Wer ernährt die Welt? - Studie
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Studie Wer ernährt die Welt? Die europäische Agrarpolitik und Hunger in Entwicklungsländern Studie_Agrarpolitik_dt_110628 1 29.06.11 12:46
Wer ernährt die Welt? Die europäische Agrarpolitik und Hunger in Entwicklungsländern Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Die Zahl der Hungernden steigt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Die Politik reagiert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . KNA Bild/MISEREOR 6 Agrarpolitik und Armutsbekämpfung in China . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Die Weltmärkte werden instabiler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Reform der Europäischen Agrarpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 F 1. Hunger in Afrika – Strukturelle und agrarpolitische Faktoren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1.1 Vernachlässigte Landwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1.2 Die Rolle der Strukturanpassungsprogramme von IWF und Weltbank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1.3 Handelspolitik und subventionierte Agrarexporte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 2. Die Europäische Agrarpolitik die Rolle der EU als Exporteur von Lebensmitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 3. EU-Agrarexport nach den GAP Reformen: Weniger Mengen, steigende Werte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 4. Fazit und Forderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 Impressum Herausgeber Bischöfliches Hilfswerk MISEREOR e.V. Mozartstraße 9, 52064 Aachen Telefon (0241) 442 0, Telefax (0241) 442 1 88 www.misereor.de Autor: Tobias Reichert, Germanwatch (Exportbeispiele: Kerstin Lanje, Armin Paasch) Mitarbeit: Hauke Brankamp Redaktion: Kerstin Lanje, Armin Paasch, Silvia Cottin, MISEREOR Grafische Gestaltung: VISUELL, Werbung und Kommunikation, Aachen Gedruckt auf RecySatin Recyclingpapier Stand: Januar 2011 Diese Publikation wurde mit Unterstützung der Europäischen Union hergestellt. Für den Inhalt ist allein der Herausgeber verantwortlich. Der Inhalt kann in keiner Weise als Standpunkt der Förderer angesehen werden. 2 Studie_Agrarpolitik_dt_110628 2 29.06.11 12:46
Vorwort Vorwort Foto: KNA-Bild/MISEREOR Seit vielen Jahren setzt sich MISEREOR mit den Aus- Mit der vorliegenden Broschüre möchte MISEREOR dazu wirkungen der EU Agrar- und Handelspolitik auf Klein- beitragen, die komplexen Zusammenhänge des Welt- bauern in Afrika auseinander: Seit den 1980er Jahren agrarhandels und deren Auswirkungen auf Entwicklungs- haben subventionierte EU-Exporte von Getreide, Fleisch länder verständlich zu machen und eine Orientierung und Milchprodukten zu einem Verfall der Weltmarktpreise dafür geben, wie eine EU-Agrarpolitik aussehen könnte, und einer Verdrängung der afrikanischen Landwirtschaft die die Interessen von kleinbäuerlichen Betrieben in den maßgeblich beigetragen. Für Entwicklungsländer wurde Südkontinenten und bäuerlichen Betrieben in Europa in es dadurch billiger, Nahrungsmittel zu importieren als die den Vordergrund stellt. MISEREOR hofft daher auf deut- eigene Landwirtschaft zu fördern. liche Nachbesserungen bei der Reform im Sinne des Men- Doch gilt diese Aussage noch? Ein großer Teil der schenrechts auf Nahrung. Wichtig ist, dass die EU ihre direkten Exportsubventionen wurde seit Anfang der 90er Politik der Billigexporte beendet. Dazu müssen Exportsub- Jahre deutlich reduziert. Zurzeit steht eine Reform der ventionen sofort und bedingungslos abgeschafft werden. Gemeinsamen Agrarpolitik der EU an und MISEREOR Aber auch die Erzeugerpreise innerhalb der EU müssen wollte wissen, wie diese Reform entwicklungspolitisch angemessen sein, d.h. wieder steigen. Damit wäre auch zu bewerten ist. Welche Rolle spielt die EU auf den den deutschen Bauern gedient, die unter dem drastischen Agrarmärkten heute? Gibt es statt den Exportsubventio- Preisverfall stark gelitten haben. nen andere Förderungen, welche die Konkurrenzfähigkeit der EU auf dem Weltagrarmarkt stärken? Wie reagiert die europäische Lebensmittelindustrie auf die sich veränderte Nachfrage der städtischen Mittelschichten in Schwellen- und Entwicklungsländer? Und wohin gehen die Exporte und wie wirken sie dort? Das Ergebnis der Recherche zeigt, dass die Agrarexpor- Prof. Dr. Josef Sayer te nach Westafrika seit 2000 sogar massiv angestiegen Hauptgeschäftsführer MISEREOR sind. Derzeit setzen europäische Exporteure zunehmend auf verarbeitete Lebensmittel wie Mehl, Gebäck, Süß- waren, Fertigsuppen oder frische Milchprodukte wie Joghurt. Lokalen Produzenten im Süden werden damit abermals Zukunftschancen verbaut. Um Armut wirksam zu bekämpfen, brauchen Produzenten in Entwicklungs- ländern Zugang zu kaufkräftigen Märkten im eigenen Land, ohne dabei auf direkt oder indirekt geförderte Kon- kurrenz aus der EU zu treffen. 3 Studie_Agrarpolitik_dt_110628 3 29.06.11 12:46
Wer ernährt die Welt? Die europäische Agrarpolitik und Hunger in Entwicklungsländern Zusammenfassung In der Europäischen Union hat der Diskussionspro- Mit den seit den 1990er Jahren schrittweise durchgeführ- zess darüber begonnen, wie die Gemeinsame Agrarpo- ten Reformen hat die EU ihre Exporte von Agrarrohstoffen litik (GAP) ab dem Jahr 2014 ausgestaltet werden soll. verringert, spielt aber noch immer eine wichtige Rolle auf Dies geschieht vor dem Hintergrund eines dramatischen den Weltmärkten. Die von der Produktion entkoppelten Anstiegs der Zahl der Hungernden weltweit seit dem Jahr Direktzahlungen erlauben ein insgesamt niedrigeres Preis- 2008. In der vorliegenden Studie werden die Zusammen- niveau in der EU, da sie einen Teil der Produktionskosten hänge zwischen der durch die GAP verursachten veränder- decken. Das verschafft der europäischen Lebensmittel- ten Rolle der EU auf den Weltagrarmärkten und ländlicher industrie billigere Rohstoffe, die sie auch dazu nutzt, ver- Entwicklung und Armutsbekämpfung vor allem in Afrika mehrt verarbeitete Produkte zu exportieren, ohne dabei beleuchtet. Dabei wird deutlich, dass der Aufstieg der EU auf direkte Exportsubventionen zurückgreifen zu müssen. zum Nettoexporteur wichtiger Grundnahrungsmittel ent- Als wichtigste neue Zielmärkte gelten dabei die städti- scheidend zum Verfall der Weltmarktpreise beigetragen schen Mittelschichten in Schwellen- und Entwicklungs- hat, der von den 1980er Jahren bis Anfang des Jahrtau- ländern. Damit droht allerdings eine direkte Konkurrenz sends anhielt. Dies erleichterte es den Regierungen vieler zu der auch vom BMZ vertretenen Strategie, ländliche afrikanischer Länder, kleinbäuerliche Landwirtschaft und Räume zu stärken, indem landwirtschaftliche Rohstoffe Grundnahrungsmittelproduktion zu vernachlässigen und verarbeitet und national oder regional auf städtischen zunehmend abhängiger von Importen zu werden. Märkten abgesetzt werden. /MISEREOR M i F 4 Studie_Agrarpolitik_dt_110628 4 29.06.11 12:46
