UMSETZUNG DER ZIELE FÜR NACHHALTIGE ENTWICKLUNG (SDG) DURCH DIE AGRARPOLITIK DER EU UND DEUTSCHLANDS - Widersprüche und notwendige Reformen ...
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UMSETZUNG DER ZIELE FÜR NACHHALTIGE ENTWICKLUNG (SDG) DURCH DIE AGRARPOLITIK DER EU UND DEUTSCHLANDS Widersprüche und notwendige Reformen Kurzstudie Berit Thomsen, Cathrin Klenck, Marie-Luise Abshagen und Jürgen Maier
Forum Umwelt und Entwicklung Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der Marienstraße 19–20 UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet D-10117 BerlinTelefon: +49 (0) und koordiniert die Aktivitäten deutscher NRO in inter- 30 678 1775 93 nationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. E-Mail: info@forumue.de Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachver- www.forumue.de band der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände e. V. (DNR). Impressum Herausgegeben von: Forum Umwelt und Entwicklung Maria Heubuch MdEP Marienstraße 19 – 20 Die Grünen / EFA D -10117 Berlin Europäisches Parlament Telefon: +49 (0) 30 678 1775 93 Rue Wiertz, ASP 4F366 E-Mail: info@forumue.de B -1047 Brüssel www.forumue.de AutorInnen: Berit Thomsen, Cathrin Klenck, Marie-Luise Abshagen, Jürgen Maier Layout: STUDIO114.de | Michael Chudoba Titelbild: Renaud Camus/flickr.com (cc BY 2.0) Berlin, Juli 2016
UMSETZUNG DER ZIELE FÜR NACHHALTIGE ENTWICKLUNG (SDG) DURCH DIE AGRARPOLITIK DER EU UND DEUTSCHLANDS Widersprüche und notwendige Reformen Kurzstudie Berit Thomsen, Cathrin Klenck, Marie-Luise Abshagen und Jürgen Maier
Inhalt 1 Zusammenfassung 3 2 Die Ziele für nachhaltige Entwicklung 4 2a Der globale Zielkatalog 4 2b Rolle der EU und Deutschlands im SDG-Verhandlungs- und Umsetzungsprozess 5 3 Landwirtschaft und Ernährung in den SDG 8 3a Überblick über relevante SDG 8 3b Agrarpolitik innerhalb der EU: Fakten und 8 Widersprüche zu den SDG 3c Auswirkungen der EU-Agrarpolitik auf 14 Entwicklungsländer: Fakten und Widersprüche zu den SDG 4 Handlungsempfehlungen 19 5 Anhang: Tabelle Landwirtschaft und 23 Ernährung in den SDG
1 Zusammenfassung Die 2030-Agenda für nachhaltige Entwicklung mit einen Einblick in bestehende Probleme und politi- ihren 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung (Sus- sche Rahmenbedingungen. Für jedes Beispiel wird tainable Development Goals, SDG) wurde im Jahr beschrieben, in welchem Bezug bzw. Widerspruch 2015 von den Vereinten Nationen (VN) verab- die jeweiligen Politiken zu den SDG stehen. Im schiedet. Sie soll bis 2030 von allen Staaten welt- abschließenden Kapitel gibt die Kurzstudie Hand- weit umgesetzt werden. Das Ambitionsniveau, der lungsempfehlungen und formuliert Forderungen an Umfang und die Konzentration der neuen Agenda die Politik. Der Anhang gibt einen Überblick über auf alle drei Dimensionen der Nachhaltigkeit (So- die für den Bereich Landwirtschaft und Ernährung ziales, Ökologie und Ökonomie) gehen weit über relevanten SDG und Unterziele. die heutige Politik hinaus – um sie umzusetzen, Eine Gesamtschau der für Landwirtschaft und kann es kein „weiter so“ geben. Auch nicht in Ernährung relevanten SDG und Unterziele zeigt, Deutschland und der EU. dass sie ein Agrarmodell fordern, das Nachhaltig- Die SDG sind sicherlich kein Zielkatalog ohne keit, globale Gerechtigkeit und Zugang zu nach- Widersprüche, was als im Konsens verabschiede- haltigen Ernährungssystemen für alle Menschen tes VN-Dokument wohl auch nicht anders möglich in den Mittelpunkt stellt. Dies kann nur durch eine ist. Dennoch: Für einen Großteil der Zivilgesell- Neuausrichtung der deutschen und europäischen schaft ist die 2030-Agenda eine politische Ab- Politik erreicht werden. Notwendig sind Reformen sichtserklärung, deren Umsetzung nun eingefor- u. a. im Bereich Agrar-, Handels- und Entwicklungs- dert werden muss. Der Weg von den Zielen zur politik. Insbesondere der Trend zum Agribusiness Verwirklichung ist voller Herausforderungen und zulasten der bäuerlichen Landwirtschaft und der kann nicht ohne eine deutliche Veränderung ak- Umwelt muss gestoppt und umgekehrt werden. tueller Politiken geschehen. Die Beispiele Milch- und Fleischproduktion veran- Doch was soll durch die SDG konkret erreicht schaulichen die Folgen einer von Industrialisierung werden? Worin liegen die Schwierigkeiten? Wel- und Intensivierung geleiteten Politik für Bäuerinnen che Ansätze zur Verknüpfung der drei Nachhaltig- und Bauern in der EU ebenso wie in Entwicklungs- keitsdimensionen bieten sie? Wie können alle Men- ländern. Die Diskussion um das geplante USA- schen weltweit davon profitieren? Und wo müssen EU-Freihandelsabkommen TTIP verdeutlicht, wie Staaten in die Pflicht genommen werden? Diese intensiv diese Politik insbesondere von Seiten der Fragen sollen in dieser Kurzstudie exemplarisch am EU verfolgt wird. Ein Blick in ausgewählte Entwick- Beispiel Ernährung und Landwirtschaft beleuchtet lungsinitiativen zeigt, dass die Zusammenarbeit werden: Die Kurzstudie gibt zunächst eine Ein- mit der Privatwirtschaft von staatlicher Seite zwar führung in die Entstehung der 2030-Agenda. Der zunehmend forciert, aber nicht unbedingt im In- Hauptteil fokussiert auf verschiedene Aspekte der teresse der Zielgruppen in Entwicklungsländern deutschen und europäischen Agrarpolitik und gibt ausgestaltet wird. Die Umsetzung der Sustainable Development Goals in der EU und Deutschland 3
2 Die Ziele für nachhaltige Entwicklung 2a Der globale Zielkatalog Im September 2015 verabschiedete die Staa- die erwartungsgemäß im Jahr 2013 von der VN- tengemeinschaft bei der Generalversammlung Generalversammlung zusammengelegt wurden. der Vereinten Nationen (VN) nach gut dreijähri- In einem umfassenden und partizipativen Prozess gem Verhandlungsprozess die 2030-Agenda für erarbeiteten Regierungen unter Beteiligung von nachhaltige Entwicklung.1 Deren Kernstück – die ExpertInnen aus Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Wirtschaft und anderen Stakeholdergruppen Development Goals, SDG) – formulieren in 17 zunächst einen Entwurf für einen SDG-Katalog. Zielen und 169 Unterzielen Vorgaben für die Be- Dieser wurde ab Januar 2015 von den VN-Mit- wältigung zentraler Herausforderungen der Welt- gliedsstaaten verhandelt und im September 2015 gemeinschaft – von Armut, Hunger und sozialer als 2030-Agenda für nachhaltige Entwicklung von Ungleichheit über Umweltzerstörung, sich ver- den Staats- und RegierungschefInnen verabschie- schärfendem Klimawandel und Produktions- und det. Wichtigste Unterschiede zu den MDG sind Konsummustern hin zu Rechtsstaatlichkeit, Frieden zum einen die universelle Gültigkeit der SDG für und Sicherheit. Die SDG zielen darauf ab, bis alle