Wenn Bilder meine Sprache wären

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„ … wenn Bilder
   meine Sprache
wären … “
mediale Darstellung
 muslimischen Lebens
           im Diskurs
inhalt

Vorwort		                                  4

Einleitung und Projektidee                 6

Projektidee                                8

Islambilder in der Öffentlichkeit         10

Islambilder in den Medien                 14

Eindrücke aus den Workshops               18

Abschließende Forderungen                 23

Glossar

          Sprache und begriffe            28

          Dichotomien                     34

          Bilder                          38

          Alarmismus, Themenvermischung   42
          und Expert*innen

Literaturverzeichnis		                    50

Impressum                                 51
4		                                                                           vorwort

                              Liebe Leserin, lieber Leser,
als unsere Jugendorganisation Young Voice TGD (www.youngvoicetgd.de) im Oktober
2012 den Bundeskongress Mygrantulations veranstaltete, entstand auch die Idee zu dem
Projekt, „WENN BILDER MEINE SPRACHE WÄREN …“, das im Folgenden durch die-
se Broschüre vorgestellt werden soll.

An dem Event von Young Voice TGD nahmen mehr als 220 Jugendliche mit und ohne
Migrationshintergrund und mit ganz unterschiedlichen religiösen wie weltanschaulichen
Ansichten aus dem ganzen Bundesgebiet teil. Eines der dominanten Themen war dabei
immer wieder die als unrealistisch und diskriminierend empfundene mediale Darstellung
der muslimischen Lebensrealitäten und Alltagswelten in Deutschland. In den abschlie-
ßenden Empfehlungen der Veranstaltung formulierten die Jugendlichen den Wunsch, ak-
tiv gegen mediale Pauschalisierungen und Diskriminierungen vorgehen zu wollen.

Diesen Auftrag nahmen wir als Türkische Gemeinde in Deutschland (TGD) ernst und
entwickelten ein Konzept, das einerseits den berechtigten Kritikpunkten der Jugend-
lichen Gehör verschaffen und andererseits zu einem wechselseitigen Austausch über
Befindlichkeiten und Alltagsrealitäten zwischen Jugendlichen und Journalist*innen füh-
ren sollte. Dafür wurden Workshops in insgesamt sechs deutschen Städten veranstaltet,
die eine vertrauensvolle Atmosphäre für möglichst offene Diskussionen bot.

Für die Türkische Gemeinde in Deutschland sind Muslimfeindlichkeit und Rassismus
keine abstrakten Phänomene, sondern sie betreffen uns jeden Tag. Gleichzeitig wissen
wir, dass gesellschaftliche Polarisierungen, Vorurteile und Ängste in erster Linie aus
Unwissenheit und Unkenntnis über den vermeintlich „Anderen“ entstehen. Daher sehen
wir es seit jeher als unseren Auftrag, einen Beitrag für ein gesellschaftliches Miteinander
der Toleranz und Gleichberechtigung zu leisten.

Wir sind froh, dass sich einmal mehr innerhalb der Workshops gezeigt hat, dass alte und
unhinterfragte Sichtweisen und unterbewusste Feindbildschemata aufgebrochen werden
können.

In diesem Sinne hoffen wir, dass wir durch diese Broschüre auch weitere Menschen für
die Wichtigkeit einer differenzierten sowie kultur- und religionssensiblen Sprache emp-
fänglich machen können. Das Glossar, das sich am Ende dieser Broschüre befindet und
aus den Forderungen und Vorschlägen der jungen Teilnehmer*innen aus den Workshops
stammt, wird dafür sicherlich einen wichtigen Beitrag leisten können …

                              Gökay Sofuoğlu
             Bundesvorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland
6                                                                      Einleitung und Projektidee                     Einleitung und Projektidee                                                           7

                                                                                                                      spielsweise Bundesjustizminister Heiko       Vor diesem Hintergrund ist der öffent­
                                                                                                                      Maas (SPD) mit ernster Miene vor einem       liche Aufschrei gegen die sogenannte
              „Die Scharia-Polizei war doch nur                                                                       „Angriff auf unser freies Lebensmodell“      „Scharia-Polizei“ zunächst einmal zwar
                                                                                                                      >  zitiert  nach: reuters.de. Der Vorsitzendeals gut gemeinte wehret den Anfängen-
                  ein gefundenes Fressen“                                                                              des Bundestagsinnenausschusses, Wolf­       Positionierung von Vertreter*innen aus
                                         > Jedem Abschnitt dieser Broschüre ist ein                                   gang Bosbach (CDU), forderte ein hartes      Medien und Politik gegenüber offen­
                             ausgewähltes Zitat vorangestellt. Diese Zitate stammen ausnahmslos                       Vorgehen und ließ sich mit den Worten        sichtlichen Gegnern der Demokratie zu
                                  von den jugendlichen Teilnehmer*innen der Workshops.
                                                                                                                      zitieren, dass so etwas „(…) ein demokra­    verstehen und zu begrüßen. Allerdings
                                                                                                                      tischer Rechtsstaat nicht tatenlos hinneh­   scheint der schrille und alarmierende Ton
                                                                                                                      men [kann]“ > zitiert nach pnp.de. Sogar      der Debatten wohl nicht losgelöst von
                                                                                                                       die Kanzlerin sah sich veranlasst, noch     größeren gesellschaftlichen (Überfrem­
    Stoppt die                                                 Islamisten in                                          einmal eindrücklich an das Gewaltmono­        dungs-) Ängsten verstanden wer­den zu
    Scharia-Polizei!                                           Wuppertal                                              pol des Staates zu erinnern > rp-online.de.  können. Sorgen vor gesellschaftlichen
                                                               „Scharia wird                                                                                       Transformationsprozessen­­ im Zuge einer
    > Bild.de 06.09.2014                                       auf deutschem                                                      Doch was war                     zunehmenden Präsenz und Institutiona­
                                                               Boden nicht                                                    eigentlich geschehen?                lisierung des Islam in Deutschland sind
                                                               geduldet“
                                                                                                                      Objektiv betrachtet eigentlich nicht viel: weit verbreitet – Parolen wie „­ Deutschland
    Eine „Scharia-Polizei“                                                                                            Ein paar junge Männer, von denen einige schafft sich ab“, „schleichende Islamisie­
    macht Wuppertal unsicher                                   > FAZ-online                            Stoppt die
                                                                05.09.2014                                            lange Bärte und kurze Hosen trugen, zo­ rung Europas“ oder „Keine Toleranz der
                                                                                                       Hysterie
                                                                                                       um die         gen sich orangene Warnwesten an, auf die Intoleranz“ liefern hier nur einige der pro­
    > rp-online.de 15.09.2014                                                                                         sie zuvor die Worte „Shariah Police“ ge­ minentesten Schlagworte.
                                                                                                       Scharia-
                                                                                                       Polizei!       klebt hatten. So ausgestattet geisterten sie
                                                                                                                      durch die Wuppertaler Innenstadt, um Trotz, oder gerade aufgrund der weit ver­
             Polizei enttarnt                                                                          > welt.de      junge Männer (die sie für Muslime hiel­ breiteten Skepsis gegenüber „dem“ Islam
             „Scharia-                                                                                   06.09.2014
                                                                                                                      ten) vor Casinos und Diskotheken (die sie bedarf es einer kritischen Analyse der
             Ordnungsamt“
             als Teil einer Satire                                                                                    als ungeeignete Orte für Muslime hielten) Medienberichterstattung in Bezug auf die
                                                                    Wuppertal:
                                                                    Rechtsextreme                                     anzusprechen und sie in ihre Moschee unsägliche „Scharia-Polizei“:
            > rp-online.de 15.09.2014                               laufen Streife                                    einzuladen.                                       Stand das Ausmaß des Medienauf­
                                                                    in einheitlichen                                                                               schreis in einem sachgerechten Verhältnis
                                                                    T-Shirts                                                 Und nur deswegen also                 mit der tatsächlichen Bedrohung durch
    Polizei warnt                                                                                                                der ganze Trubel?                  die selbsternannten „Tugendwächter“?
    Wo in Deutschland                                               > Spiegel-online 09.09.2014                       Nicht ganz, denn beim augenscheinli­              Ist man nicht kollektiv einer gut ge­
    die „Scharia-                                                                                                     chen Initiator der Gruppe handelte es planten PR-Aktion fragwürdiger Couleur
    Polizei“                                                                                                          sich um alles andere als ein „unbeschrie­ aufgesessen, der man letztendlich erst
    marschiert                                                             „Mit allen Mittel vorgehen“                benes Blatt“ – handelte es sich doch um zum Erfolg verholfen hat?
                                                                           NRW-Minister verbietet der                 Sven Lau, einen als salafistisch eingestuf­        Inwieweit provoziert ein derartiges
    > Welt-online 05.09.14                                                 „Scharia-Polizei“ die Westen
                                                                                                                      ten jungen Mann, der sich bereits in der Medienecho nicht sogar erst Nachah­
                                                                           > Focus-online 07.09.2014
                                                                                                                      Vergangenheit im kritischen Fokus der mungseffekte?
                                                                                                                      Medien, der Sicherheitsbehörden und Jus­         Wie hilfreich sind derartige Bericht­
Der Medienaufschrei war groß in den Ta­                         sein Unwesen trieb und womöglich bald                 tiz befand. Gleichzeitig wird ihm durch erstattungen für die notwendige gesamt­
gen nach dem 04. September 2014. Von                            schon, seinen Schrecken in anderen Tei­               seine starke Präsenz in den sozialen Medi­ gesellschaftliche Auseinandersetzung mit
der TAZ bis zur FAZ berichteten bun­                            len Deutschlands verbreiten könnte. Auch              en ein beträchtliches Mobi­lisierungs- und dem höchst komplexen Phänomen des
desweit Zeitungen aufgebracht über ein                          Politiker*innen brachten sich parteiüber­             Rekrutierungspotential auf junge Men­ Salafismus in einer dem Selbstverständnis
neues Schreckgespenst, das in Wuppertal                         greifend in die Debatte ein: So warnte bei­           schen zugesprochen.                          nach pluralistischen Gesellschaft?
8                                                                     Projektidee         Projektidee                                                                            9

