Training bei Demenz - Dokumentation zum Kongress "Training bei Demenz" Dezember 2008
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[ Schriftenreihe der Landesstiftung Baden-Württemberg; 42 ] Training bei Demenz Dokumentation zum Kongress „Training bei Demenz“ Dezember 2008 Netzwerk AlternsfoRschung Network Aging Research Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg und Partner
[ Inhalt ] Seite Vorwort 4 Landesstiftung Baden-Württemberg Vorwort 6 Netzwerk Alternsforschung I. Training bei Demenz 1. Körperliches Training bei Demenz 12 II. Lernen und Bewegung 1. Lernen und Gedächtnis – 40 Eine Einführung 2. Adulte Neurogenese – Aktivitäts- 44 abhängige Neubildung von Nervenzellen im alternden Gehirn 3. Die Verlockung des Unbekannten – 54 Neuronale Plastizität im Alter III. Musik und Bewegung 1. Musizierend altern – 70 Impressum Eine Einführung Training bei Demenz 2. M usik ist Bewegung und vermittelt 74 Dokumentation zum Kongress Orientierung – Perspektiven für „Training bei Demenz“ das Alter Dezember 2008 Herausgeber 3. Musizieren als Neurostimulans – 90 Landesstiftung Baden-Württemberg gGmbH Mit Musik der Demenz vorbeugen? Im Kaisemer 1 70191 Stuttgart IV. Assistenzsysteme 1. Die Rolle von Technik bei 104 kognitiven Einbußen im Alter Verantwortlich Für die Beiträge sind jeweils die Autoren V. Lebensqualität 1. Demenz – Ethische Überlegungen 146 verantwortlich. zur Menschenwürde in Grenz- situationen Redaktion Irene Purschke, LANDESSTIFTUNG Baden-Württemberg 2. Demenz als emotionale Herausforde- 172 Birgit Teichmann, rung für Individuum und Gesellschaft Netzwerk AlternsfoRschung – Furcht und / oder Hoffnung? Konzeption und Gestaltung srp. Werbeagentur GmbH, Freiburg Autorenverzeichnis 183 Druckerei Schriftenreihe der 186 Burger Druck, Waldkirch LANDESSTIFTUNG Baden-Württemberg © November 2009, Stuttgart LANDESSTIFTUNG Baden-Württemberg 188 Schriftenreihe der Landesstiftung Baden-Württemberg; 42 ISSN 1610-4269 2 3
[ Vorwort ] Liebe Leserin, lieber Leser, Die Landesstiftung engagiert sich in Themenfeldern, die für die Auf dem am 8. Dezember 2008 gemeinsam von der Landes- Zukunftsfähigkeit Baden-Württembergs von Bedeutung sind. Da- stiftung und dem Netzwerk Alternsforschung in Heidelberg her setzt sie ihre Schwerpunkte in den Bereichen Wissenschaft durchgeführten Kongress konnten Ergebnisse dieser umfangrei- und Forschung, Bildung und Soziale Verantwortung. chen Forschungsarbeiten einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt werden. „Training bei Demenz“ umfasst dabei jedoch nicht nur Unsere Aufgabe ist es, aktuelle gesellschaftliche Fragen und Pro- körperliches Training und Bewegung, sondern beschäftigt sich blemstellungen aufzugreifen und gemeinsam mit einer Vielzahl mit dem Thema Demenz in umfassenderer Form: so wurden von Akteuren zu deren Lösung beizutragen. Ein solches Themen- neben weiteren Forschungsarbeiten aus dem Bereich „Bewe- feld ist für uns der demografische Wandel und seine Folgen. Dies gung und Demenz“ auch Projekte zu „Musik und Demenz“ sowie stellt nicht nur unsere Gesellschaft vor zahlreiche Herausforde- „technische Assistenzsysteme“ vorgestellt. In dem vorliegenden rungen, er betrifft vielmehr einen Großteil der Industrienationen. Dokumentationsband wurden die Redebeiträge der Tagung zu- Eine der Prognosen betrifft konkret die Altersdemenz. Durch den sammengestellt sowie durch weitere, themenübergreifende Ar- Anstieg des Anteils Älterer und Hochbetagter an der Gesamt- tikel von Mitarbeitern des Netzwerks Alternsforschung ergänzt. bevölkerung werden gerade die demenziellen Erkrankungen signifikant zunehmen. Wie sehr das Thema der Altersdemenz im öffentlichen Bewusst- Herbert Moser sein angekommen ist, zeigte das ausgesprochen große, öffentli- Rudi Beer Geschäftsführer der Landesstiftung Als die Landesstiftung 2004 das Forschungsprogramm „Sport Leiter des Bereichs Wissenschaft & Forschung Baden-Württemberg che Interesse an dem Kongress und die positive Resonanz in den Landesstiftung Baden-Württemberg – Bewegung – Prävention“ ausschrieb, stand die Gesundheits- Medien. Wir freuen uns daher, dass mit diesem Tagungsband vorsorge und das richtige Maß an Bewegung gerade im und für wichtige Ergebnisse aus der Wissenschaft zum Umgang mit das Alter im Fokus des Programms. Damit hat die Landesstiftung Demenz einem breiten Kreis von Interessierten, insbesondere bereits früh ein Zeichen gesetzt. Wichtig war uns, zunächst in aber auch Betroffenen und Angehörigen zur Verfügung gestellt der Wissenschaft Antworten auf die Frage nach dem richtigen werden kann. Umgang mit altersbedingten Erkrankungen bzw. ihrer Präventi- on zu suchen. Ein Projekt der Wissenschaftler Klaus Hauer und Peter Oster ging im Rahmen dieses Forschungsprogramms der Frage nach der Wirkung von Bewegung bei an Demenz erkrankten Menschen nach. Die Projektergebnisse sind ermutigend und zeigen, dass hier ein richtiger Weg eingeschlagen wurde. Herbert Moser Rudi Beer 4 5
[ Vorwort ] Liebe Forschungsinteressierte, der vorliegende Band ist das Ergebnis des Kongresses „Training Diese Annahme beruht darauf, dass das Zeitfenster innerhalb bei Demenz“, der im Dezember 2008 in Heidelberg stattgefun- dessen bei den meisten Menschen die Alzheimer Krankheit den hat. Mit diesem Kongress, der sich an das Fachpublikum, ausbricht einen Zeitraum von 20 Jahren überdeckt. Aufgrund den interessierten Laien, Betroffenen und Angehörigen richtete, des heutigen Kenntnisstandes scheint uns ein Hinauszögern Netzwerk AlternsfoRschung wollte das Netzwerk AlternsfoRschung (NAR) der Universität des Krankheitsbeginns um 16,5 Jahre realistisch. Dies würde Network Aging Research Heidelberg, mit Unterstützung der Landesstiftung Baden- bedeuten, dass in Deutschland im Jahr 2050 nicht 4,8 Millionen Württemberg, bewusst Hoffnung hervorrufen – Hoffnung für Menschen an der Alzheimer Krankheit leiden müssten, sondern Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg und Partner eine Erkrankung, die durch das demographische Altern immer nur ein Achtel davon, also 0,6 Million. Das wären halb so viele allgegenwärtiger wird: Demenz. wie heute. Dies zu erreichen, stellt eine große Herausforderung für Wissenschaft und Gesellschaft dar. Was ist zu tun? Die Er- fahrung hat uns gelehrt, dass chronische Krankheiten, zu denen Zur Demenz, dem vom lateinischen „de“ – abnehmend und die Alzheimer Krankheit gehört, generell schwierig zu behan- „mens“ – Verstand – abgeleiteten Begriff für Gedächtnisverlust, deln und therapieresistent sind. Die größte Chance besteht bei stellt Luis Buñuel in seiner 1983 im Athenäum Verlag erschienen chronischen Krankheiten darin, die Risikofaktoren zu minimieren, Biographie „Mein letzter Seufzer“ – in Erinnerung an seine Mut- besser ganz zu eliminieren. Risikofaktoren bestimmen nicht nur ter – folgendes fest: „Man muss erst beginnen, sein Gedächtnis die Variabilität des Erkrankungsalters, sondern auch die Ge- zu verlieren, und sei’s nur stückweise, um sich darüber klar zu schwindigkeit des Fortschreitens des Krankheitsprozesses. werden, dass das Gedächtnis unser ganzes Leben ist. Ein Leben ohne Gedächtnis wäre kein Leben, wie eine Intelligenz ohne Ausdrucksmöglichkeit keine Intelligenz wäre. Unser Gedächtnis Obwohl nach dem heutigen Stand der Forschung und in Über- ist unser Zusammenhalt, unser Handeln, unser Gefühl. Ohne einstimmung mit dem oben Festgestellten eine Heilung nach Gedächtnis sind wir nichts.