Einleitung Einleitung Die Zahl der Hungernden steigt Grafik 1: Zahl der Unterernährten weltweit Die Bekämpfung des Hungers ist seit Jahrzehnten The- ma der internationalen Politik. An mehr oder weniger de- Millionen taillierten Zielvorgaben und Versprechungen herrscht kein 1050 2009 Mangel: Beim UN-Welternährungsgipfel 1995 verpflichte- 1000 ten sich die Staats- und Regierungschefs der Welt darauf, 950 die Zahl der Hungernden von damals etwa 820 Millionen 2010 2008 Menschen bis 2015 zu halbieren. Bei der Definition der 900 1969-71 1979-81 1990-92 Millennium-Entwicklungsziele 1999 wurde dieses Ziel 850 2005-07 bereits abgeschwächt. Statt der Zahl der Hungernden 800 2000-02 soll bis zum selben Zeitpunkt nur noch ihr Anteil an der 1995-97 750 Gesamtbevölkerung halbiert werden. Wegen des Bevöl- kerungswachstums wäre dieses Ziel auch erreicht, wenn · 2015 noch etwa 600 Millionen Menschen hungern. Fünf · Jahre bevor die Zielmarke erreicht werden soll, zeichnet 0 sich ab, dass auch dieses bereits abgeschwächte Ziel Quelle: FAO 2010a voraussichtlich nicht mehr erreicht wird. Im Gegenteil: In Folge des drastischen Anstiegs der Weltmarktpreise für Grundnahrungsmittel, vor allem Reis und Weizen in den Jahren 2007 und 2008 und der Weltwirtschaftskrise 2009 war die Zahl der Hungernden sogar auf über eine Milliarde gestiegen, und hatte damit den höchsten Wert seit den Grafik 2: Anzahl der Hungernden nach Regionen 1970er Jahren erreicht. Der Anstieg im letzten Jahr war Insgesamt = 926 Millionen Menschen deswegen so dramatisch, da sich die Effekte der hohen Lebensmittel- und Energiepreise mit der Wirtschaftskri- Industrieländer 19 se überschnitten, durch die sich Einkommen vieler armer Naher Osten und Nordafrika 37 Bevölkerungsgruppen verringert hatten. So sanken zum Beispiel die Überweisungen von Wanderarbeitern aus Lateinamerika und Karibik 53 dem Ausland in ihre Heimat drastisch. Allerdings war die Zahl der Hungernden schon vor dem dramatischen Preisanstieg langsam auf 854 Millionen im Afrika Jahr 2007 angestiegen. Die Agrarpreiskrise machte daher südlich der Sahara 239 eine problematische Entwicklung offensichtlich und ver- schärfte sie noch dramatisch. Nach jüngsten Schätzun- gen der FAO ist die Zahl der Hungernden im Zuge der seit Mitte 2008 wieder sinkenden Weltmarktpreise und einer leichten wirtschaftlichen Erholung auf etwa 925 Millio- Asien und Pazifik 578 nen zurück gegangen. Wie lange diese Erholung anhalten wird, ist schwer ab- Quelle: FAO 2010 zuschätzen, zumal in den letzten Monaten die Weizen-, Mais- und Sojapreise wieder deutlich gestiegen sind. Die weitaus meisten Hungernden leben mit 578 Mil- Foto: Meissner/MISEREOR lionen nach wie vor in Asien, vor allem in den beiden be- Anteil. Gleichzeitig ist dort die Zahl der Hungernden völkerungsreichsten Ländern Indien und China. In Afrika noch stärker gestiegen als in anderen Regionen: Von 169 südlich der Sahara hungert dagegen fast ein Drittel der Millionen Anfang der 1990er Jahre auf geschätzte 239 Gesamtbevölkerung und damit der weltweit höchste Millionen 2010. 5 Studie_Agrarpolitik_dt_110628 5 29.06.11 12:46
Wer ernährt die Welt? Die europäische Agrarpolitik und Hunger in Entwicklungsländern Grafik 3: Auswirkungen der Wirtschaftskrise auf die Zahl der Hungernden 2009 – mittleres Szenario Prozentuale Veränderung 14 12 KNA Bild/MISEREOR 10 8 6 F 4 2 0 Asien Lateinamerika Afrika Insgesamt und Karibik südlich der Sahara Quelle: FAO, SOFI 2009 Von den Auswirkungen der Lebensmittelpreiskrise und der Die Politik reagiert Weltwirtschaftskrise ist Asien nach Schätzungen des US- Landwirtschaftsministeriums am stärksten betroffen. Da- Die Preisausschläge auf den Weltmärkten für Getreide nach läge auf dem Kontinent, dem es in den letzten Jahren und die damit verbundenen Proteste und Unruhen, die noch am besten gelungen war den Hunger zurückzudrän- in einigen Ländern den Sturz der Regierungen ausgelöst gen, die Zahl der Hungernden zwischen elf und dreizehn hatten, haben die Themen Welternährung und Landwirt- Prozent höher als das ohne die Krise der Fall gewesen schaft von der Ebene der Sonntagsreden und Deklara- wäre. In dieser Schätzung sind allerdings die Wirkungen tionen in den Fokus aktueller Entscheidungen gerückt. der nationalen und internationalen Maßnahmen, die ge- Als unmittelbare Reaktion auf die gestiegenen Preise gen die Wirtschaftskrise und ihre sozialen Auswirkungen hatten die reichen Industriestaaten der G-8 und Länder ergriffen werden, nicht berücksichtigt. Die Gründe für die wie Saudi-Arabien dem Welternährungsprogramm der besonders starken Auswirkungen sind wohl vor allem da- UN zusätzliche Mittel zur Verfügung gestellt, so dass es rin zu suchen, dass sich viele asiatische Länder stark in die für die Hilfe in Krisenregionen benötigten Nahrungs- die Weltwirtschaft integriert haben und damit von einem mittel auch zu den höheren Preisen einkaufen konnte. Abschwung unmittelbar betroffen werden. So spielen zum Neben dieser kurzfristigen Reaktion gab es zahlreiche Beispiel gerade in Süd- und Zentralasien die Überweisun- Initiativen auf internationaler und nationaler Ebene, um gen von Wanderarbeitern aus dem Ausland eine wichtige die seit langem vernachlässigte Landwirtschaft und vor Rolle für die Zahlungsbilanz und damit die Möglichkeiten, allem die kleinbäuerliche Grundnahrungsmittelproduk- Nahrungsmittelimporte zu finanzieren. In einigen Regio- tion wieder stärker in der Entwicklungs- und Agrarpolitik nen machen sie auch einen wichtigen Teil des Einkom- zu berücksichtigen. Die G8 erklärten auf ihrem Gipfel von mens armer Haushalte aus. Umgekehrt hat die starke Ver- L‘Aquila im Jahr 2009, 20 Milliarden US-Dollar für die Er- flechtung mit der Weltwirtschaft auch dazu geführt, dass nährungssicherung zur Verfügung stellen zu wollen. Die in Asien aufgrund der konjunkturellen Erholung 2010 die afrikanischen Staaten bekräftigten nicht nur ihr schon zu- geschätzte Zahl der Hungernden wieder besonders stark vor gesetztes Ziel, zehn Prozent der Staatshaushalte für um 80 Millionen gesunken ist (siehe Grafik 3). die Agrarentwicklung auszugeben, sondern viele Länder legten neue Programme auf, die kurzfristig die Produk- tion von Grundnahrungsmitteln steigern sollten. Dabei konzentrierten sie sich vor allem auf die Produkte, die 6 Studie_Agrarpolitik_dt_110628 6 29.06.11 12:46
