Wie sich das Herz erneuert - Von Umprogrammierungen und Stammzellen
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Reprogrammierung Wie sich das Herz erneuert Von Umprogrammierungen und Stammzellen 1 Regenerationskünstler im Dienste der Wissenschaft. Der Grünliche Wassermolch (Notophthalmus viridescens) hat die Re- generation seiner Extremitäten und innerer Organe perfektioniert. Die Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Herz- und Lungenforschung erforschen die zellulären und molekularen Grundlagen dieser Regeneration, um Ansätze für neue Therapien am Menschen zu finden. H orst Schmitt hatte Glück im Un- Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems sind für die größte Zahl glück. Als er gegen vier Uhr mor- gens mit einem stechenden Schmerz der Todesfälle in Deutschland verantwortlich. Das liegt nicht zuletzt von Matthias Heil und Thomas Braun und einem heftigen Gefühl der Enge in daran, dass das menschliche Herz kaum Selbstheilungskräfte be- der Brust aufwachte, tat seine Frau das sitzt. Wissenschaftler suchen deshalb nach Möglichkeiten, die Re- einzig Richtige: Sie alarmierte sofort den Notarzt. Nach der Notfalldiagnose wur- generationsfähigkeit des Organs zu steigern. Dabei helfen ihnen der de Schmitt zügig in die Klinik transpor- Blick ins Tierreich und modernste molekularbiologische Verfahren. tiert. Dort öffnete der Kardiologe mit ei- nem Ballonkatheter das verschlossene Herzkranzgefäß und stabilisierte es mit Gefäßstützen, tungsfähigkeit eingeschränkt. Der Grund: Eine natürli- sogenannten Stents. Weil der Infarkt eher milder Natur che, funktionelle Regeneration des Herzmuskels findet war, die notärztliche Versorgung optimal verlief und nicht oder zumindest nicht in nennenswertem Umfang der Herzmuskel rechtzeitig wieder durchblutet wur- statt. Abgestorbene Muskelzellen werden nicht erneu- de, wurden kaum Herzmuskelzellen geschädigt. Eine ert. Es bildet sich lediglich ein nicht funktionelles Nar- dauerhafte Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit des bengewebe, wodurch immerhin die Stabilität des Or- Herzens ist eher unwahrscheinlich. gans erhalten bleibt. Nicht alle Infarktpatienten haben so viel Glück. Während einige Gewebe und Organe des Menschen Schafft es der Patient nicht rechtzeitig ins Kranken- wie Blut, Leber und Skelettmuskulatur in teilweise be- haus oder wird der Infarkt zu spät erkannt, erholt achtlichem Ausmaß regenerieren können, besitzen an- sich der Herzmuskel nicht mehr. Rund 55 000 Men- dere Organe wie das Nervensystem oder eben das Herz schen starben nach Angaben des Statistischen Bun- nur geringe Selbstheilungskräfte. Weltweit sind des- desamtes 2011 in Deutschland allein am Myokardin- halb Wissenschaftler auf der Suche nach Wegen, wie farkt./1/ Überleben diese Patienten die akute Phase, sind sie die Regenerationsfähigkeit des Herzens stimulieren sie nicht selten lebenslang in ihrer körperlichen Leis- können. Dabei wird die Forschung durch Vorbilder aus Forschung Frankfurt 1/2013 53
