Trägt die Fridays-for-Future-Bewegung zum politischen Klimawandel bei?* - ifo Institut
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GRÜNE TRANSFORMATION Leander Andres, Marc Fabel, Matthias Flückiger, Markus Ludwig, Helmut Rainer, Maria Waldinger und Sebastian Wichert Trägt die Fridays-for-Future-Bewegung zum politischen Klimawandel bei?* Big Data Economics mit Hilfe von Mobilfunk-, Schulstreik-, (Social-)Media-, Wetter- und Fußballdaten IN KÜRZE Gleichwohl äußern sich viele Politiker*innen und im- mer größere Teile der Bevölkerung parteiübergrei- fend zustimmend zu Klima-/Umweltschutzprogram- Gegen unzureichende Klimapolitik und für konkrete Klima- men und betonen deren Dringlichkeit. Somit fallen schutzmaßnahmen protestieren seit 2019 hunderttausende Klima-»Image« und -Realität auseinander. Einerseits: junge, oft noch nicht wahlberechtigte Menschen unter dem großer angekündigter politischer Tatendrang, eigent- lich verfügbare Technologien sowie Politikoptionen Dach der sogenannten Fridays-for-Future-Bewegung. Ob und (wie z.B. Emissionshandel), die eine Transition zu wenn ja, wie sich lokale Proteste und Schulstreiks auf Land- umweltfreundlicher Mobilität, nachhaltigem Konsum tags-, Bundestags- und Europawahlergebnisse in Deutschland und CO2-neutraler Produktion ermöglichen könnten; von 2019 bis 2021 ausgewirkt haben, untersuchen wir in die- andererseits: Uneinigkeit, Inaktivität und Inkonse- sem Beitrag. Um die Stärke der Protestbewegung und deren quenz von Politiker*innen, Wirtschaftssubjekten und geografische Verteilung verorten zu können, wurde mit Hilfe Wähler*innen im Hinblick auf die zügige Umsetzung konkreter Maßnahmen. mobilfunkbasierter Mobilitäts-, Schulstreik- und Nieder- schlagsdaten ein validiertes Streikpartizipationsmaß für alle FRIDAYS FOR FUTURE IST EINE REAKTION Wahlen und Landkreise in Deutschland entwickelt. Unsere AUF DIE »KLIMAFALLE« UND DEN Ergebnisse zeigen u.a., dass höhere regionale Streikpartizi- GENERATIONSKONFLIKT pation zu einem Stimmengewinn für die Grünen und einem massiven Stimmenverlust für die AfD führt. Ein wichtiger Wir- Diese Situation wurde kürzlich von zwei führenden Ökonomen als »Klimafalle« beschrieben (Besley und kungskanal hierbei scheint die Übertragung von Klima- und Persson 2020). Ein Grund für eine zögerliche Hand- Umweltbewusstsein von (nicht-wahlberechtigten, demons- lungsweise von Politiker*innen besteht darin, dass trierenden) Kindern auf ihre (wahlberechtigten, nicht-de- diese befürchten, die Umsetzung klimaschutzpoliti- monstrierenden) Eltern zu sein. Die hier vorliegende metho- scher Maßnahmen könnte ihre Wiederwahlchancen den- und datenintensive Analyse ist zudem ein Beispiel für die verringern (Finnegan 2022), da Belastungen für die neue, innovative Forschungsrichtung »Big Data Economics«. (Wahl-)Bevölkerung jetzt anfallen, wohingegen der Nutzen oftmals erst langfristig ersichtlich wird. Daraus entsteht auch ein Generationenkonflikt: Erwachsene fortgeschrittenen Alters, und damit eine in Deutsch- Der Kampf gegen den Klimawandel ist weiterhin und land wachsende Wählergruppe, tragen die Kosten dauerhaft die größte gesamtgesellschaftliche Heraus- für strengere Klimamaßnahmen heute und werden forderung in Deutschland und weltweit (neben dem vermutlich nicht mehr direkt den vollen Nutzen in aktuellen Umgang mit den Folgen des gegenwärti- Zukunft wahrnehmen können. Allerdings verursacht gen russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine so- Inaktivität bei der Implementierung klimaschutzpoli- wie der Bekämpfung der Corona-Pandemie). Obwohl tischer Maßnahmen intergenerationelle Ungerechtig- immer mehr Nachweise für einen durch den Menschen keit bezüglich der Verteilung von Klimaschäden und verursachten Klimawandel vorliegen (IPCC 2014), rei- Klimaschutzkosten: Jedes weitere Jahr, in dem die chen die aktuellen klimapolitischen Maßnahmen in zum Erreichen des 2-Grad-Ziels notwendigen klima- Deutschland zur Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels gemäß schutzpolitischen Maßnahmen aufgeschoben werden, des Pariser Klimaabkommens nicht aus (UN 2021). wird mit zusätzlichen (diskontierten) Kosten zwischen * Dieser Beitrag ist eine verkürzte und vereinfachte Version der Stu- 0,3–0,9 Mrd. Dollar für zukünftige Generationen ver- die von Fabel et al. (2022). bunden sein (Sanderson und O’Neill 2020). 