Zeit definiert, sondern sie wird als >System von
Ereignissenevents
4. Künstler und Installation – eine Auswahl

   Die folgenden drei Künstler waren wichtig für den Zugang zu der
   vorliegenden Arbeit.

   Nicht nur, dass alle drei Künstler installativ arbeiten, sie schaffen oder
adaptieren Räume, verwenden Materialien, die nicht unbedingt typisch für
Räume sind.

   Das zentrale Thema, das alle drei Künstler vereint ist jedoch, dass sie
alle drei mit der menschlichen Sinneswahrnehmung spielen, was
wiederum die vorliegende Arbeit auch macht.

                                                                            39
4.1.      Bruce Nauman

            “Room with my soul left out, room that does not care”, 1984

            Der Bildhauer Bruce Nauman25 arbeitet mit verschiedenen
Materialien, neben Plastiken, Fotografien, Videoinstallationen und
Neonarbeiten, finden sich auch Installationen in seinem Oeuvre. Ein
zentrales Thema in Naumans Werk ist die menschliche
Sinneswahrnehmung und deren Täuschung. Dabei wird der Betrachter oft
mit irritierenden bis schockierenden Erfahrungen konfrontiert.

            Bei seiner im Hamburger Bahnhof dauerhaft verankerten Arbeit
„Room with my Soul left out, Room that does not care“ handelt es sich um
ein räumliches Gefüge, das aus zwei metallenen, rechtwinklig und
kreuzartig verschränkten Quadern besteht.

            Diese sind begehbar, ein menschlicher Körper kann sich darin
aufrecht bewegen, beleuchtet sind die Quader von diffusem gelben Licht.
Die Installation nimmt den Betrachter vollständig in sich auf, lässt ihn in
einem räumlichen Gefüge aus äußerst widerständigem Material bewegen.
Wenn man in der Mitte, also am Kreuzungsort des Quaders steht, löst die
Arbeit eine Erfahrung der Grenzenlosigkeit aus, die allerdings nicht mit
Freiheit gleichzusetzten ist, sondern eher mit Angst und Beklemmung.

25
     vgl. Bruce Nauman, 1998, S. 7 f.
                                                                              40
Abb. 14 „Room with my Soul left out“

                                 41
4.2.      Joseph Beuys

              “Honigpumpe am Arbeitsplatz”, 1977
            Der deutsche Aktionskünstler, Kunsttheoretiker und Bildhauer
Joseph Heinrich Beuys26 arbeitete vor allem politisch. Beuys arbeitete mit
alltäglichen, für die Kunst ungewöhnlichen Gegenständen und Materialien
und setzte diese oftmals in poetischen und emotional aufgeladenen
Verbindungen um. Hierbei verwendete er neben traditionellen
künstlerischen Materialien (z.B. Holz, Metall, ...) auch Stoffe
wie Fett, Filz und Honig und verrottende Materialien.

            Die „Honigpumpe am Arbeitsplatz“ ist ein mit flüssigem Honig
gefüllter Edelstahlbehälter, aus dem eine elektrisch angetriebene
Lebensmittelpumpe den Honig durch eine Leitung bis in 18 Meter Höhe
des Treppenhauses des Fridericianums beförderte. Von dort aus lief er
durch einen transparenten Kunststoffschlauch wieder zurück in den
Kessel. Die Installation bildete ein geschlossenes Kreislaufsystem,
welches durch zwei Elektromotoren ergänzt wurde, die 100 kg Margarine
von einer Kupferwelle rotieren ließen. Aufgrund der Gegebenheit des
Raumes konnte die Installation nur von oben eingesehen werden.

            Bereits auf der documenta 5 1972 war Beuys mit dem Büro der
„Organisation für direkte Demokratie durch Volksabstimmung“, in dem eine
permanente 100-tägige Diskussion stattfand, vertreten.

26
     vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Honigpumpe_am_Arbeitsplatz
                                                                           42
Am letzten Tag fand ein „Boxkampf für direkte Demokratie durch
Volksabstimmung“ statt. Fünf Jahre später präsentierte er 1977 die
„Honigpumpe am Arbeitsplatz“ - ebenfalls mit permanentem
Diskussionsforum, in welchem er mit den Besuchern über
seinen Erweiterten Kunstbegriff, die Soziale Plastik und eine direkte
Demokratie diskutierte. Dies geschah im Rahmen eines hundert Tage
dauernden Forums der Free International University (FIU), die er
anlässlich seines Beitrags zur documenta 6 ins Leben gerufen hatte.

       Am Eröffnungstag der documenta 6 1977 fand eine halbstündige
Satellitenübertragung des Hessischen Rundfunks in die USA statt, in der
Joseph Beuys seine Idee der Sozialen Plastik vortrug.