Reprogrammierung 2 Der Grünliche Wasser- molch in seinem Element. Ausgewachsene Tiere halten sich am liebsten im Wasser auf. dem Tierreich motiviert. Verschiedene Tierarten sind auch geschädigte Organe und Gewebe, beispielswei- nämlich in der Lage, Organfunktionen selbst nach star- se Augenlinse, Kiefer, Teile des Zentralnervensystems ken Gewebsverlusten bis hin zu Amputationen wieder und auch das Herz kann das knapp zehn Zentimeter auszugleichen. große Tier vollständig wiederherstellen. Unsere Arbeitsgruppe in der Abteilung »Entwick- Tierische Regenerationskünstler lung und Umbau des Herzens« erforscht seit einigen Bereits seit vielen Jahrzehnten ist die ausgeprägte Jahren zelluläre und molekulare Prozesse, die der Regenerationsfähigkeit von Amphibien und Fischen Herzregeneration zugrunde liegen. Dazu setzt sie beim bekannt. Dem heimischen Feuersalamander beispiels- Molch ein Verfahren ein, bei dem das Herz zunächst in 3 Proben aus sich weise wächst nach dem Verlust seines Schwanzes ein einer Operation mechanisch geschädigt wird. Die Fol- regenerierendem neuer nach. Deshalb ist es nur auf den ersten Blick ver- gen für die Muskulatur in der Herzkammer sind ver- Herzgewebe werden wunderlich, dass im Max-Planck-Institut für Herz- und gleichbar mit der Situation nach einem Myokardin- mit einem Laser- Lungenforschung in Bad Nauheim auch an Amphibien farkt beim Menschen: Die Struktur und Integrität des scanning-Mikroskop geforscht wird. In dem Institut, das Teil des LOEWE- Muskelzellverbandes werden zerstört, ein Großteil der untersucht. Auf Zentrums für Zell- und Gentherapie ist, tummeln sich Muskelzellen stirbt ab, und die Pumpleistung des Her- diese Weise lassen in rund hundert Becken Salamander mit dem Namen zens verschlechtert sich deutlich. Doch in kürzester sich die Reparatur- Grünlicher Wassermolch (Notophthalmus viridescens). Zeit wird die körpereigene Selbstheilungsmaschinerie vorgänge auf zellu- Die an der Ostküste der USA beheimatete Spezies aktiviert. Nach wenigen Tagen ist unter dem Mikros- lärer Ebene ent- hat die körpereigene Regenerationsfähigkeit perfek- kop zu beobachten, wie unzählige Leukozyten (weiße schlüsseln. tioniert. Nicht nur verloren gegangene Extremitäten, Blutkörperchen) das geschädigte Areal infiltrieren und Zelltrümmer beseitigen./2/ Das neue Muskelgewebe bildet sich anschließend entlang fadenartiger Strukturen, sogenannter Trabekel. Diese bestehen zunächst nur aus wenigen Herzmus- kelzellen. Doch innerhalb weniger Monate siedeln sich immer mehr Zellen an den Trabekeln an, bis schließ- lich der Herzmuskel vollständig regeneriert ist. Neue Daten zeigen, dass die Muskelzellen nicht willkürlich in der Herzkammer deponiert werden. Vielmehr bil- det sich zunächst eine Extrazellulärmatrix aus. Dieses unter anderem aus Kollagen bestehende Proteingerüst ist dafür verantwortlich, dass die einzelnen Herzmus- kelzellen sich schließlich koordinieren und zu einem funktionierenden Muskelverband entwickeln./3/ Die Zellentwicklung zurückspulen Doch woher stammen die neu gebildeten Herzmuskel- zellen? Anders, als man zunächst vermuten könnte, rekrutieren sie sich nicht aus Herzstammzellen. Statt- dessen läuft ein Prozess ab, den man am besten als »Zu- rückspulen des Entwicklungsprogrammes« beschrei- ben könnte, ähnlich dem Drücken der Rückspultaste am Kassettenrekorder: Die im geschädigten Muskel verbliebenen Herzmuskelzellen, die nicht absterben, 54 Forschung Frankfurt 1/2013
Reprogrammierung durchlaufen eine sogenannte Dedifferenzierung und Umbauprozesse im Säugerherz verlieren ihre spezifischen Eigenschaften. Ohne selbst Das, was bei Molchen einen entscheidenden Schritt originäre Stammzellen zu sein, erfüllen die früheren des Regenerationsvorgangs am Herzen darstellt, näm- Herzmuskelzellen eine ähnliche Funktion. Ihre Tei- lich das Zurückspulen des Entwicklungsvorgangs von lungsaktivität steigt stark an, so dass neue Zellmasse Herzmuskelzellen, wurde beim Menschen im Zusam- gebildet wird. Schließlich