28 ifo Schnelldienst 5 / 2022 75. Jahrgang 11. Mai 2022
GRÜNE TRANSFORMATION Leander Andres Dr. Marc Fabel Dr. Matthias Flückiger ist PreDoc am ifo Zentrum für war Doktorand am ifo Zentrum ist Senior Lecturer an der Univer- Arbeitsmarkt- und Bevölkerungs- für Arbeitsmarkt- und Bevölke- sity of York in Großbritannien. ökonomik. rungsökonomik und ist nun Se- nior Data Scientist bei ottonova. Deshalb ist es oft die junge, häufig noch nicht Zudem betrachten wir auch weitere indirekte wahlberechtigte Bevölkerung, die sich für Klima- Wirkungsmechanismen, die die Effekte der FFF-Kli- schutzmaßnahmen einsetzt: Sie werden vom heu- mastreiks auf Wahlergebnisse erklären könnten, da tigen Zögern in der Zukunft am meisten betroffen ein Großteil der Protestierenden zum Zeitpunkt der sein. Auf die damals 15-jährige, inzwischen weltweit Demonstrationen noch nicht wahlberechtigt war und bekannte Klimaaktivistin Greta Thunberg geht die damit ein direktes Eingreifen dieser Gruppe in die nunmehr größte Jugend- und Protestbewegung seit Wahlen nicht möglich ist. 1968 mit dem Namen Fridays for Future (im Folgen- Die Untersuchung dieser Fragen ist aus mehre- den: FFF) zurück und schlug in Deutschland und welt- ren Gründen inhaltlich und methodisch eine Heraus- weit hohe Wellen. Mit großen Schul- oder Universi- forderung. Erstens müssen geeignete Datenquellen tätsstreiks, meistens an Freitagen, demonstrieren für FFF-Proteste aber auch Wahlen, Medienaktivität Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene an zahl- etc. gefunden, erschlossen und geeignet kombiniert reichen Orten in Deutschland öffentlichkeitswirksam werden.3 Außerdem benötigen wir ein Maß für die für mehr Klimaschutz und insbesondere verbindliche, regional und zeitlich variierende Stärke der FFF-Be- konkrete, sofortige Politikmaßnahmen.1 Das Thema wegung. Der Wohnort der Demonstrierenden (und beherrschte bis zum Beginn der Corona-Pandemie die ihrer Eltern) und damit deren Wahlkreis fällt nämlich öffentliche Debatte sowie traditionelle und soziale oftmals nicht mit dem Demonstrationsort zusammen. Medien.2 Politische Akteure aller Parteien äußerten Zudem versammeln sich bei den FFF-Protesten, meist sich, und das »Klimathema« beeinflusste alle Wahl- in größeren Städten, oftmals Protestierende aus ver- kämpfe auf Landes-, Bundes- und Europaebene im schiedenen Regionen. Drittens muss eine empirische Jahr 2019. Methodik gewählt werden, die es erlaubt, einen Kau- salzusammenhang zwischen der lokalen FFF-Stärke HAT DIE FRIDAYS-FOR-FUTURE-BEWEGUNG und Wahlergebnissen glaubhaft zu belegen und nicht ETWAS BEWIRKT? nur zufällige Korrelationen darzustellen. Nun stellt sich allerdings die Frage: Hat die FFF-Be- ERST DIE KOMBINATION VERSCHIEDENSTER wegung etwas bewirkt? Konnte sie einen politischen UNKONVENTIONELLER DATEN-QUELLEN MACHT Klimawandel erreichen? Dieser Frage gehen wir in un- DIE MESSUNG VON FFF MÖGLICH serer neuen Studie (Fabel et al. 2022) nach. Konkret untersuchen wir empirisch, ob die durch FFF orga- Um FFF-Proteste in Deutschland regional verorten zu nisierten Klimaproteste und Schulstreiks das Wahl- können, greifen wir auf die FFF-Website, sowie Social- verhalten der Wahlbevölkerung bei Landtags-, Bun- destags- und Europawahlen in Deutschland zwischen 3 Insbesondere für FFF-Proteste existieren keine offiziellen Statistiken. 