Einleitung auch importiert werden, wie Reis und Mais, während der Anbau von Hirse und Sorghum nach wie vor kaum geför- dert wird, obwohl diese Produkte in vielen Ländern von größerer Bedeutung für die Ernährungssicherheit vor al- lem im ländlichen Raum sind. Wie dauerhaft dieser neue Fokus auf Landwirtschaft und die Entwicklung ländlicher Räume sein wird, ist nicht klar absehbar. Es deutet aber vieles darauf hin, dass die Foto: KNA-Bild/MISEREOR Preisschwankungen auf den Weltmärkten und gerade auch die kurzfristigen Ausschläge nach oben häufiger werden, wie aktuell am Weltweizenmarkt zu beobachten ist. Daher ist damit zu rechnen, dass das Thema auch auf der politischen Agenda wichtig bleibt. Die Debatte um die richtige Reaktion auf die Nahrungs- Agrarpolitik und Armutsbekämpfung in China mittelpreiskrise hat auch die zentrale Bedeutung der Land- wirtschaft für Armuts- und Hungerbekämpfung erneut Eine Untersuchung der Weltbank 2 zu den Gründen deutlich gemacht. Etwa drei Viertel der Hungernden leben für den deutlichen Rückgang von Armut und Hunger auf dem Land, und zwei Drittel davon sind Kleinbauernfa- in China bestätigt die zentrale Rolle der Landwirt- milien, die überwiegend für den Eigenbedarf produzieren. schaft. Die Auswertung von statistischen Daten zum Sie ernten oft aber nicht genug, um sich und ihre Familien Einkommen und zur Einkommensverteilung in China das ganze Jahr über ausreichend ernähren zu können, ge- seit Ende der 1970er Jahre kommt zu dem Schluss, schweige denn Vorräte zum Ausgleich schlechter Ernten dass Wachstum in der Landwirtschaft und in den anlegen zu können. Die Maßnahmen, um die Produktivi- ländlichen Räumen insgesamt den wichtigsten Bei- tät kostengünstig und nachhaltig zu erhöhen und das Ein- trag zur Verminderung der absoluten Armut geleistet kommen dieser Bevölkerungsgruppe zu steigern, sind zur hat. Die Armutsreduktion durch Wachstum im Agrar- Bekämpfung von Hunger und Armut also besonders wirk- sektor ist viermal so groß wie durch Wachstum in an- sam. Der Internationale Fonds für ländliche Entwicklung deren Sektoren. Zugleich verringerte das Wachstum (IFAD) kommt daher zu dem Schluss, dass die Förderung in ländlichen Räumen die Einkommensunterschie- der Grundnahrungsmittelproduktion besonders gute Mög- de sowohl auf dem Land selbst als auch in der Ge- lichkeiten bietet, die Armut zu bekämpfen.1 Er begründet samtwirtschaft. Eine gleichmäßigere Einkommens- dies damit, dass die Armen einerseits einen großen Teil verteilung führt dazu, dass Wachstum effektiver die ihres Kalorienbedarfs aus Grundnahrungsmitteln decken Armut verringert, als wenn es bei sehr ungleichen und dafür einen bedeutenden Anteil ihres Einkommens Einkommensverteilungen stattfindet. ausgeben und andererseits Produktion und Verkauf von Die Agrarentwicklung in China stützte sich da- Grundnahrungsmitteln für viele ländliche Arme die wich- bei nicht auf Exporte. Entscheidend waren viel- tigste Einkommensquelle darstellt. mehr, dass die Zwangskollektive abgeschafft und die staatlich kontrollierten Preise für wichtige Ag- rarprodukte, vor allem Getreide, angehoben wur- Die Weltmärkte werden instabiler den. Die Preiserhöhung führte nicht nur direkt zu höheren Einkommen, sondern schuf auch wirksa- Der in dieser Höhe und Geschwindigkeit von niemandem me Anreize für Investitionen, die dann zur Produkti- vorher gesehene Anstieg der Lebensmittelpreise in den onssteigerung führten. Die aufgrund der Verteilung Jahren 2007 und 2008 hat die Strategie, Ernährungssiche- von Agrarflächen an die ehemaligen Mitglieder der rung in wichtigen Teilen auf Handel und Importe zu grün- Kollektive sehr gleichmäßige Landverteilung hatte den, in Frage gestellt. Seit Mitte 2008 waren die Getreide- dabei einen positiven Einfluss auf Wachstums- und preise wieder deutlich zurück gegangen, für Weizen und Verteilungseffekte. Mais sogar unter das Niveau von 2007. Die Verbraucher in vielen Entwicklungsländern haben von dieser globalen Preissenkung allerdings nur eingeschränkt profitiert. In 1 Bruinsma (2003), S.219 den meisten Ländern sind die inländischen Konsumen- 2 Ravaillon und Chen (2004) 7 Studie_Agrarpolitik_dt_110628 7 29.06.11 12:46
Grafik 4: Entwicklung der Weltmarktpreise Anstieg der Lebensmittelpreise (Preis-Index) Lebensmittel- krise 220 200 auf verarbeitete Lebensmittel wie Gebäck und Süßwaren. Um hier „wettbewerbsfähig“ zu sein, soll nicht mehr vor- 180 wiegend auf das kontroverse Instrument der direkten Ex- 160 portsubventionen zurückgegriffen werden. Diese werden direkt an die exportierenden Unternehmen gezahlt und 140 gleichen die Differenz zwischen den Preisen auf dem EU- 120 Binnenmarkt und den niedrigeren Weltmarktpreisen aus. In den 1980er und 1990er Jahren zahlte die EU Exportsub- 100 ventionen in Höhe von bis zu 10 Milliarden Euro jährlich und wurde so zu einem führenden Exporteur von Getreide, Milchprodukten, Rind- und Schweinefleisch. Im Zuge der seit 1992 begonnenen mehrfachen Re- 0 formen der GAP wurden die garantierten Preise auf dem 2005 2006 2007 2008 2009 2010 EU-Binnenmarkt schrittweise gesenkt – und damit auch Quelle: FAO, Blas, 2010 die Differenz zum Weltmarktpreis, die durch Exportsub- ventionen ausgeglichen werden muss. Entsprechend wur- den 2009 nur noch 649 Millionen Euro dafür ausgegeben. tenpreise für Getreide und andere Grundnahrungsmittel Die direkten Subventionen an die Landwirte sind im Zuge nicht so stark zurückgegangen wie die Weltmarktpreise. der Reformen aber stark angestiegen. Um die Preissen- Dies gilt vor allem für Westafrika und Südasien. kungen teilweise auszugleichen, erhielten sie Direktzah- Zudem deutet sich auch auf den Weltmärkten nach den lungen, die seit 2003 größtenteils völlig unabhängig von dürrebedingten Ernteausfällen in Russland und dem dar- der Produktion gezahlt werden. In einigen EU-Staaten, aufhin verhängten Exportstopp schon wieder eine Trend- so auch in Deutschland, richten sie sich vor allem nach wende an. Innerhalb weniger Wochen stieg der Welt- der von einem Betrieb bewirtschafteten Fläche, in ande- marktpreis für eine Tonne Weizen von 180 US-Dollar auf ren wie Frankreich nach der Höhe der an die Produktion fast 300 US-Dollar an. Anders als 2007 sind die globalen gebundenen Subventionen, die jeder Betrieb in der Ver- Lagerbestände für Getreide allerdings relativ hoch, so gangenheit erhalten hat. Diese Zahlungen, die EU-weit dass viele Analysten den derzeitigen Preisanstieg nicht jährlich 40 Milliarden Euro ausmachen, erlauben es den für gerechtfertigt halten. Für Länder, Unternehmen und Landwirten, ihre Produkte zu Preisen zu vermarkten, die letztlich Konsumenten, die jetzt Importe bezahlen müs- nicht die vollen Produktionskosten decken – sowohl auf sen, ist die Frage, ob die hohen Preise durch tatsächliche dem Binnenmarkt als auch beim Export. Hinzu kommen Knappheiten oder durch Spekulation ausgelöst wird, zu- etwa fünf Milliarden Euro Investitionsbeihilfen, die oft in nächst zweitrangig. Sie müssen die höheren Preise zahlen, die intensive Tierhaltung fließen. Mit diesen Summen im und als Reaktion auf die daraufhin gestiegenen Brot- Rücken will die europäische Agrarindustrie neue Export- preise kam es in der mosambikanischen Hauptstadt märkte erobern. Besonderes Interesse richtet sich da- Maputo zu massiven Protesten. Die Regierung sagte dar- bei auf die wachsenden städtischen Mittelschichten in /MISEREOR aufhin zu, den Brotpreis mit Hilfe von Subventionen wie- Schwellen- und