Wer ernährt die Welt? - Studie

 
WEITER LESEN
Wer ernährt die Welt? - Studie
Studie

                                  Wer ernährt die Welt?
                                  Die europäische Agrarpolitik
                                  und Hunger in Entwicklungsländern

Studie_Agrarpolitik_dt_110628 1                                       29.06.11 12:46
Wer ernährt die Welt? - Studie
Wer ernährt die Welt? Die europäische Agrarpolitik und Hunger in Entwicklungsländern

                         Inhalt
                         Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

                         Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4

                         Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .           .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   5
                            Die Zahl der Hungernden steigt . . . . . . . . .              .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   5
                            Die Politik reagiert . . . . . . . . . . . . . . . .          .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .

                                                                                                                                                                                                                                                                   KNA Bild/MISEREOR
                                                                                                                                                                                                                                              6
                            Agrarpolitik und Armutsbekämpfung in China .                  .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   7
                            Die Weltmärkte werden instabiler . . . . . . .                .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   7
                            Reform der Europäischen Agrarpolitik . . . . .                .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   8

                                                                                                                                                                                                                                                                   F
                         1. Hunger in Afrika – Strukturelle und agrarpolitische Faktoren. . . . . . . .                                                   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   . 9
                            1.1 Vernachlässigte Landwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                                                .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   . 9
                            1.2 Die Rolle der Strukturanpassungsprogramme von IWF und Weltbank                                                            .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   . 11
                            1.3 Handelspolitik und subventionierte Agrarexporte . . . . . . . . . . .                                                     .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   . 12

                         2. Die Europäische Agrarpolitik die Rolle der EU als Exporteur von Lebensmitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

                         3. EU-Agrarexport nach den GAP Reformen: Weniger Mengen, steigende Werte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

                         4. Fazit und Forderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

                         Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30

                              Impressum
                              Herausgeber
                              Bischöfliches Hilfswerk MISEREOR e.V.
                              Mozartstraße 9, 52064 Aachen
                              Telefon (0241) 442 0, Telefax (0241) 442 1 88
                              www.misereor.de

                              Autor: Tobias Reichert, Germanwatch
                              (Exportbeispiele: Kerstin Lanje, Armin Paasch)

                              Mitarbeit: Hauke Brankamp

                              Redaktion: Kerstin Lanje, Armin Paasch, Silvia Cottin, MISEREOR

                              Grafische Gestaltung:
                              VISUELL, Werbung und Kommunikation, Aachen

                              Gedruckt auf RecySatin Recyclingpapier

                              Stand: Januar 2011

                                         Diese Publikation wurde mit Unterstützung der
                                         Europäischen Union hergestellt. Für den Inhalt
                                         ist allein der Herausgeber verantwortlich.
                                         Der Inhalt kann in keiner Weise als Standpunkt
                                         der Förderer angesehen werden.

                         2

Studie_Agrarpolitik_dt_110628 2                                                                                                                                                                                                                   29.06.11 12:46
Wer ernährt die Welt? - Studie
Vorwort

                          Vorwort
Foto: KNA-Bild/MISEREOR

                             Seit vielen Jahren setzt sich MISEREOR mit den Aus-       Mit der vorliegenden Broschüre möchte MISEREOR dazu
                          wirkungen der EU Agrar- und Handelspolitik auf Klein-        beitragen, die komplexen Zusammenhänge des Welt-
                          bauern in Afrika auseinander: Seit den 1980er Jahren         agrarhandels und deren Auswirkungen auf Entwicklungs-
                          haben subventionierte EU-Exporte von Getreide, Fleisch       länder verständlich zu machen und eine Orientierung
                          und Milchprodukten zu einem Verfall der Weltmarktpreise      dafür geben, wie eine EU-Agrarpolitik aussehen könnte,
                          und einer Verdrängung der afrikanischen Landwirtschaft       die die Interessen von kleinbäuerlichen Betrieben in den
                          maßgeblich beigetragen. Für Entwicklungsländer wurde         Südkontinenten und bäuerlichen Betrieben in Europa in
                          es dadurch billiger, Nahrungsmittel zu importieren als die   den Vordergrund stellt. MISEREOR hofft daher auf deut-
                          eigene Landwirtschaft zu fördern.                            liche Nachbesserungen bei der Reform im Sinne des Men-
                             Doch gilt diese Aussage noch? Ein großer Teil der         schenrechts auf Nahrung. Wichtig ist, dass die EU ihre
                          direkten Exportsubventionen wurde seit Anfang der 90er       Politik der Billigexporte beendet. Dazu müssen Exportsub-
                          Jahre deutlich reduziert. Zurzeit steht eine Reform der      ventionen sofort und bedingungslos abgeschafft werden.
                          Gemeinsamen Agrarpolitik der EU an und MISEREOR              Aber auch die Erzeugerpreise innerhalb der EU müssen
                          wollte wissen, wie diese Reform entwicklungspolitisch        angemessen sein, d.h. wieder steigen. Damit wäre auch
                          zu bewerten ist. Welche Rolle spielt die EU auf den          den deutschen Bauern gedient, die unter dem drastischen
                          Agrarmärkten heute? Gibt es statt den Exportsubventio-       Preisverfall stark gelitten haben.
                          nen andere Förderungen, welche die Konkurrenzfähigkeit
                          der EU auf dem Weltagrarmarkt stärken? Wie reagiert die
                          europäische Lebensmittelindustrie auf die sich veränderte
                          Nachfrage der städtischen Mittelschichten in Schwellen-
                          und Entwicklungsländer? Und wohin gehen die Exporte
                          und wie wirken sie dort?
                             Das Ergebnis der Recherche zeigt, dass die Agrarexpor-    Prof. Dr. Josef Sayer
                          te nach Westafrika seit 2000 sogar massiv angestiegen        Hauptgeschäftsführer MISEREOR
                          sind. Derzeit setzen europäische Exporteure zunehmend
                          auf verarbeitete Lebensmittel wie Mehl, Gebäck, Süß-
                          waren, Fertigsuppen oder frische Milchprodukte wie
                          Joghurt. Lokalen Produzenten im Süden werden damit
                          abermals Zukunftschancen verbaut. Um Armut wirksam
                          zu bekämpfen, brauchen Produzenten in Entwicklungs-
                          ländern Zugang zu kaufkräftigen Märkten im eigenen
                          Land, ohne dabei auf direkt oder indirekt geförderte Kon-
                          kurrenz aus der EU zu treffen.

                                                                                                                                               3

         Studie_Agrarpolitik_dt_110628 3                                                                                                            29.06.11 12:46
Wer ernährt die Welt? - Studie
Wer ernährt die Welt? Die europäische Agrarpolitik und Hunger in Entwicklungsländern

                         Zusammenfassung
                             In der Europäischen Union hat der Diskussionspro-                         Mit den seit den 1990er Jahren schrittweise durchgeführ-
                         zess darüber begonnen, wie die Gemeinsame Agrarpo-                            ten Reformen hat die EU ihre Exporte von Agrarrohstoffen
                         litik (GAP) ab dem Jahr 2014 ausgestaltet werden soll.                        verringert, spielt aber noch immer eine wichtige Rolle auf
                         Dies geschieht vor dem Hintergrund eines dramatischen                         den Weltmärkten. Die von der Produktion entkoppelten
                         Anstiegs der Zahl der Hungernden weltweit seit dem Jahr                       Direktzahlungen erlauben ein insgesamt niedrigeres Preis-
                         2008. In der vorliegenden Studie werden die Zusammen-                         niveau in der EU, da sie einen Teil der Produktionskosten
                         hänge zwischen der durch die GAP verursachten veränder-                       decken. Das verschafft der europäischen Lebensmittel-
                         ten Rolle der EU auf den Weltagrarmärkten und ländlicher                      industrie billigere Rohstoffe, die sie auch dazu nutzt, ver-
                         Entwicklung und Armutsbekämpfung vor allem in Afrika                          mehrt verarbeitete Produkte zu exportieren, ohne dabei
                         beleuchtet. Dabei wird deutlich, dass der Aufstieg der EU                     auf direkte Exportsubventionen zurückgreifen zu müssen.
                         zum Nettoexporteur wichtiger Grundnahrungsmittel ent-                         Als wichtigste neue Zielmärkte gelten dabei die städti-
                         scheidend zum Verfall der Weltmarktpreise beigetragen                         schen Mittelschichten in Schwellen- und Entwicklungs-
                         hat, der von den 1980er Jahren bis Anfang des Jahrtau-                        ländern. Damit droht allerdings eine direkte Konkurrenz
                         sends anhielt. Dies erleichterte es den Regierungen vieler                    zu der auch vom BMZ vertretenen Strategie, ländliche
                         afrikanischer Länder, kleinbäuerliche Landwirtschaft und                      Räume zu stärken, indem landwirtschaftliche Rohstoffe
                         Grundnahrungsmittelproduktion zu vernachlässigen und                          verarbeitet und national oder regional auf städtischen
                         zunehmend abhängiger von Importen zu werden.                                  Märkten abgesetzt werden.

