Transformation bringt Umsatz - Universität Münster
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Transformation bringt Umsatz Wie wirkt es auf Kunden und ihr Kaufver- Die Herausforderung halten, wenn sich ein bekannter Händler mit Wettbewerb. Der hohe Wettbewerbsdruck im sta- tionären Einzelhandel fordert alle Handelsketten einem radikal neuen Konzept präsentiert? heraus und führt dazu, dass viele Händler investie- Das Institut für Marketing in Münster prä- ren, um ihre Filialen radikal neu zu gestalten. Neben den großen Lebensmitteleinzelhändlern Aldi, Rewe, sentiert in einer groß angelegten Studie in Edeka und Real in Deutschland gestalteten auch Kooperation mit der Einzelhandelskette Real Carrefour in Frankreich, Morrisons in Großbritan- nien und Walmart in den USA viele ihrer Filialen überraschende Ergebnisse grundlegend um. Das Ziel: sich mit diesen neuen Formaten von Wettbewerbern sowohl im stationä- AUTOREN MANFRED KRAFFT, MIRJA KROSCHKE ren Bereich als auch online abzugrenzen und somit Kunden zu halten und zu gewinnen. 52 absatz wirtschaft 7/8 2020
Strategie & Management nur sehr viel Geld und Zeit, sondern macht die Ist neu besser? Händler auch unflexibel: In der Regel gibt es kaum Nicht für jeden! Möglichkeiten, neue attraktive Standorte zu finden, Die Studie der Münsteraner also müssen bestehende Flächen genutzt werden. Wissenschaftler Häufig haben Händler in einer Region aber nicht zeigt, dass nicht nur eine Filiale, sondern mehrere – daher stellt sich alle Kunden eine auch die Frage, wie sich die Einführung eines neuen radikal neue Filiale Konzeptes auf die Gesamtperformance auswirkt. bevorzugen Die Lösung Real rüstet in ausgewählten Filialen von der bisheri- gen mittleren Positionierung bei Preis und Qualität zu einem Premium-Image um. Es geht um eine ele- mentare Transformation der Filiale – also nicht nur eine optische Neugestaltung, sondern auch eine vollständig neue Positionierung. Der Fokus des neu- en Konzepts liegt auf erlebnisorientierten Merkma- Kunden. Der Lebensmitteleinkauf ist meist von len: einem deutlich verbesserten gastronomischen niedrigem Involvement geprägt. Die Kunden achten Service, einer erhöhten Sortimentsvielfalt und bes- bei ihren Kaufentscheidungen insbesondere auf ser ausgebildeten Servicemitarbeitern sowie einem Convenience. Kunden entwickeln Gewohnheiten modernen und stilvollen Ambiente. und benutzen Heuristiken, um ihre Einkaufsent- Das Markthalle-Konzept von Real. „Das Gute scheidungen zu vereinfachen. leben“ – so lautet die Philosophie des neuen Kon- Eine disruptive Veränderung der Einkaufsumge- zepts. Geblieben ist die für Real-Märkte bekannte bung kann dazu führen, dass Kunden ihre Einkaufs- beeindruckende Größe – mit einem Design und optionen neu beurteilen und ihr Verhalten anpas- einer Angebotsvielfalt vom Feinsten verspricht die sen. Gegebenenfalls wägen sie Kosten und Nutzen Markthalle zusätzlich ein ganz neues Einkaufserleb- des Einkaufens in genau dieser Filiale neu ab und nis. In der Markthalle von Real funktioniert das alles vergleichen sie mit anderen Möglichkeiten – zum unter einer optischen Klammer und wirkt dement- Beispiel mit in der Nähe liegenden Filialen dersel- sprechend harmonisch. ben Handelskette. Wünschen sich wirklich alle Kun- Angeordnet wie in einer traditionellen Markthal- den ein abwechslungsreiches Einkaufserlebnis in le finden die Kunden alles unter einem Dach: vom stilvollem Ambiente mit einem besonderen und Meistermetzger über die Kaffeerösterei bis zum vielfältigen Sortiment? Oder ist der Mensch doch Fischhändler. Neben einem erweiterten Frischesor- ein Gewohnheitstier und empfindet zu viele Neue- timent mit starker regionaler und saisonaler Prä- rungen als unangenehm und störend? Neben gung bietet dieses Konzept auch mehr Bio- und Stammkunden müssen Einzelhändler auch genü- Feinkostartikel und einen verbesserten Service. Die Fotos: real GmbH gend Neukunden gewinnen, die anders ticken als „Piazza“ – der neue in sich geschlossene Gastrono- die bereits loyalen Kunden. miebereich – bietet viele Plätze, an denen Kunden Intern. Eine radikale Neugestaltung und -posi- die vor ihren Augen frisch zubereiteten Speisen ver- tionierung der stationären Geschäfte kostet nicht zehren können. Weitere Sitzplätze finden sich absatz 7/8 2020 wirtschaft 53
