TREIBSTOFF AUS DEM STAHLWERK - MAX-PLANCK-GESELLSCHAFT

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TREIBSTOFF AUS DEM STAHLWERK - MAX-PLANCK-GESELLSCHAFT
wissen aus

     Treibstoff aus dem
     Stahlwerk
     Text: Peter Hergersberg

     Rund sechs Prozent des welt-
     weiten CO2-Ausstoßes stammen
     aus der Stahlindustrie. Um deren
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     Klimabilanz zu verbessern, verfolgt
     das Carbon2Chem-Projekt einen
     ungewöhnlichen Ansatz: Wissen-
     schaftlerinnen und Wissenschaftler              meistert werden, fallen in anderen       Wissenschaftler im Carbon2Chem-
                                                     Schritten der Stahlerzeugung noch        Projekt. Das Anwendungsbeispiel:
     unter anderem des Max-Planck-                   erkleckliche Mengen CO2 an. Noch         die Stahlindustrie. Aus diesem Grund
     Instituts für chemische Energiekon-             größer ist die Not bei Müllverbren-      ist die Thyssenkrupp AG einer der
     version und der Thyssenkrupp AG                 nungsanlagen oder Zementwerken –         wesentlichen Partner in diesem Pro-
     untersuchen darin, wie sich das                 sie können ihren CO2-Ausstoß kaum        jekt – sie könnte die Technik nicht nur
                                                     reduzieren. Damit das Treibhausgas       selbst nutzen, sondern auch anderen
     Treibhausgas als Rohstoff für
                                                     nicht in die Atmosphäre gelangt und      Stahlproduzenten anbieten. Maßgeb-
     Chemieprodukte nutzen lässt, die                den Klimawandel weiter anheizt, ha-      lich beteiligt sind außerdem Teams
     bislang aus Erdöl erzeugt werden.               ben sie nur zwei Möglichkeiten: ab-      des Max-Planck-Instituts für chemi-
                                                     fangen und in unterirdische Speicher     sche Energiekonversion in Mülheim
                                                     pressen oder jemanden finden, der        und des Oberhausener Fraunhofer-
                                                     damit etwas anfangen kann. Und tat-      In­stituts für Umwelt-, Sicherheits-
            Kohlendioxid – für fast alle ist das ein sächlich gibt es einen möglichen Ab-     und Energietechnik (kurz: Umsicht).
              Problem, für manche könnte es aber     nehmer – die Chemieindustrie. Sie        Darüber hinaus haben sich auch wei-
              auch die Lösung sein. Egal, in welche  könnte CO2 als Rohmaterial nutzen,       tere Industrieunternehmen und For-
              Bereiche der Gesellschaft und der      um daraus Kunststoffe, Farben oder       schungseinrichtungen dem Vorhaben
              Ökonomie man blickt, die meisten       Treibstoffe zu produzieren. Bislang      angeschlossen, das vom Bundesfor-
              wollen das Zeug irgendwie loswerden,   verwendet sie dafür vor allem Erdöl,     schungsministerium seit 2016 mit gut
              und viele haben noch keinen perfek-    das letztlich nicht nur den Klimawan-   140 Millionen Euro gefördert wird.
              ten Plan, wie. Zum Beispiel die Stahl­ del anheizt, sondern zudem auch nur     „Mit Carbon2Chem wollen wir zeigen,
              industrie. Sie könnte Eisenerz künftig begrenzt verfügbar ist.                  dass sich CO2 auch unter den realen
              zwar auch mit Wasserstoff oder viel-                                            Bedingungen der Industrie für die
              leicht sogar mit Strom statt Kohle in Wie sich CO2-haltiges Abgas für die       Synthese etwa von Methanol eignet“,
              Eisen verwandeln, doch das ist mit      Chemieproduktion nutzen lässt –         erläutert Robert Schlögl, Direktor am
              vielen Herausforderungen verbunden,     Fachleute sprechen dabei von Carbon     Max-Planck-Institut für chemische
              wie oft etwas verharmlosend formu-      Capture and Use, kurz CCU –, das        Energiekonversion und einer der Ini-
              liert wird. Und selbst wenn diese ge-   erforschen Wissenschaftlerinnen und     tiatoren von Carbon2Chem.