                                                                                          die Jugendlichen sowie die eingeladenen        Diese Forderungen sind zwar nicht als ab­
                                                                                          Journalist*innen in vertrauensfördernder       schließend zu verstehen, bildeten jedoch
                                                                                          Atmosphäre und möglichst unkompliziert         die Schwerpunkte der Kritik der jungen
                                                                                          diskutieren konnten > mehr zur Konzepti-       Workshopteilnehmer*innen.
                                                                                          on der Workshops auf Seite 18). Diese mit­
                                                                                          unter hitzigen aber oft sehr differenzierten   Den letzten Abschnitt dieser Broschüre
                                                                                          Diskussionen zwischen den Jugendlichen         bildet ein Glossar, indem insbesondere die
                                                                                          und erfahrenen Journalist*innen sollen         Forderung nach einer kultur- und religi­
                                                                                          durch diese Broschüre dokumentiert und         onssensiblen Sprache aufgenommen wird.
                                                                                          verbreitet werden.                             Anhand konkreter Medien-Beispiele aus
                                 Projektidee                                                                                             den Workshops (Zeitungsartikel, Doku­
                                                                                          Zur besseren Einordnung der inhaltlichen       mentationen, Reportagen, etc.) sollen die
                                                                                          Diskussionen wird eine allgemeine Be­          Kritikpunkte sowie die von den Jugend­
                                                                                          standsaufnahme der sich wechselseitig          lichen ausgemachten Ungereimtheiten
                                                                                          beeinflussenden gesellschaftlich veran­         dargestellt werden. Auch dieses Glossar
                                                                                          kerten und medial verbreiteten Islambil­       ist keinesfalls abschließend oder voll­
                                                                                          der vorangestellt. Dies soll gleichzeitig      ständig – vielmehr soll es dazu dienen, in
                                                                                          dazu dienen, die immense Relevanz ein­         anschaulicher und schnell verständlicher
                                                                                          er verantwortungsvollen Medienberichter­       Weise verbreitete und hartnäckig wieder­
                                                                                          stattung über das äußerst vielfältige mus­     kehrende Problematiken in der medialen
                                                                                          limische Leben in Deutschland zu               Berichterstattung zum muslimischen Le­
                                                                                          ver­deutlichen.                                ben in Deutschland aufzulisten. Das Glos­
                                                                                                                                         sar wird außerdem mit Vorschlägen der
Derartige Fragen, die hier anhand des         mische Jugendliche ein Unwohlsein ge­       Danach werden die Perspektiven der Ju­         Jugendlichen ergänzt, wie die aufgeliste­
konkreten und medial stark beachteten         genüber der medialen Berichterstattung      gendlichen, die sich an diesem Projekt be­     ten Begriffe und Problematiken zukünftig
Vorfalls der sogenannten „Scharia-Polizei“    über Islam und muslimisches Leben in        teiligt haben, im Mittelpunkt stehen:          besser verwendet werden könnten.
aufgeworfen wurden, sind uns als Türki­       Deutschland, oder in der sogenannten is­
sche Gemeinde in Deutschland (TGD) in         lamischen Welt verspüren.                   Neben der Vorstellung der Workshops
unserer Arbeit mit Jugendlichen in un­                                                    sollen die inhaltlichen Diskussionen und
terschiedlicher Form auch immer wieder        Um den Jugendlichen eine Plattform für      Kritikpunkte der Jugendlichen vorgestellt
begegnet. Unter anderem durch ungenaue        ihre berechtigten Standpunkte zu geben,     werden. Während der Workshops wurden
oder polemisierende Sprache, durch allzu      entwickelte die TGD ein Konzept, das        von den Jugendlichen kritikwürdige As­
starke Verkürzungen oder Pauschalisie­        einerseits den Forderungen der Jugendli­    pekte und Motive erwähnt, die auf unter­
rungen sowie durch das Ignorieren histo­      chen Gehör verschaffen sollte, sie ande­    schiedlichen Ebenen und zu unterschied­
rischer, sozialer oder politischer Kontexte   rerseits aber auch mit der Heterogenität    lichen Thematiken vorkamen. Aus diesen
(re-)produzieren viele Medienschaffende       der deutschen Medienlandschaft vertraut     Diskussionen konnten insbesondere fünf
 dabei häufig bekannte Vorurteile gegen        machen und für den redaktionellen Alltag    Forderungen abgeleitet werden
„den“ Islam und „die“ Muslime. Manch­         vieler Medienschaffenden sensibilisieren
mal geschieht dies offensichtlich, manch­     sollte. Leitend war dabei der Gedanke des    1. Den Arbeitsalltag von Medienschaf-
mal aber auch subtil und in vielen Fällen     Austauschs und des (Kennen-)Lernens.         fenden ernst nehmen 2. Strukturelle
wohl nicht einmal bewusst.                                                                 Benachteiligung auf heben 3. Unhin-
                                        In verschiedenen Workshops in insge­               terfragte Sichtweisen hinterfragen
Daher scheint es nicht verwunderlich, samt sechs deutschen Städten wurde ein               4. Normalisierung erreichen 5. Auf die
dass viele muslimische wie nicht-musli­ geschützter Raum geschaffen, in dem                Sprache achten.
10                                        Islambilder in der Öffentlichkeit                  Islambilder in der Öffentlichkeit                                                 11

                                                                                                              der Deutschen sehen den
                                                                                                              Islam als Bedrohung
                                                                                                              > Bertelsmann Stiftung 2013: S. 3
                                                                                                51%
                                                                                                                                         der Deutschen sehen den
                                                                                                                                         Islam nicht als Teil von
                                                                                                                                         Deutschland
             „Häufig hören wir:                                                                                     52 %                  > Forsa-Umfrage für die
                                                                                                                                          Zeitschrift „Stern“ 2014
     Was? Du bist Türkin? Oder, du bist
  Muslimin? Aber du bist doch ganz anders …
                                                                                                                                      beim Stichwort Islam denken:
           Das nervt total!“                                                                                                                     > Pollack et al 2014: S. 21
                                                                                                     an die Benachteiligung der Frau
                                                                                              80 %
                                                                                                     		an Fanatismus
                                                                                                           70 %
                                                                                                     				an Gewaltbereitschaft
                                                                                                                            60 %