Preisgekrönte Wissenschaft Mit diesem Forschungsprojekt räumten Prof. Dr. Manfred Krafft und Dr. Mirja Kroschke den renommierten Wissenschaftspreis 2020 in der Kate- gorie „Bestes Lehrstuhlprojekt“ ab. Der von der EHI Stiftung und GS1 aus- gelobte Preis zeichnet exzellente wissenschaftliche Arbeiten und Projekte aus, die für Handelsbranche und Konsumgüterindustrie hoch- gradig relevant sind wissenschaftspreis.org Aufwendig und teuer: Eine grundlegende Neugestaltung und neue Positio- nierung wollen gut durchdacht sein. Am Ende können alle profitieren – auch die traditionellen Filialen 54 absatz wirtschaft 7/8 2020
Strategie & Management Premium-Design oder gewohntes Einkaufserlebnis: Die Wahl der Einkaufsstätte hängt vom jeweiligen Bedürfnis ab unter anderem an der Austernbar, an der Weinbar oder im Win- Was wurde untersucht? Die Studie umfasst einen Zeitraum tergarten. von fast 3,5 Jahren, genauer: 79 Wochen vor dem Beginn der Die abwechslungsreiche und hochwertige Küche ist regional Transformation, 26 Wochen während des Umbaus, sechs Wo- und nachhaltig. Salat, Smoothies, Pizza, Pasta, Sushi und Bur- chen mit kompletter Schließung und 85 Wochen nach der Er- ger, verschiedene Kaffeespezialitäten und ausgewählte Weine öffnung der neuen Markthalle. runden das Angebot ab. Hinzu kommt eine beeindruckende Im ersten Schritt betrachtet sie aggregierte wöchentliche Vielfalt im Nonfood-Bereich, beispielsweise zu digitalen Trends Umsatzdaten der transformierten Filiale sowie der beiden nicht in der „Innovation Lounge“ oder in der sogenannten Fahrrad- veränderten Filialen des Clusters. Zusätzlich unterscheidet sie Welt mit angeschlossener Werkstatt, in der kleine Schäden wie zwischen Umsätzen von Mitgliedern (73 %) und Nicht-Mitglie- ein platter Reifen oder eine gerissene Fahrradkette während des dern des Payback-Loyalitätsprogramms (27 %). Einkaufs sofort repariert werden. Im zweiten Schritt untersuchte das Team die Kaufdaten von individuellen Kunden genauer. Dazu betrachtete es ausschließ- Was untersucht wurde – Aufbau der Studie lich Mitglieder des Payback-Programms und wertete deren Geografisches Cluster. Im Fokus der Studie steht eine zur anonymisierte Kaufdaten aus. Damit waren etwa drei Viertel Markthalle transformierte Filiale der Einzelhandelskette Real. des Filialumsatzes abgedeckt. In einem Radius von zehn Kilometern befinden sich zwei wei- Erfolgsmessung. Mithilfe von Matching-Algorithmen iden- tere, nicht veränderte Filialen von Real, die weiterhin dem alten tifizierten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler so- Konzept mit der gewohnten Gestaltung folgen. Diese drei wohl Kontroll-Filialen für die drei Filialen im ausgewählten Standorte bilden das geografische Cluster für die Untersu- Cluster als auch eine ganze Region als Kontroll-Cluster, das chung. dem untersuchten geografischen Cluster in Umsatz, Merkma- Forschungsziel und -team. Das erste Ziel der Studie ist es, len der Filialen und des Wettbewerbsumfelds sehr ähnlich ist. den Einfluss der Neugestaltung und Neupositionierung auf den Jeder Haushalt im betrachteten Cluster wurde anhand von Ein- Umsatzerfolg der transformierten Filiale sowie auf den Umsatz kaufs-Charakteristika, Soziodemografika und geografischer der nicht veränderten Filialen im geografischen Cluster zu be- Entfernung zu den drei Filialen einem „Zwillingshaushalt“ in stimmen. Das zweite Ziel ist ein granularer Einblick darauf, wie dem Kontroll-Cluster zugeordnet. So sind die Effekte der Trans- sich diese Transformation auf das individuelle