Universität Und Wissenschaft im Berlin des 19. JahrhUnderts
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b erliner Geschichte | Ausgabe 5 Universität und Wissenschaft 6–13 im Berlin des 19. Jahrhunderts Rüdiger vom Bruch Berlin als Nobelpreis- 14–21 träger- schmiede Berliner Wissenschaft im Kaiserreich Werner TreSS In Zeiten politischer Grabenkämpfe 22–27 Die Berliner Universität in der Weimarer Republik Norman Rönz 4/5: akg-images www.berliner-geschichte.net 4
Inhalt Verbrechen, 28–35 Opportunismus und Widerstand Die Berliner Universität im „Dritten Reich“ Jens Thiel Die Humboldt- 36–41 Universität zu Berlin Wiedereröffnung und Anfangsjahre nach dem Zweiten Weltkrieg Carlo Jordan Wahrheit, 42–49 Gerechtigkeit und Freiheit Die politischen Universitäten West-Berlins Wolfgang Wippermann EditoriaL 3 rezensioneN 50 Impressum/Vorschau 51 5
Universität und Wissenschaft im Berlin des 19. Jahrhunderts Rüdiger vom Bruch Die 1810 gegründete Berliner Universität stieg im 6/7: akg-images/Alexander Schippel 19. Jahrhundert zu einer der bedeutendsten Universitäten Deutschlands auf. Blick in den Emil-Fischer-Hörsaal im ehemaligen um 1890 gebauten Chemischen Instituts gebäude in der Hessischen Straße. 6
Un i vers i tät u nd W i ssenschaft im Berlin des 19. Jahrhunderts Nach 1800 setzte Berlin trotz der Niederlage gegen Napoleon und trotz Verarmung und Besetzung Maßstäbe in Kultur und Wissen- schaft. Wilhelm von Humboldt begründete mit der Berliner Universität 1810 eine neu- artige Konzeption von Bildung und Wissen- schaft, die bis heute moderne Forschungs- universitäten weltweit inspiriert. In Berlin selbst war die Innovation zunächst wenig spektakulär, doch im Kaiserreich seit 1871 setzte der Aufstieg zur führenden deutschen und international ausstrahlenden Universi- tät ein, dicht vernetzt mit einem vielgestal- tigen Berliner Wissenschaftsraum. Eine Wissenschafts- landschaft ohne Universität Die kurfürstliche Residenzstadt Berlin war um 1700 kein Mekka der Wissenschaften, bot aber einige günstige Be- dingungen. Zwar lag sie noch um 1800 weit hinter den Weltzentren Paris und London zurück und spielte erst um 1900 in der gleichen Liga, doch schon unter dem Großen Kurfürsten wurde mit Bibliothek, Observatorien, diversen Sammlungen und gelehrten Gymnasien ein Grundstock für eine dann systematisch erweiterte Infrastruktur bereit- gestellt. Im Jahr 1700 wurde nach Plänen von Gottfried Wilhelm Leibniz eine Wissenschaftssozietät, die künftige Akademie der Wissenschaften, gegründet. Unterdessen stieg das Kurfürstentum Brandenburg nach dem Sieg über Schweden 1675 und der Erhebung zum Königreich 1701 zu einer europäischen Mittelmacht auf. Für seine Akademie schuf Leibniz mit der Formel „the- oria cum praxi“ – das heißt der nützlichen Verbindung von Erkenntnis und praktischer Anwendung – das Leit- motiv für weitere, vor allem medizinisch-militärärztliche Einrichtungen, für Spezialakademien sowie für wissen- schaftliche Periodika im Zeitalter der Aufklärung. Als Friedrich II. nach seinem Regierungsantritt 1740 die unter 7
b erliner Geschichte | Ausgabe 5 dem Soldatenkönig dahingewelkte mitteln – so in der 1694 gegründeten Gottfried Wilhelm Leibniz war einer der bedeutendsten Universalgelehr- Wissenschaftsakademie mit neuem preußischen Reformuniversität Halle ten seiner Zeit und Begründer der Leben erfüllte, regten insbesondere und insbesondere in der 1737 er- Kurfürstlichen Brandenburgischen deren Preisaufgaben eine Fülle von richteten kurhannoverschen Uni- Sozietät der Wissenschaften in Berlin. wissenschaftlich gestützten Verbesse- versität Göttingen, wo anstelle rungen an. Zudem förderte der König von tradiertem Wissen neue