                                                                                                                                                                                       /MISEREOR
                                                                                                                                                                                       M i
                                                                                                                                                                                       F

                         4

Studie_Agrarpolitik_dt_110628 4                                                                                                                                       29.06.11 12:46
Wer ernährt die Welt? - Studie
Einleitung

                          Einleitung
                          Die Zahl der Hungernden steigt
                                                                                         Grafik 1: Zahl der Unterernährten weltweit
                             Die Bekämpfung des Hungers ist seit Jahrzehnten The-
                          ma der internationalen Politik. An mehr oder weniger de-       Millionen
                          taillierten Zielvorgaben und Versprechungen herrscht kein      1050                                                                 2009
                          Mangel: Beim UN-Welternährungsgipfel 1995 verpflichte-
                                                                                         1000
                          ten sich die Staats- und Regierungschefs der Welt darauf,
                                                                                          950
                          die Zahl der Hungernden von damals etwa 820 Millionen                                                                                      2010
                                                                                                                                                       2008
                          Menschen bis 2015 zu halbieren. Bei der Definition der           900      1969-71
                                                                                                             1979-81           1990-92
                          Millennium-Entwicklungsziele 1999 wurde dieses Ziel             850                                                              2005-07
                          bereits abgeschwächt. Statt der Zahl der Hungernden             800
                                                                                                                                             2000-02
                          soll bis zum selben Zeitpunkt nur noch ihr Anteil an der                                                 1995-97
                                                                                          750
                          Gesamtbevölkerung halbiert werden. Wegen des Bevöl-
                          kerungswachstums wäre dieses Ziel auch erreicht, wenn               ·
                          2015 noch etwa 600 Millionen Menschen hungern. Fünf                 ·
                          Jahre bevor die Zielmarke erreicht werden soll, zeichnet           0
                          sich ab, dass auch dieses bereits abgeschwächte Ziel
                                                                                         Quelle: FAO 2010a
                          voraussichtlich nicht mehr erreicht wird. Im Gegenteil: In
                          Folge des drastischen Anstiegs der Weltmarktpreise für
                          Grundnahrungsmittel, vor allem Reis und Weizen in den
                          Jahren 2007 und 2008 und der Weltwirtschaftskrise 2009
                          war die Zahl der Hungernden sogar auf über eine Milliarde
                          gestiegen, und hatte damit den höchsten Wert seit den          Grafik 2: Anzahl der Hungernden nach Regionen
                          1970er Jahren erreicht. Der Anstieg im letzten Jahr war
                                                                                         Insgesamt = 926 Millionen Menschen
                          deswegen so dramatisch, da sich die Effekte der hohen
                          Lebensmittel- und Energiepreise mit der Wirtschaftskri-                                                          Industrieländer       19
                          se überschnitten, durch die sich Einkommen vieler armer
                                                                                                                              Naher Osten und Nordafrika         37
                          Bevölkerungsgruppen verringert hatten. So sanken zum
                          Beispiel die Überweisungen von Wanderarbeitern aus                                                   Lateinamerika und Karibik         53
                          dem Ausland in ihre Heimat drastisch.
                              Allerdings war die Zahl der Hungernden schon vor dem
                          dramatischen Preisanstieg langsam auf 854 Millionen im                                                                      Afrika
                          Jahr 2007 angestiegen. Die Agrarpreiskrise machte daher                                                        südlich der Sahara 239
                          eine problematische Entwicklung offensichtlich und ver-
                          schärfte sie noch dramatisch. Nach jüngsten Schätzun-
                          gen der FAO ist die Zahl der Hungernden im Zuge der seit
                          Mitte 2008 wieder sinkenden Weltmarktpreise und einer
                          leichten wirtschaftlichen Erholung auf etwa 925 Millio-                                                         Asien und Pazifik 578
                          nen zurück gegangen.
                              Wie lange diese Erholung anhalten wird, ist schwer ab-     Quelle: FAO 2010
                          zuschätzen, zumal in den letzten Monaten die Weizen-,
                          Mais- und Sojapreise wieder deutlich gestiegen sind.
                              Die weitaus meisten Hungernden leben mit 578 Mil-
Foto: Meissner/MISEREOR

                          lionen nach wie vor in Asien, vor allem in den beiden be-    Anteil. Gleichzeitig ist dort die Zahl der Hungernden
                          völkerungsreichsten Ländern Indien und China. In Afrika      noch stärker gestiegen als in anderen Regionen: Von 169
                          südlich der Sahara hungert dagegen fast ein Drittel der      Millionen Anfang der 1990er Jahre auf geschätzte 239
                          Gesamtbevölkerung und damit der weltweit höchste             Millionen 2010.

                                                                                                                                                       5

         Studie_Agrarpolitik_dt_110628 5                                                                                                                              29.06.11 12:46
Wer ernährt die Welt? - Studie
Wer ernährt die Welt? Die europäische Agrarpolitik und Hunger in Entwicklungsländern

                             Grafik 3: Auswirkungen der Wirtschaftskrise auf die Zahl der Hungernden 2009 – mittleres Szenario

                             Prozentuale Veränderung

                                  14

                                  12

                                                                                                                                                                                     KNA Bild/MISEREOR
                                  10

                                   8

                                   6

                                                                                                                                                                                     F
                                  4

                                   2

                                   0
                                                      Asien                  Lateinamerika                        Afrika                Insgesamt
                                                                              und Karibik                   südlich der Sahara

                             Quelle: FAO, SOFI 2009

                         Von den Auswirkungen der Lebensmittelpreiskrise und der                       Die Politik reagiert
                         Weltwirtschaftskrise ist Asien nach Schätzungen des US-
                         Landwirtschaftsministeriums am stärksten betroffen. Da-                          Die Preisausschläge auf den Weltmärkten für Getreide
                         nach läge auf dem Kontinent, dem es in den letzten Jahren                     und die damit verbundenen Proteste und Unruhen, die
                         noch am besten gelungen war den Hunger zurückzudrän-                          in einigen Ländern den Sturz der Regierungen ausgelöst
                         gen, die Zahl der Hungernden zwischen elf und dreizehn                        hatten, haben die Themen Welternährung und Landwirt-
                         Prozent höher als das ohne die Krise der Fall gewesen                         schaft von der Ebene der Sonntagsreden und Deklara-
                         wäre. In dieser Schätzung sind allerdings die Wirkungen                       tionen in den Fokus aktueller Entscheidungen gerückt.
                         der nationalen und internationalen Maßnahmen, die ge-                         Als unmittelbare Reaktion auf die gestiegenen Preise
                         gen die Wirtschaftskrise und ihre sozialen Auswirkungen                       hatten die reichen Industriestaaten der G-8 und Länder
                         ergriffen werden, nicht berücksichtigt. Die Gründe für die                    wie Saudi-Arabien dem Welternährungsprogramm der
                         besonders starken Auswirkungen sind wohl vor allem da-                        UN zusätzliche Mittel zur Verfügung gestellt, so dass es
                         rin zu suchen, dass sich viele asiatische Länder stark in                     die für die Hilfe in Krisenregionen benötigten Nahrungs-
                         die Weltwirtschaft integriert haben und damit von einem                       mittel auch zu den höheren Preisen einkaufen konnte.
                         Abschwung unmittelbar betroffen werden. So spielen zum                        Neben dieser kurzfristigen Reaktion gab es zahlreiche
                         Beispiel gerade in Süd- und Zentralasien die Überweisun-                      Initiativen auf internationaler und nationaler Ebene, um
                         gen von Wanderarbeitern aus dem Ausland eine wichtige                         die seit langem vernachlässigte Landwirtschaft und vor
                         Rolle für die Zahlungsbilanz und damit die Möglichkeiten,                     allem die kleinbäuerliche Grundnahrungsmittelproduk-
                         Nahrungsmittelimporte zu finanzieren. In einigen Regio-                        tion wieder stärker in der Entwicklungs- und Agrarpolitik
                         nen machen sie auch einen wichtigen Teil des Einkom-                          zu berücksichtigen. Die G8 erklärten auf ihrem Gipfel von
                         mens armer Haushalte aus. Umgekehrt hat die starke Ver-                       L‘Aquila im Jahr 2009, 20 Milliarden US-Dollar für die Er-
                         flechtung mit der Weltwirtschaft auch dazu geführt, dass                       nährungssicherung zur Verfügung stellen zu wollen. Die
                         in Asien aufgrund der konjunkturellen Erholung 2010 die                       afrikanischen Staaten bekräftigten nicht nur ihr schon zu-
                         geschätzte Zahl der Hungernden wieder besonders stark                         vor gesetztes Ziel, zehn Prozent der Staatshaushalte für
                         um 80 Millionen gesunken ist (siehe Grafik 3).                                 die Agrarentwicklung auszugeben, sondern viele Länder
                                                                                                       legten neue Programme auf, die kurzfristig die Produk-
                                                                                                       tion von Grundnahrungsmitteln steigern sollten. Dabei
                                                                                                       konzentrierten sie sich vor allem auf die Produkte, die

                         6

Studie_Agrarpolitik_dt_110628 6                                                                                                                                     29.06.11 12:46
Wer ernährt die Welt? - Studie
Einleitung

                          auch importiert werden, wie Reis und Mais, während der
                          Anbau von Hirse und Sorghum nach wie vor kaum geför-
                          dert wird, obwohl diese Produkte in vielen Ländern von
                          größerer Bedeutung für die Ernährungssicherheit vor al-
                          lem im ländlichen Raum sind.
                              Wie dauerhaft dieser neue Fokus auf Landwirtschaft
                          und die Entwicklung ländlicher Räume sein wird, ist nicht
                          klar absehbar. Es deutet aber vieles darauf hin, dass die
Foto: KNA-Bild/MISEREOR