“ So weit die Sicht Luis Buñuels zur Ausbruch der Alzheimer Krankheit nicht möglich zu sein scheint Bedeutung des Gedächtnisses, die viele wohl teilen. – es sind einfach schon zu viele Nervenzellen untergegangen – müssen wir den geistigen Verfall nicht tatenlos hinnehmen. Ein eindrucksvolles Beispiel zeigen die im ersten Teil dieses Bandes Die am häufigsten auftretende Form der Demenz, aber bei wei- beschriebenen Trainingsstudien bei Demenz. Patienten mit tem nicht die einzige, ist die Alzheimer Krankheit. Legt man die demenzieller Erkrankung sind in ihrer mobilitätsabhängigen Zahlen der USA zugrunde, so leben in Deutschland derzeit mehr Lebensqualität deutlich eingeschränkt. Das Sturzrisiko ist erhöht. als 1,2 Millionen Menschen mit der Alzheimer Krankheit. Diese Das Gleichgewicht ist stark reduziert. Das Bezahlen an der Zahl wird sich bis zum Jahr 2050 auf 4,8 Millionen vervierfachen, Kasse des Lebensmittelgeschäftes wird zum Sturzrisiko, wenn es falls es der Wissenschaft nicht gelingen sollte, den Ausbruch der darum geht, das Portemonnai aus der Tasche zu holen ohne sich Krankheit zu verzögern. Letzteres liegt durchaus im Bereich des festhalten zu können. Die Studie zeigt, dass es durch körperliches Möglichen. Wir wissen heute, dass die Zahl der Patienten sich Training möglich ist, zumindest in Maßen die Alltagskompetenz ab dem 65. Lebensjahr etwa alle 5,5 Jahre verdoppelt. Demnach wieder herzustellen bzw. aufrecht zu erhalten. hat bei einem Erkrankungsrisiko, das für einen 85-Jährigen bei etwa 20 Prozent liegt, ein 91-Jähriger ein doppelt so hohes Risiko von 40 Prozent. Die Erwartung einer Vervierfachung der Zahl der Patienten bis zum Jahr 2050 beruht auf der plausiblen Annahme, dass bis dahin die Lebenserwartung um mehr als 20 Jahre steigt. Theoretisch sollte es aber wiederum möglich sein, den Erkran- kungsbeginn um eben diese 20 Jahre zu verzögern. 6 7
[ Vorwort ] Wir haben die neuesten Forschungsergebnisse zum Thema „Trai- Derzeit werden etwa 20 Doktoranden im Verbundprojekt ning bei Demenz“, die die Forscher um Klaus Hauer und Peter „Molekulare und biomedizinische Grundlagen von Alterungs- Oster, beide Mitglieder des NAR, erzielt haben, zum Anlass ge- vorgängen: Determinanten, Mechanismen und Implikationen nommen, diesen Kongress zu organisieren. Gemeinsam mit der für Prävention, Früherkennung und Therapie altersassoziierter Landesstiftung Baden-Württemberg haben wir Wissenschaftler Erkrankungen“ durch die Landesstiftung Baden-Württemberg eingeladen, über ihre neuesten Ergebnisse zu berichten. gefördert. Den hohen Stellenwert, den die Nachwuchsförde- rung im NAR einnimmt, sollte auch während des Kongresses Rechnung getragen werden. So standen neben etablierten Ganz bewusst zieht sich der Begriff der „Bewegung“ durch alle Wissenschaftlern auch Kollegiaten des 2008 gegründeten NAR- Teile dieses Bandes: Im ersten Teil als Bestandteil des Trainings, Kollegs am Rednerpult und bereichern ebenfalls durch Beiträge mit der die „Dual-Tasks“-Fähigkeiten der Patienten gefördert diesen Band. Ihre Aufgabe war es, am Ende jeden Themenblocks werden sollen. Teil 2 „Lernen und Bewegung“ beschreibt die die wichtigsten Resultate zusammen zu fassen. Das fachliche neuesten Erkenntnisse über die Bildung neuer Nervenzellen und Spektrum, das die jungen Wissenschaftler des NAR-Kollegs die verbesserte Lernfähigkeit, wenn sie mit Bewegung verknüpft vertreten, reicht von Biologie, Psychologie, Anthropologie bis zur wird. Teil 3 „Bewegung und Musik“ zeigt eindrucksvoll, dass Musik- und Sportwissenschaft. Die Kollegiaten erhalten für ihre Musik als Neurostimulans hilft, der Demenz vorzubeugen sowie Forschung und den Transfer der Ergebnisse in die Öffentlichkeit sinnvolle Perspektiven für das Alter zu bieten. Wie stellt sich die ein Stipendium und die Möglichkeit, die Infrastruktur des Netz- außerhäusliche Mobilität einer an Demenz erkrankten Person werks AlternsfoRschung für ihre Forschung zu nutzen. im Laufe eines Tages dar? Der vierte Teil des Bandes widmet sich dem Thema Assistenzsysteme. Welche Rolle spielt die Technik im Alter bei kongnitiven Einbußen? Der Kongressband schließt mit Das Netzwerk AlternsfoRschung dankt allen Autoren für ihre einer bedeutenden Studie zur Lebensqualität demenzkranker Beiträge zu diesem Band und der Landesstiftung Baden-Würt- Menschen. Mit Hilfe der mimischen Ausdrucksanalyse konnte bei temberg für ihre finanzielle und logistische Unterstützung. Netzwerk AlternsfoRschung Menschen mit weit fortgeschrittener Demenz, deren kognitive Network Aging Research Leistungskapazität erheblich beeinträchtigt ist, eine hohe Varia- Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg und Partner bilität in der emotionalen Befindlichkeit gezeigt werden. Somit kann die Kommunikation wenigstens in Teilen aufrecht erhalten werden – ein Aspekt, der auch aus ethischer Sicht bedeutsam ist! Das NAR wurde im Jahre 2006 als Nachfolgeinstitution des Deutschen Zentrums für Alternsforschung (DZFA) gegründet. Die Interdisziplinarität des Netzwerks Alternsforschung ist in Deutschland einmalig. Die für eine moderne Alternsforschung wichtigsten Forschungsbereiche, die den Menschen in seiner Gesamtheit betrachten, stehen hier im Mittelpunkt: Biologische Konrad Beyreuther Birgit Teichmann Grundlagenforschung und Medizinische Alternsforschung, Geis- Direktor NAR NAR Wissenschafts-Management tes-, Sozial- und Verhaltenswissenschaftliche Alternsforschung und Medizinische und Sozio-ökonomische Interventionspunkte. 8 9
„Ein sozial wie auch körperlich und geistig aktives Leben scheint das Risiko einer demenziellen Entwicklung zu verringern.“ I. Training bei Demenz 10 11
