UDZ1/2018 UNTERNEHMEN DER ZUKUNFT - FORSCHUNG
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UdZ 1/2018 Forschung Unternehmen der Zukunft Zeitschrift für Betriebsorganisation und Unternehmensentwicklung ISSN 1439-2585
FIR-Forschungsprojekte Projekt: AM4Industry Ein Kosten-Nutzen-Modell für die Bewertung additiver Fertigungsverfahren Ein strukturiertes Vorgehen erleichtert den Einstieg in die additive Fertigung und zeigt Potenziale für das Unternehmen und den Kundennutzen auf Den additiven Fertigungsverfahren wird großes Potenzial zugesprochen, die gesamte Wertschöpfungskette zu verändern. Viele Unternehmen stehen nun vor der Herausforderung, diese vielversprechende Technologie bewerten und eigene Strategien entwickeln zu müssen. Dazu stehen ihnen lediglich einzelne Erfolgsbeispiele und keine allgemeine Methodik zur Verfügung. Zur Unterstützung der Unternehmen bei dieser Bewertung wird am FIR an der RWTH Aachen im Projekt AM4Industry ein Kosten- Nutzen-Modell entwickelt, mit dem Handlungsempfehlungen aus den Erfolgsbeispielen abgeleitet werden können. Zur Gestaltung eines solchen Modells werden sowohl die Lebenszykluskosten analysiert als auch die Zusammenhänge und Wechselwirkungen der potenziellen Nutzendimensionen strukturiert. Die Strukturierung der Nutzendimensionen erleichtert eine quantifizierte Bewertung, die in Kombination mit einer hohen Kostentransparenz den Einsatz der additiven Fertigung häufiger rechtfertigt. Gefördert wird das Projekt durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestags. D ie im Volksmund als „3-D-Druck“ bekannte Technologie wird schon lange nicht mehr nur von Heimwerkern und E s existieren der zeit nur wenige Kostenmodelle für die additive Fertigung und diese fokussieren in der neues Produkt bzw. Geschäftsmodell entstehen. Inter ne Hohlräume z. B. könn ten ged r uck t werden, die das Bastlern benutzt, sondern mittlerweile in Regel lediglich die Herstellungskosten. Gewicht bei gleicher Steif igkeit re - der Industrie als Produktionstechnologie Lindemann et al. stellten diesen duzieren oder Kanäle für zusätzliche ernstgenommen. Zum Beispiel wurden Mangel bereits fest und empfahlen die Features bereitstellen, wie z. B. für im Airbus A35 XWB nach Angaben des Betrachtung der Lebenszykluskosten eine innovative Schraubensicherung, Unter nehmens Stratasys über 1.000 für eine vollständige Bewer tung [4]. eine Sensor in teg r at ion ode r einen additiv gefer tigte Bauteile montier t Für eine umfassende Kostenbewertung n i c h t ko p i e r b a r e n P l a g i a t s s c h u t z . [1]. Auch in der Automobilbranche wird müssen also die bestehenden Modelle S e l b s t v e r s t ä n d l i c h s i n d d i e H e r- die Technologie ver wendet, wie zum um die restlichen Komponenten der stellungskosten einer solchen Spezial- Beispiel zur Herstellung von Wasser- Lebenszykluskosten ergänzt werden. schr aube immer noch sehr hoch im p u m p e n r ä d e r n d e r Mo to r sp o r t- A u ß e r d e m w i r d d e r Fe h ler bei der Vergleich zur Standardschr aube. Es Kleinser ien bei BMW [2]. A llerdings Kostenbetrachtung gemacht, dass zu- wurden jedoch ver besser te mecha - betrachten viele produzierende Unter- sätzliche Freiheitsgrade der additiven nische Eigenschaf ten sowie zusätz- n e h m e n d i e A n