in Potsdam über Voltaire und andere Forschungsergebnisse ange- eine Aufklärung nach französischem boten wurden. Doch die Muster, während sich unabhängig da- Zeichen der Zeit ver- von um den Philosophen Moses Men- wiesen auf praxisnahe delssohn, den Buchhändler Friedrich Spezialisierung. Nicolai und den Gymnasialdirektor Die alteuropäische Friedrich Gedike eine eigenständige Universität schien Berliner Aufklärung entwickelte. In morsch, und sie deren Organ „Berlinische Monats- zerfiel ebenso wie schrift“ regte Gedike 1784 anonym das Alte Reich un- eine Universität für Berlin an, doch ter dem Ansturm zu dieser Zeit galten Universitäten als des revolutionären, entbehrlicher, weil weltfremder Tradi- dann napoleonischen tionsballast. Frankreich um 1800, In ganz Europa setzte man auf mo- als 22 deutsche Univer- derne, also praxisnah spezialisierte sitäten eingingen. Ausbildungsanstalten. Zwar gab es im Auch Preußen zielte nach deutschen Bereich einzelne einfluss- der Thronbesteigung durch reiche Reformvorstöße, um Inhalte Friedrich Wilhelm III. 1797 auf eine ohne Zensurbeschränkungen zu ver- Modernisierung von Akademie und Nach dem französischen Sieg in der Schlacht bei Jena und Auerstedt zog Napoleon am 27. Oktober 1806 durch das Brandenburger Tor in Berlin ein, Gemälde von Charles Meynier 1810. 8
Un i vers i tät u nd W i ssenschaft im Berl i n des 19. Jahrh underts Studium, wie sie Minister Julius von Massow 1801 in einem kurze Zeitfenster für eine kühne Modernisierung des preu- Gesamtschulplan als Bündelung von Fachhochschulen für ßischen Staates, als Befreiung von staatlicher Bevormundung Juristen, Geistliche, Ärzte und Lehrer vorsah. Doch nach der unter einem König, dem selbst jeder Liberalismus fernlag, Katastrophe von Jena und Auerstedt 1806 änderte sich alles: der sie aber angesichts der desolaten Lage einige Jahre ge- Preußen verlor die Hälfte seines Gebiets, wurde ganz auf die währen ließ. östlichen Teile abgedrängt, hatte eine desolate Wirtschafts- 1809/10 eröffnete Humboldt eine Denkschrift über die lage und die Besetzung der Hauptstadt Berlin zu ertragen. neue Universität in Berlin mit dem Satz: Der König selbst erklärte 1808, der Staat müsse nun durch geistige Kräfte ersetzen, was er an physischen verloren habe. „Der Begriff der höheren wissenschaftlichen Anstalten Freilich dachte er nach wie vor an eine praxisnahe Ausbil- als des Gipfels in dem alles, was unmittelbar für die dung, doch mittlerweile proklamierten führende Denker moralische Kultur der Nation geschieht, beruht darauf, eine neue Wissenschaftsgesinnung, die der Philosoph und die Wissenschaft im tiefsten und weitesten Sinne des Sprachforscher Wilhelm von Humboldt in Abkehr von dem Wortes zu bearbeiten und als einen nicht absichtlich, aufklärerischen „theoria cum praxi“ unter dem Leitmotiv aber von selbst zweckmäßig vorbereiteten Stoff der „Einsamkeit und Freiheit“ zusammenfasste. geistigen und sittlichen Bildung zu seiner Benutzung Bereits 1798 hatte der Philosoph Immanuel Kant in seiner hinzugeben.“ Spätschrift „Vom Streit der Fakultäten“ eine Umkehr der bis- herigen Rangfolge der Fakultäten gefordert: Bislang waren die Wie in einem Brennspiegel bündelte diese Denkschrift in Berufsfakultäten Theologie, Jura und Medizin höher bewertet prägnanten Formulierungen den neuen Wissenschaftsgeist worden, da sie konkreten Interessen dienten, während die dieser Zeit. Es komme darauf an, „innerlich die objektive propädeutisch dienende Artisten- bzw. philosophische Fakul- Wissenschaft mit der subjektiven Bildung, äußerlich den tät minder geachtet wurde, obwohl sie doch nach Kant der vollendeten Schulunterricht mit dem Wissenschaft und damit der