2019 und 2021 beeinflusst haben. Dabei ana- lysieren wir, ob Bündnis 90/Die Grünen (im Folgenden: die Grünen), die Partei mit der klarsten Klimaagenda in Deutschland, auf- grund von FFF Stimmenzuwächse verzeich- nen konnten. Wir untersuchen auch, inwie- weit Veränderungen in der Wahlbeteiligung Prof. Dr. Markus Ludwig Prof. Helmut Rainer, Ph.D. oder Wählerwanderungen eine Rolle spielen. ist Professor für Volkswirt- leitet das ifo Zentrum für Arbeits- 1 Im Verlauf der Protestbewegung treten die Aktivist*in- schaftslehre, insbesondere Empi- markt- und Bevölkerungsökono- nen nun auch für weitere Themen, wie »soziale Gerechtig- rische Ökonomie und Ökonomet- mik und ist Professor für Volks- keit« oder »Black lives matter« ein, die hier unberücksich- rie, an der Technischen Universi- wirtschaftslehre, insb. Sozialpo- tigt bleiben. tät Braunschweig. litik und Arbeitsmärkte, an der 2 Zum Vergleich: Greta Thunberg hat ca. 5 Millionen Follower Ludwig-Maximilians-Universität auf Twitter, Bundeskanzler Olaf Scholz nur ca. 550 000; FC Bay- München. ern München-Bundesligafußballspieler Thomas Müller ca. 4,5 Millionen (Stand: April: 2022). ifo Schnelldienst 5 / 2022 75. Jahrgang 11. Mai 2022 29
GRÜNE TRANSFORMATION teln, die für die korrekte Zurechnung zu Wahl- kreisen und damit Wahlergebnissen fun- damental ist. Vereinfacht gesagt, berech- nen wir damit eine Maßzahl, die angibt, wie viel Landkreisbewohner*innen im eigenen Dr. Maria Waldinger Dr. Sebastian Wichert und in allen anderen (fremden) Landkreisen bis zur Wahl demonstrieren.6 Abbildung 2 ist Stellvertretende Leiterin des ist Leiter des LMU-ifo Economics zeigt für den großen Klimastreik am 29. März ifo Zentrums für Arbeitsmarkt- & Business Data Center (EBDC), und Bevölkerungsökonomik. dem gemeinsamen Forschungs- 2019 in Berlin das so berechnete Streikpar- datenzentrum des ifo Instituts tizipationsmaß. Es wird klar, dass viele und der LMU München. große FFF-Streiks ihre Teilnehmer*innen aus den umliegenden Landkreisen rekrutie- ren. Die Schätzung unseres Streikpartizipa tionsmaßes können wir zudem mit Hilfe einer Media-Kanäle von (lokalen) FFF-Gruppen und einzel- kleinen Stichprobe von Protesten, für die Teilneh- nen Aktivist*innen zurück. Zudem holen wir Informa- merzahlen von Behörden registriert wurden, vali- tionen zu Demonstrationsanmeldungen bei Polizei dieren. Um die Glaubwürdigkeit des Maßes weiter und Ordnungsämtern ein. Abbildung 1 zeigt unsere zu untermauern, nutzen wir Bundesligafußballspiele Datenbasis von fast 4 000 Klimastreiks in 373 un- und zeigen, dass unsere geschätzten Bewegungs- terschiedlichen Orten an 186 Tagen im Jahr 2019 ströme hoch korreliert sind mit den beobachte- in Deutschland. Es ist erkennbar, dass (fast) in je- ten Bewegungsströmen zwischen den Landkrei- dem Landkreis in Deutschland und insbesondere an sen der Heim- und Auswärtsmannschaft an Bun- Freitagen und häufig zeitgleich zu globalen Kli- desligaspieltagen.7 mastreiks (mit Datum in Abbildung markiert) gestreikt wurde. 6 Genauer gesagt handelt es sich um die Ergebnisse der Euro päischen Parlamentswahlen (2019), von zehn Landtagswahlen Zudem nutzen wir sogenannte Mobilitätsmatri- (2019–2021) sowie der Bundestagswahl (2021). zen, die aus anonymisierten Mobilfunkbewegungs- 7 Konkret schätzen wir über ein sogenanntes Gravitationsregres sionsmodell erst die mittlere zu erwartende Anzahl an Bewegungen daten des großen Mobilfunkunternehmens Telefonica zwischen allen Landkreisen und innerhalb eines Landkreises für jeden O2 gewonnen werden.4 Diese Mobilitätsmatrizen des Tag. In diesem Modell berücksichtigen wir u.a., dass Mobilitätsmuster für bestimmte Landkreispaare, Wochentage, Jahreszeiten und an Fei- Datenanbieters Teralytics geben die auf die deutsche