Länder, zum anderen die Verankerung der 2030 nachhaltige Entwicklung in wirtschaftlichen, Nachhaltigkeitsdimension von Entwicklung im neu- sozialen und ökologischen Fragen zu befördern. en Zielkatalog. Neben den in der 2030-Agenda Sie sind universell, das heißt für alle Länder welt- verankerten Zielen und Unterzielen gibt es zudem weit und damit auch für die EU und Deutschland Indikatoren zur Überprüfung der Fortschritte. Sie gültig. Die SDG nehmen die Staaten des globalen sollen die Anstrengung aller Länder messbar und Nordens in die Pflicht: Nachhaltige Entwicklung vergleichbar machen. kann ohne politische Veränderungen im Norden nicht erreicht werden. Um die globale Agenda effektiv umzusetzen, steht nun ihre Übersetzung in Überprüfung der SDG nationale bzw. regionale Zielstrategien an. Auf internationaler Ebene wurde gemäß dem Be- schluss der Rio+20-Konferenz zudem ein neues VN- Gremium für die Überprüfung der Umsetzung Erarbeitung der SDG der 2030-Agenda gegründet: Das Hochrangige Zwei Prozesse bildeten die Grundlage für den neu- Politische Forum für nachhaltige Entwicklung en Zielkatalog: Zum einen beschlossen die VN im (High Level Political Forum, HLPF). Struktur und Jahr 2010 die Weiterführung der Millenniums-Ent- Funktionsweise dieses Gremiums werden derzeit wicklungsziele (MDG), seit 2000 wichtiger Kern noch ausgearbeitet. Klar ist jedoch schon, dass der internationalen Entwicklungszusammenarbeit. Staaten im „peer review“-Verfahren gegenseitig Zieljahr für die MDG war 2015. Bei einem MDG- die Umsetzung der SDG auf internationaler, re- Gipfel im Jahr 2010 zeichnete sich jedoch bereits gionaler sowie nationaler Ebene überprüfen und ab, dass nicht alle Zielvorgaben bis 2015 erreicht beraten werden. Weitere Details, beispielsweise werden würden, weshalb ihre Weiterführung be- die Beteiligung der Zivilgesellschaft oder die Rol- schlossen wurde. le eines globalen Berichtskatalogs, sind ebenfalls Zum anderen wurde auf der Rio+20-Konferenz noch auszuhandeln. Im Juli 2016 werden erst- im Juni 2012 auf Initiative Guatemalas und Ko- mals Staaten vor den VN ihre Umsetzungspläne lumbiens der Beschluss gefasst, eine zwischen- und -methoden vorstellen. Da die Umsetzung der staatliche Arbeitsgruppe mit der Erarbeitung 2030-Agenda völkerrechtlich nicht verbindlich ist, der SDG zu beauftragen. Mit dem Prozess der sind robuste Überprüfungsmechanismen sowie Weiterentwicklung der MDG und der Schaffung konkrete Umsetzungspläne von entscheidender der SDG liefen zunächst zwei parallele Prozesse, Bedeutung für ihren Erfolg. 1 United Nations General Assembly (2015): A/RES/70/1: Transforming our world: the 2030 Agenda for Sustainable Development. http://www.un.org/ga/search/view_doc.asp?symbol=A/RES/70/1&Lang=E. 4
Schwachstellen der SDG (sozial, ökologisch, ökonomisch) in vielen Zielen Die SDG wurden als Gesamtergebnis positiv wahr- nicht ausreichend verankert ist. Zudem wird die genommen – auch seitens der Zivilgesellschaft. Verantwortung des Privatsektors nicht oder nicht Viele relevante Ziele wurden verankert, viele ausreichend im Zielkatalog reflektiert. Zur Umset- Forderungen berücksichtigt. Die positive Haltung zung und Finanzierung der 2030-Agenda schreibt gegenüber dem SDG-Zielkatalog ist maßgeblich die neue Agenda privatwirtschaftlichen Akteuren darauf zurückzuführen, dass die SDG als Ergebnis eine wichtige Rolle zu. Dominierende Wirtschafts eines VN-Verhandlungsprozesses den kleinsten ge- praktiken und die Auswüchse und Verwerfungen meinsamen Nenner der Staatengemeinschaft dar- des aktuellen Wirtschaftsmodells, die weltweit zur stellen und unter diesen Voraussetzungen auch ein Schaffung und Aufrechterhaltung von Ungleich- deutlich schwächeres Ergebnis möglich gewesen heiten, dem Unterlaufen demokratischer Prinzi- wäre. pien und der Ausbeutung der Natur beitragen, Dennoch: Die SDG haben Schwachstellen. werden jedoch kaum thematisiert, geschweige Wichtige Bestandteile nachhaltiger Entwicklung denn hinterfragt oder durch ambitionierte Ziele fehlen. Zum einen ist in der neuen Agenda ledig- angegangen. Schließlich hält die neue Agenda in lich ein eingeschränkter menschenrechtsbasier- weiten Teilen an einem überholten Entwicklungs- ter Ansatz verankert. Auch ist die ökologische paradigma des wirtschaftlichen „Aufholens“ von Dimension der Nachhaltigkeit, beispielsweise Entwicklungsländern fest. Trotz der vorhandenen im Vergleich zur sozialen Dimension, deutlich Schwachstellen und Widersprüche sind die SDG unterrepräsentiert. Viele Unterziele der Umwelt- im Vergleich zu den MDG und unter Berücksichti- SDG bleiben unkonkret oder wenig ambitioniert, gung der Ausgangslage jedoch als ambitionierter beispielsweise im Bereich nachhaltiges Ressour- und umfassender Zielkatalog zu bewerten. Die cenmanagement. Außerdem werden zum Teil EU steht wie Deutschland in der Verantwortung, technische Lösungen für im Kern politische Prob- diesen bis 2030 konsequent und umfassend um- leme präsentiert. Hinzu kommt, dass die Verbin- zusetzen und die Umsetzung in regelmäßigen dung der drei Dimensionen der Nachhaltigkeit Abständen zu überprüfen. 2b Rolle der EU und Deutschlands im SDG-Verhandlungs- und Umsetzungsprozess EU-Positionen im SDG-Erarbeitungsprozess Kommission die Prinzipien von geteilter Verant- Die EU bekennt sich dazu, die 2030-Agenda voll wortung, gegenseitiger Rechenschaftspflicht und umzusetzen und ihre Politiken und Handlungen an der jeweiligen nationalen Kapazitäten. Darüber den Zielen der neuen Agenda auszurichten.2 Die hinaus führte die Kommission an, dass alle Länder Kommission und der Rat veröffentlichten zwischen Verantwortung für die Umsetzung der neuen Agen- 2013 und 2015 mehrere strategische Dokumen- da übernehmen müssten, wobei allerdings auf das te3, in denen sie ihre Prioritäten und Prinzipien bisher im Rio-Prozess gebräuchliche Prinzip der für das neue Rahmenwerk und deren Umsetzung gemeinsamen aber unterschiedlichen Verantwor- festlegten.4 In diesen Mitteilungen unterstrich die tung (Common But Differentiated Responsibilities, 2 European Commission (2015): Fact Sheet: Sustainable Development Goals and the Agenda 2030. http://europa.eu/ rapid/press-release_MEMO-15-5709_de.htm. 3 Council of the European Union (2013): Council Conclusions: Council of the European Union (2013): Council Conclu- sions: The Overarching Post 2015 Agenda. http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cms_Data/docs/pressdata/ EN/foraff/137606.pdf; Council of the European Union (2014): Council Conlusions: Council of the European Union (2014): Council Conclusions: On a transformative post-2015 agenda. http://www.consilium.europa.eu/uedocs/ cms_data/docs/pressdata/en/foraff/146311.pdf .Council of the European Union (2015): Council Conclusions: A New Global Partnership for Poverty Eradication and Sustainable Development after 2015. http://www.consilium. europa.eu/en/press/press-releases/2015/05/26-fac-dev-council-conclusions-global-partnership/. 4 European Commission (2013): Communication: A Decent Life for All, Ending poverty and giving the world a sustainab- le future (COM/2013/092 final). http://ec.europa.eu/europeaid/documents/2013-02-22_communication_a_de- cent_life_for_all_post_2015_en.pdf.; European Commission (2014): Communication: A Decent Life for All, from vision to collective action (COM/2014/335 final). https://ec.europa.eu/europeaid/node/44631.; European Commis- sion (2015): Communication: A Global Partnership for Poverty Eradication and Sustainable Development after 2015 (COM(2015) 44 final). https://ec.europa.eu/europeaid/node/80772 . Die Umsetzung der Sustainable Development Goals in der EU und Deutschland 5
