Trotz Knietotalprothese schmerzt das Knie - was nun?

 
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Trotz Knietotalprothese schmerzt das Knie – was nun?
Michael T. Hirschmann
Orthopädische Chirurgie und Traumatologie des Bewegungsapparates, Kantonsspital Baselland, Bruderholz

                                                                                 lichen oder postoperativ neu aufgetretenen Kniegelenks-
                                                                                 beschwerden durch degenerative Veränderungen des
Quintessenz
                                                                                 Hüftgelenks oder der Lendenwirbelsäule verursacht [1, 6].
P Bei ungefähr einem Drittel aller Patienten nach Knieprothesen-Opera-           Patienten, die sich in der Spezialsprechstunde «Die
tion finden sich persistierende oder wiederkehrende Schmerzen und/oder           schmerzhafte Knieprothese» vorstellen, benötigen auch
eine Unzufriedenheit.                                                            deshalb eine sehr ausgiebige, individuell zugeschnittene,
                                                                                 sowohl klinische als auch radiologische Diagnostik. Nur
P Klinisch zeigt sich ein sehr komplexes und individuell sehr unterschied-
liches Beschwerdebild. Die diagnostische Abklärung ist schwierig und             dann ist es möglich, die Ursache(n) der Beschwerden zu
sollte durch einen in der Knieprothetik spezialisierten Orthopäden erfolgen.     erkennen und eine optimale Therapie einzuleiten.

P Nur wenn die Ursache(n) der Beschwerden erkannt werden, besteht
Aussicht auf eine Besserung, unabhängig davon, ob konservativ oder               Anamnese
operativ therapiert wird.
                                                                                 Eine detaillierte Anamnese bildet neben der klinischen
                                                                                 Untersuchung den Grundpfeiler jeder diagnostischen
                     Die Implantation einer Knietotalprothese gilt allgemein     Abklärung [1]. Ziel der Anamnese ist es, sich einen Ein-
                     als sehr erfolgreiche Operation zur Behandlung einer        blick in den zeitlichen Verlauf der vier Hauptsymptome
                     fortgeschrittenen Arthrose des Kniegelenks [1]. Die         (Schmerz, Instabilität, Steifheit und Schwellung) zu ver-
                     meisten Patienten sind postoperativ mit dem Ergebnis        schaffen. Entscheidende Fragen und Punkte der Ana-
                     zufrieden und schmerzfrei [1–3]. Im Durchschnitt zeigen     mnese sind in Tabelle 1 p zusammengefasst.
                     diese eine gute Funktion für alltägliche und in vielen      Austritts-, Sprechstunden- oder Operationsberichte, die
                     Fällen auch sportliche Belastungen [1]. Allerdings exis-    Auskunft über die Voranamnese, vorherige Behandlung,
                     tiert eine nicht unerhebliche Anzahl von Patienten, die     Diagnosen und Operationen geben können, sollten in
                     nach einer Knietotalprothese (Knie-TP) nicht zufrieden      die Sprechstunde des Spezialisten mitgebracht werden.
                     sind. Diese 20–30% aller operierten Patienten klagen        Vor allem die Operationsberichte geben dem Spezialisten