ertagen unterschiedlich sind. Die Differenz zwischen beobachteter und Bevölkerung hochgerechnete, tägliche Anzahl der Be- geschätzter mittlerer/erwarteter Anzahl an Bewegungen ergibt dann die sogenannte Übermobilität. Diese zeigt, wie viele Bewegungen wegungen zwischen allen 401 deutschen Landkreisen mehr oder weniger als im Durchschnitt üblich an einem Tag zwischen (und innerhalb eines Landkreises) wieder.5 Diese Da- allen Landkreispaaren und innerhalb eines Landkreises stattfinden. Die Kombination mit der FFF-Streikdatenbank ermöglicht es dann, die ten benutzen wir, um sowohl die Größe der Proteste Übermobilitätsströme zu identifizieren, die durch die Streiks verur- als auch die Herkunft der Protestierenden zu ermit- sacht sind. Dazu werden für jeden Tag und jeden Herkunftslandkreis die zusätzlichen Bewegungen über alle Ziellandkreise, in denen eine 4 Weitere konventionelle Daten, wie z.B. offizielle Wahlergebnisse FFF-Demo stattfindet, aufsummiert. In einem letzten Schritt werden oder amtliche Regionaldaten, kommen zudem zum Einsatz und wer- dann die täglichen Streikpartizipationsmaße für jeden Landkreis bis den hier aus Platzgründen nicht weiter erläutert. zur jeweiligen Wahl aufsummiert, um die zeitlich kumulierte regionale 5 Insgesamt enthält der Datensatz über das Jahr 2019 verteilt Stärke der FFF-Bewegung zu messen. Genauere Berechnungsdetails 64,4 Mrd. Bewegungen zwischen den Start-Ziel-Ortspaaren. sind Fabel et al. (2022) zu entnehmen. Abb. 1 Orte und Zeitpunkte von Klimastreiks im Jahr 2019 FFF-Website Behörden Soziale Medien Anzahl der Streiks 400 300 20.09. 29.11. 200 24.05. 15.03. 100 0 Jan Mrz Mai Jul Sep Nov Anmerkung: Die Grafik zeigt links die regionale und rechts die zeitliche Verteilung von Klimastreiks im Jahr 2019 in Deutschland. Die vier markierten Daten weisen auf die globalen Klimastreikwochen hin, zu denen besonders viel demonstriert wurde. Rote Punkte bezeichnen Streikorte. Quelle: Recherchen der Autor*innen. © ifo Institut 30 ifo Schnelldienst 5 / 2022 75. Jahrgang 11. Mai 2022
GRÜNE TRANSFORMATION Abb. 2 beobachtete Unterschiede zwischen Bundesländern Streikpartizipation für Berlin oder Landkreisen, wie z.B. das Umweltbewusstsein, [–0,52; 1,13] als Verzerrungsgrund ausgeschlossen. Zweitens be- (1,13; 7,44] (7,44; 29,25] rücksichtigen wir zusätzlich eine Reihe zeitvariabler (29,25; 38,78] (38,78; 125,41] Kontrollvariablen auf Landkreisebene. Drittens füh- Keine Daten ren wir sogenannte Falsifikations- oder Placebotests durch. Damit können wir empirisch zeigen, dass das kumulierte Streikpartizipationsmaß im Jahr 2019 nicht mit Wahlergebnissen, die früher stattgefun- den haben, korreliert hat, und somit die Validität dieses Maßes weiter belegen. Zuletzt nutzen wir Nie- derschlagsdaten, um die Streikpartizipation vorher- zusagen (Madestam et al. 2013). Dieser Ansatz basiert auf der Tatsache, dass stärkerer Niederschlag – als für einen (Streik-)Tag erwartbar wäre – Leute von der Teilnahme (typischerweise unter freiem Himmel) ab- hält. Regen am Streiktag hat aber natürlich keinen direkten oder indirekten Einfluss auf Wahlergebnisse später im Jahr. Stark vereinfacht gesagt, hilft diese zufällige und damit exogene Variation weitere unbe- obachtete und zeitvariable Einflüsse auszuschließen, die die Messung des Zusammenhangs zwischen FFF- Stärke und Wahlergebnissen verzerren könnten. Anmerkung: Die Karte zeigt das berechnete Streikpartizipationsmaß für Berlin am STARKE STIMMENGEWINNE FÜR DIE GRÜNEN, 19. März 2019. Dunkles Grün steht für eine höhere Beteiligung am Streik. Rote Punkte kennzeichnen Streikorte und graue Flächen markieren Landkreise ohne Daten. Dicke ABER NUR GERINGFÜGIG HÖHERE WAHL- graue Linien kennzeichnen Länder- und dünne graue Linien Landkreisgrenzen. Höhere bzw. positivere Werte bedeuten mehr Bewegungen nach