CBDR) kein Bezug genommen wurde. Die Strate- digt, im Sommer 2016 eine detaillierte Strategie gie Europa 2020 bildet aus Sicht der Kommission zur Umsetzung der SDG vorzulegen, im Vorfeld einen zentralen Bezugsrahmen für die Umsetzung soll es zahlreiche Gelegenheiten zur Beteiligung der neuen Agenda. Durch regelmäßige Überprü- geben.6 fungen soll die Strategie zu mehr Kohärenz, Main- Wie die EU die neue Agenda umsetzen wird, streaming und Integration der drei Dimensionen ist im Sommer 2016 (Stand der Studie) also noch nachhaltiger Entwicklung (sozial, ökologisch und unklar. Im Arbeitsprogramm der Kommission für ökonomisch) in EU-Politiken beitragen. 2016 7 spielen die SDG kaum eine Rolle. Ihre Die EU-Mitgliedsstaaten vertraten in der Erarbei- Umsetzung im Rahmen einer fortgeschriebenen tung des SDG-Zielkatalogs zum Teil gegensätzli- Europäischen Nachhaltigkeitsstrategie, deren che Vorstellungen. Insbesondere Großbritannien Überarbeitung derzeit geprüft wird8, ist zwar mög- positionierte sich früh gegen einen umfangreichen lich. Ob die Nachhaltigkeitsstrategie dafür aber SDG-Katalog und setzte sich für eine Konzentra- überhaupt die nötige Durchschlagskraft gewin- tion auf maximal zehn Ziele ein. Die britische nen kann, muss bezweifelt werden. Klar scheint Regierung vertrat die Auffassung, dass eine zu zu sein, dass Eurostat, das statistische Amt der große Anzahl an SDG weder kommunizier- noch EU, beim Monitoring der SDG-Umsetzung auf umsetzbar sei. Auch die Aufnahme von Zielen zur EU-Ebene eine zentrale Rolle spielen wird. Dafür Reduzierung von Ungleichheiten sowie von Um- wird Eurostat, das auch die Monitoring-Berichte welt- und Nachhaltigkeitspolitik sah die britische zur Europäischen Nachhaltigkeitsstrategie vorlegt, Regierung kritisch. Mit dieser Position konnte sich nach und nach ein neues Berichtswesen mit Fokus Großbritannien letztlich jedoch nicht durchsetzen. auf die SDG einführen. Umsetzung der SDG auf EU-Ebene Umsetzung der SDG in und durch Deutschland Der Rat unterstreicht in seinen Schlussfolgerun- Deutschland hat sich intensiv in den Erarbeitungs- gen von Mai 2015, dass für den Erfolg der und Verhandlungsprozess der 2030-Agenda ein- 2030-Agenda Politikkohärenz auf allen Ebenen gebracht und wird international als besonders notwendig ist.5 In der EU sollten als Beitrag zur engagiert in Sachen Nachhaltigkeit und Umwelt Umsetzung der Agenda die Voraussetzungen für wahrgenommen. Daher kündigte die Bundesre- „smartes, inklusives und nachhaltiges Wachstum“ gierung frühzeitig an, bereits in der ersten Über- geschaffen werden, unter anderem mit Hilfe der prüfungsrunde vor dem HLPF im Juli 2016 über Strategie Europa 2020, der Europäischen Nach- die deutsche SDG-Umsetzung zu berichten. Die haltigkeitsstrategie und des siebten Umweltaktions- Bundesregierung legte per Kabinettsbeschluss9 im programms. Über den Sommer 2015 untersuchte Dezember 2014 fest, dass die Nationale Nach- die EU-Kommission außerdem, wie einzelne SDG haltigkeitsstrategie ein „wesentlicher Rahmen“ für in den verschiedenen Politikfeldern der EU ab- die Umsetzung der SDG in Deutschland werden gebildet werden könnten und erstellte dafür ein solle. Die Nationale Nachhaltigkeitsstrategie „Mapping“, welches jedoch nicht öffentlich zu- wurde als Folge der Rio-Konferenz 1992 im Jahr gänglich ist. Zudem hat die Kommission angekün- 2002 von der Bundesregierung beschlossen und 5 Vgl. Council of the European Union (2015), s. o. 6 EEB (2015): Sustainable Development Goals: Implementation in Europe Conference - Thursday 12 November 2015. Delivering on the environmental dimension of the 2030 Sustainable Development Agenda. UNEP Regional Consultation meeting for Europe - Friday 13 November 2015. Beitrag Astrid Schomaker. http://www.eeb.org/index.cfm/library/ outcome-conference-sgds-implementation-in-europe/. 7 Europäische Kommission (2015): Arbeitsprogramm 2016. https://ec.europa.eu/priorities/work-programme-2016_de. 8 Die Kommission hat Karl Falkenberg, früher Direktor der Generaldirektion Umwelt und heute Berater des kommissions- eigenen Think Tanks „European Political Strategy Center“, beauftragt, eine mögliche Fortschreibung der Europäischen Nachhaltigkeitsstrategie zu prüfen und bis Sommer 2016 einen entsprechenden Bericht vorzulegen. Bereits im Oktober 2012 hatte der Umweltrat der EU eine Überarbeitung der Europäischen Nachhaltigkeitsstrategie bis spätestens 2014 gefordert, jedoch ohne Konsequenzen. Da die Kommission „Europa 2020“ als den wirksameren Rahmen zur Erreichung der drei Dimensionen der Nachhaltigkeit ansah, hatte sie die Fortschreibung einer eigenständigen Nachhaltigkeitsstrategie faktisch aufgegeben. 9 Bundesregierung (2014): Bericht der Bundesregierung: Eine Agenda für den Wandel zu nachhaltiger Entwicklung weltweit. Die deutsche Position für die Verhandlungen über die Post 2015-Agenda für nachhaltige Entwicklung. https://www. bmz.de/de/zentrales_downloadarchiv/grundsaetze_und_ziele/2014_12_03_Bericht_Post_2015-Agenda_komplett. pdf. 6
seitdem einige Male weiterentwickelt. Die aktuelle Neuausrichtung läuft seit 2014/2015. Im Herbst 2016 soll die überarbeitete Strategie vom Kabi- nett verabschiedet werden. Die Bundesregierung vertritt dabei die Position, dass Prioritäten bei der Umsetzung der SDG gesetzt werden müssten. Vor allem werden aber jene Bereiche, ich denen Deutschland besonders unnachhaltig ist, nicht adressiert. Die dort aufgeführten Maßnahmen gehen jedoch vielfach nicht weit genug, tragen nicht zwangsläufig zur Umsetzung der SDG bei, sind teilweise aus Sicht der Zivilgesellschaft über- haupt nicht nachhaltig. Vor allem werden aber jene Bereiche, ich denen Deutschland besonders unnachhaltig ist, nicht adressiert. Aus zivilgesell- schaftlicher Sicht greifen diese Prioritäten und die Einführung der SDG-Umsetzung auf die Nationale Nachhaltigkeitsstrategie zu kurz und werden den Anforderungen der 2030-Agenda nicht gerecht. Die Umsetzung der Sustainable Development Goals in der EU und Deutschland 7