Erkenntnis von Wahrheit ver- beginnenden Studium (…) zu pflichtet sei. Gleichzeitig schuf der philosophische Idealismus verknüpfen“. An der Universi- mit Johann Gottlieb Fichte und Friedrich Wilhelm von Schel- tät sei nicht der Lehrer für den ling eine streng deduktive Wissenschaftssystematik, die jedem Schüler, nicht der Schüler für den Wissensbereich seinen eigenen Stellenwert zuwies, sofern er Lehrer da, sondern beide für die den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erhob. Wissenschaft „als etwas noch nicht ganz Gefundenes und nie ganz Aufzufindendes“. Beide müssten Eine Idee nimmt daher „immer im Forschen blei- Gestalt an 1807/08 regte der nun zuständige Kabinettsrat Karl Friedrich Beyme etliche Denkschriften für eine Neuordnung von Wis- senschaft und Bildung an, unter denen ein „Deducirter Plan“ von Fichte herausragte. Daneben publizierte der Theologe und Philosoph Friedrich Schleiermacher 1808 seine Schrift „Gelegentliche Gedanken über Universitäten in deutschem Sinne“, die idealistische Wissenschaftskonzeption und eine neuhumanistische Bildungsvorstellung im Unterschied zu Fichtes Abstraktionen erfrischend realitätsnah entwickelte und ein Jahr später in Wilhelm von Humboldts Gründungs- modell für eine Universität in Berlin einmündete. 8: akg-images; 9: Hervé Champollion/akg-images Humboldt sowie die Reformer um Karl Freiherr vom und zum Stein nutzten zwischen dem schmachvollen Tilsiter Frieden von 1808 und den Befreiungskriegen von 1813 das Denkmal Wilhelm von Humboldts vor der Humboldt-Universität Berlin, geschaffen 1883 von Paul Otto 9
b erliner Geschichte | Ausgabe 5 Das Mitte des 18. Jahrhunderts erbaute Palais des Prinzen Heinrich wurde ab 1810 Hauptgebäude der neuen Universität Unter den Linden. Der Kupferstich von J. G. Rosenberg von 1785 zeigt einen Straßenhändler vor dem Prinzenpalais. ben“. Der Staat habe sich ganz aus der schärferes und in sich zunehmend dif- diente das scheinbar überlebte Vier- Sache herauszuhalten, da er allenfalls ferenziertes Profil, sie wandelten sich Fakultäten-Modell nun als Rahmen hinderlich wirke, und sich auf den von Bindestrich-Professuren zu Dis- für eine neuartige Verknüpfung aller äußeren Rahmen und die notwendi- ziplinen mit eigenständiger Methodik mit wissenschaftlicher Methodik aus- gen Finanzen zu beschränken. Zudem und Erkenntnisinteressen. gestatteten Einzelfächer (universitas ordnete Humboldt die Universität in Auch ganz neue Disziplinen entstan- litterarum). einen Bildungsgesamtplan ein, von der den wie etwa die Landwirtschaftswis- Junge Privatdozenten wurden durch Elementarschule bis zur Wissenschafts- senschaft in Berlin durch Albrecht eine zukunftsweisende Habilitati- akademie. Alle Schüler sollten zudem Daniel Thaer. Mit der Disziplinierung onsordnung zu spezialisierter Erfor- gleiche Bildungschancen erhalten und der Fachgebiete ging eine Professiona- schung von Neuem angehalten und nicht mehr durch Standesschranken lisierung der in ihnen wissenschaftlich wissenschaftlich begabte Studierende, voneinander abgeschottet werden. Ausgebildeten einher, gerade auch in neben der weiterhin überwiegenden War das realitätsfremde Fantastik? der bislang noch weitgehend „berufs- Berufsvorbereitung, in Seminarübun- Humboldt entwickelte nüchtern und freien“ philosophischen Fakultät mit gen zu gemeinsamer Forschungs- präzise Vorstellungen für seine Ber- ihrem Schwerpunkt nunmehr auf der arbeit mit ihren Lehrern angeregt. liner Schöpfung. Bildung durch Wis- Lehrerausbildung. Für alle aber galt eine staatliche senschaft und Wissenschaft als For- Humboldts Tätigkeit als Sektions- Reglementierung der Zulassung zum schung, diese Maximen beherrschten leiter für