                          Preisschwankungen auf den Weltmärkten und gerade
                          auch die kurzfristigen Ausschläge nach oben häufiger
                          werden, wie aktuell am Weltweizenmarkt zu beobachten
                          ist. Daher ist damit zu rechnen, dass das Thema auch auf
                          der politischen Agenda wichtig bleibt.
                              Die Debatte um die richtige Reaktion auf die Nahrungs-
                                                                                             Agrarpolitik und Armutsbekämpfung in China
                          mittelpreiskrise hat auch die zentrale Bedeutung der Land-
                          wirtschaft für Armuts- und Hungerbekämpfung erneut                    Eine Untersuchung der Weltbank 2 zu den Gründen
                          deutlich gemacht. Etwa drei Viertel der Hungernden leben           für den deutlichen Rückgang von Armut und Hunger
                          auf dem Land, und zwei Drittel davon sind Kleinbauernfa-           in China bestätigt die zentrale Rolle der Landwirt-
                          milien, die überwiegend für den Eigenbedarf produzieren.           schaft. Die Auswertung von statistischen Daten zum
                          Sie ernten oft aber nicht genug, um sich und ihre Familien         Einkommen und zur Einkommensverteilung in China
                          das ganze Jahr über ausreichend ernähren zu können, ge-            seit Ende der 1970er Jahre kommt zu dem Schluss,
                          schweige denn Vorräte zum Ausgleich schlechter Ernten              dass Wachstum in der Landwirtschaft und in den
                          anlegen zu können. Die Maßnahmen, um die Produktivi-               ländlichen Räumen insgesamt den wichtigsten Bei-
                          tät kostengünstig und nachhaltig zu erhöhen und das Ein-           trag zur Verminderung der absoluten Armut geleistet
                          kommen dieser Bevölkerungsgruppe zu steigern, sind zur             hat. Die Armutsreduktion durch Wachstum im Agrar-
                          Bekämpfung von Hunger und Armut also besonders wirk-               sektor ist viermal so groß wie durch Wachstum in an-
                          sam. Der Internationale Fonds für ländliche Entwicklung            deren Sektoren. Zugleich verringerte das Wachstum
                          (IFAD) kommt daher zu dem Schluss, dass die Förderung              in ländlichen Räumen die Einkommensunterschie-
                          der Grundnahrungsmittelproduktion besonders gute Mög-              de sowohl auf dem Land selbst als auch in der Ge-
                          lichkeiten bietet, die Armut zu bekämpfen.1 Er begründet           samtwirtschaft. Eine gleichmäßigere Einkommens-
                          dies damit, dass die Armen einerseits einen großen Teil            verteilung führt dazu, dass Wachstum effektiver die
                          ihres Kalorienbedarfs aus Grundnahrungsmitteln decken              Armut verringert, als wenn es bei sehr ungleichen
                          und dafür einen bedeutenden Anteil ihres Einkommens                Einkommensverteilungen stattfindet.
                          ausgeben und andererseits Produktion und Verkauf von                   Die Agrarentwicklung in China stützte sich da-
                          Grundnahrungsmitteln für viele ländliche Arme die wich-            bei nicht auf Exporte. Entscheidend waren viel-
                          tigste Einkommensquelle darstellt.                                 mehr, dass die Zwangskollektive abgeschafft und
                                                                                             die staatlich kontrollierten Preise für wichtige Ag-
                                                                                             rarprodukte, vor allem Getreide, angehoben wur-
                          Die Weltmärkte werden instabiler                                   den. Die Preiserhöhung führte nicht nur direkt zu
                                                                                             höheren Einkommen, sondern schuf auch wirksa-
                             Der in dieser Höhe und Geschwindigkeit von niemandem            me Anreize für Investitionen, die dann zur Produkti-
                          vorher gesehene Anstieg der Lebensmittelpreise in den              onssteigerung führten. Die aufgrund der Verteilung
                          Jahren 2007 und 2008 hat die Strategie, Ernährungssiche-           von Agrarflächen an die ehemaligen Mitglieder der
                          rung in wichtigen Teilen auf Handel und Importe zu grün-           Kollektive sehr gleichmäßige Landverteilung hatte
                          den, in Frage gestellt. Seit Mitte 2008 waren die Getreide-        dabei einen positiven Einfluss auf Wachstums- und
                          preise wieder deutlich zurück gegangen, für Weizen und             Verteilungseffekte.
                          Mais sogar unter das Niveau von 2007. Die Verbraucher
                          in vielen Entwicklungsländern haben von dieser globalen
                          Preissenkung allerdings nur eingeschränkt profitiert. In       1
                                                                                            Bruinsma (2003), S.219
                          den meisten Ländern sind die inländischen Konsumen-           2   Ravaillon und Chen (2004)

                                                                                                                                                    7

         Studie_Agrarpolitik_dt_110628 7                                                                                                                 29.06.11 12:46
Wer ernährt die Welt? - Studie
Grafik 4: Entwicklung der Weltmarktpreise

                             Anstieg der Lebensmittelpreise
                             (Preis-Index)                                   Lebensmittel-
                                                                             krise
                              220

                              200                                                            auf verarbeitete Lebensmittel wie Gebäck und Süßwaren.
                                                                                             Um hier „wettbewerbsfähig“ zu sein, soll nicht mehr vor-
                              180
                                                                                             wiegend auf das kontroverse Instrument der direkten Ex-
                              160                                                            portsubventionen zurückgegriffen werden. Diese werden
                                                                                             direkt an die exportierenden Unternehmen gezahlt und
                              140
                                                                                             gleichen die Differenz zwischen den Preisen auf dem EU-
                              120                                                            Binnenmarkt und den niedrigeren Weltmarktpreisen aus.
                                                                                             In den 1980er und 1990er Jahren zahlte die EU Exportsub-
                              100
                                                                                             ventionen in Höhe von bis zu 10 Milliarden Euro jährlich
                                                                                             und wurde so zu einem führenden Exporteur von Getreide,
                                                                                             Milchprodukten, Rind- und Schweinefleisch.
                                                                                                Im Zuge der seit 1992 begonnenen mehrfachen Re-
                                  0                                                          formen der GAP wurden die garantierten Preise auf dem
                                             2005      2006   2007   2008   2009   2010
                                                                                             EU-Binnenmarkt schrittweise gesenkt – und damit auch
                             Quelle: FAO, Blas, 2010                                         die Differenz zum Weltmarktpreis, die durch Exportsub-
                                                                                             ventionen ausgeglichen werden muss. Entsprechend wur-
                                                                                             den 2009 nur noch 649 Millionen Euro dafür ausgegeben.
                         tenpreise für Getreide und andere Grundnahrungsmittel               Die direkten Subventionen an die Landwirte sind im Zuge
                         nicht so stark zurückgegangen wie die Weltmarktpreise.              der Reformen aber stark angestiegen. Um die Preissen-
                         Dies gilt vor allem für Westafrika und Südasien.                    kungen teilweise auszugleichen, erhielten sie Direktzah-
                            Zudem deutet sich auch auf den Weltmärkten nach den              lungen, die seit 2003 größtenteils völlig unabhängig von
                         dürrebedingten Ernteausfällen in Russland und dem dar-              der Produktion gezahlt werden. In einigen EU-Staaten,
                         aufhin verhängten Exportstopp schon wieder eine Trend-              so auch in Deutschland, richten sie sich vor allem nach
                         wende an. Innerhalb weniger Wochen stieg der Welt-                  der von einem Betrieb bewirtschafteten Fläche, in ande-
                         marktpreis für eine Tonne Weizen von 180 US-Dollar auf              ren wie Frankreich nach der Höhe der an die Produktion
                         fast 300 US-Dollar an. Anders als 2007 sind die globalen            gebundenen Subventionen, die jeder Betrieb in der Ver-
                         Lagerbestände für Getreide allerdings relativ hoch, so              gangenheit erhalten hat. Diese Zahlungen, die EU-weit
                         dass viele Analysten den derzeitigen Preisanstieg nicht             jährlich 40 Milliarden Euro ausmachen, erlauben es den
                         für gerechtfertigt halten. Für Länder, Unternehmen und              Landwirten, ihre Produkte zu Preisen zu vermarkten, die
                         letztlich Konsumenten, die jetzt Importe bezahlen müs-              nicht die vollen Produktionskosten decken – sowohl auf
                         sen, ist die Frage, ob die hohen Preise durch tatsächliche          dem Binnenmarkt als auch beim Export. Hinzu kommen
                         Knappheiten oder durch Spekulation ausgelöst wird, zu-              etwa fünf Milliarden Euro Investitionsbeihilfen, die oft in
                         nächst zweitrangig. Sie müssen die höheren Preise zahlen,           die intensive Tierhaltung fließen. Mit diesen Summen im
                         und als Reaktion auf die daraufhin gestiegenen Brot-                Rücken will die europäische Agrarindustrie neue Export-
                         preise kam es in der mosambikanischen Hauptstadt                    märkte erobern. Besonderes Interesse richtet sich da-
                         Maputo zu massiven Protesten. Die Regierung sagte dar-              bei auf die wachsenden städtischen Mittelschichten in

                                                                                                                                                                            /MISEREOR
                         aufhin zu, den Brotpreis mit Hilfe von Subventionen wie-            Schwellen- und Entwicklungsländern.
                         der zu senken, ohne genau zu wissen, wie das dauerhaft                 Im Folgenden werden die strukturellen Gründe für den                        F dD

                         finanziert werden soll.                                              Hunger, vor allem in Afrika, und ihre Zusammenhänge mit
                                                                                             der Europäischen Agrarpolitik dargestellt. Zunächst wird
                                                                                                                                                                            F

                                                                                             dabei die historische Entwicklung Afrikas vom Netto-Ex-
                         Reform der europäischen Agrarpolitik                                porteur zum Nettoimporteur von Lebensmitteln darge-
                                                                                             stellt, die parallel zum Aufstieg der EU zum Nettoexpor-
                            Vor dem Hintergrund wachsenden Hungers und insta-                teur wichtiger Grundnahrungsmittel verlief. Mit Blick auf
                         bilerer Weltmärkte beginnt die Europäische Union die Dis-           aktuelle Entwicklungen wird ein besonderes Augenmerk
                         kussion über die Gestaltung ihrer Gemeinsamen Agrar-                auf die Instrumente der reformierten GAP gelegt und
                         politik (GAP) ab dem Jahr 2014. Agrarindustrie und große            die Potenziale, die sich für die kleinbäuerliche Landwirt-
                         Bauernverbände setzen dabei weiter auf eine Orientierung            schaft und ländliche Entwicklung aus der wachsenden
                         an den Weltmärkten und hoffen auf größere Exportchan-               städtischen Nachfrage nach weiterverarbeiteten Lebens-
                         cen vor allem für Fleisch- und Milchprodukte, aber auch             mitteln ergeben.