3 Landwirtschaft und Ernährung in den SDG 3a Überblick über relevante SDG Der Themenkomplex Ernährung und Landwirt- haltige Landwirtschaft fördern“ spezifische Unter- schaft ist in der neuen Agenda prominent vertre- ziele vor. Darüber hinaus beinhalten alle weiteren ten. Neben den grundsätzlichen Bekenntnissen 16 SDG Unterziele, die für den Themenkomplex der Staatengemeinschaft im Bereich Ernährung Ernährungssicherheit und Landwirtschaft relevant und Landwirtschaft, die sich in der Präambel der sind. Die Tabelle im Anhang zeigt die für Land- 2030-Agenda finden, gibt insbesondere SDG 2 wirtschaft und Ernährung relevanten Zielsetzungen „Den Hunger beenden, Ernährungssicherheit und der 2030-Agenda auf. eine bessere Ernährung erreichen und eine nach- 3b Agrarpolitik innerhalb der EU: Fakten und Widersprüche zu den SDG Im Folgenden werden Widersprüche zwischen der Industrialisierung am Beispiel Milchsektor SDG-Zielsetzung auf der einen und der aktuellen Ein aktuelles in seiner Intensität und Geschwindig- politischen Praxis in der EU und Deutschland auf keit herausstechendes Beispiel für eine politisch der anderen Seite anhand verschiedener Beispiele forcierte Intensivierung ist der Milchsektor. Auf hervorgehoben. Teil 3b zeigt diese Widersprüche dem europäischen Milchmarkt gab es in den ver- innerhalb der EU und Deutschlands auf, während gangenen Jahrzehnten eine Milchquotenregelung, in Teil 3c die Auswirkungen dieser Politik auf Ent- die 1984 eingeführt wurde. Diese begrenzte die wicklungsländer beleuchtet werden. Milchmengen, die Milchbauern und - bäuerinnen in der EU erzeugen durften. Ziel der Milchquote war allerdings nie die Schaffung eines kostende- Lebensmittelerzeugung unter ckenden Auszahlungspreises für MilcherzeugerIn- Industrialisierungsdruck nen. Die Milchquote wurde so ausgestaltet, dass Die anhaltende Konzentration in der europäischen Überschüsse für den Export vorhanden waren, was Landwirtschaft auf immer weniger und immer grö- den Interessen der exportorientierten Molkereien ßere Betriebe gefährdet nicht nur die ländliche entsprach. Der Europäische Rechnungshof kommt Wirtschaftsentwicklung, sondern auch die Umwelt. zu dem Schluss, „dass die Milchquoten die Pro- Die deutsche Agrarpolitik ist hierfür das beste Bei- duktion durch strengere Regelungen eingeschränkt spiel. Mit ihrem Ansatz, wonach Abnehmer wie haben, jedoch im Vergleich zur Aufnahmefähig- Molkereien oder Schlachtereien nur groß genug keit des Marktes lange Zeit zu hoch waren.“10 Die sein müssen, um sich im nationalen und internati- durch die Quote festgelegte Produktionsmenge lag onalen Wettbewerb der Konzerne durchsetzen zu dadurch etwa 10 Prozent über dem Verbrauch in können, setzt sie falsche Anreize. Angemessene Europa.11 Preise für landwirtschaftliche Produkte spielen da- Für viele Großproduzenten sowie die Milchin- bei ebenso wie ökologische oder soziale Aspekte dustrie war diese Begrenzung dennoch ein Expan- kaum eine Rolle. Ergebnis dieser Politik ist eine sionshindernis. Dem Amtsblatt der Europäischen dauerhafte Überproduktion, die zu ständigem Union ist zu entnehmen: „Die Einführung der Druck auf die Erzeugerpreise führt und die Exis- Quoten war eine Reaktion auf die Überprodukti- tenz bäuerlicher Betriebe gefährdet. on; nun aber bremst die Quotenregelung das Pro- 10 Europäischer Rechnungshof (2009): Haben die Marktsteuerungsinstrumente für den Markt für Milch und Milcherzeugnisse ihre wichtigsten Ziele erreicht? Sonderbericht Nr. 14. http://europa.eu/rapid/press-release_ECA-09-63_de.htm. 11 Misereor, Germanwatch und AbL (2005): PM: EU-Milchüberschüsse setzen Bauern weltweit unter Druck. http://ger- manwatch.org/presse/2005-10-06.htm. 8
duktionswachstum bei starker Binnen- und Außen- 2012 noch nicht überwunden haben. Damals – nachfrage. Unter diesen Gegebenheiten wirken und auch nun wieder – wurden den Milcherzeu- die Quoten der Marktorientierung entgegen, da gerInnen Preise ausgezahlt, die weit unter den die Landwirte nicht angemessen auf Preissignale Produktionskosten lagen. reagieren, und sie verhindern Effizienzgewinne, in- Bereits jetzt zeichnet sich ab, dass die aktu- dem sie den Strukturwandel verlangsamen.“12 Die elle Milchkrise die längste in Europa zu werden Quote stand einer Produktionssteigerung im Wege, scheint – mit schwerwiegenden Konsequenzen für die für die politisch erwünschte Exportorientierung die deutsche und europäische Landwirtschaft. Die notwendig gewesen wäre. 2008 beschlossen die äußerst angespannte Lage auf den Milchbetrieben EU-Mitgliedsstaaten, die Milchquotenregelung am beschleunigt den politisch forcierten Strukturwan- 31. März 2015 auslaufen zu lassen. Vorgesehen del, der in der Konsequenz zur Schließung von war in diesem Zusammenhang das schrittweise Höfen führt. Betriebe müssen Wachstumsbetrieben Auslaufen der Milchquoten durch eine jährliche weichen und die Tierhaltung wandert in Regio- Anhebung von 1 Prozent je Wirtschaftsjahr von nen ab, in denen zumeist schon intensive Tier- 2009/2010 bis 2013/2014.13 Laut EU-Kommis- haltung vorherrscht. Das wiederum geht zulasten sion sollte dadurch „die Wettbewerbsfähigkeit des der ländlichen Wirtschaftsentwicklung aber auch Agrarsektors unmittelbar durch Änderungen an des Umwelt- und Naturschutzes, etwa in Form von den Marktmechanismen, insbesondere die Aufhe- Nährstoffüberschüssen oder eines Rückgangs der bung von Produktionsbeschränkungen, gefördert Biodiversität. Gab es in Deutschland im Jahr 2005 werden. Alle bestehenden Produktionsbeschrän- noch 110.400 Milchviehbetriebe16, so waren es kungen für (...) Milchprodukte (...) werden auslau- im Jahr 2015 nur noch knapp 75.000 Betriebe. fen, was es den Landwirten ermöglicht, auf die Der jährliche Milchertrag je Kuh hat sich gleich- steigende weltweite Nachfrage zu reagieren.