Entwicklungsländern. der zu senken, ohne genau zu wissen, wie das dauerhaft Im Folgenden werden die strukturellen Gründe für den F dD finanziert werden soll. Hunger, vor allem in Afrika, und ihre Zusammenhänge mit der Europäischen Agrarpolitik dargestellt. Zunächst wird F dabei die historische Entwicklung Afrikas vom Netto-Ex- Reform der europäischen Agrarpolitik porteur zum Nettoimporteur von Lebensmitteln darge- stellt, die parallel zum Aufstieg der EU zum Nettoexpor- Vor dem Hintergrund wachsenden Hungers und insta- teur wichtiger Grundnahrungsmittel verlief. Mit Blick auf bilerer Weltmärkte beginnt die Europäische Union die Dis- aktuelle Entwicklungen wird ein besonderes Augenmerk kussion über die Gestaltung ihrer Gemeinsamen Agrar- auf die Instrumente der reformierten GAP gelegt und politik (GAP) ab dem Jahr 2014. Agrarindustrie und große die Potenziale, die sich für die kleinbäuerliche Landwirt- Bauernverbände setzen dabei weiter auf eine Orientierung schaft und ländliche Entwicklung aus der wachsenden an den Weltmärkten und hoffen auf größere Exportchan- städtischen Nachfrage nach weiterverarbeiteten Lebens- cen vor allem für Fleisch- und Milchprodukte, aber auch mitteln ergeben. 8 Studie_Agrarpolitik_dt_110628 8 29.06.11 12:46
Hunger in Afrika – Strukturelle und agrarpolitische Faktoren 1. Hunger in Afrika – Strukturelle und agrarpolitische Faktoren Die afrikanische Landwirtschaft weist die geringste Pro-Kopf-Produktivität aller Weltregionen auf.3 Zwischen 1961 und 2007 wuchs die Agrarproduktion im subsaha- rischen Afrika insgesamt mit 2,55 % jährlich langsamer als die Bevölkerung, die im gleichen Zeitraum jährlich um durchschnittlich 2,8 % zunahm.4 Das Wachstum wurde größtenteils erreicht, indem die bewirtschafteten Flächen ausgeweitet und der Arbeitseinsatz erhöht wurden. Die Gesamtfläche des afrikanischen Getreideanbaus wuchs von ca. 93 Mio. Hektar auf 171 Mio. Hektar, während die Zahl der Arbeitskräfte von 96 Mio. auf 198 Mio. Personen stieg. Die Hektarerträge von Getreide nahmen dagegen nur um etwa 1,1 % zu. Die Ursachen der geringen Produk- tivität der afrikanischen Landwirtschaft sind vielfältig. Ge- nerell lassen sich natürliche und gesellschaftliche bzw. politisch-ökonomische Erklärungselemente unterschei- den.5 Da politisch-ökonomische Faktoren verändert wer- den können, soll ihnen das Hauptaugenmerk gelten. Ein wichtiger Grund für das niedrige Produktivitäts- wachstum ist der sehr geringe Grad der landwirtschaft- lichen Intensivierung. Der Anteil der bewässerten Agrar- fläche schwankte in den letzten fünf Jahrzehnten um den Wert von 3 % und wies kein nennenswertes Wachstum auf.6 Somit ist Afrikas Landwirtschaft noch immer weit- gehend regenabhängig, was sich besonders in Dürre- perioden stark negativ auswirkt. Ebenso ist die Benutzung von Düngemitteln mit ca. 7 kg/ha noch immer auf dem Niveau der 1970er Jahre.7 Dies entspricht nur etwa 10 % der Menge, die in anderen Entwicklungsländern verwen- det wird, und ist damit weit von einem übertrieben hohen und damit schädlichen Niveau entfernt.8 Foto: Fred Dott/MISEREOR 1.1 Vernachlässigte Landwirtschaft Der landwirtschaftliche Sektor und insbesondere die kleinbäuerliche Landwirtschaft wurden in den meisten afrikanischen Staaten schon seit der Kolonialzeit ver- nachlässigt.9 Trotz verschiedener Reformen und Rich- 3 Vgl. Haggblade et al. (2004), S. 8. Binswanger-Mkhize et. al. (2010), S.125 tungswechsel in der Wirtschafts- und Agrarpolitik änder- 4 5 Vgl. bspw. Collier/Gunning (1999). te sich daran jahrzehntelang relativ wenig. Nach Beginn 6 Vgl. Binswanger-Mkhize/McCalla/Patel der Kolonialisierung Afrikas wurden vor allem sogenannte (2010), S. 125. „Cash Crops“ wie Kaffee, Kakao und Baumwolle als land- Vgl. ebd., S. 124. 7 8 Vgl. Ehui/Pender (2005), S. 227. wirtschaftliche Exportgüter gefördert. Dieses agrarpoli- 9 Vgl. bspw. Binswanger/Townsend (2000), tische Paradigma setzte zu Beginn des 20. Jahrhunderts S. 1075-1086. 9 Studie_Agrarpolitik_dt_110628 9 29.06.11 12:46
Wer ernährt die Welt? Die europäische Agrarpolitik und Hunger in Entwicklungsländern ein, und wurde nach dem Zweiten Weltkrieg verstärkt der Hungerbekämpfung erfolgreicher waren. Sie unter- verfolgt. Es umfasste Programme zur Ertragssteigerung stützten ihre Landwirtschaft relativ stark in Höhe von etwa und kombinierte diese mit dem Anbau „neuer“ – nicht 20 % des gesamten Produktionswerts des Sektors.15 heimischer – Sorten.10 Durch diese Politik wurden klein- In den 1970er und 1980er wurden die staatlichen Un- bäuerliche Anbauflächen in beträchtlichem Umfang durch terstützungsprogramme für die Landwirtschaft drastisch Großunternehmen verdrängt. Eine diskriminierende Be- zurück gefahren, vor allem die kostspieligen Subventionen steuerungspolitik (z.B. Kopf- und Haussteuern) zwang für Düngemittel. Öffentliche Ausgaben für Landwirtschaft viele Bauern dazu, ihre Kleinbetriebe aufzugeben und und ländliche Infrastruktur betrugen zwischen 1980 und für die exportorientierten Großunternehmen zu arbeiten. 2005 durchschnittlich nur 5-7 % des Gesamthaushalts, Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen und Gütern wur- während dieser Anteil in Asien mit 6-15 % teilweise deut- de dementsprechend auch nur den großen Plantagenbe- lich höher ausfiel.16 Im selben Zeitraum maßen die Geber- trieben gewährt. staaten des Nordens der Landwirtschaft in ihrer Entwick- Direkt nach der Unabhängigkeit intervenierten die Re- lungszusammenarbeit immer weniger Bedeutung bei. gierungen stark in die Landwirtschaft. Sie schafften die Sinkende Weltmarktpreise und unbefriedigende Ergeb- diskriminierenden Steuern gegen Kleinbauern ab und nisse vieler Programme zur ländlichen Entwicklung ließen subventionierten Betriebsmittel, vor allem Dünger.11 Vie- das weitere Engagement in diesem Sektor nicht lohnend /MISEREOR le afrikanische Staaten schufen stark zentralisierte politi- und erfolgversprechend erscheinen. Während die offizi- sche, institutionelle und finanzielle Systeme für die länd- ellen Entwicklungshilfegelder (ODA) zwischen 1980 und liche Entwicklung. In 60 % der Staaten Afrikas waren die 2006 von 7 Mrd. US-Dollar auf 27 Mrd. US-Dollar anstie- Fli Regierungen in vollständiger Kontrolle der Beschaffung gen, nahm der Anteil der Finanzmittel, die dem Agrarsektor F und Verteilung von Dünger und Saatgut.12 Der Fokus auf zukamen, von 20 % auf 4 % ab und sank auch in absolu- große Agrarunternehmen überlebte allerdings teilweise ten Zahlen. Die Gelder aus dem Norden flossen verstärkt bis in die postkoloniale Zeit, so dass subventionierte Dün- in Bildungs- und Gesundheitsprogramme.17 gemittel und Kredite oft zu Konditionen angeboten wur- Ergebnis war eine deutliche Unterkapitalisierung des den, die für Kleinbauern nicht zu erfüllen waren.13 Auch Agrarsektors in vielen afrikanischen Staaten.18 Diese viel- der Handel mit Exportfrüchten wurde vielerorts durch in schichtige Vernachlässigung