                                                                                                                                                    Immer weniger Men-
Diese und viele weitere statistische Schlag­   präsentative Studie zur religiösen Vielfalt                    wollen gleiche                        schen in Deutschland
lichter zeigen ein Stimmungsbild der           in Europa darstellt. Ein weiteres wenig                        Rechte für alle                       wollen mit Muslimen
 deutschen Bevölkerung, das auf verschie­      schmeichelhaftes Ergebnis dieser Studie
                                                                                                              Religionen                            zusammenwohnen
 denen Ebenen besorgniserregend ist. So
ist zur Einordnung dieser Zahlen zunächst
                                               ist, dass 70% der befragten Personen in
                                               Deutschland die steigende Anzahl von            50 %           > Pollack et al 2014: S. 28
                                                                                                                                                    > Heitmeyer 2011: S. 20

einmal der Umstand bemerkenswert, dass         Muslim*innen als Ursache für Konflikte
im Vergleich zu anderen westeuropäi­           betrachten und damit eine reziproke Ver­
schen Bevölkerungen, in Deutschland ein        antwortung von sich zu weisen scheinen >
weitaus größerer Teil, weitaus skeptischer     Pollack et al. 2014: S.32.
                                                                                                                                   der Deutschen haben Angst,
in Bezug auf „fremde“ Religionen ist.
Diese Intoleranz bezieht sich dabei nicht       Das Bild, welches die nicht-muslimi-                                               ob unter den Muslimen in
                                                                                                                                   Deutschland nicht auch viele
                                                                                                            66 %
lediglich auf den Islam, sondern auch auf       sche Mehrheitsgesellschaft über den
andere nicht-christliche Religionen. Zu         Islam hat, ist alles andere als posi-                                              Terroristen sind
 diesem Befund kam jedenfalls die Studie        tiv. Verschiedene Studien haben diese                                              > Pollack et al 2014: S. 32
„Grenzen der Toleranz“ > Pollack et al.         Wahrnehmung immer wieder empi-
2014, die immerhin die bislang größte re­       risch bestätigt.
12                                        Islambilder in der Öffentlichkeit                  Islambilder in der Öffentlichkeit                                                      13

In Bezug auf die Wirkungsweisen stereo­        Misstrauen gegenüber der Wissenschaft         menschenfeindliche) Einstellungsmuster        Vorurteile. Kurz gesagt: Sie tragen ent­
typer Herabwürdigung von Muslim*innen          führten, als dass sie in der Lage wären,      auf > vgl. ebd. S. 25. Besonders auffällig    scheidend zur öffentlichen Meinungsbil­
in Deutschland stellt der renommierte          die gesellschaftlichen Stimmungsbilder        daran ist die Tatsache, dass Menschen,        dung bei.
Historiker und Antisemitismusforscher          zu verändern > Foroutan 2012: S. 55.          die besonders geringe oder überhaupt kei­
Wolfgang Benz fest, dass es sich bei vie­                                                    ne Berührungspunkte mit muslimischen          Inwieweit „die“ Medien dieser enormen
len der gängigen Vorurteile lediglich um       Vorurteile und Abwertungsrhetoriken stie­     Bürger*innen haben, die stärksten anti­       Verantwortung auch in der Darstellung
Neuauf lagen bekannter antisemitischer         ßen immer schon hauptsächlich aufgrund        muslimischen Ressentiments aufweisen >        muslimischen Lebens in Deutschland
Stereotype aus anderen, scheinbar längst       empfundener Existenz- oder Bedrohungs­        vgl. Foroutan 2012: S. 22.                    gerecht werden, ist Bestandteil einer kon­
vergangenen Zeiten handele. So wie es          ängste von Mitgliedern der Mehrheits­                                                       troversen Debatte. Ohne in plumpe Pau­
 dem Antisemitismus nicht um wirkliche         gesellschaft auf Zustimmung– eigneten         In diesem Sinne scheinen die gesellschaft­    schalisierungen zu verfallen, die struktu­
Menschen jüdischen Glaubens gehe, son­         sie sich doch dafür, das eigene Selbstbe­     lich verankerten Islambilder in erster Li­    rellen Realitäten von Journalist*innen zu
 dern lediglich um ein konstruiertes Bild      wusstsein zu heben und gesellschaftliche      nie weniger über die hierzulande lebenden     ignorieren oder bestehende Problemlagen
„des“ Juden, so gehe es auch in Bezug          Problemlagen nicht bei sich selbst suchen     muslimischen Bürger*innen auszusagen          einfach auszublenden, scheint eine diffe­
auf Islamfeindschaft vorwiegend um ab­         zu müssen > vgl. Benz 2012: S. 29 – 31. Die   als über Tendenzen einer mangelnden           renzierte Erörterung der medial konstru­
strakte Ängste vor Veränderungen als um        These, dass vor allem sozioökonomische        Aufnahmebereitschaft seitens großer Tei­      ierten Islambilder sowie eine breite gesell­
eine konkrete Bedrohung. Parolen, die          (Abstiegs-)Ängste Triebfeder für abwer­       le der nicht-muslimischen Mehrheitsge­        schaftliche Debatte darüber von enormer
 die notwendige Differenzierungen und          tende Einstellungen gegenüber Minder­         sellschaft.                                   Bedeutung. Sind es doch diese Islambil­
Kontextualisierungen als Verharmlosung         heiten sind, deckt sich mit den Befunden,                                                   der, die die gesellschaftliche Wahrneh­
herabwürdigen, müssen daher als das            die Wilhelm Heitmeyer in seiner zehnjäh­      Als erste gleichstellungspolitische Reakti­   mung von Islam und Muslim*innen in
betrachtet werden was sie sind: nämlich        rigen Langzeitstudie „Deutsche Zustände“      on auf diese Befunde wäre es an der Zeit,     Deutschland konstituieren und somit eine
pauschalisierende und verunglimpfende          präsentiert. So weist er insbesondere seit    den Mut aufzubringen und die Perspek­         entscheidende kontextuelle Grundlage
Ressentiments gegenüber einer religiösen       dem Beginn der Finanz- und Wirtschafts­       tive einmal umzudrehen: Anstatt immer         bilden, auf der die diversen Diskurse mit
Minderheit. Auch die Juden, vor denen in       krise im Jahr 2008 einen starken Anstieg      wieder einseitig die muslimischen Com­        und über muslimische Bürger*innen in
 der hasserfüllten Rhetorik des National­      von Einstellungsmustern gruppenbezo­          munities in die „integrationspolitische“      Deutschland geführt werden.
sozialismus gewarnt worden war, haben          genen Menschenfeindlichkeit (worunter         Pflicht zu nehmen, scheint es angebrach­
nie existiert. Dennoch haben Millionen         auch Islamfeindlichkeit subsumiert wird)      ter, die alltäglichen Formen von instituti­
Deutsche an sie geglaubt. Damals wie           auch bei Angehörigen höherer Einkom­          onellen und gesellschaftlichen Rassismus
heute spielen empirische Fakten für die        mensschichten nach > ebd. S. 25. Er führt     anzupacken und das anzuerkennen, was
Kreierung von Feindbildern kaum eine           dies vor allem auf die wirtschaftlichen       sie sind: nämlich konkrete Hindernisse
Rolle. Ausschlaggebend ist nach wie vor        Unsicherheiten zurück, von denen sich         für ein unbeschwertes Zusammenleben.
vielmehr die Konstruktion eines Feindbil­      nunmehr auch die breitere Mittelschicht       Dazu gehört es auch, sich die Wirkungs­
 des, welches schlicht zur Wahrheit erklärt    bedroht fühlte. Mittlerweile sind nega­       weisen der Medien in der (Re-)Produkti­
und kaum mehr hinterfragt werde > vgl.         tive Islambilder und Assoziationen auf        on von gesellschaftlichen Stimmungen zu
Benz 2012: S. 13 – 14, 27, siehe auch Schif-   hohem Niveau in allen gesellschaftlichen      vergegenwärtigen. Dem Selbstverständnis
fer / Wagner 2009: S. 25 – 33. Naika Fo­       Schichten vertreten und lassen sich auch      nach kommt den Medien als „vierte Ge­
routan, Sozialwissenschaftlerin und Lei­       nicht mehr eindeutig einem bestimmten         walt“ ein verantwortungsvoller Part für
terin des Forschungsprojektes HEYMAT           politischen Lager zuordnen. So hat sich       ein demokratisches und friedliches Mitei­
(Hybride europäisch-muslimische Identi­        die Islamfeindlichkeit aus dem linken         nander in einer diversen Gesellschaft zu:
tätsmodelle) an der Humboldt Universität       politischen Lager über die Jahre kontinu­     Sie reizen Diskurse an, sensibilisieren für
zu Berlin, gibt in diesem Zusammenhang         ierlich dem Niveau des politisch rechts zu    Problemlagen, zwingen Politiker*innen
ebenfalls zu bedenken, dass verschiedene       verortendem Spektrums angenähert > ebd.       ungeliebte Themen auf und stehen sozia­
positive empirisch begründete Befunde          S. 20. Gleichwohl weisen vor allem ältere     len oder gesellschaftlichen Randgruppen
aus der Wissenschaft, die Integrations­        Personen ab 66 Jahren hohe islamfeind­        bei. Mitunter schüren sie aber auch Ängs­
fortschritte nachweisen, eher zu einem         liche (sowie allgemein gruppenbezogen-        te, polemisieren und perpetuieren gängige
14                                                  Islambilder in den Medien             Islambilder in den MEdien                                                             15