“14 zeitig von durchschnittlich 4.710 Kilogramm im Die prognostizierte massive Nachfragesteige- Jahr 1990 auf 7.541 Kilogramm Jahresleistung rung erwies sich jedoch als Wunschdenken – als erhöht.17 Das durch die Intensivierung der Land- Resultat des ersatzlosen Auslaufens der Milch- wirtschaft herbeigeführte Höfesterben ist kein quote ist der Milcherzeugerpreis in Deutschland alleiniges Phänomen des Milchsektors. Auch in und vielen anderen EU-Ländern 2016 teilweise der Fleischerzeugung dominiert dieser Trend. auf deutlich unter 30 Cent gesunken.15 Zu den Den knapp 60 Millionen Schweinen, die 2013 dramatischen Einkommenseinbußen für Milchbäu- in Deutschland gemästet und geschlachtet wur- erinnen und -bauern kommt erschwerend hinzu, den, stehen nur noch 25.000 Betriebe gegenüber. dass MilcherzeugerInnen in Deutschland und Eu- Zum Jahrtausendwechsel waren es noch 100.000 ropa vielfach die Milchkrisen der Jahre 2009 und mehr.18 12 Europäischer Rat (2009): durch Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 247/2006, (EG) Nr. 320/2006, (EG) Nr. 1405/2006, (EG) Nr. 1234/2007, (EG) Nr. 3/2008 und (EG) Nr. 479/2008 und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 1883/78, (EWG) Nr. 1254/89, (EWG) Nr. 2247/89, (EWG) Nr. 2055/93, (EG) Nr. 1868/94, (EG) Nr. 2596/97, (EG) Nr. 1182/2005 und (EG) Nr. 315/2007. http://eur-lex.europa.eu/ legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32009R0072&from=DE. 13 Verordnung (EG) Nr. 72/2009 des Rates vom 19. Januar 2009 zur Anpassung der gemeinsamen Agrarpolitik durch Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 247/2006, (EG) Nr. 320/2006, (EG) Nr. 1405/2006, (EG) Nr. 1234/2007, (EG) Nr. 3/2008 und (EG) Nr. 479/2008 und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 1883/78, (EWG) Nr. 1254/89, (EWG) Nr. 2247/89, (EWG) Nr. 2055/93, (EG) Nr. 1868/94, (EG) Nr. 2596/97, (EG) Nr. 1182/2005 und (EG) Nr. 315/2007. http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32009R0 072&from=DE. 14 Europäische Kommission (2013): Informationen zur Zukunft der Agrarpolitik (5/13): Überblick über die Reform der GAP 2014-2020. http://ec.europa.eu/agriculture/policy-perspectives/policy-briefs/05_de.pdf. 15 MEG Milch Board w.V. (2016): Milch Marker Index Fakten. http://www.milch-marker-index.de/home. 16 Die Landforscher (2013): Wirtschaftliche Lage und Verschuldung der Milchviehbetriebe in Deutschland: Abschlussbericht. http://www.europeanmilkboard.org/fileadmin/Subsite/Buendelungskommission_allgemein/2014/140113_MB_Ein- kommensentwicklungundVerschuldung_FINAL.pdf. 17 Milchindustrieverband (2015): Zahlen Daten Fakten 2015. http://www.milchindustrie.de/marktdaten/erzeugung. 18 Sundermann, Jutta, Dorn, Leonie, Benning, Reinhild (2016) in: Kritischer Agrarbericht (2016): Wachsen oder trinken? Grenzen der Konzentration in der Tierhaltung der Streit um die Düngeverordnung., S. 200-205. http://www.kritischer- agrarbericht.de/fileadmin/Daten-KAB/KAB-2016/KAB2016_Kap6_200_205_Sundermann_et_al.pdf. Die Umsetzung der Sustainable Development Goals in der EU und Deutschland 9
TTIP: Ein Projekt zur Industrialisierung die SDG für industrialisierte Länder vertreten, lässt der Landwirtschaft sich nicht widerspruchsfrei klären. Es lassen sich Intensivierung und Marktöffnung bestimmen auch in den SDG durchaus Argumente für gesteigertes bei dem umstrittenen Projekt eines Freihandelsab- Wachstum (SDG 8) finden, zudem wird die Einbin- kommens der EU mit den USA (Transatlantic Trade dung privatwirtschaftlicher Akteure in vielen Poli- and Investment Partnership, TTIP) die agrarpoli- tikbereichen als wichtiges Element zur Umsetzung tische Agenda. Sowohl in der EU als auch den der Agenda angesehen (SDG 17). Auch im Agrar- USA würden die noch eher bäuerlich strukturierten SDG 2 findet sich unter Unterziel 2.3 u. a. das Teile der Landwirtschaft unter den im Rahmen von Ziel der Produktionssteigerung. Das zu fordern, ist TTIP geplanten Zollsenkungen und Marktöffnun- für viele Entwicklungsländer durchaus berechtigt gen leiden, wobei die Strukturen in der EU noch und ließe sich durch die Anwendung agrarökolo- wesentlich bäuerlicher und ökologischer geprägt gischer Methoden erreichen. Eine dahingehende sind als in den USA. Auch mit der geplanten „re- Präzisierung wäre wichtig gewesen, damit das gulatorischen Kooperation“, d. h. der Angleichung Unterziel nicht missbraucht werden kann, um die von Produktions- und Verbraucherschutzstandards, zunehmende Intensivierung und Konzentration in droht mit TTIP eine Qualitätserosion. In der EU wür- der Landwirtschaft zu legitimieren. de z. B. der Druck auf die hormonfreie Erzeugung Gleichzeitig und deutlich umfangreicher lässt von Fleisch und Milchprodukten, auf eine weitest- sich anhand der SDG allerdings für ein nachhalti- gehend gentechnikfreie Lebensmittelproduktion ges, sozial und ökologisch gerechtes Agrarmodell oder die Oberflächenbehandlung für Schlacht- auch in Weltregionen wie der EU argumentieren. körper (Stichwort Chlorhühnchen) zunehmen.19 Denn die SDG machen deutlich, dass es nicht nur Insbesondere im EU-Fleischsektor wäre eine sehr darum gehen kann, ausreichend Lebensmittel zu hohe Importzunahme aus den USA zu erwarten, produzieren, sondern die Erzeugung ressourcen- wenn TTIP in der aktuell geplanten Form umge- schonend und im Einklang mit dem Klima- und setzt würde. Auch für den EU-Milchsektor könn- Umweltschutz zu gestalten. Dazu formuliert Unter- ten die Importzunahmen durch TTIP aus den USA ziel 2.3 als Ergänzung zur Notwendigkeit einer höher ausfallen als umgekehrt.20 Daraus lässt sich Verdopplung der landwirtschaftlichen Produktivität schließen, dass zusätzliche Importe von Milch- und ebenfalls die Verdopplung der Einkommen kleiner Fleischprodukten aus den USA21 die EU-Märkte NahrungsmittelproduzentInnen. Insbesondere der weiter überlasten und die Preise weiter sinken wür- Zusatz, dies solle durch den sicheren und gleich- den. Die bäuerliche Landwirtschaft geriete weiter berechtigten Zugang zu Grund und Boden, Pro- unter Druck. Auch würden noch mehr Überschüsse duktionsressourcen und Betriebsmitteln, Wissen, für den Export bereit stehen und in Entwicklungs- Finanzdienstleistungen, Märkten, sowie Möglich- ländern ihre Absatzmärkte finden. keiten für Wertschöpfung erreicht werden, ist hoch- Verglichen mit den SDG wird TTIP, wie alle Han- relevant für die industriedominierte Landwirtschaft delsabkommen, bereits deshalb eine weit größere in Europa. Wirkung haben, weil diese Abkommen mit wirk- Ergänzend formuliert Unterziel 2.4 klar die samen Durchsetzungsmechanismen versehen sind. Notwendigkeit nachhaltiger Systeme der Nah- Vor allem die geplante Investitionsschutz-Parallel- rungsmittelproduktion sowie resilienter landwirt- justiz hat das Potenzial, Konzernen umfassende schaftlicher Methoden. Der in der EU und Deutsch- Klagemöglichkeiten gegen Regulierung für mehr land zu verzeichnende Trend einer Ausweitung Nachhaltigkeit zu geben. Die SDG sind im Ge- des Agribusiness führt zu einem Rückgang von gensatz dazu nicht völkerrechtlich verbindlich, landwirtschaftlichen Betrieben, und Arbeitsplätzen sondern eher eine Art Absichtserklärung. sowie zu einem Preisverfall für landwirtschaftli- che Erzeugnisse. Sollte das geplante TTIP Realität TTIP steht für eine weltmarktorientierte, industrielle werden, würde es die Industrialisierung der Land- Agrarproduktion. Die Frage, welches Agrarmodell wirtschaft in der EU weiter vorantreiben und zu 19 Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft e. V. (AbL) (2015): TTIP und CETA: Angriff auf bäuerliche Landwirt- schaft. http://www.abl-ev.de/fileadmin/Dokumente/AbL_ev/Welthandel/2015-03_TTIP_und_CETA_Angriff_ auf_b%C3%A4uerliche_Landwirtschaft.pdf. 20 Europäisches Parlament (2014): Risks and opportunities for the EU Agri-Food sector in a possible EU-US trade agreement. http://www.europarl.europa.eu/thinktank/de/document.html?reference=AGRI_IPOL_STU%282014%29514007. 21 United States Department of Agriculture (2015): Agriculture in the Transatlantic Trade and Investment Partnership: Tariffs, Tariff-Rate Quotas, and Non-Tariff Measures. http://www.ers.usda.gov/media/1937478/err198.pdf. 10