Berlin zum Streik, als BETEILIGUNG typischerweise erwartbar wären. Quelle: Mobilitätsmatrizen von Teralytics; Berechnung der Autor*innen. © ifo Institut Diese gerade beschriebene, empirische Analyse zeigt, dass größere lokale (bis zum Wahltag kumu- EINE KORRELATION ZWISCHEN STREIK- lierte) Klimastreikpartizipation im Durchschnitt zu PARTIZIPATION UND WAHLERGEBNISSEN starken Stimmengewinnen für die Grünen führt. Ge- IST NOCH KEIN KAUSALZUSAMMENHANG nauer gesagt, ist ein Anstieg der Klimastreikbeteili- gung in Höhe einer Standardabweichung mit einem Mittels (multivariater) Regressionsanalyse können Wählerstimmenwachstum der Grünen von 0,45 Pro- nun die Wahlergebnisse auf Landkreisebene (als Er- zentpunkten assoziiert. Betrachtet man die durch- gebnisvariable) und das Streikpartizipationsmaß (als schnittlichen Stimmengewinne der Grünen im Ver- erklärende Variable) sowie weitere Kontrollvariab- gleich zu den letzten Wahlen (in Höhe von ungefähr len in Verbindung gesetzt werden. Dennoch bleibt 6,3%), so entsprechen 0,45 Prozentpunkte ca. 7% des die Quantifizierung eines glaubhaften Kausalzusam- Stimmengewinns. Weitere Analysen zeigen, dass der menhangs zwischen höherer Streikpartizipation und hier beschriebene Effekt sehr robust ist.9 Zudem lässt größeren Stimmenanteilen für »klimafreundliche« sich zeigen, dass größere Klimastreikbeteiligung zu Parteien eine Herausforderung. Unbeobachtete und größerer Wahlbeteiligung führt. Allerdings ist der damit in der Regressionsanalyse unberücksichtigte durch die Klimastreiks ausgelöste Anstieg der Wahl Faktoren können die Analyse verzerren.8 Um dies so beteiligung nur für ungefähr 2% des durchschnitt weit als möglich auszuschließen, implementieren lichen Gesamtzuwachses der Wahlbeteiligung gegen- wir vier verschiedene Ansätze, die hier vereinfacht über den letzten Wahlen (in Höhe von 7,36%) ver- beschrieben werden. Zuerst führen wir die Schät- antwortlich. Das deutet darauf hin, dass die großen zung des Regressionsmodells in ersten Differenzen streikinduzierten Stimmengewinne für die Grünen durch. Damit werden über die Zeit konstante, un- mehr durch Wählerwanderung von anderen Parteien als durch Aktivierung neuer Wähler*innen getrieben 8 Es ist beispielsweise denkbar, dass in Landkreisen, in denen z.B. historisch bedingtes größeres (und aus Forscherperspektive unbeob- sind. achtetes) Umweltbewusstsein vorherrscht, die Jugend mehr de- In weiteren Analysen untersuchen wir daher monstriert und Erwachsene sowieso grüne Parteien wählen. Damit wären die Ergebnisse der oben genannten Regressionsanalyse, die die Wirkung der Klimastreikbeteiligung auf die Wäh- das unbeobachtete Umweltbewusstsein eben nicht beinhalten kann, lerstimmenveränderung der fünf anderen Parteien systematisch verzerrt. Jegliche geschätzten Zusammenhänge/Re- gressionskoeffizienten wären somit nicht kausal interpretierbar, son- des aktuellen 20. Deutschen Bundestags: Die Linke, dern lediglich eine Korrelation. Zumindest ein Teil des so vermeint- SPD, FDP, Union (CDU/CSU), AfD (geordnet nach po- lich gemessenen kausalen Streikeffekts wäre eben nicht auf die 9 Streikpartizipation, sondern das grundsätzliche Umweltbewusstsein Größe und Richtung ändern sich durch Aufnahme weiterer Kont- im Landkreis zurückzuführen. rollvariablen in die Regressionsgleichung kaum. ifo Schnelldienst 5 / 2022 75. Jahrgang 11. Mai 2022 31