                         8

Studie_Agrarpolitik_dt_110628 8                                                                                                                            29.06.11 12:46
Wer ernährt die Welt? - Studie
Hunger in Afrika – Strukturelle und agrarpolitische Faktoren

                           1. Hunger in Afrika –
                              Strukturelle und agrarpolitische Faktoren
                               Die afrikanische Landwirtschaft weist die geringste
                           Pro-Kopf-Produktivität aller Weltregionen auf.3 Zwischen
                           1961 und 2007 wuchs die Agrarproduktion im subsaha-
                           rischen Afrika insgesamt mit 2,55 % jährlich langsamer
                           als die Bevölkerung, die im gleichen Zeitraum jährlich um
                           durchschnittlich 2,8 % zunahm.4 Das Wachstum wurde
                           größtenteils erreicht, indem die bewirtschafteten Flächen
                           ausgeweitet und der Arbeitseinsatz erhöht wurden. Die
                           Gesamtfläche des afrikanischen Getreideanbaus wuchs
                           von ca. 93 Mio. Hektar auf 171 Mio. Hektar, während die
                           Zahl der Arbeitskräfte von 96 Mio. auf 198 Mio. Personen
                           stieg. Die Hektarerträge von Getreide nahmen dagegen
                           nur um etwa 1,1 % zu. Die Ursachen der geringen Produk-
                           tivität der afrikanischen Landwirtschaft sind vielfältig. Ge-
                           nerell lassen sich natürliche und gesellschaftliche bzw.
                           politisch-ökonomische Erklärungselemente unterschei-
                           den.5 Da politisch-ökonomische Faktoren verändert wer-
                           den können, soll ihnen das Hauptaugenmerk gelten.
                               Ein wichtiger Grund für das niedrige Produktivitäts-
                           wachstum ist der sehr geringe Grad der landwirtschaft-
                           lichen Intensivierung. Der Anteil der bewässerten Agrar-
                           fläche schwankte in den letzten fünf Jahrzehnten um den
                           Wert von 3 % und wies kein nennenswertes Wachstum
                           auf.6 Somit ist Afrikas Landwirtschaft noch immer weit-
                           gehend regenabhängig, was sich besonders in Dürre-
                           perioden stark negativ auswirkt. Ebenso ist die Benutzung
                           von Düngemitteln mit ca. 7 kg/ha noch immer auf dem
                           Niveau der 1970er Jahre.7 Dies entspricht nur etwa 10 %
                           der Menge, die in anderen Entwicklungsländern verwen-
                           det wird, und ist damit weit von einem übertrieben hohen
                           und damit schädlichen Niveau entfernt.8
Foto: Fred Dott/MISEREOR

                           1.1 Vernachlässigte Landwirtschaft

                              Der landwirtschaftliche Sektor und insbesondere die
                           kleinbäuerliche Landwirtschaft wurden in den meisten
                           afrikanischen Staaten schon seit der Kolonialzeit ver-
                           nachlässigt.9 Trotz verschiedener Reformen und Rich-            3   Vgl. Haggblade et al. (2004), S. 8.
                                                                                               Binswanger-Mkhize et. al. (2010), S.125
                           tungswechsel in der Wirtschafts- und Agrarpolitik änder-
                                                                                           4

                                                                                           5
                                                                                               Vgl. bspw. Collier/Gunning (1999).
                           te sich daran jahrzehntelang relativ wenig. Nach Beginn         6
                                                                                               Vgl. Binswanger-Mkhize/McCalla/Patel
                           der Kolonialisierung Afrikas wurden vor allem sogenannte            (2010), S. 125.

                           „Cash Crops“ wie Kaffee, Kakao und Baumwolle als land-              Vgl. ebd., S. 124.
                                                                                           7

                                                                                           8   Vgl. Ehui/Pender (2005), S. 227.
                           wirtschaftliche Exportgüter gefördert. Dieses agrarpoli-        9   Vgl. bspw. Binswanger/Townsend (2000),
                           tische Paradigma setzte zu Beginn des 20. Jahrhunderts              S. 1075-1086.

                                                                                                                                                                         9

          Studie_Agrarpolitik_dt_110628 9                                                                                                                                     29.06.11 12:46
Wer ernährt die Welt? - Studie
Wer ernährt die Welt? Die europäische Agrarpolitik und Hunger in Entwicklungsländern

                         ein, und wurde nach dem Zweiten Weltkrieg verstärkt                           der Hungerbekämpfung erfolgreicher waren. Sie unter-
                         verfolgt. Es umfasste Programme zur Ertragssteigerung                         stützten ihre Landwirtschaft relativ stark in Höhe von etwa
                         und kombinierte diese mit dem Anbau „neuer“ – nicht                           20 % des gesamten Produktionswerts des Sektors.15
                         heimischer – Sorten.10 Durch diese Politik wurden klein-                         In den 1970er und 1980er wurden die staatlichen Un-
                         bäuerliche Anbauflächen in beträchtlichem Umfang durch                         terstützungsprogramme für die Landwirtschaft drastisch
                         Großunternehmen verdrängt. Eine diskriminierende Be-                          zurück gefahren, vor allem die kostspieligen Subventionen
                         steuerungspolitik (z.B. Kopf- und Haussteuern) zwang                          für Düngemittel. Öffentliche Ausgaben für Landwirtschaft
                         viele Bauern dazu, ihre Kleinbetriebe aufzugeben und                          und ländliche Infrastruktur betrugen zwischen 1980 und
                         für die exportorientierten Großunternehmen zu arbeiten.                       2005 durchschnittlich nur 5-7 % des Gesamthaushalts,
                         Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen und Gütern wur-                       während dieser Anteil in Asien mit 6-15 % teilweise deut-
                         de dementsprechend auch nur den großen Plantagenbe-                           lich höher ausfiel.16 Im selben Zeitraum maßen die Geber-
                         trieben gewährt.                                                              staaten des Nordens der Landwirtschaft in ihrer Entwick-
                             Direkt nach der Unabhängigkeit intervenierten die Re-                     lungszusammenarbeit immer weniger Bedeutung bei.
                         gierungen stark in die Landwirtschaft. Sie schafften die                      Sinkende Weltmarktpreise und unbefriedigende Ergeb-
                         diskriminierenden Steuern gegen Kleinbauern ab und                            nisse vieler Programme zur ländlichen Entwicklung ließen
                         subventionierten Betriebsmittel, vor allem Dünger.11 Vie-                     das weitere Engagement in diesem Sektor nicht lohnend

                                                                                                                                                                                      /MISEREOR
                         le afrikanische Staaten schufen stark zentralisierte politi-                  und erfolgversprechend erscheinen. Während die offizi-
                         sche, institutionelle und finanzielle Systeme für die länd-                    ellen Entwicklungshilfegelder (ODA) zwischen 1980 und
                         liche Entwicklung. In 60 % der Staaten Afrikas waren die                      2006 von 7 Mrd. US-Dollar auf 27 Mrd. US-Dollar anstie-

                                                                                                                                                                                      Fli
                         Regierungen in vollständiger Kontrolle der Beschaffung                        gen, nahm der Anteil der Finanzmittel, die dem Agrarsektor