                                                                                          oder handeln können nur Menschen –             zierung für Medienschaffende in der Tat
                                                                                          und sie tun dies individuell verschieden       zwar nicht einfacher – aber dafür umso
                                                                                          und in unterschiedlichen Kontexten auf         wichtiger > vgl. Schiffer 2005.
        „Islam wird mit Gefahr gleichgesetzt                                              unterschiedliche Art und Weise. Umso er­
                                                                                          staunlicher ist es, dass „der“ Islam noch   Dort, wo die mediale Berichterstattung
             – das finde ich unmöglich!“                                                   immer allzu oft als monolithischer Block    sich auf rein religiöse Erklärungsmuster
                                                                                          und „die“ Muslime als homogene Masse        beschränkt oder Propaganda-Aktionen
                                                                                          dargestellt werden > vgl. v.a. die verschie-nicht als solche entlarvt, verkürzt sie nicht
                                                                                          denen Publikationen von Sabine Schiffer.    nur komplexe Realitäten, sondern repro­
                                                                                                                                      duziert auch undifferenzierte Stereotypen,
                                                                                          Zu diesem Ergebnis kommt auch Ma­ zu denen sich wiederum auch die hier­
                                                                                          ria Röder in ihrer inhaltsanalytischen zulande lebenden Muslim*innen verhal­
                                                                                          Auswertung der verbalen und bildlichen ten müssen. Und das, obwohl sie in den
                                                                                          Repräsentation muslimischer Frauen im meisten Fällen wohl genauso wenig damit
                                                                                          Nachrichtenmagazin Der Spiegel. Sie bi­ zu tun haben wir ihre nicht-muslimischen
                                                                                          lanziert, dass negative Stereotype in der Nachbarn.
                                                                                          Berichterstattung stabilisiert würden, in­
                                                                                          dem etwa die muslimische Frau in einer Auch am Beispiel der deutschen Debat­
                                                                                          Opferrolle als Normalfall, abweichende ten um „Integration(sprobleme)“ findet
                                                                                          Rollen lediglich als Ausnahmen dar­ häufig eine allzu einseitige Erklärung
                                                                                          gestellt werden. Außerdem würde Der vielschichtiger und in erster Linie unre­
                                                                                          Spiegel muslimische Frauen nicht nur als ligiöser Phänomene mit dem Islam statt.
                                                                                          scheinbar homogene, sondern durch die Beobachter sprechen daher schon von
                                                                                          Verwendung von Arabismen auch vorwie­ einer „Islamisierung der Integrations­
Zum Medienbild des Islam existiert be­       Die wiederkehrenden Kritikpunkte be­         gend als fremde Gruppe präsentieren > debatte“. In diesem Sinne wird „der Is­
reits eine Vielzahl an Studien, die trotz    ziehen sich besonders auf die weitgehen­     vgl. Röder 2007: S. 116 – 117.              lam“ zunehmend als Grund scheiternder
unterschiedlichen methodischen und dis­      de Ausblendung der enormen Diversität                                                    und Hindernis „erfolgreicher Integration“
ziplinären Herangehensweisen sowie mit       muslimischer Lebensformen sowohl im          Eine stark verkürzende und pauschali­ dargestellt: Was früher „die Ausländer“
abweichende Fragestellungen zu immer         Inland als auch im Ausland. Eigent­          sierende Sichtweise spiegelt sich auch in waren sind heute „die Muslime“. Dabei
wieder denselben Ergebnissen kommen:         lich müsste es sich von selbst verstehen:    der medialen Behandlung internationaler werden einzelne Beispiele von sogenann­
Die Darstellung des muslimischen Lebens      Eine Religion mit rund 1,5 Milliarden        Kriegs- und Krisenschauplätze in der is­ ten „Integrationsverweigerern“ mit fa­
in den deutschen Medien ist vorurteils­      Anhänger*innen, die in den unterschied­      lamischen Welt wider. Medienschaffende miliärer Migrationsgeschichte aus musli­
behaftet, defizit-orientiert und/oder stark   lichsten Ländern und Klimazonen leben,       portraitieren Konflikte oder Gewaltaus­ misch geprägten Ländern dargestellt und
pauschalisierend – Problematiken, die sich   verschiedene Sprachen sprechen und von       brüche oft als religiös begründete Phäno­ als exemplarisch für die gesamte Gruppe
durch alle Formate und durch die gesamte     äußerst heterogenen kulturellen, sozialen    mene. Dabei werden die komplexen sozia­ „der Muslime“ in Deutschland begriffen >
Spannbreite der Medienlandschaft ziehen.     und politischen Lebensbedingungen ge­        len, historischen und politischen Kontexte, Schneider /Fincke / Will 2013: S. 4. Soziale,
Von der thematischen Einseitigkeit, den      prägt sind, kann kein einheitliches Gebil­   in denen diese Situationen erst entstanden kulturelle, gesellschaftliche oder struktu­
sprachlichen Pauschalisierungen und eu­      de sein. Genauso einleuchtend müsste es      sind, mitunter vollkommen ausgeblen­ relle Gründe für mögliche „Integrations­
rozentristischen Ressentiments bis hin zur   daher erscheinen, dass jede kontextlose      det. Was bleibt ist die Erklärung mit der probleme“ finden dagegen in den wenigs­
Bebilderung oder musikalischen Unter­        Beschreibung „des“ Islam in den aller­       Religion. Der Umstand, dass sich viele ten Beiträgen Erwähnung.
malung der Beiträge scheint Medienkritik     meisten Fällen wohl ziemlich blass und       terroristische Anschläge oder propagan­
in diesem Zusammenhang bis heute auf         nichtssagend wirken müsste. „Der“ Is­        distischen Drohungen explizit mit dem Interessanterweise ist die defizit-orien­
allen Ebenen also mehr als angebracht zu     lam ist ebenso wenig ein Akteur, wie es      Rückgriff auf islamische Quellen zu legi­ tierte thematische Schwerpunktsetzung
sein.                                        irgendeine andere Religion ist. Agieren      timieren versuchen, macht eine Differen­ auch in den Berichterstattungen der öf­
16                                                   Islambilder in den Medien              Islambilder in den MEdien                      17