we n d u n g d e r a d d i - Fertigung vernachlässigt werden und liche Funktionen realisiert, welche die tiven Fertigung als unrentabel, da die somit zusätzliche Kundennutzen nicht re- L e b e nsz y k luskos te n des ges a m te n Herstellungskosten nicht unmittelbar alisiert werden [2]. Ein Re-Design des ur- Bauteils reduzieren oder einen außeror- mit konventionellen Fertigungsverfahren sprünglichen Produkts kann die Nutzung dentlichen nichtmonetären Mehrwert wie z. B. dem Spr itzgießen, Drehen der Potenziale der Technologie erst schaffen. Aber wie schafft man es nun, oder Fräsen konkurrieren können [3]. ermöglichen [5]. So wird beispielsweise diese zwei völlig verschiedenen Produkte Im For schungsprojek t A M4Industr y die Herstellung einer Standardschraube miteinander zu vergleichen? zeigen wir, dass durch die alleinige mittels additiver Fertigung vermutlich Betrachtung der Herstellkosten viel nie günstiger sein als mit herkömm- Das ent wickelte Kosten -Nutzen - Potenzial vernachlässigt wird und für lichen Fertigungsverfahren. Wenn nun Modell beruht auf einem dreiteiligen viele Unternehmen eine detailliertere aber die hohe Gestaltungsfreiheit der Lösungsansatz (s. Bild 1, S. 35): Betrachtung der Kosten und Nutzen additiven Fertigung genutzt wird, um die • Betrachtung der gesamten lohnenswert ist. Schraube zu verbessern, kann ein ganz Lebenszykluskosten 24 UdZ – Unternehmen der Zukunft 1/2018
FIR-Forschungsprojekte Bild 1: Lösungsansatz für das Kosten-Nutzen-Modell der additiven Fertigung • Berücksichtigung der Kosten und kompensiert werden, falls man die kumu- P ro du k ten t s teh u ng sp rozess es u n d Einsparungen durch ein Re-Design lierten Lebenszykluskosten betrachtet. dem Grad der Anpassung können er- • Quantifizierung des Zusatznutzens Zur Vereinfachung dieser Kostenanalyse hebliche Änderungskosten entstehen. anhand von originären stellen wir häufig verwendete Formeln Gerade dadurch, dass häufig nur kleine Nutzendimensionen und Daten der additiven Fertigung in Stückzahlen bei der additiven Fertigung einem Softwaretool zusammen. Dabei in Erwägung gezogen werden, fallen die Das vorherige Schraubenbeispiel hat wird auch die mögliche Berücksichtigung Änderungskosten stärker ins Gewicht bereit s ver anschaulicht, dass hohe eines Re-Designs mit aufgenommen. und sind nicht zu ver nachlässigen. Herstellungskosten unter Umständen Je nach aktuellem For tschr itt eines Die Bewer tung der nichtmonetären Bild 2: Strukturierung der potenziellen Mehrwerte durch die additive Fertigung UdZ – Unternehmen der Zukunft 1/2018 25
FIR-Forschungsprojekte Bild 3: Verbesserte Produktindividualisierung durch additive Fertigung im Detail Nut zenwer te beinhaltet die g rößte individueller Produkte erst dadurch weiter ausdetaillier t, indem logische P roblematik des gesamten Kosten - begünstigt, dass ein teures Werkzeug ob- Konsequenzen und Kennzahlen von Nutzen-Modells, da jene von vielen äu- solet wird und somit kleinere Losgrößen den Alleinstellungsmerkmalen abgelei- ßeren Einflüssen abhängt [2]. wir tschaf tlicher hergestellt werden tet werden. Durch diese Strukturierung können. Durch diese Abhängigkeiten und werden sämtliche Potenziale durch den Nutzenaspekte bislang nur Wechselwirkungen ist es nicht sinnvoll, Anwender selbst aufgedeckt. Eine