erlangen die Zellen wieder menhang mit verschiedenen Herzerkrankungen be- die spezialisierten Funktionen einer Herzmuskelzelle, obachtet. Solche Dedifferenzierungen treten offenbar sie redifferenzieren. nicht nur beim akuten Herzinfarkt, sondern unter an- Wir gehen davon aus, dass ein derart komplexer Re- derem auch bei chronischer Mangeldurchblutung des generationsvorgang durch die sequenzielle Aktivie- rung verschiedener Gene gesteuert wird. Bei der Iden- tifizierung dieser Gene stehen wir allerdings vor einem Herzmuskel- zelle Herzmuskel- Problem: Anders als beispielsweise bei der Maus, de- zelle ren Genom vollständig bekannt und Forschern prob- andere Zelllinien? lemlos zugänglich ist, stellt der Molch gewissermaßen einen Exoten unter den Labortieren dar. Nur wenige Wiedereintritt Zellzyklus Forschergruppen auf der Welt arbeiten mit der Spezi- es. Das hat zur Folge, dass sein Genom bisher nur an- Dedifferenzierung satzweise entschlüsselt wurde. Hinzu kommt, dass das Molchgenom ungefähr zehnmal so groß ist wie das des mesenchymale Stammzellen ? Menschen. Dies erschwert auch bei Einsatz neuester Sequenzierungsmethoden eine komplette Entschlüsse- kardiale lung des Genoms. In einem aktuellen Projekt haben Stammzellen wir deshalb einen anderen Weg gewählt: Aus verschie- denen Geweben gesunder Molche, aus Larvenstadien und aus geschädigtem Gewebe haben wir alle vorhan- denen messenger RNA-Moleküle (mRNA) isoliert und anschließend sequenziert. Diese kurzen Genkopien 4 Modell für die Regeneration des Herzens. Kardiale Stammzellen (grün) teilen sich sind Abschriften der DNA. Ihr Code wird in bestimm- und bilden neue Herzmuskelzellen. Außerdem wandeln sie sich möglicherweise in ten Zellorganellen, den Ribosomen, in Proteine »über- andere Zelltypen, darunter mesenchymale Stammzellen, um. Diese wiederum könn- setzt«. Rund 120 000 dieser Transkripte wurden zu ei- ten ebenfalls neue Herzmuskelzellen ausbilden. Darüber hinaus könnten Herzmus- ner Bibliothek zusammengefasst und mit Daten von kelzellen dedifferenzieren (rosa), dabei ihre Teilungsfähigkeit wiedererlangen und Proteinuntersuchungen verglichen, die durch massen- neue Herzmuskelzellen bilden. spektrometrische Verfahren gewonnen wurden. Am Ende konnten wir rund 800 Molch-spezifische Pro- teine identifizieren, darunter bisher unbekannte Pro- Herzmuskels (Ischämie) auf. Dabei waren derart zu- teinfamilien. /4/ Besonderes Interesse wecken dabei rückgespulte Zellen nicht nur in zentral betroffenen Proteine aus den Geweben, in denen gerade Regenera- Bereichen des Herzens zu finden, sondern auch in be- tionsprozesse abliefen. Wir hoffen, dass vor allem un- nachbarten Randgebieten. Dies könnte darauf hinwei- ter den neu entdeckten Proteinfamilien Kandidaten sen, dass beim Säuger-Organismus die Dedifferenzie- sind, die sich für eine Therapie eignen, beispielsweise rung in erster Linie eine protektive Reaktion auf eine indem sie den Selbstheilungsprozess bei Patienten sti- mulieren. Geringe Selbstheilungskräfte beim Säugerherz Dass dies ein Ansatz mit Potenzial ist, liegt auf der Hand, sind doch die Selbstheilungskräfte des Säuger- herzens gerade bei einer schweren Erkrankung und im Alter limitiert. Warum diese Fähigkeit bei unter- schiedlichen Spezies derart verschieden ausgeprägt ist, darüber kann nur spekuliert werden. Wahrscheinlich ist der Verlust der Regenerationsfähigkeit der Preis für die höhere Spezialisierung und Leistungsfähigkeit der Säuger. Zwei Dinge verdienen jedoch besondere