Kaufverhalten formation sauber von dritten, externen Einflüssen isoliert. von Kunden auswirkt. Neben Professor Manfred Krafft und Dr. Mirja Kroschke von Wie verändert sich der Umsatzerfolg? der Uni Münster waren die Professoren Els Breugelmans (KU Der Umsatzerfolg der Markthalle, also der transformierten Fi- Antwerpen), Marleen Hermans (Radboud Universiteit) und Mu- liale, ist unmittelbar nach der Neueröffnung eher ernüchternd rali Mantrala (ISB Hyderabad) umfassend an dem Forschungs- – es lässt sich keine substanzielle Umsatzsteigerung gegenüber projekt beteiligt, Svenja Enste von der Uni Münster wirkte beim der Zeit vor der Transformation feststellen. Eine genauere Fotos: real GmbH Entwurf dieses Beitrags mit. Auf der Seite von Real waren Fi- Untersuchung bringt aber mittel- bis langfristig positive und nance Director Marcel Uphues sowie Mitarbeiterinnen und Mit- auch einige unerwartete Effekte: Während die Umsätze von arbeiter aus dem Investitions- beziehungsweise Projektcontrol- Kunden des Loyalitätsprogramms in der neuen Markthalle an- ling, der Marktforschung und Data Analytics involviert. fänglich insgesamt zurückgehen, steigen die Umsätze, die absatz 7/8 2020 wirtschaft 55
Tipp für Transformationswillige: Es ist sinnvoll, schon im Vorhinein Kaufverhalten und Kundeneigenschaften zu analysieren mit Nicht-Mitgliedern erzielt werden. Diese konträ- Nähe der neuen Markthalle. Dieses Wachstum ist primär auf ren Effekte heben sich gegenseitig auf. Langfristig Kunden des Loyalitätsprogramms zurückzuführen, die sich zeigt sich aber ein positiver Umsatztrend in der neu- von der transformierten Filiale und dem neuen Konzept ab- en Markthalle und der ist hauptsächlich einer er- gewandt haben. Anscheinend dienen die unveränderten Filia- höhten Anzahl neuer Kunden zu verdanken. Dies len in der Nähe als Auffangnetz für die mit dem neuen Konzept belegt der überdurchschnittliche Zuwachs an Neu- unzufriedenen, aber grundsätzlich sehr loyalen Real-Kunden. anmeldungen für das Payback-Loyalitätsprogramm Das neue Konzept hat darüber hinaus mehr Kunden zu Multi- nach Eröffnung der Markthalle. Außerdem sind seit Store-Shoppern gemacht – nach der Eröffnung der neuen der Eröffnung der transformierten Filiale insgesamt Markthalle kauften mehr Kunden nicht nur bei einer der Filia- weniger Kunden abgewandert. len im geografischen Cluster, sondern wechselten zwischen Detaillierte Auswertungen von Kaufdaten der mehreren Filialen. Kunden des Loyalitätsprogramms decken interes- Vermutlich machen die Kunden nun ihre Einkaufsstätten- sante Unterschiede auf: Kunden, die öfter frische wahl davon abhängig, welches Konzept ihren jeweiligen Be- und gesunde Lebensmittel oder Fertiggerichte kau- dürfnissen am ehesten entspricht. Das emotional aufgeladene fen, besuchen die neue Markthalle öfter und geben Einkaufserlebnis in der Markthalle oder das eher rationale „ein- zudem mehr Geld aus. Das neue Konzept ist also für mal hin – alles drin“ in traditionellen Real-Outlets bestimmen diese Kundengruppe besonders attraktiv. also die Wahl der Filiale. Kunden, die eine hohe Vertrautheit zum gewohn- ten, alten Real-Konzept und zugleich eine höhere Was Manager beachten sollten Kaufhäufigkeit und durchschnittlich größere Wa- Die Studie zeigt, dass die radikale Transformation einer Filiale renkörbe aufweisen, wenden sich von der neuen tatsächlich eine sinnvolle Antwort auf die Herausforderungen Markthalle eher ab. Auch Kunden, die für Verkaufs- im stationären Handel sein kann. Allerdings müssen Führungs- förderungsmaßnahmen besonders empfänglich sind oder bevorzugt Private-Label-Produkte kaufen, profitieren weniger vom neuen Konzept und kaufen daher seltener und mit geringeren Einkaufsvolu- mina in der transformierten Filiale ein. Mit Blick auf das gesamte geografische Cluster – die neue Markthalle und die beiden unveränderten Filialen – findet zwar kein sofortiger Anstieg des Umsatzes statt, aber es gibt einen positiven Trend: Mittel- und langfristig gesehen steigert die radikale Transformation die Umsätze sowohl mit Mitglie- dern als auch mit Nicht-Mitgliedern des Loyalitäts- programms im gesamten geografischen Cluster. Unerwarteterweise steigen außerdem die Umsätze in den beiden unveränderten Real-Filialen in der Gourmettempel: Die transformierte Filiale bietet Kulinarisches vor Ort 56 absatz wirtschaft 7/8 2020