[ Teil I.1 ] Körperliches Training dem Alter stark ansteigt (vgl. Abb. 1). Sie liegt bei den 65–69-jährigen bei etwa 1,2 %, verdoppelt sich im Abstand von jeweils etwa fünf Altersjahren bei Demenz und steigt bei den 90-jährigen und Älteren auf über 30% an (Bickel 2005). Michael Schwenk, Klaus Hauer Abb. 1 Prävalenz und Prävalenz (Krankheitshäufigkeit) Inzidenz (Neuerkrankungen) Inzidenz der Altersdemenz 1 Einleitung 40 33,5 35 % der Altersgruppen Demenzielle Erkrankungen sind, neben dem kognitiven Leistungsverlust 30 und dem Auftreten von Verhaltensauffälligkeiten, durch einen Verlust mo- 25 22,6 13,3 torischer und funktioneller Leistungen gekennzeichnet. Die Betroffenen 20 erleiden deutliche Einschränkungen ihrer mobilitätsabhängigen Lebens- 15 5,8 3,9 6,5 10,4 qualität und zeigen ein hohes Sturzrisiko. 10 1,2 2,8 0,9 1,9 5 0,4 Der krankheitsbedingte, motorische Abbauprozess wird durch die geringe 0 körperliche Aktivität der Patienten in hohem Maße gefördert. Deshalb ist 65-69 70-74 75-79 80-84 85-89 >90 eine Partizipation an körperlichen Trainingsprogrammen sinnvoll. Bislang Alter in Jahren gibt es jedoch keine ausreichende Evidenz für die Effektivität von körperli- chem Training zur Verbesserung motorischer Leistungen bei demenziell Er- krankten. Die existierenden Studien zeigen kontroverse, teilweise negative Ergebnisse. Die mangelnde Effektivität wird nicht selten auf ein unzureichendes mo- Nach der elften koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung der Bundes- torisches Trainingspotential kognitiv Geschädigter zurückgeführt. Eine in republik Deutschland wird sich die Zahl der über 80jährigen von derzeit 3,7 dieser Arbeit vorgenommene Literaturanalyse zeigt jedoch, dass diese Be- Millionen bis 2050 auf etwa 10 Millionen Menschen erhöhen (Statistisches trachtungsweise zu kurz greift. Vielmehr sind untersuchungsmethodische Bundesamt 2006). Mängel oder unspezifische Interventionsmaßnahmen häufig die Ursache für negative Ergebnisse. Bedingt durch die ausgeprägte Zunahme hochbetagter Menschen ist Bislang fehlen methodisch hochwertige Studien mit Trainingskonzepten, in den nächsten Jahrzehnten auch mit einem starken Anstieg Demenz- welche psycho-soziale Aspekte und verbliebene Ressourcen aber auch kranker zu rechnen. Nach Bickel (2005) beträgt die Anzahl der jährlichen Defizite demenziell Erkrankter berücksichtigen. Ein derartiger Ansatz wird Neuerkrankungen ca. 200.000 Fälle. Setzt man eine gleich bleibende im letzten Abschnitt vorgestellt. Prävalenzrate voraus, so wird sich die Zahl der Demenzkranken bis 2050 mit ca. 2,6 Millionen Menschen mehr als verdoppeln. 2 Wie viele Menschen sind betroffen bzw. werden in 3 Wie hängen motorische und kognitive Leistungen Zukunft betroffen sein? bei Demenz zusammen? In Deutschland leben derzeit etwa 1,1 Millionen Demenzkranke. Altersspe- Motorische und kognitive Leistungen sind als Marker für die Früher- zifische Prävalenzraten – vorwiegend auf Meta-Analysen europäischer kennung einer Demenz eng miteinander verknüpft. Ein sozial wie auch Studien basierend – zeigen, dass die Prävalenz der Demenz mit zunehmen- körperlich und geistig aktives Leben scheint das Risiko einer demenziellen Entwicklung zu verringern (Verghese et al. 2003, Yaffe et al. 2001). Spezifi- sche kognitive Leistungen (z.B. semantisches Gedächtnis, Aufmerksamkeit, 12 13
etc.) stellen signifikante Prädiktoren für funktionell-motorische Leistungen 3.1 Welche demenzspezifischen, motorischen Defizite liegen dar (Perry und Hodges 1999, Teri et al. 1989). Motorische Schädigungen vor? wurden als signifikante Prädiktoren für das Auftreten von altersassoziier- Demenziell erkrankte Patienten zeigen einen progredienten Verlust von ten kognitiven Schädigungen und für die Mortalität bei kognitiv geschä- motorisch-funktionellen Leistungen (z.B. Kraft, Balance, Gangleistungen). digten Personen identifiziert (Verghese et al. 2002, Marquis et al. 2002). Kennzeichnend für demenzassoziierte Motorikstörungen ist, dass einzelne Betrachtet man den Verlauf einer Demenz, so ist der Verlust kognitiver Bewegungskomponenten (z.B. Schwung- oder Standphase beim Gehen, Leistungen assoziiert mit einem zunehmenden Rückgang funktioneller Rumpfvorneigung beim Aufstehen von einem Stuhl) zwar vollzogen Leistungen im Alltag (Instrumental Activities of Daily Living, IADLs), einem werden können, die zerebrale Integration und Verarbeitung sensorischer Verlust motorischer Basisleistungen (Basic Activities of Daily Living, BADLs) Informationen jedoch gestört ist (higher level motor disorders). Dadurch und einem zunehmenden Risiko motorischer Fehlleistungen (Stürze) kommt es zu Störungen von Alltagsbewegungen, welche Auslöser moto- (Auyeung et al. 2008, Tinetti et al. 1988, van Iersel et al. 2004). In Abb. 2 sind rischer Fehlleistungen (Stürze) sein können (van Iersel et al. 2004, Manck- die Folgen einer Demenzerkrankung dargestellt. Im Fokus dieser Arbeit oundia et al. 2006). stehen motorische Defizite und deren Trainierbarkeit. Neben motorischen Auffälligkeiten sind Verluste bei aufmerksamkeitsab- hängigen, motorisch-kognitiven Anforderungen (Doppelaufgaben, Dual Tasks) frühe Marker der Erkrankung. Die Patienten haben Schwierigkeiten beim bewältigen simultaner Aufgabenstellungen. Beispielsweise kann eine kognitive Anforderungen (z.B. Nummern aufzählen) während dem Abb. 2 Gehen zu Störungen im Bewegungsablauf führen (Sheridan 2003). Mögli- Folgen einer Motorische Erhöhtes cherweise stellen defizitäre Dual Task Leistungen ein kausales Bindeglied demenziellen Defizite Sturzrisiko Erkrankung zur hohen Sturzgefahr demenziell erkrankter Patienten dar (Lundin-Olson et al. 1997). Das Aktivitätsniveau dementer Patienten zeigt in beide Richtungen be- deutende Abweichungen im Vergleich zu kognitiv nicht eingeschränkten Verlust der Geringe körperliche Personen: Überaktivität im Sinne einer Verhaltensauffälligkeit und starke Demenzerkrankung Selbständigkeit Aktivität Einschränkung der Mobilität aufgrund multipler Ursachen. Die überwie- gende Zahl kognitiv eingeschränkter Patienten zeigt ein zu geringes Akti- vitätsniveau. Die mangelnde körperliche Aktivität führt zur Verschlechte- rung motorischer Leistungen und des funktionellen Status und stellt eine Psychische Kognitive mögliche Ursache des hohen Sturzrisikos dieses Patientenkollektives dar Folgen Schädigung (Visser 2002, Buchner und Larson 1987). Andererseits ist auch eine erhöhte Sturzgefahr bei Überaktivität (hohe Risikoexposition) denkbar. Die Sturzinzidenz ist gegenüber vergleichbaren, nicht dementen Perso- nen um das dreifache erhöht und die Wahrscheinlichkeit, sich bei Stürzen schwer zu verletzen oder zu sterben, ist drei bis viermal so hoch (Buchner und Larson 1987, Lord et al. 2001). Im folgenden Kapitel wird dargestellt, ob über standardisiertes Funkti- onstraining während der geriatrischen Rehabilitation eine Verbesserung im motorischen Status dementiell Erkrankter erreicht werden kann. Die Analyse von Beobachtungsstudien ermöglicht eine Aussage zur Trainier- barkeit dieser Patientengruppe außerhalb randomisierter, kontrollierter Untersuchungen (vgl. Kap. 5). 14 15