fentlich-rechtlichen Sendeanstalten belegt,   verankerten Muslimbilder in Deutschland       zu konfrontieren, scheinen ihr Übriges
die in Deutschland eine traditionell hohe     gesamtgesellschaftliche „Integrationspro­     zu tun. In diesem Sinne sollten sich vor
Glaubwürdigkeit genießen. Dies ergab          zesse“ erschweren würden > vgl. Forou-        allem auch Medienschaffende stets ihrer
eine Studie der Universität Erfurt aus        tan 2012: S. 55 ff.. Und in der Tat scheint   großen Verantwortung bewusst sein, die
dem Jahr 2007, in der 133 Sendungen und       es nicht überraschend, dass eine fort­        sie als wirkmächtige Akteure für das ge­
Einzelbeiträge von ARD und ZDF ana­           währende Negativ-Berichterstattung über       sellschaftliche Miteinander tragen.
lysiert worden sind. Als Ergebnis musste      den Islam bei einigen Teilen der nicht-
festgehalten werden, dass mehr als 80%        muslimischen Mehrheitsbevölkerung vor­        Die vorgestellten Überlegungen bezüg­
der Thematisierungen negativ konnotiert       herrschende Stereotype perpetuiert und        lich des medial vermittelten Islambildes
waren. Dabei wurde eine Themenver­            scheinbar immer wieder Bestätigung ver­       scheinen trotz der vielen Kritik absolut
engung wahrgenommen, die den Islam            leiht. Das kann die gesellschaftliche Po­     notwendig. Dennoch gibt es einen kon­
weit überwiegend im Zusammenhang              larisierung noch weiter verstärken und        kreten Lichtblick, der sich vor allem aus
mit internationalen Krisen, „Integrations­    Proteste von muslimischer wie nicht-mus­      der sogenannten Kontakthypothese speist,
pro­blematiken“, religiöser Intoleranz,       limischer Seite provozieren. In diesem        die immer wieder von den verschiedenen
Islamischem Fundamentalismus und Is­          Kontext müssen also auch Auswüchse,           Studien bestätigt worden ist. Kurz zu­
lamisierung sowie die Rolle der Frau zwi­     wie der unsägliche Zusammenschluss von        sammengefasst besagt sie, dass, je mehr
schen Unterdrückung und Rebellion dar­        Hooligans (HOGESA – Hooligans gegen           Kontakt zwischen Muslimen und Nicht-
stellte > Hafez 2007: S. 2. Positive oder     Salafisten) gesehen werden, die sich zum       Muslimen besteht, desto mehr Vorurteile
wenigstens neutrale Berichterstattung,        Auftrag gemacht haben, Deutschland ge­        abgebaut werden können und desto we­
die ein realistischeres Bild des muslimi­     gen Salafisten zu „verteidigen“. Die Ver­      niger sich islamfeindliche Ressentiments
schen Alltagslebens darstellten, machten      mutung liegt allerdings nahe, dass die        verfestigen > vgl. Heitmeyer 2011; Fo-
hingegen lediglich 19% der Beiträge aus.      Organisatoren dieses Zusammenschlus­          routan 2012; Schneider/Fincke/Will 2013;
> Hafez 2007: S. 1. Diese Tendenz setzte      ses lediglich bestehende gesellschaftliche    Pollack et al. 2014.
sich auch in der Auswahl der Bilder fort,     Ängste vor dem Salafismus instrumenta­
mit denen die Beiträge illustriert würden:    lisieren wollen. Dass sich die Aggressio­     Was für den gesamtgesellschaftlichen
Verhüllte Frauen, die Kaaba oder Schiiten,    nen auf salafistische Spielarten des Islam     Kontext zutrifft, gilt auch für den Be­
die sich selbst geißelten, seien dabei nur    beschränken und nicht auch auf sämtliche      reich der Medienschaffenden: Begegnung
drei der gängigsten und ständig wieder­       Muslim*innen (und als solche markierte        schafft wechselseitige Stereotype ab! Aus
kehrenden Motive. Kai Hafez, Professor        Menschen) abzielen, muss stark bezwei­        der Motivation heraus, eine Plattform ge­
für Kommunikationswissenschaft und            felt werden.                                  nau dafür zu liefern, ist letztlich auch das
Mitautor der Studie, veranschaulicht die                                                    hier vorgestellte Projekt geboren.
Aussagekraft dieser Darstellungen folgen­     Auf Seiten der Muslim*innen kann
dermaßen: „Das ist etwa so, als würde         eine empfundene Diskrepanz zwischen
man Berichte über die Europäer stets mit      der medialen Darstellung des Islam als
dem Stierkampf von Pamplona illustrie­        rückständig und bedrohlich mit der ei­
ren“ > zitiert nach Guschas 2009. Auch        genen positiven Erfahrungswelt zu ei­
wenn diese Studie bereits einige Jahre alt    nem Glaubwürdigkeitsproblem gegen­
ist, sind derartige Tendenzen noch immer      über „der Medien“ führen. Übereifrige
deutlich in der medialen Berichterstattung    Journalist*innen, die etwa undercover
über den Islam vorhanden > vgl. Schnei-       und ohne Genehmigung immer wie­
der / Fincke / Will 2013: S. 17 – 18, 24.     der in Moscheegemeinden verkehren
                                              oder sich mit Kamera und Mikrofon vor
Vor diesem Hintergrund kommt Naika            Moscheen stellen, um die überraschten
Foroutan zu der Einschätzung, dass die        Besucher*innen mit provokanten Fragen
18                                        Eindrücke aus den Workshops              Eindrücke aus den Workshops                                                     19

                                                                                   te, aber auch Bilder bzw. Botschaften undin sämtlichen Workshops immer wie­
                                                                                   vermeintliche Subtexte, die als diskrimi­ der hervorbrachten, bestand in dem
                                                                                   nierend oder stereotypisierend empfun­   Vorwurf, dass Medienschaffende nach
                                                                                   den wurden, konnten benannt und einer    wie vor häufig eine Trennung zwischen
                                                                                   gemeinschaftlichen Analyse unterzogen    Muslim*innen bzw. Migrant*innen und
                                                                                   werden. Im Austausch mit den anwesen­     der sogenannten deutschen Mehrheitsge­
                                                                                   den Journalist*innen wurde dann über     sellschaft errichten würden. Dabei fühlten
                                                                                   alternative Formen der Berichterstattung sich die Jugendlichen selbst als zugehörig
     „Es werden Assoziationsketten aufgebaut –                                     diskutiert.                              und selbstverständlichen Teil genau dieser
                                                                                                                            „Mehrheitsgesellschaft“. Viele Medien­
          Assoziationsketten der Angst!“                                            Leider ist es im begrenzten Rahmen      schaffende hätten dies jedoch (noch) nicht
                                                                                     dieser Dokumentation nicht möglich,    verstanden und würden in ihren Berichten
                                                                                     die Dynamik und Tiefe der Diskussio-   gewissermaßen an den Lebensrealitäten
                                                                                    nen zwischen den jungen Erwachsenen      der jungen Menschen „vorbeischreiben“.
                                                                                    und den Journalist*innen so zu er-      In diesem Sinne wurde auch immer wieder
                                                                                    fassen, wie sie es verdient hätten. Die kontrovers diskutiert, ob und inwieweit
                                                                                    folgenden inhaltlichen Ausführungen      die Nennung von ethni­schen, kulturellen
                                                                                    müssen sich daher auf die wesentlichen  oder religiösen Hinter­gründen für die je­
                                                                                    Argumentationslinien und die wieder-    weilige Aussage von Medienbei­trägen re­
                                                                                    kehrenden Kritikpunkte der Jugendli-    levant seien. Viele Jugendliche hatten den
                                                                                     chen beschränken.                      Eindruck, als sollten problematische Er­
                                                                                                                            scheinungsformen und Verhaltenswei­sen
        Teilnehmer*innen                        Idee der Workshops                 Einer der absoluten Hauptkritikpunkte, durch die Nennung dieser Attribute, ein­
         der Workshops                    Durch den Austausch sollte einerseits    den die jugendlichen Teilnehmer*innen seitig in die Migrant*innen-Com­munities
 An den Workshops nahmen insgesamt        eine Sensibilisierung der Medien-
 knapp 100 junge Erwachsene und zehn      schaffenden auf die Alltagsrealitäten
 erfahrene Medienschaffende teil. Als     der jungen Teilnehmer*innen erreicht
 Moderator gelang es der Türkischen       werden. Andererseits hatten auch die
 Gemeinde in Deutschland den freien       Journalist*innen die Möglichkeit, aus
 Journalisten Dr. Mehmet Ata gewin-       ihrem redaktionellen Alltag zu be-
 nen zu können.                           richten und die Freiheiten und Zwän-
                                          ge anzusprechen, die der Arbeit als
Im Rahmen des hier vorgestellten Pro­     Journalist*in inhärent sind. In diesem
jektes wurden Workshops in insgesamt      Sinne trug der Austausch also auch zu
sechs deutschen Städten organisiert und   einer Stärkung der allgemeinen Medi-
durchgeführt (Berlin, Hamburg, Han­       enkompetenz der jungen Erwachsenen
nover, Kiel, Stuttgart und Frankfurt      bei sowie zur Sensibilisierung von Me-
am Main). Dabei stand die Idee im Vor­    dienschaffenden auf die spezifischen
dergrund, einen möglichst geschützten     Perspektiven und Befindlichkeiten
Raum zu schaffen, in dem Jugendliche      junger Menschen zu diesem sensiblen
(muslimischem wie nicht-muslimischem      Thema.
Hintergrunds) in einem vertrauensvollen
und offenen Austausch mit erfahrenen Den größten Teil des Workshops nahm die
Journalist*innen treten können.         Arbeit an konkreten Beispielen ein. Wor­
20                                           Eindrücke aus den Workshops                Eindrücke aus den Workshops                                                         21