Auf- merksamkeit: Zum einen hat man bei Mäusen beob- achtet, dass deren Herz noch wenige Tage nach der Geburt ein recht gutes Regenerationspotenzial besitzt, was dann aber schnell verloren geht. Ein Therapiean- satz wäre demnach, diese abgeschalteten Prozesse wie- der anzuschalten. Und zum Zweiten weiß man heute, dass auch im Herzen von Erwachsenen ein Reservoir an Herzstammzellen existiert. Offensichtlich sind diese Herzstammzellen aber durch bestimmte Mechanismen mit zunehmendem Alter inaktiv oder haben ihre rege- 5 Mit modernen molekularbiologischen Verfahren untersucht die Ab- nerative Kapazität weitestgehend verloren. teilung von Thomas Braun die Hintergründe der Herzregeneration. Forschung Frankfurt 1/2013 55
Reprogrammierung verringerte Sauerstoffversorgung und weniger die Vor- ◉ Auf den Punkt gebracht ◀ bereitung für Reparaturprozesse widerspiegelt. Wenn nämlich die kontraktilen Bestandteile in den Herzmus- ● Der Feuersalamander kann große Teile seines Kör- kelzellen abgebaut werden und weitere Anpassungen pers erneuern. Wie er das macht, wollen Forscher innerhalb der Zellen stattfinden, sinkt deren Sauer- herausfinden, um die Selbstheilungskräfte des stoffbedarf. Und damit steigt im Falle eines Sauerstoff- menschlichen Herzens zu stimulieren. mangels auch die Überlebenswahrscheinlichkeit. Insgesamt dominieren vor allem bei einem chroni- ● Neue Herzmuskelzellen entstehen beim Menschen schen Verlauf der Krankheit aber negative Effekte der aus bereits differenzierten Zellen, deren Entwick- lungsprogramm »zurückgespult« wird (Dedifferen- zierung), so dass sie die Aufgaben von Stammzellen erfüllen. Zur Person ● Oncostatin M ist ein Schlüsselprotein für die Regu- lation der Dedifferenzierung von Herzmuskelzellen. Prof. Dr. Dr. Thomas Braun, 51, ist Auf Dauer schwächt es aber die Pumpleistung des Direktor der Abteilung Entwicklung Herzens. und Umbau des Herzens am Max- Planck-Institut für Herz- und Lun- genforschung in Bad Nauheim, Pro- fessor an der Medizinischen Fakultät Dedifferenzierung, da die Pumpleistung des Herzmus- der Justus-Liebig-Universität Gie- kels dauerhaft abnimmt und weitere Umbauprozesse ßen und Projektleiter am LOEWE- schließlich zu einer Fehlfunktion des Herzens führen. Zentrum für Zell- und Gentherapie. Thomas Braun studierte Philoso- Zielführend wäre es deshalb aus therapeutischer Sicht, phie und Medizin in Göttingen und wenn es gelänge, die positiven Effekte der Dedifferen- Hamburg. Nach mehreren Forschungsaufenthalten im zierung, die zur Regeneration des Herzens führen, zu In- und Ausland wurde er zunächst Professor am Institut verstärken. Tatsächlich haben Studien gezeigt, dass ein für Medizinische Radiologie und Zellforschung der Uni- solcher Ansatz auch bei menschlichen Herzmuskelzel- versität Würzburg, bevor er 1998 Professor der Medizin len denkbar ist. an der Universität Halle-Wittenberg wurde. Seit 2004 Eine zentrale Rolle bei der Regulation der Dedif- forscht er als Direktor am Max-Planck-Institut vor allem an den Differenzierungsvorgängen während der Embryo- ferenzierung von Herzmuskelzellen scheint ein Pro- nalentwicklung sowie an Umbau- und Regenerationspro- tein namens Oncostatin M zu besitzen. Bereits kurz zessen des Herzens. Einen weiteren Schwerpunkt bildet nach dem Infarkt taucht es im geschädigten Gewebe die Rolle von Stamm- und Vorläuferzellen bei der Organ- auf. Versuche an Zellkulturen zeigten, dass es die De- entwicklung und der Regeneration von Geweben. differenzierung in