4 Profitieren demenziell Erkrankte von motorisch- tungen (FIM Subscore) assoziiert. Zudem erwiesen sich kognitive Teilleis- tungen (Initiierung, Perseveration, Konzeption) als negative Prädiktoren für funktionellem Training in der geriatrischen den motorischen Rehabilitationserfolg. Rehabilitation? In anderen Beobachtungsstudien zeigt sich eine kognitive Einschränkung Das Ziel der geriatrischen Rehabilitation ist die Verbesserung funktioneller jedoch als negativer Prädiktor für motorische Rehabilitationserfolge (Ma- Leistungen im Alltag älterer Menschen. Damit verbinden sich die Wieder- gaziner et al. 1990, Diamond et al. 1996, Landi et al. 2002, Gruber-Baldini et erlangung einer möglichst selbstständigen Lebensführung (mit oder ohne al. 2003). Landi et al. (2002) unterzogen 244 Patienten zu Beginn und Ende Hilfe) sowie eine Verhinderung von Pflegebedürftigkeit (Kruse 1992). Das der geriatrischen Rehabilitation (6x wöchentlich, je 3h, Transfertraining, Training von motorisch-funktionellen Leistungen hat dabei einen hohen Haltungs- und Gleichgewichtstraining) einem motorischen Assessment. Stellenwert. In der durchgeführten Regressionsanalyse war der Parameter „kognitive Über motorisches Training können bei verschiedenen Krankheitsbildern Einschränkung“ einziger, signifikant negativer Prädiktor für den Rehabili- (Schlaganfall, Zustand nach Hüftgelenksprothese, Herzinfarkt, etc.) kli- tationserfolg. nisch- bzw. alltags-relevante Effekte erzielt werden. Bei Patienten mit kog- Vergleichbare Ergebnisse berichten Gruber-Baldini et al. (2003), die 674 nitiven Störungen wird die Wirksamkeit derartiger Maßnahmen allerdings Patienten nach Hüftgelenksfraktur über 12 Monate beobachteten. Das Vor- kontrovers diskutiert (Landi et al. 2002, Magaziner et al. 1990, Goldstein liegen einer Demenz oder kognitiven Störung (unabhängig davon ob diese et al. 1997, Gruber- Baldini et al. 2003). Dies wird im Folgenden anhand bereits vor Fraktur existierte oder erst im späteren Verlauf auftrat) war ein verschiedener Beobachtungsstudien aufgezeigt. Im Fokus steht die Frage, hoher Prädiktor für verminderte Rehabilitationsleistungen. welchen Einfluss eine kognitive Schädigung auf das Ergebnis von geriatri- schen Rehabilitationsmaßnahmen hat. Magaziner et al. (1990) verfolgten die motorische Leistungen (Physical Ac- tivities of Daily Living, PADs; Instrumental Activities of Daily Living, IADLs) Einige Untersuchungen zeigen, dass Rehabilitationsergebnisse von Pati- von 536 Patienten mit Hüftfraktur über ein Jahr nach Krankenhausentlas- enten mit kognitiver Einschränkung durchaus mit denen nicht kognitiv sung. Patienten, die während des Aufenthaltes kognitive Einschränkungen Geschädigter vergleichbar sind. Es werden nur geringfügig schlechtere aufwiesen, unabhängig davon ob akut (Delir) oder chronisch (Demenz), Ergebnisse erzielt bzw. die Patienten schneiden lediglich bei definierten erholten sich am wenigsten von den Folgen der Hüftfraktur. Rehabilitationsteilzielen schlechter ab (Goldstein et al. 1997, Belooseky et al. 2002, Rolland et al. 2004). Einige Autoren geben mögliche Ursachen für einen schlechteren Rehabi- litationserfolg kognitiv Geschädigter an. Häufig werden dabei untersu- Beloosesky et al. (2002) untersuchten 153 Patienten mit Hüftgelenksfraktur chungsmethodische Probleme oder unspezifische Trainingsansätze ange- zu Beginn und Ende der Rehabilitation, sowie nach einem, drei und sechs führt (Goldstein et al. 1997, Gruber-Baldini et al. 2003, Landi et al. 2002). Monaten. Funktionelle Leistungen wurden mittels des Functional Inde- pendence Measure (FIM) erfasst. Mittelgradig kognitiv Beeinträchtigte er- Magaziner et al. (1990) führen an, dass mangelnde Rehabilitationserfol- reichten vergleichbare motorische Verbesserungen wie normale Patienten. ge bei kognitiv Geschädigten nicht zwangsläufig auf eine verminderte Hauptprädiktor für den Rehabilitationserfolg war der funktionelle Status Trainierbarkeit zurückgeführte werden können. Vielmehr wird der gezielte vor dem Frakturereignis (erfasst über Katz Index of ADL via Proxy). Selbst Ausschluss von Therapieleistungen, begründet durch kognitive Defizite, als Patienten mit fortgeschrittener kognitiver Schädigung konnten motori- ein möglicher Grund für negative Ergebnisse diskutiert. sche Verbesserungen erzielen, wenngleich der Gewinn geringer ausfiel. Des Weiteren waren Therapieprogramme in den Beobachtungsstudien Diese Patientengruppe zeigte bereits vor der Fraktur ausgeprägte Defizite häufig nicht demenzspezifisch – eine Generalisierung der Ergebnisse ist im funktionellen Status. Die Autoren begründen damit den geringeren deshalb nicht zulässig (Landi et al. 2002). Speziell geschultes Therapieper- Rehabilitationserfolg. sonal scheint eine wesentliche Grundlage für Therapieerfolge bei kognitiv Goldstein et al. (1997) konnten zeigen, dass kognitiv beeinträchtigte Geschädigten zu sein (Goldstein et al. 1997). In diesem Zusammenhang Patienten (n=58) mit Hüftgelenksfraktur vergleichbare Verbesserungen verweisen verschiedene Autoren auf einen Mangel an demenzspezifischen im funktionellen Status (Gesamtscore FIM) erreichen wie kognitiv Intakte. Therapieprogrammen und fordern die Evaluation von neuen Konzepten Kognitive Defizite waren jedoch mit signifikant geringeren Mobilitätsleis- (Goldstein et al. 1997, Gruber-Baldini et al. 2003, Landi et al. 2002). 16 17