                                                                                                                                                                                      F
                         und Verteilung von Dünger und Saatgut.12 Der Fokus auf                        zukamen, von 20 % auf 4 % ab und sank auch in absolu-
                         große Agrarunternehmen überlebte allerdings teilweise                         ten Zahlen. Die Gelder aus dem Norden flossen verstärkt
                         bis in die postkoloniale Zeit, so dass subventionierte Dün-                   in Bildungs- und Gesundheitsprogramme.17
                         gemittel und Kredite oft zu Konditionen angeboten wur-                           Ergebnis war eine deutliche Unterkapitalisierung des
                         den, die für Kleinbauern nicht zu erfüllen waren.13 Auch                      Agrarsektors in vielen afrikanischen Staaten.18 Diese viel-
                         der Handel mit Exportfrüchten wurde vielerorts durch in                       schichtige Vernachlässigung und sogar Behinderung der
                         den 1950er und 1960er Jahren geschaffene staatliche Ver-                      kleinbäuerlichen Produktivität hatte zur Folge, dass vie-
                         marktungsbehörden dominiert oder ganz monopolisiert,                          le Kleinbauern heute nicht einmal sich selbst versorgen,
                         die entsprechend niedrige Ankaufpreise festsetzen konn-                       dementsprechend auch keine Überschüsse verkaufen und
                         ten. So wurden die landwirtschaftlichen Exporte faktisch                      somit kein Einkommen generieren können.19
                         besteuert. Darüber hinaus wurden in vielen Ländern direk-                        Versuche, die afrikanische Landwirtschaft nach dem
                         te Steuern auf den Export landwirtschaftlicher Güter erho-                    Vorbild der „Grünen Revolution“ in Asien zu modernisie-
                         ben, vor allem die klassischen cash crops Kaffee, Kakao                       ren und durch den intensiven Einsatz von Düngemitteln,
                         und Baumwolle.14 Ein weiterer wichtiger Faktor waren in                       Pestiziden und Hochertragssorten produktiver zu machen,
                         vielen Ländern die bis in die 1980er Jahre überbewerte-                       wurden nur halbherzig umgesetzt und durch andere wirt-
                         ten Wechselkurse. Sie trugen zu niedrigeren Preisen für                       schaftspolitische Maßnahmen konterkariert. Mittlerwei-
                         die in der Regel importierten Betriebsmittel bei. Zugleich                    le sind allerdings auch die negativen Auswirkungen der
                         verbilligten sie aber Nahrungsmittelimporte und verrin-                       „Grünen Revolution“ auf die Umwelt und sozialen Struktu-
                         gerten die Erlöse (in Landeswährung) aus dem Export
                         von Agrarprodukten.                                                           10   Vgl. Delgado (1995), S. 3 f.
                             Insgesamt wurde der Landwirtschaftssektor in Afrika                       11   Bello, (2010), S. 94f
                         stärker besteuert als unterstützt. Besonders hoch war die                     12   Vgl. Binswanger/Townsend (2000),
                                                                                                            S. 1077 f.
                         Nettobesteuerung mit fast 20 % in den 1970er Jahren, als                      13   Vgl. Binswanger/Townsend (2000),
                         die Regierungen sich die Betriebsmittelsubventionen im-                            S. 1077 ff.
                                                                                                            Vgl. Morgan/Solarz (1994), S. 65.
                         mer weniger leisten konnten, die Steuern vor allem auf
                                                                                                       14

                                                                                                       15
                                                                                                            Binswanger-Mkhize/McCalla/Patel
                         die Exportlandwirtschaft erhöhten und zugleich an über-                            (2010), S. 129
                         bewerteten Wechselkursen fest hielten. Seitdem ging sie                       16   Vgl. Benin/Fan/Mogues (2009), S. 1.

                         auf etwa 5 % zurück, was vor allem Resultat der Wech-                              Vgl. Benin/Fan/Mogues (2009), S. 1 f.
                                                                                                       17

                                                                                                       18   Vgl. Binswanger-Mkhize/McCalla/Patel
                         selkursanpassung ist. Hier besteht ein bemerkenswerter                             (2010), S. 124.
                         Unterschied zu den meisten asiatischen Ländern, die in                        19   Vgl. Holmén (2004), S. 15.

                         10

Studie_Agrarpolitik_dt_110628 10                                                                                                                                     29.06.11 12:46
Hunger in Afrika – Strukturelle und agrarpolitische Faktoren
Foto: Flittner/MISEREOR

                          ren anerkannt. Die intensive Nutzung von Betriebsmitteln   und natürliche Nährstoffkreisläufe anzupassen, wurden
                          wie Dünger und Pestizide haben in vielen Regionen Asiens   dagegen von der Agrarpolitik weitgehend ignoriert und
                          und Lateinamerikas zur Zerstörung der Bodenfruchtbar-      nicht einmal in Ansätzen erprobt. Dabei haben vor allem
                          keit und zu Wasserverschmutzung geführt.20 Alternative     von Nichtregierungsorganisationen initiierte Versuche
                          Ansätze, die stärker darauf gesetzt hätten, bestehende     und Projekte immer wieder gezeigt, dass sich so mit re-
                          Anbaumethoden nachhaltiger und produktiver zu ma-          lativ geringem finanziellem Aufwand große Ertragsstei-
                          chen und sie besser an agrarökologische Bedingungen        gerungen erzielen lassen.21

                          1.2 Die Rolle der Strukturanpassungsprogramme von IWF und Weltbank

                             Die Auswirkungen der Strukturanpassungsprogramme        zahlen sie höhere Preise. Dies wird verstärkt durch eine
                          (SAPs) der internationalen Finanzinstitutionen, die vor    unnötig große Produktdifferenzierung ähnlicher Dünge-
                          allem seit Anfang der 1980er Jahre angewandt wurden,       mittel. Die Binnenlage eines Staates lässt die Kosten für
                          werden nach wie vor kontrovers diskutiert. Weitgehende     Import und Export durchschnittlich um 50-100 US-Dollar
                          Einigkeit besteht mittlerweile zwischen den eigenen Be-    pro Tonne steigen. Schlecht organisierte Verkaufsnetz-
                          wertungen der Weltbank und der ihrer Kritiker bezüglich    werke und die schwierige Finanzierung von Importen und
                          der negativen Effekte auf die Versorgung mit Dünger und    Verkauf tragen ebenfalls zum hohen Preisniveau und zur
                          anderen Betriebsmitteln. Mit dem Rückzug staatlicher       geringen Verwendung von Düngemitteln bei.22 Noch weni-
                          Stellen und internationaler Geber wurde erwartet, dass     ger überraschend ist, dass Privatunternehmen auch nicht
                          wichtige Leistungen wie die Versorgung mit Düngemit-       die Lücken schließen konnten, die öffentliche Stellen in
                          teln von privaten Akteuren übernommen und somit letzt-     der Agrarforschung und der Entwicklung der ländlichen
                          lich zielgenauer und günstiger erbracht werden würden.     Infrastruktur ließen.
                          Diese Erwartung wurde in fast allen Ländern enttäuscht.
                          Die Gründe dafür sind auf die Marktstrukturen sowie auf
                          die Binnenlage vieler Staaten und damit auf hohe Trans-    20
                                                                                          Albrecht/Engel (2009), S. 65f
                          portkosten zurückzuführen. Da die afrikanischen Impor-     21
                                                                                          Pretty/Hine (2001)
                          teure zudem nur geringe Mengen an Dünger einkaufen,        22   Vgl. World Bank (2001), S. 1f

                                                                                                                                                                 11

         Studie_Agrarpolitik_dt_110628 11                                                                                                                               29.06.11 12:46
Wer ernährt die Welt? Die europäische Agrarpolitik und Hunger in Entwicklungsländern

                         Der Rückzug des Staates aus den Märkten und der Abbau                         überbewerteten Wechselkurse und Nahrungsmittelhilfe
                         von Subventionen waren zentrale Elemente der SAPs. Die                        deutlich zugenommen hatte,25 blieb so weiter attraktiv.
                         gesenkten Agrarsteuern sowie die Abwertung der Wech-                          Vielen Regierungen, denen es vorrangig um die Versor-
                         selkurse wirkten sich vor allem in den exportorientierten                     gung der wachsenden Stadtbevölkerung („urban bias“)
                         Sektoren aus. Die Bauern dort erhielten einen höheren                         ging, sahen dies nicht als großes Problem. Speziell die
                         Anteil an den Weltmarktpreisen, was im Prinzip höhere                         urbanen Eliten verfügten über sehr viel größere politische
                         Produzentenpreise zur Folge hätte haben sollen. Aller-                        und wirtschaftliche Macht als die Landbevölkerung.26
                         dings gingen in den 1980er Jahren die Weltmarktpreise                            Unter dem Strich ergaben sich für die Kleinbauern über-
                         für die Exportprodukte vieler afrikanischer Länder dras-                      wiegend negative Effekte aus den SAPs. Die Auflösung
                         tisch zurück, was die positiven Einkommenseffekte für                         der staatlichen Vermarktungsorgane trug zu wachsender
                         die Bauern nicht nur zunichte machte, sondern teilweise                       Preisvolatilität sowie zum Abbau personeller und physi-
                         sogar zu niedrigeren Einnahmen führte.23 Kritiker neh-                        scher Infrastruktur (Beratungsagenten, Lagerräume, etc.)
                         men an, dass dieser Preisverfall kein unglücklicher Zufall                    bei. Steigende Input-Preise und die geringere Verfügbar-
                         war, sondern vielmehr ein indirekter Effekt der SAPs, die                     keit saisonaler Finanzierungen führten zu stagnierender
                         in vielen Ländern gleichzeitig den Anbau von Exportpro-                       oder gar abnehmender Produktivität. Aufgrund finanzieller
                         dukten förderten und so zu einem Überangebot auf den                          Barrieren konzentrieren sich private Akteure auf profitable
                         Weltmärkten führten.24 Auch für die Bauern, die vorwie-                       Nischen und vernachlässigen dadurch andere wichtige Be-
                         gend Grundnahrungsmittel für den Inlandsmarkt an-                             reiche. Neben der Benachteiligung der Kleinbauern wirk-
                         bauen, waren die Effekte widersprüchlich. Im Prinzip                          ten sich die Reformen auch negativ auf die Agrarexporte
                         hätte die Abwertung der Währungen zu höheren Preisen                          aus, deren Qualität zurückging und die deshalb noch
                         für importierte Lebensmittel und damit auch zu höheren                        weniger geeignet sind, internationale Märkte zu errei-
                         Erzeuger- und Marktpreisen für die konkurrierenden hei-                       chen.27 Der anhaltende Wettbewerb mit außerregionalen
                         mischen Grundnahrungsmittel führen müssen. Für viele                          Billigimporten, der erschwerte Zugang zu günstigen Kredi-
                         afrikanische Bauern war dies allerdings wenig relevant, da                    ten und die Abschaffung der Input-Subventionen führten
                         ihre Produkte aufgrund des Eigenkonsums, hoher Trans-                         insgesamt zu einer Reduzierung der Aussaat modernen
                         portkosten und wegen ihrer leichten Verderblichkeit nur in                    Saatguts und zu einer noch geringeren Verwendung von
                         geringem Umfang vermarktet werden. Zudem gab es auch                          Düngemitteln.28 Diese wurden allerdings nicht durch
                         hier gegenläufige Effekte. Die SAPs verordneten neben der                      agrarökologische Anbaumethoden ersetzt, die häufig noch
                         Anpassung der Wechselkurse auch den Abbau der Zölle                           bessere Erträge und Einkommen ermöglichen. Vielmehr
                         auf Grundnahrungsmittel, der dann zu einer Zeit umge-                         wurde gerade in Afrika die Anbaufläche bei niedrigen
                         setzt wurde, als die Weltmarktpreise deutlich zurückgin-                      Erträgen stark ausgeweitet29, was zu Entwaldung und Kon-
                         gen. Der Import, der schon in den 1970er Jahren durch die                     flikten mit nomadischen Viehhaltern beitrug.