und sogar Behinderung der den 1950er und 1960er Jahren geschaffene staatliche Ver- kleinbäuerlichen Produktivität hatte zur Folge, dass vie- marktungsbehörden dominiert oder ganz monopolisiert, le Kleinbauern heute nicht einmal sich selbst versorgen, die entsprechend niedrige Ankaufpreise festsetzen konn- dementsprechend auch keine Überschüsse verkaufen und ten. So wurden die landwirtschaftlichen Exporte faktisch somit kein Einkommen generieren können.19 besteuert. Darüber hinaus wurden in vielen Ländern direk- Versuche, die afrikanische Landwirtschaft nach dem te Steuern auf den Export landwirtschaftlicher Güter erho- Vorbild der „Grünen Revolution“ in Asien zu modernisie- ben, vor allem die klassischen cash crops Kaffee, Kakao ren und durch den intensiven Einsatz von Düngemitteln, und Baumwolle.14 Ein weiterer wichtiger Faktor waren in Pestiziden und Hochertragssorten produktiver zu machen, vielen Ländern die bis in die 1980er Jahre überbewerte- wurden nur halbherzig umgesetzt und durch andere wirt- ten Wechselkurse. Sie trugen zu niedrigeren Preisen für schaftspolitische Maßnahmen konterkariert. Mittlerwei- die in der Regel importierten Betriebsmittel bei. Zugleich le sind allerdings auch die negativen Auswirkungen der verbilligten sie aber Nahrungsmittelimporte und verrin- „Grünen Revolution“ auf die Umwelt und sozialen Struktu- gerten die Erlöse (in Landeswährung) aus dem Export von Agrarprodukten. 10 Vgl. Delgado (1995), S. 3 f. Insgesamt wurde der Landwirtschaftssektor in Afrika 11 Bello, (2010), S. 94f stärker besteuert als unterstützt. Besonders hoch war die 12 Vgl. Binswanger/Townsend (2000), S. 1077 f. Nettobesteuerung mit fast 20 % in den 1970er Jahren, als 13 Vgl. Binswanger/Townsend (2000), die Regierungen sich die Betriebsmittelsubventionen im- S. 1077 ff. Vgl. Morgan/Solarz (1994), S. 65. mer weniger leisten konnten, die Steuern vor allem auf 14 15 Binswanger-Mkhize/McCalla/Patel die Exportlandwirtschaft erhöhten und zugleich an über- (2010), S. 129 bewerteten Wechselkursen fest hielten. Seitdem ging sie 16 Vgl. Benin/Fan/Mogues (2009), S. 1. auf etwa 5 % zurück, was vor allem Resultat der Wech- Vgl. Benin/Fan/Mogues (2009), S. 1 f. 17 18 Vgl. Binswanger-Mkhize/McCalla/Patel selkursanpassung ist. Hier besteht ein bemerkenswerter (2010), S. 124. Unterschied zu den meisten asiatischen Ländern, die in 19 Vgl. Holmén (2004), S. 15. 10 Studie_Agrarpolitik_dt_110628 10 29.06.11 12:46
Hunger in Afrika – Strukturelle und agrarpolitische Faktoren Foto: Flittner/MISEREOR ren anerkannt. Die intensive Nutzung von Betriebsmitteln und natürliche Nährstoffkreisläufe anzupassen, wurden wie Dünger und Pestizide haben in vielen Regionen Asiens dagegen von der Agrarpolitik weitgehend ignoriert und und Lateinamerikas zur Zerstörung der Bodenfruchtbar- nicht einmal in Ansätzen erprobt. Dabei haben vor allem keit und zu Wasserverschmutzung geführt.20 Alternative von Nichtregierungsorganisationen initiierte Versuche Ansätze, die stärker darauf gesetzt hätten, bestehende und Projekte immer wieder gezeigt, dass sich so mit re- Anbaumethoden nachhaltiger und produktiver zu ma- lativ geringem finanziellem Aufwand große Ertragsstei- chen und sie besser an agrarökologische Bedingungen gerungen erzielen lassen.21 1.2 Die Rolle der Strukturanpassungsprogramme von IWF und Weltbank Die Auswirkungen der Strukturanpassungsprogramme zahlen sie höhere Preise. Dies wird verstärkt durch eine (SAPs) der internationalen Finanzinstitutionen, die vor unnötig große Produktdifferenzierung ähnlicher Dünge- allem seit Anfang der 1980er Jahre angewandt wurden, mittel. Die Binnenlage eines Staates lässt die Kosten für werden nach wie vor kontrovers diskutiert. Weitgehende Import und Export durchschnittlich um 50-100 US-Dollar Einigkeit besteht mittlerweile zwischen den eigenen Be- pro Tonne steigen. Schlecht organisierte Verkaufsnetz- wertungen der Weltbank und der ihrer Kritiker bezüglich werke und die schwierige Finanzierung von Importen und der negativen Effekte auf die Versorgung mit Dünger und Verkauf tragen ebenfalls zum hohen Preisniveau und zur anderen Betriebsmitteln. Mit dem Rückzug staatlicher geringen Verwendung von Düngemitteln bei.22 Noch weni- Stellen und internationaler Geber wurde erwartet, dass ger überraschend ist, dass Privatunternehmen auch nicht wichtige Leistungen wie die Versorgung mit Düngemit- die Lücken schließen konnten, die öffentliche Stellen in teln von privaten Akteuren übernommen und somit letzt- der Agrarforschung und der Entwicklung der ländlichen lich zielgenauer und günstiger erbracht werden würden. Infrastruktur ließen. Diese Erwartung wurde in fast allen Ländern enttäuscht. Die Gründe dafür sind auf die Marktstrukturen sowie auf die Binnenlage vieler Staaten und damit auf hohe Trans- 20 Albrecht/Engel (2009), S. 65f portkosten zurückzuführen. Da die afrikanischen Impor- 21 Pretty/Hine (2001) teure zudem nur geringe Mengen an Dünger einkaufen, 22 Vgl. World Bank (2001), S. 1f 11 Studie_Agrarpolitik_dt_110628 11 29.06.11 12:46
Wer ernährt die Welt? Die europäische Agrarpolitik und Hunger in Entwicklungsländern Der Rückzug des Staates aus den Märkten und der Abbau überbewerteten Wechselkurse und Nahrungsmittelhilfe von Subventionen waren zentrale Elemente der SAPs. Die deutlich zugenommen hatte,25 blieb so weiter attraktiv. gesenkten Agrarsteuern sowie die Abwertung der Wech- Vielen Regierungen, denen es vorrangig um die Versor- selkurse wirkten sich vor allem in den exportorientierten gung der wachsenden Stadtbevölkerung („urban bias“) Sektoren aus. Die Bauern dort erhielten einen höheren ging, sahen dies nicht als großes Problem. Speziell die Anteil an den Weltmarktpreisen, was im Prinzip höhere urbanen Eliten verfügten über sehr viel größere politische Produzentenpreise zur Folge hätte haben sollen. Aller- und wirtschaftliche Macht als die Landbevölkerung.26 dings gingen in den 1980er Jahren die Weltmarktpreise Unter dem Strich ergaben sich für die Kleinbauern über- für die Exportprodukte vieler afrikanischer Länder dras- wiegend negative Effekte aus den SAPs. Die Auflösung tisch zurück, was die positiven Einkommenseffekte für der staatlichen Vermarktungsorgane trug zu wachsender die Bauern nicht nur zunichte machte, sondern teilweise Preisvolatilität sowie zum Abbau personeller und physi- sogar zu niedrigeren Einnahmen führte.23 Kritiker neh- scher Infrastruktur (Beratungsagenten, Lagerräume, etc.) men an, dass dieser Preisverfall kein unglücklicher Zufall bei. Steigende Input-Preise und die geringere Verfügbar- war, sondern vielmehr ein indirekter Effekt der SAPs, die keit saisonaler Finanzierungen führten zu stagnierender in vielen Ländern gleichzeitig den Anbau von Exportpro- oder gar abnehmender Produktivität. Aufgrund finanzieller dukten förderten und so zu einem Überangebot auf den Barrieren konzentrieren sich private Akteure auf profitable Weltmärkten führten.24 Auch für die