spä- unzureichend berücksichtigt eine Nutzenbewer tung anhand einer tere Nutzwertanalyse wird so nicht nur solchen Auflistung durchzuführen. vereinfacht, sondern es werden auch Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf Inspirationen für zahlreiche Produkt- und der Bewertung des Nutzens der addi- Strukturierte Nutzenanalyse als Prozessverbesserungen geliefert. Dies tiven Fer tigung. In der Literatur be- Enabler für den 3D-Druck ermöglicht den Unternehmen, die beste- finden sich viele qualitative Aussagen henden Erfolgsbeispiele zu verstehen und über die Nutzenpotenziale der addi- Als Lösungsansatz zur Strukturierung Maßnahmen für die eigene Produktion tiven Fertigung. Außerdem wurden im der Meh r wer te w u rden s äm t- abzuleiten. Rahmen von Fallstudien jeweils einzelne liche Vorteile und Potenziale aus der Erfolgsbeispiele realisiert und bewer- Literatur zunächst unterschieden in All- Beispielhaft sind die Wirkungsketten für tet. Es mangelt jedoch an einer klaren einstellungsmerkmale und resultierende die verbesserte Produktindividualisierung Struktur, um diese im Einzelnen bewer- Mehrwerte. Weiter wurde unterschieden, durch die additive Fertigung dargestellt ten zu können. Betrachten Sie dazu ein- ob der Mehrwert für das Produkt bzw. den (s. Bild 3). Das Attribut der werkzeuglosen mal das folgende Negativbeispiel einer Kunden oder für das Unternehmen entsteht Fertigung hat zunächst zur Konsequenz, Auflistung von Mehrwerten der additiven (s. Bild 2, S. 35). Mit Bezug zum vorherigen dass kleine Losgrößen wirtschaftlich ge- Fertigung: keine Werkzeuge notwendig, Beispiel ist also die die Werkzeuglosigkeit fertigt werden können. Aus der direkten hohe Flexibilität für Designänderungen, bz w. e i n e Ko s te n e f f izi e nz k l e i n e r Fertigung einer CAD-Datei folgt hingegen Möglichkeit zur wirtschaftlichen Pro- Losgrößen (werkzeuglose Fer tigung eine Möglichkeit, Produkte schnell anpassen duktion kleiner Losgrößen sowie die & Effizienz kleiner Losgrößen) als ein zu können. Erst aus der Kombination dieser Möglichkeit, kundenindividuelle Pro- Alleinstellungsmerkmal der additiven beiden Konsequenzen geht hervor, dass dukte zu fertigen [6]. Die Nennung aller Fertigung anzusehen, welches das Anbieten die Produktindividualisierung gesteigert Merkmale ist zwar gerechtfertigt, jedoch kundenindividueller Produkte erleichtert werden kann, ohne dass ein wesentlicher bedingen diese sich gegenseitig. So wird (verbesserte Produktindividualisierung). Mehraufwand entsteht. Die gesteigerte beispielsweise die Herstellung kunden- Die resultierenden Mehrwerte werden Produktindividualisierung verbessert den 26 UdZ – Unternehmen der Zukunft 1/2018
FIR-Forschungsprojekte wahrgenommenen Kundenwer t oder Literatur ermöglicht den Eintritt in neue Märkte. Diese Konsequenzen können letztlich [1] Simmons, Dan: Airbus had 1,000 parts 3D printed to meet deadline. BBC News on- durch eine erhöhte Zahlungsbereitschaft line, 06.05.2015. http://www.bbc.com/news/technology-32597809 (zuletzt geprüft: bzw. durch Opportunitätskosten quan- 08.05.2018) tifizier t werden. Außerdem sind in [2] Bauer, D.; Borchers, K.; Burker t, T. et al.: Handlungsfelder Additive dem Schaubild weitere Einflüsse Fertigungsverfahren. April 2016. Verein Deutscher Ingenieure, Düsseldorf 2016. durch das Attribut der Geometriefrei- https://www.vdi.de/fileadmin/vdi_de/redakteur_dateien/gpl_dateien/6242_PUB_ heit sowie die Wechselwirkungen zu den GPL_Handlungsfelder_-_Additive_Fertigungsverfahren_Internet.pdf (zuletzt Toplevel-Mehrwerten „Ästhetik“ und geprüft: 08.05.2018) „Bessere Produktperformance“ (s. Bild 2, [3] Wohlers Associates Inc.: Wohlers Report 2017. 