GRÜNE TRANSFORMATION litischen Spektrum/Sitzordnung im Bundestag von gewinnen für die Grünen im Heimatlandkreis führt. links nach rechts). Die Resultate zeigen, dass größere Da Klimaproteste in anderen Landkreisen für (ältere) Klimastreikpartizipation in einem Landkreis negative Bewohner*innen des Heimatlandkreises nicht direkt Auswirkung auf die Wahlergebnisse von SPD und Die sichtbar sind, stützt dieses Ergebnis die Hypothese, Linke, also Parteien im linken politischen Spektrum, dass klimafreundliche Einstellungen eben von (jun- hatte. Im rechten politischen Spektrum resultieren die gen) Streikteilnehmer*innen im Familien und Freun- Klimastreiks in einem bedeutenden Stimmenverlust deskreis weitergegeben werden und damit eine inter- der AfD. Präziser formuliert, verursacht ein Anstieg generationelle Transmission stattfindet. der Klimastreikpartizipation um eine Standardabwei- Der zweite Wirkungskanal, der den Zusammen- chung einen Stimmenverlust der AfD von ca. 2 Pro- hang zwischen Streikpartizipation und Stimmengewin- zentpunkten. In Abwesenheit der Klimastreiks wäre nen für die Grünen erklären kann, betrifft das Verhal- der durchschnittliche Stimmengewinn der AfD im Ver- ten von Politiker*innen. Diese könnten durch stärkere gleich zur letzten Wahl demnach um ungefähr 10% Protestpartizipation in ihrem Wahlkreis entweder ihre höher ausgefallen. Zudem hat interessanterweise die eigenen Einstellungen oder zumindest ihre öffentli- Union in Landkreisen mit hoher Klimastreikbeteiligung che Kommunikation bzw. Positionierung zu Klimathe- einen kleinen, jedoch statistisch signifikanten Stim- men anpassen, um (gefühlten) Wählerpräferenzen zu mengewinn erzielen können. Hätten die Klimastreiks entsprechen und damit möglicherweise Stimmen zu nicht stattgefunden, so wäre der durchschnittliche gewinnen. Zu diesem Zweck untersuchen wir den Zu- Stimmenverlust der Union um ca. 2% höher ausgefal- sammenhang zwischen Twitter-Aktivität mit Klimain- len. Außerdem haben die Klimastreiks auch zu einem halt von Bundestagsabgeordneten und dem Streikpar- Stimmenverlust der FDP geführt. tizipationsmaß in deren Wahlkreis am Tag des Tweets. Es zeigt sich, dass höhere Streikpartizipation in einem ELTERN, POLITIKER*INNEN, DIE PRESSE Wahlkreis zu einer geringfügig höheren Wahrschein- ODER STRATEGISCHES WAHLVERHALTEN? lichkeit führt, dass ein*e Politiker*in auf Twitter über DURCH WELCHE WIRKUNGSKANÄLE ein »Klimathema« schreibt. Differenziert man diesen BEEINFLUSSEN FFF-STREIKS DIE WAHLEN? Effekt aber nach Parteizugehörigkeit, erkennt man, dass insbesondere Grünen-Politiker*innen bei höhe- Wie aber lassen sich die durch FFF-Proteste induzier- rer Streikpartizipation in ihrem Wahlkreis tweeten. ten starken Stimmengewinne für die Grünen erklären, Der dritte Wirkungsmechanismus betrifft die wenn man berücksichtigt, dass viele der Protestie- Presse, die durch ihre Berichterstattung auch Wäh- renden Kinder und Jugendliche sind, die selbst noch ler*innen und damit Wahlergebnisse beeinflussen gar nicht wählen konnten? Im Folgenden wird auf vier kann (Gerber et al. 2009). Es zeigt sich, dass höhere mögliche, eventuell zusammenwirkende Wirkungska- Streikpartizipation im Verbreitungsgebiet einer Zei- näle eingegangen. tung sofort zu mehr Berichten über Klimathemen und Der erste Mechanismus ist die sogenannte um- die FFF-Streiks führt. Dieser Effekt ist nicht nur tem- gekehrte intergenerationelle Übertragung von Ein- porär, sondern dauerhaft: Bei einem Anstieg der loka- stellungen und Werten. Dies bedeutet, dass Eltern len Protestbeteiligung um eine Standardabweichung durch ihre Kinder beeinflusst werden, sich mit Um- in einem Zeitungsverbreitungsgebiet erhöht sich die welt- und Klimafragen zu befassen (Lawson et al. Zahl von »Klimaartikeln« um 58 oder 18%, wenn man 2019) und letztendlich die Grünen wählen. Mit Hilfe die beiden Zeiträume August bis Dezember 2018 und von Forsa-Wahlumfragedaten (und einer ähnlichen 2019 miteinander vergleicht. Regressionsanalyse wie oben beschrieben), können Um strategisches Wahlverhalten, das den star- wir u. a. zeigen, dass Personen mit Kindern im Haus- ken FFF-induzierten Stimmenverlust der AfD und den halt in Landkreisen, in denen bis zur Umfrage viele leichten Stimmengewinn der Union