einer Absenkung von Standards führen. Dieser Hektar für Silomais (7,4 Prozent der Gesamtan- politisch gewollte Wandel hin zu immer größeren baufläche) angebaut, so sind es heute bereits Strukturen ist nicht mit der Grundforderung des über zwei Millionen Hektar (12,2 Prozent).25 Das Agrar-SDG 2 zur Umsetzung einer nachhaltigen sich daraus ergebende Bild wird als Vermaisung Landwirtschaft vereinbar. der Landschaft bezeichnet. Übliche Fruchtfolgen in guter landwirtschaftlicher Praxis werden zu- nehmend vernachlässigt und es kommt zu einem Umweltverschmutzung und Monokulturen durchgängigen Maisanbau über mehrere Jahre.26 Der Ausbau der immer intensiveren landwirtschaft- Mit einer zunehmenden Intensivierung, dem An- lichen Produktion beeinträchtigt die Umwelt und bau in Monokultur und dem hohen Einsatz von wirkt sich direkt auf die Qualität von Böden, Luft Spritz- und Düngemittel belastet der Maisanbau in und Wasser aus. Durch den Strukturwandel ge- Deutschland und Europa zunehmend Tier, Mensch hen Betriebe ins Größenwachstum und verdrän- und Umwelt. gen sich gegenseitig. Beim bereits angeführten Beispiel der Milchproduktion hat die Dezimierung In Bezug auf die ökologische Beeinträchtigung der Betriebe zur Konsequenz, dass auch die Wei- durch die Landwirtschaft zeigt sich ein deutlicher dehaltung immer weiter zurückgedrängt wird.22 Widerspruch zwischen den SDG und dem EU- Diese ist aber maßgeblich für die biologische Viel- Agrarmodell. Zum einen formuliert das Agrar-SDG falt, die Bodenqualität, das Landschaftsbild, den 2 klar, dass nachhaltige Systeme der Nahrungs- Klimaschutz und für die Speicherung von Wasser. mittelproduktion und resiliente landwirtschaftliche Zudem bekommen immer mehr Betriebe, nicht nur Methoden zum Erhalt von Ökosystemen beitragen, in der Milchproduktion, Entsorgungsprobleme mit die Anpassungsfähigkeit an Klimaveränderungen der Gülle. Gewerbliche Mastanlagen und zum und Katastrophen erhöhen und die Flächen- und Teil auch Familienbetriebe expandierten, ohne Bodenqualität schrittweise verbessern sollen (Un- über genügend Flächen für eine umweltgerechte terziel 2.3). In der EU ist derzeit ein gegenläufiger Düngeausbringung zu verfügen. In Deutschland Trend zu beobachten, auch werden politische Ent- sind in intensiven Tierhaltungsregionen die Ammo- wicklungen, wie eine EU-Bodenrahmenrichtlinie, niakkonzentrationen in der Umgebungsluft 7- bis die Verbesserungen bringen könnten, von einigen 20- mal höher als in Ackerbauregionen. Die sich Mitgliedsstaaten (darunter Deutschland) blockiert. daraus ergebenden Überdüngungseffekte führen Neben dem negativen Einfluss der Landwirtschaft dazu, dass jene Pflanzen, die nährstoffarme Böden auf wichtige Ressourcen wie Wasser und Boden, brauchen, durch Stickstoff liebende Pflanzen ver- lassen sich auch gegen die in der EU-Landwirt- drängt werden, sich die Artenzahl verringert und schaft verbreiteten Monokulturen in den SDG deut- sich Ökosysteme verändern. Wesentliche Quellen liche Argumente finden. So fordert etwa Unterziel der Ammoniakemissionen aus der Landwirtschaft 2.5, dass die genetische Vielfalt von Saatgut, umfassen Tierhaltungsgebäude, Lagerstätten für Kulturpflanzen sowie Nutz- und Haustieren und Wirtschaftsdünger und die Ausbringung organi- ihren wildlebenden Artverwandten bewahrt wer- scher Dünger.23 Auch die Grundwasserbrunnen den solle, unter anderem auch durch Saatgut- und weisen in intensiven Tierhaltungsregionen die Pflanzenbanken, deren Vorteile ausgewogen und höchste Stickstoffbelastung auf.24 gerecht aufgeteilt werden müssen. Mit der Intensivierung der Tierhaltung hat zu- Klare Widersprüche zur deutschen und euro- dem auch der Maisanbau zugenommen. Wurden päischen Agrarpolitik lassen sich auch anhand in Deutschland im Jahr 2005 noch 1,2 Millionen anderer SDG ausmachen, beispielsweise im Hin- 22 BMEL (2014): Statistisches Jahrbuch über Ernährung, Landwirtschaft und Forsten 2014. http://www.bmelv-statistik.de/ de/statistisches-jahrbuch. 23 Wissenschaftliche Beiräte für Agrarpolitik (WBA) und für Düngungsfragen (WBD) beim Bundesministerium für Ernäh- rung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) (2013). Kurzstellungnahme Novellierung der Düngeverordnung: Nährstoffüberschüsse wirksam begrenzen. http://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/04_Stellungnah- men/2012_2016/2013_08_AS_Novellierung_Duengeverordnung.pdf?__blob=publicationFile. 24 Sundermann, Jutta, Dorn, Leonie, Benning, Reinhild (2016), s. o.. 25 BMEL (2013): Das Thema Vermaisung im öffentlichen Diskurs. http://buel.bmel.de/index.php/buel/article/view/22/ linhart-html. 26 Riedel, Wolfgang, Stolz, Christian (2015) in Kritischer Agrarbericht (2015): Monotonisierung von Landschaft. Nutzungs- wandel und Umweltfolgen des Biogasbooms am Beispiel Schleswig-Holsteins, S. 166-170. http://www.kritischer- agrarbericht.de/fileadmin/Daten-KAB/KAB-2015/KAB2015_166_170_Riedel_Stolz.pdf. Die Umsetzung der Sustainable Development Goals in der EU und Deutschland 11