                     typischerweise über persistierende oder wiederkehrende      Auskunft über den Prothesentyp, das Design und das
                     Schmerzen, ein Instabilitätsgefühl, eine Schwellneigung     zugrundeliegende mechanische Konzept der Kniepro-
                     oder ein in der Beweglichkeit eingeschränktes, steifes      these als auch dessen Verankerungsprinzip (zementiert
                     Kniegelenk [1, 4–6].                                        versus unzementiert).
                                                                                 Die initial gestellte Indikation zur Implantation einer
                                                                                 Knie-TP sollte in Frage gestellt werden, da es erwiesen
                     Ursachen                                                    ist, dass Patienten, die nur eine geringgradige Arthrose
                                                                                 oder Osteonekrose aufweisen, schlechtere Ergebnisse
                     Die Ursachen für die Beschwerden des Patienten nach         zeigen können. Könnte es sein, dass die nun beklagten
                     Knie-TP sind mannigfaltig, können einzeln oder in Kom-      Beschwerden schon vor der Knieprothesen-Operation so
                     bination verantwortlich sein. Generell lassen sich arti-    bestanden haben und eigentlich eine andere Ursache
                     kuläre von extraartikulären Ursachen abgrenzen [1]. Zu      oder ein anderes Gelenk dafür verantwortlich waren
                     den häufigsten artikulären Ursachen gehören eine Infek-     resp. sind?
                     tion, die Instabilität, die Prothesen-Fehlpositionierung,
                     die aseptische Lockerung (Abb. 1 x), eine Arthrofibrose
                     (Abb. 2 x), Probleme des Streckapparats und ein Im-         Klinische Diagnostik
Michael T.           pingement der umliegenden Weichteile [1]. Zu den extra-
Hirschmann           artikulären Ursachen zählen typischerweise vaskuläre        Die klinische Diagnostik ist der zweite Grundpfeiler der
                     (z.B. tiefe Beinvenenthrombose, arterielle Verschluss-      diagnostischen Abklärung [1]. Die in der Anamnese ge-
Der Autor hat        krankheit) oder neurologische Ursachen (z.B. Spinalka-      wonnenen Informationen und Verdachtsdiagnosen gilt es
keine finanzielle    nalstenose, Neurom des R. infrapatellaris des N. saphe-     nun einzugrenzen. Passt das klinische Bild zu der in der
Unterstützung und
keine Interessen-
                     nus, komplexes regionales Schmerzsyndrom) [1, 6]. Die       Anamnese gestellten Verdachtsdiagnose? Die klinische
konflikte im         jeweiligen Beschwerden können zudem durch psycho-           Untersuchung lässt sich in Inspektion, Palpation und
Zusammenhang         logische Faktoren wie Angst, Depression oder die Er-        klinische Tests unterteilen.
mit diesem Beitrag   wartungshaltung des Patienten beeinflusst oder sogar        Die erste Beurteilung des Kniegelenks erfolgt bereits,
deklariert.
                     verursacht sein [1]. Nicht selten werden die ursprüng-      während der Patient das Untersuchungszimmer betritt;