                                                        Max Planck Forschung · 3 | 2021
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Umwelt & Klima

                                                      Rauchende Rohstoffquelle:
                                                      Im Duisburger Werk von
                                                      Thyssenkrupp erforscht das
                                                      Carbon2Chem-Team, wie
                                                      sich CO2 aus der Stahlproduk-
                                                      tion sinnvoll nutzen lässt.
F o t o: pict u r e a l l i a nc e / Jo ch e n Tack

                                                                                                                        65

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     Auf Methanol haben es die Projektpart-      hier dem Labor bereits entwachsen.     rie bislang aus Erdgas oder Kohle ei-
       ner abgesehen, weil die Chemie zum        Die Anlage ist in der ersten Phase des gens für die Methanolproduktion er-
       einen schon reichlich Erfahrung hat,      Projekts entstanden und erledigt eine  zeugt. Im Hüttengas ist allerdings
       wie sich dieser Alkohol aus CO2 her-      wesentliche Aufgabe, wenn es darum     keine ausreichende Menge Wasser-
       stellen lässt. Zum anderen dient er der   geht, Stahlwerke oder andere indust-   stoff enthalten, er muss zugeschossen
       Chemieindustrie als Ausgangsmate-         rielle CO2-Schleudern als Rohstoff-    werden – woher, ist auch ein Thema
       rial für einige Kunststoffe und andere    quellen für chemische Produkte an-     für Carbon2Chem.
       Erzeugnisse – 70 Millionen Tonnen         zuzapfen: Sie reinigt etwa das Hüt-
       verbraucht sie davon weltweit pro Jahr.   tengas, das von der Pipeline abge- Nina Kolbe, bei Thyssenkrupp für
       Das ist zwar nicht gerade viel ange-      zweigt wird. Denn aus den Schorn-      das Carbon2Chem-Teilprojekt „CO2-­
       sichts der gut zwei Milliarden Ton-       steinen der Eisenverhüttung, aber      Quellen und Infrastruktur“ verant-
       nen CO2, die Stahlunternehmen auf         auch eines Zementwerks oder einer      wortlich, zeigt, wo in dem Röhrenge-
       der ganzen Welt jährlich ausstoßen        Müllverbrennungsanlage quillt eine     wirr einzelne Bestandteile des Gas­
       und die rund 1,4 Milliarden Tonnen        wilde Mischung aller möglicher Sub-    gemisches entfernt und die Kompo-
       Methanol ergäben. Doch 70 Millio-         stanzen, und das auch noch mit         nenten in ein gewünschtes Mengen-
       nen Tonnen sind ein Anfang, und der       schwankenden Anteilen. Für Chemi-      verhältnis gebracht werden. Da gibt
       Bedarf könnte steigen, nicht nur in der   ker, die einen industriellen Prozess   es etwa Module, die schwefelhaltige
       Chemieproduktion. Methanol eignet         möglichst kontrolliert betreiben wol-  Substanzen oder Ammoniak entfer-
       sich auch als Treibstoff für jene Ver-    len, ist das ein Albtraum. Immerhin    nen, und solche, die bei Bedarf auch
       kehrssparten, die – wie etwa die Luft-    enthält Hüttengas mit CO2, Kohlen-     CO2 auswaschen. Wie gründlich eine
       fahrt – auf absehbare Zeit noch nicht     monoxid und Wasserstoff auch alle      Komponente aus dem Abgas entfernt
       ohne flüssigen Sprit auskommen. Ne-       Komponenten des sogenannten Syn-       wird, können die Forschenden steu-
       ben Methanol synthetisieren die Car-      thesegases, das die chemische Indust-  ern. „Wir reinigen das Gas so gut wie
       bon2Chem-Partner aus CO2 zudem
       Harnstoff, den die Chemieindustrie
       ebenfalls im großen Stil benötigt.