blick auf die übermäßige Nutzung von Pestiziden Werkverträge, Scheinselbstständigkeit und Leih- und Dünger. So befasst sich etwa im Gesundheit- arbeit sowie unzureichende Arbeitsbedingungen SDG 3 das Unterziel 3.9 mit der Verringerung der und Arbeitsunfälle verbreitet.28 Zahl der Todesfälle und Erkrankungen aufgrund gefährlicher Chemikalien und der Verschmutzung Zu den notwendigen Verbesserungen der Arbeits- und Verunreinigung von Luft, Wasser und Boden. bedingungen in der Landwirtschaft in Europa und Ähnliches wird auch in Unterziel 6.3 des Wasser- Deutschland lassen sich direkte Bezüge in den SDG 6 formuliert, das auf die Verbesserung der SDG finden. In SDG 8, das Zielvorgaben im Wasserqualität abzielt. Ebenso gehen die Unter- Bereich Wirtschaftswachstum, Vollbeschäftigung ziele 14.1 und 14.3 im Meeres-SDG 14 direkt und menschenwürdige Arbeit formuliert, fordern auf die notwendige Verringerung der Meeresver- die Unterziele 8.3 und 8.5 die Schaffung men- schmutzung, z. B. durch Nährstoffbelastung und schenwürdiger Arbeit und Arbeitsplätze sowie Vermüllung sowie durch vom Lande ausgehen- gleiches Entgelt für gleichwertige Arbeit. Zudem de Tätigkeiten, ein. Und schließlich formulieren gibt Unterziel 8.8 den Schutz von Arbeitnehmer- mehrere Unterziele (15.1, 15.2, 15.3, 15.4) rechten und ein sicheres Arbeitsumfeld für alle des Ökosystem-SDG 15 Vorgaben zu Schutz ArbeitnehmerInnen vor, wobei das Ziel insbeson- und nachhaltiger Nutzung von Land- und Was- dere die Situation von WanderarbeiterInnen und serökosystemen, wobei klar der Zusammenhang Menschen in prekären Beschäftigungsverhältnis- zu landwirtschaftlichen Praktiken hergestellt wird, sen hervorhebt. Die SDG geben also eine faire beispielsweise beim Unterziel 15.3 zur Sanierung Entlohnung und sichere Beschäftigung der Bauern geschädigter Flächen und Böden. und Bäuerinnen ebenso wie aller Angestellten in der Landwirtschaft vor. Prekäre Arbeitsbedingungen im Landwirtschaftssektor Lebensmittelverschwendung und steigendes Nicht nur die Art der Landwirtschaft, auch die Interesse an biologischen Produkten Beschäftigungsbedingungen in der Landwirtschaft Nicht nur die landwirtschaftliche Produktion, auch sind vielfach nicht nachhaltig. Industrielle Produk- die Rolle der VerbraucherInnen ist relevant für die tionsweisen und automatisierte Arbeitsschritte europäische und deutsche Landwirtschaft. Entlang verändern die Arbeit der selbstständigen Fami- der Kette von der Lebensmittelherstellung bis zum lienarbeitskräfte wie auch der Lohnarbeitskräfte. Privathaushalt landen in Deutschland Jahr für Jahr Der Wachstums- und Rationalisierungsprozess 11 Millionen Tonnen Lebensmittel im Wert von erfordert von den Betrieben einen erhöhten Kapi- circa 25 Milliarden Euro im Müll. Weltweit gilt taleinsatz, die zunehmende Verrechtlichung und dies für 1,3 Milliarden Tonnen Lebensmittel. Hin- Auflagen einen immer höheren Zeitaufwand. Die zu kommen schätzungsweise bis zu 4 Millionen Aufgabe der kleinen Betriebsstrukturen zu Guns- Tonnen Lebensmittelverluste, die in der deutschen ten von Wachstumsbetrieben hat zu einem Wan- Landwirtschaft entstehen.29 Pflanzen werden un- del der Arbeit in der Landwirtschaft geführt, weg tergepflügt, weil sie in Form, Farbe oder Grö- von selbstständigen Bäuerinnen und Bauern hin ße abweichen oder zu niedrige Preise erzielen zu fremdbestimmter Arbeitskraft.27 Der Druck auf würden. Sensible Lebensmittel, wie Erdbeeren, die Preise und darauf, betrieblich zu wachsen, verderben bei Transport oder Lagerung. Handel erschwert es selbstständigen Bauern und Bäue- und Einzelhandel entsorgen Lebensmittel kurz vor rinnen und Fremdarbeitskräften, ausreichende Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums. In Kantinen Einkommen unter guten Arbeitsbedingungen zu müssen Buffetreste aus hygienischen Gründen ent- erwirtschaften. In der EU und Deutschland sind vor sorgt werden und VerbraucherInnen kaufen oder allem in Betrieben mit industrieller Tierhaltung und kochen zu viel oder lagern Lebensmittel falsch. in Schlachthöfen untertarifliche Bezahlung durch Sowohl die EU als auch die deutsche Bundesre- 27 Hentschel T., Fock T. (2015) in Kritischer Agrarbericht (2015): Wandel der Arbeit in der Landwirtschaft. Über die zuneh- mende Industrialisierung der Landwirtschaft und ihre Folgen für die Beschäftigungsverhältnisse, S. 69-74. http://www. kritischer-agrarbericht.de/fileadmin/Daten-KAB/KAB-2015/KAB2015_69_74_Hentschel_Fock.pdf. 28 Leubecher, Marcel (2013): Deutschland ist Europas Schlachthaus, Welt online. http://www.welt.de/wirtschaft/artic- le118425725/Deutschland-ist-Europas-Schlachthaus.html. 29 Verbraucherzentrale (2015): Lebensmittel: Zwischen Wertschätzung und Verschwendung. https://www.verbraucherzen- trale.de/lebensmittelverschwendung. 12
gierung haben sich das Ziel gesetzt, bis 2020 die sich etwa an der mangelhaften Umsetzung der Lebensmittelabfälle zu halbieren.30 Bislang hat die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik in Deutsch- Bundesregierung jedoch keine Strategie vorgelegt, land belegen: So spiegelt die Ausgestaltung der die aufzeigt, wie dieses Ziel erreicht werden kann Direktzahlungen in Deutschland noch völlig die und vor allem wie sie die Zielerreichung messen überholten Prioritäten der Agrarpolitik der Vergan- und kontrollieren wird. Nach wie vor ist auch die genheit wieder. Datengrundlage, wie viel Lebensmittelabfall wo entlang der Wertschöpfungskette anfällt, nicht aus- Konsumfragen spielen in den SDG eine wichtige reichend. Eine nationale Strategie müsste konkrete Rolle und werden insbesondere für Industrieländer Ziele und Arbeitsaufgaben enthalten: Datenlücken als zentrales Handlungsfeld betont. Ein eigenes sollten so schnell wie möglich gefüllt, branchen- SDG (12) befasst sich mit Fragen nachhaltiger spezifische Handlungsleitfäden erarbeitet und eine Konsum- und Produktionsmuster. Unterziel 12.3 gesamtgesellschaftliche Diskussion angestoßen fordert beispielsweise die Halbierung der Lebens- werden.31 mittelverschwendung in der Produktion, im Einzel- Insbesondere in den Industrieländern ist die handel und durch die VerbraucherInnen. Ergän- Wertschätzung von Lebensmitteln zum Teil einer zend findet sich im Unterziel 8.4 die Forderung, Geringschätzung gewichen. Ein Grund dafür ist Industrieländer sollten eine Führungsrolle beim auch, dass die Lebensmittel immer billiger gewor- Erreichen von Ressourceneffizienz in Konsum und den sind. In Deutschland sind die Ausgaben für Produktion übernehmen. Die bewusste Täuschung Nahrungs- und Genussmittel von 1950 mit 50 von VerbraucherInnen ebenso wie eine neue Wert- Prozent des Haushaltseinkommens auf aktuell nur schätzung landwirtschaftlich erzeugter Produkte noch 9,5 Prozent gesunken.32 wird durch das Unterziel 12.8 adressiert. Dieses Auf der anderen Seite hat sich der Umsatz von gibt die Sicherstellung des Zugangs zu Informa- Biolebensmitteln in Deutschland in den vergan- tionen und Schaffung von Bewusstsein für einen genen zehn Jahren verdoppelt.33 Das zeigt, dass nachhaltigen Lebensstil vor. Zur Untermauerung sensibilisierte VerbraucherInnen auf Qualität set- der Forderung, Bund und Länder müssten mehr zen und bereit sind, dafür einen höheren Preis zu in die Förderung ökologischer Landwirtschaft in- zahlen. Doch auch im Ökolandbau stellt sich die vestieren, kann erneut auf das Agrar-SDG 2 und Strukturfrage: Wie groß dürfen die Betriebe sein, dabei konkret Unterziel 2.4 verwiesen werden, damit sie ökologisch noch verträglich sind? Zudem in welchem die Nachhaltigkeit der