Kultus im preußischen Studium sowie der berufsberechtigen- die reformierte deutsche Universität Innenministerium währte nur von den Abschlussprüfungen. Alle diese des 19. Jahrhunderts. An die Stelle der Februar 1809 bis Juni 1810. Anschlie- Elemente setzten sich im Verlauf des früheren „Familienuniversität“ mit ßend gab er, entnervt von ständigen 19. Jahrhunderts nach und nach in ihrer Versorgungsmentalität trat eine Reibereien, sein Amt auf. Doch der der deutschen Universitätslandschaft Bestenauslese, beginnend mit Hum- Boden war bereitet, vor allem dank durch, auch wenn, wie in Berlin boldts Berufungspolitik für Berlin, glänzender Berufungen und weite- selbst, eine institutionelle Verfesti- gegründet auf exzellente – und natur- rer Unterstützung durch Reformer gung von Habilitation und Seminaren gemäß spezialisierte – Forschung. Die wie Schleiermacher, der wesentliche erst gegen Ende des Jahrhunderts zu einzelnen Fachgebiete gewannen ein pragmatische Eckpfeiler einzog. So verzeichnen war. 10
Un i vers i tät u nd W i ssenschaft im Berl i n des 19. Jahrh underts Die Alma Mater statt –, doch sie erwies sich rasch als Magnet mit hoher Ausstrahlungskraft. 1810 hatten sich 256 Studierende Berolinensis im eingeschrieben, betreut von 52 Hochschullehrern in etwa 20 wissenschaftlichen Institutionen. Schon nach drei Se- 19. Jahrhundert mestern hatte man mit 600 Studierenden an die norddeut- sche Konkurrenzuniversität Göttingen aufgeschlossen. Auch in den 1820er- und frühen 1830er-Jahren wuchs trotz Freilich, vieles wurde verwässert oder entwickelte sich ge- der politisch lähmenden Situation die Studentenzahl auf gen Humboldts Maximen: so eine hierarchisch sich verfes- ca. 2000 um 1835 an, womit Berlin zur größten deutschen tigende Ordinarienuniversität, der Verlust einer geistigen Universität vor München wurde. Mitte der immer mehr auseinanderdriftenden Fachgebiete, Das wog schwer, denn vor den Überfüllungsdebatten die Pervertierung von lebendiger Bildungsaneignung zu seit den 1880er-Jahren galt im 18. und 19. Jahrhundert formal berechtigenden Bildungspatenten oder die soziale die Frequenz als zentrales Kriterium für den Rang einer Abschottung des Gymnasiums, auch wenn dieses, eher als Universität. Beachtlich dabei: In Berlin wuchs bis 1830 die vormalige Lateinschule, gut vorbereitete Schüler an die die Theologische Fakultät am schnellsten. Die Prominenz Universität entsandte. Doch der Grundstock war gelegt, auf eines Schleiermacher und weiterer Theologen sicherte dem sich die so ungemein erfolgreiche Forschungsuniver- hohe Reputation. Als Magneten wirkten im gleichen Zeit- sität des 19. Jahrhunderts aufbaute. Auch der frühere Ge- raum Hegel und die romantische Naturphilosophie, aber gensatz zwischen Forschungsakademie und Lehruniversität auch hervorragende Juristen und Mediziner. Humboldts trat zurück, mitgeprägt durch Humboldts Reform beider Konzept der besten Köpfe hatte sich insgesamt bewährt. Anstalten 1810/12. „Akademiker“ lehrten nun an der Uni- Bezeichnenderweise fand ein starker Frequenzeinbruch in versität in Berlin, und deren Professoren bestimmten zu- den 1840er-Jahren statt, als – neben finanziellen Engpässen nehmend die Forschungsprojekte der Akademie. und der Verminderung der Ordinariate – die erste Genera- Ohne Feierlichkeiten nahm die neue Universität im tion von Hochschullehrern abtrat. Oktober 1810 ihre Arbeit auf – die offizielle Inaugurati- Den Aufschwung zur mit Abstand führenden deutschen onsfeier fand erst 1817 nach Genehmigung der Statuten Universität vollzog die seit 1828 Friedrich-Wilhelms- Die Vorlesungen Georg Wilhelm Friedrich Hegels zogen zahlreiche Studenten an die Berliner Universität. Die Lithografie von Franz Kugler 1828 zeigt Hegel am Katheder. 10/11: akg-images 11