                                                                                              Schweiz Med Forum 2013;13(22):427–431   427
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Abbildung 1                                                                             Abbildung 2
Intraoperatives Bild eines Kniegelenks mit ausgeprägtem Metall- und Polyethylenabrieb   Erkennbares Streckdefizit eines Patienten mit Arthrofibrose
nach Implantation einer Teilprothese des Kniegelenks.                                   nach totalem Kniegelenksersatz rechts.

                                                                                        die betroffene Seite sollte jeweils mit der «normalen»,
                                                                                        unbetroffenen Seite verglichen werden. So werden hier
                                                                                        bereits ein ausgeprägtes O- oder X-Bein oder ein Schon-
 Tabelle 1                                                                              oder Enlastungshinken erkannt. Durch den Zehenspit-
 Entscheidende Fragen und Punkte der Anamnese.                                          zen- als auch Fersengang lassen sich eine Instabilität
 Schmerz            Charakter des Schmerzes (dumpf, stechend, ziehend, brennend)?       oder eine Überstreckbarkeit ausmachen.
                                                                                        Die Inspektion des Patienten beginnt im Stehen mit der
                    Intensität des Schmerzes?
                                                                                        Beurteilung der Narben sowie der Rötung, Schwellung
                    Dauer des Schmerzes (Dauerschmerz versus kommenden
                                                                                        und möglicher Verfärbungen am und um das Kniege-
                    und gehenden Schmerz)?
                                                                                        lenk. Es stellt sich hier die Frage nach dem verwendeten
                    Belastungsabhängiger Schmerz versus Ruheschmerz?
                                                                                        Zugang. Je nach Zugang sind unterschiedliche Kompli-
                    Ort und Ausstrahlung des Schmerzes?                                 kationen möglich (z.B. Irritation des R. infrapatellaris
                    Abschwächende, verstärkende und auslösende Faktoren?                des N. saphenus bei parapatellär medialem Zugang).
                    Zeitpunkt des ersten Auftretens der Beschwerden?                    Das Wissen um den verwendeten Zugang und die prä-
                    Welche Schmerzen bestanden vor der Knieprothese?
                                                                                        und postoperativ bestehende Beinachse kann einen Hin-
                                                                                        weis auf einen ausreichendes oder insuffizientes Lösen
                    Sind die aktuellen Schmerzen anders als vor der Operation?
                                                                                        der Weichteile geben.
                    Schmerzen beim Gehen auf ebener Fläche?                             Die Höhe und Zentrierung der Kniescheibe im Stehen
                    Schmerzen beim Treppensteigen?                                      deuten im Seitenvergleich auf eine mögliche Insuffizienz
                    Vollständige Medikamentenanamnese                                   des Streckapparats (Quadrizeps- und Patellarsehne)
 Schwellneigung     Handelt es sich um einen permanenten oder belastungs-               oder eine veränderte Führung der Kniescheibe hin
                    abhängigen Erguss?                                                  (Abb. 3 x).
                    Abschwächende, verstärkende und auslösende Faktoren?                Mit einer eingehenden und strukturierten Palpation,
                                                                                        mit der alle tastbaren anatomischen Landmarken er-
                    Zeitpunkt des ersten Auftretens der Beschwerden?
                                                                                        tastet werden, lässt sich eine lokale Überwärmung als
                    Schwellneigung vor der Knieprothesen-Operation?
                                                                                        Zeichen eines persistierenden Reizzustands oder einer
                    Hinweis auf rheumatologische Grunderkrankung?                       Infektion erkennen. Die Palpation wird statisch und wäh-
 Steifheit          Genaue Beschreibung des steifen Gefühls                             rend Flexions-Extensions-Bewegungen des Kniegelenks
                    Abschwächende, verstärkende und auslösende Faktoren?                durchgeführt, um auch dynamische Pathologien wie ein
                    Zeitpunkt des ersten Auftretens der Beschwerden?                    Tractus- oder Popliteus-Schnappen zu erkennen. Sie um-
                                                                                        fasst alle tastbaren knöchernen und ligamentären Land-
                    Wie war die Beweglichkeit vor der Knieprothese?
                                                                                        marken.
 Instabilität       Abschwächende, verstärkende und auslösende Faktoren?
                                                                                        Gefühlsstörungen sowie das Tinel-Zeichen mit Angabe
                    Bei welchen Belastungen und Bewegungen wird das Knie                von elektrisierenden, brennenden Schmerzen können
                    nicht als stabil empfunden?
                                                                                        auf neurologische Probleme hinweisen.
                    Verspüren Sie ein «Klacken» bei Belastung?                          Die Beweglichkeitsprüfung sollte immer aktiv und passiv
                    Instabil beim Gehen auf ebener Fläche?                              anhand der Neutral-Null-Methode dokumentiert werden.
                    Instabil beim Treppensteigen?                                       Gleichzeitig wird hier der Lauf der Patella und deren
                    War das Knie vor der Knieprothese stabil?                           Verschieblichkeit nach medial und lateral in unterschied-
                                                                                        lichen Beugegraden erfasst. Es lassen sich neben einer

                                                                                                       Schweiz Med Forum 2013;13(22):427–431          428
Trotz Knietotalprothese schmerzt das Knie - was nun?
praxis