3D printing and additive manufactu- S.35) zu sehen. ring state of the industry: annual worldwide progress report. Wohlers Associates, Fort Collins (CO) 2017. Durch eine abschließende Verknüpfung [4] Lindemann, C.; Jahnke, U.; Moi, M.; Koch, R.: Analyzing Product Lifecycle Costs for sowohl der Lebenszykluskosten und des a Better Understanding of Cost Drivers in Additive Manufacturing. In: Proceedings Re-Designs als auch der potenziellen of the Solid Freeform Fabrication Symposium 22 (2012) 1, S. 177 – 188. https://pdfs. Mehrwerte werden wir eine umfangreiche semanticscholar.org/e2ba/af5b605f631bcc683ff36d38867ea2fc5ea0.pdf (zuletzt Entscheidungshilfe zur Implementierung geprüft: 08.05.2018) der additiven Fertigung anhand aktueller [5] Atzeni, E.; Iuliano, L.; Minetola, P.; Salmi, A.: Redesign and cost estimation of rapid Daten anbieten. Damit soll vermieden manufactured plastic parts. In: Rapid Prototyping Journal 16 (2010) 5, S. 308 – 317. werden, dass unbeachtete Potenziale [6] Zanardini, M.; Bacchetti, A.; Ashour, M.; Zanoni, S.: [Conference Paper]Benefits vernachlässigt werden. Angesichts der and costs of additive manufacturing applications: an holistic evaluation guide starken Forschungsaktivitäten, z. B. 2015. Conference: Proceedings of 20th Summer School "Francesco Turco". zur Verbesserung der Aufbaurate, der https://www.researchgate.net/publication/306100171_Benefits_and_Costs_of_ Prozessstabilität oder der Integration in exi- Additive_Manufacturing_Applications_An_Evaluation_Guideline (zuletzt geprüft: stierende Wertschöpfungsstrukturen, wird 08.05.2018) die Durchdringung der additiven Fertigung [7] Gausemeier, J.; Echterhoff, N.; Kokoschka, M.; Wall, M.: Thinking ahead the Future stetig vorangetrieben [7]. Aus diesem Grund of Additive Manufacturing – Future Applications. Direct Manufacturing Research empfehlen wir Ihnen, sich schon heute inten- Center (DMRC) an der Universität von Paderborn, Paderborn 2014. https://dmrc.uni- siv mit der Technologie zu beschäftigen und paderborn.de/fileadmin/dmrc/06_Downloads/01_Studies/DMRC_Study_Part_2. sich eine Methodik zur Bewertung dieser pdf (zuletzt geprüft: 08.05.2018) Technologie anzueignen. Ansprechpartner: Tobias Schröer, M.Sc. Projekttitel: AM4Industry Wissenschaftlicher Mitarbeiter FIR, Bereich Produktionsmanagement Projekt-/Forschungsträger: BMWi; AiF Tel.: +49 241 47705-407 Förderkennzeichen: 179 EN E-Mail: Tobias.Schroeer@fir.rwth-aachen.de Projektpartner: ecoplus. Niederösterreichs Wirtschafts- agentur GmbH; ETHEN ROHRE GmbH; Fraunhofer-Einrichtung für Gießerei-, Composite- und Verarbeitungstechnik IGCV; Sören Münker Nordischer Maschinenbau Rud. Baader GmbH + Co. KG; TOP Studentische Hilfskraft Mehrwert-Logistik GmbH & Co. KG FIR, Bereich Produktionsmanagement Internet: am4industry.fir.de UdZ – Unternehmen der Zukunft 1/2018 27
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