                         1.3 Handelspolitik und subventionierte Agrarexporte

                            Ähnlich wie in anderen Entwicklungsländern hat sich                        gegenüber. Eine Weltbank-Studie aus dem Jahr 1999 kam
                         auch die Handelsbilanz mit Agrarprodukten in Afrika ver-                      zu dem Ergebnis dass mehr als zwei Drittel (105) der
                         schlechtert. Während die Entwicklungsländer insgesamt                         untersuchten 148 Entwicklungsländer Netto-Nahrungs-
                         im Agrarhandel Anfang der 1960er Jahre noch einen Über-
                         schuss der Exporte über die Importe von 6,7 Mrd. US-Dollar-
                         aufwiesen, der bis Mitte der 1970er Jahre auf über 17 Mrd.                    23   Binswanger-Mkhize/McCalla/Patel
                                                                                                            (2010), S. 131
                         US-Dollar anstieg, waren die 1980er Jahre bei starken                         24   Bello (2010), S.101f
                         Schwankungen weiter von einer positiven Handelsbilanz                         25   Vgl. Delgado, S. 7.
                         für Agrarprodukte insgesamt geprägt. Seit den 1990er                          26
                                                                                                            Vgl. Binswanger/Townsend (2000),
                                                                                                            S. 1077.
                         Jahren sind die Entwicklungsländer insgesamt – bei                            27
                                                                                                            Vg. ebd., S. 283 f.
                         weiter starken Schwankungen – tendenziell Nettoimpor-                         28
                                                                                                            Vgl. Adesina (2009), S. 7.
                         teure.30 Wenigen großen Exporteuren in Südamerika und                         29   Albrecht/Engel (2009), S. 35f
                         Südostasien steht eine große Zahl von Nettoimporteuren                        30   FAO (2003): S. 234

                         12

Studie_Agrarpolitik_dt_110628 12                                                                                                                                    29.06.11 12:46
Hunger in Afrika – Strukturelle und agrarpolitische Faktoren

                  Grafik 5: Afrika südlich der Sahara: Nettohandel mit Agrarprodukten

                                 6000

                                4000

                                 2000

                                    0
                    Mio. US-$

                                - 2000

                                - 4000

                                - 6000

                                - 8000
                                         61-65        66-70   71-75      76-80   81-85          86-90          91-95       96-2000   2001-05       06/07

                                                                                 5 Jahresschnitte

                                                  Agrarprodukte gesamt             Lebensmittel ohne Fisch                           Getreide und -produkte
                                                  Milchprodukte                    Fleisch und -produkte

                  Quelle: Eigene Darstellung, Daten FAOstat

              mittelimporteure sind.31 In Afrika südlich der Sahara trifft               rungssicherheit haben. In Ländern, die die notwendigen
              dies auf 60% aller Staaten zu.32                                           Importe durch den verstärkten Export anderer Güter finan-
                 In Afrika südlich der Sahara, dessen Volkswirtschaf-                    zieren können, kann das sogar zu besserer Effizienz und
              ten überwiegend landwirtschaftlich geprägt sind, fand                      zusätzlichen Arbeitsplätzen in der Landwirtschaft führen.
              der Umschwung vom Nettoexport zum Nettoimport von                          In den afrikanischen Ländern, die überwiegend landwirt-
              landwirtschaftlichen Produkten erst in den letzten Jahren                  schaftlich geprägt sind, war dies allerdings nicht der Fall.
              statt. Allerdings sinkt der Überschuss der Exporte über                    Vielmehr können die in wachsendem Umfang nötigen Net-
              die Importe tendenziell seit Anfang der 1980er Jahre.                      toimporte von Getreide und anderen Grundnahrungsmit-
              Beim Handel mit Lebensmitteln außer Fisch besteht sogar                    teln immer weniger durch den Export anderer landwirt-
              seit Anfang der 1980er Jahre ein Defizit. Seit Anfang der                   schaftlicher Güter, vor allem Kaffee und Kakao, finanziert
              1990er stieg das Handelsbilanzdefizit der Länder südlich                    werden. Gründe sind der drastische Anstieg der Import-
              der Sahara von etwas über einer Milliarde US-Dollar auf                    mengen vor allem von Getreide und Milchprodukten, der
              über sieben Milliarden US-Dollar in den Jahren 2006/2007,                  sich bis heute ungebremst fortsetzt und die stagnierende
              den letzten, für die umfassende Daten vorliegen. Ein wich-                 Nachfrage in den Industriestaaten, den wichtigsten Märk-
              tiger Faktor dabei war der drastische Anstieg der Preise                   ten für die afrikanischen Agrarexporte. Die Nahrungsmit-
              für Lebensmittel 2007, vor allem Getreide, von dem prak-                   telpreiskrise von 2007/2008 verschärft die Situation noch
              tisch alle afrikanischen Länder zunehmend mehr importie-                   dadurch, dass für die höheren Importmengen auch noch
              ren als exportieren. Seit Anfang der 2000er Jahre nimmt                    drastisch höhere Preise gezahlt werden müssen.
              auch das Handelsbilanzdefizit mit Fleischprodukten rasch                       Die Gründe für die stark angestiegenen Nahrungsmit-
              zu, während bei Milchprodukten schon seit den 1970er                       telimporte Afrikas sind in der oben dargestellten Vernach-
              Jahren ein langsamerer aber kontinuierlicher Anstieg der
              Nettoimporte zu beobachten ist.
                 Eine negative Handelsbilanz bei Agrarprodukten muss                     31   McCalla/Valdés (1999), S. 7, 10.
              nicht in jedem Fall negative Konsequenzen für die Ernäh-                   32   McCalla/Valdés (1999), S. 7, 10.

                                                                                                                                                                     13

Studie_Agrarpolitik_dt_110628 13                                                                                                                                            29.06.11 12:46
lässigung der Landwirtschaft, vor allem der kleinbäuer-
                         lichen Grundnahrungsmittelproduktion, zu suchen. Ein
                         entscheidender Faktor, der es nationalen Regierungen
                         und internationalen Entwicklungshilfegebern nicht nur
                         ermöglichte, sondern es sogar als rational erscheinen
                         ließ, sich so zu verhalten, war der seit Mitte der 1970er
                         Jahre nahezu kontinuierliche Rückgang der realen
                         Weltmarktpreise für Grundnahrungsmittel sowie die
                         leichte Verfügbarkeit von Nahrungsmittelhilfe.33 (vgl.
                         Grafik 6) Die niedrigen Preise ließen zusätzliche
                         Unterstützung für die Landwirtschaft unnötig erscheinen
                         und führten dazu, dass der Beitrag der Landwirtschaft
                         zum Wirtschaftswachstum, der ja in Geldgrößen gemes-
                         sen wird, unterschätzt wurde.34 Auch in den Kosten-

                                                                                                                                                                 Foto: Flittner/MISEREOR
                         Nutzen Rechnungen von Entwicklungsinstitutionen
                         wie der Weltbank führten die niedrigeren Preise dazu,
                         dass landwirtschaftliche Projekte geringere „Erträge“
                         auswiesen und entsprechend zurückgefahren wurden.
                         Ohne staatliche und internationale Unterstützung waren
                         gerade afrikanische Landwirte zu den niedrigeren Prei-                      33   Stevens/Kennan (2001) zit. n. Bello
                         sen nicht mehr konkurrenzfähig, und entsprechend wur-                            (2010), S.103
                                                                                                     34   Timmer/Akkus (2008), S. 5
                         de Afrika zu einem Nettoimporteur von Lebensmitteln.35                      35   Binswanger-Mkhize/McCalla/Patel
                         (vgl. Abschnitt 2)                                                               (2010), S. 131

                              Grafik 6: Preisindizes für Lebensmittel seit 1961-2008

                              Index

                                   300

                                   250

                                   200

                                   150

                                   100

                                    50

                                     0
                                                    1965                            1975          1985                          1995            2005