Tab. 1. Merkmale und Ergebnisse der analysierten randomisierten, kontrollierten Studien Autor Setting n Intervention Ergebnisse Motorik Metho- Ferner ist zu bemerken, dass die vorwiegend eingesetzten globalen discher Qualitäts- Ratingscalen (Fragebögen zu ADLs, IADLs), nicht ausreichend sensitiv sind score um spezifische, trainingsinduzierte Veränderungen der Motorik (Kraft, Pomeroy P 24 Übungen im Sitzen (G) Mobilität 5 Balance, Gangqualität) zu messen. Trainingserfolge wurden aus diesem 1993 und Mobilitätstraining (I) vs. (Baseline Gruppen-unterschiede) Grund möglicherweise in den Beobachtungsstudien nicht hinreichend K: Eins-zu-eins Interaktion abgebildet. Tappen et P 72 1: BADL- Training (G) vs. Selbstversorgung und ADL in 8 al. 1994 2: Allgemeine körperliche Akti- 1 im Vergleich zu K Die Frage „Ist bei demenziell erkrankten Patienten eine Verbesserung des vierung (G) vs. K: Reguläre Pflege motorischen Status über körperliches Training möglich?“ kann über die Frances P 12 Training untere Extremität (G) Balance: PE, # 1 Ergebnisse aus Beobachtungsstudien nicht abschließend beantwortet 1995 vs. K: Singen Funktionelle Leistung: PE, #, n.s. werden. Vielmehr ist eine Analyse von randomisierten, kontrollierten Stu- Pomeroy T 81 Kraft- und Funktion (I) vs. Mobilität: n.s. 5 et al. K: Eins-zu-eins Interaktion Gehen: n.s. dien (Randomised Controlled Trials = RCTs) notwendig, die ein ausreichen- 1999 des Evidenzniveau aufweisen. Tappen et P 71 1: Gehen und Sprechen vs. Ganggeschwindigkeit in allen 6 al. 2000 2: Gehen vs. K: Sprechen Gruppen, geringster Rückgang in 2 5 Welche Ergebnisse zur Effektivität von körperlichem Buettner P 25 Kraft- und Funktion (G) vs. Maximale Gehstrecke: 2 2002 K: Reguläre Pflege PE, # Training zeigen sich in randomisierten, kontrollier- Cott et al. P 86 1: Gehen und Sprechen vs. Gehen: n.s. 7 ten Studien? 2002 2: Nur Sprechen vs. K: keine Körperliche Einschränkungen: Intervention n.s Zahlreiche RCTs belegen klinisch bzw. alltags-relevante Auswirkungen von Buettner P 26 NDSP (körperliches Training und Gehen: PE, # 4 körperlichem Training (z.B. verbesserte Kraft und Funktion) bei kogni- & Ferra- soziale Interaktion, G) vs. tiv intakten, älteren Personen (Hauer et al. 2001, 2002, Lord et al. 2003). rio 2003 K: Reguläre Pflege Mehrheitlich wurden in diesen RCTs demenziell Erkrankte ausgeschlossen, Toulotte n.a. 20 Krafttraining im Sitzen; Funktionelle Leistung: , # 8 meistens begründet durch mangelnde Compliance oder unzureichende et al. Balance- und Funktion (G) vs. 2003 K: Tägliche Routine Reliabilität und Validität von Messverfahren (Hauer et al. 2006). Folglich existiert nur eine begrenzte Anzahl von RCTs mit kognitiv eingeschränkten Shaw et S 308 Kraft- und Funktion (H, I), Funktionelle Leistung 11 al. 2003 Optimierung von Medikation, Patienten. Hilfsmitteln, etc vs. K: Reguläre Pflege Im nachfolgenden Kapiteln wird eine systematische Literaturanalyse aller bislang publizierten RCTs zum körperlichen Training bei Demenz vorge- Teri et al. Z 153 RDAD bestehend aus Kraft- Motorische Leistung: n.a. 10 stellt. Untersuchungen mit limitiertem Design (Fallstudien, unkontrollierte 2003 und Funktionstraining (Heim- Nach 3 u. 24 Mo: weniger training, I), Schulung von Aktivitätseinschränkungen nicht randomisierte Studien) oder unzureichend definiertem Patienten- Pflegepersonal vs. K: Pflege kollektiv wurden dabei nicht berücksichtigt. Als Basis für die methodische Vorgehensweise diente die Arbeit von Hauer et al. (2006), in welcher RCTs Stevens P 75 1: Training zu Musik (G) vs. Körperliche Einschränkungen: 6 & Killeen 2: K: Gespräch vs. n.s. bis zum Jahre 2004 untersucht wurden. In der vorliegenden Arbeit wurden 2006 K: keine Intervention Selbstversorgung: aktuelle RCTs der Jahre 2005–2009 ergänzt. Tabelle 1 zeigt eine Übersicht Rolland P 134 Kraft- und Funktion (G) vs. 12 BADL Rückgang nach der eingeschlossenen 15 RCTs. et al. K: Routinepflege 6 u. 12 Mon. 2007 Ganggeschwindigkeit Funktionelle Leistung: n.s. Balance: ns. Netz et T 29 Kraft- und Funktion (G) vs. Funktionelle Leistungen n.s. 6 al. 2007 Kontrolle: Gruppenaktivität Kwak et Z 30 Kraft- und Funktion (G) vs. ADL 3 al. 2007 K: n.a. Funktionelle Leistungen P=Pflegeheim; Z=zuhause lebend; S=sonstige; G=Gruppentraining; I=individuelles Training; H=Heimtraining; K=Kontrollgruppe; T=Sitzungsdauer; F=Frequenz; D=Programmdauer; n.s.= nicht signifikanter Unterschied; =signifikante Verbesserung; PE=positiver Effekt, kei- ne Daten oder Statistik angegeben; #= unvollständige oder widersprüchliche Daten/Analysen; signifikante Verschlechterung; NDSP=Neuro- developmental Sequencing Program; RDAD=Heimbasiertes Patienten und Pflegekräftetraining; (B)ADL= (Basic) Activities of daily living; 18 19
Zeigen bisherige Studien ausreichende Qualität? In den bislang publizierten RCTS variierte der durchschnittliche kognitive Status der Teilnehmer deutlich; er reichte von stark fortgeschrittener (Mit- Um eine hohes Qualitätsniveau zu erreichen, müssen RCTs eine Reihe me- telwert Mini Mental State Examination (MMSE) 2,6, Buettner 2002) bis hin thodischer Vorgaben erfüllen, z.B. Kalkulation der Stichprobengröße, klare zu mittelschwerer Einschränkung (Mittelwert MMSE 16,8, Teri et al. 2003). Falldefinition und adäquate statistische Analysen (CONSORT Statement, Häufig wurden Patienten mit sehr unterschiedlichem Schädigungsgrad Moher et al. 2001). Detaillierte Kenntnisse über die Qualität von Untersu- eingeschlossen (Buettner & Ferrario 2003, Cott et al. 2002, Pomeroy et al. chungen bilden eine wesentliche Grundlage um den Stellenwert und die 1999, Tappen et al. 2000, Tappen 1994, Teri et al. 2003, Toulotte et al. 2003, Relevanz der Ergebnisse einstufen zu können. Rolland et al. 2007). Für die Beurteilung eingeschlossener RCTs zum körperlichen Training bei Inwieweit bei der Vermittlung von Trainingsinhalten der Grad der kogni- Demenz wurde ein etabliertes (modifiziertes) Rating Schema der Cochrane tiven Einschränkung und psycho-soziale Aspekte der Erkrankung berück- Library eingesetzt (Hauer et al. 2006, Latham et al. 2003). Dieses erfasst sichtigt wurden, ging aus der Methodik bislang publizierter Studien nicht acht Kriterien für welche je nach Qualität pro Item zwei Punkte (alle deutlich hervor. Unklar blieb, wie ein heterogenes Teilnehmerfeld in einem Kriterien erfüllt), einen Punkt (Kriterien teilweise erfüllt) bzw. null Punkte Gruppensetting integriert wurde. Die Autoren gaben in diesem Zusam- (Kriterien nicht erfüllt bzw. erwähnt) vergeben wurden. menhang Limitierungen der eingesetzten Trainingsprogramme an, welche Die Gesamtscores1 des Qualitätsratings sind in Tab. 1 (rechte Spalte) aufge- möglicherweise die mangelnde Effektivität erklären (Toulotte et al. 2003). führt. Die Studien zeigten eine große Heterogenität hinsichtlich Stichpro- Bei der Konzeption von neuen Trainingsprogrammen ist eine Differenzie- benumfang, Methodik, Art der Intervention und motorischem Assessment. rung der Trainingsinhalte und Methodik in Abhängigkeit vom kognitiven Im Durchschnitt erreichten die RCTs 6.3 (Spannweite 1–12) von maximal Status notwendig (vgl. Abb. 3). Herkömmliche Kraft- und Balancetrainings- möglichen 16 Punkten. In der Mehrzahl der Untersuchungen zeigten sich programme, wie sie bei kognitiv intakten, älteren Menschen bereits erfolg- erhebliche Qualitätsmängel; lediglich drei Studien erhielten mehr als die reich etabliert sind, können vermutlich auch bei leicht bis mittelgradigen Hälfte der maximalen Punktzahl (Shaw et al. 2003, Tappen et al. 1994, Teri kognitiven Defiziten eingesetzt werden. Allerdings müssen psycho-soziale et al. 2003, Toulotte et al. 2003). Gehäuft traten als Defizite u.a. unzurei- Aspekten der Erkrankung beachtet und entsprechende methodische/ chende Stichprobengrößen (