66   Mehr Produktionsstätte
            als Chemielabor
     Da es in dem Projekt darum geht, die
       Prozesse industrietauglich zu machen,
       arbeiten einige der Forscherinnen
       und Forscher in einem sogenannten
      Technikum auf dem Werksgelände                       Auf der Suche nach
       von Thyssenkrupp in Duisburg.                         Störfaktoren: Im
       Schon auf den ersten Blick sieht hier        Carbon2Chem-Labor am
                                                 Fraunhofer-Institut Umsicht
       alles nach Industrie aus. Zwei Pipe-        analysiert ein Max-Planck-
       lines, so dick wie Kanalrohre und von     Team unter anderem, welche
       Brückenpfeilern getragen, säumen          Bestandteile des Hüttengases
       das Gelände. Durch sie strömen die               die Methanolsynthese
       Gase, die bei der Stahlproduktion          beeinträchtigen. Zu diesem
                                                           Zweck mischen die
       entstehen, vor allem Hüttengas aus
                                                  Forschenden in einer eigens
       den Hochöfen. Deren Wärme nutzt             konstruierten Anlage nach
      Thyssenkrupp unter anderem, um                      Bedarf schmutziges
       daraus Strom zu erzeugen. Schon            Synthesegas aus verschiede-
       beim Blick durch das Werkstor zum               nen Komponenten, die
       Carbon2Chem-Areal fällt eine An-            aus Gasflaschen im gelben
                                                           Schrank (rechts im
       lage auf: So hoch wie ein sechsstöcki-
                                                      Bild) zugeführt werden.
       ges Haus türmen sich da, eingefasst
       in ein knallgelbes Gerüst, Stahllei-
       tungen und -kessel. Das sieht eher
       nach einer chemischen Produktions-
       stätte aus als nach chemischer For-
       schung, die man eher mit Glaskolben
       und Reagenzgläsern verbindet. Ganz
       offensichtlich ist die Wissenschaft

                                                            Max Planck Forschung · 3 | 2021
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  nötig und so kostengünstig wie mög-        Chem-Labor am Fraunhofer-Institut       lierten Prozess der Methanolsynthese
  lich“, sagt Nina Kolbe. Ob das Gas         Umsicht, etwa eine halbe Stunde         beeinträchtigen. „Vor allem die üb­
  sauber genug ist, überprüfen Mitar-       Auto­ fahrt vom Duisburger Techni-       lichen Verdächtigen stören“, sagt Hol-
  beitende von Holger Ruland, Leiter         kum entfernt. In der Halle, die einem   ger Ruland. Das sind zum Beispiel
  der Carbon2Chem-Arbeitsgruppe in           Basketballfeld Platz bieten dürfte,     alle schwefelhaltigen Substanzen und
  Robert Schlögls Abteilung, in einem        deutet Holger Ruland auf einen Kas-     größere Mengen Sauerstoff, von de-
  Labor nebenan. Es ist vollgepackt mit      ten, der einen kleinen Frachtcontainer  nen schon bekannt ist, dass sie Pro­
  Messinstrumenten und Elektronik,           nicht ganz zur Hälfte ausfüllen würde:  bleme machen. Denn sie vergiften
  um die Eigenschaften des Gases zu         „Das ist Schmusy.“ Von der Decke         den Katalysator aus Kupfer-, Zink-
  analysieren. Vor allem nutzen die For-     führen­fingerdicke Stahlrohre in die    und Aluminiumoxid, der das denkbar
  schenden hier ein Protonentransfer-        maßgefertigte Apparatur, in der zahl-   reaktionsträge CO2 und den Wasser-
  Massenspektrometer, das auch kniff-        reiche Ventile, Leitungen, Regler und   stoff aktiviert, damit diese sich zu
  lige Gasmixturen im laufenden Be-          elektronische Steuerelemente auszu-     Me­thanol und Wasser vereinigen.
  trieb analysieren kann und unter einer     machen­sind. „Damit kön­      nen wir
  Million Teilchen einige wenige eines       schmutzi­ges Synthesegas erzeugen – Alles in allem hat sich die Methanolsyn-
  bestimmten Gases aufspürt.                 daher der Name Schmusy“, erklärt er.    these bislang als ziemlich unempfind-
                                            Anders als in Hüttengas oder anderen     lich gegenüber dem meisten Schmutz
Wie sich die Methanolsynthese mit Hüt-      Abgasen von Industrieanlagen kön-        in den fraglichen Abgasen erwiesen.
  tengas möglichst effizient fahren lässt    nen die Forschenden mit Schmusy        „Viele haben bezweifelt, dass der Stan-
  und woran es liegt, wenn sie stottert,     die Verunreinigungen genau dosieren     dardkatalysator mit CO2 aus den Ab-
  sind Fragen, denen Rulands Team            und so ermitteln, welche Komponen-      gasen funktioniert, weil ihn die grö-
  ebenfalls nachgeht – am zweiten            ten etwa des Hüttengases in welchen     ßere Menge Wasser, die dann ent-
  Stand­ort des Projekts, dem Carbon2­       Mengen den industriell bereits etab-    steht, deaktivieren sollte“, sagt Ru-