                                                                                       einteilen [7]. Die Frühinfektion tritt innerhalb der ersten
                                                                                       drei Monate nach Implantation der Knieprothese auf und
                                                                                       ist im Allgemeinen durch die Primäroperation bedingt.
                                                                                       Die verspätete Infektion erfolgt zwischen drei Monaten
                                                                                       und zwei Jahren nach Knie-TP. In der Regel sind hierfür
                                                                                       weniger virulente Keime wie Propionibacterium acnes und
                                                                                       Staphylococcus epidermidis verantwortlich. Spätinfektio-
                                                                                       nen erfolgen hämatogen, später als 24 Monate nach Knie-
                                                                                       TP. Der häufigste Keim ist Staphylococcus aureus [8].
                                                                                       Am besten orientiert man sich bei der Diagnostik einer
                                                                                       Infektion an den aktuellen Richtlinien der American
                                                                                       Academy of Orthopaedic Surgeons (AAOS) [9–11]. Ge-
                                                                                       mäss dieser Richtlinien ist dann von einer periprotheti-
                                                                                       schen Infektion zu sprechen, wenn entweder eine Fistel
                                                                                       zum Gelenk vorliegt oder ein Keim eindeutig in zwei se-
                                                                                       paraten Gelenk-Biopsien oder -Punktaten nachgewiesen
                                                                                       wurde. Folgende Kriterien werden genannt:
                                                                                       1. Erhöhte Blutsenkung oder C-reaktives Protein (CRP
                                                                                           kann im Falle eines Low-grade-Infekts auch normal
                                                                                           sein!)
                                                                                       2. Erhöhte Zahl der synovialen weissen Blutkörperchen
                                                                                       3. Erhöhter Anteil an Neutrophilen in Synovialflüssigkeit
                                                                                       4. Eiter im Gelenk
                                                                                       5. Identifikation von Keimen in einer Kultur aus Punktat
                                                                                           oder Biopsie.

                                                                                       Wenn BSG und/oder CRP positiv sind, sollte im Antibio-
                                                                                       tika-freien Fenster (mindestens 14 Tage) entweder unter
                                                                                       sterilen Kautelen eine Punktion oder eine arthroskopi-
                                                                                       sche Biopsieentnahme erfolgen. Es sollten aus unserer
                                                                                       Sicht mindestens drei Biopsien zur bakteriologischen
                                                                                       und eine zur histologischen Aufarbeitung entnommen
Abbildung 3
                                                                                       werden. Es ist zu betonen, dass oberflächliche Abstriche
Persistierende Schmerzen im Knie rechts bei tiefstehender Kniescheibe (Patella baja)
mit patellärer Überlastung bei Knietotalprothese rechts.                               in der Diagnostik keine Rolle mehr spielen sollten [12].

                    femoralen oder tibialen Fehlrotation eine Fehlpositio-
                    nierung der Patellakomponente oder auch ein «Overstuf-             Radiologische Diagnostik
                    fing» des patellofemoralen Gelenks vermuten.
                    Die Stabilitätsbeurteilung unter Varus-Valgus-Stress er-           Allein aufgrund der Anamnese und klinischen Untersu-
                    folgt in Strecknähe sowie in 30°- und 90°-Beugung. Mit             chung ist es meist schwierig, klar zwischen den verschie-
                    viel klinischer Erfahrung lässt sich eine Fehlbalancierung         denen Ursachen zu unterschieden, die eine Revision der
                    von Flexions- und Extensionsspalt ausmachen, der beim              Knie-TP notwendig machen oder konservativ therapiert
                    Patienten zu einer Instabilität vor allem in Beugung führt.        werden können [1, 2]. Die radiologische Diagnostik kann
                    Ein instabiles Gefühl beim Treppensteigen kann auf eine            hier, wenn richtig durchgeführt, entscheidende zusätz-
                    Instabilität in anterior-posteriorer Richtung hinweisen.           liche Informationen liefern.
                    Abschliessend bleibt festzuhalten, dass immer die an-
                    grenzenden Gelenke (Hüftgelenk, Sprunggelenk und lum-              Röntgen
                    bale Wirbelsäule) mit zu untersuchen sind, um nicht eine           Konventionelle Projektionsradiographien gelten als pri-
                    von einem angrenzenden Gelenk ausgehende Patho-                    märe Bildgebung der Wahl [1, 2, 13–15]. Diese bestehen
                    logie zu verpassen.                                                typischerweise aus Röntgenaufnahmen in Belastung in
                    Eine diagnostische Infiltration der lumbalen Wirbelsäule,          anterior-posteriorer und lateraler Richtung sowie einer
                    des Knie- oder Hüftgelenks kann hier ebenfalls entschei-           Patella-Aufnahme. Wenn verfügbar, sollten vom Patien-
                    dende Hinweise liefern und sollte grosszügig durch-                ten zum Vergleich Bilder mitgebracht werden, die sowohl
                    geführt werden.                                                    vor als auch nach der Knie-TP angefertigt wurden. Nur
                                                                                       dann ist es möglich, die Indikation für die Knie-TP und
                                                                                       den postoperativen Verlauf zu beurteilen.
                    Diagnostik bei Verdacht auf Infektion                              Im konventionellen Standard-Röntgen lässt sich nur eine
                                                                                       grobe Fehlpositionierung der Prothesenkomponenten
                    Laboruntersuchungen ergänzen die klinische Diagnostik              erkennen, vor allem in frontaler (Varus-Valgus-) als auch
                    vor allem bei Verdacht auf eine Infektion. Die peripro-            sagittaler (Flexions-Extensions-)Ausrichtung. Eine Fehl-
                    thetische Infektion lässt sich abhängig vom Zeitpunkt              rotation ist auf Standard-Röntgenbildern nicht verläss-
                    des Auftretens in früh, verspätetet (delayed) und spät             lich auszumachen [13–15]. Auf der lateralen Knieauf-