erklären kann, FFF-Streiks stattgefunden haben – gemessen über geht es im letzten Wirkungskanal. Hier können wir das oben beschriebene kumulierte Streikpartizipa- in einer komplementären Analyse mit Hilfe der For- tionsmaß – häufiger angeben, in der nächsten Wahl sa-Wahlumfragedaten zeigen, dass insbesondere grün wählen zu wollen als Personen ohne Kinder im Befragte, die in der letzten Wahl die AfD gewählt Haushalt.10 In einer weiteren Analyse wird zudem das haben und keine Kinder haben, in Landkreisen mit kumulierte Streikpartizipationsmaß in »Streikparti hoher kumulierter Streikpartizipation angeben, bei zipation im Heimatlandkreis« und »Streikpartizipation der nächsten Wahl die Union wählen zu wollen. Die- außerhalb des Heimatlandkreises« aufgeteilt. Es lässt ses Ergebnis schließt intergenerationelle Transmis- sich zeigen, dass höhere Streikpartizipation in frem- sion als Wirkungskanal aus. Es legt eher nahe, dass den Landkreisen durch (junge) Bewohner*innen des (ehemalige) AfD-Wähler*innen zur Union wechseln Heimatlandkreises auch zu signifikanten Stimmen- wollen, um ein weiteres Erstarken der Grünen zu verhindern, ohne die eigenen konservativen Werte 10 Durch die Verteilung der Interviewzeitpunkte über das Jahr sind aufzugeben, gegeben, dass die AfD in vielen Wahlen Befragte zufällig mehr oder weniger FFF-Streiks bis zur Befragung ausgesetzt, was hilft, statistische Verzerrungen bei der Messung des keine Aussicht auf eine Regierungsbeteiligung bzw. FFF-Effekts auszuschließen. auf den Wahlgewinn hat. 32 ifo Schnelldienst 5 / 2022 75. Jahrgang 11. Mai 2022
GRÜNE TRANSFORMATION DIE FFF-STUDIE ALS BEISPIEL FAZIT FÜR »BIG DATA ECONOMICS« Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass anhand Der vorliegende Beitrag und die zugrunde liegende der daten- und methodenintensiven Analyse die ein- Studie von Fabel et al. (2022) sind ein Beispiel für das gangs aufgeworfene Frage, ob die FFF-Bewegung zum große Potenzial und die zahlreichen Herausforderun- politischen Klimawandel beigetragen hat, eindeutig gen von »Big Data Economics«. Dieses Forschungs- mit »Ja« beantwortet werden kann. Wie wir zeigen gebiet zeichnet sich durch die vier folgenden Eigen- konnten, führt eine höhere kumulierte Beteiligung an schaften aus: Es stehen erstens gesellschaftlich oder FFF-Streiks in einem Landkreis dort u.a. zu einem star- politikrelevante Fragestellungen und zweitens die ken Stimmengewinn für die Grünen und einem massi- konkrete empirische Anwendung im Gegensatz zur ven Stimmenverlust bei der AfD. Wählerwanderungen theoriebasierten und abstrakten Methodenentwick- waren wichtiger als die Mobilisierung von Nichtwäh- lung im Vordergrund. Drittens kommen innovative lern. Umgekehrte intergenerationelle Transmission des statistische Verfahren (z.B. des Maschinellen Lernens Klima- und Umweltbewusstseins von (nicht-wahlbe- oder der kausalen Inferenz) zum Einsatz. Viertens rechtigten, demonstrierenden) Kindern zu ihren (wahl- werden diese Methoden auf unkonventionelle, z.T. berechtigten, nicht-demonstrierenden) Eltern scheint große unstrukturierte aufwendig kombinierte, kos- dabei ein wichtiger Wirkungskanal zu sein. Strategi- tenintensiv erworbene und/oder selbst gesammelte sches Wahlverhalten und Anpassungsreaktionen von Daten (wie z.B. Text- oder Bilddaten) angewendet. Medien und Politiker*innen sind weitere, eventuell in Traditionelle Datenquellen, wie die amtliche Statis- Kombination wirkende Mechanismen. tik oder Umfragen von Forschungsinstituten, liefern Ob allerdings mehr grüne Politiker*innen in entweder keine, zu wenig oder zeitlich nur stark Parlamenten auch langfristig mehr oder effektivere verzögert Informationen zum Untersuchungsgegen- klima- und umweltfreundliche Politikmaßnahmen stand.11 Erst die z.T. schwierige Kombination dieser durchsetzen können, wird