geschoben werden. Dies würde wiederum     hielten die Jugendlichen auch eine Täter­     wie „Schleierfrau“ zu einem unpersön­
zu einer weiteren Verfestigung von Vor­   beschreibung, die Formulierun­    gen wie     lichen Objekt degradieren. Die Meinun­
urteilen beitragen und das Signal senden, „südländisches Aussehen“ ent­     hält, für   gen, Absichten und Hintergründe dieser
dass „IHR nicht dazugehört“.              problematisch. Zugleich wurde deutlich,       Frauen würden kaum beachtet. Vielmehr
                                           dass sie sich selbst sehr unter­schiedlich   seien sie auf die bemitleidenswerte Rolle
Vor allem in Kiel entbrannte eine hitzige definieren. Die Palette reich­te dabei von    als Opfer festgeschrieben, dem es aus der
Diskussion, als eine junge Workshopteil­ „Mensch“, „Deutsche/r“, „Deutsch-Tür­          Unterdrückung zu helfen gelte.
nehmerin bemerkte, dass wenn eine deut­ kin“ /“Deutsch-Türke“ bis „Europäer*in“.
sche Mutter ihr Kind im Auto verdurs­                                                   Insbesondere in der Berichterstattung über
ten lässt, ihr ethnischer Hintergrund als Als weiterer wiederkehrender Kritikpunkt      muslimische Frauen kämen noch immer
Deutsche wohl nicht extra betont würde. der Jugendlichen wurde immer wieder             ausgemachte Kopftuch-Kritiker*innen
Die Jugendlichen wollten wissen, wie der eine als diffamierend empfundene Spra­         zu Wort, die aber als Islam-Expert*innen
anwesende Journalist einen Menschen che angebracht. Sie kritisierten, dass es           präsentiert würden. Konkret bezogen
mit familiärer Migrationsge­ schichte de­ bei der Verwendung polemischer Begriffe       sich die Jugendlichen aus Hannover zum
finiere. Dieser antwortete: „Ich beziehe wie „Burkafrau“ oder „Schleierfrau“, die       Beispiel auf Necla Kelek, Mina Ahadi
mich auf die Herkunft.“ Die Jugendlichen es tatsächlich noch immer vereinzelnd in       und Serap Çileli. Die Aussagen dieser
zeigten sich sehr unzu­frieden mit dieser Artikel deutscher Zeitungen schaffen, le­     Kritiker*innen würden distanzlos über­
Antwort. Ein Mensch, der in Deutsch­ diglich darum ginge, negative Emotionen            nommen, da ihnen gewissermaßen qua
land geboren wurde und dessen Eltern zu wecken. Anstatt Muslim*innen, die               Herkunft aus der Community besondere
eingewandert waren, ist aus ihrer Sicht ein Kopftuch tragen, als Individuen zu          Glaubwürdigkeit zugesprochen werde.          nen sollten. Eine Frage, die nicht im Kon­
kein/e Migrant*in. Dement­      sprechend betrachten, würde man sie mit Begriffen       Aussagen, dass sich etwa „Ehrenmorde“        sens beantwortet werden konnte, wobei
                                                                                        mit den „archaischen Stammesstrukturen“      Meinungsverschiedenheiten sowohl unter
                                                                                        im Islam begründeten, empfanden die Ju­      den Jugendlichen als auch unter den an­
                                                                                        gendlichen als sehr pauschalisierend, mo­    wesenden Journalist*innen zu vernehmen
                                                                                        nokausal und schlichtweg falsch. Ausge­      waren.
                                                                                        hend von tragischen Einzelfällen – so ein
                                                                                        Jugendlicher – werde behauptet, dass ein   Ein weiterer Kritikpunkt, der sich prak­
                                                                                        solches frauenverachtendes Denken die      tisch durch alle verschiedenen Workshops
                                                                                        Regel unter muslimischen Migrant*innen     zog, bestand in der verbreiteten Darstel­
                                                                                        sei. Zudem wunderten sich die Jugend­      lung des Islams als bedrohlich und ge­
                                                                                        lichen, dass bei Islamthemen oft sehr      fährlich. Eine muslimische Teilnehmerin
                                                                                        grundsätzliche Fragen aufgeworfen wür­     aus Stuttgart teilte mit, dass sogar sie als
                                                                                        den.                                       Muslimin wegen der rein negativen Be­
                                                                                                                                   richterstattung mitunter Vorbehalte gegen
                                                                                        In Berlin entbrannte eine ähnlich gela­ andere Muslime aufgrund reiner Äußer­
                                                                                        gerte Kontroverse. Konkret ging es um lichkeiten verspüren würde: „Selbst ich
                                                                                        den Schriftsteller Akif Pirinçci, der mit erschrecke manchmal, wenn ich einen
                                                                                        seinem polarisierenden und von Beob­ Mann mit einem langen Bart sehe.“
                                                                                        achtern als kulturrassistisch eingestuftem
                                                                                        Buch „Deutschland von Sinnen“ extrem Im Hamburger Workshop wurde eine als
                                                                                        erfolgreich war. Die Diskussion drehte „alarmistisch“ empfundene Berichterstat­
                                                                                        sich um die Frage, ob Medienschaffende tung thematisiert. Konkret ging es dabei
                                                                                        derartigen Personen eine Plattform liefern unter anderem um Zeitungsartikel, die
                                                                                        oder ihnen besser durch Ignoranz begeg­ über salafistische Erscheinungsformen an
22                                            Eindrücke aus den Workshops                 Abschließende Forderungen                                                           23