                                                                                                    Schweiz Med Forum 2013;13(22):427–431    429
Trotz Knietotalprothese schmerzt das Knie - was nun?
praxis

Abbildung 4
Konventionelle Röntgenbilder (anterior-posterior und seitlich) eines Patienten mit instabiler
Knietotalprothese und subluxierten Polyethylen-Inlays.

                     nahme lassen sich zusammen mit der tangentialen
                     Patella-Aufnahme die Position und Höhe der Patella be-
                     urteilen. Eine Ganzbeinaufnahme gibt zusätzliche Infor-                    Abbildung 5
                     mationen über die mechanische und anatomische Bein-                        99mTc-HDP-SPECT/CT einer Patientin mit tibialer Lockerung nach
                                                                                                Knietotalprothese rechts, erkennbar am vermehrten Tracer-Uptake
                     achse sowie die Gelenklinie [13–15].                                       unterhalb des lateralen Tibiaplateaus bei medial verlaufender
                     Bei aseptischen oder auch septischen Lockerungen las-                      Ganzbeinachse.
                     sen sich um die Prothesen sichtbare Osteolysen >2 mm
                     und/oder verstärkter Abrieb des Polyethlyens erkennen.                     Magnetresonanztomographie (MRI) und Ultraschall
                     Grösstes Problem ist jedoch die starke Abhängigkeit                        Aktuell spielt das MRI aufgrund der Anfälligkeit für Me-
                     von der Projektion des Röntgens. Für die weniger offen-                    tallartefakte eine untergeordnete Rolle. In seltenen Fäl-
                     sichtlichen Frühformen der Prothesenlockerung oder                         len kann es jedoch hilfreich sein zur Beurteilung von
                     auch geringere Fehlstellungen der Prothesenkomponen-                       Bändern und anderen Weichteilstrukturen. Ultraschall
                     ten sind Röntgenbilder nur wenig sensitiv und klinisch                     kann ebenfalls bei Verdacht auf Weichteilschäden hilf-
                     kaum zu gebrauchen [1, 2].                                                 reich sein.
                     Stress-Röntgen-Aufnahmen bzw. die fluoroskopische
                     Untersuchung des Kniegelenks ergänzen die konventio-                       Nuklearmedizin (Szintigraphie, SPECT,
                     nell-radiologische Untersuchung bei Verdacht auf In-                       SPECT/CT, PET/CT)
                     stabilität (Abb. 4 x).                                                     Die Szintigraphie und auch die 3-D-Szintigraphie (SPECT)
                                                                                                waren zwar aufgrund ihrer hohen Sensitivität über
                     Computertomographie (CT)                                                   viele Jahrzehnte ein dauerhafter Bestandteil der dia-
                     Die CT als 3-D-Bildgebung ist den konventionellen Rönt-                    gnostischen Abklärung bei Patienten mit Schmerzen
                     genbildern in ihrer diagnostischen Güte klar überlegen                     nach Knie-TP, allerdings zeigten diese Methoden nur
                     [14]. Mit Hilfe spezieller Bildgebungsprotokolle ist es                    eine geringe Spezifität [13, 15]. Grösstes Problem war
                     möglich, die Position der Prothesenkomponenten in al-                      die exakte anatomische Lokalisation der Areale mit er-
                     len sechs Freiheitsgraden verlässlich auszumessen                          höhtem Tracer-Uptake. Mit der Einführung von SPECT/
                     (Abb. 5 x). Auch die Identifizierung einer möglichen                       CT-Hybridgeräten eröffnen sich der radiologisch-nukle-
                     Prothesen-Über- oder -Untergrösse ist möglich. Eine me-                    armedizinischen Diagnostik von Patienten mit Schmer-
                     dial überhängende Komponente kann zur Irritation des                       zen nach Knie-TP neue Dimensionen [13, 15]. Es ist nun
                     medialen Seitenbands, eine lateral überhängende Kom-                       mit einer 3-D-Bildgebung möglich, die Prothesenposition
                     ponente zu einem Popliteus- oder Bizepssehnen-Im-                          im Verhältnis zu standardisierten anatomischen Land-
                     pingement führen. Auch das Ausmass und die Grösse                          marken verlässlich auszumessen, die mechanische Achse
                     von periprothetischen Osteolysen lassen sich sicher er-                    und die Struktur des Knochens zu beurteilen und dies
                     kennen. Eingeschränkt bleibt allerdings trotz verbes-                      mit den Stoffwechsel-Informationen, die Auskunft über
                     serter Metallartefakt-Protokolle die Beurteilbarkeit des                   das «Remodelling» nach Knie-TP geben, zu kombinieren
                     Prothesen-Knochen-Interfaces [14].                                         [13, 15].