                                                                                                                                                                                                                 67

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                                               Max Planck Forschung · 3 | 2021
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                                                                                                                                                                                Auf den Punkt
                                                                                                                                                                                gebracht

                                                                                                                                                                                Mit CO2 aus Abgasen der
                                                                                                                                                                                Stahlindustrie – aber auch
                                                                                                                                                                                von Müllverbrennungs-
                                                                                                                                                                                anlagen und Zementwerken
                                                                                                                                                                               – Methanol und andere
                                                                                                                                                                                chemische Grundstoffe zu
                                                                                                                                                                                produzieren, könnte den
     F o t o: T hom as Hobi r k /M PI f ü r ch e m i sch e E n e rgi e kon v e r sion

                                                                                                                                                                                CO2-Fußabdruck dieser
                                                                                                                                                                                Branchen reduzieren.

                                                                                                                                                                                Im Carbon2Chem-Projekt
                                                                                                                                                                                haben Forschende fest-
                                                                                                                                                                                gestellt: Die etablierte Me-
                                                                                                                                                                                thanolsynthese mit Indust-
                                                                                                                                                                                rieabgasen ist möglich.

                                                                                                                                                                                Ob das Konzept weit
                                                                                                                                                                                verbreitete Anwendung
                                                                                                                                                                                findet, hängt unter anderem
                                                                                                                                                                                davon ab, ob sich dafür
                                                                                                                                                                                genügend günstiger Wasser-
                                                                                                                                                                                stoff mit erneuerbaren
                                                                                                                                                                                Energien erzeugen lässt.