Bauern, die vorwie- Nischen und vernachlässigen dadurch andere wichtige Be- gend Grundnahrungsmittel für den Inlandsmarkt an- reiche. Neben der Benachteiligung der Kleinbauern wirk- bauen, waren die Effekte widersprüchlich. Im Prinzip ten sich die Reformen auch negativ auf die Agrarexporte hätte die Abwertung der Währungen zu höheren Preisen aus, deren Qualität zurückging und die deshalb noch für importierte Lebensmittel und damit auch zu höheren weniger geeignet sind, internationale Märkte zu errei- Erzeuger- und Marktpreisen für die konkurrierenden hei- chen.27 Der anhaltende Wettbewerb mit außerregionalen mischen Grundnahrungsmittel führen müssen. Für viele Billigimporten, der erschwerte Zugang zu günstigen Kredi- afrikanische Bauern war dies allerdings wenig relevant, da ten und die Abschaffung der Input-Subventionen führten ihre Produkte aufgrund des Eigenkonsums, hoher Trans- insgesamt zu einer Reduzierung der Aussaat modernen portkosten und wegen ihrer leichten Verderblichkeit nur in Saatguts und zu einer noch geringeren Verwendung von geringem Umfang vermarktet werden. Zudem gab es auch Düngemitteln.28 Diese wurden allerdings nicht durch hier gegenläufige Effekte. Die SAPs verordneten neben der agrarökologische Anbaumethoden ersetzt, die häufig noch Anpassung der Wechselkurse auch den Abbau der Zölle bessere Erträge und Einkommen ermöglichen. Vielmehr auf Grundnahrungsmittel, der dann zu einer Zeit umge- wurde gerade in Afrika die Anbaufläche bei niedrigen setzt wurde, als die Weltmarktpreise deutlich zurückgin- Erträgen stark ausgeweitet29, was zu Entwaldung und Kon- gen. Der Import, der schon in den 1970er Jahren durch die flikten mit nomadischen Viehhaltern beitrug. 1.3 Handelspolitik und subventionierte Agrarexporte Ähnlich wie in anderen Entwicklungsländern hat sich gegenüber. Eine Weltbank-Studie aus dem Jahr 1999 kam auch die Handelsbilanz mit Agrarprodukten in Afrika ver- zu dem Ergebnis dass mehr als zwei Drittel (105) der schlechtert. Während die Entwicklungsländer insgesamt untersuchten 148 Entwicklungsländer Netto-Nahrungs- im Agrarhandel Anfang der 1960er Jahre noch einen Über- schuss der Exporte über die Importe von 6,7 Mrd. US-Dollar- aufwiesen, der bis Mitte der 1970er Jahre auf über 17 Mrd. 23 Binswanger-Mkhize/McCalla/Patel (2010), S. 131 US-Dollar anstieg, waren die 1980er Jahre bei starken 24 Bello (2010), S.101f Schwankungen weiter von einer positiven Handelsbilanz 25 Vgl. Delgado, S. 7. für Agrarprodukte insgesamt geprägt. Seit den 1990er 26 Vgl. Binswanger/Townsend (2000), S. 1077. Jahren sind die Entwicklungsländer insgesamt – bei 27 Vg. ebd., S. 283 f. weiter starken Schwankungen – tendenziell Nettoimpor- 28 Vgl. Adesina (2009), S. 7. teure.30 Wenigen großen Exporteuren in Südamerika und 29 Albrecht/Engel (2009), S. 35f Südostasien steht eine große Zahl von Nettoimporteuren 30 FAO (2003): S. 234 12 Studie_Agrarpolitik_dt_110628 12 29.06.11 12:46
Hunger in Afrika – Strukturelle und agrarpolitische Faktoren Grafik 5: Afrika südlich der Sahara: Nettohandel mit Agrarprodukten 6000 4000 2000 0 Mio. US-$ - 2000 - 4000 - 6000 - 8000 61-65 66-70 71-75 76-80 81-85 86-90 91-95 96-2000 2001-05 06/07 5 Jahresschnitte Agrarprodukte gesamt Lebensmittel ohne Fisch Getreide und -produkte Milchprodukte Fleisch und -produkte Quelle: Eigene Darstellung, Daten FAOstat mittelimporteure sind.31 In Afrika südlich der Sahara trifft rungssicherheit haben. In Ländern, die die notwendigen dies auf 60% aller Staaten zu.32 Importe durch den verstärkten Export anderer Güter finan- In Afrika südlich der Sahara, dessen Volkswirtschaf- zieren können, kann das sogar zu besserer Effizienz und ten überwiegend landwirtschaftlich geprägt sind, fand zusätzlichen Arbeitsplätzen in der Landwirtschaft führen. der Umschwung vom Nettoexport zum Nettoimport von In den afrikanischen Ländern, die überwiegend landwirt- landwirtschaftlichen Produkten erst in den letzten Jahren schaftlich geprägt sind, war dies allerdings nicht der Fall. statt. Allerdings sinkt der Überschuss der Exporte über Vielmehr können die in wachsendem Umfang nötigen Net- die Importe tendenziell seit Anfang der 1980er Jahre. toimporte von Getreide und anderen Grundnahrungsmit- Beim Handel mit Lebensmitteln außer Fisch besteht sogar teln immer weniger durch den Export anderer landwirt- seit Anfang der 1980er Jahre ein Defizit. Seit Anfang der schaftlicher Güter, vor allem Kaffee und Kakao, finanziert 1990er stieg das Handelsbilanzdefizit der Länder südlich werden. Gründe sind der drastische Anstieg der Import- der Sahara von etwas über einer Milliarde US-Dollar auf mengen vor allem von Getreide und Milchprodukten, der über sieben Milliarden US-Dollar in den Jahren 2006/2007, sich bis heute ungebremst fortsetzt und die stagnierende den letzten, für die umfassende Daten vorliegen. Ein wich- Nachfrage in den Industriestaaten, den wichtigsten Märk- tiger Faktor dabei war der drastische Anstieg der Preise ten für die afrikanischen Agrarexporte. Die Nahrungsmit- für Lebensmittel 2007, vor allem Getreide, von dem prak- telpreiskrise von 2007/2008 verschärft die Situation noch tisch alle afrikanischen Länder zunehmend mehr importie- dadurch, dass für die höheren Importmengen auch noch ren als exportieren. Seit Anfang der 2000er Jahre nimmt drastisch höhere Preise gezahlt werden müssen. auch das Handelsbilanzdefizit mit Fleischprodukten rasch Die Gründe für die stark angestiegenen Nahrungsmit- zu, während bei Milchprodukten schon seit den 1970er telimporte Afrikas sind in der oben dargestellten Vernach- Jahren ein langsamerer aber kontinuierlicher Anstieg der Nettoimporte zu beobachten ist. Eine negative Handelsbilanz bei Agrarprodukten muss 31 McCalla/Valdés (1999), S. 7, 10. nicht in jedem Fall negative Konsequenzen für die Ernäh- 32 McCalla/Valdés (1999), S. 7, 10. 13 Studie_Agrarpolitik_dt_110628 13 29.06.11 12:46
lässigung der Landwirtschaft, vor allem der kleinbäuer- lichen Grundnahrungsmittelproduktion, zu suchen. Ein entscheidender Faktor, der es nationalen Regierungen und internationalen Entwicklungshilfegebern nicht nur ermöglichte, sondern es sogar als rational erscheinen ließ, sich so zu verhalten, war der seit Mitte der 1970er Jahre nahezu kontinuierliche Rückgang der realen Weltmarktpreise für Grundnahrungsmittel sowie die leichte Verfügbarkeit von Nahrungsmittelhilfe.33 (vgl. Grafik 6) Die niedrigen Preise ließen zusätzliche Unterstützung für die Landwirtschaft unnötig erscheinen und führten dazu, dass der Beitrag der Landwirtschaft zum Wirtschaftswachstum, der ja in Geldgrößen gemes- sen wird, unterschätzt wurde.34 Auch in den Kosten- Foto: Flittner/MISEREOR Nutzen Rechnungen von Entwicklungsinstitutionen wie der Weltbank führten die niedrigeren Preise dazu, dass landwirtschaftliche Projekte geringere „Erträge“ auswiesen und entsprechend zurückgefahren wurden. Ohne staatliche und internationale Unterstützung waren gerade afrikanische Landwirte zu den niedrigeren Prei- 33 Stevens/Kennan (2001) zit. n. Bello sen nicht mehr konkurrenzfähig, und entsprechend wur- (2010), S.103 34 Timmer/Akkus (2008), S. 5 de Afrika zu einem Nettoimporteur von Lebensmitteln.35 35 Binswanger-Mkhize/McCalla/Patel (vgl. Abschnitt 2) (2010), S. 131 Grafik 6: Preisindizes für Lebensmittel seit 1961-2008 Index 300 250 200 150 100 50 0 1965 1975 1985 1995 2005 FAO real food price index FAO food price index Quelle: FAO: State of Food Insecurity in the World 2008, S.7 14 Studie_Agrarpolitik_dt_110628 14 29.06.11 12:46