                                                                                                              Schweiz Med Forum 2013;13(22):427–431          430
Trotz Knietotalprothese schmerzt das Knie - was nun?
praxis

                                                                      Zusammenarbeit ermöglicht es vor der Therapie, ob
                                                                      konservativ oder operativ, die Beschwerdenursache(n)
                                                                      des Patienten zu erkennen.

                                                                      Therapieentscheid

                                                                      Die Therapie kann nur so gut wie die vorher durchge-
                                                                      führte Diagnostik sein. Therapiert man die falsche Ur-
                                                                      sache, führt dies zwangsläufig zu einer Persistenz, im
                                                                      schlimmsten Fall sogar zu einer Zunahme der Beschwer-
                                                                      den. Als Patient sollte man vor einer etwaigen Revisions-
                                                                      Operation immer nach der ausgemachten Ursache der
                                                                      Beschwerden fragen. Auch die Chance auf eine Besse-
                                                                      rung der Beschwerden gilt es vor jeder Revisionsopera-
                                                                      tion zu thematisieren. Die Therapie sollte schliesslich
                                                                      individuell auf jeden einzelnen Patienten zugeschnitten
                                                                      werden.
                                                                      Dem behandelnden Hausarzt kommt eine Schlüsselrolle
                                                                      in der Erkennung von Patienten mit Problemen nach
                                                                      Knieprothese zu. Bei ungewöhnlich protrahierten Be-
                                                                      schwerden (>1 Jahr nach Knie-TP) sollte dieser nicht
                                                                      zögern, eine Zweitmeinung bei einem Orthopäden ein-
                                                                      zuholen, der auf schmerzhafte Knie-TP spezialisiert ist.
                                                                      Bei Patienten mit typischen Infektzeichen sollte die Vor-
                                                                      stellung schon vorher erfolgen.