b erliner Geschichte | Ausgabe 5 fassungsversprechen setzte mit der sogenannten Demagogenverfolgung ein Bespitzelungssystem ein, das politische Opposition im Keim erstickte. In der Revolution von 1848/49 trat die Berliner Universität kaum in Erscheinung. Im Kaiserreich dominierte eine liberalkonser- vative, relativ breite politische Konsenskultur, jedoch mit antisozialistischer, antikatholischer und antisemitischer Abgrenzung. Gegen Frauen im Hörsaal und auf dem Katheder agitierte man in Berlin nicht minder laut als anderswo, ein reguläres Frauenstudium genehmigte Preußen erst 1908. Politisch brauchten die Hochschulleh- rer um 1900 kaum mehr diszipliniert zu werden, auch wenn sich nur ein Teil als „geistiges Leib- regiment der Hohenzollern“ verstand, wie der Rektor und Physiologe Emil Du Bois-Reymond die Berliner Universität 1870 im Krieg gegen Frankreich titulierte. Reichlich ausgezeichnet mit Orden und Titeln, eingebunden in das va- terländische Vereinswesen, waren die Berliner Hochschullehrer kein Hort der Unruhe, wie man noch in der Gründungsphase befürchtet hatte. Sowohl zu Beginn als auch gegen Ende des 19. Jahrhunderts prägten bedeutende Geistes- wissenschaftler und Naturforscher die Berliner Universität. Zu Beginn gaben der spekulative philosophische Idealismus sowie eine tief in Medizin und Naturforschung verankerte roman- tische Naturphilosophie den Ton an, während um die Jahrhundertmitte ein empirisch exakter Positivismus alle Wissenschaftsbereiche durch- drang. Das galt bis hin zu den Sprach- und Ge- schichtswissenschaften und besonders nachhaltig Ein Student aus gutem Hause Ende des 19. Jahrhunderts, Holzstich nach einem Gemälde von Ernst Bischoff in den exakten, auf Beobachtung gegründeten Culm, abgedruckt in der „Gartenlaube“ 1896 Naturwissenschaften, zu denen nun auch die Medizin etwa mit der Physiologischen Schule Universität genannte Hochschule im Kaiserreich seit 1871, von Johannes Müller zählte. Aus ihr gingen Gelehrte wie Du sowohl quantitativ als auch qualitativ. Wilhelm von Hum- Bois-Reymond und insbesondere Rudolf Virchow hervor, der boldt, der diesen Aufstieg gleichwohl nicht mehr miter- 1893 in seiner Rektoratsrede rückblickend mit Befriedigung lebte – er starb 1835 –, konnte im Rückblick auf sein Werk den Übergang der Berliner Universität vom philosophischen befriedigt notieren: „Etwas was mir noch eigentümlicher zum naturwissenschaftlichen Zeitalter vermerkte. als alles andere persönlich angehört, ist die Errichtung ei- Bahnbrechend setzte Virchow die Zellularpathologie ner neuen Universität hier in Berlin.“ Sein Bruder, der gro- als neues Forschungsparadigma durch, Jahrzehnte später ße Naturforscher Alexander, ergänzte für sich 1827: „Berlin dann sein Antipode Robert Koch die Bakteriologie. Für sollte mit der Zeit die erste Sternwarte, die erste chemische beide galt ebenso wie für den Mediziner und Physiker Anstalt, den ersten botanischen Garten, die erste Schule für Hermann von Helmholtz eine enge Vernetzung von Uni- transzendente Mathematik besitzen.“ versität und weiteren Berliner Forschungseinrichtungen: Doch das Leitmotiv „Einsamkeit und Freiheit“ erwies sich Virchow nutzte das von Friedrich Wilhelm I. 1727 als als zweischneidig. Freiheitliche Regungen wurden durch „Charité“ bezeichnete Übungskrankenhaus für Ärzte als staatliche Repression unterdrückt. Wenige Jahre nach den ein modernes naturwissenschaftliches Klinikum mit La- Befreiungskriegen und dem vom König gebrochenen Ver- borbetrieb. Koch trieb seine Serumsforschung am Kaiser- 12
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