Wie sahen die Inhalte bisheriger Interventionen aus? Die Interventionen waren in den RCTs nicht ausreichend beschrieben, ins- besondere das gewählte Intensitätsniveau blieb weitgehend unklar. Über- Für ein effektives Training von motorischen Leistungen müssen Program- wiegend kamen unspezifischen Übungen (Gehen im Pflegeheim, Übungen me mit adäquaten Inhalten, hinreichendem Umfang und ausreichender im Sitzen; Tappen et al. 2000, Cott et al. 2003, Pomeroy 1993, Tappen 1994, Intensität durchgeführt werden (de Vos 2005). Die bisherigen Interventio- Frances 1995, Toulotte et al. 2003, Stevens & Killeen 2006, Netz et al. 2007, nen erfüllen diese Forderung nur zum Teil. Kwak et al. 2007) zum Einsatz, die nicht den Kriterien eines evidenzbasier- Die Interventionsansätze in den analysierten RCTs waren heterogen ten motorischen Trainings entsprachen (Sherrington et al. 2008). und unterschieden sich zum Teil deutlich hinsichtlich Inhalt, Dauer und Umfang (vgl. Tab. 1). Häufig wurde Gehen bzw. Gangtraining eingesetzt (Buettner 2002, Pomeroy et al. 1999, Shaw et al. 2003, Tappen 1994, Tappen Wurden valide und adäquate Messmethoden und Studien et al. 2000, Toulotte et al. 2003, Rolland et al. 2007). Des Weiteren kamen endpunkte gewählt? verschiedene Trainingsmethoden für Kraft, Balance, Flexibilität (Buettner Motorische Studienendpunkte bilden mögliche Effekte eines körperlichen 2002, Pomeroy et al. 1999, Shaw et al. 2003, Teri et al. 2003, Toulotte et al. Trainings ab. In den RCTs wurden Kraft- und Beweglichkeitsparameter, 2003, Stevens & Killeen 2006, Netz et al. 2007, Rolland et al. 2007) und funktionelle Leistungen (Gehen, Balance) sowie motorische Gesamtscores funktionelle Fertigkeiten (Tappen 1994) zum Einsatz. Die Programme wur- (z.B. Aktivitäten des täglichen Lebens) als Studienendpunkte definiert. den 30–150 min, zwei bis sieben Tage über einen Zeitraum von zwei bis 52 Mehrheitlich wurden die Ganggeschwindigkeit (Buettner & Ferrario 2003, Wochen durchgeführt. Cott et al. 2002, Pomeroy et al. 1999, Tappen et al. 2000, Teri et al. 2003, Toulotte et al. 2003, Rolland et al. 2007) bzw. andere Gangparameter (Maximale Gehstrecke, Buettner 2002; Gangdefizite, Frances 1995, Shaw Abb. 4 et al. 2003) angegeben. Aus der Methodik der Untersuchungen ging Interventions- jedoch nicht deutlich hervor, ob die maximale oder habituelle Geschwin- programme können digkeit gemessen wurde und die Untersuchungen standardisiert abliefen sich hinsichtlich (Buettner 2002, Buettner & Ferrario 2003, Tappen et al. 2000, Teri et al. Trainingsinhalten 2003, Toulotte et al. 2003, Rolland et al. 2007). Darüber hinaus blieb unklar, und Intensität deutlich unter- inwiefern Modifikationen von Testprotokollen, beispielsweise verbale Un- scheiden terstützung oder personelle Hilfestellung (Pomeroy et al. 1999, Tappen et al. 2000) sowie Hilfsmitteleinsatz (Buettner & Ferrario 2003), die Resultate beeinflusst haben. Teilweise wurden motorische Studienendpunkte in der Methodenbeschreibung angegeben, aber hierzu keine Ergebnisse aufge- führt (Buettner & Ferrario 2003, Teri et al. 2003). Für die Erfassung von Trainingseffekten bedarf es valider und sensitiver Messmethoden. Entsprechende Qualitätskriterien werden in den RCTs nur unzureichend bzw. gar nicht erfüllt. Überwiegend kamen Tests zum Einsatz, die nur für kognitiv intakte Personen validiert und etabliert waren. Lediglich Pomeroy et al. (1993) gab eine Referenz für die Validität des ein- spezifisches Training der unspezifische Hockergymnastik gesetzten Instrumentes (Southampton Mobility Assessment) bei demen- dynamischen Balance ziell Erkrankten an. Der Einsatz herkömmlicher motorischer Testverfahren (z.B. Tinetti Test, Timed-up-and-go Test) ist bei kognitiv leicht bis mittelschwer geschädig- ten Patienten möglich. Dagegen scheint die Validität dieser Methoden bei fortgeschrittener kognitiver Einschränkung fraglich. Motorische Testungen setzen voraus, dass Teilnehmer die Anweisungen verstehen und adäqua- 22 23
te Aktionen durchführen. Bei demenziell erkrankten Patienten kann der Tappen (1994) berichtete über Verbesserungen im funktionellen Status Messablauf aufgrund eingeschränkter Exekutivfunktionen sowie limitier- der Patienten (Physical Self-Maintenance Scale und Goal Attainment ter Gedächtnis-, und Aufmerksamkeitsleistungen beeinflusst werden. Auf Scale), jedoch nicht bei ADL Leistungen (Performance Test of Daily Living). derartige Methodikprobleme sind möglicherweise eine Reihe negativer Auch bei Rolland et al. (2007) kam es während und nach der 12-monatigen Studienergebnissen zurückzuführen (Hauer et al. 2008). Intervention zu einer Reduktion des ADL Scores sowohl in der Trainings- als auch Kontrollgruppe, wenngleich der Rückgang in der Interventionsgruppe Ferner wurden in den RCTs teilweise Instrumente eingesetzt, die spezifi- nach 12 Monaten signifikant geringer war. Hingegen zeigte sich in einer sche motorische Leistungen nur unzureichend abbilden. Beispielsweise multifaktoriellen Interventionsstudie von Teri et al. (2003) eine verminder- merkt Tappen (1994) an, dass Messungen über den Performance Test of te Aktivitätseinschränkung der Patienten. Dem gegenüber standen nicht Daily Living möglicherweise nicht sensitiv sind um trainingsinduzierte signifikante Ergebnisse von Stevens & Killeen (2006) hinsichtlich körperli- Veränderungen der Motorik zu messen. In einigen Fällen wurden zudem cher Einschränkung nach Intervention. Gleichzeitig gaben die Teilnehmer unzweckmäßige Methoden verwendet. Beispielsweise wurde das für dieser Untersuchung jedoch signifikant verbesserte Fähigkeiten zur Selbst- Balance und Gang konzipierte Performance Oriented Motor Assessment versorgung an. Die zwei umfangreichsten Interventionsstudien (Shaw et fälschlicherweise zur Kraftmessung eingesetzt (Frances 1995). al. 2003, Teri et al. 2003) wiesen nur ein limitiertes motorisches Assess- ment auf. Der multifaktorielle Ansatz dieser beiden Untersuchungen lies keine eindeutige