68                                                                                                                                                                            Ob das launische Verhalten auch im
                                                                                                                                                                                großtechnischen Betrieb relevant ist
                                                                                                                                                                                und ob unter diesen Bedingungen
                                                                                                                                                                                vielleicht noch andere Schwierigkei-
                                                                                                                                                                                ten auftreten, sind Fragen, die For-
                                                                                                                                                                                schende des Fraunhofer-Instituts
                                                                                                                                                                                Umsicht mit einer kleinen Demoan-
                                                                                        Läuft: Christian Froese, Forscher des                                                   lage, aus der pro Stunde zwei Liter
                                                                                        Max-Planck-Instituts für chemische
                                                                                                                                                                                Methanol fließen, untersuchen. Der
                                                                                        Energiekonversion, kontrolliert im
                                                                                        Oberhausener Carbon2Chem-Labor                                                          nächste Schritt soll eine Demoanlage
                                                                                        eine Methanolsynthese. Die                                                              im Duisburger Technikum sein, die
                                                                                        Vakuumröhren im Vordergrund sind                                                        mehrere Tausend Tonnen pro Jahr
                                                                                        Teil eines Massenspektrometers.                                                         produziert. „Damit wollen wir bewei-
                                                                                                                                                                                sen, dass der Prozess auch im großen
                                                                                                                                                                                Maßstab und auf lange Zeit stabil ar-
                                         land. Dass dies nicht geschieht, ist                                                   send Stunden verliert der Katalysator           beitet“, sagt Holger Ruland.
                                         für die industrielle Umsetzung des                                                     manchmal seine Aktivität, und ir-
                                         Carbon2Chem-Konzepts eine gute                                                         gendwann kommt sie wieder“, sagt Dann wird die Methanolsynthese aus
                                         Nachricht, denn einen neuen Kataly-                                                    Schlögl. Die Forscher haben schon ei-   Hüttengas auch mit Wasserstoff ge-
                                         sator zu suchen, kann ziemlich müh-                                                    nen Verdacht, woran es liegen könnte:   füttert, der im Technikum erzeugt
                                         sam sein. Trotzdem ist die Arbeit der                                                  an zu viel Sauerstoff. „Vielleicht rei- wird. Denn dem Klimaschutz dient
                                         Chemiker noch nicht getan. Denn                                                        chen unsere Maßnahmen, den variie-      der Prozess nur, wenn der Wasser-
                                         nicht nur, dass die Forschenden um                                                     renden Sauerstoffanteil zu entfernen,   stoff grün ist, also mithilfe von rege-
                                         Holger Ruland und Robert Schlögl                                                       nicht aus“, so Schlögl. Allerdings ist  nerativ erzeugtem Strom aus Wasser
                                         den Prozess im Detail verstehen wol-                                                   auch noch unklar, ob sich die unkont-   gewonnen wird. Das Problem ist,
                                         len, sie möchten ihn möglichst auch                                                    rollierten Aussetzer in einer industri- dass Windkraft und Fotovoltaik der-
                                         noch verbessern und an andere Ab-                                                      ellen Anlage überhaupt bemerkbar        zeit nur selten mehr Strom liefern, als
                                         gase als die der Eisenverhüttung an-                                                   machen würden. „Wenn in einer An-       gebraucht wird. Um im großen Stil
                                         passen. Ein praktisch relevantes Pro-                                                  lage mit 25 Tonnen Katalysator mal      grünen Wasserstoff produzieren zu
                                         blem haben die Chemiker beobachtet.                                                    ein Kilo nicht funktioniert, ist das    können, müssten erneuerbare Strom-
                                        „In Experimenten über mehrere Tau-                                                      kein Problem“, so Schlögl.              quellen massiv ausgebaut werden, zu-