Die europäische Agrarpolitik und die Rolle der EU als Exporteur von Lebensmitteln Grafik 7: Nettohandel der EU mit Agrarprodukten 10000 5000 0 -5000 Mio. US-$ - 10000 - 15000 - 20000 - 25000 -30000 61-65 66-70 71-75 76-80 81-85 86-90 91-95 96-2000 2001-05 06/07 5 Jahresschnitte Agrarprodukte gesamt Lebensmittel ohne Fisch Getreide und -produkte Milchprodukte Fleisch und -produkte Quelle: Eigene Darstellung, Daten FAOstat 2. Die europäische Agrarpolitik und die Rolle der EU als Exporteur von Lebensmitteln Eine wichtige Rolle beim Rückgang der Weltmarktprei- bedeutenden Exporteur wurde. In der zweiten Hälfte der se spielte die Tatsache, dass die EU in den 1980er Jahren 1990er Jahre war die EU sogar zeitweise Nettoexporteur bei wichtigen landwirtschaftlichen Produkten vom Netto- von Nahrungsmitteln. importeur zum Nettoexporteur wurde, so bei Getreide Die Entwicklung des Agrarhandels der EU verläuft in und Fleisch, oder ihre eher niedrige Nettoexportposition den 1970er und 1980er Jahren praktisch spiegelbildlich zu stark anstieg, wie bei Milchprodukten. Grafik 6 verdeut- der in Afrika: Die Nettoimporte von landwirtschaftlichen licht, dass die realen (also um die allgemeine Inflation Gütern insgesamt und von Nahrungsmitteln gingen deut- bereinigten) Weltmarktpreise für Lebensmittel seit Mit- lich zurück, und bei wichtigen Produkten wurde sie gar te der 1970er Jahre bis Mitte der 1990er Jahre ziemlich zum Nettoexporteur, während Afrika Anfang der 1980er kontinuierlich zurückgingen. Bis Anfang der 2000er Jah- Jahre zum Nettoimporteur von Lebensmitteln wurde und re blieben sie mit Schwankungen auf einem niedrigen Ni- vor allem die Getreideimporte deutlich zunahmen (vgl. veau, bis es 2007 zum drastischen Anstieg der Preise auf Grafik 5). Beim Getreidehandel gab es auch in der EU den ein Niveau kam, wie es seit den 1970er Jahren – während größten Umschwung in der Position vom Nettoimporteur der ersten Ölkrise – nicht mehr bestanden hatte. Der dras- zum Nettoexporteur. tischste Rückgang der Lebensmittelpreise von Mitte der Die Parallelen zwischen der Entwicklung der EU zum 1970er bis Mitte der 1980er Jahre fällt genau in die Zeit, Nettoexporteur und den gleichzeitig zunehmenden Impor- als die EU ihre Nettoimporte von Lebensmitteln deutlich ten in anderen Regionen gilt nicht nur für Afrika, sondern reduzierte und bei wichtigen Produkten sogar zu einem bei wichtigen Produkten auch für die Entwicklungsländer 15 Studie_Agrarpolitik_dt_110628 15 29.06.11 12:46
Wer ernährt die Welt? Die europäische Agrarpolitik und Hunger in Entwicklungsländern Grafik 8: Nettoexporte von Milchprodukten der EU 15 Tausend Tonnen (liquid milk equivalent) 25000 20000 15000 10000 5000 0 -5000 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 EU 15 Nettoexporte Industrienationen Nettoexporte ll d FKLJB B Quelle: FAO (2006): World agriculture towards 2030/2050, S. 49 F insgesamt. Grafik 8 zeigt den mengenmäßigen Anstieg überschüssige Mengen von den weiterverarbeitenden der EU-Nettoexporte von Milchprodukten, umgerechnet Betrieben wie etwa Molkereien und Schlachthöfen auf in Frischmilch, im Vergleich zur Zunahme der Importe aller und lagerte sie ein, um so durch ein künstlich verknapp- Entwicklungsländer im selben Maßstab. Vor allem in den tes Angebot höhere Preise zu erzwingen. 1970er Jahren gab es parallel einen starken Anstieg der • Ergänzend zum staatlichen Ankauf und zur Lagerhal- Exporte aus der EU und der Importe in Entwicklungslän- tung wurden auch die Exporte europäischer Agrarpro- dern; seit den 1990er Jahren gehen die mengenmäßigen dukte subventioniert, indem den exportierenden Un- Exporte der EU tendenziell zurück, während die Importe ternehmen die Differenz zwischen dem garantierten der Entwicklungsländer stagnieren. EU-Preis und dem niedrigeren Weltmarktpreis erstat- Der entscheidende Grund für die veränderte Rolle der tet wurde. EU im Weltagrarhandel war die 1963 eingeführte Gemein- • Die Agrarmärkte der EU wurden durch flexible Zölle same Agrarpolitik (GAP). Ihr wichtigstes Ziel war, mehr und mengenmäßige Importbeschränkungen ge- Nahrungsmittel zu produzieren, um die Importabhängig- schützt. Nur Produkte, welche die europäischen Land- keit zu reduzieren. Dazu sollte die Produktivität der land- wirte nicht oder nicht in ausreichenden Mengen an- wirtschaftlichen Arbeitskräfte und Flächen erhöht werden. bauen konnten, wurden importiert. Die Zölle wurden Als erwünschte Nebeneffekte sollten die Einkommen der regelmäßig so angepasst, dass die Preise für impor- in der Landwirtschaft Beschäftigten ansteigen und ein tierte Lebensmittel in der EU immer mindestens so großer Teil der dort eingesetzten Arbeitskräfte eingespart hoch waren wie die garantierten Preise für die euro- werden, um in den rasch expandierenden Industrien zu päischen Landwirte. arbeiten. Wichtigstes Instrument war, die internen Preise • Für einige Produkte wurden auch die Produktionsmen- anzuheben und zu stabilisieren und so Anreize für Investi- gen innerhalb der EU durch Quoten begrenzt, vor allem tionen in moderne Produktionsmethoden zu schaffen und bei Zucker und Milch. Produktionsanreize zu schaffen. Dafür wurde eine Reihe von Maßnahmen eingeführt:36 Die GAP hat ihre ursprünglichen Ziele zu einem bemer- • Zentral waren staatlich garantierte „Interventions- kenswerten Grad erreicht. Vor allem die landwirtschaft- preise“ für die meisten weiterverarbeiteten landwirt- schaftlichen Produkte. Fielen die Preise in der EU un- ter die Interventionspreise, griff der Staat ein, kaufte 36 CTA (2009): S.1 16 Studie_Agrarpolitik_dt_110628 16 29.06.11 12:46