Beurteilung der Effektivität körperlichen Trainings zu. Waren bisherigen Studien erfolgreich? Untersuchungsergebnisse zu motorischen Ergebnissen in den bisherigen Studien sind in Tab. 1 aufgeführt. Am häufigsten wurden Trainingseffekte Welche Schlussfolgerungen ergeben sich aus der Literatur über Gangparameter abgebildet. In zwei Studien zeigten sich verbesserte analyse? Gang- bzw. Balanceleistungen im Tinetti´s Performance Oriented Motor Insgesamt zeigt die Analyse bisher publizierter RCTs widersprüchliche Assessment (Frances 1995, Shaw et al. 2003). Über quantitative Gangver- Ergebnisse. Damit existiert bislang keine ausreichende Evidenz für die besserungen berichteten Buettner (2002) in Form einer verlängerten Geh- Effektivität von körperlichem Training zur Verbesserung von motorischen strecke bzw. Rolland et al. (2007) in Form einer erhöhten Ganggeschwin- Leistungen bei demenziell Erkrankten. Es bleibt weiterhin ungeklärt, ob digkeit. Nicht signifikante Ergebnisse zeigten sich bei Cott et al. (2002) und mangelnde Trainingserfolge auf ein unzureichendes Rehabilitationspoten- Pomeroy et al. (1999). In vier RCTs waren Ergebnisse zu Gangparametern tial kognitiv Geschädigter oder auf die teilweise erheblichen, methodische nur unvollständig abgebildet (Buettner 2002, Buettner & Ferrario 2003, Defizite bisheriger RCTs zurückzuführen sind. Teri et al. 2003, Toulotte et al. 2003). In einer dreiarmigen Untersuchung mit zwei „Walking-Gruppen“ wurde ein Rückgang der Ganggeschwindig- Verschiedene Autoren diskutieren methodische Einschränkungen (z.B. feh- keit in allen Gruppen beobachtet, welcher jedoch in der „Walk only-Grup- lende statistische Power, Verschmutzung der Intervention durch ergänzen- pe“ höher ausfiel als in der „Walk and talk-Gruppe“ (Tappen et al. 2000). de Trainingsmaßnahmen in Pflegeheimen, hohe Variabilität der Studien endpunkte, Cott et al. 2002, Pomeroy 1993, Pomeroy et al. 1999, Tappen In vier Untersuchungen zeigte sich eine Verbesserung von Kraft und – und 1994) und insbesondere Limitierungen der Trainingsansätze als mögliche Funktionsleistungen (Buettner 2002, Buettner & Ferrario 2003, Frances Ursachen für mangelnde Effektivität. 1995, Toulotte et al. 2003). Bei Pomeroy (1993) ergaben sich nach einer physiotherapeutischen Intervention signifikant verbesserte Mobilitäts- leistungen (Southampton Mobility Assessment). Dieses Ergebnis konnte in einer ähnlichen Studie mit verkürzter Programmdauer jedoch nicht bestätigt werden (Pomeroy et al. 1999). In den jüngeren Untersuchungen zeigten sich kontroverse Ergebnisse bei Kraft- und Funktionsparametern. Während Kwak et al. (2007) über signifikante Zugewinne bei motorisch- funktionellen Parametern (Kraft, Beweglichkeit, Balance) berichteten, zeigten sich in den RCTs von Netz et al. (2007) und Rolland et al. (2007) keine Steigerungen. 24 25
Folgende Aspekte werden häufig angeführt: 6.1 Entwicklung eines neuen Trainingsansatzes Das in der Heidelberger Studie durchgeführte Training begründete sich > Unspezifischer Trainingsansatz, keine adäquate Trainingsbelastung, auf eine Analyse spezifischer Defizite und Ressourcen demenziell erkrank- fehlende psycho-soziale Komponenten, kein individuell angepasstes ter, gebrechlicher Menschen. Im Gegensatz zu bislang publizierten Studien Training (Pomeroy 1993, Shaw et al. 2003, Tappen 1994, Cott et al. 2002, (vgl. Kap. 5) wurden in dem neuen Trainingsansatz auch demenzspezifi- Netz et al. 2007, Stevens & Killeen 2007). sche motorisch-kognitive Defizite gezielt trainiert. Bei der Entwicklung konnte auf die Erfahrung und Methodik früherer erfolgreicher Interventi- > Unzureichende Adhärenz der Teilnehmer, möglicherweise als Zeichen onsstudien zurückgegriffen werden, in denen sich körperliche Leistungen einer unangepassten Trainingsintervention (Pomeroy 1993, Shaw et al. 2003, und emotionaler Status verbesserten und das Sturzrisiko verringerte Tappen et al. 2000, Rolland et al. 2007). (Hauer et al. 2001, 2002, 2003). Zudem zeigte sich in diesen Untersuchun- gen eine hohe Trainingsakzeptanz und -adhärenz. Das Programm wurde in > Ineffektives Training aufgrund mangelnder Unterstützung bzw. Über einer Pilotphase bei kognitiv geschädigten Patienten weiterentwickelt. forderung von Personal (Buettner & Ferrario 2003, Cott et al. 2002, Pomeroy et al. 1999, Netz et al. 2007). Das evaluierte Trainingsprogramm besteht aus drei Bausteinen (vgl. Abb.5). Grundlage bildete ein etabliertes, progressives Kraft- und Funktionstrai- > Nicht validierte, unspezifische Messmethoden (Netz et al. 2007). ning. Als wesentliche Neuerung im Vergleich zu vorangegangenen Unter- suchungen wurden demenzspezifische, motorisch-kognitive Aufmerksam- keitsleistungen (Dual Task Leistungen) trainiert. Darüber hinaus hatten psycho-soziale Aspekte bei der Trainingsorganisation und der Übungsver- Bislang fehlen methodisch hochwertige RCTs mit Trainingskonzepten, mittlung einen hohen Stellenwert. Aufbauend auf der Literaturanalyse welche in psycho-sozialer Hinsicht die verbliebenen Ressourcen aber auch bislang publizierter RCTs und den dabei vorgefundenen psycho-sozialen die Defizite demenziell Erkrankter berücksichtigen. Im Folgenden wird ein Limitierungen der Trainingsansätze (vgl. Kap. 5), wurde eine demenzspe- demenzspezifischer körperlicher Trainingsansatz vorgestellt, welcher im zifische Trainingsmethodik und –pädagogik entwickelt (Schwenk et al. Rahmen eines RCTs am Bethanien-Krankenhaus/Geriatrisches Zentrum 2008). Im Folgenden werden die drei Bausteine des Trainingsprogramms am Klinikum der Universität Heidelberg (Projektleiter PD Dr. Klaus Hauer) beschrieben. evaluiert wurde. Abb. 5 6 Neuer demenzspezifischer, körperlicher Trainings Bausteine des ansatz neu entwickelten Demenz- Trainingsprogramms spezifischer Am Bethanien-Krankenhaus/Geriatrisches Zentrum am Klinikum der für demenziell körperlicher Universität Heidelberg wurde eine der weltweit größten Trainingsstudien Erkrankte Trainingsansatz (RCT) mit demenziell erkrankten Patienten durchgeführt2. Hauptfrage- stellung war, ob über ein neu entwickeltes, demenzspezifisches körperli- ches Trainingsprogramm motorische Leistungen (nachhaltig) verbessert werden können. Sekundäre Fragestellungen betrafen die Wirkung der Trainingsintervention auf den kognitiven und emotionalen Status, die Bewegungsaktivität, sowie die Motivation und Akzeptanz bezüglich der Training motorisch- Progressives Kraft- kognitiver Komplex- Demenzspezifische Teilnahme an Bewegungsprogrammen. Im folgenden Kapitel wird der neu und Funktions- psycho-soziale Leistungen entwickelte, demenzspezifische Trainingsansatz vorgestellt. Anschließend training (Dual Tasks) Aspekte werden erste Ergebnisse zu Trainingseffekten auf motorische Leistungen angeführt. 2 Laufzeit 2005–2009, die Interventionsphase wurde 2008 abgeschlossen, die Nachbeobachtungs phase läuft bis Mitte 2009. 26 27