Systeme der können die inländischen ProduzentInnen nicht die Nahrungsmittelproduktion sichergestellt werden steigende Nachfrage nach Bio decken, es wird soll. Hier stehen die EU und Deutschland in der also mehr importiert. Die fehlende Möglichkeit, Pflicht. das Angebot zu decken, ist in Deutschland direkt auf die zu geringe politische Unterstützung des Die ausgeführten Beispiele zeigen: Mit der heuti- Bundes und der meisten Länder zurückzuführen. gen Agrarpolitik der EU und Deutschlands können Auf dem Markt zeigt die wachsende Nachfrage die SDG nicht umgesetzt werden. Die Umsetzung nach Qualitätsprodukten, dass die VerbraucherIn- der SDG kann nicht an Umwelt- und Entwicklungs- nen und die Gesellschaft sich von der Geiz-ist- ministerien delegiert werden, sondern geht die geil-Mentalität abwenden. Eine Agrarpolitik, die ganze Bundesregierung, die gesamte Kommissi- auf industrielle Massenproduktion setzt, die weder on an. Daher muss die europäische Agrarpolitik ökologisch noch sozial noch unter Tierschutzas- komplett auf den Prüfstand. Dies gilt auch für die pekten vertretbar ist, hat keine gesellschaftliche Auswirkungen der EU-Agrarpolitik auf Länder des Akzeptanz mehr. Die Politik kommt diesem Werte- globalen Südens, die im Folgenden dargestellt wandel jedoch noch viel zu wenig nach. Dies lässt werden. 30 WWF (2015): Tonnen für die Tonne. http://www.wwf.de/themen-projekte/landwirtschaft/ernaehrung-konsum/ver- schwendung/. 31 WWF (2015), s. o. 32 Verbraucherzentrale (2015), s. o. 33 BÖLW (o.J.): Bio: Gesellschaftlicher Trend und starker Wachstumsmarkt. http://www.boelw.de/biofrage_15.html. Die Umsetzung der Sustainable Development Goals in der EU und Deutschland 13
3c Auswirkungen der EU-Agrarpolitik auf Entwicklungsländer: Fakten und Widersprüche zu den SDG Politisch forcierte Exportorientierung Überproduktion und -versorgung. In Deutschland der EU-Landwirtschaft wurden etwa im Jahr 2015 mit über acht Millio- Die Handelspolitik der EU zielt darauf ab, Welt- nen Tonnen Rekordwerte in der Fleischerzeugung märkte für europäische Anbieter zu öffnen. Be- erzielt.35 Bei tendenziell sinkendem Inlandsver- schlossen wird die Handelspolitik vor allem vom brauch bedeutet dies steigende Exporte. Der star- Europäischen Rat, also den Regierungen der Mit- ke europäische Export zerstört Märkte und damit gliedsstaaten; die Kommission ist das ausführende Chancen in Entwicklungsländern.36 Organ. Die Rolle des Europäischen Parlaments ist Dies lässt sich anhand der europäischen Milch- relativ schwach, allerdings muss das Europäische exporte illustrieren: Die Exporte von Milchpulver Parlament den EU-Handelsabkommen zustimmen. aus der EU haben sich in den letzten vier Jahren Der Export soll entsprechend der Zielsetzung der fast verdoppelt auf 7,8 Millionen Tonnen (Voll- und Kommission die Verwerfungen, die durch die EU- Magermilchpulver, gemessen in Milchäquiva- Agrarpolitik innerhalb der EU entstehen, abfedern: lent)37. Die Exporte nach Afrika südlich der Saha- „Die Exportchancen sind in Branchen, die einen ra nahmen in den letzten vier Jahren um mehr als Strukturwandel durchmachen, etwa der Agrar- und ein Viertel zu, insgesamt wurden 1,24 Millionen Lebensmittelbranche, von entscheidender Bedeu- Tonnen gemessen in Milchäquivalenten in diese tung. Schrittweise Reformen der Gemeinsamen Region exportiert.38 Diese Exporte bringen afrikani- Agrarpolitik haben es der Branche ermöglicht, sche Milchbäuerinnen und -bauern in Existenznöte. sich stärker am Markt zu orientieren, international In Burkina Faso etwa können europäische Fir- wettbewerbsfähig zu werden und auf neue Markt- men Milchpulver zu einem weit niedrigeren Peis chancen zu reagieren.“ 34 Genau diesen Struktur- vertreiben, als heimische ErzeugerInnen ihre Milch wandel macht der Milchsektor zurzeit durch, aber produzieren können. Insbesondere die Frauen von auf Kosten der Preise für die ErzeugerInnen. Sie Pastoralisten (nomadisch lebende Viehhirten) sind bezahlen mit der Abschaffung der Milchquote die jedoch auf den Milchverkauf als Einnahmequelle sogenannte „Wettbewerbsfähigkeit“ auf dem Welt- angewiesen. Durch die Konkurrenz mit europäi- markt. Während in Deutschland die Produktions- schem Milchpulver verlieren die Vierhirtinnen und kosten im Schnitt rund 45 Cent/kg Milch betragen, Viehhirten ihre Existenzgrundlage. Hinzu kommt, liegt der Auszahlungspreis zum Teil bei 26 Cent. dass europäische Molkereien wie Danone aus Frankreich und Arla aus Dänemark auch in af- rikanischen Ländern regionale Unternehmen im Exportorientierung der europäischen Milchsektor aufkaufen. Die Molkereien verarbei- Agrarpolitik auf Kosten der Bauern ten das billige Milchpulver und überschwemmen in Entwicklungsländern damit die nationalen Märkte. Lokale Kleinstmolke- Die europäische und deutsche Agrarpolitik setzen reien, die eng mit den heimischen ErzeugerInnen insbesondere im Bereich der wertschöpfungsinten- zusammenarbeiten, deren Milch weiterverarbei- siven sogenannten Veredelung (Umwandlung von ten und vermarkten, haben das Nachsehen. Ihre pflanzlichen Produkten in höherwertige Tierpro- Vermarktungsstrukturen werden durch die Billig- dukte wie Fleisch und Milch) auf eine Ausweitung konkurrenz verdrängt. Jungen Menschen fehlt es der Produktion und eine immer stärkere Exportori- an beruflichen Perspektiven und sie sehen zum entierung. In vielen Bereichen kommt es zu einer Teil keine Zukunft mehr in ihrem Land.39 Pointiert 34 Europäische Kommission (2015): Handel für alle – Hin zu einer verantwortungsbewussteren Handels- und Investitions- politik. http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2015/october/tradoc_153880.PDF. 35 Statistisches Bundesamt (2015): Fleischerzeugung im Jahr 2015 mit neuem Rekordwert. https://www.destatis.de/DE/ ZahlenFakten/Wirtschaftsbereiche/LandForstwirtschaftFischerei/TiereundtierischeErzeugung/AktuellSchlachtungen.html. 36 Siehe etwa Misereor (2011): Wer ernährt die Welt? Die europäische Agrarpolitik und Hunger in der Welt. https:// www.misereor.de/suche/suche/?id=63&L=0&q=Wer+ern%C3%A4hrt+die+Welt&x=8&y=-1.; AbL (2013): System billiges Schweinefleisch. Folgen der europäischen Exportorientierung für bäuerliche Strukturen in Europa und Bedeutung für Entwicklungsländer. http://www.abl-ev.de/themen/fairer-welthandel/materialien.html. 37 Reichert, Tobias, Leimbach, Johannes (2015): Billiges Milchpulver für die Welt: Das Auslaufen der EU-Milchquote und die Milcherzeugung und -exporte in Deutschland und der Welt. https://germanwatch.org/de/download/13255.pdf. 38 Reichert, Tobias, Leimbach, Johannes (2015), s. o. https://germanwatch.org/de/download/13255.pdf. 14
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