einigen Schulen der Hansestadt berichte­   schung von Themen aus, die sie immer
ten. Obwohl die Faktizität der Problemla­  wieder beobachteten. So würden vor al­
ge nicht beanstandet wurde, kritisierten   lem deutsche Salafisten häufig in unsach­
die Jugendlichen, dass deren Ausmaß erst   gemäßer Weise vermehrt mit der Terror­
gegen Ende der Artikel dargestellt wurde.  organisation Islamischer Staat pauschal
Damit würde den Leser*innen die Mög­       in Verbindung gebracht werden. Am Bei­
lichkeit erschwert, eine unvoreingenom­    spiel der Berichterstattung zu der Günther
mene Einordnung der eigentlichen Prob­     Jauch-Sendung vom 28. September 2014                     „Integration? Eigentlich sollte man
lemlage vorzunehmen. Häufig flüchteten       kritisierten, in diesem Fall die Frankfurter
sich die Autoren der analysierten Artikel  Jugendlichen, eine unlautere Assoziierung                    über Rassismus sprechen“
in allgemeine Formulierungen, gleichzei­   des eingeladenen Imams mit dem Islami­
tig wurde der Anschein erweckt, dass die   schen Staat, obwohl er diesen mehrfach
als salafistisch bezeichneten Personen ge­  und unmissverständlich in der Sendung
waltbereit seien, was allerdings wohl nichtverurteilt hatte. Die Jugendlichen stellten
den Tatsachen entsprach.                   die Frage, warum überhaupt ein Gast in
                                           eine Sendung eingeladen werde, wenn
Einige der Jugendlichen wiesen darauf man seinen Aussagen sowieso nicht trau­
hin, dass sogenannte Salafisten keinesfalls en würde – eine sachliche Debatte sei
immer gewaltbereit seien. Dennoch wür­ demnach von vornherein ausgeschlossen
 de genau dies in pauschalisierender Wei­ gewesen.                                             Normalisierung erreichen                 soll und muss über alle gesellschaftlich-
se in den meisten Medienberichten nahe                                                    Bei einer Normalisierung des Islambil­        relevanten Themen, vom islamisch be­
gelegt.                                    Aus den vielschichtigen Diskussionen in        des in den Medien soll es nicht darum         gründeten Terror, über problematische
                                           den Workshops entstanden immer wieder          gehen, den Islam zu hofieren oder zu           Aussagen einzelner islamischer Predi­
In der Analyse von Medienbeiträgen zur Forderungen, die sich meist auf ganz kon­          einem besseren Ansehen zu verhelfen.          ger bis hin zur Scharia-Polizei debattiert
sogenannten Scharia-Polizei beschrieben krete Einzelbeispiele bezogen. In der Ge­         Gleichwohl fragten sich die Jugendlichen      werden. Selbstzensuren oder die Angst
 die jungen Erwachsenen aus Stuttgart samtauswertung der Workshops ließ sich              in den Workshops immer wieder, warum          vor einem Damoklesschwert islamopho­
eine große Diskrepanz zwischen der tat­ aber erkennen, dass viele der spezifischen         sich ausschließlich auf eine rein negati­     ber Prägung unter Medienschaffenden
sächlichen Bedeutung der Gruppe und Einzelforderungen auf einer allgemeine­               ve Darstellung des Islam versteift werde.     wären einer demokratischen Begegnung
 der medialen Wahrnehmung. Die Jugend­ ren Ebene zum Teil sehr ähnlich waren.             Kritisch merkten sie an, dass der Islam,      dieser Problematiken abträglich und wür­
lichen bezweifelten, dass die sogenannte Im Folgenden wurde daher der Versuch             so wie er häufig von Medienschaffenden        den islamkritischen Stimmen wohl nur
Scharia-Polizei mit der Aktion erfolg­ unternommen, die Vielzahl an Kritik­               dargestellt wird, rein gar nichts mit ihrer   zusätzlichen Zuwachs bescheren. Um
reich gewesen sei, befürchteten aber, dass punkten, Appellen und Befindlichkeiten,         eigenen Erfahrungswelt als muslimische        gesellschaftlichen Polarisierungen entge­
 durch die zahlreichen Medienberichte die von den jungen Erwachsenen in den               wie nicht-muslimische junge Erwachse­         genzuwirken, sollte dennoch oder gerade
Nachahmer angestachelt werden könn­ Diskussionen der Workshops beschrieben                ne in Deutschland zu tun habe. In diesem      deswegen verstärkt auch die Normalitäten
ten. Auf die Teilnehmer*innen hätte die wurden, auf eine höhere Ebene zu heben            Sinne soll „Normalisierung“ vor allem         muslimischen Alltagslebens in Deutsch­
Aktion jedenfalls keinen Einfluss gehabt: und in grundsätzlichen Forderungen zu­           Aufforderung zur besseren Kontextua­          land in den Blick genommen werden.
„Ich würde solchen Leuten sagen, dass das sammenzufassen.                                 lisierung und zum Verzicht auf plumpe
mein Leben ist und sich niemand einmi­                                                    Pauschalisierungen verstanden werden.
schen darf “, sagte ein Jugendlicher. Ein                                                 Um die Ausblendung real existierender                Den Arbeitsalltag von
anderer ergänzte: „Die Jugendlichen hö­                                                   Konflikte oder kritikwürdiger Missstände               Medien​schaffenden
ren doch nicht mal auf ihre eigenen Freun­                                                in Bezug auf Muslim*innen in Deutsch­                   ernst nehmen
 de, warum sollten sie auf Fremde hören?“                                                 land darf es dabei jedoch selbstverständ­     Trotz aller bisher vorgestellter und mehr
Städteübergreifend sprachen sich die Ju­                                                  lich nicht gehen. In der gebotenen kontex­    als berechtigter Kritik gehört zu einer
gendlichen vehement gegen eine Vermi­                                                     tuellen Einbettung und Differenziertheit      redlichen Bewertung der Arbeitsweise
24                                            Abschließende Forderungen                   Abschließende Forderungen                                                          25

von Medienschaffenden auch, sich die        die Leser*innen auch gar nicht erst zum       Einzelfälle noch immer verwehrt. Dabei       dings unter ganz bestimmten Prämissen:
spezifischen Herausforderungen und           Nachdenken anregen zu wollen. Anstatt         wären gerade Berichte aus dem muslimi­       Während „der Islam“ als rückständig, ir­
Möglichkeiten ihrer Tätigkeit zu verge­     also dem Lesenden die Möglichkeit zu          schen Gemeindeleben von hoher Wich­          rational und kriegerisch dargestellt wird,
genwärtigen. Fakt ist zunächst einmal,      geben, sich eine eigene Meinung bilden        tigkeit, die nicht auf eine reine – wenn     habe „der Westen“ bereits eine höhere
dass es eine der Grundanforderungen         können, sind sie eher darauf bedacht, be­     auch gut gemeinte – Außendarstellung         als universelle Norm angesehene Ent­
des Journalismus ist, die Komplexität       stehende Urteile zu verfestigen und zu        angewiesen sind, sondern die Stimmun­        wicklungsstufe und stehe für Vernunft,
von Themen herunter zu brechen und in       bestätigen. Es lohnt sich also sowohl für     gen und Lebensrealitäten der Menschen        Freiheit und Frieden. Nach dieser Logik
ein leser*innen-freundliches und leicht     Konsument*innen als auch für Medien­          einfangen können.                            ist es leidglich fraglich, ob „der Islam“
verständliches Format umzuformen. In        schaffende, sich diese immanenten Um­                                                      überhaupt fähig sei, dieselbe kultivierte
diesem Prozess muss und soll es so­         stände ständig bewusst zu machen und sie      Auch im privatrechtlichen Bereich sind       und aufgeklärte Stufe, die das Christen­
gar zu Vereinfachungen kommen. Dies         in die (selbst-)kritische Bewertung media­    muslimische Medienschaffenden kaum           tum im Westen erklommen habe, jemals
ist kein Phänomen, welches sich auf die     ler Berichterstattung einzubeziehen.          vertreten. Noch immer existieren Re­         erreichen könne. Muslim*innen werden
spezifische Berichterstattung über den Is­                                                 daktionen, in denen Menschen mit Mi­         also zum Teil ganz unbewusst an einem
lam beschränkt. Gleichwohl bleibt es in        Strukturelle Benachteiligung               grationshintergrund, geschweige denn         christlich-auf klärerischen Raster gemes­
der Verantwortung von Medienschaffen­                   auf heben                         Muslim*innen, lediglich marginal oder        sen, das rundherum positiv konnotiert ist
den, sich der Wirkungen bewusst zu sein,    Empfundene Ängste, gesellschaftlich ver­      überhaupt nicht vertreten sind. Lediglich    und als normativer Richtschnur universel­
die unsachgemäße Pauschalisierungen mit     ankerte Stereotype oder weithin geteilte      zu den Themenbereichen „Migration“           le Gültigkeit zugesprochen wird. Dass es
sich bringen – insbesondere dann, wenn      „Wahrheiten“ sind ebenso wenig voraus­        und „Integration“ arbeiten überpropor­       sich dabei allerdings genauso um ein kon­
es um die Darstellung von Minderheiten      setzungslos gegeben wie die thematischen      tional viele Medienschaffende mit Mig­       struiertes Imaginär, wie bei „dem Islam“
geht. Auch der berüchtigte Zeitdruck, den   Schwerpunkte, die in den öffentlichen         rationshintergrund > Schneider/Fincke/       als sein Anderes handelt, wird schlechter­
die journalistische Arbeit ausmacht, be­    Diskursen verhandelt werden. Vielmehr         Will 2013: S. 25. In Bezug zur Darstellung   dings verschwiegen > zur Wahrnehmung
freit nicht von dieser Verantwortung.       entwickeln sie sich in spezifischen Macht­     islamspezifischer Berichte scheint dieser     des Islam siehe „Orientalismus“ von E.
                                            strukturen und spiegeln damit bestimm­        Umstand alleine jedoch noch nicht viel       Said; für den deutschen Kontext: Iman At-
Neben einem enormen Zeit- und Aktu­         te Machtverhältnisse wider. In diesem         auszusagen – lässt sich doch aus der Be­     tia. Wenn auch nicht notwendigerweise in
alitätsdruck, der gründliche Recherche­     Sinne ist auch die Repräsentation von         stimmung des Migrationshintergrundes         der beschriebenen Schärfe sind derartige
leistungen im täglichen Betrieb mitunter    Muslim*innen in Deutschland ohne die          oder der familiären Migrationsgeschichte     kulturalisierende und essentialisierende
unmöglich macht, sind „die Medien“ als      Beachtung der strukturellen Kontexte          kein Rückschluss auf die religiöse Identi­   Denkmuster gerade in der Begegnung
Kollektiv auch dem Diktat der Verkaufs­     kaum zu begreifen.                            tät der Person ziehen.                       mit dem Islam noch immer stark verbrei­
zahlen ausgesetzt. Mittlerweile hat die                                                                                                tet. Daher scheint es nicht verwunderlich,
abgegriffene Formel „only bad news are      Vor diesem Hintergrund ist es wichtig,            Unhinterfragte Sichtweisen               dass auch viele Journalist*innen trotz ei­
good news“ auch die öffentlich recht­       sich noch einmal zu vergegenwärtigen,                   hinterfragen                       nes auf klärerischen Anspruchs, orientali­
lichen Sendeanstalten erreicht, was im      dass Muslime meist lediglich Objekte der      An der öffentlichen Wahrnehmung des          sierende und eurozentrische Perspektiven
Allgemeinen zu einer negativ-orientierten   Berichterstattung sind und sich in ihrer      Islam ist jedoch noch ein viel grundle­      reproduzieren > Schneider/Fincke/Will
– bisweilen auch effekthascherischen und    religiösen Identität nur in seltenen Fällen   genderer Aspekt von Interesse, der zwar      2013: S. 10.
skandalisierenden – Berichterstattung       aktiv in die Meinungsbildung einbrin­         weit verbreitet – jedoch kaum thematisiert
führen kann. Selbstverständlich scheint     gen (können). Während Vertreter*innen         wird. So fällt auf, dass die öffentliche     Das Gebot ein realistischeres Bild des
eine einseitige Medienschelte hier nicht    anderer Religionsgemeinschaften in            Bewertung des Islam sich meist in Form       heterogenen muslimischen Lebens in
angebracht. Viele Leser*innen scheinen      Deutschland etwa feste Sitze in den Rund­     vermeintlicher Unterschiede zum „auf­        Deutschland zu zeichnen, scheint zudem
vordergründig gar nicht so sehr an reinen   funkräten einnehmen und sich somit be­        geklärten“ Westen äußert. In dieser Les­     aus reinem Selbstzweck sinnvoll zu sein,
Informationen und Fakten interessiert,      ratend in der Programmgestaltung sowie        art wird „der“ Islam gewissermaßen als       entspricht die verengende mediale Dar­
sondern erhoffen sich eine emotionale       thematischen Schwerpunktsetzung ein­          „Gegenstück“ zum aufgeklärten Westen         stellung der Muslim*innen auf „geschei­
Berührung oder kurzweilige Unterhal­        bringen können, bleibt den Muslim*innen       konzipiert. Auch hier werden heterogene      terte Integration“ doch immer weniger der
tung durch ihren Medienkonsum. Beson­       dies mit dem Verweis auf die fehlende in­     Komplexitäten als vermeintlich starre und    Wahrnehmung der Mehrheitsbevölkerung.
ders Boulevard-Medien scheinen daher        stitutionelle Anerkennung bis auf wenige      homogene Einheiten präsentiert – aller­      Im Gegensatz zum medial konstruierten
26                                            Abschließende Forderungen