                                                     FAO real food price index               FAO food price index

                              Quelle: FAO: State of Food Insecurity in the World 2008, S.7

                         14

Studie_Agrarpolitik_dt_110628 14                                                                                                                       29.06.11 12:46
Die europäische Agrarpolitik und die Rolle der EU als Exporteur von Lebensmitteln

                  Grafik 7: Nettohandel der EU mit Agrarprodukten

                               10000

                                 5000

                                    0

                                -5000
                   Mio. US-$

                               - 10000

                               - 15000

                               - 20000

                               - 25000

                               -30000
                                         61-65        66-70   71-75      76-80   81-85       86-90       91-95      96-2000     2001-05       06/07

                                                                                 5 Jahresschnitte

                                                  Agrarprodukte gesamt             Lebensmittel ohne Fisch                     Getreide und -produkte
                                                  Milchprodukte                    Fleisch und -produkte

                  Quelle: Eigene Darstellung, Daten FAOstat

              2. Die europäische Agrarpolitik und die Rolle
                 der EU als Exporteur von Lebensmitteln
                 Eine wichtige Rolle beim Rückgang der Weltmarktprei-                    bedeutenden Exporteur wurde. In der zweiten Hälfte der
              se spielte die Tatsache, dass die EU in den 1980er Jahren                  1990er Jahre war die EU sogar zeitweise Nettoexporteur
              bei wichtigen landwirtschaftlichen Produkten vom Netto-                    von Nahrungsmitteln.
              importeur zum Nettoexporteur wurde, so bei Getreide                           Die Entwicklung des Agrarhandels der EU verläuft in
              und Fleisch, oder ihre eher niedrige Nettoexportposition                   den 1970er und 1980er Jahren praktisch spiegelbildlich zu
              stark anstieg, wie bei Milchprodukten. Grafik 6 verdeut-                    der in Afrika: Die Nettoimporte von landwirtschaftlichen
              licht, dass die realen (also um die allgemeine Inflation                    Gütern insgesamt und von Nahrungsmitteln gingen deut-
              bereinigten) Weltmarktpreise für Lebensmittel seit Mit-                    lich zurück, und bei wichtigen Produkten wurde sie gar
              te der 1970er Jahre bis Mitte der 1990er Jahre ziemlich                    zum Nettoexporteur, während Afrika Anfang der 1980er
              kontinuierlich zurückgingen. Bis Anfang der 2000er Jah-                    Jahre zum Nettoimporteur von Lebensmitteln wurde und
              re blieben sie mit Schwankungen auf einem niedrigen Ni-                    vor allem die Getreideimporte deutlich zunahmen (vgl.
              veau, bis es 2007 zum drastischen Anstieg der Preise auf                   Grafik 5). Beim Getreidehandel gab es auch in der EU den
              ein Niveau kam, wie es seit den 1970er Jahren – während                    größten Umschwung in der Position vom Nettoimporteur
              der ersten Ölkrise – nicht mehr bestanden hatte. Der dras-                 zum Nettoexporteur.
              tischste Rückgang der Lebensmittelpreise von Mitte der                        Die Parallelen zwischen der Entwicklung der EU zum
              1970er bis Mitte der 1980er Jahre fällt genau in die Zeit,                 Nettoexporteur und den gleichzeitig zunehmenden Impor-
              als die EU ihre Nettoimporte von Lebensmitteln deutlich                    ten in anderen Regionen gilt nicht nur für Afrika, sondern
              reduzierte und bei wichtigen Produkten sogar zu einem                      bei wichtigen Produkten auch für die Entwicklungsländer

                                                                                                                                                               15

Studie_Agrarpolitik_dt_110628 15                                                                                                                                      29.06.11 12:46
Wer ernährt die Welt? Die europäische Agrarpolitik und Hunger in Entwicklungsländern

                              Grafik 8: Nettoexporte von Milchprodukten der EU 15
                               Tausend Tonnen (liquid milk equivalent)

                                                                         25000

                                                                         20000

                                                                         15000

                                                                         10000

                                                                          5000

                                                                            0

                                                                         -5000
                                                                                 1965      1970        1975   1980             1985         1990   1995     2000

                                                                                  EU 15 Nettoexporte           Industrienationen Nettoexporte

                                                                                                                                                                                                   ll
                                                                                                                                                                                                   d
                                                                                                                                                                                                   FKLJB B
                              Quelle: FAO (2006): World agriculture towards 2030/2050, S. 49

                                                                                                                                                                                                   F
                         insgesamt. Grafik 8 zeigt den mengenmäßigen Anstieg                                            überschüssige Mengen von den weiterverarbeitenden
                         der EU-Nettoexporte von Milchprodukten, umgerechnet                                           Betrieben wie etwa Molkereien und Schlachthöfen auf
                         in Frischmilch, im Vergleich zur Zunahme der Importe aller                                    und lagerte sie ein, um so durch ein künstlich verknapp-
                         Entwicklungsländer im selben Maßstab. Vor allem in den                                        tes Angebot höhere Preise zu erzwingen.
                         1970er Jahren gab es parallel einen starken Anstieg der                                     • Ergänzend zum staatlichen Ankauf und zur Lagerhal-
                         Exporte aus der EU und der Importe in Entwicklungslän-                                        tung wurden auch die Exporte europäischer Agrarpro-
                         dern; seit den 1990er Jahren gehen die mengenmäßigen                                          dukte subventioniert, indem den exportierenden Un-
                         Exporte der EU tendenziell zurück, während die Importe                                        ternehmen die Differenz zwischen dem garantierten
                         der Entwicklungsländer stagnieren.                                                            EU-Preis und dem niedrigeren Weltmarktpreis erstat-
                             Der entscheidende Grund für die veränderte Rolle der                                      tet wurde.
                         EU im Weltagrarhandel war die 1963 eingeführte Gemein-                                      • Die Agrarmärkte der EU wurden durch flexible Zölle
                         same Agrarpolitik (GAP). Ihr wichtigstes Ziel war, mehr                                       und mengenmäßige Importbeschränkungen ge-
                         Nahrungsmittel zu produzieren, um die Importabhängig-                                         schützt. Nur Produkte, welche die europäischen Land-
                         keit zu reduzieren. Dazu sollte die Produktivität der land-                                   wirte nicht oder nicht in ausreichenden Mengen an-
                         wirtschaftlichen Arbeitskräfte und Flächen erhöht werden.                                     bauen konnten, wurden importiert. Die Zölle wurden
                         Als erwünschte Nebeneffekte sollten die Einkommen der                                         regelmäßig so angepasst, dass die Preise für impor-
                         in der Landwirtschaft Beschäftigten ansteigen und ein                                         tierte Lebensmittel in der EU immer mindestens so
                         großer Teil der dort eingesetzten Arbeitskräfte eingespart                                    hoch waren wie die garantierten Preise für die euro-
                         werden, um in den rasch expandierenden Industrien zu                                          päischen Landwirte.
                         arbeiten. Wichtigstes Instrument war, die internen Preise                                   • Für einige Produkte wurden auch die Produktionsmen-
                         anzuheben und zu stabilisieren und so Anreize für Investi-                                    gen innerhalb der EU durch Quoten begrenzt, vor allem
                         tionen in moderne Produktionsmethoden zu schaffen und                                         bei Zucker und Milch.
                         Produktionsanreize zu schaffen. Dafür wurde eine Reihe
                         von Maßnahmen eingeführt:36                                                                 Die GAP hat ihre ursprünglichen Ziele zu einem bemer-
                         • Zentral waren staatlich garantierte „Interventions-                                       kenswerten Grad erreicht. Vor allem die landwirtschaft-
                             preise“ für die meisten weiterverarbeiteten landwirt-
                             schaftlichen Produkte. Fielen die Preise in der EU un-
                             ter die Interventionspreise, griff der Staat ein, kaufte                                36   CTA (2009): S.1

                         16

Studie_Agrarpolitik_dt_110628 16                                                                                                                                                  29.06.11 12:46
Die fortgesetzten Anreize zur Produktionssteigerung
                                                                                                   führten schon bald zur Überproduktion der wichtigsten
                                                                                                   Nahrungsmittel. Um den Verfall der internen Preise zu ver-
                                                                                                   hindern, musste die öffentliche Hand in großem Umfang

                           Kuhfoto
                                                                                                   mit dem Ankauf von Überschüssen intervenieren. Damit
                                                                                                   die Kosten für die Lagerung gering blieben, wurde der
                                                                                                   größte Teil dieser Überschüsse mit Hilfe von Exportsub-
                                                                                                   ventionen auf dem Weltmarkt abgesetzt. Exportsubventi-
                                                                                                   onen gleichen die Differenz zwischen dem Interventions-
                                                                                                   preis und dem niedrigeren Weltmarktpreis aus. Dadurch
                                                                                                   wird der Export für die beteiligten Handelsunternehmen
                                                                                                   lohnend, obwohl sie die Waren zu einem höheren Preis
                                                                                                   kaufen, als sie beim Verkauf in anderen Ländern erlösen
                                                                                                   können. Die Preisunterschiede waren dabei zeitweise
                                                                                                   außerordentlich groß: So lag z.B. der Exportpreis von
                                                                                                   Weizen im Oktober 1993 bei 65 US-Dollar pro Tonne, der
                                                                                                   EU-Interventionspreis bei 176 US-Dollar 37. Diese Maß-
Foto: FKLJB-Bundesstelle