Kraft- und Funktionstraining Schulung motorisch-kognitiver Komplexleistungen – Dual Task Training Wie andere Hochbetagte sind demenziell erkrankte Patienten häufig mul- timorbide, gebrechlich und zeigen einen deutlichen Verlust motorischer Aufgrund ihrer Bedeutung bei Demenz (vgl. Kap. 3), wurden in die Heidel- Leistungen. Kraft- und Balancedefizite und der Verlust von motorischen berger Studie, erstmals im Rahmen eines RCTs mit demenziell Erkrankten, Alltagsleistungen tragen zu einem hohen Sturzrisiko bei. aufmerksamkeitsabhängige Leistungen sowohl in das Training wie auch in das Assessment aufgenommen. Motorische (Gehen) und kognitive Entsprechend umfasste das evaluierte Trainingsprogramm ein progres- Aufgaben wurden simultan trainiert und computergestützt objektiviert sives, standardisiertes Training der Kraft (Kräftigung von Muskelgruppen (Ganganalyse, digitale Aufzeichnung von kognitiven Leistungen). Die kog- und -ketten, die für Alltagshandlungen und die Gleichgewichtskontrolle nitive Zusatzbelastung war zum Interventionsbeginn gering (z.B. vorwärts relevant sind), funktioneller Leistungen des Alltags (Gehen, Hinsetzen, zählen in 2er Schritten) und wurde bei sicherer Aufgabenbeherrschung Treppen steigen) und der posturalen Kontrolle (statisches und dynami- progredient erschwert (z.B. rückwärts zählen in 3er Schritten). Neben sches Balancetraining) (vgl. Schwenk 2008). Das Training wurde unter motorisch-kognitiven Inhalten wurden auch simultan motorische Dual Berücksichtigung psycho-sozialer und demenzpezifischer methodischer Tasks (z.B. Gehen und Luftballon zuspielen, Gehen und Ball zuprellen) in Gesichtspunkte durchgeführt (vgl. Baustein 3 des Traininigsprogramms). die Trainingspraxis integriert. Ziel dieser Intervention war eine Verbesserung von motorischen und funktionellen Leistungen, um die Selbstständigkeit und die mobilitäts- assoziierten Lebensqualität der Patienten zu erhalten sowie Folgestürze zu reduzieren. Abb. 6 Abb. 7 Training der Dual Task Training: unteren Extremität Gehen mit gleichzei- (Extensorengruppe) tiger Rechenaufgabe 28 29
Demenzspezifischer psycho-sozialer Ansatz 6.2 Evaluation des Trainingsprogramms im Rahmen einer kontrollierten, randomisierten Studie Kognitive Leistungen, welche für die Durchführung eines motorischen Trainings wesentlich sind, werden durch die Erkrankung teilweise erheb- Die Evaluation des neuen Trainingsansatzes erfolgte im Rahmen eines lich beeinträchtigt. Die Defizite betreffen u.a. Gedächtnis, Orientierung, RCTs, in welchen 122 ältere (Durchschnitt: 82 Jahre), leicht bis mittelgradig Auffassung, Lernfähigkeit, Sprache und Exekutivfunktionen (ICD 10, 2006). kognitiv eingeschränkte Patienten mit Demenzdiagnose nach internati- Die Erkrankten zeigen häufig Antriebsverarmung und mangelnde Eigenin- onal etablierten Kriterien (NINCDS-ADRDA bzw. NINDS-AIREN, McKhann itiative. Für ein effektives Training wurden deshalb folgende methodische 1984, Roman 1993) eingeschlossen wurden. Im Gegensatz zu bisherigen Gesichtspunkte in den neuen Trainingsansatz integriert (Schwenk et al. Untersuchungen (vgl. Kap. 5) war die Teilnehmergruppe hinsichtlich dem 2007): Grad der kognitiven Einschränkung homogen (MMSE Spannweite: 26–17). Das Trainingsprogramm erstreckte sich über einen Zeitraum von drei Monaten, 2x/Woche, 2 Std. Die Kontrollgruppe führte eine unspezifische Hockergymnastik durch (2x/Woche, 1 Std., 3 Monate). > Training in der Kleingruppe (4–6 Personen) Untersuchungen erfolgten zu Anfang und Ende der Intervention. Des Wei- > Organisationsformen mit Möglichkeiten zur Binnendifferenzierung teren wurden zur Überprüfung der Nachhaltigkeit des Trainingsansatzes (individuelle Trainingsbelastung einzelner Teilnehmer) Kurz- (nach 3 Monaten) und Langzeit- (nach 9 Monaten) Untersuchungen durchgeführt. Für alle Messungen wurden validierte Instrumente ver- > Verwendung einfach strukturierter Übungen wendet, die meistens bereits in der Arbeitsgruppe erfolgreich angewen- det wurden. Ein ausführliches Studienprotokoll des RCTs findet sich bei > Behutsame Steigerung des Schwierigkeitsgrades Hueger et al. (2008). Im Folgenden werden erste Studienergebnisse kurz aufgeführt. Eine > Häufige Wiederholung von motorischen Handlungen ausführliche Darstellung erfolgt im Rahmen von Publikationen, die derzeit vorbereitet werden. An dieser Stelle werden lediglich Ergebnisse für den > Betonung von kleinen Trainingsfortschritten motorischen Status sowie für motorisch-kognitive Komplexleistungen (Dual Tasks) vorgestellt. Für Ergebnisse hinsichtlich des psychischen und > Demenzspezifische Kommunikation zur Übungsvermittlung kognitiven Status, körperlichen Aktivitätsniveaus u.a. wird auf die anste- (verbal, nonverbal) henden Veröffentlichungen verwiesen. Die Adhärenz war mit 93% Teilnahme an den Trainingseinheiten für die Kontrollgruppe und 94% für die Interventionsgruppe für dieses multimor- Ein vertrauter Rahmen und stabile Bezugspersonen waren von zentraler bide, hochbetagte, kognitiv geschädigte Kollektiv überdurchschnittlich Bedeutung. Der Wechsel von Wiederholung vertrauter Übungselemente hoch. Die Drop-out Quote betrug für die Interventionszeit 13%. Es konnten und neuer Lernsituationen mit zunehmend komplexeren Anforderungen signifikante Steigerungen der Kraft und funktioneller Schlüsselqualifika- wurden dem Lerntempo der Studienteilnehmer angepasst. Aufgrund tionen wie Gehen und Transferleistungen durch das spezifische Trai- möglicher Störungen der verbalen Informationsübertragung (Empfangen, ningsprogramm erreicht werden (vgl. Tab. 2). Die Verbesserungen blieben Verstehen, Behalten, Sprachdarbietung; Haberstroh 2006) hatte das Anlei- auch in einer Nachbeobachtungszeit von 3 Monaten erhalten und sind ten von Übungen einen hohen Stellenwert. Es wurden demenzspezifische vergleichbar mit den Ergebnissen von Trainingsstudien bei Patienten ohne verbale und nonverbale Kommunikationsmethoden (z.B. kurze Anweisun- Demenz (Hauer 2001, 2002, 2003). gen, positive Formulierung, Spiegeln von Bewegungen, taktile und rhyth- mische Unterstützung) verwendet, welche das Anleiten von motorischen Handlungen unterstützten (Schwenk et al. 2007, Oddy 2003). 30 31
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