Abbildung 6                                                           Ausblick
Verlässliche Bestimmung der Position der Knietotalprothese im
3-D-CT im Vergleich zur nicht-operierten Gegenseite mit Hilfe einer
spezialisierten Analyse-Software (www.orthoimagingsolutions.com).
                                                                      Die diagnostische Abklärung von Patienten mit Proble-
                                                                      men nach Knie-TP ist schwierig, weshalb die Bildgebung
                                                                      in den vergangenen Jahren zunehmend in den Fokus
SPECT/CT hat seinen hohen klinischen Nutzen für das                   gerückt ist. Neben der weiteren Verbesserung vorhan-
Erkennnen von Prothesen-Fehlpositionierungen, Locke-                  dener Bildgebungsverfahren (v.a. MRI und CT) wird mit
rungen (Abb. 6 x), patellofemoralen Problemen, Weich-                 Nachdruck an der Entwicklung von Metall-Artefakt-Re-
teil-Impingements oder Infektionen in den letzten Jahren              duktionsprotokollen für MRI und CT gearbeitet. Diese
in einer Vielzahl von Studien bewiesen [13, 15]. Analy-               versprechen in Zukunft eine bessere Beurteilbarkeit des
siert werden die metabolische Aktivität in den jeweiligen             Knochen-Prothesen-Interfaces, also des Ortes, an dem
Knochenarealen um die Knie-TP. Zudem sollte die Pro-                  sich eine Prothese lockert. Standardisierte Bildgebungs-
thesenposition in allen sechs Freiheitsgraden im 3-D-CT               Protokolle zusammen mit einer spezifischen Analyse-
mit Hilfe einer Spezialsoftware (Abb. 5) mit einer Ge-                Software erlauben es schon heute, die Position der Pro-
nauigkeit von 81° ausgemessen werden.                                 thesenkomponenten und die Beinachsen verlässlich
Entscheidend für eine gute Diagnostik ist allerdings auch             und exakt auszumessen; solche Protokolle werden zu-
das Wissen um das verwendete Implantat, die Fixations-                nehmend in die klinische Routine eingeführt werden.
methode (zementiert versus unzementiert, langer Schaft                SPECT/CT als Hybridbildgebung aus CT und SPECT hat
versus kurzen Schaft) und das zugrundeliegende bio-                   das Potential, die Diagnostik von (Früh-)Lockerungen
mechanische Prothesen-Konzept [13, 15].                               neu zu definieren und eine frühere, für den Patienten
Der optimale Zeitpunkt für die SPECT/CT-Bildgebung                    weniger invasive Behandlung zu ermöglichen. Grosse
wird weiterhin kontrovers diskutiert. In der Ära der                  Revisionsoperationen aufgrund von Lockerungen müss-
Szintigraphie galt das Dogma, dass vor zwölf Monaten                  ten dann wesentlich seltener durchgeführt werden.
nach Knie-TP eine Szintigraphie aufgrund des Remode-
lings nicht sinnvoll ist. Für die SPECT/CT gilt dies nicht.           Korrespondenz:
                                                                      PD Dr. med. Michael T. Hirschmann
Aus unserer Erfahrung und andauernder Forschungs-
                                                                      Orthopädische Chirurgie und Traumatologie
tätigkeit lässt sich sagen, dass bereits in den ersten sechs          des Bewegungsapparates
Monaten in einer hohen Zahl der Fälle klare diagnosti-                Kantonsspital Baselland, Bruderholz
sche Aussagen in Bezug auf Infektion, Lockerung und                   CH-4101 Bruderholz
Fehlpositionierung gemacht werden können.                             michael.hirschmann[at]ksbh.ch
Die Beurteilung der SPECT/CT-Bilder erfolgt wegen de-                 michael.hirschmann[at]unibas.ch
ren Komplexität gemeinsam durch einen ausgewiese-
                                                                      Literatur
nen Radiologen/Nuklearmediziner und einen speziali-                   Die vollständige nummerierte Literaturliste finden Sie unter
sierten Orthopäden. Nur diese enge interdisziplinäre                  www.medicalforum.ch.

                                                                                     Schweiz Med Forum 2013;13(22):427–431           431
Trotz Knietotalprothese schmerzt das Knie - was nun?
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