                                         Abb. 15 „Honigpumpe am Arbeitsplatz“

                                                                                43
4.3.      Ernesto Neto & the Huni Kuin

              “Um Sagrado Lugar”, “A Sacred Place”, 2017
Ernesto Saboia de Albuquerque Neto27 ist ein brasilianischer bildender
Künstler, der vor allem durch seine raumübergreifenden Stoffinstallationen
bekannt wurde.

            Netos biomorphe Gebilde werden oft für einen bestimmten
Ausstellungsort entwickelt und umgesetzt. Ebenso wurden Räume aus
Textilien angelegt, in die die Besucher hineingehen können.

            Neto verwendet für seine alle Sinne ansprechenden von der Decke
hängenden Installationen häufig elastische Gewebe, wie Nylon oder Lycra,
die entweder mit Gewürzen, welche dann ihren Duft verströmen, oder
auch mit Styroporkugeln oder Glasperlen gefüllt sind, um dem Textil
Schwere zu verleihen.

            Dadurch werden alle Sinne, nicht nur der rein visuelle, sondern
auch der taktile und der Geruchssinn angesprochen. Die teils
transparenten textilen Räume transformieren und überspielen die
umgebende konventionelle Architektur.

            Oft wird das Gefühl vermittelt, sich im Körperinneren zu befinden.
Die Architektur der Ausstellungsräume wird so verwandelt, dass die

27
     Neto, 2007, S. 14 f.
                                                                                 44
Interaktion zwischen den Betrachtern und dem textilen Raum gefördert
und dadurch verändert wird.

        Sie soll Grenzen nicht als Hindernisse zeigen, sondern als Ort der
Empfindungen, des Austauschens und der Kontinuität.

        Die spielerisch wirkenden und spielerisch verwendbaren Räume
sind präzise kalkuliert, einschließlich der Festigkeit des Stoffes, der
Gewichte und deren Gegengewichte oder Zugkräfte.

        Netos Installationen regen dazu an, poetische Organismen zu
entdecken. Dennoch bezieht er sich auf die klassischen Fragen der
Bildhauerei: Raum und Körper, Schwerkraft, Masse und Licht.

         Abb. 16 „Um Sagrado Lugar“

                                                                          45
5. Abbildungsverzeichnis

Abb. 1 Musterentwurf - Bindungspatrone                                                  13
     Miriam Walcherberger-Kößler
Abb. 2 Bindungspatrone                                                                  14
     Miriam Walcherberger-Kößler
Abb. 3 Bindungspatrone                                                                  14
     Miriam Walcherberger-Kößler
Abb. 4 Bindungspatrone                                                                  15
     Miriam Walcherberger-Kößler
Abb. 5 Bindung gewebt                                                                   15
     Miriam Walcherberger-Kößler
Abb. 6 Am Webstuhl                                                                      19
     Miriam Walcherberger-Kößler
Abb. 7 Skizze zum Raum                                                                  28
     Miriam Walcherberger-Kößler
Abb. 8 Muster Wand                                                                      28
     Stefan Walcherberger
Abb. 9 Muster vorgelagerter Raum                                                        29
     Stefan Walcherberger
Abb. 10 Muster Decke                                                                    29
     Stefan Walcherberger
Abb. 11 Muster Boden                                                                    29
     Stefan Walcherberger
Abb. 12 Topophilia                                                                      30
     Stefan Walcherberger
Abb. 13 Topophilia                                                                      31
     Stefan Walcherberger
Abb. 14 „Room with my Soul left out“                                                    41
     https://c2.staticflickr.com/4/3873/15174434607_2afc82846b_b.jpg
Abb. 15 „Honigpumpe am Arbeitsplatz“                                                    43
     http://georgberg.de/2011/02/12/honigpumpe
Abb. 16 „Um Sagrado Lugar“                                                              45
     https://news.artnet.com/app/news-upload/2017/05/ernesto-neto-venice-1024x844.jpg

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6. Literaturverzeichnis

Juliane Rebentisch, Ästhetik der Installation, 6. Auflage 2014

Gaston Bachelard, Poetik des Raumes, 11. Auflage, März 2017

http://de.wikipedia.org/wiki/Raum_(Philosophie)

DuMonts Begriffslexikon zur zeitgenössischen Kunst, Hrg. Hubertus Butin,
2006

Raumtheorie, Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaft,
Hrg. Jörg Dünne und Stephan Günzel, 8. Auflage, 2015

http://de.wikipedia.org/wiki/Honigpumpe_am_Arbeitsplatz

Bruce Nauman, The True Artist, Der wahre Künstler, Beatrice von
Bismarck, 1998

Ernesto Neto, From Sebastian to Olivia at Galerie Hetzler Temporary,
2007

http://www.stuttgarter-schule.de/bense_diss.pdf

Texte zur Theorie des Raums, Der heilige Raum (1957), 2013

Erika Fischer-Lichte, Ästhetik des Performativen, 9. Auflage, 2014

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