Strategie & Management UNSERE AUTOREN Prof. Dr. Manfred Krafft ist Direktor des Instituts für Marketing kräfte die Einführung eines neuen Konzepts differenziert be- der Universität Münster trachten. Dabei sind insbesondere die folgenden vier Punkte wichtig: Standortwahl. Da eine grundlegende Neugestaltung und Neu- positionierung hohe Investitionen und viel Zeit erfordern, kön- Dr. Mirja Kroschke nen Handelsketten grundsätzlich nicht viele Filialen gleichzei- ist Senior Project tig umgestalten. Unserer Studie zufolge ist das auch gar nicht Manager Digital ratsam. Vielmehr sollten Unternehmen eine hybride Strategie Excellence bei Otto und verfolgen, bei der eine transformierte Filiale und Filialen mit Research Fellow am dem bisher gewohnten Konzept in einem geografischen Cluster Institut für Marketing der parallel existieren. Für eine Transformation sollten also Regio- Universität Münster nen gewählt werden, in denen es mehrere Filialen derselben Handelskette gibt. So können Kunden, die das neue Konzept nicht anspricht, zu Filialen der gleichen Kette wechseln, in denen sie das gewohnte Konzept vorfinden. Dies verhindert nicht nur eine mögliche Abwanderung zur Konkurrenz, son- Alternativ kann man diese Kunden auf die in der dern trägt darüber hinaus noch zu Umsatzerfolgen der in der Nähe gelegene Filiale aufmerksam machen. Nähe gelegenen Filialen bei, ein „positive spillover“-Effekt. Neukundengewinnung. Die radikale Transfor- Kundenorientierung. Man geht häufig davon aus, dass die mation von Filialen ermöglicht es, Neukunden zu Kunden ein qualitativ höherwertiges Ladenformat in einem gewinnen, die sich für neue und hochwertige For- moderneren Design, mit mehr Licht, breiteren Gängen oder mate begeistern. Zielgerichtete Kampagnen können mehr Auswahl und Exklusivität an frischen Produkten bevor- zudem Wechselkunden zu regelmäßigeren Käufern zugen. Aber viele Kunden – und in unserer Studie interessan- machen. Die Neueröffnung sollte umfassend und terweise insbesondere die sehr loyalen Kunden – reagieren mit einer regional hohen Reichweite beworben wer- negativ auf eine komplette Neugestaltung und -positionierung den, um im erweiterten geografischen Cluster neue der Filiale. Kunden anzuziehen. Führungskräfte im Handel sollten daher ihr besonderes Au- Sorgfältige Planung. Eine radikale Transforma- genmerk auf Kunden richten, die neuen Konzepten skeptisch tion erfordert eine gründliche Planung. Die zum Teil gegenüberstehen könnten. Dafür können sie bereits im Vorhi- überraschenden Ergebnisse der Studie bieten dafür nein die Eigenschaften der Kunden und ihr Einkaufsverhalten Anhaltspunkte. Verantwortliche sollten insbeson- analysieren. Kunden, deren bisherige Präferenzen zum trans- dere die Bedeutung von Schließungsphasen nicht formierten Konzept passen und die es mit hoher Wahrschein- vernachlässigen. Die stufenweise erfolgende Trans- Fotos: real GmbH, privat lichkeit attraktiv finden, sollten zum Kauf angeregt werden. formation von Filialen größerer Handelsketten bie- Diejenigen Kunden, die sich verstärkt mit dem alten Ladenkon- tet Lerneffekte, um Schließungszeiten immer weiter zept identifizieren, müssen von den Vorteilen der Transforma- zu verkürzen, Konzepte zu verbessern und Kunden- tion überzeugt werden. So können Navigationshilfen den Kun- reaktionen besser einschätzen und darauf reagieren den helfen, sich in der neu gestalteten Filiale zu orientieren. zu können. absatz 7/8 2020 wirtschaft 57
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