                                                                                                                                            Max Planck Forschung · 3 | 2021
Umwelt & Klima

                                                                                                             mal viele Bereiche der Wirtschaft bei  gungsanlage und nur ein paar                                      den, ist trotzdem noch offen. Da geht
                                                                                                             ihrer klimafreundlichen Neuausrich-    Schritte davon entfernt steht. Um sie                             es um langfristige Investitionssicher-
                                                                                                             tung auf Wasserstoff setzen, nicht zu- zu betreten, sind spezielle Sicher-                               heit und natürlich um die Kosten.
                                                                                                             letzt die Eisenverhüttung. Und selbst  heitsvorkehrungen nötig, weil die An-                            „Sind die Kunden bereit, für grünen
                                                                                                            wenn es genügend Anlagen gibt, die      lage mit Hochspannung und ätzender                                Stahl oder grünes Methanol einen
                                                                                                             den Bedarf prinzipiell decken könn-    Lauge arbeitet. Aber ein Blick durchs                            Aufschlag zu zahlen?“, fragt Nina
                                                                                                             ten, wird das Angebot immer schwan-    Tor ist erlaubt. Im Elektrolyseur, der,                           Kolbe. Der Klimaschutzbeitrag
                                                                                                             ken. Das bedeutet: Die Elektrolyse,    eingehegt von einem Gerüst, nur re-                               würde etwa beim Kauf eines Autos
                                                                                                             die Wasser in Wasserstoff und Sauer-   lativ wenig Platz in der großen Halle                             vielleicht ein paar Hundert Euro aus-
                                                                                                             stoff spaltet, muss flexibel arbeiten  braucht, sind brusthohe, hintereinan-                             machen. Unter den richtigen politi-
                                                                                                             und in einer windstillen Nacht wahr-   der aufgereihte Platten zu erkennen.                              schen und ökonomischen Rahmenbe-
                                                                                                             scheinlich sogar ganz gestoppt wer-    Zwischen ihnen entsteht der Wasser-                               dingungen könnten solche Güter auch
                                                                                                             den. Solche unkalkulierbaren Bedin-    stoff. Das Gerät hat eine Tochter-                                bei höheren Produktionskosten kon-
                                                                                                             gungen machten den Betreibern von      firma von Thyssenkrupp entwickelt –                               kurrenzfähig sein. Der künftige CO2-
                                                                                                            Elektrolyseuren bislang Sorgen: Sie     sie vertreibt es bereits kommerziell.                             Preis ist hier ein Faktor, aber nicht der
                                                                                                             fürchteten, dass die Anlagen damit     Und es ist flexibler als gedacht: Selbst                          wichtigste: „Eine entscheidende Frage
                                                                                                             nicht klarkämen und schnell den        bei unstetem Stromangebot läuft es                                ist, ob wir genügend günstigen Was-
                                                                                                            Dienst einstellten. Ob ihre Bedenken    einwandfrei. Ein weiteres Ergebnis,                               serstoff und dafür genügend regene-
                                                                                                             berechtigt sind, haben Wissenschaft-   das der Anwendung des Carbon-                                     rativ erzeugten Strom haben“, betont
                                                                                                             lerinnen und Wissenschaftler der       2Chem-Konzepts den Weg ebnet.                                     Holger Ruland ebenso wie andere
                                                                                                            Thyssenkrupp AG und des Duisbur-                                                                          Fachleute, die sich mit solchen
                                                                                                             ger Zentrums für Brennstoffzellen- Technisch steht dem CCU-Vorhaben,                                     CCU-Techniken beschäftigen.
                                                                                                            Technik ebenfalls untersucht.           Abgase etwa der Stahlindustrie als
                                                                                                                                                    Rohstoffquelle für Teile der Chemie-
                                                                                                           Wo, kann man zurück im Duisburger        produktion zu nutzen, also nicht mehr                                  Ein Weltmarkt für
                                                                                                            Technikum sehen – in einer Halle, die
                                                                                                             etwa so hoch ist wie die Gasreini-
                                                                                                                                                    viel im Wege. Ob die beiden Branchen
                                                                                                                                                    das Konzept künftig umsetzen wer-
                                                                                                                                                                                                                         erneuerbare Energie
                                                                                                                                                                                                                     Robert Schlögl geht zwar davon aus,          69
                                                                                                                                                                                                                      dass Wasserstoff deutlich billiger
                                                                                                                                                                                                                      würde, wenn Elektrolyseure nicht
                                                                                                                                                                                                                      mehr mit Manufaktur-, sondern mit
                                                                                                                                                                                                                      moderner Fertigungstechnik gebaut
                                                                                                                            Reinigung
                                                                                                                                               CO 2   CO        H2                                                    werden. Doch das ändert nichts daran,
                                                                                                                                                                                                                      dass es in Deutschland auch künftig
                                                                                                               PH 3        HCI         NH 3    N2     C 2H 6   C6H 6                                                  wahrscheinlich nicht genügend grü-
Gr af i k : G C O nach Holge r Ru l a n d/M PI f ü r ch e m i sch e E n e rgi e kon v e r sion