Die fortgesetzten Anreize zur Produktionssteigerung führten schon bald zur Überproduktion der wichtigsten Nahrungsmittel. Um den Verfall der internen Preise zu ver- hindern, musste die öffentliche Hand in großem Umfang Kuhfoto mit dem Ankauf von Überschüssen intervenieren. Damit die Kosten für die Lagerung gering blieben, wurde der größte Teil dieser Überschüsse mit Hilfe von Exportsub- ventionen auf dem Weltmarkt abgesetzt. Exportsubventi- onen gleichen die Differenz zwischen dem Interventions- preis und dem niedrigeren Weltmarktpreis aus. Dadurch wird der Export für die beteiligten Handelsunternehmen lohnend, obwohl sie die Waren zu einem höheren Preis kaufen, als sie beim Verkauf in anderen Ländern erlösen können. Die Preisunterschiede waren dabei zeitweise außerordentlich groß: So lag z.B. der Exportpreis von Weizen im Oktober 1993 bei 65 US-Dollar pro Tonne, der EU-Interventionspreis bei 176 US-Dollar 37. Diese Maß- Foto: FKLJB-Bundesstelle nahmen waren auch für Zucker und Milch notwendig, ob- wohl für diese Produkte Produktions- bzw. Vermarktungs- quoten festgelegt worden waren. Die Quoten lagen aber deutlich über dem EU-internen Verbrauch. Exportsubven- tionen wurden auch für weiterverarbeitete Produkte wie liche Produktivität hat sich seit Ende des Zweiten Weltkrie- Gebäck und Süßwaren gezahlt, und zwar abhängig davon, ges sehr stark erhöht, so dass der Selbstversorgungsgrad wie viele Rohstoffe wie Mehl, Zucker oder Milchprodukte bei Nahrungsmitteln enorm anstieg. Parallel zu dieser für ihre Produktion verwendet und zum EU-internen Preis Entwicklung sank die Zahl der Betriebe und noch mehr angekauft wurden. Trotz der zunehmenden Exporte von die der Arbeitskräfte dramatisch. Trotzdem war die EU be- wichtigen Grundnahrungsmitteln blieb die EU durchge- reits Ende der 1970er Jahre – also etwa 15 Jahre nach dem hend Nettoimporteur von landwirtschaftlichen Gütern. Beginn der GAP – Selbstversorger für fast alle wichtigen Neben den Importen von tropischen Lebensmitteln wie Nahrungsmittel. Allerdings war die zunehmende Produk- Kaffee und Kakao sowie landwirtschaftlichen Rohstoffen tion von Nahrungsmitteln tierischen Ursprungs (Fleisch, Milch und Eier) nur auf Grundlage von wachsenden Fut- termittelimporten möglich. (s. Grafik 9 ) 37 Germanwatch 1994 Grafik 9: Soja EU-Importe, Produktion und Anbaufläche in Südamerika Sojaschrotimporte der EU Sojaprodultion und Anbaufläche Südamerika 50000 120000 1000 t bzw. 1000 ha 40000 100000 Sojabohnen 80000 Sojaproduktion 1000 t 30000 (Schrotgewicht) 60000 Sojaanbau- 20000 Sojaschrot fläche 40000 10000 20000 0 0 5 5 5 5 5 5 5 5 -7 -8 -9 -0 -7 -8 -9 -0 71 81 91 01 71 81 91 01 5 Jahresschnitte 5 Jahresschnitte Quelle: FAO Quelle: FAO 17 Studie_Agrarpolitik_dt_110628 17 29.06.11 12:46
Wer ernährt die Welt? Die europäische Agrarpolitik und Hunger in Entwicklungsländern wie Baumwolle und Kautschuk sind dafür an erster Stel- baut werden, wie Weizen in Westafrika. Oder sie sind auf le die zunehmenden Futtermittelimporte, vor allem von einen deutlich höheren Einsatz von Betriebsmitteln wie Soja, verantwortlich. Dünger und Pestizide sowie zum Teil Bewässerung an- Der anfangs eher unfreiwillige Aufstieg der EU zu ei- gewiesen, die – wie oben dargestellt – gerade für Klein- nem der wichtigsten Agrarexporteure führte zu heftigen bauern oft nur schwer verfügbar sind. Zudem verursacht Auseinandersetzungen mit den USA. Um ihre dominante ihr Anbau auch oft größere ökologische Probleme, bei- Stellung auf dem Weltagrarmarkt zu verteidigen, began- spielsweise durch Bodenerosion im Maisanbau. nen die USA ebenfalls ihre Exporte massiv zu subventi- Die fehlenden Anreize zur heimischen Produktion und onieren und trugen damit zum weiteren Verfall der Welt- das veränderte Verbraucherverhalten erhöhen die Abhän- marktpreise bei. Die größten Verlierer dieses Szenarios gigkeit von Importen. Von Braun et. al. merken an, es habe waren einerseits Konkurrenten auf dem Weltmarkt, die den Anschein, dass Subventionen im Hinblick auf Exporte sich selber keine Subventionen leisten konnten oder gezielt genutzt wurden, um Handelsinteressen zu wahren wollten. Dazu gehören beispielsweise Australien, Neu- bzw. Marktanteile und Exportmärkte zu sichern. Die EU- seeland und Kanada unter den Industrieländern und Ent- Getreidemarktpolitik stehe im Widerspruch zur Entwick- wicklungsländer wie Brasilien, Argentinien oder Thailand. lungspolitik und wirke vor allem dem Ziel der Ernährungs- Andererseits erlaubten die niedrigen Weltmarktpreise es sicherung in afrikanischen AKP-Staaten entgegen.41 eben, die kleinbäuerliche Landwirtschaft in Afrika und Die französischen Agrarforschungsinstitute GRET und anderen Entwicklungsländern zu vernachlässigen, ohne CIRAD kommen in einer Studie zu den Auswirkungen von dass dies direkt negative Auswirkungen auf die Versor- Agrarexportsubventionen und Nahrungsmittelhilfe in gung der städtischen Bevölkerung hatte. Entwicklungsländern42 aus dem Jahr 2006 in einigen der Von Braun et al. 1995 untersuchten Mitte der 90er Jah- untersuchten Regionen und für verschiedene Produkte re am Beispiel Getreide mögliche Inkohärenzen zwischen zu ähnlichen Schlussfolgerungen. Bei der Betrachtung der EU-Getreidemarktpolitik und der EU-Entwicklungs- der Wirkungen subventionierter Milchpulverexporte nach politik in den afrikanischen AKP-Staaten. Sie kommen Mali stellen sie fest, dass der Ausbau der Milchproduk- zu dem Schluss, dass die EU-Getreidemarktordnung für tion zur Versorgung der städtischen Bevölkerung sich sehr sinkende Weltmarktpreise verantwortlich ist. Die Getreide- positiv auf die Einkommen der nomadischen Viehhalter im Weltmarktpreise waren demnach in den Jahren vor 1992 Norden des Landes auswirken könnte. Wegen der leich- 10-15 % niedriger, als sie es ohne EU-Getreidemarktpoli- ten Verderblichkeit der Milch sei dies allerdings nur mit tik gewesen wären.38 Die Autoren weisen darauf hin, dass beträchtlichen Investitionen in die Infrastruktur vor allem andere mögliche Getreideexporteure auf dem Weltmarkt für Transport und Kühlung realisierbar. Die Verfügbarkeit mit den durch die EU-Getreidemarktpolitik verursachten billiger und leicht zu handhabender Milchpulverimporte niedrigen Preisen zu kämpfen hatten: Einerseits würde mache diese Investitionen aber wenig attraktiv. Somit ihr Einkommen geschmälert, andererseits böten niedrige stellten die subventionierten europäischen Exporte ei- Weltmarktpreise langfristig keinen Anreiz zur inländischen nes von mehreren Hindernissen für die Entwicklung des Produktion und machten Investitionen in die Getreidepro- Milchsektors in Mali dar.43 duktion unattraktiv.39 Importe billigen Getreides drücken aber nicht nur das Niveau der heimischen Produktion in Importländern. Sie können zudem eine Veränderung des Konsumverhaltens der Verbraucher mit sich ziehen. In vielen Entwicklungsländern sind die traditionellen Nah- rungsmittel wie Hirse oder Sorghum durch Weizen und Mais substituierbar und so von indirekter Konkurrenz und durch niedrige Importpreise von Verdrängung betroffen. Von Braun et al. 1995 weisen nach, dass Getreideimporte den Verbrauch von Weizen, Mais und Reis zuungunsten heimischer Agrarprodukte wie Sorghum und Hirse stei- 38 Von Braun et al. 1995 39 Von Braun et al. 1995 gern.40 Afrikanische Kleinbauern haben in vielen Ländern 40 Von Braun et al. 1995 kaum Möglichkeiten, sich an die so veränderten Konsu- Di P j k 41 Von Braun et al. 1995 mentenpräferenzen anzupassen. Die importierten Getrei- 42 Alpha et al. 2006 desorten können dort entweder praktisch gar nicht ange- 43 Alpha et al. 2006, S. 168 F 18 Studie_Agrarpolitik_dt_110628 18 29.06.11 12:46
Sie können auch lesen