                                                                                                   nahmen waren auch für Zucker und Milch notwendig, ob-
                                                                                                   wohl für diese Produkte Produktions- bzw. Vermarktungs-
                                                                                                   quoten festgelegt worden waren. Die Quoten lagen aber
                                                                                                   deutlich über dem EU-internen Verbrauch. Exportsubven-
                                                                                                   tionen wurden auch für weiterverarbeitete Produkte wie
                           liche Produktivität hat sich seit Ende des Zweiten Weltkrie-            Gebäck und Süßwaren gezahlt, und zwar abhängig davon,
                           ges sehr stark erhöht, so dass der Selbstversorgungsgrad                wie viele Rohstoffe wie Mehl, Zucker oder Milchprodukte
                           bei Nahrungsmitteln enorm anstieg. Parallel zu dieser                   für ihre Produktion verwendet und zum EU-internen Preis
                           Entwicklung sank die Zahl der Betriebe und noch mehr                    angekauft wurden. Trotz der zunehmenden Exporte von
                           die der Arbeitskräfte dramatisch. Trotzdem war die EU be-               wichtigen Grundnahrungsmitteln blieb die EU durchge-
                           reits Ende der 1970er Jahre – also etwa 15 Jahre nach dem               hend Nettoimporteur von landwirtschaftlichen Gütern.
                           Beginn der GAP – Selbstversorger für fast alle wichtigen                Neben den Importen von tropischen Lebensmitteln wie
                           Nahrungsmittel. Allerdings war die zunehmende Produk-                   Kaffee und Kakao sowie landwirtschaftlichen Rohstoffen
                           tion von Nahrungsmitteln tierischen Ursprungs (Fleisch,
                           Milch und Eier) nur auf Grundlage von wachsenden Fut-
                           termittelimporten möglich. (s. Grafik 9 )                                37                    Germanwatch 1994

                              Grafik 9: Soja EU-Importe, Produktion und Anbaufläche in Südamerika

                                                    Sojaschrotimporte der EU                                                         Sojaprodultion und Anbaufläche
                                                                                                                                              Südamerika
                                       50000                                                                              120000
                                                                                                   1000 t bzw. 1000 ha

                                       40000                                                                              100000
                                                                                 Sojabohnen                                80000                                      Sojaproduktion
                              1000 t

                                       30000                                     (Schrotgewicht)
                                                                                                                           60000                                      Sojaanbau-
                                       20000                                     Sojaschrot                                                                           fläche
                                                                                                                           40000
                                       10000                                                                               20000
                                           0                                                                                   0
                                                  5

                                                           5

                                                                    5

                                                                             5

                                                                                                                                        5

                                                                                                                                               5

                                                                                                                                                        5

                                                                                                                                                                  5
                                                -7

                                                          -8

                                                                 -9

                                                                           -0

                                                                                                                                      -7

                                                                                                                                              -8

                                                                                                                                                     -9

                                                                                                                                                               -0
                                               71

                                                        81

                                                               91

                                                                        01

                                                                                                                                    71

                                                                                                                                            81

                                                                                                                                                   91

                                                                                                                                                            01

                                                        5 Jahresschnitte                                                                    5 Jahresschnitte

                              Quelle: FAO                                                          Quelle: FAO

                                                                                                                                                                                       17

          Studie_Agrarpolitik_dt_110628 17                                                                                                                                                  29.06.11 12:46
Wer ernährt die Welt? Die europäische Agrarpolitik und Hunger in Entwicklungsländern

                         wie Baumwolle und Kautschuk sind dafür an erster Stel-                        baut werden, wie Weizen in Westafrika. Oder sie sind auf
                         le die zunehmenden Futtermittelimporte, vor allem von                         einen deutlich höheren Einsatz von Betriebsmitteln wie
                         Soja, verantwortlich.                                                         Dünger und Pestizide sowie zum Teil Bewässerung an-
                             Der anfangs eher unfreiwillige Aufstieg der EU zu ei-                     gewiesen, die – wie oben dargestellt – gerade für Klein-
                         nem der wichtigsten Agrarexporteure führte zu heftigen                        bauern oft nur schwer verfügbar sind. Zudem verursacht
                         Auseinandersetzungen mit den USA. Um ihre dominante                           ihr Anbau auch oft größere ökologische Probleme, bei-
                         Stellung auf dem Weltagrarmarkt zu verteidigen, began-                        spielsweise durch Bodenerosion im Maisanbau.
                         nen die USA ebenfalls ihre Exporte massiv zu subventi-                           Die fehlenden Anreize zur heimischen Produktion und
                         onieren und trugen damit zum weiteren Verfall der Welt-                       das veränderte Verbraucherverhalten erhöhen die Abhän-
                         marktpreise bei. Die größten Verlierer dieses Szenarios                       gigkeit von Importen. Von Braun et. al. merken an, es habe
                         waren einerseits Konkurrenten auf dem Weltmarkt, die                          den Anschein, dass Subventionen im Hinblick auf Exporte
                         sich selber keine Subventionen leisten konnten oder                           gezielt genutzt wurden, um Handelsinteressen zu wahren
                         wollten. Dazu gehören beispielsweise Australien, Neu-                         bzw. Marktanteile und Exportmärkte zu sichern. Die EU-
                         seeland und Kanada unter den Industrieländern und Ent-                        Getreidemarktpolitik stehe im Widerspruch zur Entwick-
                         wicklungsländer wie Brasilien, Argentinien oder Thailand.                     lungspolitik und wirke vor allem dem Ziel der Ernährungs-
                         Andererseits erlaubten die niedrigen Weltmarktpreise es                       sicherung in afrikanischen AKP-Staaten entgegen.41
                         eben, die kleinbäuerliche Landwirtschaft in Afrika und                           Die französischen Agrarforschungsinstitute GRET und
                         anderen Entwicklungsländern zu vernachlässigen, ohne                          CIRAD kommen in einer Studie zu den Auswirkungen von
                         dass dies direkt negative Auswirkungen auf die Versor-                        Agrarexportsubventionen und Nahrungsmittelhilfe in
                         gung der städtischen Bevölkerung hatte.                                       Entwicklungsländern42 aus dem Jahr 2006 in einigen der
                             Von Braun et al. 1995 untersuchten Mitte der 90er Jah-                    untersuchten Regionen und für verschiedene Produkte
                         re am Beispiel Getreide mögliche Inkohärenzen zwischen                        zu ähnlichen Schlussfolgerungen. Bei der Betrachtung
                         der EU-Getreidemarktpolitik und der EU-Entwicklungs-                          der Wirkungen subventionierter Milchpulverexporte nach
                         politik in den afrikanischen AKP-Staaten. Sie kommen                          Mali stellen sie fest, dass der Ausbau der Milchproduk-
                         zu dem Schluss, dass die EU-Getreidemarktordnung für                          tion zur Versorgung der städtischen Bevölkerung sich sehr
                         sinkende Weltmarktpreise verantwortlich ist. Die Getreide-                    positiv auf die Einkommen der nomadischen Viehhalter im
                         Weltmarktpreise waren demnach in den Jahren vor 1992                          Norden des Landes auswirken könnte. Wegen der leich-
                         10-15 % niedriger, als sie es ohne EU-Getreidemarktpoli-                      ten Verderblichkeit der Milch sei dies allerdings nur mit
                         tik gewesen wären.38 Die Autoren weisen darauf hin, dass                      beträchtlichen Investitionen in die Infrastruktur vor allem
                         andere mögliche Getreideexporteure auf dem Weltmarkt                          für Transport und Kühlung realisierbar. Die Verfügbarkeit
                         mit den durch die EU-Getreidemarktpolitik verursachten                        billiger und leicht zu handhabender Milchpulverimporte
                         niedrigen Preisen zu kämpfen hatten: Einerseits würde                         mache diese Investitionen aber wenig attraktiv. Somit
                         ihr Einkommen geschmälert, andererseits böten niedrige                        stellten die subventionierten europäischen Exporte ei-
                         Weltmarktpreise langfristig keinen Anreiz zur inländischen                    nes von mehreren Hindernissen für die Entwicklung des
                         Produktion und machten Investitionen in die Getreidepro-                      Milchsektors in Mali dar.43
                         duktion unattraktiv.39 Importe billigen Getreides drücken
                         aber nicht nur das Niveau der heimischen Produktion in
                         Importländern. Sie können zudem eine Veränderung des
                         Konsumverhaltens der Verbraucher mit sich ziehen. In
                         vielen Entwicklungsländern sind die traditionellen Nah-
                         rungsmittel wie Hirse oder Sorghum durch Weizen und
                         Mais substituierbar und so von indirekter Konkurrenz und
                         durch niedrige Importpreise von Verdrängung betroffen.
                         Von Braun et al. 1995 weisen nach, dass Getreideimporte
                         den Verbrauch von Weizen, Mais und Reis zuungunsten
                         heimischer Agrarprodukte wie Sorghum und Hirse stei-                          38   Von Braun et al. 1995
                                                                                                       39   Von Braun et al. 1995
                         gern.40 Afrikanische Kleinbauern haben in vielen Ländern                      40   Von Braun et al. 1995
                         kaum Möglichkeiten, sich an die so veränderten Konsu-
                                                                                                                                                                                      Di P j k

                                                                                                       41   Von Braun et al. 1995
                         mentenpräferenzen anzupassen. Die importierten Getrei-                        42
                                                                                                            Alpha et al. 2006
                         desorten können dort entweder praktisch gar nicht ange-                       43   Alpha et al. 2006, S. 168
                                                                                                                                                                                      F

                         18

Studie_Agrarpolitik_dt_110628 18                                                                                                                                     29.06.11 12:46
Sie können auch lesen