erst zukünftige Forschung vier Eigenschaften ermöglicht die Beantwortung der zeigen können. Seit 2020 dominiert die Corona-Pan- Forschungsfragen. demie und nun der russische Angriffskrieg gegen die Konkret bezogen auf die hier vorliegende Studie: Ukraine die politische Agenda, so dass Klimaschutz FFF ist die größte Jugend- und Protestbewegung seit zunächst in den Hintergrund gerückt ist. Die Untersu- 1968, in der sich hunderttausende junger Menschen chung des genauen Zusammenwirkens der verschie- (und damit zukünftige Wähler*innen) engagieren denen Wirkungskanäle sowie des Einflusses von FFF und von der Politik verbindliche und sofortige Kli- auf das individuelle Konsum- und Mobilitätsverhalten maschutzmaßnahmen fordern. Durch die Anwendung eröffnen dennoch weitere interessante und wichtige einer innovativen Messmethode kann die regionale Forschungsperspektiven für die Zukunft. FFF-Streikbeteiligung erfasst werden. Die Verwendung ökonometrischer Techniken der kausalen Inferenz er- LITERATUR laubt es dann, einen glaubhaften Wirkungszusammen- Besley, T. und T. Persson (2020). »Escaping the Climate Trap? Values, hang zwischen lokaler Streikbeteiligung und Wahler- Technologies, and Politics«, mimeo. gebnissen zu identifizieren und von einer simplen Kor- Fabel, M., M. Flückiger, M. Ludwig, H. Rainer, M. Waldinger und S. Wichert (2022), »The Power of Youth: Political impacts of the ›Fridays relation zu unterscheiden. All das ist natürlich nicht for Future‹ Climate Protests«, CESifo Working Paper 9742, verfügbar un- möglich, ohne die zeitintensive Datensammlung und ter: https://www.cesifo.org/DocDL/cesifo1_wp9742.pdf. z.T. komplexe Kombination von Daten unterschied- Finnegan, J. J. (2022), »Institutions, Climate Change, and the Founda- tions of Long-Term Policymaking«, Comparative Political Studies (0), 1–38. lichster Quellen und mit Hilfe verschiedenster Tech- Gerber, A. S., D. Karlan und D. Bergan (2009), »Does the Media Matter? niken: mobilfunkbasierte Mobilitätsmatrizen, Streik- A Field Experiment Measuring the Effect of Newspapers on Voting Beha- daten von der FFF-Website, von Ordnungsämtern und vior and Political Opinions«, American Economic Journal: Applied Econo- mics (2), 35–52. Social-Media-Kanälen, Twitter-Daten, Wahlergebnisse, IPCC – Intergovernmental Panel on Climate Change (2014), Mitigation of Wahlkreis- und Bundestagsabgeordnetendaten, Wahl- Climate Change. Contribution of Working Group III to the Fifth Assessment und Meinungsumfragen, Bundesligafußballspieldaten, Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change, Cambridge University Press, Cambridge, MA. Zeitungsartikel und Zeitungsverbreitungsinformatio- Lawson, D. F., K. T. Stevenson, M. N. Peterson, S. J. Carrier, R. L. Strnad nen, digitale geografische Daten und Landkarten, Nie- und E. Seekamp (2019), »Children Can Foster Climate Change Concern derschlagsdaten und nicht zuletzt zahlreiche amtliche Among their Parents«, Nature Climate Change (6), 458–462. Regionaldaten verschiedenster statistischer Ämter Madestam, A., D. Shoag, S. Veuger und D. Yanagizawa-Drott (2013), »Do Political Protests Matter? Evidence from the Tea Party Movement«, The und Behörden. Quarterly Journal of Economics (4), 1633–1685. Sanderson, B. M. und B. C. O’Neill (2020), »Assessing the Costs of Histo- rical Inaction on Climate Change«, Scientific Reports (1), 1–12. 11 Weitere Informationen zum ifo Forschungsschwerpunkt »Big Data UN – United Nations (2021), Emissions Gap Report 2021: The Heat Is On – Economics« finden Sie hier: https://www.ifo.de/big-data-economics. A World of Climate Promises Not Yet Delivered, verfügbar unter: https://www.unep.org/resources/emissions-gap-report-2021. ifo Schnelldienst 5 / 2022 75. Jahrgang 11. Mai 2022 33
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