Herzmuskelzellen auslöst. Schal- tete man bei Mäusen den Rezeptor für Oncostatin M Thomas Braun ab, wurde nach einem Infarkt in viel weniger Zellen Ein guter Arbeitstag beginnt mit einem Blick in das Rückspulprogramm gestartet. Gleichzeitig war die einen leeren Terminkalender. Sterberate bei diesen Tieren erhöht. Allerdings ist Oncostatin M offensichtlich auch für Die Zeit vergesse ich beim Schreiben. die zuvor erwähnten nachteiligen Effekte bei einem Wer es in einem Fachgebiet zu etwas bringen will, chronischen Verlauf verantwortlich. Möglicherweise muss neben Talent Durchhaltevermögen haben ist diese Janusköpfigkeit von Oncostatin M als einer und beharrlich sein. der zentralen Regulatoren ein Grund für die geringen Erfolge feiere ich eher selten. Selbstheilungskräfte im Säugerherz. Ich rege mich auf über Borniertheit, Dummheit Woher kommen die Stammzellen und Arroganz. im menschlichen Herzen? Als Jugendlicher wollte ich schon immer Forscher Dass derartige Dedifferenzierungs- und Umbauprozes- werden. se durchaus Potenzial besitzen, zeigt eine weitere Be- obachtung: Bei vielen der zurückgespulten Zellen las- Rückblickend würde ich nicht noch einmal zu viel sen sich charakteristische Marker für Herzstammzellen unnütze Zeit in Kommissionen verbringen. und eine neue Zellteilungsaktivität nachweisen. Soge- Freiheit ist die Einsicht in die Notwendigkeit. nannte kardiale Stammzellen sind auch im Herzen Er- Rat suche ich bei denen, die mir etwas zu sagen wachsener vorhanden, wenn auch in geringer Zahl. Es haben. könnte sich um Zellen handeln, deren Aktivität nach der Geburt weitestgehend abgeschaltet wurde, so dass Familie und Beruf sind nicht voneinander zu tren- sie im Herzen als residente Stammzellen verbleiben. nen. Vielleicht stammt aber auch zumindest ein Teil der kar- Den Kindern rate ich, ihren Interessen zu folgen, dialen Stammzellen von dedifferenzierten Herzmus- aber realistisch zu sein. kelzellen ab. Mittlerweile glaubt man, dass das System wesentlich dynamischer ist, als noch vor wenigen Jah- Mein Weg führt mich, bis es nicht mehr weiter- ren vermutet wurde. 4 geht. Allerdings steht die Forschung noch ziemlich am thomas.braun@mpi-bn.mpg.de Anfang. Bisher wurden mindestens vier unterschied- liche Zellpopulationen im adulten Herzen entdeckt, 56 Forschung Frankfurt 1/2013
Reprogrammierung die zumindest unter Laborbedingungen dazu in der Lage sind, Herzmuskelzellen zu bilden. Ob es sich um »echte« Herzstammzellen handelt, oder ob auch de- differenzierte Muskelzellen zumindest phasenweise Stammzelleigenschaften übernehmen, ist derzeit offen. Zudem wurde außerhalb des Herzmuskels in der äuße- ren Herz-Zone, dem Epikardium, eine weitere Stamm- zellpopulation entdeckt. Diese Zellen könnten eben- falls an der Herzregeneration beteiligt sein, obgleich gegenwärtig vermutet wird, dass solche vom Epikard abgeleiteten Zellen eher Hilfsfunktion ausüben und nicht als direkte Bausteine für neue Herzmuskelzellen fungieren. Und auch Stammzellen, deren Ursprung au- ßerhalb des Herzens liegt, kommen zumindest für eine Therapie infrage. Infarktpatienten, die aus dem Kno- chenmark isolierte Blutstammzellen erhielten, zeigten in klinischen Studien unserer Kollegen Prof. Andreas Zeiher und Prof. Stefanie Dimmeler von der Univer- sitätsklinik der Goethe-Universität Verbesserungen der Herzleistung im Vergleich zur Kontrollgruppe. Die Stu- dien sind ein erster Schritt, zeigen aber auch, dass die ideale Stammzelle bisher noch nicht gefunden wurde. 