                                                                                                                                                                                                                      nen Strom gibt. Dem Mangel könn-
                                                                                                                                                                                           H2
                                                                                                                           H 2S     Ni(CO) 4                    O2                                                    ten Länder mit mehr Sonne und
                                                                                                                                                                                                                      Wind abhelfen – zum Beispiel Nami-
                                                                                                                                                                                                                      bia. Die Bundesregierung hat gerade
                                                                                                                                                                                                                      eine Wasserstoffkooperation mit dem
                                                                                                                                                                                                                      Staat im südlichen Afrika vereinbart:
                                                                                                                                                                     regenerativ                                      Eine Machbarkeitsstudie und ein Pi-
                                                                                                                                                                     erzeugter                                        lotprojekt sollen aufzeigen, ob Nami-
                                                                                                                                                                     Wasserstoff
                                                                                                                                                                                                                      bia zum Wasserstoffexporteur wer-
                                                                                                                                                                                                                      den kann.
                                                                                                 CO 2    CO           H2          N2                                                           Aus den Abgasen
                                                                                                                                                                                                der Stahlproduk-     Das wäre auch ein Schritt hin zu einem
                                                                                                 COS    SO 2      H 2S            H 2o
                                                                                                                                                      Katalysator                                 tion mit vielen     Weltmarkt für erneuerbare Energie,
                                                                                                                                                                                              unterschiedlichen
                                                                                                                                                                                              Substanzen (links
                                                                                                                                                                                                                      so wie es ihn derzeit für fossile Brenn-
                                                                                                  O2    CxHYOH    NH 3            NO                                                          unten) werden die       stoffe gibt. In einem globalen Handel
                                                                                                                                                                                                  Komponenten         etwa mit Wasserstoff sieht Robert
                                                                                                 HCN    CH 4      C6H 6       C 2H 6                                                         entfernt, die bei der    Schlögl, der die Wasserstoffstrategie
                                                                                                                                                                                        Methanolsynthese stören       der Bundesregierung mitentwickelt
                                                                                                                                                                                               (links oben). Das      hat, das beste Mittel, Produkte aus
                                                                                                 HCI     HF       NH4F        Ni(CO) 4
                                                                                                                                                                                         enthaltene CO2 wandelt
                                                                                                                                                                                             ein Katalysator mit      Deutschland im weltweiten Wettbe-
                                                                                                                              Fe(CO) 4                                                    regenerativ erzeugtem       werb konkurrenzfähig zu halten – ein
                                                                                                 Abgase
                                                                                                 der Stahl-                                                                                          Wasserstoff      besseres noch als EU-Zölle auf klima-
                                                                                                 produktion                                            Methanol                                 in Methanol um.       schädliche Importe: „Dann bezahlen

                                                                                                                                                                       Max Planck Forschung · 3 | 2021
wissen aus

                                                                                                                                                                       Industrienahe Forschung:
      F o t o: T h ysse n k ru pp S t e e l Eu rope AG

                                                                                                                                                                       Mit dieser Anlage
                                                                                                                                                                       im Carbon2Chem-Tech-
                                                                                                                                                                       nikum untersuchen
                                                                                                                                                                       Forschende schon
                                                                                                                                                                       beinahe im großtechni-
                                                                                                                                                                       schen Maßstab, wie
                                                                                                                                                                       gut sich Gase, die bei
                                                                                                                                                                       der Stahlproduktion ent-
                                                                                                                                                                       stehen, reinigen lassen.