Bild werden nämlich die persönlichen
Erfahrungen und das soziale Miteinander
von Muslimen und Nicht-Muslimen in
                                            stattung über den Islam in beiden Ländern
                                            von einer geringen Anzahl an Topoi domi­
                                            niert wird. Unabhängig des spezifischen
                                                                                         Glossar
Deutschland allgemein als gut funktionie­   Inhalts der einzelnen Nachrichten fördere
rend empfunden > Schneider/Fincke/Will      die Verwendung dieser Topoi einen Wie­
2013: S. 23.                                dererkennungseffekt, der zu einer intuiti­
                                            ven Akzeptanz dieser Nachrichten führe
      Auf die Sprache achten                > vgl. Wehrstein 2013: S. 286. Thematisch    Das folgende Glossar soll einen Überblick über die Aspekte, Kri-
Ausgrenzung, Abwertung und die (Re-) würde dabei die überwiegende Anzahl an              tikpunkte und Forderungen der jungen Teilnehmer*innen aus den
Produktion von Stereotypen fangen oft Topoi normativen Richtungsanweisungen
bei der Sprache an. Obwohl das alles an­ anhängen und Losungen ausgeben, wie             Workshops darstellen.
dere als eine neue oder gar spezifische mit „dem“ Islam umzugehen sein müsse
Erkenntnis ist, lohnt sich dennoch gerade > vgl. Wehrstein 2013: S. 281 – 286 .          Obwohl selbstverständlich kein Anspruch auf Repräsentativi-
auch in der Bewertung von Medienbeiträ­
gen zu Islam und Muslimen ein genauerer Zu einer ausgewogenen Auseinanderset­            tät oder gar Vollständigkeit erhoben werden kann, stellen die
Blick auf die verwendete Sprache. Neben zung mit medial vermittelten Islambil­           ausgesuchten Textbeispiele jedoch keinesfalls lediglich beliebige
der Verwendung bestimmter Wörter, die dern scheint daher ein kritischer Blick            Einzelfälle dar. Vielmehr handelt es sich um wiederkehrende
recht eindeutig eine emotionalisierende, auch auf der sprachlichen Ebene mehr als
abgrenzende oder mitunter auch explizit angebracht zu sein – bilden wiederkehren­        Motive in der Berichterstattung über Islam und Muslim*innen in
herabwürdigende Funktion erfüllen (sol­ de Topoi als argumentative Basis der ein­        Deutschland, die auch die Jugendlichen immer wieder und auf
len), können aber durch Hervorhebung zelnen Beiträge sowie emotionalisierende            unterschiedlichen Ebenen kritisierten. Auf Grundlage von un-
oder das Weglassen bestimmter Eigen­ und stigmatisierende Sprache wichtige
schaften richtungsweisende und zum Teil Bestandteile, die auch die gesellschaftli­       hinterfragten Deutungsmustern werden diese Motive oder Bilder
problematische Assoziationsketten auf­ chen Islam-Diskurse fortwährend kons­             unter anderem durch die Verwendung von unbedachter Sprache
gebaut werden. So können also Informa­ tituieren und eine diskursive Normalisie­         und unklaren Begrifflichkeiten verfestigt und reproduziert.
tionen zu einem Text verdichtet werden, rung mitunter schwierig gestalten.
der Bilder zeichnet, die unabhängig der                                                  In diesem Sinne möchte das Glossar zu einer neuen Diskussion
formalen Richtigkeit der Fakten, eine be­ Vor diesem Hintergrund soll das folgen­        einladen – eine Diskussion über die Bilder hinter den verbreiteten
stimmte Interpretation der beschriebenen de Glossar einen Beitrag leisten, einige        Islambildern.
Ereignisse nahelegen oder gar aufdrän­ der kontroversen sprachlichen wie bild­
gen. Bei einer kritischen Bewertung von lichen Darstellungsformen exemplarisch
Medientexten kommt es daher häufig auf zusammenzutragen. Gleichzeitig sollen              Dabei soll es also nicht einfach darum gehen, Begrifflichkeiten
die Botschaften an, die zwar nicht explizit die ausgewählten Beispiele zur Schaffung     zu erklären oder inhaltliche Fehler aufzudecken. Vielmehr soll
gemacht werden, aber dennoch „zwischen eines Problembewusstseins, zur Sensibili­
den Zeilen“ gesendet werden.                sierung darauf und zur möglichst breiten     das Glossar Fragen aufwerfen, Anregungen geben und sensibili-
                                            Diskussion darüber anregen – eine Dis­       sieren in Bezug auf die verwendeten sprachlichen und bildlichen
Zur Wirkungsweise und -macht impliziter kussion über dominante und persistente           Darstellungsformen sowie auf die kaum hinterfragten, aber stän-
Argumentationsmuster hat sich auf wis­ Begriff lichkeiten und Sichtweisen, deren
senschaftlicher Ebene insbesondere Da­ vermeintliche Eindeutigkeit bei genauerer         dig wiederkehrenden Deutungsmuster.
niela Wehrstein hervorgetan > Wehrstein Betrachtung zunehmend zweifelhaft er­
2013. In ihrer Dissertation untersucht sie scheint …                                     Denn es scheint, dass eine derartige Sensibilisierung nichts weni-
deutsche und französische Pressetexte
zum Thema Islam und kommt, stark ver­                                                    ger als die Voraussetzung für eine redliche und (selbst-)kritische
kürzt, zu dem Schluss, dass die Berichter­                                               Debatte ist…
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