6 Genkopierer. PCR-Maschinen zur Vervielfältigung von Erb- Ziel: Mit Herzstammzellen informationen gehören heute zur Grundausstattung in moleku- Selbstheilungskräfte stärken larbiologischen Labors. Vor der Entwicklung neuer Therapien steht die Be- antwortung einer Reihe von Fragen im Vordergrund: eines sich selbst erneuernden Herzens eines Tages viel- Woher stammen die kardialen Stammzellen des Men- leicht Realität. Profitieren würden davon Herzpatien- schen? Wurden Sie im Laufe der Entwicklung abge- ten, bei denen die heutige Medizin an ihre Grenzen schaltet? Wenn ja, was ist der Schalter, und lässt er sich stößt. Sie könnten mit einer deutlich verbesserten Le- wieder umlegen? Entstehen – wie beim Molch – aus bensqualität rechnen. u dedifferenzierten Herzmuskelzellen kardiale Stamm- zellen mit Regenerationspotenzial? Welche Rolle spielen Stammzellen, die ursprünglich nicht aus dem Zur Person Herzen stammen? Können sie zur Regeneration des geschädigten Herzens beitragen? Mit der Beantwortung dieser Fragen könnten sich in den nächsten Jahren völlig neue Möglichkeiten zur Dr. Matthias Heil, 43, ist am Max- Therapie von akuten und chronischen Herzerkrankun- Planck-Institut für Herz- und Lun- genforschung in Bad Nauheim un- gen eröffnen. Gelänge es, die Regenerationsprozesse ter anderem verantwortlich für die beim Menschen zu optimieren, würde aus der Vision Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Heil studierte an der Justus-Liebig- Universität in Gießen Biologie. Di- Literatur plomarbeit und Dissertation fertigte /1/ Quelle: Statisti- opment 2012. doi: 10. /6/ Looso, M., Michel, er in der Forschergruppe Hämosta- sches Bundesamt/ 1089/scd.2012. 0575. C.S., Konzer, A., Brucks- seologie und Transfusionsmedizin am damaligen Max-Planck-Institut www.destatis.de. kotten, M., Borchardt, /4/ Looso et al. Genome für klinische und physiologische Forschung in Bad Nau- https://www.destatis. T., Krüger, M., Braun T. heim an. Anschließend forschte er mehrere Jahre am de/DE/ZahlenFakten/ Biology 2013, 14:R16; (2012) Spiked-in Wachstum von Blutgefäßen, vor allem der Ausbildung GesellschaftStaat/ doi:10.1186/gb-2013- Pulsed in Vivo Labeling von Kollateralgefäßen am Herzen und in der Peripherie. Gesundheit/Todesur 14-2-r16. Identifies a New Mem- sachen/Tabellen/Eck ber of the CCN Family Matthias Heil datenTU.html; /5/ Kubin, T., Pöling, J., in Regenerating Newt Ein guter Arbeitstag beginnt mit einer positiven jsession id= E346C Kostin, S., Gajawada, Hearts. J Proteome Nachricht. 090998E2 505C1 P., Hein, S., Rees, W., Res. 11, 4693 – 4704. A3B9DA5A87F D83. Wietelmann, A., Tana- Erfolge feiere ich entweder ruhig für mich oder cae2 ka, M., Lörchner, H., /7/ Looso, M., richtig laut. Schimanski, S., Szibor, Borchardt, T., Krüger, /2/ Laube et al. Journal Ich rege mich auf, wenn ich an die weitverbreite- M., Warnecke, H., and M. and Braun, T. (2010). te Forschungsfeindlichkeit und irrationale Angst of Cell Science 2006. Braun, T. (2011). Onco- Advanced identifica- vor neuen Technologien in Deutschland denke. 119, 4719 – 4729. doi: statin M is a major tion of proteins in un- 10.1242/jcs. mediator of cardiomyo- characterized proteo- Den Kindern rate ich, die Neugier und das Inter- cyte dedifferentiation mes by pulsed in vivo esse für Neues zu bewahren. /3/ Piatkowski et al. and remodeling. Cell SILAC. Mol. Cell. Prote- matthias.heil@mpi-bn.mpg.de Stem cells and devel- Stem Cell 9, 420 – 432. om. 9, 1157 – 1166. Forschung Frankfurt 1/2013 57
Sie können auch lesen