70

                                                         alle die erhöhten Preise.“ Das setzt     durchaus helfen, vor allem wenn das           oder ob sie das Treibhausgas nutzen
                                                         natürlich voraus, dass es auch eine      CO2 in langlebige Produkte verwan-            soll: „Beim Klimaschutz passiert in
                                                         globale Nachfrage gibt, weil sich die    delt wird: „Auf jeden Fall hat man das        der Industrie weltweit derzeit sehr
                                                         Welt von fossilen Energieträgern ab-     CO2 dann gewissermaßen zweimal                viel“, sagt die Wissenschaftlerin. „Wir
                                                         wendet. Schlögl ist da recht zuver-      genutzt, und je nach Produkt auch für         sollten die beiden Ansätze verfolgen,
                                                         sichtlich: „Keiner kann die Berichte     einige Jahrzehnte gespeichert.“ Der           um die CO2-Emissionen möglichst
                                                         des Welt­klimarats und die offensicht-   Wirtschaftswissenschaftler gibt aber          schnell und kostengünstig reduzieren
                                                         lichen Zeichen des Klimawandels          zu bedenken, dass Kohlenstoff auf             zu können.“
                                                         mehr ignorieren.“                        Dauer nur noch dort eingesetzt wer-
                                                                                                  den sollte, wo es keine Alternativen
     Allerdings genügt die Einsicht allein                                                        gibt. Stahl kann jedoch mit Wasser-
        nicht, gerade Schwellenländer müs-                                                        stoff erzeugt werden, nahezu ohne den
        sen sich die klimafreundliche Um­                                                         Einsatz von Kohlenstoff. „Weil die
                                                                                                                                                                                   GLOSSAR
        gestaltung der Industrie auch leisten                                                     Investitionszyklen in der Stahlindus-
        können. Zudem sind die Carbon-                                                            trie lang sind, sollten wir gerade auch                                  Carbon Capture
        2Chem- und andere CCU-Techniken                                                           auf diese Lösung setzen. Wir könnten                                       and Use (CCU)
        gerade in puncto Klimaschutz viel-                                                        sonst Probleme bekommen, wenn wir                              nutzt CO2 aus Industrieabgasen
        leicht noch nicht effektiv genug. „Je-                                                    bis 2045 netto kein CO2 mehr aussto-                                für die Chemieproduktion.
        des System, das am Anfang fossile                                                         ßen wollen.“
                                                                                                                                                                                  Hüttengas
        Rohstoffe nutzt und am Ende CO2                                                                                                                         entsteht im Hochofenprozess, in
        freisetzt, ist problematisch, wenn wir Um künftig einmal verschiedene Routen                                                                             dem Eisenerz mit Kohlekoks zu
        klimaneutral werden wollen“, sagt       nehmen zu können, findet Lechten-                                                                            Roheisen reduziert wird, und macht
        Stefan Lechtenböhmer, der am Wup-       böhmer ein Projekt wie Carbon-                                                                                den größten Teil der CO2-haltigen
        pertal Institut erforscht, wie sich     2Chem dennoch wichtig. Diese Hal-                                                                            Abgase im Stahlwerk aus. Daneben
        Energie- und Industriesysteme klima­    tung teilt Nina Kolbe selbstredend –                                                                             fallen bei der Umwandlung von
                                                                                                                                                              Kohle in Koks Kokereigas und von
        freundlich umgestalten lassen. Kurz-    auch in der Frage, ob die Stahlindus-                                                                            Eisen in Stahl Konvertergas an.
        und mittelfristig könne CCU auf dem     t­rie Eisen mit Wasserstoff statt Kohle
       Weg zur klimaneutralen Wirtschaft        erzeugen und damit CO2 vermeiden

                                                                                                              Max Planck Forschung · 3 | 2021
Warum so
                                                        nachlässig?

                                                       Im Alter wird die biochemische Quali-
                                                       tätskontrolle in menschlichen Zellen
                                                       nachlässig und das kann zu Alzheimer
                                                       führen – eine gefürchtete Diagnose.

                                                       Franz-Ulrich Hartl und Ralf Jungmann
                                                       wollen die Entstehungsprozesse dieser
          Die Max-Planck-Förderstiftung unterstützt    Mülldeponien in den Zellen besser
          seit über zehn Jahren die Max-Planck-        verstehen.
          Gesellschaft, indem sie an den mehr als
                                                       Wir unterstützen ihr Projekt am Max-
          80 Instituten gezielt innovative und
                                                       Planck-Institut für Biochemie, denn
          zukunftsweisende Spitzenforschung fördert
                                                       die tiefere zellbiologische Erkenntnis
          und so Durchbrüche in der Wissenschaft
                                                       kann wichtige Hinweise auf mögliche
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